KULTUR-KOMMUNIKATION IM WETTBEWERB HAMBURGER PREIS FÜR KULTUR-KOMMUNIKATION 2015 RUDOLF STILCKEN KULTUR-KOMMUNIKATION IM WETTBEWERB HAMBURGER PREIS F ÜR KULTUR-KOMMUNIKATION 2015 RUDOLF STILCKEN 2 INHALT 6 GRUSSWORTE: ELMAR LAMPSON Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hamburg 10 REINHARD FLENDER 14 IMPULSE ALEXANDER DEICHSEL Direktor des Institutes für kulturelle Innovationsforschung und Leiter des Instituts KMM Substanz als Gestalt – Kundschaft will Lei(s)tung in der Kultur-Kommunikation 38 RUDOLF STILCKEN 50 ANDREAS HOFFMANN Wie Kultur (kritische?!) Kundschaft schafft! Wie Kunst zu erlebter Kultur wird – Hamburgs Museumslandschaft im Aufbruch 136 DOKUMENTATION DER HAMBURGER PREIS FÜR KULTUR-KOMMUNIKATION 2015 138 140 142 144 Die Auszeichnung Der Stifter Die Jury Die Teilnehmer KATEGORIE I KAMPAGNE 150 151 153 KATEGORIE II MARKE KATEGORIE IIIJUNGE KOMMUNIKATION 145 148 Preisträger: Hamburger Kunsthalle Nominierte: Deutsches Schauspielhaus, Hamburgische Staatsoper, ZuFlucht Wendland Preisträger: ELBJAZZ Nominierte: Förderverein Grünes Forum Selbstverwaltung, Musikhochschule Lübeck, Buchhandlung Felix Jud 92 ELISA ERKELENZ 155 156 158 116 FRIEDRICH LOOCK 160 164 Impulsveranstaltung und Preisverleihung Impressionen – Gäste und Teilnehmer in Kommunikation 128 CHRISTIAN KELLERSMANN 166 168 170 Der resonanzraum Preisträger 2013 Über das Institut für kulturelle Innovationsforschung Über das Institut für Kultur- und Medienmanagement 172 SCHLUSSWORT RUDOLF STILCKEN 174 176 Danksagungen Impressum Kulturkommunikation als Kunst der Resonanz. Eine Annäherung Wir müssen reden! Die Suche nach dem „richtigen“ Event 4 Preisträger: TONALi Nominierte: Stiftung Kulturpalast, Affordable Art Fair 5 PROF. ELMAR LAMPSON GRUSSWORT Der Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation Rudolf Stilcken ist eine Innovation in der Hamburger Kulturlandschaft. Er wurde 2013 von Rudolf Stilcken, Ehrensenator unserer Hochschule gestiftet und im Oktober 2015 zum zweiten Mal an drei Hamburger Kulturinstitutionen verliehen. Mit dieser bemerkenswerten Initiative wird eine Lücke geschlossen, die sich allzu leicht zwischen Kulturproduktion und ihrer Vermittlung auftut. Wir bilden in unserer Hochschule ca. 750 Komponisten, Dirigenten Instrumentalisten, Sänger, Musiklehrer, Musiktherapeuten, Regisseure und Schauspieler aus. Diese konzentrieren sich auf ihre künstlerische Exzellenz. Ohne diese Hochleistungen wären unsere Absolventinnen und Absolventen im harten globalen Markt der besten Talente chancenlos. Auf der anderen Seite hat sich mit dem Institut für Kultur- und Medienmanagement die größte Ausbildungsstätte Europas für Kulturmanagement in Hamburg etabliert. Somit reicht das Feld der Ausbildung an der Hochschule weit über Musik und Theater hinaus: die bei uns ausgebildeten Kulturmanagerinnen und Kulturmanager setzen Impulse in Museen, Stiftungen, in der Kulturpolitik und in der Kulturwirtschaft. Was geschieht aber, wenn die einen produzieren, die anderen vermarkten, aber das eine mit dem anderen nicht substantiell verbunden ist? Hier sind Einfühlungsvermögen und Kompetenz in beiden Feldern gefragt. Der Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation soll an dieser Schnittstelle ein Zeichen setzen: Preisgekrönt werden Kulturmarken, Kampagnen und Kulturvermittlungsaktionen für junge Kulturnutzer, in denen die Beziehung zwischen künstlerischer Exzellenz und ihrer Kommunikation in der Öffentlichkeit 6 evident ist. Somit ist Kulturkommunikation selber eine Kunst, die überzeugt und Bestand hat, wenn sie künstlerische Substanz in die Gesellschaft trägt. Die drei Preisträger stellen dies überzeugend unter Beweis: Wer heute auf dem Weg zur Arbeit an der Hamburger Kunsthalle vorbeifährt, der wird mit dem Claim: „Weiter offen“, der mit gepixelter Schrift auf blendendem Gelb an den Bauzäunen der sich im Umbau befindlichen Kunsthalle aufgemalt wurde, animiert, sich bewusst zu machen, dass diese traditionsreiche Institution ein offener Raum ist, der nur dadurch lebt, dass Hamburger Bürgerinnen und Bürgern ihn beleben. Mit „ELBJAZZ“ hat die Hamburger Kulturmanagerin Tina Heine eine identitätsstiftende Hamburger Kulturmarke geschaffen: Die Hamburger Docks als Kulisse für eine Neuinszenierung von Jazzmusik eingebettet in einer einzigartigen Festivalatmosphäre, die grenzüberschreitend jazzaffine Musiken aller Genres mit einschließt. Auch die originellen Kulturvermittlungsideen der TONALi-Gründer Boris Matchin und Amadeus Templeton zeigen beispielhaft, wie das Image klassischer Musik, das mit dem „Silbersee“, also einem Publikum 60 plus assoziiert wird, überzeugend und authentisch an eine junge Generation vermittelt werden kann. In allen drei Fällen wird deutlich, wie wichtig gute Kulturkommunikation für die Vermittlung künstlerischer Exzellenz ist. Ich wünsche mir, dass der Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation Rudolf Stilcken zu einer festen Institution wird und freue mich auf die Fortsetzung dieser privaten Initiative im Jahre 2017. 7 PROF. ELMAR LAMPSON ist Präsident der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. 8 9 PROF. DR. REINHARD FLENDER GRUSSWORT Als Friedrich Loock und Rudolf Stilcken mich im Herbst 2014 um ein Gespräch baten und fragten, ob das Institut für kulturelle Innovationsforschung die Trägerschaft für den Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation 2015 Rudolf Stilcken übernehmen könne, habe ich spontan zugestimmt. Kulturkommunikation ist ein zentrales Feld in der kulturellen Innovationforschung. Die Produktion von „Neuem in der Kultur“ ist erst einmal inflationär. Als innovativ kann eine Ausstellung, eine Premiere, ein Wettbewerb oder eine Festivalidee erst bezeichnet werden, wenn sie nachhaltig im Bewusstsein der Gesellschaft implantiert sind. Die Innovationsforschung nennt dies: „Innidation“. Die Bedingung für die erfolgreiche Verankerung eines Kunstwerkes im Bewusstsein einer Gesellschaft ist Kommunikation. Von daher benennt die These: „Kultur kann nur erfolgreich sein, wenn sie in ihrer Kommunikation erfolgreich ist“, ein wichtiges Element im Prozess kultureller Innovationen. Damals konnte ich nicht ahnen, dass ich ein Jahr später die Leitung des Instituts für Kultur- und Medienmanagement übernehmen würde. So begrüße ich heute die nominierten Preisträger, die KMM Studierenden und alle Gäste in einer Doppelfunktion: als Direktor des Instituts für kulturelle Innovationsforschung und als Leiter des Instituts für Kultur- und Medienmanagement, dem mit über 500 Studierenden Präsent- und Fernstudierenden größten Institut seiner Art in Europa. Der 27. Jahrgang des Master-Präsenzstudiums hat gerade sein Studium begonnen und die Teilnahme an der vorangegangenen Impulsveranstaltung ist Teil des Curriculums. Die Studierenden befinden sich hier in dem speziellen Ambiente 10 des resonanzraums und erleben, wie Kultur in Theorie und Praxis gemacht wird. Prof. Deichsel hat uns eben erklärt, dass die Kommunikation eines Kunstwerkes nur dann erfolgreich sein kann, wenn das Kunstwerk Substanz hat und wenn es in sich den Keim von Kommunizierbarkeit enthält. Nun gibt es Kunstwerke, die sich offensichtlich selbst erklären und geradezu zur Kommunikation anregen und andere, die schwerer zugänglich sind. Aber alles hat seine Berechtigung: Kunst und Kultur können leicht und beschwingt daher kommen, wie in dem eben gehörten Quartettsatz von Dvořák oder hoch spezialisierte Formen der Kunst können auch mentale Vorbereitung, intensives konzentriertes Zuhören oder kontemplative Versenkung erfordern. Dies ist insbesondere der Fall bei Werken der sogenannten „Hochkultur“, wobei heute Hochkultur in unserer demokratisch konstituierten Gesellschaftsform einen Beigeschmack von „elitistisch“ bekommen hat, was aber den Tatsachen nicht entspricht. Eher sollte man von „Intensivkultur“ sprechen, also einer Kunstform, die Vorkenntnisse erfordert und dafür auch Hörund Seh-Welten erschließt, die einen hohen Grad von Erlebnisintensität versprechen. Die Jury, die die Preisträger heute bekannt geben wird, hat darauf geachtet, dass die ausgezeichneten Kommunikationskonzepte nicht auf die Kunst projiziert werden im Sinne der Vermarktung eines Produktes, sondern sich sensibel in die Substanz des kulturellen Erbes oder der aktuellen Kulturproduktion hineingefühlt haben, um die in ihr angelegten Kommunikationsprozesse zu verstärken und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen als Kampagne, Marke oder „Junge Kommunikation“. 11 Letztere Kategorie ist der Tatsache geschuldet, dass jede neue Generation ihre eigene Kommunikationskultur entwickelt und Kulturkommunikation für die verschiedenen Kohorten Gruppen ausdifferenziert werden muss. Von der Theorie zur kulturellen Praxis. Dieser Preis wurde gestiftet von Rudolf Stilcken, wobei der Stifter sich bei der zweiten Ausgabe des Preises anders positioniert hat. Hieß der Preis noch 2013 Rudolf Stilcken Preis für Kultur-Kommunikation, so heißt er heute: Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation 2015 Rudolf Stilcken. In dieser Formalie steckt mehr als ein reines Formkalkül. Der Stifter verortet diesen Preis in Hamburg und schließt die Metropolregion Hamburg mit ein. Hamburg war immer schon ein Stadtstaat, der politisch und wirtschaftlich autark war und keine Gebietsansprüche an das Umland stellte wie das in Hannover oder München der Fall war. Hier sind die Städte Landeshauptstädte und hier stützt sich die staatliche Kulturförderung auf alte aristokratische Traditionen. In Hamburg gilt seit jeher die Maxime, dass Kunst und Kultur von den Bürgern der Stadt selbst zu gestalten und natürlich auch selbst zu finanzieren seien. Die Initiative von Rudolf Stilcken steht in dieser Tradition, denn die Wirkung dieses Preises in der Stadt sollte nicht unterschätzt werden, was wir an der hohen Zahl von Einsendungen gemerkt haben. Von daher ist dieser Preis eine wahre „Hamburgensie“. Um den Claim von Rudolf Stilcken noch einmal aufzugreifen und zu variieren: „Kunst und Kultur können nur dann erfolgreich sein, wenn sie gefördert werden“. Das ist der Grundsatz, den wir 12 nicht vergessen dürfen. Dabei kommt es auf die Qualität und Nachhaltigkeit der Förderung an. Es gäbe in Hamburg keine Kunsthalle, wenn sie nicht von Hamburger Bürgerinnen und Bürgern gestiftet worden wäre. Auch der jetzige Umbau wird von der Dorit- und Alexander Otto Stiftung finanziert. Die Kunsthalle und alle anderen Museen in Hamburg können der Hamburgischen Öffentlichkeit nur das kommunizieren, was neu angekauft oder in ihren Räumen als Leihgabe gezeigt wird. Da die Stadt sich in alter Hamburger Tradition hauptsächlich um die Grundversorgung kümmert, sind die Stifterinnen und Stifter gefragt, als Kulturträger aktiv zu werden und die Form mit Inhalt zu füllen. Der Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation ist deshalb nicht nur eine Auszeichnung für die Kulturbetriebe und Kulturinitiativen der Stadt, neue Wege in der Kulturkommunikation zu gehen und voneinander zu lernen, sondern er ist auch ein Mutmacher an alle Hamburger Bürgerinnen und Bürger, sich für Kunst und Kultur zu engagieren. Es ist von daher wünschenswert, dass dieser Preis zu einer festen Institution im Hamburger Kulturleben wird. Die Planungen für die nächste runde 2017 sind schon in vollem Gange. Vielen Dank PROF. DR. REINHARD FLENDER ist Direktor des Institutes für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und seit Oktober 2015 Leiter des Instituts KMM. 13 PROF. DR. ALEXANDER DEICHSEL SUBSTANZ ALS GESTALT – KUNDSCHAF T SUCHT LEI(S)TUNG IN DER KULTUR-KOMMUNIKATION 10 ANTWORTEN AUF 11 FRAGEN EIN INTERVIEW MIT ALEXANDER DEICHSEL 1 1. Prof. Dr. Deichsel – Was hat die Markensoziologie als Zweig einer modernen Nationalökonomie mit Substanzen zu schaffen? Das passt doch überhaupt nicht zusammen. Das passt hervorragend zusammen. Die Soziologie ist die Lehre vom förderlichen Zusammenwirken der Menschen. Und was ist wohl wichtiger für ein Gemeinwesen als die Zusage des verlässlichen Wirtschaftens zwischen Herstellern, Händlern und Laien? Oder soll ich sagen: zwischen Laien, Händlern und Herstellern?! Wer löst was aus? Jeder dieser Handelnden erschafft Verbindungen innerhalb einer vorab schon existierenden Vorverbundenheit. In ihr versammeln Unternehmen uns leistungshungrigen Laien zu Kundschaften, zu freiwilligen Zahlungsgemeinden. Dadurch entsteht kulturelles Leben im weitesten Sinne. Allerdings gelingt dies nur in dem Maße, in dem die Leistungen sauber, anständig, ehrlich, ehrenwert kalkuliert sind – substanziell. Wir alle spüren das Maß an Substanzialität einer Leistung. Vor allem auch, weil wir Gleichgültigkeit, falsche Versprechungen, Täuschungen sogleich bemerken. Mit Substanz ist innere Kraft gemeint. Eigenartigerweise überträgt sie sich in die Leistung, sei sie Ding oder Dienst; und über diese sogleich auf andere Menschen. Der Wille zur Würde strahlt ab - unabhängig vom Inhalt der Leistung. Ob T-shirt oder Trinkwasseraufbereitungsanlage, ob Akropolis oder Gartenlaube, ob große Symphonik oder Vorstadtband – wir bezahlende Menschen zahlen am liebsten für den Stolz in einer 14 1 Prof. Dr. Deichsel hielt anlässlich der Verleihung des Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation 2015 – Rudolf Stilcken – Preis am 15. Oktober 2015 den gleichlautenden Vortrag. Anschließend entstand das hier veröffentlichte Interview. Leistung. Das gälte nicht für eine Käsepackung im Supermarkt? Welch ein Irrtum, denn beobachten Sie sich, wann und warum Sie zum Fachhändler gehen, der aus eben diesen Gründen mehr und mehr auch in den Großflächen auftaucht. Besonders in den Künsten zeigt sich, dass die substanzielle Kraft unabhängig vom mechanischen Aufwand wirkt. Der Pantomime auf dem Marktplatz vermag sie ebenso auszustrahlen wie die Inszenierung im Opernhaus. Der Wille zu Substanz ist also die beste Geschäftsgrundlage. Angesichts dieses Sachverhaltes ist die Trennung von Betriebs- und Volkswirtschaft in zwei akademische Bereiche durchaus problematisch. Die moderne Markensoziologie erweist eben die unaufhebbare – substanzielle! – Verbindung beider in der, bei aller Globalisierung, unausweichlich weiterhin örtlichen Nationalökonomie. Das liegt eben daran: Substanz zeigt sich immer örtlich. Von den Pflanzen über die Tiere zu den Menschen und deren kulturellen Kernkraftwerken bis zur Luft. 2. Kulturelle Kernkraftwerke? Sie sehen die Gestalt unserer Kulturleistungen als Schnittstelle zwischen Substanz und Geld – ist das nicht ein bisschen plump? Nicht plump, aber deutlich. Nicht nur ein Jazzfestival oder eine Kunsthalle, jedes Kinderlied und jede Theateraufführung strahl Stolz und Leistungsfreude ab – mehr oder weniger. Auch unsere Kleidung, unsere Sprechweise, unsere Waren sind solche ausstrahlenden Leistungen des Menschen. So betrachtet, begegnen wir allen Vorgängen in der Welt immer in Form von Gestalt. 15 Ob als Mensch, als Ware, als Klang, als Bewegung – immer ist es Gestalt gewordene Materie, die uns bedrängt beglückt, begeistert – entsetzt. Auch als innere Gestalt beschäftigt uns das Universum, denn unsere inneren Stimmen, unsere Träume und Erinnerungen sind bevölkert von solchen Gestalten, die schließlich lebendige Beweggründe für unser Handeln werden. Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten ... - der verzweifelnde Faust versucht, ihrer drohenden Gewalt bekanntlich Herr zu werden; auch wenn wir als Schüler dachten, er meine die Freunde vom gestrigen Gelage in Auerbachs Keller, so beschreibt der Dichter doch nur die Allgewalt der Gestalt gewordenen Materie. Wenn uns vorhin das Streichquartett Opus 96 von Dvorjak vorgespielt wurde, so war auch dies Gestalt gewordene Substanz. So ungewohnt es klingt: Gestalt hat nur sich selbst zur Ursache. Sie wird zwar mittels mechanischer Vorgänge ermöglicht, es bedarf also der Noten, einer Violine, und der Schallwellen, doch das irgendwie Dvorjaksche ist keineswegs mechanisch zu erzeugen. Die Dvorjaksche Musik tritt immer als sinnlich wahrnehmbarer Klang in Erscheinung, die Klänge selber sind jedoch eine spezifisch geordnete Gestalt, die nun sich selber zur Ursache hat und die man technisch nicht erzeugen kann. Oder nochmals anders: Es bedarf der Mechanik, um sie freizulegen. Das Freigelegte selber gehorcht aber keinen mechanischen Gesetzen. Es ist wie in der Natur: Wenn Samen und Eizelle sich verbinden, entsteht ein vielfach beschriebener Prozess – die Gestalt des entstehenden Kindes jedoch ist substanzielle Schöpfung. Denken Sie nur an Parthenogenese – in Natur und Kultur! Was die Natur uns vormacht, versuchen wir nachzubilden, 16 nachzugestalten: Wir erschaffen Gestalt in unseren kulturellen Erscheinungen, von denen die Künste ganz besondere Leistungen darstellen. Denn jeder Sitte, jeder Speise, jedem Gedanken begegnen wir als Gestalt. Insofern begegnet uns Substanz immer als Gestalt und in jeder Gestalt begegnet uns mehr oder weniger kräftige, ausdrucksstarke Substanz. Dies ist für den Kaufmann, ja für jede kulturelle Tätigkeit von gedanklich doch wohl nachvollziehbarer Bedeutung, oder? Je substanzieller eine Gestalt gefüllt wird, desto dauerhafter ordnet sie die Welt um sich herum. Also auch den Markt und die Geldbewegungen. Warum die einen Tausende von Jahren, die anderen nur zwölf ? Naja – wann erlaubt Ihre Zeit ein nächstes Gespräch? 3. Sind das dann die Wirkungen? Die Wirkung solcher in Gestalt gebrachten Leistungen führt dazu, dass wir Laien uns um sie versammeln. Je ausstrahlungskräftiger die Substanz, desto enger die Bindung, sowohl hinsichtlich der Intensität als auch hinsichtlich der Dauer. Der pfiffige Leibniz bezeichnete uns Menschen als die Kleinen Götter – tatsächlich entdecken wir Möglichkeiten innerhalb unserer je örtlichen Natur und formen sie zu Leistungen – heute sind die meisten kaufbar. Die Waren sind als kulturelle Leistungen mehr oder weniger typisch und individuell. Manchem Künstler erscheint ein solcher Vergleich erniedrigend, dies jedoch zu Unrecht. Jede Leistungsgestalt enthält, bei genauem Hinsehen, die Chance, Begabungen anzuregen und zu wecken. Nehmen wir doch wieder das Streichquartett. Unsere vier Musiker 17 entwickeln ihre Begabungen, in dem sie Instrumente und Noten kaufen, Räume mieten und schließlich interessierte Zuhörer zum bezahlten Lauschen veranlassen. Was wir Wirkung nennen, besteht darin, dass Menschen, die etwas bestimmtes besonders gut können, durch eben diese Leistung(en) anderen Menschen, in denen Freude an der Teilhabe zwar vorhanden ist, die Leistungsbefähigung jedoch nicht, die Möglichkeit bieten, eben diesen Impuls auf diese Weise zu wecken, zu stärken, anzuregen. Das apriorisch Angelegte wird angeregt, geweckt und diese Entfaltung im eigenen Innen nennen wir Wirkung. Dabei spielt die in die Mechanik einer Gestalt gebrachte Substanz die entscheidende Rolle, metaphysische Wirkung läuft über Physisches, ist jedoch in dem Maße dauerhaft, indem sie vor-mechanisch innere Kräfte anregt. Anregung der Seele. Auf diese Weise leitet Leistung durch Gestalt. Auch hier sind die Künste exemplarische Beispiele. Wir gehen in ein Konzert, weil es uns gefällt, wir besuchen eine Gemäldegalerie, weil wir die Bilder bestaunen oder studieren, durch sie hindurch andere Zeiten und Gegenden unserer Welt besser erkennen wollen; wir setzen uns in ein Theater, um Problemdarstellungen beizuwohnen, die uns unsere eigenen Lebenslagen verständlicher machen. Insofern sind dies alles geistige Lebensmittel, für die Gleiches gilt, was auch für deutlicher anfassbare Lebensgeräte gilt – sie helfen uns, unsere Lebenssituationen zu gestalten – und schon wieder taucht das Wirken der Gestalt auf. Die Wirkung liegt dabei nicht nur in einer mechanischen Übertragung von optischen, klanglichen, olfaktorischen, haptischen oder gustatorischen Signalen. Diese Wahrnehmungen sind nur die eine Seite des Vorgehens. Die zweite liegt in unserer 18 Wahrnehmung, also in dem schöpferischen Deuten dieser Eindrücke. Alle äußeren Eindrücke kommen zwar durch die Sinne in den Sinn, doch der Sinn selber nicht. Er entsteht durch unsere innere Deutungskraft – aus unserer eigenen Substanz heraus. So entsteht dauerhafte Tiefenbindung. Der Kaufherr will eben dies auch erreichen, er will binden, nicht nur verscherbeln; Sie sehen ja, was dabei rauskommt, wenn man das versucht. 4. Wie nun aber bitte: entsteht daraus eine Marke? Nun – ein Kaufherr will binden, insbesondere jener, der ein Markengeschäft aufbauen will, der sein Geschäft vererben will. Auf diese Weise entsteht ein Rückkopplungssystem – eben das, was die Markensoziologie als Marke, als eigentliche wirtschaftliche Brennzelle unseres Gemeinwesens identifiziert hat. Die Marke arbeitet als Energiesystem. Darf ich Ihnen, in gebotener Kürze, illustrieren, wie ein solches System entsteht? Als Erstes entsteht immer irgendeine Leistung – ob als Maggi, als Computer oder als Streichquartett. All diese Schöpfer waren Leister, bedenken Sie nur, wie sich der Dvorjak geplagt hat, jahrelang sind sie durch die Lande gezogen und haben Musik gemacht. Aber dann sind diese Leistungen auf einen Menschen getroffen, der eben diese interessant fand, sie ausprobierte, beim Speisen, beim Schreiben oder beim Tanzen und der dann erneut nach ihr verlangt. Die in der Garage wurden gebeten, noch mal einen Personal Computer zu basteln, – das war also eine Innovation gegenüber den IBM-Schränken – und Dvorjak sollte wieder kommen und spielen. 19 Diese Skizze entstand im Rahmen der Impulsveranstaltung & Preisverleihung des Hamburger Preises für Kultur-Kommunikation am 15.02.2015. Prof. Dr. Alexander Deichsel gab eine Einführung zum Thema „Substanz als Gestalt Kundschaft will Lei(s)tung in der Kultur-Kommunikation“. Für diese Broschüre brachte der Autor die Skizze zu Papier. 20 21 GEGENSTAND STRUKTUR FÜHRUNG Leistungen ● Substanz Eigenbewegt aus Kraft ● Gestalt Körperlich erfahrbar ● Wirkung Geld Name/ Zeichen Leistung Produkt Distribution Kommunikation Positives Vorurteil Preis- und Wertstellung Kreativität Grenze füllen 22 ● Individuelles Selbst Kundschaft ● Stärken stärken ● Selbstähnlich wachsen Mittels Substanz als Gestalt gilt es, durch Leistung zu leiten und Kundschaft zu erschaffen; der Gegenstand der Marke entsteht aus der Substanz als eigenbewegte Kraft, die als Gestalt körperlich erfahrbar wird; als Wirkung zieht sie Geld auf sich: die Struktur dieses Gegenstandes: Eine Leistung wird in ein Produkt verdichtet, welches über Kanäle der Distribution Menschen um sich versammelt: Kundschaft aufbaut – Name und Zeichen eben so wie Kommunikation sind in diesem Vorgang markenindividuell einzusetzen; dieses Rückkopplungssystem erschafft stetig durch aktuelle Leistungen Positive Vorurteile und damit die Preis-und Wertstellung des Leistungssystems; vom Prinzip der Selbstähnlichkeit gesteuert, verlangt dies, die Stärken des Systems zu stärken und damit die Individualität des substanziellen Selbst einer Marke im Markt dauerhaft durchzusetzen. Die für Kommunikation wichtige Kreativität soll dabei dessen Grenzen füllen. Die roten Pfeile: Links: aus der inneren Kraft heraus gestalt(en) und wirken. Rechts: Nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit die Stärken stärken und dadurch die individuelle Leistungsgestalt sichern. Auf diese Weise sind Kausal-und Finalursachen optimal verbunden. 23 Jetzt passiert im Markt etwas Hochinteressantes: Die Menschen vernetzen sich, sie empfehlen diese Leistung Anderen und dabei entsteht ein Zusammenhang. Aus den vielen potenziellen Konsumenten entstehen erst Kenner, die durch immer wieder neuartige Begegnungen mit der Leistung zu Neugierigen werden, die sich dann zu Käufern mausern und schließlich zu Kunden. Merken Sie – die Verbindung zur Leistung wird immer enger, immer stabiler. Doch damit ist der Prozess der Verbindung noch nicht zu Ende. Immer mehr Kunden entstehen in den Gelegenheitskäufern und den vielen Kennern innerhalb der Konsumenten und über die Zeit vernetzen sich diese Menschen zu etwas, was auch wir in der deutschen Sprache extra bezeichnen – es entsteht Kundschaft. Worin besteht das Eigenartige von Kundschaft? Sie überlebt die vielen Einzelnen, sie überlebt die Kunden, die in der Regel das Leistungssystem irgendwann verlassen. Die Bravo lasen Sie mit 17, jetzt sind sie SPIEGEL-Leser. Als Mädchen haben Sie PERSIL bei der Mutter kennen gelernt, als selbstständige junge Frau nahmen Sie natürlich etwas anderes, ARIEL zum Beispiel; und als das erste Kind da war, war‘s dann doch wieder PERSIL. Wenn eine Marke zu einer Sitte gehört, hat sie es geschafft – markensoziologisch gesehen. Auch in der Musik wird ein Verhältnis immer dichter – unabhängig von den Inhalten, ob Dvorjak oder Heavy Metall. Auch der Künstler ist ein Unternehmer, ein schöpferischer Unternehmer, der seine Anhänger erzeugt und damit mehr oder weniger sein Geld verdient; sich und seine Leute, seine Familie ernährt und also Komponente des Wirtschaftens wird. In diesem Energiesystem Marke ist das Unternehmen der Generator, die Kundschaft der Akku. Nun erkennt 24 man, wo die eigentliche Markenkraft sitzt – nicht im Unternehmen, sondern in der Kundschaft. Die Kundschaft ist der eigentliche, der wirkliche Financier des Systems, nicht die Banken. Eben deshalb sucht die Kundschaft immer Leistungen, die sie leiten – das meint ja die Unterzeile meines Vortrages. Man kann dies beobachten, wenn eine im Heimatmarkt gut eingeführte, starke Marke ins Ausland geht. Sie nimmt alles mit: die Leistungen, die Damen, die Kleidung, das Farbklima und die Waren. Doch in Frankfurt brummt der Laden, in der chinesischen Provinzstadt kommen vielleicht einige Neugierige. Warum ist es so leer? Weil man die Marke nicht mitnehmen konnte. Sie muss erst wieder aufgebaut werden. 5. Nun aber echt: Meinen Sie wirklich, dass dieses betriebswirtschaftliche Konzept gälte auch für künstlerische Schöpfungen? Na ist doch völlig klar. Jede künstlerische Leistung braucht ihre Distribution. Eine Partitur das Orchester, ein Manuskript den Verleger, den Buchhändler, ein Chanson seine Chansonette, ein Maler seine Ausstellung, sei es in der heimatlichen Sparkasse oder in der Kunsthalle. Schließlich gibt es Leistungsligen. Leitung braucht Distribution. All diese wunderbaren kulturellen Geschöpfe der Menschen müssen ja zu uns, den nach Leistungen Hungrigen gebracht werden. Das Produkt – und nochmal: nicht nur Käse und Parfum sind Produkte, auch eine Symphonie, eine Jazz-Improvisation und ein Gedicht sind solche Erzeugnisse. Die Künste spielen dabei eine besondere Rolle, auch wenn der Kunstmarkt heute manche bizarre Blüte 25 hervorbringt – immer ist Gestalt die Schnittstelle zwischen Leistung und Geld, dieser für jede Art von Schöpfung doch durchaus zündenden Energie seit einigen tausend Jahren, der belebenden Verbindung zwischen Substanz und Wirkung, was immer meint: der Entfaltung von Anlagen in uns Laien, irgendwo, aber immer vor Ort. Eine Leistung muss distribuiert, verbreitet, angeboten werden. Auch hier darf man sich das nicht als Entwertung sich vorstellen. Im Gegenteil – ein Orchester beispielsweise, ein Theater, ein Verlag, ein Festival ist ein jeweils aktueller Propagandabeitrag eines Werkes. Dvorjak, von Brahms freundschaftlich unterstützt, bekam einen Verleger, der ihm den Kontakt zum großen Publikum ermöglichte. Die Galerien für die Maler und die Labels und Interpreten für jede Art von Musik sind derartige Händler – im wertvollen Sinne des Wortes – sie be- und verhandeln eine Schöpfung, man denke nur an die Messen oder auch an die Zeitschriften, die zum Beispiel die Weimarianer begründeten, um ihre Gedanken zu verteilen und zu verkaufen – im Direktvertrieb. Eine bedeutende Rolle spielten und spielen in diesem kunstvollen Geflecht die Preisverleihungen. Preisstifter sind die Kolumbusse, die Entdecker. Wenn man verstanden hat, welche Rolle die Gestalt als die schon genannte Schnittstelle zwischen Substanz und Geld darstellt, wird sogleich erkennbar, welche Rolle die Gestaltung auch solcher Händler und ihrer eindrucksvollen Veranstaltungen spielt. Ich hatte einmal einen bekannten Regisseur zu einer Gastvorlesung eingeladen zu dem Titel ´Kleist als Marke´ - und er war zuerst empört: Kleist und Persil? Nachdem er den Zusammenhang nachvollziehen konnte, wurde es eine lebendige Veranschaulichung, wie eine Kulturmarke 26 an seinen Distributeuren hängt; denn der Theatermanager Goethe hatte beispielsweise den Zerbrochenen Krug 1808 im Weimar so miserabel inszeniert, dass das Stück durchfiel; Sie erinnern sich: ein Todessignal für Kleist. Der Distributeur gehört eben ganz entscheidend zur Gesamtgestalt eines Werkes, denn das Publikum erkennt, ja schätzt sehr wohl den Unterschied zwischen dem Schauspielhaus und einem Café Téatre. Dabei kann das Theater im Zimmer der Gmelins sehr wohl ihr Renommé aufbauen, also Markenkraft entwickeln, doch der Unterschied zur Mailänder Scala bleibt eben bestehen. Das ist ja auch höchst sinnvoll, denn Grenzwille stärkt Leistungswille! Eben deshalb entstehen sie: die zahlreichen, für ein Gemeinwesen so wichtigen Orte der Distribution schöpferischer Kultur. 6. In der professionellen Kommunikation spielen ja Botschaften eine wichtige Rolle – wie übertragen sich diese? Nun beginnt der Erzeuger sich zu organisieren und wichtige Zwischenstufen entstehen. Als erstes muss ein Name gefunden werden, sodann auch ein Zeichen. Oft sind es Namen des Erfinders, Erzeugers Schöpfers. Dann das Zeichen – heute sehr oft eine Chiffre, eine geometrische Spielerei, die erst erklärt werden muss – der diagonale Strich bei einer Bank – der dann kommentiert werden muss: Das sei Dynamik – während die Bohne bei Tchibo ist ein Symbol- jeder weiß, was der Hersteller kann und anbietet. Für den Kulturmanager sind solche Zeichen insbesondere wichtig. Auch für den Kaufmann. Eine Leistung will immer bezeichnet werden, sonst kann sie nichts im Publikum und in 27 der Kundschaft auslösen; gerade dies ist aber doch für Kommunikation heute durchaus von Bedeutung: Außerhalb der Präsenz der Leistung selber von eben dieser zu künden. Diese Unabhängigkeit, diese Selbständigkeit, diese eigenaktive Leistung des Kommunizierenden ist der Grund für das Entstehen einer bedeutenden eigenen Branche: der Kommunikationsindustrie mit ihren vielfältigen Sparten, beispielsweise der Werbung. Dazu benötigt man nun also zuerst am besten einen Namen für eine Leistung. Der persönliche Name ist deshalb so stark. Weil er sogleich persönliche Verantwortung signalisiert. Und das Zeichen? Wie gesagt: gerne wird heute auf abstrakte Formen gesetzt, die nichts erwecken, es sei denn Rätselraten. Markenwerbung aber keine Denksportaufgabe. Der professionelle Kommunikator sollte den Unterschied zwischen Chiffre und Symbol kennen. Und die hier gemeinte Kommunikation ist eine Mitteilungsart, die viele gestalterische Aufgaben hat, einen Sachverhalt jedoch deutlich im Auge haben sollte: Sie darf die Verbindung zum Be-Kommunizierten nie verlieren. Und dazu sollte deutlich erkannt werden: der Akku der Marke, die Kundschaft greift unablässig auf den Gestaltkörper einer Leistung zu, auch überall dort, wo keinerlei operative Mitteilung geplant wurde. Das Verkehrsverhalten eines Lieferwagens, auf dem stolz der Firmenname prangt, ist ganz selbstverständlich eine höchst aktive Komponente der Markengestalt; denn wenn er in der zweiten Reihe parkt und die Straße verstopft wird er Anlass zu Ärger und sicherlich kein positiver Markenbeitrag. Dienstkleidung hingegen ist immer Ausdruck von starkem Markenwillen, denn Gestaltdisziplin unterstützt den Eindruck 28 von Eigenwille und Leistungskraft. Das nutzen nicht nur Bundesbahn und Militär, sondern auch so etwas Hehres wie das Bundesverfassungsgericht. 7. Bleiben wir noch bei der Kommunikation – wie können aus dem Dargelegten Instrumente für die Markenführung gewonnen werden? Der professionelle Kommunikator ist durchaus einem fürsorglichen Hausarzt gleichzusetzen. Er soll einen lebendigen Menschen insgesamt kraftvoll erhalten oder ihm bei Störungen auf die Sprünge helfen. In dem Maße, in dem ihm der jeweilige Körper vertraut ist, wird er dessen Möglichkeiten kennen. So muss der Kulturkommunikator also seinen Gegenstand genau kennen – am besten nicht nur kennen, sondern auch verstehen. Er muss seine Innereien verstehen, seine Geschichte und den Ort, an und in dem er lebt und wirkt. Ich hebe ja versucht, zu veranschaulichen, dass sich diese kulturellen Leistungssysteme als ebensolche Lebewesen zeigen, wie die Lebewesen in der Natur – nur allerdings mit dem wichtigen Unterschied, dass die Kulturkörper viel deutlicher dem menschlichen Führungswillen unterliegt. Ihre Frage zielt mit Recht auf jene Aufgabenstellung, die Substanzielles nicht nur eigentätig zur Wirkung kommen lassen will, sondern die deren Ausstrahlung durch bestellte berufliche Kommunikation zu unterstützen sich angelegen sein lässt. Die beiden ersten Schritte der hier vorgelegten Darstellung haben den zureichenden Grund des Wahrnehmbaren einer Leistung ausgeführt, und den daraus jeweils unvermeidlich entstehenden kulturellen Körper durchsichtig gemacht; nun also geht es um jene Instrumente, die 29 einen auf diese Weise entstandenen Gestaltkörper mehr oder weniger anziehend, das meint bindend, also, kaufmännisch gesprochen, kaufwirksam zu machen. Ausdrücklich organisierte, professionelle Kommunikation spielt dabei heuer ihre wichtige Rolle, sie soll die Durchsetzung von Substanz unterstützen – sie soll also helfen beim Verkaufen. Dabei hat sie einen Leistungskörper aus Kultur insofern zu kräftigen, als dass sie die Eigenarten, die Fähigkeiten eben eines solchen Leistungszusammenhanges zusätzlich und ergänzend veranschaulicht; und dadurch Energie aus dem Akku in den Generator und seine herstellenden Abteilungen zurückführt – einfacher ausgedrückt: den Zufluss an Geld in die Lohnbereiche des Unternehmens zu erhöhen beiträgt. Da man sich diesen Leistungskörper tunlichst ganz konkret als individuellen Arbeitszusammenhang, als tätige Einheit, ja, es sei nochmals darauf verwiesen,: warum nicht als Lebewesen vorzustellen hat, ist eine wichtige Aufgabe zu lösen: Welche Leistungsfacette aus dem zur Förderung vorliegenden Substanzkörper gilt es gegenwärtig nach Vorne zu bringen, öffentlich, zum öffentlichen Thema zu machen? Durch welches Detail kann der Erfahrungsakku des Markensystems am kräftigsten energetisch unterstützt werden? Schließlich hat der Etwas Mitteilende, der Mitteilungsbeauftragte ja einen hochkomplexen Lebenszusammenhang vor sich; er sollte also genau entscheiden, wann er was und auch wo er dieses mitteilt, um seiner Aufgabenstellung gerecht zu werden – die Kaufkraft der Leistungsgestalt zu optimieren. Mit optimieren ist hier die qualitative Stärkung der Substanz gemeint, nicht nur die Maximierung eines Grössenverhältnisses. 30 8. Das klingt alles nicht schlecht – aber wie machen Sie draus ein Programm? Ja – ernste Frage – aber daraus ergibt sich ein eindeutiges Programm; es lautet: Stärken stärken! Der Menschen-Akku will sich ja immer wieder in seinen typischen Erfahrungen bestätigt wissen. Diesbezüglich arbeiten die Künste allerdings mit elastischeren Resonanzräumen. Der eben angeführte Unterschied zwischen Kleist und Persil ist doch durchaus deutlich. Die Freude an geistigen Gestalten lebt durchaus auch von Überraschungen. Die neuartige Inszenierung und manche ungewöhnliche Performance veranlassen heute manchen Künstler zu Spektakulärem. Die sogenannten Bildenden Künste sind dabei sicherlich auffallender als die Musik. Meist sind es jedoch Distributeure, die das Unbekannte zu präsentieren sich freuen oder nach bislang unbekannten Falten im vorhandenen Werken suchen. Auch der Kulturkommunikator sucht ja nach unghobenen Schätzen oder nach bislang verborgenen gold nuggets. Wer die soziale Struktur eines Markensystems verstanden hat, wird jedoch wohl überlegen, ob er die Kundschaft durch eine vertraute Leistungsbegleitung kräftigen will oder das Programm Epatez le Bourgois! zu fahren vorschlägt. In jedem Fall ist es seine Pflicht, zur Verkaufbarkeit eines kulturellen Produktes beizutragen, zur Strahlkraft eines wie auch immer inhaltlich angereicherten kulturellen Kernkraftwerkes beizutragen. Immer ist es jedenfalls auch für ihn hilfreich, in den Lebensfacetten des zu unterstützenden Gestaltkörpers nach jenen Komponenten zu suchen, die aktuell, hier und heute, dafür eingesetzt werden sollten. Wirksame Werbung orientiert, 31 ja beruhigt – die Konsumenten, die Kenner, die Käufer und die Kunden, wir Laien suchen nach Leitung durch Leistung – und also gilt es, jene Leistungsfacetten zu mobilisieren, die im hic et nunc das Ganze zu kräftigen vermögen. Stärken stärken lautet das Programm – also gilt es, die Stärken zu finden. Hans Domizlaff, im ersten Weltkrieg als Jagdflieger abgeschossen, ist in seinem Werk als Markentechniker ein gutes Beispiel für die Verbindung beider Möglichkeiten. Als Künstler – er hatte in Paris bei Picasso studiert und in Leipzig Ausstellungen seiner Bilder sowie brandaktuelle Uraufführungen bewerkstelligt – Büchner Woyzeck zum Beispiel – Hans Domizlaff führt anspruchsvolle künstlerische Motive für die von ihm entwickelten Marken ein und hält deren Gesamtgestalt als wirtschaftliche Geldverdienkörper beharrlich selbstähnlich durch – manche seiner von ihm geschaffenen und betreuten Gestaltsysteme verdienen heute noch ihr Geld, um die sie Herstellenden mit ihren Familien zu ernähren. Sogar anlässlich der Konfrontation mit den Wahlplakaten der Faschisten und Kommunisten gegen Ende der Weimarer Republik verließ er nicht seine Linie und versuchte, in Gesprächen mit dem Reichskanzler Brüning, deutlichere nationale Symbole zu reaktivieren und auf die Straßen zu bringen. Erst angesichts der Stuyvesand-Strategie überließ er anderen Stilisten das Feld. Die Stuyvesand ist längst verschwunden, die Ernte 23 gibt es immer noch. 32 9. Ihre Erklärungen wirken irgendwie recht konservativ – ist nicht alles in heftigem Wandel und muss man da nicht mithalten? Naja, da muss man aufpassen. Wenn wir uns nochmals den aufgeladenen Akku eines Markensystems vergegenwärtigen, also den Financier Kundschaft, so besteht eine wichtige Aufgabe darin, in den stetig sich wandelnden Zeitgeschmackslagen das Typische einer Leistung immer wieder zu gewährleisten und zu veranschaulichen. Wandel sollte man deshalb so managen, dass Publikum, öffentliche Meinung, vor allem aber die zahlenden Kundschaften mitgenommen werden. Alle sollten möglichst nachvollziehbar verstehen, warum man die sinnvollen Änderungen einführt, denn die aufgebaute Zahlungstreue ist ja jene Zusageverläßlichkeit der Kundschaft, die ein Unternehmen planen lässt. Sie wird aber nur in dem Maße erhalten bleiben – als Kundentreue – in dem auch das Unternehmen zusageverlässlich bleibt. Abrupte Neuerungen sind vielleicht für eine mediale Aufregung gut, für die Erfahrungskonstanz der Kundschaft jedoch eher problematisch. Die professionelle Kommunikation sollte sich für einen bestimmten Kulturkörper einen Kommunikationscode erarbeiten, der situative Variationen ermöglicht, nicht jedoch durch zu heftige Gestaltausschläge den Verdacht unzuverlässiger Beliebigkeit im Publikum aufkeimen lässt. Zum Akku des Energiesystems gehören die kulturellen Resonanzfelder. Die Suche nach bindungsstarken Motiven lohnt sich – also nach Bildern, Worten, Bewegungen, die auf geschichtlich aufgebaute Erfahrungsfelder treffen und diese positiv mobilisieren. Die schöpferische Wiederholung erfüllt dann die Aufgabe, Kundschaft durch Leistungen zu leiten. 33 Derartige Instrumente aktivieren das Prinzip der Selbstähnlichkeit. Selbstähnlichkeit ist das Erfolgsrezept des Universums – also auch der kulturellen Körper. In letzten nutzt es die jeweils aufgebauten positiven Vorurteile und aktualisiert die darin enthaltenen Neigungsbereitschaften. In belebter Wiederholung wird das Neue freigesetzt, die Natur macht es uns wieder vor. Kulturkommunikation gewinnt aus diesem Prinzip kraftvolle Instrumente, um den Kulturkörper durch die Zeiten zu führen – seit vielen Jahrhunderten urbanen Lebens, in dem die Marke ja überhaupt erst notwendig wird. Wachstum kann auf diese Weise organisch gesteuert werden, mechanische Vergrößerungen, durch anflanschenden Zukauf, bekommen Juristen schneller zustande. Die Werteinseln aus künstlerischen Leistungssystemen sind jedenfalls von ganz besonderer Art und bedürfen entsprechend feinsinniger kommunikativer Unterstützung, weil die ästhetischen Urteilskräfte des Marktes ihre „Wahrgebungszugriffe“ sehr viel lebhafter praktizieren und zum Ausdruck bringen als bei grobsinnlichen Waren. 10. Wenn man Ihnen so zuhört fällt auf: Sie haben bisher nie von Kreativität gesprochen – ist Ihnen, der immer nach Zusammenhängen sucht, das zu anarchisch und also suspekt? Oh – da haben Sie mich ja noch an einer wichtigen Stelle erwischt. Tatsächlich ist dies eine wunderbare Begabung des Universums; also auch des gestaltschaffenden Menschen. Wer wollte diese Begabung zur Kreativität wohl hemmen? Von der Substanz her gesehen – was meint kreativ? Das komplementäre Verhältnis von Substanz und körperlicher Gestalt hat uns beschäftigt und 34 wohl möge auch deutlich geworden sein, dass die Substanz ihren Körper nur dadurch determiniert, dass sie den Fächer aller seiner Möglichkeiten eben dieser individualen Lebensgestalt bereit hält. Frei jedoch ist der Körper, das Angemessene auszuwählen. Immer muss er durch das Nadelöhr seines täglichen Handelns. Dieses Verhältnis von Bestimmung im Bereich des Möglichen und Freiheit beim auswählenden Tun ist seit langem bekannt und unter anderem als das Verhältnis von Kausal- und Finalursache behandelt worden. Die Markensoziologie hat diesen Zusammenhang wieder genutzt, insbesondere bei der Gestaltung ökonomischer Leistungskörper. In den Künsten kann man sie gut erkennen. Der Künstler erschafft (s)einen Stil – und wird dann eben diesen Gestaltkorridor weiterhin nutzen. Seine Schöpferkraft wird aus sich selber, aus seinem substanziellen Selbst, heraus - dem ähnlich zu bleiben ihm große Freude macht – immer wieder Neues schaffen – aber eben als dieser Gestalter. Bei ihm kann man gut beobachten, dass in der Wiederholung das Neue schlummert. Er, wie man heute gerne sagt, erfindet sich jeden Tag neu – doch eben im Rahmen der unendlichen Möglichkeiten, die er als eben dieser eigenbewegter Substanzkern zur Verfügung hat. Dies erlaubt zu erkennen, wie gebunden die Kreativität funktioniert. Sie ist das Ergebnis einer individualen Schöpferkraft, determiniert in der Fülle seiner Möglichkeiten und frei, daraus auszuwählen. Er ist begrenzt durch sein unendliches Potenzial, frei jedoch, daraus etwas zu machen – seine Gestalt(ungen). Stil ist unser Wort dafür, denn durch die selbstähnliche Reproduktion entsteht eben dieser. Ein Haufen Steine ist noch keine Kathedrale und ein Sack voller Noten noch keine Symphonie, und doch gibt es die Gotik und 35 die Wiener Klassik. Dies lässt aber ganz unerbittlich erkennen: Nicht sprengt Kreativität Grenzen sondern füllt eben diese. Es ist die Substanz, welche die Grenze etabliert – allerdings determiniert durch die möglichen Möglichkeiten einer individualen Materiepartikel. Bekanntlich gibt es nicht zwei gleiche Schneeflocken und keine zwei gleichen Eichenblätter. Das Universum komponiert sich insgesamt aus solchen eigenbewegten Substanzkörpern; die allerdings allesamt durch die gemeinsame Geschichte vorverbunden sind. – wir sprechen daher ja auch von einem Universum, einer Einheit. Kreativ ist also jemand, der seine Grenzen füllt – und eben dies führt zu der atemraubenden Vielfalt an Gestaltwillen; die sich durch ihre Grenze als jeweils Eines zeigen. Grenze ist Bedingung für Substanz als Gestalt. Wissen Sie, was Sophia Loren antwortete, als man sie fragte, wie viele Sprachen sie spräche? ´Signori, antwortete sie, ich spreche nur italienisch – aber ich weiß in 32 Sprachen NEIN zu sagen. PROF. DR. ALEXANDER DEICHSEL Universität Hamburg, ist Markensoziologe, Präsident der Ferdinand Tönnies Gesellschaft e.V. Kiel und Wissenschaftlicher Associate am Büro für Markenentwicklung. 11. Nun aber ernsthaft: Was würden Sie jemandem im Job raten? Tja - diese Antwort muss ich schuldig bleiben; denn das muss der suchende Jemand vor Ort entscheiden. Der Geplagte im Job möge das hier durch Sie anlässlich des Stilcken-Preises Formulierte studieren und dann – der Freiheit in der leiblichen SubstanzGestaltung sei´s geklagt – die optimierenden Lösungen finden. In fine laus ! 2 36 2 In fine laus – Schließlich der Ruhm! Motto der 1683 gegründeten akademischen Anstalt im dänischen Altona, die seit 1744 als Christianeum eine Anstalt der Höheren Bildung ist. Der Interviewte ist Absolvent dieser Schule. 37 RUDOLF STILCKEN WIE KULTUR (KRITISCHE) KUNDSCHAF T SCHAFF T ZUR VERLEIHUNG DES HAMBURGER PREISES FÜR KULTUR-KOMMUNIKATION 2015 Erlauben Sie vorweg eine Anmerkung zum Hamburger Preis für Kultur Kommunikation 2015: In meiner beruflichen Zeit habe ich selbst bei global agierenden Unternehmen erlebt, dass intern ausgeschriebene Kommunikations-Wettbewerbe für die Qualität und Effektivität der Marken-Entwicklung mehr getan haben als Vorgaben oder gar Anweisungen. Diese Erfahrungen haben mich angeregt den Hamburger Kommunikationspreis für Kultur 2013 und 2015 zu schaffen. Natürlich ist die Lage in der Metropolregion Hamburg nicht vergleichbar mit einem wirtschaftlichen Konzern. Aber es herrscht hier ein Mangel an Identitätstiftenden Maßnahmen, die in der Bevölkerung öffentliches Bewusstsein schaffen. Wodurch, wenn nicht durch Kultur, durch die Künste könnte ein Austausch entstehen aus dem sich die Metropolregion zu einer Region mit Markencharakter entwickelt. Wie etwa im traditionsreich, modernen München – Oberbayern oder im neu erwachten Kulturraum Ruhrgebiet. Dass die Ausschreibung und die heutige Veranstaltung dazu nur einen kleinen Anstoß geben können, ist mir bewusst. Aber ich sehe den Trend, dass die Menschen in der globalen Wirtschaftswelt und dem (zu großen?) politischen Europa lokal und regional nach Heimat suchen. 38 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Kent Nagano, ein Dirigent mit internationaler Reputation, gerade in Hamburg angekommen, mit seinen Philharmonikern anstrebt, den Hamburger Ton in Konkurrenz zu Berlin und München zu finden, also Alles, was in der Musizierpraxis und in der Thematik typisch Hamburgisch ist. Auch Regionen brauchen Konkurrenz! Mehr als eine Randbemerkung: Eine aktiv, bekannte Metropolregion Hamburg kann, trotz des Vier-Bundesländer-Charakters, im nationalen und internationalen Wettbewerb nur gewinnen. Zu dem heutigen Thema „ Wie Kultur (kritische) Kundschaft schafft“: Medienwissenschaftler, Inside-Praktiker und Vertreter verwandter Disziplinen beschäftigen sich seit Langem damit, die Unterschiede von Wirtschafts- und Kulturkommunikation herauszuarbeiten. Häufig übersehend, dass Albrecht Dürer von 1471 bis 1528 schon einer der erste Markenartikler war, mit kontrollierter Produktion, Logo Kennzeichnung, eigenständiger Vertriebs- und Preispolitik, die bis heute sichtbar in den Wohnzimmern wirken. Monogramm Albrecht Dürer 39 In unseren Tagen vollziehen sich rasante Veränderungen mit unmittelbaren Folgen für die Wirtschafts- und KulturKommunikation. Durch die kulturelle Angebotsfülle, die Vielfalt der Interessen in der Freizeitnutzung und durch die Entwicklungen der elektronischen, digitalen, teils dialogischen Medien, nähern sich Inhalte, Techniken, Methoden, sprich auch Ziele der Kommunikation immer mehr an. Dass dabei, nicht zuletzt durch den wirtschaftlichen Druck Markenentwicklungen eine hervorragende Rolle spielen, darauf werde ich im Zusammenhang von Kulturmarken als Wertekommunikatoren und Kampagnenangeboten noch eingehen. Prof. Alexander Deichsel wird das Bild in seinem Einführungsbeitrag zur Preisübergabe noch spannend, tiefer gehend ausbreiten. Es wird darin klar, dass das Wort „Kunde“, der Krämersprache entnommen, für das Kulturmanagement nicht mehr ein Reizwort ist, sondern „Kundschaft“ eine Zielvorstellung sein muss. DER BILDSCHIRM IST DIE NR. 1 Die beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen Angaben in Prozent Fernsehen 100 90 Radio hören 89 Telefonieren (von zuhause) 73 Interent Zeitungen/Zeitschriften lesen 72 Gedanken nachgehen 71 Telefonieren von unterwegs 71 68 Zeit mit dem Partner verbringen Ausschlafen 65 Über wichtige Dinge reden 64 Computer 61 Sich in Ruhe pflegen 61 54 CD/MP3 hören Sehen wir uns einmal die mögliche Kundschaft an. In einer aktuellen Studie der Stiftung Zukunftsfragen, veröffentlicht in der Fachzeitschrift „Horizont“ (Basis 2000 Personen ab 14 Jahren) zeigt sich, dass der TV-Bildschirm immer noch mit 97% die Nr. 1 der Zeitverwendung ist. Das Radio knapp dahinter mit 90%. Rechnet man die Zeitschriften und Zeitungen mit 72% im Unterhaltungs- und Informations-Pulk dazu, sind die klassischen Medien noch immer bestimmend für die Zeitnutzung. Das ist aber nur oberflächlich so, vor allem bei Rückgang der Printmedien. 40 52 Kaffee trinken/Kuchen essen 0 Basis 2000 Personen ab 14 Jahre 20 40 60 80 100 Quelle Stiftung für Zukunftfragen/ Horizont 35/2015 Von da an wird die Mediennutzung individuell: 89% telefonieren zu Hause, 71% telefonieren mit ihren Handys unterwegs. Individuell gestaltet sich auch die Freizeitnutzung in Form von Geselligkeit: 52% bevorzugen das gemeinsame Kaffeetrinken und Kuchenessen und somit, bekommt die alte Mund zu Mund Werbung neue Bedeutung. 41 Diese Bedeutung der direkten Kommunikation wird in unseren Tagen noch von der Internetnutzung mit 73% teils dialogisch mit Facts und Figures Urteilen und Vorurteilen unterfüttert. Tröstlich, dass dabei immer noch Zeit bleibt für das ganz Persönliche, jedenfalls wenn man die untersuchte Zielgruppe ab 14-Jahren ziemlich breit anlegt. Immerhin 71% gehen eigenen Gedanken nach oder schlafen zu 65% aus, reden gar zu 65% über wichtige Dinge. Kein Wunder, dass in dieser Situation die Marketing-Experten aller Branchen nach Geschichten suchen, die sie werbend erzählen können. „Storytelling“ ist wieder gefragt und Content einschließlich Events wird praktiziert. Ehe ich mich im Advertising Slang verirre, mache ich lieber darauf aufmerksam, dass Kulturmanager es in der Regel im Vergleich zu Werbetextern einfacher haben. Kultur, insbesondere ausgedrückt durch die Künste, ist immer gut für eine Geschichte, die zu erzählen ist und die von selbst zu einem Ereignis wird ohne künstliche Eventplanung oder gar freie Erfindung. Dennoch bleibt die Aufgabe der Kundengewinnung gleich. Es gilt, das Interesse der Angesprochenen zu gewinnen bzw. zu erhalten, trotz ihrer vielfältigen Interessen, postulierter Zeitnot und der deutlich sichtbar gewachsenen kulturellen Angebotsvielfalt. INTERENT LEGT DEUTLICH ZU Gewinner im Fünfjahresvergleich/Veränderung 2015 zu 2010 Angaben in Prozent 25 Internet CD/MP3 hören 15 Angaben 6 in Prozent Gartenarbeit Internet Telefonieren von unterwegs CD/MP3 hören Sich in Ruhe pflegen 25 15 4 Gartenarbeit Computer 4 6 Telefonieren von unterwegs 0 Basis 2000 Personen ab 14 Jahre Sich in Ruhe pflegen Quelle Stiftung 4 für Zukunftfragen/ Horizont 35/2015 Computer 5 6 10 15 20 25 4 0 Basis 2000 Personen ab 14 Jahre LUST AUF PRINT Angaben in Prozent 5 10 15 20 25 Quelle Stiftung für Zukunftfragen/ Horizont 35/2015 LÄSST NACH Verlierer-12im Fünfjahresvergleich Kaffee trinken/Kuchen essen -9 Shopping/Einkaufsbummel Angaben in Prozent -8 -12 Freunde/Bekannte zuhause treffen Kaffee trinken/Kuchen essen Video-/DVD-Filme sehen -7 -9-7 Shopping/Einkaufsbummel mit Kindern spielen -8-7 -15 -7 -10 Freunde/Bekannte zuhause treffen Zeitungen/Zeitschriften lesen -5 Basis 2000 Personen ab 14-7 Jahre 0 -10 Basis 2000 Personen ab 14 Jahre Video-/DVD-Filme sehen Quellemit Stiftung für Zukunftfragen/ Kindern spielen Horizont 35/2015 -7 -15 42 6 Zeitungen/Zeitschriften lesen -5 0 Quelle Stiftung für Zukunftfragen/ Horizont 35/2015 43 Dazu auch ein Blick auf die 73%, die sich mit dem Internet sowie 61%, die sich mit dem Computer beschäftigen mit zunehmender Tendenz. Schon im Fünfjahres-Vergleich dieser Untersuchung hat die Nutzung des Internets um 25% seit 2010 zugenommen. Das CD/MP3 Hören hat immerhin um 15% hinzugewonnen und das von einem hohen Niveau aus (54%). Es ist sicher nicht zu gewagt angesichts der verbreiteten und sich weiter verstärkenden Kommunikation im Alltag festzustellen, dass es für die Kulturkommunikation mehr denn je darauf ankommt, Interesse zu wecken. Erst durch die Auseinandersetzung im eigenen Kopf, verstärkt durch die Medien von Feuilleton bis Facebook, kann eine positive Wahrnehmung als Kundschaft entstehen, auch, wenn die Kundschaft informierter und dadurch kritischer wird. Das unterscheidet Kulturkommunikation von Wirtschaftskommunikation, die den Verbraucher häufig klischeehaft mit einfachen Botschaften für ein Produkt anspricht oder ein Unternehmen mit einem Produkt. In der Kulturkommunikation wirbt ein Unternehmen, eine Institution oder gar Person (siehe von Dürer über Picasso bis Jeff Koons) für möglicherweise häufig wechselnde, nicht nur in kreativen Formen, auch in inhaltlichen Aussagen wechselnder Künste. In den Ausschreibungsbedingungen für die heutigen Preise wurde dieser Herausforderung mit der Formulierung von drei Preis-Kategorien Rechnung getragen. 44 Marke, Kampagne und Junge Kommunikation Die Marke stellt das Image der Kultur-Unternehmung dar. Als Kultur-Unternehmung bezeichne ich zusammengefasst alle Aktiven, ob Solisten oder Teams, Vereine, Stiftungen oder öffentliche Institutionen, nicht zuletzt privatwirtschaftliche Unternehmen. Für die Gewinnung von Kundschaft und deren Pflege sind inhaltliche Kontinuität und eine Kontinuität im Auftritt Voraussetzung. Erneuerung ist dabei nicht ausgeschlossen, Geschmacks- oder Zeitgeiständerungen aber nur behutsam wünschenswert. Für die Kundschaft, auch die potentielle Kundschaft ist die Marke nicht nur Navigation, sie löst gut gemacht Erwartungen aus, die zu erfüllen sind. Dass da nicht Launenhaftigkeit oder Selbstdarstellung einzelner Verantwortlicher gefragt sind, versteht sich. Im Idealfall wird aus der Kultur-Marke eine Marken-Persönlichkeit als Identität. Spannend wird die Kultur-Markenkommunikation, wenn es nicht nur darum geht, die an einer bestimmten Art der Künste Interessierten, die sogenannte Kernzielgruppe zu erreichen, sondern durch das glaubhafte Zusammenspiel von Marke und Kampagne die interessierte Kundschaft zu vergrößern. Folgt man nämlich Medienanalysen, repräsentieren segmentierte Zielgruppen z.B. für Moderne Kunst oder Klassische Musik nur einen geringen Prozentsatz der erwachsenen Gesamtbevölkerung. 45 In der Kulturwelt bedeutet Kampagne werbende Kommunikation für Inhalt und Darbietung des Anliegens und Werkes. Anders als etwa in der Konsumgüter-Werbung wird in der Kultur, in den Künsten, vom ersten Erleben, vielleicht gar im ersten Augenblick spontan entschieden, ob ein neuer Kunde zur Kundschaft wird. Die Wirkung einer Mund zu Mund Kommunikation ist besonders in diesem Stadium ein nicht zu unterschätzender Faktor. Frank Schirrmacher hat kurz vor seinem jungen Tod in dem Buch „Payback“ festgestellt, dass Produktwerbung Versprechen abgibt, die jeweils nur Versprechen mit einem verdeckten Verfallsdatum (NEU) sind, während Kulturwerbung direkt auf den Wahrheitsgehalt zu prüfen ist und sich sofort bewähren muss. Aus gebildeten Meinungen und gewachsenen Einstellungen sind um manche Kulturunternehmungen, ob groß oder klein, mehr oder weniger strukturierte bzw. organisierte Beziehungs- oder Freundeskreise mit Echowirkung für die Marken entstanden. Sie können gut gepflegt zu einer Kernkundschaft für jede Kampagne werden. Auf jeden Fall tragen sie zur Identität der institutionellen Marke bei, sind vielfach auch finanziell fördernd und können in kritischen Situationen sogar existenzerhaltend wirken. Aktuelles Beispiel ist das aktive Wirken des Freundeskreises der Hamburger Kunsthalle in der großen Umbauphase. Bei aller Liebe auch zur kleinen Form, das ständig wachsende kulturelle Angebot im erweiterten Sinne und die werbende Kommunikation dafür sind für Jeden eine professionelle 46 Herausforderung im Wettbewerb. Wer hätte zur Gründung des Schleswig-Holstein-Festivals schon daran gedacht, dass Deutschland zu einem Festival-Land werden würde, bis in die kleinste lokale oder Themennische. Wer hätte schon bei der Aufführung des ersten Musicals am Spielbudenplatz („Anatevka“) geglaubt, dass Hamburg eine Europäische Musical Hauptstadt werden würde, die auch die klassischen Theater mit erfasst. Mangels statistischer Unterlagen muss ich mir ersparen, auch noch auf die vielen ehrenamtlichen Neugründungen, Stadtteil-Initiativen, lokalen Vereine und Stiftungen einzugehen, von denen eine sogar heute für die international nominierte Hip Hop-Akademie steht. Reizvoll wäre es, festzustellen, wie viele der kulturellen Aktionsbesucher sich zu Kulturkundschaft entwickelt haben und in welche Richtung bzw. Einrichtung. Und, ob und wie der Kultur-Konsum in Intensität gewachsen ist. Dies ist nicht der Ort, die Zeit und das Publikum für eine Kultur-Werbe-Schule. Mir liegt aber daran, immer mehr bewusst zu machen, dass Kultur im Wettbewerb lebt und dass dieser Wettbewerb großen Einfluss auf das Leben in unserer Gesellschaft hat und das, obwohl die Rezeption von Kultur ein höchst individuelles Erleben ist. Ohne dass wir dies ständig registrieren, spielt sich der Werbe-Wettbewerb zwischen Konsumgüterund Kulturangeboten in unserem Umfeld auf den gleichen Spielplätzen ab – auf City-Lights, Radiospots, Print-Anzeigen usw. 47 Umso mehr kommt es darauf an, den ideellen Wert der KulturMarke im Zusammenklang mit dem Unterhaltungs- und Bildungsversprechen der Kampagne zu kommunizieren. Mit dem Ziel aus Individuen Marken-Kundschaft zu machen. Unter dem von der Betriebswirtschaft übernommenen Begriff „Controlling“ wird neuerdings immer mehr nach Erfolgskriterien für kulturelle Aktivitäten gesucht. Die schwarze Null ist bei öffentlich finanzierter Kultur schon ein Erfolg, private Unternehmen wollen mehr, auch für ihre Zukunft. Experten erheben dazu häufig Teilnehmer- Besucher- und ähnliche Zahlen. Qualifizierte Besucherbefragungen sind nach meiner Kenntnis meist nur angefragt, wenn Hauptsponsoren den Erfolg ihres Einsatzes beurteilen wollen. Dass dabei eine eigene Vorstellung von Wirkung auf Unternehmens-Kundschaft im Vordergrund steht, versteht sich. Da die meisten kulturengagierten Sponsoren die Verantwortung und Eigenständigkeit der Kulturschaffenden respektieren, könnten aus unterschiedlichen Blickwinkeln dennoch durchaus gemeinsame Ergebnisse entstehen. Vielleicht könnte sogar aus mehr Wissen um Wirkung mehr Sponsoring mit neuer Kundschaft wachsen und es können sogar Kenntnisse gewonnen werden über die Auswirkungen in der Regional-Identität. Von der RWE-Stiftung weiß ich, dass die Auswirkungen des kulturellen Engagements auf die KulturRegion mit erheblichem Aufwand untersucht wurden. So einfach wie beim Sport-Sponsoring mit Trikots, gefüllten Stadien und gezählten Toren ist der Wirkungsnachweis beim Kultur-Sponsoring nicht. Nachdem sich die TV-Branche, ob öffentlich-rechtlich oder privat, des Sponsoring in Ankündigungen und Abbindungen bedient, hilft vielleicht die Anregung weiter, die Wirkung kultureller Programme und ihre Kundschaften nicht nur zu intensivieren, sondern interpretierend zu veröffentlichen. Wie Sie sehen, befindet sich die Kulturkommunikation, die Kommunikation für Kultur erst am Anfang. Prof. Deichsel wird sich nach der Pause der Entwicklung von Kundschaft systematisch annehmen. Ich wollte dazu Brücken bauen. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, noch einen Blick auf die Wirtschaft zu werfen und von der Kundschaft auf die Mannschaft. Jim Stengel, Ex-Marketingmann von Procter&Gamble hat das Wort geprägt „Die Marke ist nichts anderes als das Verhalten der Menschen, die für sie arbeiten“ (W+V 36 31.08.15). Mein Wunsch ist, dass Sie morgen angeregt und entspannt wieder an die Arbeit gehen, wenn es Ihr Job ist, in der Kulturkommunikation für die Wirkung einer Kulturmarke zu arbeiten. Alle anderen mögen Nutzen haben von dieser Markengesellschaft und zu dem Ergebnis kommen, dass Nichts ohne Kommunikation geht, Kultur schon gar nicht. RUDOLF STILCKEN ist Initiator und Stifter des Preises, sowie Senator h.c. der Hochschule für Musik und Theater Hamburg 48 49 PROF. DR. ANDREAS HOFFMANN WIE KUNST ZU ERLEBTER KULTUR WIRD NEUE INITIATIVEN UND CHANCEN FÜR DIE KULTUR- KOMMUNIKATION IN DEN HAMBURGER KUNSTMUSEEN UND AUSSTELLUNGSHÄUSERN 1 Kommunikation ist notwendiger denn je Rudolf Stilckens Feststellung „Kultur kann nur erfolgreich sein, wenn sie in ihrer Kommunikation erfolgreich ist“ gilt mehr denn je. Auch wenn sich das Publikum der Kunst- und Kulturinstitutionen verändert hat und sich insbesondere die Hochkulturinstitutionen damit konfrontiert sehen, dass das Stammpublikum schwindet 2, verzeichnet die Museumlandschaft in Deutschland steigende Besucherzahlen 3. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Blockbusterausstellungen wie „Das MoMA in Berlin“ von aufwändigen Kommunikationskampagnen begleitet. Sie zeigen, wie wichtig eine Kommunikation für den Erfolg eines Kulturangebotes ist. Neben der Angebotsqualität entscheidet sie ganz wesentlich darüber, wie gut es gelingt, ein breites Publikum mit veränderten Voraussetzungen und Erwartungen zu erreichen. Der folgende Beitrag wirft, exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einen Blick auf die neuen Wege, die die großen Hamburger Kunstmuseen und Ausstellungshäuser beschreiten, um Kunst in einer globalisierten und digitalisierten Gesellschaft zu erlebter Kultur zu machen. Dem vorgegeben begrenztem Rahmen dieses Beitrages entspricht, dass manches Hamburger Beispiel für gelungene Kunstkommunikation in diesem 50 1 Für Kritik, Hinweise und Anregungen danke ich Reinhard Flender und Annette Haug, für Unterstützung und Hilfestellung Max Münz. 2 Lediglich zehn Prozent der deutschen Bevölkerung nutzen regelmäßig öffentlich geförderte Kulturangebote, nur ein Bruchteil der Bevölkerung äußert dafür ein persönliches Interesse: Birgit Mandel, PR für Kunst und Kultur. Handbuch für Theorie und Praxis, 2. Auflage, Biele-feld 2009, besonders S. 7, S. 22ff.., vgl. Birgit Mandel, „Audience Development als Aufgabe von Kulturmanagementforschung“, in: Jahrbuch Kulturmanagement 2012 (1), S. 15-27; Karl-Heinz Reuband, „Die Institution Oper in der Krise? Generationsbedingte Änderungen des Opernbesuches im Langzeitvergleich, in: Newsletter kulturmanagement.net 2009/38 (Dezember). exemplarisch angelegten Beitrag unberücksichtigt bleiben muss. Er konzentriert sich auf die die großen an, der Kunstmeile aufgereihten Hamburger Kunstinstitutionen: die Deichtorhallen, den Kunstverein, das Museum für Kunst und Gewerbe und die Hamburger Kunsthalle sowie das private Bucerius Kunst Forum und stellt damit Norddeutschlands erfolgreichstem Verbund an Kunstmuseen und Ausstellungshäusern in das Zentrum, dessen Angebot 2015 eine Million Besucher angezogen hat 4. Neue Räume für Kunst. Hamburgs Kunstmuseen und Ausstellungshäuser erfinden sich neu. Ebenso wie Rudolf Stilckens Feststellung „Kultur kann nur erfolgreich sein, wenn sie in ihrer Kommunikation erfolgreich ist“, gilt auch ihr Umkehrschluss. „Kulturkommunikation kann nur erfolgreich sein, wenn die Qualität der Kultur stimmt und die Rahmenbedingungen, unter denen sie präsentiert wird, attraktiv sind.“ Erfolgreiche Kulturkommunikation beginnt auch in den Hamburger Kunstmuseen und Ausstellungshäusern beim Produkt und seiner adäquaten Präsentation und Inszenierung. 3 Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Institut für Museumsforschung (Hrsg.), Materialien aus dem Institut für Museumsforschung, Heft 69, Statistische Gesamter-hebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2014, Berlin 2015, S. 3; S. 7; S. 9: 2014 wurden in den Museen 111.984.066 Besuche gezählt. Im Vergleich zu 2013 ist damit die Besuchszahl um 1.559.064 (+1,4 %) höher als im Vorjahr (2013: 110.425.002 Besu-che). Hinzu kommen 5.885.635 Besuche in Ausstellungshäusern (gegenüber 5.309.434 Besuchen im Jahr 2013) 4 Maike Schiller, „Zusammenschluss. Eine Million Besucher in den Häusern der Kunstmeile“, in: Hamburger Abendblatt, 06.01.2016: http://www. abendblatt.de/kultur-live/ article206889721/EineMillion-Besucher-in-denHaeusern-der-Kunstmeile. html (Stand: 09.01.2016). Hamburgs Kunstmuseen und Ausstellungshäuser sind derzeit im Aufbruch und erfinden sich neu. Fast zeitgleich realisieren die Deichtorhallen, die Hamburger Kunsthalle, das Museum für Kunst und Gewerbe und das Bucerius Kunst Forum in den Jahren bis 2018 umfangreiche Um- und Neubaumaßnahmen. Das Museum für Kunst und Gewerbe unterziehen zugleich auch die 51 Präsentation ihrer Sammlungsbestände einem Relaunch. Die Zeiten, als Hamburg bundesweit durch die temporäre Schließung der Galerie der Gegenwart auf sich aufmerksam machte, in denen die Kunsthalle ihre Gäste in einem Foyer empfing, das den Charme eines heruntergekommenen Kleinstadtbahnhofes versprühte, in der im Museum für Kunst und Gewerbe eine Schwammsanierung dazu führte, dass weite Teile des Hauses für das Publikum gesperrt werden musste und in den Deichtorhallen sogar Eimer aufgestellt werden mussten, um das durchs löchrige Dach dringende Regenwasser aufzufangen, gehören der Vergangenheit an. Diese räumliche Neuerfindung der städtischen musealen Kunstlandschaft in der Freien und Hansestadt Hamburg sucht bundesweit Parallelen. Ihre Bedeutung für die städtische Kulturlandschaft in der Freien und Hansestadt Hamburg ist bislang nur ansatzweise diskutiert und gewürdigt worden 5. Dabei ist schon das finanzielle Engagement zur räumlichen Neuerfindung der Hamburger Kunstinstitutionen beachtlich. Die Stadt als Eigentümerin der Immobilien der Museumsstiftungen hat im Lauf von weniger als einem Jahrzehnt mehr als 60 Millionen Euro in die Sanierung gesteckt, andererseits springen Mäzene ein, um die Attraktivität der Häuser zu erhöhen. Mit einem sich bis zur Eröffnung der ersten Ausstellung im Bucerius Kunst Forums im Jahr 2018 sich hinziehenden Eröffnungsreigen der renovierten Museen und Ausstellungshäuser 52 schaffen die gegenwärtigen Umbaumaßnahmen damit eine ganz Reihe großartiger Anlässe für Kulturkommunikation. 5 Matthias Gretzschel, „Hamburgs Museen im Aufwind“, in: Hamburger Abendblatt, 05.03.2015: http://www.abendblatt.de/ meinung/article205192841/ Hamburgs-Museen-imAufwind.html (Stand 09.01.2016). Zusätzlich verstärkt wird die Wirkung dieser bundesweit einzigartigen Neuerfindung der Hamburger Kunstmuseen durch die Bewilligung eines dreistelligen Millionenbetrages durch den Haushaltsausschuss des Bundestages, mit dem auch die Historischen Museen Hamburgs in die Lage versetzt werden, sich vollkommen neu zu präsentieren. Mit diesen Mitteln kann nicht nur das Hamburg Museum am Holstenwall bis 2019 komplett modernisiert werden, sondern zugleich auch das bisher nicht finanzierbare Deutsche Hafenmuseum Wirklichkeit werden. Die Bundesmittel machen es außerdem möglich, die Viermastbark „Peking“, die zurzeit noch in desolatem Zustand in New York liegt, nach Hamburg zu holen und als Wahrzeichen des künftigen Hafenmuseums zu restaurieren 6. 6 Der Betrag von 138 Millionen Euro schlüsselt sich wie folgt auf: Für die Modernisierung des Hamburg Museums stellt der Bund 18 Millionen Euro zur Verfügung, die von der Hamburger Kulturbehörde in etwa gleicher Höhe aufgestockt werden. Nur für dieses Projekt ist eine Ko-Finanzierung durch die Stadt erforderlich, denn die Investition für das Hafenmuseum kommt komplett vom Bund. Vgl. dazu: Matthias Gretzschel, „Hafenmuseum. Ein neuer Leuchtturm für die Hamburger Museumswelt“, in: Hamburger Abendblatt, 13.11.2015: http://www.abendblatt.de/ hamburg/article206570237/ Ein-neuer-Leuchtturmfuer-die-HamburgerMuseumswelt.html (Stand 09.01.2016). Ein neuer Blick auf die Sammlungen Im Museum für Kunst und Gewerbe ist die Neueinrichtung der ständigen Sammlungsbereiche fast vollständig abgeschlossen. Sie verfolgt das Ziel einer zeitgemäßen, an den Fragen der Gesellschaft der Gegenwart orientierten, ästhetisch in der Gegenwart angekommene Neupräsentation der Sammlungsbestände. 53 1. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Blick in die neue Jugendstilabteilung des Museums. Eine neue Halle für die aktuelle und zeitgenössische Kunst Ebenfalls bereits abgeschlossen ist die Sanierung der nördlichen Deichtorhalle, die mit mehr als 17 Millionen Euro aus dem städtischen Sanierungsfonds beispielhaft erneuert worden ist (Abb. 3). Die reizvolle Architektur aus der frühen Moderne öffnete am 1. April 2015 mit einer Ausstellung zu Picassos Einfluss auf die Kunst der Gegenwart ihre Türen. Die Erneuerung versetzt das Haus in die Lage, auf Augenhöhe mit den großen internationalen Ausstellungshäusern von Paris bis New York zu agieren. 2. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Plakat der Ausstellung „Jugendstil. Die große Utopie Mit der Neueinrichtung der weltweit bedeutenden ständigen Jugendstilsammlung (Abb. 1) und dem begleitenden Ausstellungsprojekt „Jugendstil. Die große Utopie“ (Abb. 2) ermöglichte das Museum für Kunst und Gewerbe vom 17. Oktober 2015 bis zum 28. Februar 2016 einen neuen Zugang zu dieser Epoche 7. Mit der Historischen Turnhalle wird zudem an zentraler Stelle ein prominenter Ort entstehen, der die Besucher empfängt und in Form wechselnder Ausstellungen und Vermittlungsangebote auf die Sammlungen und Ausstellungen des Museums vorbereitet. Die Finanzierung erfolgt durch eine großzügige Spende von Dr. Michael und Christl Otto in Höhe von 500.000 Euro. Der Bund beteiligt sich mit 300.000 Euro aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm V und die Stiftung Denkmalpflege Hamburg mit 200.000 Euro an dem Projekt 8. 54 7 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, http:// www.mkg-hamburg.de/de/ ausstellungen/vorschau/jugendstil/die-grosse-utopie. html, (Stand 09.01.2016). 8 Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, http:// www.mkg-hamburg.de/ filead-min/user_upload/ MKG/Presse/2015_Turnhalle/MKG_Projekt_HistorischeTurnhalle_ 25Maerz2015.pdf, (Stand 09.01.2016). 3. Dr. Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen Hamburg und Bert Antonius Kaufmann, kaufmännischer Direktor der Deichtorhallen Hamburg in der sanierten Halle für aktuelle Kunst der Deichtorhallen Hamburg 55 4. Hamburger Kunsthalle. Architektur-Modell zum Modernisierungsprojekt der Hamburger Kunsthalle im Maßstab 1:66 Mehr Besucherorientierung und Raum für Vermittlung Die Kunsthalle wird bis zum Mai 2016 dank einer 15-MillionenSachspende der vom Hamburger Unternehmer und Mäzen Alexander Otto und seiner Frau gegründeten Dorit- und Alexander Otto-Stiftung modernisiert. Das Modernisierungsprojekt ist getragen von der Leitidee der Wiederbelebung des historischen, zentralen Haupteingangs im Gründungsbau. Mit seiner Wiedereröffnung werden alle Gebäudeteile zu einem einzigen Museumskomplex zusammengeführt. Das repräsentative Foyer und Treppenhaus des Gründungsbaus wird modern und serviceorientiert umgestaltet. Die Räume für die Alten Meister und das 19. Jahrhundert werden modernisiert, die ständige Sammlung erhält ein besucherfreundliches Leitsystem. Frei werdende Flächen in den bisherigen Eingangsbereichen werden zukünftig für die Präsentation von Kunst genutzt. Der gestiegenen Nachfrage nach Bildungs- und Vermittlungsprogrammen wird die Kunsthalle mit renovierten und besser gegliederten Räumen und der Schaffung eines zentralen Saales für Veranstaltungen gerecht. Am Ort des alten Café Liebermann wird ein neues Museumscafé eingerichtet 9. Doch es geht bei den Modernisierungsmaßnahmen auch um den nachhaltigen und langfristigen Schutz der Bestände. So wurde die von der Stadt mit rund vier Millionen Euro finanzierte Sanierung des zentralen Gemälde- und Skulpturendepots in der Hamburger Kunsthalle in diesem Jahr bereits abgeschlossen, so dass die Kunstwerke künftig nach höchsten internationalen Standards gelagert werden können (Abb. 4) 10. 56 5. Bucerius Kunst Forum. Visualisierung des Foyers mit Kassenbereiches des neuen Ausstellungshauses Ein neues Forum für alle Künste Auch das von der ZEIT-Stiftung getragene Bucerius Kunst Forum gab im Februar 2015 bekannt, dass es 2018 ein neues, größeres und attraktiveres Domizil am Alten Wall beziehen wird – nur wenige Meter vom alten Standort entfernt. Durch den großen, über die Jahre stark gestiegenen Publikumszuspruch mit inzwischen etwa 200.000 Besuchern im Jahr und drei bis vier Veranstaltungen pro Woche sind die räumlichen Kapazitäten an eine Grenze gekommen. Am Alten Wall wird das erfolgreiche Konzept konzentrierter Themenausstellungen künftig auf einer Etage fortgeführt. Für das stark nachgefragte Veranstaltungsprogramm entsteht eine eigene Etage mit Auditorium und Lichthof, der doppelt so groß ist wie dieser Bereich im alten Ausstellungshaus. Die Servicebereiche werden großzügiger und für die Publikumsbedürfnisse angemessener gestaltet. (Abb. 5) 9 Der Betrag von 138 Hamburger Kunsthalle, http://hamburgerkunsthalle.de/index.php/ Modernisierungsprojekt. html (Stand 09.01.2016) 10 o.V, „Modernisiert. Depot der Hamburger Kunsthalle fertiggestellt“, Blachreport Museum 2, 2015, S. 8. 57 Das neue Bucerius Kunst Forums wird eine Tiefgarage erhalten, über die man direkt in die neue Bucerius Passage gelangt, die den Alten Wall mit dem Neuen Wall über eine neue Fleetbrücke verbindet. Der Umzug des Bucerius Kunst Forums gibt der ZEIT-Stiftung Gelegenheit, neue Entwicklungen in der Lichtund Klimatechnik zu berücksichtigen. Das sichert dem Ausstellungshaus auch zukünftig Leihgaben aus Museen wie dem Louvre, dem Prado und der National Gallery. Der Umzug in die neuen Räume wird ohne Unterbrechung des Ausstellungsbetriebes erfolgen 11. Eine zeitgemäße Ästhetik, mehr Besucherorientierung und nachhaltiger Schutz für die Sammlungsbestände als Ziel Die gegenwärtig realisierten Umbaumaßnahmen, Sanierungsmaßnahmen und Neupräsentationen in den Hamburger Kunstinstitutionen dienen der Verbesserung der Besucherorientierung und Wegeleitung und damit der Umwandlung in noch besucher- und dienstleistungsorientierte Kunstinstitutionen. Mit adäquaten klima-, sicherheits- und lichttechnischen Bedingungen schaffen sie aber auch die Voraussetzungen dafür, auch künftig am internationalen Leihverkehr zu partizipieren und schaffen damit, wie die Picasso-Ausstellung zur Eröffnung der neuen Deichtorhal-len, den Rahmen für attraktive, beim Publikum begehrte Sonderausstellungen mit möglichst hochkarätigen Leihgaben. Sie dienen aber auch der Schaffung einer neuen, zeitgemäßen Ästhetik in der Präsentation von Sammlungsbeständen und ermöglichen, wie die zahlreichen, schon in den vergangenen 58 Jahren neu eingerichteten Sammlungen im Museum für Kunst und Gewerbe, einen neuen, ästhetisch ansprechenden und zeitgemäßen Blick auf die Sammlungsbestände. Sanierungsmaßnahmen sind nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance für die Kulturkommunikation 11 Bucerius Kunst Forum, http://www.buceriuskunstforum.de/ueber-uns/ neue-raeume-am-rathaus/ (Stand 09.01.2016) Zeiten der Umbaus und der Sanierung stellen große Herausforderungen an Museen und Ausstellungshäuser. Es gilt, trotz der mit den Umbaumaßnahmen fast immer verbundenen Einschränkungen, nicht zuletzt, was die Präsentationsmöglichkeiten der Sammlungsbestände, die Zugänglichkeit und Wegeleitung des Publikums angeht, präsent zu sein und den Besucher schon vor der Eröffnung der neuen Räume für das neue Angebot zu begeistern. Noch ohne Konzerthaus an der Kehrwiederspitze und lange vor seiner immer wieder verschobenen Eröffnung hat die Hamburg Musik gemeinnützige GmbH in den vergangenen Jahren mit den Elbphilharmonie-Konzerten eine Konzertreihe erfolgreich beim Hamburger Musikpublikum etabliert, die mit ihrem Markennamen, aber auch mit ihrem Umfang, Anspruch und ihrem Profil auf die Fertigstellung des neuen Konzerthauses vorausweist und die Vorfreude des Publikums steigert. Die Elbphilharmonie Konzerte machen deutlich, welche zentrale Rolle die Kulturkommunikation bereits in der Phase lange vor der Eröffnung einer Institution spielen kann und wie sich schon in dieser Phase die Weichen für die Zeit nach der (Neu)-eröffnung der Institution stellen lassen. 59 6. Hamburger Kunsthalle. Kampagne „Weiter offen“ Auch in der Hamburger Kunsthalle, die nach Abschluss der im Sommer 2014 begonnenen Sanierung ihre neuen Räume am 30. April/1. Mai 2016 mit einem Bürgerfest mit umfangreichem Programm eröffnen wird, wird die Zeit des Umbaus als Herausforderung und Chance für die Kulturkommunikation begriffen. Die eigens entwickelte Kampagne mit dem Claim „Weiter Offen“ (Abb. 6) macht deutlich, dass das Museum trotz der Umbaumaßnahmen und mancher Umwege für das Publikum weiterhin geöffnet ist. Wesentliche Elemente des neuen temporären Erscheinungsbildes sind die Signalfarbe gelb, in der der Bauzaun vor der Kunsthalle leuchtet, die eigens entwickelten Dot-Schrift und der Pfeil, der Prozess und Fortschritt visualisiert. Verschiedene, mit bedeutenden Werken der Sammlung verknüpfte Botschaften wie „Weiter diskutieren“, „Weiter sammeln“, „Weiter riskieren“, „Weiter verführen“ oder „Weiter blicken“ stehen dabei Pate. Diese aus dem „Weiter offen“ abgeleiteten Claims machen deutlich, dass sich die Kunsthalle ihren Besuchern, Freunden und Mitarbeitern zukünftig sich noch stärker für neue Ideen öffnen möchte. 60 Im Rahmen der Modernisierungsphase präsentiert die Hamburger Kunsthalle zudem ausgewählte Meisterwerke aus ihrer Sammlung in der konzentrierten Ausstellung „Spot on“. Das visuelle Konzept der Ausstellung korrespondiert mit dem Interims-Corporate Design der Kampagne und rückt die Meisterwerke der Hamburger Kunsthalle ins Scheinwerferlicht. Ein eigener Blog und Aktionen wie #EmptyHamburgerKunsthalle mit 30 geladenen Instagrammern ergänzen das Kommunikationskonzept. 12 Die Kampagne zeigt, dass Sanierungsmaßnahmen nicht nur mit vielen Einschränkungen verbunden sind, sondern sich als Herausforderung und Chance für die Kulturkommunikation nutzen lassen. Kampagnen wie „Weiter offen“ sind immer auch ein Stückweit Versprechen und weisen auf die Vision einer großen Zukunft voraus. Die Kampagne ist Preisträger des Hamburger Preises für Kulturkommunikation Rudolf Stilcken in der Kategorie „Kampagne“ 2015. Im Rahmen des Wettbewerbs „Gute Gestaltung“ vom Deutschen Designer Club (DDC) ist die Kampagne im Dezember 2014 zudem mit Silber prämiert worden. Die Leistungsschau des DDC gehört zu den renommiertesten Designwettbewerben Deutschlands. 12 http://www.weiter-offen. de/ (Stand 01.10.2015); http://www.olegehling.de/ hamburger-kunsthalleweiter-offen/ (Stand 01.10.2015) 61 8. Plakatkampagne Große Freiheit für große Kunst. Neu im Programm. Aktuelle gesellschaftspolitische Fragen und Themen Blickt man auf das vergangene Ausstellungsjahr 2015, so wundert es kaum, dass in den Kunstmuseen und Ausstellungshäusern Projekte wie „Verzauberte Zeit“ in der Hamburger Kunsthalle, „Miró. Malerei als Poesie“ im Bucerius Kunst Forum und „Nolde in Hamburg“ ebenfalls in der Kunsthalle zu den besonders erfolgreichen gehören. 13 Neben diesen monographischen und großen Themenausstellungen des klassischen Repertoires aber etablieren sich auch beim Hamburger Publikum neue Themen und Themenbereiche. Kunst ist für viele Besucher nicht mehr nur ein Fluchtpunkt in eine schöne Welt, sondern wird immer mehr als Spiegel aktueller Themen und Probleme begriffen. Kunst wird kritischer und politischer. Diese veränderte Erwartungshaltung des Publikums bestimmte nicht nur die internationalen Kunstevents wie die aktuelle Biennale in Venedig 14, sondern auch die Programmgestaltung in den Hamburger Museen. Gerade mit den Ausstellungen im Museum für Kunst und Gewerbe dringen aktuelle Themen in die Programmgestaltung der Hamburger Museumslandschaft ein und verwandelt das Museum in eine Brücke zur Gegenwart 15. Die mit insgesamt 83.000 Besuchern ausgesprochen gut besuchte Ausstellung Tattoo (13. Februar bis 6. September 2015) bot einen Einblick 62 13 Verzauberte Zeit. Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bücher, 20.2. bis 16,8,2015, Hamburger Kunsthalle (136.000 Besucher), Miró. Malerei als Poesie, 31.1. bis 25.5.2015, Bucerius Kunst Forum (97.000 Besucher), Nolde in Hamburg, 18.9.2015 bis 10. Februar 2016 (87.000 Besucher bis 31.12.2015). Vgl. zu den erfolgreichsten Ausstellungen in Hamburg 2015 Wiebke Tomescheit, „Großes Kunstjahr für Hamburg Punks, Picasso und Pariser Schick“ in Hamburger Morgenpost 06.01.2016. Siehe http://www.mopo. de/hamburg/ausgehen/ events/grosses-kunstjahrfuer-hamburg-punks--picasso-und-pariser-schick23255896-seite2 14 Sabine Spindler, „Biennale Venedig. Den Zustand der Welt reflektieren“, in: Handelsblatt 23.05.2015. Siehe http://www. handelsblatt.com/panorama/kunst-kulturmarkt/ biennale-venedig-den-zustand-der-welt-reflektieren/11553570 (Stand 01.10.2015): „Der neue Trend zur Politisierung der Kunst bestimmt Venedigs große Kunstschau.“ 7. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Plakat der Ausstellung „Tatoo“. in die vielfältige Tattoo-Kultur (Abb. 7). Sie zeigte, dass Tattoos als Kunstwerk, Stigma oder Identitätsmerkmal allgegenwärtig in unserer Gesellschaft und weit mehr als ein Massenphänomen oder modisches Accessoire sind. Aber auch die Ausstellungen „Fast Fashion. Die Schattenseiten der Mode“, die mit insgesamt 71.000 Besuchern ebenfalls zu den bestbesuchten Hamburger Ausstellungen im Jahr 2015 gehörte, die einen kritischen Blick hinter die Kulissen der glamourösen Modewelt warf, und „Fette Beute. Reichtum zeigen“ (17. Oktober 2014 bis 8. Februar 2015), eine Schau, die sich der Darstellung von Reichtum und der Selbstdarstellung von Reichen in der Photographie und den Massenmedien widmete, nehmen direkt Bezug auf aktuelle Themen und Probleme in unserer Gesellschaft. „Der diesjährige Leiter der tra-ditionsreichen Kunstschau, der 52jährige Nigerianer Okwui Enwezor, beschrieb sein Konzept als eine Neubewertung zwischen Künstlern und den brennenden Problemen unserer Zeit. Dazu zählt er die globalen geopolitischen Konflikte ebenso wie Umweltzerstörung und sozi-ökonomische Entwicklungen.“ Kritisch dazu: Sebastian Frenzel, „Hört die Signale, Venedig Biennale, Hauptausstellung“, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben, Juni 2015, S. 64-67; S. 64: „Muss man wirklich auf die Venedig-Biennale fahren, um sich den „drängenden Fragen unserer Gegenwart“ zu stellen oder reicht dafür ein Blick in die Tageszeitung?“ „Ok-wui Enwezor, künstlerischer Leiter dieser Biennale, hatte eine explizit politische Schau ange-kündigt, und er bemüht dafür keinen geringeren als Karl Marx.“ 15 o.V., „Für mich der schönste Ort der Welt., in: Public Marketing, Juli/August 2013, S. 45-48 mit Blick auf ähnlich aktuelle Themen im Ausstellungsprogramm des Museums für Kunst und Gewerbe in den vergangenen Jahren wie „Klimakapseln (2010) und „Endstation Meer? Das Plastikmüllprojekt“ (2012/13). 63 Auch Triennale-Ausstellungen unter dem Triennale-Motto „The Day will come“ wie „When there is hope“ in der Hamburger Kunsthalle zur Frage von Identität und Emigration, von Flüchtlingspolitik und Migration als Thema in der Photographie, wie „When we share more than ever“ über die digitale Fotografie und das Teilen von Bildern im Museum für Kunst und Gewerbe, „When man falls“ mit Bildserien von Philipp Toledano in den Deichtorhallen, die sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen wie „Zukunft“ und „Individualität“ auseinandersetzen, oder aber „When Water Matters“ im Bucerius Kunst Forum als erfolgreichste Ausstellung der Triennale mit insgesamt 49.000 Besuchern und künstlerischen Positionen, die die Zukunft der Meere oder die Rolle des Meeres als Grenze – etwa zwischen den USA und Mexiko thematisieren, dokumentieren eine explizite, vielleicht neue Erwartungshaltung an die Institution Museum: Es soll die aktuellen Themen und die Probleme, die uns umgeben, spiegeln und zum Think Tank werden, der uns künstlerische Positionen und Lösungsvorschläge für aktuelle Probleme vorund für die Diskussion zur Verfügung stellt. 8. Triennale der Photographie Hamburg 2015. Plakat der Ausstellung „The Day will come“ in den Deichtorhallen Hamburg. Auch viele Ausstellungen der Triennale der Photographie im Sommer 2015 setzten sich mit aktuellen politischen und gesellschaftskritischen Themen auseinander. Unter dem Motto „The Day will come“ (Abb. 8) dokumentierte das Hamburger Photofestival in seiner 6. Ausgabe nicht nur die gesamte Bandbreite der foto-grafischer Techniken und Stile, sondern regte Kuratoren, Künstler, Wissenschaftler und Besucher dazu an, über die Zukunft der Fotografie nachzudenken: Wie beeinflusst die digitale Bildwelt unsere Gesellschaft? Warum knipsen wir täglich Milliarden von Fotos? Hat die Handykamera unsere Wahrnehmung verändert? Welche Rolle spielt der Fotograf heute noch? Was kommt nach der digitalen Revolution? Neben einer Vielzahl von Foto-Ausstellungen namhafter Fotografen kreisten zahlreiche Veranstaltungen und Diskussionen um diese Frage und versuchten Antworten zu finden. 16 64 16 Triennale der Photographie, http://www. phototriennale.de/, (Stand 09.01.2012); hamburg.de GmbH & Co. KG, http:// www.hamburg.de/ausstellung-hamburg/4386962/ triennale-der-photographie/ (Stand 06.01.2016) 65 Kooperationen machen Hamburgs Museumslandschaft erlebbar Kooperationen spielen auch in der Hamburger Museumslandschaft eine immer größere Rolle, ob das überregionale Marketing und die Doppelausstellungen auf der Kunstmeile Hamburg 17 oder die inhaltliche Zusammenarbeit bei der Triennale der Photographie. Kooperationen tragen dazu bei, dass die Aktivitäten der Hamburger Museen und Ausstellungshäuser zu bündeln und die Marketingaktivitäten der Einzelinstitutionen zu stärken. Kooperationen spielen für die nationale und internationale Wahrnehmbarkeit des Kunststandortes Hamburg eine wichtige Rolle. 2015 bereits zum sechsten Mal dokumentierte die Triennale den Stellenwert der Photographie in den Sammlungen und Ausstellungsprogrammen in der Freien und Hansestadt. Nicht zufällig ging die Initiative vom Photographen und Sammler F.C. Gundlach aus, der das älteste und größte Kooperationsprojekt in der Hamburger Museumslandschaft aus der Taufe gehoben hat. 2015 präsentierte sich das Festival noch vielfältiger als in den Jahren zuvor. Die besondere Strahlkraft der sechsten Ausgabe verdankte sich auch den Ausstellungen der 2010 als Kooperation zwischen den fünf großen Museen und Ausstellungshäusern der bildenden Kunst ins Leben gerufenen Kunstmeile Hamburg. Alle fünf Kunstmeilen-Institutionen widmeten im Sommer 2015 große Ausstellungen der Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Photographie. Aber auch die Stiftung Historische Museen, die die Schau „Hamburg in der Fotografie“ mit den drei Einzelausstellungen „Stille Bauern und kernige 66 17 Dazu ausführlich: A. Hoffmann/ C. Oetzel, „Die Kunstmeile Hamburg. Eine Kooperation der Künste mit Modellcharakter“, in: F. Loock/O. Scheytt (Hg.), Kulturmanagement & Kulturpolitik (2013) J 1.15; Andreas Hoffmann,“ Die Kunstmeile Hamburg. Bundesweites Marketing für die Freie und Hansestadt als Kunststandort.“, in: Reinhard Flender (Hg.): Offene Räume für Kunst & Kultur. Innovatives Kulturmanagement aus Hamburg, Münster 2013, S. 41-73. Fischer“ im Altonaer Museum (19.06.-232.11.2015), „StadtBildWandel“ im Hamburg Museum (19.06.-18.10.2015) und „Fofftein“ im Museum der Arbeit (19.06.-27.09.2015) beisteuerte – insgesamt knapp 60 Ausstellungshäuser, Galerien und weitere Veranstaltungsorte beteiligten sich an einem der wichtigsten Photofestivals Deutschlands. Erstmals koordinierte mit Krzysztof Candrowicz, dem ehemaligen künstlerischen Leiter des Photofestivals Łódź, ein international anerkannter Kurator als künstlerischer Leiter die Ausstellungen der Triennale 2015, der auch die Triennale-Special-Show „Snapshot“ (19.06.28.06.2015) kuratiert hat. Die zahlreichen von ihm initiierten Projekte verorteten Hamburg in neuer Weise in der internationalen Szene der Photographie. Große Freiheit für große Kunst. Die Kommunikation der Kunstinstitutionen bekommt Verstärkung Eine gelungene Kulturkommunikation nutzt keineswegs nur den einzelnen Institutionen. Eine vitale Kunst- und Kulturszene ist eine essentielle Lebensader für Metropolen wie Hamburg. Ebenso wie Theater, Konzert- und Literaturhäuser tragen auch die Museen und Ausstellungshäuser gerade in den Metropolen, in denen sich die Lebensräume so vieler Menschen verdichten, wesentlich dazu bei als Brennpunkte der zentralen Fragen unserer Gesellschaft die Botschaft zu übermitteln, dass unsere Städte lebenswert sind 18. Sie sind eine der wichtigsten Lebensadern urbaner Räume und eine wichtige Inspirationsquelle für alte und neue Einwohner, aber auch für ihre Besucher. 18 Zur Bedeutung einer vitalen Kunst- und Kulturszene als Lebensader von städtischer Kultur grundsätzlich: Martin Roth, „Kunst und Kultur als Inspiration für urbane Räume“, in: Deutsche Bank AG/Deutschland – Land der Ideen (Hg,), Stadtansichten. Thesen und Positionen für die Stadt von morgen. https:// www.land-der-ideen.de/ publikationen/stadtansichten-thesen-und-positionen-f-r-stadt-von-morgen (Stand 09.01.2016) 67 Spätestens seit Richard Floridas Bestseller „The Rise of the Creative Class“ gelten blühende städtische Kulturlandschaften und florierende Kunst- und Museumsszenen mit einem interessanten Ausstellungsprogramm als Standortfaktor, der für den Zuzug oder den Wegzug nicht nur der vielumworbenen Creative Class in eine Stadt eine entscheidende Rolle spielt 19. Die Hamburg Marketing GmbH setzte in der Kulturvermarktung in der Vergangenheit vor allem auf das Label der Musikstadt Hamburg, wohingegen die Kunstinstitutionen in der Kulturvermarktungsstrategie eine eher untergeordnete Rolle spielten. Das ist mit Blick auf fast 1. Mio. Besucher im Jahr auf der Kunstmeile Hamburg mit den fünf renommierten Kunstinstitutionen Bucerius Kunst Forum, Deichtorhallen Hamburg, Hamburger Kunsthalle Kunstverein Hamburg und Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg erstaunlich, denn schon heute ist die Kunstmeile Hamburg der besucherstärkste Museumsverbund im norddeutschen Raum 20. Während das Angebot der Hamburger Kunstmuseen bei anderen touristischen Partnern wie im bundesweiten Kooperationsangebot der Deutschen Bahn schon seit vielen Jahren ein steter und wichtiger Bestandteil ist und die Hamburger Museen dort seit langem eine national wahrgenommene Rolle spielen, spricht sich allmählich auch bei der Hamburg Marketing und Tourismus GmbH herum, dass Hamburgs Kulturlandschaft mehr zu bieten hat als die Elbphilharmonie, Musicals und der Reeperbahnfestival und dass die Kulturstadt Hamburg noch mehr sein könnte als nur eine Musikstadt. 68 21 19 Richard Florida, The Rise of the Creative Class, New York 2011/12, 2. Auflage, (Originalaus-gabe 2002) 20 Maike Schiller, „Zusammenschluss. Eine Million Besucher in den Häusern der Kunstmeile“, in: Hamburger Abendblatt, 06.01.2016: http://www.abendblatt.de/ kultur-live/article206889721/ Eine-Million-Besucherin- den-Hae sern-derKunstmeile.html (Stand: 09.01.2016); .o.V., „Kunstmeile Hamburg lockt eine Million Besucher an“, in: Hamburger Abendblatt, 21.02.2014. Siehe: www.abendblatt.de/hamburg/ article125075773/kunstmeileHamburg-lockt-eine-MillionBesucher-an.html (Stand 09.01.2016). 9. Plakatkampagne Große Freiheit für große Kunst. Monokultur ist nicht genug, das gilt auch mit Blick auf städtische Kulturräume in Metropolen wie Hamburg. Erst wenn sich Hamburg in seinem Selbstverständnis von der Musik- zur Kulturstadt wandelt, wird Hamburg seinem Anspruch als wachsende Stadt auch kulturell gerecht werden. Hamburgs Kunstinstitutionen müssen als Standortfaktor in der Konkurrenz städtischer Kulturräume konsequenter entdeckt und vermarktet werden. Ein erstes Ergebnis der intensivierten Zusammenarbeit ist die Kulturkampagne „Große Freiheit für große Kunst“, gemeinsam initiiert und umgesetzt von der Kulturbehörde und der Hamburg Marketing GmbH 21 mit insgesamt 2000 Plakaten allein im ers- ten Durchgang der Kampagne in Hamburg, der Metropolregion und den norddeutschen Ballungsräumen (Abb. 9). Finanziert wird die von der Werbeagentur Gürtlerbachmann ausgeführte Kampagne aus der Kultur- und Tourismustaxe. 140.000 Euro nimmt die Hamburg Marketing GmbH für die Realisierung allein 2015 in die Hand. https://marketing.hamburg. de/kulturkampagne/html (Stand 09.01.2016):“ Hamburg bietet im bundesweiten Vergleich ein außergewöhnlich reichhaltiges und hochwertiges Angebot an Kultur, das über 300 Einrichtungen – davon rund 60 Museen und rund 45 Theater – umfasst. Das vielfältige Kulturangebot prägt in besonderer Weise das Bild der Stadt und spielt in der Gunst um Neubürger, Unternehmen und Touristen eine entscheidende Rolle. Nach innen wirkt die spartenreiche Kulturlandschaft zudem identitätsstiftend und steigert die Lebensqualität. Um Hamburg als Kulturmetropole sichtbar zu machen, haben Hamburg Marketing GmbH, Kulturbehörde und die Kulturinstitutionen eine bildstarke Kampagne umgesetzt, die die individuelle Qualität der Häuser und Sparten deutlich wahrnehmbar nach innen und außen transportiert. Neben einer starken Optik, langfristig angelegter Laufzeit und der Umsetzbarkeit für alle nationalen und internationalen Kommunikationskanäle sticht die Kampagne vor allem durch eine zentrale Stärke heraus: Sie läßt die Kulturinstitutionen zu Wort kommen.; vgl. auch o.V. „Große Freiheit für Große Kunst, Die Welt, 07.11.2014. Siehe http://welt.de/regionales/ hamburg/article134113445/ Grosse-Freiheit-fuerGrosse-Kunst.html, 69 Eingebettet in das Hamburg Marketing GmbH-Design zeigen die Plakate unter dem programmatischen Motto „Kulturmetropole Hamburg“ Varianten des Themas „Große Freiheit für…“. Die Motive stammen nicht nur aus dem Thalia Theater, der Staatsoper, vom Ensemble Resonanz, von Kampnagel, den Elbphilharmonie Konzerten der Laeiszhalle und dem Dockville-Festival, sondern auch aus dem Bucerius Kunst Forum, den Deichtorhallen, der Hamburger Kunsthalle und dem Museum für Kunst und Gewerbe. Dauern soll die Kampagne mindestens bis zur Eröffnung der Elbphilharmonie 2017 22. Die Kampagne „Große Freiheit für große Kultur“ wurde beim Kulturmarken-Award 2015 als Stadtmarke des Jahres ausge zeichnet 23. Hamburg wird sich dessen bewusst, dass es sich mit seinem Kunst- und Kulturangebot, auch über die Elbphilharmonie und sein Angebot als Theaterstadt hinaus, nicht zu verstecken braucht. Doch nicht nur als wichtige Säule in der Kampagne „Große Freiheit für große Kultur“, auch in der Durchführung von Pressereisen sowie bei internationalen Messepräsenzen im Zusammenhang mit der Triennale der Photographie 2015 profitierte die Hamburger Museumsszene von der Kulturvermarktung durch die Hamburg Marketing GmbH 24. 70 22 Joachim Mischke, „Große Freiheit wird Leitmotiv neuer Hamburger Kulturkampagne“, Hamburger Abendblatt, 08.11.2014. Siehe: http://www.abendblatt.de/ hamburg/article134131724/ Grosse-Freiheit-wirdLeitmotiv-neuer-Hamburger-Kulturkampagne.html (Stand 09.01.2016). Doch alle beschriebenen Aktivitäten können erst ein Anfang sein. Gerade mit Blick auf die besondere Rolle von Kunst und Kultur als wichtiger Standortfaktor in der Konkurrenz der Metropolen gilt es, diesen eingeschlagenen Weg mit aller Konsequenz weiterzuverfolgen und den Kunstmuseen und Ausstellungshäusern in der städtischen Kulturvermarktungsstrategie künftig den Platz einzuräumen, den sie verdienen. Museen und Ausstellungshäuser erschließen neue digitale Räume 23 Enno Isermann, Kulturbehörde Hamburg, „Kulturmarken-Award 2015. Hamburg ist Stadtmarke des Jahres 2015“ Pressearchiv der Freien und Hansestadt Hamburg, 30.1.2015. Siehe http://www.hamburg. de/pressearchiv-fhh/4626754/ hamburg-stadtmarke-desjahres/ (Stand 09.01.2016). 24 https://marketing.hamburg. de/id-6-triennale der photographie.html Damit Kunst auch in Zukunft zu erlebter Kultur wird, müssen sich die Hamburger Kunstinstitutionen und Ausstellungshäuser der digitalen Herausforderung stellen. Traditionelle Kulturorte und damit auch die etablierten Kunstinstitutionen erhalten zunehmend Konkurrenz durch das Internet. Das Internet avanciert zu einem neuen alternativen, und digitalen Kulturraum, der sich zunächst einmal dadurch auszeichnet, dass viele Menschen viel Zeit damit verbringen. Die Digitalisierung prägt das gesellschaftliche Leben, immer stärker auch der älteren Generation. Wir alle, ob alt oder jung, kommunizieren über Apps, Posts und Tweets. Allen kritischen Punkten und Diskussionen um das Urheberrecht, Leistungsschutz und den Wert des Werkes zum Trotz, bietet die Digitalisierung der Kulturkommunikation neue Chancen. Über das Social Web erreicht sie eine breite Community. Schon heute ist der durchschnittliche deutsche Internetnutzer in drei Social Networks registriert. 71 Im Museumsbereich gilt in Deutschland das Städel Museum in Frankfurt mit seiner teilweise bereits umgesetzten digitalen Erweiterung als Vorreiter dieser Entwicklung. Mit neuen Technologien und Kommunikationswegen entsteht ein alternatives Angebot parallel zum realen, physischen Museumsbesuch 25. Digital bereitgestellte Inhalte und Zusatzinformationen sollen die Verbreitung und Vertiefung des analogen Kunstangebotes erleichtern. Ziel ist es, auch im digitalen Zeit-alter dem Bildungs- und Vermittlungsauftrag gerecht zu werden, diesen weiter auszubauen sowie innovative technologische Entwicklungen für die Kernaufgaben des Museums nutzbar zu machen. Durch den unbegrenzten digitalen Raum lässt sich die Reichweite der Aktivitäten um ein Vielfaches erweitern. Sammlungsund Ausstellungsinhalte werden mit einer völlig veränderten Skalierung vermittelt und der Wirkungsraum des Muse-ums signifikant vergrößert. Darüber hinaus lassen sich neue Formen der Narration entwickeln, welche die Möglichkeiten der digitalen Vermittlung von kulturellen Inhalten in Gänze nutzen. Mit vielfältigen Aktivitäten, die von einer digitalen Exponate-Plattform über Städel-Games bis hin zu Online-Kunstgeschichtskursen reichen, werden mit der multiplen Vernetzung von Inhalten unterschiedlichster Herkunft neue Wege der Darstellung, Erzählung und Vermittlung von Kunst beschritten. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollen weit über die Dauer von Ausstellungen/Projekten hinaus bewahrt und ungesehene sowie nicht zugängliche Aspekte der Museumsarbeit und der Sammlung sichtbar gemacht werden können. 72 25 Zum folgenden grundsätzlich: Städel Museum, http:// newsroom.staedelmuseum. de/system/files_force/field/ file/2014/st_presse_digitale_ erweiterung_mission_statement.pdf, (Stand 25.08.2015) Ziel ist es, auf diese Weise möglichst vielen verschiedenen Zielgruppen je nach Nutzererwartung und -verhalten einen spezifischen Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Somit wird eine neuartige umfassende Wissensvermittlung Wirklichkeit, die verstärkt auf interaktive und partizipative Elemente setzt. Auch für die Freie und Hansestadt Hamburg hat das Thema zentrale Bedeutung. Mit vielfältigen Aktivitäten verfolgt sie die Entwicklung zur Smart City. Um den digitalen Zugang zur Kultur strukturiert und ressourceneffizient planen und gestalten zu können, hat die Kulturbehörde Anfang 2014 ihre eCulture Agenda 2020 verfasst 26. Wesentliche Aufgabe von eMuseum im Rahmen dieser Agenda ist es, Hamburgs Museen auf ihrem Weg in das digitale Zeitalter zu begleiten und das Museumserlebnis an veränderte Besucherwünsche und -bedürfnisse anzupassen. Das Museumserlebnis soll durch den Einsatz digitaler Technik real und virtuell bereichert werden. 27 Zu den ersten ausstellungsbezogenen Digitalprojekten im Rahmen der Agenda gehörte ein Projekt im Rahmen der Ausstellung „Krieg und Propaganda 14/18“ im Museum für Kunst und Gewerbe. Hier wurden Interviews mit Zeitzeugen und zusätzliche Inhalte bereitgestellt und zudem die Besucher in das Ausstellungserlebnis integriert und auch bei der Ausstellung „Die große Utopie“ ermöglichte der IT-Globalfonds der Freien und Hansestadt Hamburg die Bereitstellung und Aufbereitung digitaler Inhalte. 26 www.hamburg.de/kulturbehoerde/eculture/ (Stand 09.01.2016) 27 www.hamburg.de/kulturbehoerde/eculture/4452068/ museum (Stand 09.01.2016) 73 10. Museum für Kunst und Gewerbe. Blog „Stilbrise“ in der Ausstellung Fast Fashion, 2015 Entscheidend für den Erfolg derartiger Projekte ist, dass in den neuen Kulturräumen anders miteinander kommuniziert wird als in vielen traditionellen Kulturorten und -institutionen. Hier gibt es die traditionellen Gatekeeper nicht mehr. Nutzer können sowohl als Konsument wie auch als Produzent kultureller Inhalte agieren und konsequent an einer nicht hierarchischen kulturellen Kommunikation teilnehmen. Diese Kultur des Mitmachens und des kollektiven Ausprobierens verändert auch die Nutzungserwartungen an kulturellen Einrichtungen. Für den Rezipienten wird Kultur dadurch nahbarer, sie unterhält und motiviert zum Mitmachen 30. 11. Multimediaguide zur Ausstellung „When Man falls“ mit Werken von Philipp Toledano. Aber auch Angebote wie der Blog „Stilbrise“, der seit der Ausstellung „Mythos Chanel“ im Jahr 2014 die Modeausstellungen des Museums für Kunst und Gewerbe begleitet (Abb. 10), versuchen auf die veränderte Anspruchshaltung und das veränderte Informationsbedürfnis des Publikums einzugehen 28. Anlässlich der Triennale-Ausstellung „When Man falls“ mit Werken von Philipp Toledano im Haus der Photographie boten die Deichtorhallen ihren Besuchern erstmals einen eigenen multimedialen Ausstellungsguide (Abb. 11) mit weiterführenden Informationen zu den gezeigten Werkserien, Audio-Einführungen der Kuratorin, Video-Statements des Künstlers, zusätzlichen Bilderserien und Texten an. Darüber hinaus konnten die Besucher einen Blick in die Entstehung der Ausstellung werfen. Diese neuen Möglichkeiten der Kunstvermittlung sollen auch zukünftig bei ausgewählten Ausstellungen in den Deichtorhallen genutzt werden. 29 74 28 Museum für Kunst und Gewerbe, http://stilbrise.de/ (Stand 09.01.2016). 29 www.hamburg.de/pressearbchiv-fhh/4539800/ multimedia-guide/, (Stand 09.01.2016). de/pressearchiv-fhh/4626754/hamburg-stadtmarke-desjahres/ (Stand 09.01.2016). Wie begeistert das Publikum die mit der Digitalisierung verbundenen neuen Partizipationsangebote annimmt, dokumentiert auch eine Photo-Aktion zur Ausstellung „Über Wasser. Malerei und Photographie von William Turner bis Olafur Eliasson“ im Bucerius Kunst Forum (13. Juni bis 20. September 2015). Mit die-sem hat das Bucerius Kunst Forum im Sommer 2015 zum ersten Mal ein großes User-Generated-Content-Projekt realisiert. Anknüpfend an die Über Wasser-Schau, die die anhaltende Inspirationskraft von Wasser für Maler und Photographen beleuchtete, wurde mit Beginn der Ausstellung die Aktion Mein #ÜberWasser gestartet. Ziel war die partizipative Fortführung der Ausstellung im digitalen Raum 31. 30 Martin Roth, „Kunst und Kultur als Inspiration für urbane Räume“, in: Stadtansichten. Thesen und Positionen für die Stadt von morgen, https://www.land-der-ideen. de/publikationen/stadtansichten-thesen-und-positionen-f-r-stadt-von-morgen (Stand 09.01.2016). 31 Einen Blick auf die Pinnwände eröffnet der folgende Link: https://www.pinterest. com/buceriuskunst/ Die im Rahmen der Mein #ÜberWasser-Aktion ent-standenen Photographien sind weiterhin auf der Pinterest-Seite des Bucerius Kunst Forums sichtbar. 75 12. Bucerius Kunst Forum. Pinterest-Aktion „Mein #ÜberWassser“. Das Ausstellungshaus rief Nutzer dazu auf, Wasser in seiner Vielgestaltigkeit zu photographieren und die Photos mit dem Hashtag #ÜberWasser bei Instagram oder Twitter hochzuladen (Abb. 12). Diese von der Ausstellung inspirierten Wasserphotos wurden im Anschluss auf der Pinterest-Seite des Bucerius Kunst Forums gesammelt und auf verschiedenen Pinnwänden den einzelnen Ausstellungsthemen zugeordnet – von Tropfen, Wasser im Fall, Wellen, Eis und Reflexionen bis zu Wasser als unbezähmbares Element. Insgesamt sind 550 Photographien via Twitter und Instagram hochgeladen worden, darunter eine Vielzahl äußerst qualitätvolle Arbeiten von sehr aktiven Instagramern und Twitterern. Damit ist Mein #ÜberWasser eine der erfolgreichsten User-GeneratedContent-Aktionen in der deutschen Museumslandschaft 32. Diese und ähnliche Aktionen zeigen eindrücklich, welche Chancen und Gestaltungsmöglichkeiten der digitale Wandel für Kulturinstitutionen eröffnet. Das Bucerius Kunst Forum kann heute mit Kunstinteressierten auf vielen Wegen und überall in der Welt in den Dialog treten und zur unmittelbaren Teilnahme aufrufen. In der Vermittlung von Ausstellungen kann die digitale Kommunikation ein sehr bedeutender Bestandteil werden. Dabei spielt das Abbauen von Hürden eine wichtige Rolle. Ein detaillierter Blick auf die Teilnehmer der Mein #ÜberWasser-Aktion zeigt, dass sowohl neue, sehr junge Zielgruppen als auch Stammbesucher wie die Mitglieder des Bucerius Kunst Clubs, der Freundeskreis des Bucerius Kunst Forums, erreicht wurden. Das spiegelte sich 76 während der Ausstellung auch in der Besucherstruktur im Ausstellungshaus selbst wider. Einmalige User-Generated-Content-Projekte wirken nur kurzfristig. Sie reichen nicht aus, um ein neues Publikum dauerhaft auf eine Institution aufmerksam zu machen und langfristig zu binden. Eine langfristig angelegte Strategie zum Umgang mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung tut not, um nachhaltige Wirkung zu erzielen. 32 Die Aktion ist genauso erfolgreich wie die vergleichbare Aktion „Monet Momente“ (Städel Museum, http://blog.staedelmuseum.de/ kunst-der-moderne/ monetmoment) im Städel Museum und das, obwohl die Frankfurter Ausstellung ein Vielfaches an Gesamtbesuchern generiert hat und, anders als das Bucerius Kunst Forum bereits zahlreiche weitere ähnliche Projekte realisiert hat. Das Bucerius Kunst Forum setzt mit ähnlichen Aktionen zu den Ausstellungen „Von Poussin bis Monet. Die Farben Frankreichs“ und „Picasso. Fenster zur Welt“ kontinuierlich auf die digitale Partizipation der Nutzer und die visuellen Plattformen. Und das ist nur ein Teil der digitalen Kommunikationsstrategie. Ebenso wie die genannten Pinterest-Aktionen vermitteln Ausstellungsvideos auf YouTube in Ausstellungsrundgängen und Kuratoreninterviews die Inhalte der Ausstellungen. Hier knüpft das Ausstellungshaus an die erfolgreichen Videos etwa zu Miró oder Pompeji an. Die mögliche Vielfalt neuer digitaler Zugänge verdeutlicht auch die bundesweit erste Instaswap-Aktion, die die Hamburger Museen im November 2015 durchgeführt haben. Teilnehmende Museen des #MuseumSwapHamburg waren das Archäologisches Museum Hamburg, das Bucerius Kunst Forum, die Deichtorhallen Hamburg, das Hamburg Museum, die Hamburger Kunsthalle, die KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Kunstverein in Hamburg sowie das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. 77 13. Bucerius Kunst Forum. Schüler führen Schüler des Wilhelm Gymnasiums Ausgehend von Fragen wie „Was sieht man vom Dach der Kunsthalle?“, „Was ist das älteste Objekt im MKG?“, „Wie sieht es im Depot des Archäologischen Museums aus?“ oder „Wer hat den aufregendsten Job im Hamburg Museum?“ besuchten sich die Instagrammer der Hamburger Museen vom 27. November bis zum 1. Dezember 2015 gegenseitig und schauten hinter die Kulissen. Zum ersten Mal in Deutschland schrieben die Ausstellungshäuser einer Stadt unter #Museum SwapHamburg zusammen mit ihren Besuchern und virtuellen Freunden eine große digitale Erzählung über die Museumswelt in Hamburg. Wie in einem Fortsetzungsroman entstand durch die vielen Instagram-Autoren ein eindrucksvoller Bilderbogen, der die reale Kunstwelt um eine Dimension erweiterte. Die bildorientierte Social-Media-Plattform Instagram eignet sich besonders als Medium für spannende Reportagen aus dem Museumsalltag. Mittlerweile hat Instagram einen ähnlichen Stellenwert wie Facebook oder Twitter, wird aber von einem jüngeren, bildaffinen Publikum genutzt. Die Idee geht zurück auf eine Initiative in London, wo der erste „InstaSwap“ u.a. mit Beteiligung des Victoria and Albert Museum, des British Museum und des Science Museum über 400 Posts generierte. Die Idee macht inzwischen auch andernorts Schule. Im Dezember 2015 wurde auch in den Münchner Museen ein Instaswap durchgeführt 33. 78 Museen und Ausstellungshäuser werden wichtige außerschulische Lernorte In den letzten Jahren sind in vielen öffentlichen Kultureinrichtungen über die Positionen für Marketing hinaus neue Positionen für die kulturelle Bildung geschaffen worden. Auch in den Hamburger Museen nimmt das Thema breiten Raum ein. Die Kulturinstitutionen reagieren damit auf das in vielen Befragungen herausgearbeitete Ergebnis, dass ein Großteil der Menschen in Deutschland der kulturellen Bildung in Zusammenarbeit von Kulturinstitutionen und Schulen eine sehr hohe Bedeutung beimisst. 34 33 o.V., „#Munichinstaswap. Die Sammlungen der Anderen“, in: Monopol. Magazin für Kunst und Leben, Dezmber 2015, siehe: http://www.monopol-magazin.de/die-s ammlungen-der-anderen (Stand 09.01.2016). Eines der zahlreichen Projekte, die die Hamburger Kunstmuseen und Ausstellungshäuser in außerschulische Lernorte verwandeln ist „Schüler führen Schüler“, ein gemeinsames Projekt des Bucerius Kunst Forums mit dem Wilhelm-Gymnasium: Schüler der Profilkurse Kunst des Wilhelm-Gymnasiums befassen sich mit der Thematik aktueller Ausstellungen des Bucerius Kunst Forums und geben ihr Wissen in Führungen an andere Klassen unterschiedlicher Schulformen und Jahrgangsstufen weiter (Abb. 13). 34 Zentrum für Kulturforschung, Lernorte oder Kulturtempel. Infrastrukturerhebung: Bildungsangebote in klassischen Kultureinrichtungen, Köln 2010. 79 Aktuell beteiligen sich ca. 50 Schülerinnen und Schüler der Studienstufe des Wilhelm-Gymnasiums an dem Projekt, das von Dr. Karin Maak, Kunsthistorikerin und Kunsterzieherin am Wilhelm-Gymnasium, Anfang 2009 initiiert wurde und seit einigen Jahren von den Kunsterziehern Uwe Niemann und Juliane Pietsch weitergeführt wird. Mittlerweile hat das Projekt bundesweite Anerkennung gefunden und wurde im Rahmen der Wettbewerbe schule@museum sowie Kinder zum Olymp ausgezeichnet. Geführt werden pro Ausstellung ca. 400 Schüler vom Grundschulalter bis zum Abitur – darunter zunehmend auch Schulklassen aus sozial schwächeren Stadtteilen. Neben Schülern aus Hamburg nehmen auch Gruppen aus Schleswig-Holstein das Angebot wahr. Wie wichtig die kulturelle Bildung in den Hamburger Kunstmuseen und Ausstellungshäusern ist, zeigt auch die Ankündigung der Hamburger Kunsthalle, bis zu ihrer Neueröffnung 2016 ihr Angebot für Schulen überarbeiten zu wollen. Mit Methodenfortbildungen lädt die Kunsthalle Lehrerinnen und Lehrer zur intensiveren Auseinandersetzung mit Themen und Verfahren der Kunstgeschichte und Kunstvermittlung und künstlerischen Praxis ein. Ein- bis eineinhalbstündige Lehrereinführungen in die jeweiligen Ausstellungen durch die Kunstvermittler, die die Ausstellungen und Themen unter kunsthistorischen und didaktischen Gesichtspunkten in den Blick nehmen und erste Impulse für den praktischen Transfer geben. Bei der Vorbereitung werden die jungen „Kunstexperten“ vom wissenschaftlichen Team des Bucerius Kunst Forums unterstützt, das ihnen mit Informationen zum Ausstellungskonzept und museumspädagogischen Tipps zur Seite steht. Mit viel Freude und Engagement bereiten sich die Schüler auf ihre Führungen vor, in denen sie ihr Wissen an andere Schulklassen weitergeben. Im direkten Kontakt mit den gleichaltrigen oder nur wenig älteren Schüler-Guides erfahren die jungen Besucher Kunst ganz anders – ohne das Gefühl, von einem Erwachsenen belehrt zu werden. Fachwissen wird auf Augenhöhe vermittelt und regt dazu an, sich durch Nachfragen und Kommentare aktiv zu beteiligen. Auch die erwachsenen Besucher profitieren von diesem neuen Zugang zur Kunst: Bei der Langen Nacht der Museen fungieren die Schülerinnen und Schüler als Kunstscouts und stehen allen Ausstellungsgästen für Fragen zur Verfügung. Noch entscheidender aber als kulturnahe Bildungsschichten für die Hamburger Kunstinstitutionen ist es, auch bildungsferne Schichten für die Kunstinstitutionen zu gewinnen. Ein langjähriger Vergleich der Kulturnutzer in Deutschland macht deutlich, dass das Bildungsniveau als Einflussfaktor auf kulturelle Partizipation an Bedeutung gewonnen hat. Es besteht somit ein enger Zusammenhang von sozialer Herkunft und kultureller Inklusion bzw. Exklusion. Das Elternhaus ist der wichtigste Einflussfaktor, noch weit vor der Schule, um Menschen für Kultur zu gewinnen oder zu verlieren. Die bei quantitativen Befragungen am häufigsten genannten Barrieren der Nutzung kultureller Angebote sind „zu wenig Geld“ und „zu wenig Zeit“. Erste qualitative Studien zeigen, dass es vor allem soziale Barrieren sind, die Nichtkulturnutzer abhalten: die Annahme, dass Kunst langweilig ist, die Annahme, dass Kunst anstrengend 80 81 ist und die Angst, sie nicht zu verstehen; die Annahme, dass Kunst nicht zum eigenen Leben und Lebensstil passt, die Angst, nicht über die über die richtigen Formen im Umgang mit kulturellen Angeboten zu verfügen. Obwohl Kunst und Kultur in der breiten Bevölkerung ein positives Image haben, werden kulturelle Angebote von einem Großteil als nicht relevant für ihr eigenes Leben betrachtet: „Kultur ist wichtig, hat aber nichts mit meinem eigenen Leben zu tun.“ 35 2015 hat der Bucerius Kunst Club im Rahmen des Projektes „Deine Stadt“ erneut Hamburger Grundschüler in das Bucerius Kunst Forum eingeladen. Ziel dieses Projektes ist es, Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern für kulturelle Erlebnisse zu begeistern. An drei Vormittagen besichtigten Schulklassen aus Altona, Harburg und Billstedt die Ausstellung „Über Wasser. Malerei und Photographie von William Turner bis Olafur Eliasson“ und setzten sich in kreativer Weise mit dem Inhalt dieser Ausstellung auseinander. Dank der Unterstützung des Bucerius Kunst Clubs entstehen den Schulen keine Kosten: Fahrt, Führung und Materialien werden übernommen; dazu gibt es noch einen kleinen Imbiss für die Schülerinnen und Schüler. Auf Einladung eines Vorstandsmitglied des Bucerius Kunst Clubs und durch dieses privat finanziert wird das Projekt im November 2015 auf vier Schulen in Langenhorn, Wandsbek, Bergedorf und Billstedt ausgeweitet. 82 Museen und Ausstellungshäuser werden zu Orten des Dialoges zwischen den Kulturen und Weltreligionen 35 Birgit Mandel, „Audience Development als Aufgabe von Kulturmanagementforschung“, in: Jahrbuch Kulturmanagement 2012 (1), S. 23. Nicht nur die kulturelle Bildung hat Konjunktur in den Hamburger Museen. Durch die Zunahme von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen sind auch die Hamburger Kunstinstitutionen gezwungen, ein neues Verhältnis zu Menschen mit Migrationshintergrund zu entwickeln. Das setzt neue Formen der Kulturvermittlung voraus, denn Menschen aus anderen Herkunftsländern bringen einen anderen Kulturbegriff und andere Rezeptionsweisen von Kunst und Kultur mit. So ist bei Menschen mit Migrationshintergrund ein breiterer Kulturbegriff erkennbar und eine weniger starke, typisch deutsche Trennung von E- und U-Kultur. Außerdem haben sie, so zeigen erste Studien, noch weniger Interesse an traditionellen Hochkulturangeboten als der Durchschnitt der Bevölkerung 36. Das neue Interesse am interkulturellen und interreligiösen Dialog zeigt sich zunächst am größeren Stellenwert, der den Sammlungen anderer Kulturkreise und Religionen in den Neupräsentationen zugemessen wird. Das lässt sich beispielsweise an den Museen und Sammlungen islamischer Kunst ablesen. Überall in der internationalen Museumslandschaft vom Louvre bis hin zu Pergamonmuseum erleben Museen und Sammlungen islamischer Kunst in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts eine ungeahnte Renaissance 37. 36 Birgit Mandel, „Audience Development als Aufgabe von Kulturmanagementforschung“ in: Jahrbuch Kulturmanagement 2012, (1), S. 23-24. Zentrum für Kulturforschung/S. Keuchel, Erste vorläufige Ergebnisse und Empfehlungen des Interkulturbarometer, Bonn 2012. 37 Stefan Weber, „Zwischen Spätantike und Moderne. Zur Neukonzeption des Museums für Islamische Kunst im Pergamonmuseum“, in: Stiftung Preußischer Kulturbesitz/Hermann Parzinger (Hg.), Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Band XLVIII, Berlin 2014, S. 227 mit Zusammenstellung der wichtigsten Neueinrichtungen in Anmerkung 1. 83 13. Museum für Kunst und Gewerbe. Neueinrichtung Sammlung Islamische Kunst, Ausstellungsansicht vielfältigen und lange Zeit erstaunlich toleranten Kultur vor Augen (Abb. 14). 40 Ein neues Interesse an anderen Religionen in den Hamburger Kunstinstitutionen dokumentiert aber auch die Veranstaltungsreihe „Auf Augenhöhe. Kunst im interreligiösen Dialog“, die bereits 2010 von Marion Koch in der Hamburger Kunsthalle entwickelt wurde, inzwischen aber auch im Hamburg Museum oder dem Museum für Kunst und Gewerbe stattfindet und von jeweils mit unterschiedlichen Kooperationspartnern wie der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, der Katholischen Akademie und der Evangelischen Akademie Hamburg unterstützt wird (Abb. 15). 41 15. Hamburger Kunsthalle. Veranstaltungsreihe „Auf Augenhöhe. Kunst im interreligiösen Dialog“. Von li nach re: Friedrich Brandi-Hinnrichs, Ev.-luth. Pastor; Özlem Nas, SCHURA, Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V.; Micheal Nüssen, Liberale Jüdische Gemeinde und Jüdische Gemeinde Hamburg. Moderation: Marion Koch, freie Mitarbeiterin der Hamburger Kunsthalle Im Louvre widmet sich seit 2012 eine neue Abteilung der Kunst des Islam und demonstriert eine faszinierende Verschränkung zwischen westlicher und islamischer Welt, die über jeden Fanatismus hinwegsieht 38. Mit der Neupräsentation ist auch die kulturpolitische Aussage verbunden, den Mahgreb als Teil der Grande Nation endlich ernst zu nehmen 39. Auch das Museum für Kunst und Gewerbe führt seit April 2015 in seiner neu eingerichteten Islamabteilung mit historischen Objekten, die teilweise schon vom Gründungsdirektor des Museums Justus Brinckmann gesammelt wurden, aber auch mit aktuellem Werken von Künstlern aus dem Libanon oder dem Iran das Panorama einer zwar religiös geprägten, aber enorm 84 38 Joseph Haniman, „Wo sich Kulturen durchwirken. Abteilung für Islam im Louvre“ in: Südde-tusche Zeitung, 26.9.2012. Siehe www.sueddeutsche.de/kultur/ abteilung -fuer-isalm-imlouvre-wo-sich-kulturendurchwirken--1.1478941-2 (Stand 09.01.2016). 39 Französische Botschaft Berlin, www.ambafrance-de.org/ Wiedereröffnung-dersammlung (Stand 02.10.2015). Regelmäßig treffen sich in den Veranstaltungen der Reihe Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften. Sie diskutieren anhand ausgewählter Gemälden der Kunsthalle Themen wie Gottesvorstellungen, Tod und Auferstehung oder die Stellung von Mann und Frau 42. Die Gemälde bieten Gesprächsanlass zu aktuellen gesellschaftlichen Debatten wie z.B. die Sichtbarkeit von Minaretten, Kirchtürmen und Synagogen im Stadtbild. So entstehen Impulse für Diskussionen und fruchtbaren Austausch. Die Referentinnen und Referenten sind wichtige Multiplikatoren der jeweiligen Gemeinschaften; der Schura Hamburg, der Evangelisch-lutherischen Kirche in Norddeutschland, der Liberalen Jüdischen Gemeinde, der Jüdischen Gemeinde Hamburg oder der Buddhistischen Gemeinde Hamburg. 40 Matthias Gretzschel, „Neue Islam-Abteilung: Mit Kunst gegen den Hass“, Hamburger Abend-blatt 10.4.2015, www. abendblatt.de/meinung/ article205247487/Neue-Islam-Abteilung- Mit-Kunstgegen-den-hass.html (Stand 01.10.2015). 41 Die 2015 am Institut KMM entstandene Masterarbeit Kristina Pecia, Interkulturelle Öffnung von Museen. Herangehensweisen und Herausforderungen im Umgang mit dem Phänomen Migration anhand ausgewählter Fallbeispiele, unpublizierte Masterarbeit Hamburg 2015 setzt sich mit diesem und vier weiteren richtungsweisenden Fallbeispielen für die interkulturelle Öffnung von Museen auseinander. 42 Als einer von drei Preisträgern wurde das Projekt mit dem BKM-Preis Kulturelle Bildung 2014 ausgezeichnet. Der Preis würdigt die herausragende Bedeutung der kulturellen und künstlerischen Vermittlungsarbeit öffentlicher und privater Kultureinrichtungen sowie bürgerschaftlicher Initiativen. Zur Begründung www.stiftunggenshagen.de/uploads/ media/Laudatio_Kunst_ in_interreligioesen_Dialog_ Eckart_Koerhne.pdf. 85 Es geht um das Entdecken von Gemeinsamkeiten wie auch um das Raumlassen für Brüche und Unterschiede. Ganz im Sinne der aktiven Partizipation orientiert sich das Projekt an der Kompetenz der Teilnehmer und verzichtet darauf, Defizite zu thematisieren. Die Expertise der Religionsvertreter, die aus verschiedenen Blickwinkeln die Kunstwerke betrachten, wird geschätzt und die sich daraus er-gebende Multiperspektivität als Bereicherung erkannt. Für die Teilnehmer, aber nicht zuletzt auch für das Museum, das sich neue Zugänge zur Sammlung erschließt. Man darf im besten Sinne von einer Win-WinSituation für alle Teilnehmer sprechen. Ein Dialog zwischen den Religionen findet außerhalb des Museums oft nur unzureichend und unter Bedingungen statt, die Stereotypen nur noch mehr festigen. Mit dem Projekt ist es gelungen, die Hamburger Kunsthalle zu einem lebendigen Ort des Dialoges werden zu lassen. Blickt Deutschland auf eine vorwiegend christlich geprägte Tradition zurück, so prägt unsere heutige Gesellschaft eine Vielfalt der Religionen. Diese Vielfalt holt sich die Hamburger Kunsthalle ins Haus. Projekte wie der Interreligiöse Dialog weisen den Museen und Kunstinstitutionen eine neue, in der Vergangenheit unbekannte Funktion zu. Als weitgehend neutrale Räume werden sie zu wichtigen Orten des Dialoges zwischen den Kulturen und Religionen. Das Projekt erhielt 2014 den BKM-Preis Kulturelle Bildung der Staatsministerin. Vom Preisgeld wird an der Hamburger Kunsthalle derzeit unter Federführung von Marion Koch das Projekt „Kunst im interreligiösen Dialog für Schulen“ entwickelt. 86 Die Zivilgesellschaft kann Verantwortung für die Museen übernehmen und die Kommunikation der Institutionen verstärken Damit Kunst immer wieder zu erlebter Kultur wird, dazu benötigen die Kunstmuseen und Ausstellungshäuser aber mehr denn je die nachhaltige Unterstützung der Zivilgesellschaft. Die Ausgangslage ist gut. Hamburgs Museen und Ausstellungshäuser verfügen über eine deutschlandweit einzigartige Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Schon seit vielen Jahren ist Hamburg Deutschlands Hauptstadt der Freundeskreise. Nirgendwo sonst gelingt es, so viele Kunstinteressierte als Freunde oder Fans an ihre Museumsinstitutionen zu binden wie in Hamburg. Mehr als 18.000 Freunde hat die Kunsthalle. Sie hat damit den größten Freundeskreis eines Museums der bildenden Kunst aufzubieten. 43 Mit mehr als 4.000 Mitgliedern der Justus Brinckmann Gesellschaft am Museum für Kunst und Gewerbe hat Hamburg überdies den größten Freundeskreis eines Museums für angewandte Kunst 44. Mit dem Bucerius Kunst Club mit seinen 2.600 Mitgliedern stellt die Freie und Hansestadt überdies den größten Freundeskreis eines Ausstellungshauses in Deutschland 45 und mit dem Freundeskreis Photographie wissen auch die Deichtorhallen Hamburg einen starken Partner als Förderer an ihrer Seite. 45 43 Hamburger Kunsthalle: www.hamburger-kunsthalle. de/index.php/fördervereine. html (Stand: 09.01.2016). 44 Justus Brinckmann Gesellschaft: http://www.justusbrinckmann.org/leitbild (Stand 09.01.2016). 45 Bucerius Kunst Forum: http:// www.buceriuskunstforum. de/bucerius-kunst-club/derbucerius-kunst-club/ (Stand 09.01.2016). 46 Deichtorhallen Hamburg: http://www.deichtorhallen. de/index.php?id=203 (Stand 09.01.2016). 87 Keine andere Stadt in Deutschland hat so große Fanclubs für ihre Kunstinstitutionen. Hamburgs deutschlandweit einzigartig breite Freundeskreislandschaft zeigt, wie die Zivilgesellschaft in dieser Stadt, die in den Museen und Ausstellungshäusern Volontariate und Ausstellungen finanziert und durch die Unterstützung von Neuerwerbungen in einzigartiger Weise Verantwortung übernimmt für die Zukunft der Sammlungen. Zugleich sind diese Freundeskreise mit ihren vielfältigen Aktivitäten ein wichtiger sozialer Klebstoff und wichtige Multiplikatoren für das Programm ihrer Museen 47. Hamburgs Museumsfreundeskreise sind aber auch wichtige Motoren für Innovation. Kein anderer Freundeskreis verfügt seit vielen Jahren über so viele Junge Mitglieder wie die Freude der Kunsthalle, kein anderer versucht so sehr junge Sammler in eigenen Veranstaltungsformaten an das Sammeln heranzuführen wie dieser. Ein Beispiel für die enge Bindung der Hamburger an ihre Museen ist auch die Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, die seit 1956 als gemeinnützige Institution kunstinteressierter Bürger, der Hamburger Wirtschaft sowie der Freien und Hansestadt Hamburg besteht. Die jährlich von den Förderern eingeworbenen Spenden sollen durch Zuschüsse des Senats jeweils verdoppelt werden. Die Mittel dienen dem Ankauf von Kunstwerken für die beiden großen Museen der Stadt –die Hamburger Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe. Die Stiftung hat seit ihrem Bestehen über 600 Kunstwerke erworben, die den Museen als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt wurden. Die Stiftung damit eine der ältesten – seit 60 Jahren kontinuier- 88 47 Zahlreiche Untersuchungen im Bereich des Kultur- und Medienmanagements widmen sich augenblicklich dem Thema Freundeskreise: Grundlegend zum Thema: A. Welling/St. Roll/F. von Reden/M. Otten/M. Christ/ St. Frucht (Hg.), Förder- und Freundeskreise in der Kultur. Er-gebnsse einer umfassenden Untersuchung des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft, Berlin 2007, Carsten Baumgarth/Marina Kaluza, „Erfolgsfaktoren von Brand Communities im Kul-tursektor. Wie lassen sich aus Freundeskreisen Gemeinschaften von Freunden bilden?“ in: S. Bekmeier-Feuerhahn/K. van den Berg/St. Höhne/R. Keller/B. Mandel/M. Tröndle/T. Zembylas (Hg. im Auftrag des Fachverbandes für Kulturmanagement),Zukunft Publikum, Jahrbuch für Kulturmanagement 2012, S. 309-340, Birgit Mandel, PR für Kunst und Kultur. Handbuch für Theorie und Praxis, Bielefeld, 2. Auflage 2009, S. 54, Sarah Meffert, „Dependenz oder Inter-dependenz? Markenverhältnisse von Kultureinrichtungen und ihren Freundeskreisen am Bei-spiel der bildenden Kunst“, Fr. Loock/O. Scheydtt (Hg.), Handbuch Kulturmanagement, Signa-tur: F 3.22 Hauptkapitel F: Finanzierung und Förderung / Unterkapitel F 3: Private Kulturför-derung (2015), Annette Welling, Förder- und Freundeskreise für die Kultur in Deutschland, unpublizierte Dissertation, Institut KMM 2015. lich praktizierten – „Public Private Partnerships“ in Deutschland. 48 Die Stiftung engagiert sich nicht nur mit Neuerwerbungen für die Hamburger Kunsthalle und das Museum für Kunst und Gewerbe, sondern finanziert darüber hinaus auch die neue Ausstellungsreihe in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle unter dem Reihentitel „Neuland“, in der sich jeweils ein internationaler Künstler im jährlichen Wechsel mit einer Werkgruppe präsentierten kann. Den Auftakt dieser Reihe macht die seit einigen Jahren in Berlin lebende Koreanerin Haegue Yang (ab 30. April 2016) 49. Alle genannten Freundeskreise und die Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen leisten aber nicht nur einen wichtigen finanziellen Beitrag zur Sicherung des Kunststandortes Hamburg. In der Kommunikation ihrer Mitglieder verbreiten die Freundeskreise die Programme der Museen und Ausstellungshäuser, die sie unterstützen. Ihre Veranstaltungen regen zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Ausstellungen an und machen sie zu einer der wichtigsten langfristigen Bezugsgruppen der Institutionen. 48 Stiftung für die Hamburger Kunstsammlungen, http:// www.shk-museum.de/ SHK/content/ 49 Matthias Gretzschel, „Manet zum Abschied. Hochkarätige Ausstellungen in Hamburger Kunsthalle“ in Hamburger Abendblatt 20.11.2015. Siehe http:// www.abendblatt.de/ kultur-live/article206696821/ Hochkaraetige-Ausstellungenin-Hamburger-Kunsthalle. html (Stand 09.01.2016). Blickt man auf die Mitgliederzahlen der Freundeskreise in angelsächsischen Museen, gewinnt man den Eindruck, dass die Grenze des Wachstums noch klängst nicht erreicht ist. Die Hamburger Kunstmuseen und Ausstellungshäuser haben noch sehr viel mehr Multiplikatoren verdient und die Rolle Hamburgs als Hauptstadt der Freundeskreise lässt sich auch für die Zukunft noch weiter ausbauen. 89 Fazit: Hamburg Kunstmuseen und Ausstellungshäuser sind gut aufgestellt für die Zukunft Alle zuvor beschriebenen Beispiele zeigen, wie viele Aktivitäten Hamburgs Kunstmuseen und Ausstellungshäuser unternehmen, damit Kunst erlebte Kultur wird. Hamburgs Kunstmuseen und Ausstellungshäuser stellen sich räumlich für die Zukunft neu auf und nutzen die Chancen der räumlichen Veränderungen für die Kulturkommunikation. Sie sind in vielversprechender Weise Teil einer Kulturkampagne der Hamburg Marketing GmbH, die hoffen lässt, dass Hamburg auch sein Profil als Kunststandort künftig viel offensiver kommuniziert. Sie setzen sich darüber hinaus in innovativen Projekten mit den Themen der Digitalisierung, der kulturellen Bildung und dem Dialog der Kulturen und Weltreligionen auseinander und verstehen sie für die Kulturkommunikation nutzbar zu machen. Die Unterstützung der Kunstinstitutionen in Hamburg durch ihre Freundeskreise ist einzigartig, in keiner anderen Stadt Deutschlands verfügen die Kunstmuseen und Ausstellungshäuser über so viele Multiplikatoren wie hier. PROF. DR. ANDREAS HOFFMANN ist Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum und Programmleiter Kunst und Kultur der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. 90 91 ELISA ERKELENZ, MASTER OF ARTS KULTURKOMMUNIKATION ALS KUNST DER RESONANZ. EINE ANNÄHERUNG. Prozess verwoben: Umberto Eco formulierte schon in den 70er Jahren: „Jede Rezeption ist eine Interpretation und eine Realisation, da bei jeder Rezeption das Werk in einer neuen Perspektive neu auflebt.“ 3 Kurz: Erst durch die Resonanz des »GUTE KOMMUNIKATION ERZEUGT RESONANZ«. Diese jahrtausendealte Erkenntnis könnte aktueller nicht sein und betrifft unseren persönlichen Alltag ebenso wie die Kunst und ihre Rezeption. Doch wie sollte sie gestaltet sein, eine Resonanz bringende Kommunikation im Dienste der Kultur? Eine normative Antwort auf diese Frage kann es – zum Glück – nicht geben. Eine Annäherung soll im Folgenden erfolgen. Publikums vollendet sich das Kunstwerk in seiner „fundamentalen Ambiguität“ 4. Eine ganzheitliche Kulturkommunikation, die Raum für dieses Erleben von Kunst schafft, ist eng mit dem künstlerischen 92 Umberto Eco, Das offene Kunstwerk, Suhrkamp Verlag, 1977, S. 30. 4 Ebd., S. 11. So lohnt sich der Blick auf die Kanäle und Wege der Resonanz zwischen Werk und Publikum aus künstlerischer Perspektive: Eine glückliche Kulturkommunikation ermöglicht Freiräume des Erlebens von Kunst. Das Kunstwerk entsteht in seiner Resonanz. 1. Resonanz Physikalisch betrachtet bezeichnet Resonanz das „Mitschwingen eines Körpers mit einem anderen Körper“. Laut dem Soziologen Hartmut Rosa lässt sich das Phänomen übertragen auf das Erleben von Sinn, es geht um Erfahrungen, die uns als lebendig erscheinen, ob traurig oder froh, die uns berühren, die Reibung erzeugen und uns „in Beziehung zur Welt setzen“. 1 Er prägt das Bild von einer antwortenden Welt: „Resonanz stellt sich nicht durch das Machen, das Beherrschen ein, sondern durch das Öffnen, durch das Offenwerden für etwas.“ Die Parallelen zur Wirkungsweise von Kunst und einer Kulturkommunikation, die die Rezeption im Sinne der Musik öffnet, liegen auf der Hand: ihr Ziel ist ein Publikum, das im Konzert oder beim Hören einer Aufnahme „mitschwingt“, also Resonanzerfahrungen macht. 3 1 Dem entgegengesetzt ist die Entfremdung des spätmodernen Subjekts von der Welt in Folge mangelnder ResonanzErfahrungen. 2 Hartmut Rosa, Leben wir zu schnell?, Philosophie Magazin 02/2013, S.58. Doch wie kann dies gelingen? Sind Resonanz-Erfahrungen nicht etwas sehr Subjektives und so frei wie die Kunst selbst? In dem wir die Resonanz und Rezeption stärker ins Blickfeld künstlerischer Ideen nehmen, können wir Räume für Resonanz schaffen, die aus der Musik heraus gedacht sind. Wie können diese aussehen? Welche Faktoren im Feld der Kulturkommunikation begünstigen Resonanzräume, welche verhindern sie? Das Ensemble Resonanz – die Namensgebung fand wohl 1994 nicht ganz zufällig statt – stellt sich diesen Fragen als demokratisches Orchester, das seine Heimat in St. Pauli hat, die Elbphilharmonie als Ensemble in Residence bespielen wird und auf internationalen Gastspielen „Hamburgs Ruf zur Welt hinaus“ (Hamburger Abendblatt) trägt. Und immer wieder an den Punkt kommt: Kunst ist Kommunikation. Und anders herum. 93 diversen Ebenen. Der Kampf um Aufmerksamkeit und Rechtfertigung ist überall präsent, der Hunger nach Innovation groß. Von Jeans- zu Late Night-Konzerten über Klassik Raves, Anne Sophie Mutter vor Graffiti-Wänden und immer wieder den „Vier Jahreszeiten“ im Club wächst die Liste der „Innovationen“, die die Anschlussfähigkeit der Klassik im Hier und Jetzt unter Beweis stellen sollen. Und die nicht selten von den avisierten jungen und jung gebliebenen Zielgruppen selbst als hübsche Verpackung entlarvt werden, wenn sich der Inhalt nicht mit dem deckt, was draufsteht. Trauen wir der Musik wirklich so wenig zu? 2. Ausgangspunkte Bei der Annäherung an kulturelle Kommunikation im Bereich der klassischen Musik lohnt ein beobachtender Blick auf die Ausgangspunkte der Diskussion. In welcher Situation befindet sich die klassische Musikkultur heute? Welche Auswirkungen auf ihre Kommunikation bringt die Digitalisierung mit sich und welche Bedürfnisse prägen unsere Gesellschaft? 2.1. Klassik im Wandel Betrachtet man die klassische Musikwelt in Deutschland von außen, zeigt sich ein Kosmos im Wandel: Die viel beschworene Krise der Klassik hat ihre Spuren hinterlassen. Zwar halten laut einer Forsa-Studie 88% der Befragten klassische Musik für ein wichtiges kulturelles Erb 5, die Diskussionen um schwindende Publikumszahlen, Fusionen und Schließungen aber sprechen eine andere Sprache. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, wird nicht müde, Alarm zu schlagen: „Wir müssen aufpassen, dass der jetzige Bestand erhalten bleibt und gesichert wird. Ein weiterer Abbau würde die kulturelle Substanz Deutschlands unwiederbringlich und dauerhaft beschädigen.“ Der Legitimationsdruck wächst in gleichem Maße wie die Suche nach dem „Publikum von morgen“. Wie viel Nervosität und Existenzangst sich in die Diskussion der nun über Jahre notorisch beschworenen Krise geschlichen hat, zeigt sich im Kosmos Klassik heute an vielen Orten und auf 94 Nach der „Auftauphase“ befindet sich der Veränderungsprozess Klassik heute nach dem Lewinschen Modell 6 in der „Bewegungs- 5 Forsa-Studie der Körber Stiftung, http://www. koerber-stiftung.de/presse/ pressemeldungen/pressedetails-stiftung/artikel/ kaum-interesse-anklassischer-musik.html, Stand: 10.08.2015 phase“: Ideen und Lösungen für eine neue Musikkultur sprießen aus dem Boden und werden ausprobiert. Der lange von gesellschaftlichen Interessen und zum Teil tradierten Formen dominierte Klassik-Kosmos wurde aufgerüttelt. Nicht immer werden die neuen Ideen aus der Musik heraus gedacht. Und nicht immer zeigen sie einen nachhaltigen Weg auf, Hemmschwellen abzulegen und Nähe zu schaffen, ohne sich aus Existenzängsten auf dem dünnen Eis kurzlebiger Trends zu bewegen. Aber: Für aus den Inhalten und der Kunst gedachte neue Formen gibt es genügend Nährboden. Eine Kulturkommunikation, die in dieser Zeit der Suche Publikum und Kunst in einen reibungsvollen Dialog zu bringen vermag, sollte heute mehr denn je mit einem beginnen: Mit dem Inhalt, der Suche nach der eigenen Identität, dem radikalen Kunstverständnis, dem „Warum“, das uns im Kern antreibt. 6 Der Soziologe Kurt Lewin beschreibt in seiner Theorie des Change Managements drei Phasen: Auftauen Verändern - Stabilisieren. Online-Lehrbuch „Change Management“ der Uni Erlangen: http:// www.economics.phil. uni-erlangen.de/lehre/ bwl-archiv/lehrbuch/kap3/ change/change.pdf, Stand: 10.08.2015. 95 2.2. Digitale Resonanz In diesem Kontext spielt ein Faktor eine entscheidende Rolle, der unsere Kommunikation und Rezeption stark beeinflusst: die digitale Welt. Unsere Beziehungen haben sich durch die Digitalisierung rasant verändert und tun dies noch, die Märkte sind globaler und partizipativer zugleich. Die Kommunikation ist im Zuge dieser Entwicklungen zum aktuellen Zeitpunkt eine Suchende, sowohl im Privaten, als auch in der Kunst. Neue Klassik-Stars sprießen über soziale Medien in wenigen Minuten aus dem Boden, der CD-Markt stagniert 7, Konzertmitschnitte und Clips verbreiten sich nach den Gesetzmäßigkeiten von zum Teil unvorhersehbaren Algorithmen. Sie werden diskutiert, kommentiert, geteilt. Nach ersten unbeholfenen Versuchen wie Twitter-Bänken im Konzertsaal und vielfältigen missglückten Orchester-Flashmobs, erwachsen auch im stets etwas hinterherhinkenden Klassik-Markt interessante digitale Wege: Das VAN Magazin zum Beispiel, ein digitales Magazin für klassische Musikkultur, bereichert das Feuilleton mit guten Texten, Videos und Design. Eine eigensinnige Musikredaktion befördert eine wachsende Nische. Gute Konzertvideos machen intime Konzerte für ein großes Publikum erlebbar. Neue Streaming-Angebote wie iDagio fokussieren die Klassik. Vereinzelte gute Blogs wie der Bad Blog of Musick sorgen für einen Diskurs im Feld der klassischen Musik, wie es ihn länger nicht gab. 96 So bewirkt das Internet mit all seinen partizipativen Möglichkeiten auch eine Chance der Demokratisierung von Kultur: Als Vermittlerin erreicht sie völlig neue Zielgruppen. Nicht mehr große Marketing-Budgets, sondern das Publikum selbst lenkt mit, wie und in welchen Kanälen kommuniziert wird; die digitale Mund-zu-Mund-Propaganda hat eine bedeutende Reichweite erreicht, und gibt offenes und ehrliches Feedback, das das Spektrum von Buh und Bravissimo facettenreich erweitert. 7 Vgl. hierzu Musikwirtschaftsforschung, https://musikwirtschaftsforschung.wordpress.com/ 2014/04/07der- phonografische-markt- indeutschland-2003-2013/, Stand: 30.09.15 Zu einer flächendeckenden Verflachung der Inhalte muss diese Öffnung keineswegs führen. So heißt Partizipation nicht, den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Programmatik finden zu müssen oder Twitter im Konzert einzuführen. Im Gegenteil: Eine resonanzreiche, digitale Kommunikation kann das Publikum noch gezielter erreichen, kann im Brechtschen DemokratieVerständnis „aus dem kleinen Kreis der Kenner einen großen Kreis der Kenner“ machen. Hier kann für experimentelle Formate und Ideen langfristig eine große Chance liegen. Es geht darum zunächst lokale Nischen zu besetzen und über digitale Kanäle die entsprechenden Zielgruppen auch international zu erreichen. Langfristig kann diese Öffnung auch zu einer Katharsis des Authentischen führen, als „Gegenentwurf zu einer medial vermittelten Wirklichkeit“ 8: Falsche Versprechen werden noch schneller entlarvt. Hypes, die auf Marketing-Blasen beruhen, zerplatzen. Die nachhaltigste Kommunikationsstrategie beruht gerade jetzt darauf, sich mit Liebe, Mut und Lust der „wahren Gestalt der Dinge“ 9 zu widmen. 8 Christoph Zeller, Ästhetik des Authentischen, De Gruyter, 2010, S. 1. 9 Ebd, S. 1. 97 2.3. Aura und Nähe Während laut Rosa im Zuge der digitalen Globalisierung soziale und physische Räumlichkeit zunehmend auseinander driften und eine wachsende Entfremdung zu einem „Verstummen unserer Resonanz-Achsen zwischen Selbst und Welt“ führen kann 10 , gewinnt auf der anderen Seite die Aura der Nähe zunehmend an Bedeutung: lokale Szenen werden wieder wichtiger und unser Bedürfnis nach unmittelbaren Konzerterfahrungen, Sinnen und Werten wächst. 11 Die Einmaligkeit des Kunstwerks rückt im „Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ in den Vordergrund; die Sehnsucht nach unwiederbringlichen Augenblicken, wie sie Walter Benjamin mit dem Begriff der „Aura“ beschreibt, nimmt zu. 12 Im Bereich der Popularmusik ist die Rückkehr zum Lokalen mit intimer werdenden Clubkonzerten und kleinen Festivals längst angekommen, doch auch im Bereich der klassischen Musik lässt sich diese Tendenz beobachten: Während Tonträger-Aufnahmen durch die digitale Technik so perfekt geworden sind, dass die reine musikalische Perfektion kein schlagkräftiges Unterscheidungsmerkmal mehr ist, rückt die individuelle Interpretation und Spezialisierung in den Fokus. Im gleichen Zuge wächst im Zeitalter der digitalen Entfremdung auf Seiten des Publikums (und vielleicht auch der Musik) das Bedürfnis nach direkter Resonanz und einmaligen Live-Erlebnissen. 13 98 10 Hartmut Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, Suhrkamp, 2013, S. 123. 11 Vgl. Opaschowski, Horst, Wachstumsgrenzen des Erlebnismarktes - Folgen für die Kulturpolitik, Vortrag im Rahmen des 3. Kulturpolitischen Bundeskongresses „publikum.macht.kultur“ am 24. Juni 2005 in Berlin. 12 Vgl. hierzu Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Suhrkamp, 1980. 13 Vgl. hierzu zum Beispiel die GfK-Konsumstudien des Veranstaltermarktes: 2011 wurden 34% des Umsatzes im Musikmarkt aus Tonträgern, 66% aus Live-Veranstaltungen generiert. Diese Entwicklung ist noch in einem anderen Kontext zu sehen: Klassische Musik ist als gesellschaftliches Distinktionsmerkmal weitgehend unbrauchbar geworden. Ralph Philipp Ziegler formuliert es wie folgt: „Die Teilnahme an Angeboten der Hochkultur, die noch in den 80er Jahren für sich als gesellschaftliches Ereignis gelten konnte, hat diese per-se-Wirksamkeit als sozialer Indikator im Bevölkerungsdurchschnitt mittlerweile nahezu vollkommen eingebüßt.“ 14 Paradoxerweise hat diese zunächst positiv zu bewertende Veränderung der Bedürfnisstruktur zugleich neue Zwänge erbracht: „Je leichter der Zugang zur Musik ist, je weniger sie als soziales Statussymbol wahrgenommen wird, desto schneller verliert sie an Glanz, der Anreiz zu sozialem Aufstieg sein könnte. Dieser Glanz muss nun durch Nützlichkeit ersetzt werden“ 15, formuliert es Jan Brachmann. Musik macht schlau, friedlich und sozial, lautet seither eine beliebte Legitimationslinie auf dem Feld der Sinnproduktion. Spürbar lichter wird es hingegen im Bereich der Argumente, die die klassische Musik in ihrer künstlerischen Autonomie und Selbstbestimmtheit verstehen; sie abseits überholter Kategorien von E und Uin ihrer Vielfalt als Kunst ernst nehmen. Hier scheint die Musikwelt teilweise polar zwischen Anbiederung und elitärer Abkehr vom Publikum zu stehen. Es scheint, als sei ihr die Welt abhanden gekommen. Warum ist das so? 14 Ralph Philipp Ziegler, Entwurf eines Modells zu Grundlagen der Markenführung in Kulturinstitutionen am Beispiel der Präsentation klassischer Musik, in: Höhne, Steffen/Ziegler, Ralph Philipp, Kulturbranding II, Weimarer Studien zu Kulturpolitik und Kulturökonomie, 2009, S. 61. 15 Jan Brachmann, Keynote zur dritten Heidelberger Music Conference, http:// www.heidelbergerfruehling.de/wpcontent/uploads/2015/04/ Keynote- Brachmann_ hdmc-2015.pdf, Stand: 15.08.2015. 99 Hierzu ein kleiner Exkurs. Das Ensemble Resonanz machte 2011 eine Erfahrung, die für die Musiker zum Ausgangspunkt für Ideen wie die Konzertreihe urban string oder den resonanzraum werden sollte: Im ersten Stock des Kulturhaus 73, mitten auf dem Schulterblatt im Hamburger Schanzenviertel zwischen Roter Flora und Partyrauschen, veranstalteten die Musiker ein Konzert. Es wurde nur mit wenigen Flyern im Viertel selbst beworben. Es sollte ein Konzert für Freunde und Nachbarn werden. Die Nachfrage war da – viele junge Leute, für die klassische Musik inzwischen schon wieder Underground ist, kamen und brachten Freunde mit. Es wurde Bier getrunken. Als die ersten Töne von Bachs Chaconne erklangen, entstand plötzlich etwas Sonderbares im Raum: eine konzentrierte Aufmerksamkeit und Energie, die den von außen hörbaren Partylärm ausblenden ließ: »Man kann sich gar nicht vorstellen, wie glücklich es uns gemacht hat, zu begreifen, dass wir unsere Musik und uns selbst gerade völlig ungeschützt exponieren, um dann zu erfahren, dass wir mit den anderen 100 anwesenden Menschen – für die das zum großen Teil ganz unvertraute Musik war – in einer Blase von Konzentration und Aufmerksamkeit sitzen, niemand mehr den Lärm hört, die Musik also in dieser ungeschützten Situation ihre Größe und Kraft auf eine einzigartige Weise beweisen konnte... und damit schließlich festzustellen, dass es nicht an unserer Musik lag, dass wir so selten für Gleichaltrige spielten.« 16 Für viele scheint das passiert zu sein, was Hartmut Rosa eine Resonanz-Erfahrung nennt. In Gesprächen berichteten die Gäste von dem Gefühl 100 „in direktem Kontakt mit den Musikern“ zu stehen, eine seltene Form von „Präsenz“ zu spüren. In einem späteren Konzert in dem Raum erzählte eine Besucherin, den Eindruck gehabt zu haben, „mit den Fußsohlen zu hören“ und „über die Musik die Welt zu verstehen“, ohne vorher mit Klassik im Kontakt gewesen zu sein. Die gemachten Erfahrungen haben die Musiker in einem tiefen Glauben radikal bestärkt: Nicht die klassische Musik hat ein Problem. Die Krise liegt in einer defizitären Rezeption, die durch zum Teil musealisierte Präsentationsformen oder unglaubwürdige Innovationen behindert wird. Resonanz-Erfahrungen, wie sie in Konzerten klassischer und neuer Musik gemacht werden können, stillen eine Vielzahl an Bedürfnissen sinnlicher, eskapistischer, intellektueller und emotionaler Natur 17. Sie können uns „in Kontakt zur Welt bringen“: „Wir werden durch etwas Äußeres in unserem Innersten berührt und ergriffen, und zwar so, dass Innen und Außen eine räsonierende, konstitutive Verbindung eingehen“ 18, beschreibt es Rosa. 16 Tobias Rempe, Rede zur Eröffnung des resonanzraums, 31.10.2014. Doch wie können wir als Kulturschaffende dazu beitragen? Wie entstehen Resonanzräume? Das Ensemble Resonanz hat sich auf die Suche begeben: Neue Resonanzräume entstehen durch innovative Konzerte und Programme, neue Räume und durch Kommunikation! Einige Gedanken hierzu sollen im Folgenden vorgestellt werden. 17 Vgl, hierzu Ziegler, Gaedeke, Schreiber und Klein in Elisa Erkelenz, Markenbildung für Kulturorchester, Peter Lang, 2012. 18 Hartmut Rosa, Rasender Stillstand. Die Beschleunigung der Gesellschaft, http://www.swr.de/ -/id=10177642/ property=download/ nid=660374/1ijym09/ swr2-wissen-20120923. pdf, Stand: 20.09.2015. 101 3. Räume für Resonanz Resonanzerfahrungen im Konzert-Kontext sind subjektiv, fluide und hängen von verschiedenen persönlichen Faktoren ab. Dennoch stößt man bei der Suche nach Elementen, die Resonanzräume vergrößern und solchen, die Entfremdungs-Erfahrungen vermehren, auf verschiedene Punkte des künstlerischen Prozesses, die aus kulturmanagerialer Perspektive für eine resonanzreiche Kommunikation interessant sind: von der Glaubwürdigkeit der künstlerischen Identität über den Faktor „Zeit“, das Prinzip der Neugier und Fragen der Körperlichkeit, Räumlichkeit und des Designs. 3.1. Die künstlerische Identität Ein wichtiger Punkt auf dieser Reise ist die längst zum Unwort erklärte „Authentizität“. Diese wiederum fußt im Bereich Musik auf einer klaren und ehrlichen künstlerischen Identität, die sich selbst treu bleibt und im festen Glauben an das eigene „Kernprodukt“ steht. Jede künstlerische Entscheidung, jede Suche nach der passenden Präsentationsform der Musik, jede kommunikative Strategie ist abhängig von dieser Essenz. Je klarer diese gefasst ist, desto stärker die Glaubwürdigkeit, Stringenz – und Resonanz der Kommunikation. »Je mehr wir darüber nachdenken, wer wir sind und was wir wollen, desto weniger müssen wir uns verbiegen«, fasste es ein 102 Musiker des Ensemble Resonanz zusammen. Und trifft einen wichtigen Punkt: Das Wissen um die eigene Identität und Wirksamkeit kann nicht nur wertvolle Rückschlüsse für die Kommunikation bieten, sondern auch das eigene Selbstverständnis stärken und im zweiten Schritt zu einer neuen künstlerischen Freiheit führen. Denn statt auf anbiedernde Formate, Oberflächlichkeiten und grelle Plakate zu setzen, aus Angst, nicht gut anzukommen, wird die Resonanz dort entstehen, wo eine starke und autonome Kunst hinter allen Entscheidungen steckt. 3.2. Die Zeit Ein ernst zu nehmender Faktor für diese Entwicklung ist die Zeit. „Wenn wir die Struktur und Qualität unseres Lebens untersuchen wollen, sollten wir uns seinen Zeitstrukturen zuwenden“ 19, lautet eine Haupt-These Hartmut Rosas. Der von ihm formulierte Beschleunigungsprozess modernen Lebens mit seinen systematischen Imperativen und Entfremdungs-Folgen ist durchaus auch im Bereich der Musikkultur wiederzufinden; ob in der professionellen musikalischen Ausbildung, die oft keinen Blick nach rechts und links erlaubt, oder im Vermarktungseifer mancher Veranstalter, die Musiker nach dem Prinzip des Starmarktes über musikferne Markenzeichen profitorientiert aufbauen. Langfristig schneidet diese Strategie der Klassik-Branche ins eigene Fleisch. „Wettbewerb ist zu einem Grundprinzip des Klassikbetriebes geworden. Das ist doch seltsam, denn eigentlich hat Musik mit Wettbewerb rein gar nichts zu tun“ 20, wundert 19 Hartmut Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, Suhrkamp, 2013, S. 8. 20 Ulrich Haider, Probespiele II, https://van.creatavist. com/probespiele-haider, Stand: 25.09.2015. 103 sich Ulrich Haider, stellvertretender Solo-Hornist bei den Münchner Philharmonikern. „Da wir Musiker uns aber mitten im Räderwerk des Klassikbetriebes befinden, können wir seinen Mechanismus nicht umbauen.“ Kunst selbst“. Für die Musiker des Ensembles wirkt das Prinzip Demokratie in viele Richtungen, die untrennbar mit dem Prinzip der Resonanz zusammenhängen. Die dynamische und manchmal auch entschleunigte Zeitlichkeit der Entwicklung ist eine weniger beachtete und doch elementare Facette. Fest steht: Die die Klassik-Branche bestimmenden, auch zeitbezogenen und zum Teil erstarrten Normen zu durchbrechen, erfordert Mut. Wer sich von Hypes und Trends weitgehend unabhängig macht, verpasst möglicherweise die eine oder andere schnelle Aufschwungskurve. Das Ergebnis einer in gewisser Weise beharrlich an der eigenen Vision festhaltenden, gereiften Positionierung ist jedoch eine starke künstlerische Persönlichkeit, die von Publikum wie Entscheidern als „nicht austauschbar“ wahrgenommen wird. „Identität durch Alterität“ ist ein Topos, der in der Lust zur Unterscheidung und dem Mut zur eigenen Position auch für die Resonanz seine Wirkung entfaltet. Als freies und demokratisches Orchester ist es das Ensemble Resonanz gewohnt, Entscheidungsprozesse intensiv zu diskutieren. Über die Jahre hat sich unter den Musikern eine Prozessund Diskussionskultur entwickelt, die von Arbeitsgruppen über Versammlungen manchmal nicht sehr schnell erscheinen mag – und sich doch im direkten künstlerischen Sinne erfüllt. „Die unternehmerische Struktur des Ensembles ermöglicht so nicht nur die Kunst, sie wirkt in sie hinein“ 21, formuliert es Christian Holst und fordert: „Die Kultur braucht mehr davon. Nicht nur im Sinne wirtschaftlicher Stabilität, sondern vor allem im Sinne der 104 3.3. Das Prinzip Neugier Ein weiteres Prinzip der Resonanz widerspricht den gängigen Verkaufsstrategien: Dem Verkauf klassischer Konzerte durch das als sicher geltende Rezept der Bekanntheit von Werken wie Künstlern steht die Resonanz als das Moment des Überraschenden in der Musik gegenüber: Ihre Stimme ist die der Kunst-Rezeption immanente Neugier. 21 Christian Holst, Im Sinne der Kunst: Mehr Unternehmertum!, https://van.creatavist. com/unternehmertum, Stand: 26.09.2015. In der ZEIT forderte Volker Hagedorn kürzlich unter dem Titel „Immer nur Mahler, Mozart, Brahms“ eine Debatte über neue Impulse in der Werkauswahl. „Orchester spielen immer dasselbe, lähmende Spielpläne enthalten uns viele Genies“, lautet eine These, die sich mit den Zahlen einer aktuellen Studie zum Thema Konzertprogramme von bachtrack 22 deckt. Doch wie sicher und zukunftsorientiert ist diese Programmatik der Affirmation? Bergen unerhörte Werke wirklich ein Marketing-Risiko – oder sind sie nicht vielmehr Futter für die Neugier des Publikums und die Lebendigkeit unseres Konzertwesens? Natürlich wünscht sich das Publikum im ersten Moment das Bekannte. Das klassische Verhältnis von Angebot und Nachfrage existiert im Bereich 22 http://bachtrack.com/ de_DE/classical-musicstatistics-2014, Stand: 02.09.2015. 105 der Kunst nicht im direkten Sinne: Die Nachfrage muss erst geschaffen werden. Schlimmer noch: Im ersten Moment existiert eine natürliche Angst vor dem Unbekannten. Und doch gehört das Überraschende, das „Unerhörte“ zu den schönsten Beutestücken, die uns die Musik zu bringen vermag. Hans Zender beschreibt es wie folgt: „Nietzsche hat etwa gesagt: Das Verhältnis von Altem zu Neuem ist immer so, dass das Neue das Alte destruiert. Es gibt nur eine Möglichkeit, dies zu vermeiden und das ist ein „furchtloses Schweben“ über dem Abgrund der Geschichte. Dieses Schweben zwischen den uns vertrauten Stilen ist ein eigener Reiz, der nicht nur beim Komponisten, sondern auch beim Hörer neue Erfahrungen auslösen kann.“ 23 Das Ensemble Resonanz bedient sich diesen Prinzips seit seiner Gründung und stellt in seiner Reihe „Resonanzen“ alte und neue Werke in unerhörten Kombinationen gegenüber: Carl Philipp Emanuel Bach trifft auf finnischen Blues von Eero Hämeenniemi, John Cages buddhistisch inspierierte Ryoanji auf Bachs Magnificat oder Haydns „Sieben letzte Worte für den Erlöser am Kreuze“ auf Wolfgang Herrndorfs „Arbeit und Struktur“. Dabei geht es nicht darum, im Publikum nur Wissende zu erreichen, die jeden Komponisten in seiner Zeit einordnen können oder darum, die Rezeption des Neuen durch das Bekannte zu erleichtern. „Das Hören von vertrauten, möglicherweise sogar superbekannten und schlimmstenfalls durch Werbung- und Telefonklingelkarrieren eigentlich schon gar nicht mehr autonom 106 als Kunst erfahrbaren alten Kompositionen kann durch das Knüpfen von zeitgenössischen Bezügen im Programm wieder aufregend und lebendig werden“, so Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensembles. Die Resonanz entsteht in unerwarteten Wendungen, die uns in ihrer Tiefe erfassen, in sinnlich-ästhetischen Erkenntnissen, die unser Bewusstsein erweitern – und vielleicht auch im Dialog des Programms, der sich auf der Bühne entfaltet. 3.4. Körperlichkeit 23 Hans Zender, 33 Veränderungen über 33 Veränderungen. Eine „komponierte Interpretation“ von Beethovens DiabelliVariationen, Breitkopf, 2011. Bei der Frage wie sich Kompositionen in Resonanzwellen verwandeln, spielt mit Blick auf die Interpretation auch der Faktor der Körperlichkeit eine wichtige Rolle. Die Materialität der Musik ist transitorisch: So lohnt es sich, den Blick auf den performativen Aspekt der Musik zu richten. Erika Fischer Lichte formuliert es in ihrer Ästhetik des Performativen wie folgt: „Für Aufführungen gilt, dass der ‚produzierende’ Künstler nicht von seinem Material abgelöst werden kann. Er bringt sein‚ Werk’ (…) in und mit einem höchst eigenartigen, ja eigenwilligen Material hervor: mit seinem Körper oder, wie Helmuth Plessner es ausgedrückt hat, ‚im Material der eigenen Existenz.“ 24 So selbstver- ständlich dies klingt, sind im heutigen klassischen Konzertwesen die Folgen der Entwicklung einer „Entkörperlichung“ der abendländischen Kunstmusik deutlich spürbar. 25 Für die Resonanz ist dies verheerend: Sie entsteht dort, wo die Musiker als Individuen mit ihrer klanglichen und körperlichen Präsenz und Existenz mit dem Publikum in Dialog treten. 24 Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen, Suhrkamp, 2004, S. 129. 25 Vgl. hierzu Kurt Blaukopf, Was ist Musiksoziologie?, Peter Lang, 2010, S. 125. 107 Hier geht es nicht um übersteigerte Darbietungen – sondern um eine innere wie äußere körperliche Authentizität, eine angstfreie Performance in künstlerischer Freiheit. Diese Grundsatzfrage der Körperlichkeit ist komplex und setzt bereits bei der musikalischen Ausbildung an. Im Sinne der Resonanz jedoch sollte ihre Behandlung im künstlerischen Alltag ihren selbstverständlichen Platz erlangen. Auf der anderen Seite ist auch die Rezeption auf Seiten des Publikums ein körperlicher Prozess, dem die klassische Konzertsituation nicht immer gerecht wird. „Ob ich sitze, stehe, liege oder mich bewegen kann, hat einen entscheidenden Einfluss auf das Hörerlebnis“, so Steven Walter vom Podium Festival Esslingen, bei dem seit Jahren neue Konzertformen im Sinne der Musik ausprobiert werden. Den Weisen aus Athen folgt das Klangforum Wien mit seinen „Symposia“, die acht Stunden aktuelle Musik in geruhsamer Berauschung bieten: „Pölster, Futons und bequeme Sitzgelegenheiten bilden eine Installation, die von den Gästen während der Konzerte nach Belieben bewohnt wird. In längeren Pausen werden Speisen und Weine gereicht. Im Lauf einer langen Nacht treten sehr allmählich verschiedene Stadien der Berauschung ein. Ein Wandel zwischen apollinischer und dionysischer Welt, deren Grenzen im Lauf der Nacht verschwimmen und verschwinden.“ 26 108 3.4. Räumlichkeit Bei der Suche nach Resonanzmomenten zwischen Publikum und Bühne spielt neben der Programmatik und der Spielweise das Raumerleben eine wichtige Rolle. Ohne dem klassischen Konzertsaal des 19. Jahrhunderts seine Bedeutung abzusprechen, ist die dramaturgisch durchdachte Eroberung neuer Konzerträume für die Entstehung von Resonanzmomenten klassischer Musik elementar. 26 Klangforum Wien, http://www.klangforum.at/ projekt-detail/symposion-e in-rausch-in-achtabteilungen.html, Stand: 27.09.2015. Dabei tangiert die Frage nach dem Raum verschiedene Bereiche der Resonanz. Die auditive Wahrnehmung, also die zentrale Frage der Akustik, steht im Sinne der Musik an erster Stelle. So klingen manche auf elektronische Musik ausgerichtete Clubs, in die klassische Musik nun neuerdings mit Vorliebe exportiert wird, oft so schlecht, dass sie das Hörerlebnis einschränken und – pathetischer gesagt – der Musik ihre Würde nehmen. Im Sinne der Resonanz sollte eine gute Akustik den minimalen Faktor einer neuen Aufführungskultur stellen. Auch visuelle Fragen der Raumgestaltung wie der Einsatz von Licht, Dunkelheit und Bühnenbild können unsere Wahrnehmung und Rezeption dergestalt prägen, dass wir die Musik anders erleben; so sollten sie dramaturgisch im Sinne eines Gesamtkunstwerks durchdacht werden. Folkert Uhde widmet sich diesen Themen unter dem Stichwort „Konzertdesign“: „Es geht ausschließlich darum, die Wirkung der Musik so intensiv wie möglich erfahrbar zu machen. 109 Dafür muss man Konzentration erzeugen, Assoziationsräume öffnen, die Musik in Beziehung zu unterschiedlichen Kontexten setzen. Was schon die Baumeister mittelalterlicher Kathedralen wussten, ist uns im Konzertsaal verloren gegangen: Das Spiel zwischen Licht und Architektur, die eine ständig sich verändernde Aura erzeugt. In unseren Konzertsälen begnügen wir uns damit, die Bühne hell und das Auditorium etwas dunkler zu machen. Zwei Stunden lang.“ 27 Letztlich tangiert die Frage nach dem Raum natürlich auch soziale Hemmschwellen der Publikumsdurchmischung: Wen erreiche ich an welchem Ort und wie wohl fühlt sich mein Publikum hier? – oder die Frage des Austauschs: Herrscht eine Aura der Nähe, die mich die Musik in direkter Resonanz wahrnehmen lässt und habe ich die Möglichkeit zum Austausch mit den Künstlern und anderen Gästen? All diese Fragen haben das Ensemble Resonanz 2014 dazu bewegt, die Suche nach einem neuen Proberaum mit dem Bau eines neuen Konzertsaals zu verbinden, der nicht nur gut klingt und in der Lichtgestaltung flexibel ist, sondern auch soziale Hemmschwellen abbaut, nah und offen ist. Nach Jahren der Suche ist mit dem resonanzraum im Hochbunker St. Pauli ein Konzertsaal entstanden, der mit flexiblen Raumelementen wie drehbaren Eisentoren die Raumstimmung wie die Akustik regulieren kann. Der Raum ist offen, es gibt diverse Kontaktmöglichkeiten zwischen Publikum und Musikern, die Bar ist mitten im Saal 110 und doch übertrifft die Stille und Aufmerksamkeit regelmäßig die häufig Huster- und programmheftgerascheldurchsetzte Hörhaltung im Konzertsaal: Die Musik verschafft sich ihren Respekt von allein, ohne räumliche Barrieren. 27 Folkert Uhde, Die Zukunft des Konzertes, http://www.concerti.de/ de/2772/essay-folkertuhde.html, Stand: 25.09.2015. Was dabei auch passiert: Vom Klassik-Kenner zum Punk treffen schlichtweg Menschen mit offenen Ohren aufeinander, ohne elitäre Rituale der Abgrenzung. In dieser entspannten Rezeption kann die Musik in einem fluiden Zustand der Offenheit ganz für sich sprechen. 3.5. Teilhabe und Diskurs Ein weiterer Faktor der Resonanz ist die Kommunikation mit dem Publikum im direkten Sinne. Von der werbeüblichen One-Way-Information kommend sollten wir unser Publikum auch als Kommunikations- und Diskurspartner erst nehmen: Wenn ich einen Interpreten oder Komponisten kennen lerne, kann sich meine Rezeption verändern, ich höre das Konzert möglicherweise mit anderen Ohren. Das Ensemble Resonanz hat diese Erfahrung sowohl bei der jungen Konzertreihe urban string im resonanzraum, wo jedes Konzert von den Musikern selbst moderiert wird, gemacht, als auch innerhalb der Konzertreihe Resonanzen in der Laeiszhalle, die seit 2013 in ihrem Enstehungsprozess für das Publikum geöffnet wird. 111 In fünf so genannten Ankerangeboten hat das Publikum die Möglichkeit, sich einzubringen und hinter die Kulissen zu blicken – vom Dramaturgie-Gespräch mit Programm-Machern, Komponisten und Solisten beim Glas Rotwein (»Intro«) über Werkstätten und Einführungen mit ganzem Ensemble (»HörStunde«) bis zum experimentellen Format Offbeat, bei dem das Konzertthema in die Hände von künstlerischen Partnern gegeben wird und Hör-Experimente entstehen – vom Filmabend zum Thema Siebenbürgen über Yogakurse mit Bruckner, ClubKonzerte zu Philosophie-Lesungen. Die Öffnung des Prozesses wirkt sich nicht nur auf das Publikum aus, dessen Rezeption sich laut Angaben vieler Gäste spürbar verändert, sondern auch auf den künstlerischen Prozess als solchen. Der Bezug zu aktuellen Themen holt die Programme spürbar ins Hier und Jetzt. Wenn das Ensemble im Rahmen des »Ausflugs« das Konzertprogramm in einer Berufsschule, für Geflüchtete oder einem Wohnheim für Demenzkranke präsentiert, sammeln die Musiker Erfahrungen der Wirkung ihrer Kunst im echten Leben. Die Öffnung ist nicht rein sozialer Natur, sondern kann künstlerische Aspekte wie die Spielweise und Präsentation ebenso beeinflussen wie die Rezeption auf Seiten des Publikums. Das Konzert wird zu einem Raum des Diskurses. Über Blogs, Social Media oder Podcasts kann dieser Diskurs medial und digital fortgeführt werden – der Raum der Resonanz kann, sofern glaubwürdig und gut kommuniziert wird, um ein Vielfaches erweitert werden. Auch hier steht die klassische Musik noch am Anfang und kann von verschiedenen Bereichen der 112 Popularkultur lernen. Mit der neuen Sendung ByteFM Klassik hat das Ensemble Resonanz gemeinsam mit dem Internetradio ByteFM ein Konzept der Begegnung klassischer Musik und Popmusik entwickelt. In der Zusammenarbeit wird mehreres deutlich: Die Hörer von ByteFM lernen die klassische Musik ganz selbstverständlich als komplexe, gute Musik kennen – und das funktioniert ohne die verunsicherte Hipness marktschreierischen Crossovers. Und: die Entwicklung eines solchen Formats ist ein eigener künstlerischer Prozess. Unsere Kreativität darf – spätestens im Zeitalter der Digitalisierung – nicht beim Konzertprogramm aufhören. 3.6. Künstlerisches Design Neben der visuellen Ebene des Konzertes spielt auch die Ästhetik und das Design der begleitenden Gestaltungserzeugnisse für die Rezeption eine Rolle, auch wenn diese sicherlich indirekter zu bewerten ist. Wenn mich ein Plakat oder Programmheft auch ästhetisch erreicht, verbinde ich diese visuell-sinnliche Wahrnehmung mit dem künstlerischen Erlebnis. Darüber hinaus kann ich über lange Sicht eine Markenidentität aufbauen, die auch visuell die gleiche Sprache spricht wie meine künstlerische Idee. Im Bereich der elektronischen Musik funktioniert der Schulterschluss zum anspruchsvollen Design gerade in kleineren Szenen wie selbstverständlich: von der Covergestaltung bis zum Plakat. 113 Für die Gestaltung werden Künstler beauftragt, die dem Produkt ihre eigene visuelle Interpretation hinzufügen. Hier ist der klassischen Musik manchmal mehr Mut zur Kunst zu wünschen: Statt auf klassische Werbung zu setzen, die nach den bekannten psychologischen Prinzipien der Manipulation funktioniert, oder redundant den Star des Abends in den Fokus nimmt, sollte die Kommunikation im Sinne der Resonanz eine ästhetische, identitätsstiftende Sprache entwickeln, die die Augen und das Bewusstsein für das Unerwartete öffnen. 4. Fazit Schon bei dieser ersten Skizzierung möglicher Wege einer resonanzreichen Kommunikation ist klar geworden: Das „Mitschwingen eines Körpers mit einem anderen“ ist ein Prinzip, das die Kunst als solche betrifft – die Suche nach kommunikativen Räumen der Resonanz untrennbar mit vielen Faktoren und Fragen verbunden, die den gesamten künstlerischen Prozess beschäftigen. Sich auf diese Reise der Suche zu begeben, kann zu radikalen Veränderungen führen, die unsere Liebe erfordern - und unseren Mut. Durchsetzen werden sich im Zuge dieses Prozesses langfristig diejenigen Ideen, die des „Mitschwingens“ mächtig sind. Die Reibung erzeugen, verstören, uns im Tiefsten bewegen. 114 Statt die immer gleichen Programme zu präsentieren, sich als Bittsteller um Geld und Ressourcen zu empfinden, in Kommunikation und Gestaltung der Inhalte auf herkömmliche werbliche Strategien zu setzen und kritische Fragen zum Thema kulturelle Subvention mit stetem Pochen auf den nötigen Erhalt jeder Institution einfach wegzuschieben, könnte dieser Prozess des eigenen Hinterfragens im Sinne der Resonanz hin zu einer Stärkung der Vielfalt der Musikkultur führen. Über neue Nischen, die besetzt werden, neue Argumentationslinien, aber auch über eine veränderte Rezeption. Der wachsenden Entfremdung und Verstummung der Resonanzachsen kann eine „singende Welt“ entgegentreten, die die klassische Musik endlich dort ankommen lässt, wo sie hingehört: im echten Leben. ELISA ERKELENZ, MASTER OF ARTS ist Kulturmanagerin und freie Autorin, verantwortlich für Development und Kommunikation beim Ensemble Resonanz. 115 PROF. DR. FRIEDRICH LOOCK „WIR MÜSSEN REDEN!“ KOMMUNIKATION IST KULTUR Medienwissenschaftler haben herausgefunden, dass einer der am häufigsten in deutschen Filmen und Serien verwendeten Sätze mehr oder weniger sinngleich lautet: „Wir müssen reden!“ Dankenswerterweise gibt es solche Untersuchungen, denn über derart alltägliches oder für manche von uns wenig wichtig Erscheinendes würden wir uns vielleicht explizit keine Gedanken machen. Und doch schärft es unsere Sinne. Denn nunmehr macht man sich Gedanken, was wohl dahinter stecken und wie man mit dieser Erkenntnis umgehen mag. Weshalb soll oder will man reden? Eine szenische Sequenz dieser Art können wir uns leicht vorstellen, allzu vertraut erscheint sie uns. Wahrscheinlich aber denken wir dabei an ganz unterschiedliche Szenen, denn dieser Satz bzw. diese Aufforderung ist ausgesprochen vielseitig und vielfältig einsetzbar. Das erklärt auch den herausragenden Platz auf der Drehbuch-Hitliste. „Wir müssen reden!“: Dazu fordert beispielsweise eine Polizistin ihren Kollegen auf, während beide einen Tatort untersuchen. Oder es ist eine Szene mit zwei Menschen, deren Partnerschaft einige Abnutzungserscheinungen aufweist. Oder KollegInnen begegnen sich – zufällig oder beabsichtigt – im Betrieb bzw. im Büro und vereinbaren ein Treffen. Oder – eine beliebte Familien-Szene – Ältere fordern Jüngere zum Dialog auf, um 116 beispielsweise über Schulleistungen, Tischmanieren oder die Mitwirkung im Haushalt zu reden. Die drei Worte „Wir müssen reden!“ ergeben einen einfach konstruierten Satz. Zugleich ist diese Konstellation jedoch enorm komplex und ausgesprochen vieldeutig interpretierbar. Wollte man sämtliche Deutungsfacetten aufzeigen und analysieren – falls dies überhaupt gelingen kann –, dann ließen sich damit viele Regalmeter mit erkenntnisreichen Schriften füllen. Der einfach klingende Satz, die simpel erscheinende Aufforderung beabsichtigt aus dramaturgischer Sicht ein gesteigertes Interesse. Denn wenn wir im Film oder auf der Bühne die Aufforderung „Wir müssen reden!“ hören, dann erhöht sich bei uns die Spannung. Wir fragen uns, weshalb die Angesprochenen miteinander reden sollen und wollen? Die die Initiative ergreifende Person spürt offenbar den Wunsch nach Austausch. Unklar ist jedoch zunächst, ob die angesprochene Person dazu die erforderliche Bereitschaft zeigt bzw. Fähigkeit mitbringt. Und: Ist es ein Wunsch nach „Kommunikation“ oder eher nach „Information“; ist also ein aufeinander aufbauender Austausch von Einschätzungen beabsichtigt oder geht es vorrangig um die Weitergabe der eigenen Gedanken? Geht es um Weiterführendes oder um Abschließendes, um Wissensaufnahme oder Wissensvermittlung, um meinungsoffene Einbeziehung oder um Verfestigung einer Deutungshoheit, begleitet von Wohlwollen oder von Argwohn? 117 Jene Steigerung ist ein durchaus übliches und bewährtes Muster in der Dramaturgie eines Theaterstücks bzw. Films – manche von ihnen leben einzig von und mit der Frage: Weshalb sollten und wollten die Angesprochenen miteinander reden? Die Hoffnung auf Klärung dieser Frage hält die Zuschauer bzw. Zuhörer. Aus eigener Lebenserfahrung wissen wir, dass sich keineswegs alle Fragen beantworten, sobald der Austausch stattgefunden hat, dem jene Aufforderung voranging. Nicht selten ist anschließend die Ratlosigkeit sogar größer als zuvor. „Reden“ ist nicht gleich „Reden“ Das Verb „reden“ selbst offenbart bei näherer Betrachtung ein definitorisches Dilemma. In der allgemein anerkannten Lehrmeinung wird „reden“ mit „sprechen“ gleichgesetzt. „Sprechen“ wird dabei verstanden als der vorwiegend auf zwischenmenschliche Interaktion ausgerichtete Gebrauch der menschlichen Stimme, zu der man Sprachlaute erzeugt. Die Bedeutung des Wortes wird auch auf andere Kommunikationsformen ausgeweitet, z. B. mit den Händen in einer Gebärdensprache, mit Gesichtsmuskeln, durch Bilder und Schrift. Die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Erforschung des Sprechens bzw. der Sprache beschäftigt, ist die Sprech- bzw. Sprachwissenschaft. Eine „Redewissenschaft“ gibt es nicht. Friedemann Schulz von Thun gilt als einer der führenden sprechund sprachwissenschaftlichen Denker. Auch wenn der Psychologe 118 und Kommunikationsforscher sein „Vier-Seiten-Modell“ bereits vor vielen Jahrzehnten erstellt hat, so hat es bis heute an Relevanz kaum eingebüßt. Danach waren und sind Informationsübermittlung, Selbstoffenbarung, Appell und Beziehungsveränderung die vier wichtigsten Aspekte der sprachlichen Kommunikation. Paul Watzlawick, seines Zeichens Psychotherapeut, Soziologe und Philosoph, hat für die Kommunikationswissenschaft ebenfalls Wegweisendes geschaffen. Er unterscheidet ergänzend zu Schulz von Thun zwischen verbaler und non-verbaler Kommunikation. Ihm zufolge kann man „nicht nicht kommunizieren“. Einer besonderen Aufforderung wie „Wir müssen reden!“ bedarf es demnach eigentlich gar nicht, da man immer und jederzeit „spricht“. Dass sich mit dem Phänomen des „Sprechens“ zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen befassen, dokumentiert dessen umfassende Bedeutung für das Miteinander von Menschen und die Vielschichtigkeit der Analyse. Ob Linguisten oder Psychologen, Neurologen oder Kulturwissenschaftler – sie alle widmen sich dem bewussten Formungs- und Mitteilungswillen des Sprechenden, der Voraussetzung für ein sinn- und bedeutungsvolles Sprechen. Denn: Das Sprechen ist ein höchst komplexer Vorgang, da der ganze Mensch am Sprechen beteiligt ist. „Meine innere Stimme (aber) sagt mir, …“ - inneres Sprechen ist dabei eine lautlose Form des Sprechens. Von ihr wird angenommen, dass sie der Steuerung von Aufmerksamkeit dient. 119 Es gibt verschiedene Definitionen und Konzeptionen des inneren Sprechens. Deren Hauptgedanke ist, dass sich inneres Sprechen aus dem äußeren, sozialen Sprechen entwickelt und dabei Form und Funktion gegenüber dem äußeren Sprechen verändert: Es wird lautlos, es dient nicht (mehr) der Kommunikation mit anderen Menschen. Was hat es auf sich mit dem inneren Sprechen? Es handelt sich um ein allseits bekanntes Phänomen. Wissenschaftlich lässt es sich jedoch nur schwer fassen, da es empirisch nur vermittelt untersuchbar ist. Trotz oder gerade wegen dieser Schwierigkeit begibt sich das vorliegende Buch auf die Suche nach Indizien zum inneren Sprechen. Die Erforschung des inneren Sprechens gehört zu den zentralen Themen einer kulturhistorisch fundierten Psycholinguistik. Nach einer umfassenden Recherche theoretischer Ansätze, wird eine empirische Studie dargelegt, die sich dem inneren Sprechen experimentell annähert. Psycholinguistik wird dabei als Grenz- und Übergangsfeld zwischen Psychologie und Linguistik aufgefasst, so dass die grundsätzliche Aufgabe der Psycholinguistik darin besteht, die Dualität von Sprache und Sprechen im Spannungsfeld von Linguistik (Sprachbeschreibung) und Psychologie (Sprachgebrauch) zu fassen. Diese Dualität wird von der Studie gespiegelt, wenn es beim inneren Sprechen darum geht, Aspekte der Struktur mit Aspekten der Funktion in Zusammenhang zu bringen. Ergebnis dieser psycholinguistischen Untersuchung ist eine umfassende Darstellung, Reflexion und Erweiterung bisher bestehender Konzeptionen des inneren Sprechens. 1 120 Logische und empirische Fehler führen dazu, dass neue Erfahrungen so interpretiert werden, wie sie den Grundannahmen entsprechen. Korrigierende Erfahrungen bleiben somit aus, die Folge ist eine kognitive Verzerrung – ein Phänomen, das in der Psychologie ebenso verankert ist wie in den Sozialwissenschaften, wenn es um die Bestimmung von Auslösern bzw. Auswirkungen sozialen Denkens und Handelns geht. 2 „Reden“ oder „sprechen“ ist hierbei vielfältig deutbar, so z.B. 1 Anke Werani: Inneres Sprechen. Ergebnisse einer Indiziensuche. Lehmanns Media, Berlin 2011. (1) in Worten äußern, (2) Zeichen geben, (3) einen Vortrag halten, (4) ein Gespräch führen, (5) Gedanken in einer zusammenhängenden Rede äußern, (6) durch Reden in einen bestimmten körperlichen und/oder geistigen Zustand versetzen, (7) gepflegt Konversation betreiben oder „quatschen“, (8) einen eher belanglosen Schwatz halten oder etwas bewusst zum Ausdruck bringen. 2 Helmut Martinetz – Die klingende Visitenkarte, das was ich spreche bin ich… Grundgesetze des Sprechens. Münster / London 2005 121 Auch die Rede-Dimensionen sind vielschichtig, so z.B.: (1) ermahnend („Erst nachdenken, dann reden!“), (2) bewertend („Er redet nur Unsinn.“), (3) abgrenzend („Lass die Leute reden.“), (4) herabsetzend („Es wird viel geredet.“), (5) ausgrenzend („Der hat gut reden.“), (6) beschwerend („Sie lässt mich nicht zu Ende reden.“), (7) resignierend („Mit ihm kann ich nicht reden.“), (8) rätselnd („Was redest Du denn da?“), (9) stigmatisierend („Sie ist ja schon unmöglich, nicht zu reden von ihrem Mann.“), (10) beendend („Reden wir nicht mehr darüber!“). 122 Von gesprächsausgerichteten Austauschen unterscheiden sich Reden durch: (1) Reden sind häufig schriftlich verfasst und werden abgelesen. Geübte Redner ziehen jedoch den freien Vortrag vor; auch dann, wenn Redner extemporieren („aus dem Stegreif“ sprechen), versuchen sie ihre Worte dem Niveau der geschriebenen Sprache anzugleichen. (2) Reden zeichnen sich dadurch aus, dass sie stets „zur Sache“ sind. Weitschweifigkeit führt dazu, dass das Publikum ungeduldig wird. Eine gute Rede ist so kurz wie möglich. (3) Die Zuhörer unterbrechen den Redner nicht durch längere eigene Mitteilungen, sondern höchstens durch Beifalls- oder Missfallenskundgebungen. Zwischenfragen und Zwischenrufe sind bei Redebeiträgen zu Debatten statthaft, aber eher nicht bei Reden in festlichem Rahmen. (4) Redner sprechen Prosa. Versreden eignen sich eher zu Anlässen wie Feiern und zu Büttenreden. 3 3 Ziegler, Katharina: Mediennutzung der Generation 50+, Dissertation am Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg, S. 113 ff. 123 Kultur ist Kommunikation ... … Kommunikation ist Kultur Künstler reden eher selten selbst über ihre Werke, häufiger überlassen sie dies anderen Interpretatoren. Gleichwohl ist ihr Wunsch nach Kommunikation groß, er ist vielfach sogar der zentrale Antrieb für ihr Tun. „Wir müssen reden!“ könnte man somit auch durchaus als eine Einladung zur Rezeption ihrer künstlerischer Leistungen ansehen. Sich mit anderen über musikalische, bildnerische oder poetische Botschaften auszutauschen, das erscheint vielen Kultur- und Kunstinteressierten mindestens ebenso reizvoll wie das unmittelbare Kunsterlebnis. Wer mit wem wann und wie kommuniziert, ist zugleich eine Kulturfrage. Entsprechende Regeln bestimmen unseren Alltag, und nahezu jeder Tag bringt neue Erfahrungen. Neue Erfahrungen sind nicht selten auch neue Herausforderungen. Dies erfahren wir beispielsweise aktuell darin, dass – bedingt durch den enormen Zustrom an Menschen aus anderen Regionen – unser bestehender Kulturkreis auf einen anderen, uns eher unbekannten Kulturkreis trifft. Doch auch bei Künstlern und dem Austausch über ihr Tun fragt man sich: Weshalb und worüber sollen und wollen wir reden? Bei dem artikulierten Wunsch nach Austausch weiß man oft nicht, ob der Austausch auf „Augenhöhe“ – also auf ähnlicher Basis hinsichtlich Intellekt und (Vor)Wissen – stattfinden kann oder die Initiativperson im Vergleich zum Gegenüber höher- bzw. niederstehend agiert. Insbesondere bei einem Austausch über Kunst und Kultur zeigt sich häufig erst mit zunehmender Intensität des Austausches, wo die Beteiligten stehen, was sie beabsichtigen und worum es ihnen (tatsächlich) geht – um einen Austausch über Weiterführendes oder über Abschließendes, zur Wissensaufnahme oder zur Wissensvermittlung, um meinungsoffene Einbeziehung oder um Verfestigung einer Deutungshoheit. 124 Die aktuell europaweit spürbare Dimension an Integrationsbedarfen von geflüchteten Menschen gibt dem Satz „Wir müssen reden!“ eine vollkommen neue Dimension. Es geht nicht mehr um den einen, den unmittelbaren Austausch. Es geht vielmehr um ein ständiges Bewusstsein, zumal die „Kultur des MiteinanderRedens“ hierzulande eine vollkommen andere ist als die in den Ursprungsländern dieser Menschen. „Wir müssen reden!“ ist anerkanntermaßen eine zentrale Bedingung zur Einbeziehung und verbindlichen Integration von Menschen. Dazu aber müssen sich die Beteiligten nicht nur sprachlich verstehen, sondern auch kulturell annähern. Um diese große Herausforderung zu meistern, helfen nicht nur neuere Erkenntnisse. Die gesellschaftlichen und sprachgebundenen Phänomene lassen sich auch mit lang bewährten Modellen erklären und bewältigen. 125 Die Ansätze von Watzlawik und Schulz von Thun stehen hierfür stellvertretend: Auch traditionsreiche Ansätze können dazu dienen, der Aufforderung zum Austausch angemessen zu folgen. „Wir müssen reden!“ im Sinne von „Wir müssen kommunizieren!“ ist ein unverzichtbarer Beitrag zu einer perspektivreichen Integration und nicht weniger als ein zentraler Baustein zur kulturellen Sicherung. PROF. DR. FRIEDRICH LOOCK ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung EmMi Luebeskind, Berlin und war bis September 2015 Direktor des Instituts KMM. 126 127 CHRISTIAN KELLERSMANN, MAGISTER ARTIUM DIE SUCHE NACH DEM „RICHTIGEN“ EVENT EVENT HEISST DAS ZAUBERWORT FÜR JEDEN sich zu gewinnen. Eine beeindruckende Marketingaktion. Aber mehr auch nicht. Die Inszenierung von Kultur an gewöhnlichen und ungewöhnlichen Orten. Mit dem Ziel, eine künstlerische Idee zu verkaufen oder auch nur, um „die Hütte voll zu kriegen“. Ich habe hierzu einige unterschiedliche Erfahrungen gemacht, von denen ich berichten möchte. Immerhin verbesserte sich meine Laune etwas, als wir uns die MoMa-Collection anschauten. Legendäre Exponate live. Doch auch hier fühlte ich mich wie auf einem Jahrmarkt. Das Geschiebe hörte nicht auf. Nur Popcorn oder Pommes fehlten. Nach zwei Stunden war ich endlich raus dem MoMa. Zurück im Großstadtdschungel Manhattans. VERANSTALTER UND MARKETINGPROFI. Im letzten Frühjahr besuchte ich das MoMa – das Museum of Modern Art – in New York. Ich war bereits vor der Anreise ordentlich ‚angehypt’, da die hiesigen Feuilletons die gerade laufende Ausstellung der isländischen Künstlerin Björk feierten. Im MoMa angekommen, standen wir lange in der Schlange, um ein Ticket zu bekommen. Nach über einer Stunde waren wir endlich drin im Museum. Ich fühlte mich wie in einem Shopping-Center an einem verkaufsoffenen Samstag vor Weihnachten: Gedrängel, Gewusel, Geschiebe, lautes Gerede. Waren die Besucher alle wegen der Björk-Ausstellung gekommen? Mir kam es zumindest so vor, denn erneut mussten wir anstehen, um in die Björk-Sonderausstellung zu gelangen. Nach weiteren endlosen Minuten hatten wir dann auch diese Etappe erreicht. Dann ging es schnell voran: es gab nicht viel zu sehen. Zu jedem Björk-Album wurden die Kostüme und ein paar Requisiten gezeigt. Im Kinosaal wurden alle Videos vorgeführt, die meisten kannte ich bereits. Wieder einmal hatte Björk es geschafft, eine namhafte Institution für 128 Kurz danach traf ich Herrn Stilcken und erzählte ihm von meinem enttäuschenden MoMa-Besuch. Er kam jedoch sofort ins Schwärmen, wie einflussreich und großartig doch das MoMa sei. Natürlich hat er recht: die Sammlung ist unvergleichbar. Und manchmal braucht es auch die großen Namen, die Stars, die unabhängig von ihrer inhaltlichen Qualität die Türöffner für eine neue Welt sind. In diesem Fall war es Björk, die vermutlich dafür sorgte, dass viele Menschen erstmalig in das Museum gingen. Ich dachte aber auch an das „Inhotim“-Museum im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais. 60 Kilometer von Belo Horizonte entfernt (wo Brasilien 7:1 gegen Deutschland verloren hat). Im Nirgendwo. Das Open-Air Museum wurde 2004 eröffnet. Auf 35 Hektar Land wurde nach den Skizzen des Landschaftsarchitekten Roberto Burle Marx ein tropischer Park entworfen. Über 20 Pavillons, die ständige und wechselnde zeitgenössische Ausstellungen präsentieren, wurden darin errichtet. 129 Viele Arbeiten beschäftigten sich mit dem Alltag Brasiliens: Kriminalität, Armut, Leben in den Favelas, aber auch Musik, unterschiedlichste ethnische Einflüsse und Naturgewalten. Außeninstallationen und zahlreiche Skulpturen sind überall im Park verteilt. Man wandert von einem Pavillon zum nächsten. Ab und an begegnet man anderen Besuchern. Oder stößt auf eine Skulptur – inmitten des Parks mit den unterschiedlichsten Bäumen aus ganz Brasilien. Wenn man den Park wieder verlässt und das erste Städtchen erreicht, gibt es ein Deja-Vu-Erlebnis: das typische Brasilien – Chaos, Vielfalt, Durcheinander, Armut, Existenzkampf. Ist das Kunst oder Realität? Alles befindet sich inmitten in einer atemberaubenden Landschaft. Wie dicht und vielfältig Natur, Kunst und Realität beieinanderliegen. Hand in Hand werden diese Gegensätze geradezu aufgelöst. Beeindruckend. In Hamburg begann ich vor fünfzehn Jahren ein Klassik-Event, das in dieser Stadt nicht funktionierten sollte: die Yellow Lounge. Ausgestattet mit einem Budget, dass von Universal Music zur Verfügung gestellt wurde, startete ich mit einigen Kollegen diese Veranstaltungsreihe, die klassische Musik an ein neues Publikum heranführen sollte. Die Idee: wir gehen dorthin, wo das Zielpublikum auch gerne hingeht – in Bars, Galerien und Clubs. Und nicht in die Oper. DJs legen klassische Musik auf. Dazu ein klassisches Live-Set. Da konnte man David Garrett noch kostenlos vor 50 Zuschauern sehen. Doch es war schwer, geeignete Locations oder Veranstalter in Hamburg zu gewinnen. Obwohl ein kleines Publikum es wohlwollend annahm. Aber mehr auch nicht. Knapp zwei Jahre versuchten wir, dieses Konzept in Hamburg zu etablieren. 130 Die Yellow Lounge wäre vermutlich eingeschlafen, wenn Universal nicht damals nach Berlin gezogen wäre. Dort machten wir einen Neustart. Wir fanden sofort einen coolen Club, der uns seine Location und seinen Verteiler zur Verfügung stellte. Gleich die erste Veranstaltung war nahezu ausverkauft vor dem Publikum, das sich jeder Intendant wünscht: jung, interessiert und neugierig. In den darauffolgenden Jahren öffneten alle Berliner Clubs die Türen für die Yellow Lounge. Am Wochenende noch überhitzte, exzessive Technoparties und am Montagabend Klassik! Nach einigen Jahren hatte es sich dann auch unter den Klassikfans herumgesprochen, dass die Yellow Lounge ein Event ist, wo man große Klassikstars für vier Euro aus nächster Nähe erleben kann. Es kamen jetzt vermehrt Musikstudenten und Konzerthaus-Abonnenten. Viele große Künstler nahmen die Gelegenheit wahr, auf der Yellow Lounge zu spielen, um entweder ihr neues Album zu promoten oder um sich ein jugendlicheres Image zu geben. Oder auch beides. Zuletzt ergriff Anne-Sophie Mutter die Gelegenheit, in einem Berliner Club aufzutreten: Ihr Konzert wurde von ZDF/Arte aufgezeichnet und von Universal Music als CD und DVD veröffentlicht. Das Repertoire: Vivaldi, Brahms und John Williams. Von Berlin aus wird die Yellow Lounge-Idee nun international vermarktet und findet in diversen internationalen Metropolen statt. Rückblickend bleibt für mich die Erkenntnis: ein Event braucht das richtige „setting“. Die gleiche Idee kann in der einen Stadt funktionieren, in der anderen nicht. 131 Außerdem birgt ein inhaltlich entworfenes Event die Gefahr oder auch die Chance – je nach Blickwinkel – sich zu einem Marketingtool zu entwickeln. Aus meiner Sicht hätte man zuletzt den Marken „Yellow Lounge“ und Anne-Sophie Mutter einen größeren Gefallen getan, wenn man zumindest im Repertoire ein paar Überraschungen bereitgehalten hätte. Sonst bleibt es „business as usual“ mit neuem Design. Doch es gibt Veranstaltungen, die nur in Hamburg funktionieren können: wie etwa das ELBJAZZ-Festival. Die Organisatoren dieser Veranstaltung haben in nur fünf Jahren einen Event aufgezogen, die dem vielfältigen Musikstil Jazz eine neue Fläche, eine neue Relevanz gegeben haben. Dabei ist Jazz eigentlich mittlerweile Nischenmusik. Er wird medial nur noch von den Spartensendern im Funk berücksichtigt und vielleicht noch nach Mitternacht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt. Äußerst clever nun haben die Initiatoren beim ELBJAZZFestival ein Programm-Mix erfunden, der innovative Jazzmusiker mit Popkünstlern mischt, die jazzbeeinflusst sind. Schon die Anreise ist einmalig: auf der Barkasse hinschippern oder durch den alten Elbtunnel flanieren. Die Kulisse ist einmalig: zwischen Ozeandampfern, Containern und Kränen. Mittendrin ausgesuchte kleine Gourmetbuden. Fast-Food-De-Luxe. Ganze Familien besuchen die Veranstaltung. Es spielen ein paar Stars, die Zugpferde, die jeder kennt. Doch auch Musiker, die sonst vor maximal 100 Leuten in kleinen Clubs auftreten, bekommen die Möglichkeit, auf der großen Bühne vor mehreren tausend begeisterten Menschen zu spielen. 132 Eine win-win-Situation: Künstler und Publikum gehen glücklich nach Hause. Auch wenn in das ELBJAZZ in 2016 eine Pause einlegt, um dann im Jahr 2017 mit besserer finanzieller Unterstützung der Stadt Hamburg wieder zu starten – auf eine Einmaligkeit können die Veranstalter in den nächsten Jahren vielleicht verzichten: das Hamburger Schietwetter. Es bleibt zu hoffen, dass die Stadt und Einwohner dieses einzigartige Festival mit ihrer Präsenz unterstützen. Oder brauchen wir noch ein weiteres Musicaltheater? Ansonsten haben sich die musikalischen Großevents etabliert. Vor vier Jahren spielte die irische Band U2 im Berliner Olympiastadion. Ich gebe es gleich zu: ich war nie ein großer Fan dieser Band. Doch viele meiner Freunde schwören auf Bono und Co.. Deshalb freute ich mich über die Einladung in der Hoffnung, meine Meinung nach dem Konzert korrigieren zu müssen. Der technische Aufwand war enorm: auch hier Kräne und containerartige Bühnendekorationen. Nur leider wurde meine Hoffnung nicht erfüllt: es war eine HightechShow. Perfekt inszeniert. Musikalisch ohne Überraschung. Live oder Playback? Egal. Von der Tribüne aus sah ich mit an, wie sich 70.000 Menschen im gleichen Groove bewegten und mitsangen. Selten ging ich so deprimiert aus einem Konzert wie bei diesem. Am kommenden Morgen kam das Management meiner damaligen Firma zusammen. Mein Chef sagte: „Dafür lohnt es sich, im Musikbusiness zu arbeiten.“ Für ihn war es die richtige Inszenierung. 133 Mit meinen Kollegen von Edel:Kultur wollen wir in diesem Jahr die Idee, der klassischen Musik eine neue zeitgemäße Fläche zu geben, neu aufgreifen. Gemeinsam mit dem „Deutschen Kammerorchester“ werden wir an drei Konzertabenden unter dem Titel „Neue Meister“ die Musik von lebenden Komponisten zu Gehör bringen. Eingeweihte werden jetzt vielleicht einwenden: was soll daran neu sein? Es gibt doch schon „Donaueschingen“ und den „Siemens-Musikpreis“! Doch da werden viele junge, spannende Komponisten nicht berücksichtigt. Unter anderem weil in Deutschland oft noch das Missverständnis vorherrscht und durch Feuilleton, öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Intendanten aufrechterhalten wird, dass zeitgenössische Klassik kompliziert, schräg und anstrengend sein muss. Mittlerweile gibt es jedoch eine neue Generation von Komponisten, die anspruchsvolle, emotionale Musik schreiben und neue musikalische Einflüsse verarbeiten. Sie beschäftigen sich an den Schnittstellen zwischen Klassik, Elektronik, Pop und Filmmusik. Referenzen und Bezugspunkte zu allen Genres werden offengelegt – es entsteht eine neue Ära in der geschriebenen Musik. Wir sind am Beginn eines neuen Kapitels innerhalb der klassischen zeitgenössischen Musik. Das ist ein sehr spannender Moment. Ich hoffe, natürlich auch ein historischer, nachhaltiger. Der „Neue Meister“-Event lässt sich nicht aus eigenen Kräften temmen. Als Partner konnten wir die Volkswagen-Gruppe gewinnen. Sie stellen uns – neben finanzieller Unterstützung – ihre Ausstellungsräume an der Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden zur Verfügung. Ob das die „richtige“ Inszenierung sein 134 wird, werden wir spätestens Ende des Jahres wissen. Zumindest ist es ein neuer Inhalt, der mit diesem Event transportiert wird. Und wenn sich dieser neue Inhalt mit dem Publikum verbindet, dann ist aus meiner Sicht schon sehr viel gewonnen! Gerne hätte ich Ihnen nun abschließend auf den Weg gegeben: dieser Event ist richtig und jener Event ist falsch inszeniert worden. Doch ein derartiges Urteil möchte ich mir nicht anmaßen. Es sind eher persönliche Wünsche, die ich bei einem Event habe: eine innovative Idee, die inhaltliche Überraschung, die Zusammensetzung aus Elementen, die bislang nicht miteinander verknüpft wurden. CHRISTIAN KELLERSMANN, MAGISTER ARTIUM ist Director of Content and Creative bei Edel:Kultur (Edel AG Hamburg). 135 RUDOLF STILCKEN „Kultur kann nur erfolgreich sein, wenn sie in ihrer Kommunikation erfolgreich ist.“ 136 Der Hamburger P reis für Kultur-Kommunikation 2015 R U D O LF S T I LC K EN KATEGORIE 1 DIE AUSZEICHNUNG Der Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation 2015 Nach einer ersten Verleihung im Jahr 2013 wurden 2015 mit dem Hamburger Preis für Kultur-Kommunikation 2015 erneut kulturelle Unternehmungen, Kulturinstitutionen, und Projekte für innovative Kultur-Kommunikation in bzw. aus der Metropolregion Hamburg ausgezeichnet. Der Preis versteht sich als Mutmacher: Er zeichnet Leistungen aus, die anderen als Vorbild dienen können und trägt damit zum Selbstbewusstsein im Hinblick auf die Identität und Leistungsstärke der Metropolregion Hamburg bei. An der Konzeption und Umsetzung waren Studierende des Master-Studienganges Kultur- und Medienmanagement am Institut KMM beteiligt. Unter der Trägerschaft des Instituts für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg wurde der Preis in drei Kategorien ausgelobt: 138 KATEGORIE 1 KAMPAGNE (7.500 E) KATEGORIE 2 MARKE (7.500 E) KATEGORIE 3 JUNGE KOMMUNIKATION (3.000 E) Im Rahmen einer festlichen Preisverleihung wurden am 15.10.2015 die Sieger des Hamburger Preises für KulturKommunikation 2015 im resonanzraum St. Pauli von der Jury ausgezeichnet. Das Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg verband die Preisverleihung 2015 mit einer Impulsveranstaltung. 139 DER STIF TER über 20 Jahre in Führungspositionen der internationalen Agentur Benton & Bowles, danach im Vorstand der Rosenthal AG. 1986 machte er sich selbstständig, u.a. als Berater für Lufthansa, Siemens und Vorwerk. Rudolf Stilcken war Gründungsvorsitzender des deutschen Zweigs der internationalen Kinderhilfsorganisation PLAN, ist langjährig für die Elsbeth Weichmann Gesellschaft engagiert und war Mitglied des Kulturförderungsausschusses der Handelskammer Hamburg. Er ist Gesellschafter der Agentur Behnken/Jahr/Stilcken. Er lehrt seit 1995 Markenkommunikation am Institut KMM. Seit 2015 Mitglied des Beirats des Institut für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater, Hamburg. RUDOLF STILCKEN, geboren am 15.02.1925 in Hamburg 2002 wurde ihm für sein ehrenamtliches Engagement das Bundes- Kommunikation 2013 & 2015, Senator h.c. der Hochschule der Handelskammer Hamburg. Seit 2015 ist Rudolf Stilcken Ehren- ist Initiator und Stifter des Hamburger Preises für Kultur- für Musik und Theater und gehört der Jury des Preises an. Während seines Berufslebens war er vorwiegend für Unternehmens- und Marketing- kommunikation mit Schwerpunkten Markenentwicklung und Öffentlichkeitsarbeit tätig. Zu Beginn 1953 in der PR für Ludwig Erhard, in den 60iger Jahren verdienstkreuz am Bande verliehen. 2011 erhielt er die Ehrennadel mitglied des AKS Arbeitskreis für Kultursponsoring im Kulturkreis der Deutschen Wirtschaft im BDI e.V. Rudolf Stilcken ist mit Angelika Jahr-Stilcken verheiratet und hat drei erwachsene Kinder. als Vorsitzender der Gesellschaft Werbeagenturen (GWA), 140 141 DIE JURY PROF. DR. REINHARD FLENDER PROF. DR. FRIEDRICH LOOCK ist Direktor des Institutes für kulturelle ist Geschäftsführender Vorstand der Stiftung für Musik und Theater Hamburg und seit September 2015 Direktor des Instituts KMM. Innovationsforschung an der Hochschule Oktober 2015 Leiter des Instituts KMM. PROF. DR. ANDREAS HOFFMANN BARBARA MIROW ist Geschäftsführer des Bucerius Kunst Forum ist seit 2003 Programmchefin und Programmleiter Kunst und Kultur der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius. von NDR Kultur. CHRISTIAN KELLERSMANN, PROF. H.C. PETER SCHMIDT MAGISTER ARTIUM ist ein deutscher Designer und ist Director of Content and Creative bei Edel:Kultur (Edel AG Hamburg). 142 EmMi Luebeskind, Berlin und war bis Geschäftsführer des Ateliers peter schmidt, belliero & zandée. 143 DIE TEILNEHMER Bewerben konnten sich kulturelle Unternehmungen, Kulturinstitutionen und -Projekte in bzw. aus der Metropolregion Hamburg vom 01.05. - 07.07.2015. Die rund 50 Bewerbungen, davon 36 aus Hamburg und 14 aus der Metropolregion, kamen von Theatern, Museen, Orchestern und Galerien sowie aus dem soziokulturellen Sektor. KATEGORIE 1 KAMPAGNE Im Universum der Kampagne dreht sich alles um ein aktuelles Stück, Produkt oder Thema. Sie ist nur einen Augenblick da, um uns in ihren Bann zu ziehen und sollte doch über ihre Lebensdauer hinaus in unseren Köpfen verweilen. Eine innovative Kampagne lässt uns innehalten und nachdenken, vielleicht schockiert oder empört sie uns auch. In der ersten Kategorie wird eine Kampagne ausgezeichnet, die durch ihre Originalität heraussticht und dabei die Kultur-Marke nicht aus den Augen verliert. Alle Teilnehmer bewarben sich mit einer Beschreibung ihrer kommunikativen Arbeiten und machten durch Presseerzeugnisse und Belegexemplare auf ihre Arbeit aufmerksam. 144 145 KATEGORIE 1 KAMPAGNE PREISTRÄGER Laudator Prof. Dr. Andreas Hoffmann mit Dr. Jan Metzler, Kommunikation Hamburger Kunsthalle und Dr. Stefan Brandt, Geschäftsführer Hamburger Kunsthalle Die Kunsthalle Hamburg hat zur Überbrückung einer langen Umbauphase unkonventionelle Kommunikation von der Außendarstellung über die Programmgestaltung bis zur Förderkreisansprache eingesetzt. So wurde die Besucherzahl sogar gesteigert. 146 „Wir sind sehr glücklich über die Auszeichnung unserer Kampagne WEITER OFFEN, die wir zusammen mit der Agentur Heine/Lenz/Zizka entwickelt und umgesetzt haben. Gedacht war sie zuerst nur als Hinweis darauf, dass wir trotz der umfangreichen Modernisierung – aufgrund derer wir rund zwei Drittel des Museums temporär für die Besucher schließen mussten – weiter geöffnet bleiben. Die Kampagne hat dann aber eine enorme Eigendynamik entwickelt und wurde weit über Hamburg hinaus positiv aufgenommen. Der Claim WEITER OFFEN ist auf diese Weise zum Leitgedanken der neuen Hamburger Kunsthalle geworden. Wir wollen aber nicht dabei stehenbleiben, sondern uns in Zukunft noch mehr für unsere Besucher öffnen! Die Ideen dafür sind schon entwickelt; jetzt geht es an die Umsetzung. Als wir zur Preisverleihung gekommen sind, haben wir nicht mit einer Auszeichnung gerechnet. Umso größer war dann unsere Freude über den Preis. Ich sehe das auch als Bestätigung für das große Engagement der Mitarbeitenden, Förderer und Freunde der Kunsthalle, die gemeinsam unser Haus durch diese wirklich herausfordernden anderthalb Jahre der Modernisierung getragen haben.“ Dr. Stefan Brandt, Geschäftsführer Hamburger Kunsthalle 147 KATEGORIE 1 KAMPAGNE NOMINIERTE Nominierte der Kategorie KAMPAGNE Das Deutsche Schauspielhaus Hamburg hat sich in einer SaisonEröffnungskampagne mit dem populären „D“-Zeichen vorgestellt. Die neue Intendantin Karin Beier hat mit dem populären Zeichen das Profil gesetzt. Das programmatische „Markenzeichen“ stellt die Verbindung von Herkunft und Aktualität dar und hat sich damit dem Wettbewerb profiliert gestellt. 148 Die Hamburgische Staatsoper hat sich mit Broschüren im Triptychon erstmalig als Markeneinheit von Philharmonie, Oper und Ballett vorgestellt und damit eine Kampagne für mehr öffentliches Ansehen und die Gewinnung jüngeren Publikums eingeleitet, z.B. durch Opern-Übertragungen Open Air und die Einführungs-Konzerte des Hamburger Tons von Kent Nagano. Der regionale Verein ZuFlucht Wendland hat sich in einer Region der Metropolregion Hamburg mit besonderen Problemen der Lage mit einem historischen Profil dargestellt und dies mit einer eigenständigen Programmatik verbunden, die Kultur als soziale Herausforderung interpretiert. Es ist sehr zu wünschen, dass sich dieser kreative Ansatz bewährt und Wettbewerber findet. 149 KATEGORIE 2 MARKE KATEGORIE 2 MARKE PREISTRÄGER Prof. h.c. Peter Schmidt, Laudator und Tina Heine, Initiatorin ELBJAZZ Eine Marke ist etwas Vertrautes, etwas Einmaliges. Egal, wo sie erscheint, sie bleibt nicht unerkannt. Um eine wiedererkennbare Marke zu schaffen, braucht es Durchhaltevermögen und Kreativität in der Erschaffung von Kunst und Kommunikation über einen langen Zeitraum. Und auch den Glauben in das eigene Potenzial und das Projekt, für das sich die Arbeit lohnt. In der zweiten Kategorie wird eine Kultur-Marke ausgezeichnet, die Wiedererkennungswert besitzt und durch ihr Handwerk nach innen und außen überzeugt. Der Name ELBJAZZ ist als Markenzeichen konsequent umgesetzt. Weltweit gibt es kein vergleichbares Jazz-Festival. Insbesondere waren die Bühnen zum Teil beeindruckend umgesetzt. Die Hamburg-typische Marke trägt zur Identität der Metropolregion Hamburg bei und bewährt sich dabei auch gegen den schrumpfenden Massengeschmack für Jazz. 150 151 KATEGORIE 2 KATEGORIE 2 MARKE PREISTRÄGER „Als wir vor zwei Jahren nominiert wurden, war es eine große Ehre. Dass wir dieses Jahr den Preis gewonnen haben, ist eine tolle Anerkennung für unsere Arbeit. Es bestätigt uns in dem Glauben, dass beim Aufbau und der Vermittlung einer Kulturmarke die Form der Kommunikation so unendlich wichtig ist. Im Falle von ELBJAZZ geht es nicht nur darum, eine Bühne hinzustellen und gute Musik zu machen, sondern sich gleichzeitig und mindestens ebenso wertig darüber Gedanken zu machen, wie kommuniziere ich , wer ist mein Gegenüber, wie erreiche ich es und was sind die Erwartungshaltungen.“ MARKE NOMINIERTE Nominierte der Kategorie MARKE Tina Heine, Initiatorin ELBJAZZ Der Förderverein Grünes Forum Selbstverwaltung begibt sich mit seinem kreativen Ansatz und der Ziele auf ein eigenständiges Gebiet der Markenentwicklung mit der Figur „Jamel rockt den Förster“, sympathisch die Angesprochenen einbeziehend. Sie lädt das regionale Publikum ein mitzumachen. Erweitert damit die Begrifflichkeit von Kultur. 152 153 KATEGORIE 2 MARKE NOMINIERTE Der Markentauftritt der Musikhochschule Lübeck besticht durch klare, puristische Formgebung und definiert abgestimmte Farbgebung, die einen hohen authentischen Anspruch unterstreichen. Dem entspricht auch der konzeptionelle Ansatz der Marke. So zum Beispiel darin, dass das Lübeck bezogene Brahms Festival von Studierenden und Dozenten gemeinsam erarbeitet wird. KATEGORIE 3 JUNGE KOMMUNIKATION Aller Anfang ist schwer – besonders bei Kulturschaffenden. Junge Kommunikation muss überzeugen und Aufmerksamkeit, Zuschauer und Zuhörer gewinnen, dabei allerdings meist mit begrenzten materiellen und personellen Ressourcen auskommen. Gute Kommunikation von Anfang kann der Schlüssel für den Erfolg eines Kulturprojektes sein. In der dritten Kategorie wird eine Neugründung ausgezeichnet, die durch ihre Kommunikationsstrategie in etwa 3 Jahren herausragende positive Resonanz erreichen konnte. Die Buchhandlung Felix Jud verfolgt mit der konsequenten Nutzung des Gründernamens in der Außendarstellung, wie in der Kultur des Unternehmens einen Weg, der auch im digitalen Zeitalter, mit durch Antiquariat und Kunsthandel erweiterten Portfolio als Marke tragen wird. Veranstaltungen vor Ort mit regem Publikumsinteresse füllen die Marke mit Leben. Die deutschlandweite Kooperation mit Kollegen und eigenen literarischen Produkten fördert die Qualität der Marken-Entwicklung. 154 155 155 KATEGORIE 3 JUNGE KOMMUNIKATION PREISTRÄGER Preisstifter Rudolf Stilcken, Boris Matchin und Amadeus Templeton, Gründer und Leiter von TONALi „Dieser Preis ist ein toller Preis, weil junge Kommunikation genau das ist, was wir tun. Wir versuchen das Image klassischer Musik aufzupeppen. Wir versuchen die Jungend in einer Form ernst zunehmen, wie das im Bereich Klassischer Musik wahrscheinlich nicht so viele andere tun. Dadurch gelingt uns ein starker Aufbau eines involvierten, partizipierenden und teilhabenden Publikum. Bei uns kommt nichts auf die Bühne, was von der Jugend nicht in irgendeiner Form mitgestaltet, organisiert und verantwortet wird.“ Amadeus Templeton, Leiter TONALi TONALi ist ein Kultur-Vermittlungsprojekt, das aus einem Wettbewerb hervorgegangen ist. Die daraufhin eingeleitete Markenentwicklung richtet sich an die Zielgruppe Jugend für Klassik. Die Bewerbung überzeugt durch hochkarätiges Design, in konsequentem Einsatz für Reichweiten starke Veröffentlichungen. Drei abendfüllende Filme dienen zur Selbstdarstellung. 156 157 KATEGORIE 3 JUNGE KOMMUNIKATION NOMINIERTE Nominierte der Kategorie JUNGE KOMMUNIKATION Stiftung Kulturpalast Hip Hop Academy ist zu einem wichtigen Zentrum für Hip Hop in Deutschland geworden. Mit einem cool empfundenen Angebot für junge Talente von 13 - 25 Jahren. Markenführung passgenau mit Events in der Bildsprache und starker Präsenz in den sozialen Netzwerken. Hohe Bekanntheit und Akzeptanz in der Stadt und der Metropolregion Hamburg sind durch starke Markenführung erkennbar. Affordable Art Fair ist ein international bewährtes, populäres Kunstmessen-Projekt. Durch ein unkonventionell konzipiertes Angebot preislimitierter Künste der Gegenwart hat die Affordable Art Fair Hamburg vom Start weg starke Resonanz bei internationalen Galerien und lebhaft große Besucherzahlen erreicht. Verkäufer und Käufer waren nach den ersten zwei Messe-Wochenenden sehr angetan und zufrieden. 158 159 Prof. Dr. Friedrich Loock 15.10.2015 RESONANZRAUM ST. PAULI IMPULSVERANSTALTUNG Unter der Federführung des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, fand vor der festlichen Preisverleihung. eine Impulsveranstaltung statt. Moderiert von dem ehemaligen Direktor des Instituts, Prof. Dr. Friedrich Loock wurde über folgende Themen debattiert: - aktuelle Programmatiken und Richtungen der Kultur-Kommunikation - das Spannungsfeld von Globalisierung und lokaler Szene und wie Kunst zu erlebter Kultur wird - die „richtige“ Inszenierung von Kunst - die Notwendigkeit von Markenentwicklung im Kultursektor in Beziehung zu ihrer Kundschaft Drei informative Impulse, präsentiert von Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Christian Kellersmann und Rudolf Stilcken bildeten dafür die Grundlage. Insbesondere die Stärkung der Metropolregion als identitätsstiftender Verbund in Zeiten anhaltender Globalisierung, wurde als wichtiger Faktor hervorgehoben. „Wodurch, wenn nicht durch Kultur, durch die Künste könnte ein Austausch entstehen aus dem sich die Metropolregion zu einer Region mit Markencharakter entwickelt, wie etwa im traditionsreich, modernen München – Oberbayern oder im neu erwachten Kulturraum Ruhrgebiet.“ (Rudolf Stilcken). Dies zu erkennen und sich zur Aufgabe zu machen ist eine Aufgabe, die sich die Kultur im Rahmen ihrer kommunikativen Arbeit stellen solle. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass einige kulturelle Angebote, trotz gleich guter Kommunikation an einem Ort funktionieren und an anderen keine Chance auf Erfolg haben. Zum Abschluss der Impulsveranstaltung kam Rudolf Stilcken zu dem Ergebnis, dass „nichts ohne Kommunikation ist, Kultur schon gar nicht.“ Rudolf Stilcken Fragen aus dem Publikum Christian Kellersmann Studierende des KMM F.C. Gundlach, Angelika Jahr-Stilcken 160 161 Prof. Dr. Alexander Deichsel 15.10.2015 RESONANZRAUM ST. PAULI PREISVERLEIHUNG Die Preisverleihung wurde moderiert von Prof. Dr. Reinhard Flender, Direktor des Instituts für kulturelle Innovationsforschung an der Hochschule für Musik und Theater und seit Oktober 2015 ebenfalls Direktor des Instituts KMM. Er unterstrich, dass das Institut für kulturelle Innovationsforschung gerne die Trägerschaft für den Hamburger Preis für Kulturkommunikation übernommen habe, da Innovation ausdrücklich ein Kriterium für die Preiswürdigkeit der Preisträger gewesen sei. Somit fördert der Preis kulturelle Innovation auf dem Gebiet der Kulturkommunikation. Dieses Profil stellt ein Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum dar und ist für die Metropolregion Hamburg ein besonderes kulturpolitisches Element. Nach Grußworten von Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz hörten die Zuschauer von Mitgliedern eben diesen Ensembles den 4 Satz aus dem Streichquartett in F-Dur op. 96 von Anton Dvořák im Original sowie den 2 Satz als Special-Cage-Infused-Melody Mix von David-Maria Gramse. Prof. Dr. Alexander Deichsel gab im Anschluss in seiner Festrede eine Einführung in Substanz als Gestalt und unterstrich in seinen Ausführungen, dass das Kulturpublikum – die Kundschaft, Leistungen und eine kommunikative Leitung in der Kultur-Kommunikation einfordert. Darauf folgend begann die Auszeichnung der Preisträger und die Würdigung der Nominierten durch die Jurymitglieder Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Prof. h.c. Peter Schmidt und Rudolf Stilcken. Gemeinsam schlossen Prof. Dr. Reinhard Flender und Rudolf Stilcken die Veranstaltung ab und luden die Gäste zu einem Empfang im resonanzraum ein. Prof. h.c. Peter Schmidt Alle Preisträger der 3 Kategorien Prof. Dr. Reinhard Flender Tobias Rempe, Geschäftsführer des Ensemble Resonanz 162 Mitglieder des Ensemble Resonanz mit Musik von Anton Dvořák Prof. Dr. Reinhard Flender und Rudolf Stilcken 163 15.10.2015 RESONANZRAUM ST. PAULI IMPRESSIONEN Ein einladender Ort der Begegnung: Der neue resonanzraum V. l. n. r. Prof. h.c. Peter Schmidt, Prof. Dr. Alexander Deichsel V. l. n. r. Manja Stuhlmann-Laeisz, Erma Schmidt-Stärz, Wolfgang Behnken V. l. n. r. Tobias Rempe, Börries von Notz, F. C. Gundlach V. l. n. r. Rudolf Stilcken, Alexander Stilcken, Angelika Jahr-Stilcken V. l. n. r. Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Rauhe, Annemarie Rauhe, Prof. Elmar Lampson V. l. n. r. Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Tina Heine V. l. n. r. Prof. Manuela Rousseau, Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Rauhe, Rudolf Stilcken V. l. n. r. Prof. Dr. Michael Theede, Christian Kellersmann 164 165 15.10.2015 RESONANZRAUM ST. PAULI RADIKALE RESONANZ AUF 2506 m 2 Offene Betonwände erzählen von seiner Geschichte, während die große, leuchtende Bar, ein warmer Holzfußboden und die offene Raumgestaltung ihn zum einladenden Ort der Begegnung werden lassen. Auch das Lichtkonzept wurde gezielt für den Raum entworfen und ist Teil seiner kunstvollen Gestaltung. Eine Referenz an alte Konzertsäle, zeitgenössisch interpretiert. Nach Jahren der Suche hat das Ensemble Resonanz im Bunker an der Feldstraße eine neue Heimat gefunden: Mitten in St. Pauli ist ein Raum für Resonanz entstanden, der Proberaum für das Ensemble und Experimentierfläche für neue Konzertideen zugleich ist. Große drehbare Eisentore steuern die Akustik des Raumes und ermöglichen eine große Gestaltungsfreiheit für die Nutzung. 166 167 RÜCKBLICK WAS VERÄNDERTE DER PREIS 2013 BEI SEINEN PREISTRÄGERN „Bücher für alle – von Anfang an!“ richtig liegen, und zum zweiten bewies sie, dass unsere Buchstart-Kampagne nicht nur von Eltern und Erziehenden, sondern auch von Kommunikations-Profis positiv wahrgenommen wird. Darüber haben wir uns sehr gefreut!« »Die Auszeichnung mit dem Rudolf Stilcken-Preis für Kultur-Kommunikation beweist einmal mehr, dass das Theater Lübeck kulturell und kommunikationsstrategisch in der 1. Liga und auf Augenhöhe mit den renommierten Kulturinstitutionen der Hansestadt Hamburg spielt. Dank der ausgezeichneten und kontinuierlichen Kommunikations- und Marketingkampagne hat das einzigartige Projekt »Wagner-trifft-Mann« in der Metropolregion Hamburg einen hohen Bekanntheitsgrad, einen bedeutsamen Imagegewinn und damit verbunden auch eine deutlich höhere Besucherzahl erlangt.« »Für das Buchstart-Team war der Rudolf-Stilcken-Preis eine doppelte und sehr willkommene Bestätigung: Zum einen zeigte uns die Auszeichnung, dass wir mit unserer Forderung 168 Christian Schwandt, Geschäftsführender Theaterdirektor Theater Lübeck gGmbH Nina Kuhn, Seiteneinsteiger e. V. »Der von Rudolf Stilcken initiierte Preis für KulturKommunikation lenkt die Aufmerksamkeit darauf, wie vielfältig sich Kunst die Resonanz guter Kommunikation zunutze machen kann. Aus dem künstlerischen Profil heraus gedacht, kann Kommunikation die Rezeption von Kunst verändern, ihren Ideen fruchtbaren Nährboden bieten und ihre Relevanz in der Gesellschaft stärken. Der Preis ist ein Mutmacher für diese Prozesse, der das Ensemble Resonanz in seinen Ideen und auf seinem Weg der nahbaren und offenen Kommunikation inspiriert hat. Mit dem Preisgeld konnten wir die Eröffnung des resonanzraums mit einer Kampagne in der Stadt ankündigen. So freuen wir uns sehr, dass die Preisverleihung 2015 in diesem neuen Konzertsaal stattfindet! “ Elisa Erkelenz, Ensemble Resonaz 169 DER TRÄGER DER IMPULSGEBER DAS INSTITUT FÜR KULTURELLE DAS INSTITUT FÜR KULTUR- UND HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DER HOCHSCHULE FÜR MUSIK INNOVATIONSFORSCHUNG AN DER THEATER HAMBURG Das IKI wurde von Prof. Dr. Reinhard Flender als Schnittstelle zwischen Hochschule, Kreativwirtschaft und Kulturpolitik gegründet. Die kulturelle Innovationsforschung untersucht die Entstehung neuer Kunst interdisziplinär aus der Perspektive künstlerischer Kreativität, ihrer gesellschaftlichen Rezeption und Finanzierbarkeit. Sie bezieht sich nicht allein auf den Akt künstlerischen Schaffens, sondern schließt die Strukturen und Konzepte der Kommunikation und Distribution künstlerischer Produkte und Dienstleistungen mit ein. Die Theoriebildung und Evaluation der „Art of Innovation“ ist das Ziel der Institutsarbeit. Damit leistet das IKI einen wesentlichen Beitrag für die Qualität und Nachhaltigkeit von künstlerischem Schaffen und Kulturmanagement. MEDIENMANAGEMENT UND THEATER HAMBURG Im Jahre 1987 wurde an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg der Studiengang Kulturmanagement eingerichtet. Er war damals bundesweit das erste Angebot dieser Art. Aus diesem ging im Jahre 2000 das Institut für Kultur- und Medienmanagement hervor. Das Institut ist inzwischen mit ca. 500 Studierenden und über 60 Lehrenden im Präsenz und Fernstudium eine der größten Einrichtungen europaweit und bietet ein breites Spektrum von Qualifikationsmöglichkeiten an: vom Zertifikat über den Bachelor und Master bis zum Dr. phil. www.kmm-hamburg.de www.iki-hamburg.de 170 171 RUDOLF STILCKEN ABSCHLUSSBEMERKUNG AM 15. OKTOBER 2015 ZUR VERLEIHUNG DES HAMBURGER PREISES FÜR KULTUR-KOMMUNIKATION 2015 Ja, meine Damen, meine Herren, ich habe zu Anfang gesagt, liebe Impulsgeber, liebe Impulsnehmer, ich hoffe es hat nach beiden Seiten funktioniert. Es ist höchste Zeit zum zwanglosen Teil des Abends überzugehen. Erlauben Sie mir nur noch einige Schlussbemerkungen. Die erste Schlussbemerkung ist die, dass wenn ich morgen früh aufwache, mich natürlich fragen werde, ist der Inhalt, ist der Ablauf, ist das Ganze so, dass es sich lohnt für eine Dokumentation darüber? Ich bin heute Abend schon geneigt zu sagen, der ganze Tag ist so substanzhaltig verlaufen – erlauben Sie das Wort Substanz in diesem Zusammenhang –, dass es sich lohnt daraus eine Dokumentation zu machen und ich möchte Sie unabgestimmt mit Herrn Prof. Flender bitten, wenn Sie Anregungen, wenn Sie Kritik, wenn Sie was auch immer dazu zu sagen haben, geben Sie es an das Institut für kulturelle Innovationsforschung der Hochschule, sodass wir das auch noch mit verarbeiten können, vielleicht sogar mit drucken können. Das Zweite was ich mich selbstkritisch natürlich auch fragen werde, haben wir vielleicht wirklich etwas Grundsätzliches außer Acht gelassen. Und da ist im Augenblick in meiner Überlegung nur, dass wir die Agenturen zunächst mal ganz bewusst nicht eingeladen haben, aber jetzt im 2. Durchlauf eigentlich vernachlässigt haben. Obwohl doch die Agenturen, gerade in dieser Stadt 172 einen kreativen Beitrag zur Kultur-Kommunikation leisten. Wenn man ein bisschen die Hintergründe kennt, weiß man dass es zu einem erheblichen Teil sogar pro Bono, das heißt für die Gemeinnützigkeit geschieht, das es zu einem erheblichen Teil zu niedrigeren Honoraren geschieht, dass es aber auf jeden Fall mit großem Engagement und großer Identifikation geschieht. So dass ich also auf jeden Fall mit der Anregung im Augenblick hier weggehe, dass man über eine Mitwirkung von Agenturen an diesem Fortschritt der Kultur-Kommunikation mehr nachdenken sollte. Und das führt zur 3. und letzten Überlegung, nämlich zu der Frage die man sich ja immer am Ende eines solchen Abends stellt. Wie geht es weiter, wie kann es weitergehen. Und dazu muss ich sagen, dass ich diesen Anschub möglich gemacht habe. Dass ich auch, gebe ich zu, mit großer Begeisterung und mit viel Vergnügen daran mit gearbeitet habe. Dass ich aber jetzt meine, es muss sich herausstellen ob aus diesem Anschub eine Stafette entstehen kann. Wir werden uns also in den nächsten Wochen und Monaten mit der Frage beschäftigen ob und wie kann es den Preis für Kultur-Kommunikation Hamburg für 2017 geben. Ich hoffe, dass es nach dem Verlauf des heutigen Tages und nach dem was wir jetzt schon sehen können aus der Kultur-Kommunikations-Szene der Metropolregion daraus wirklich etwas entstehen könnte und das wäre dann für mich eine allerletzte Bemerkung, wenn es denn weitergeht, sollte ein verstärkter Einsatz der Metropolregion auch möglich sein, denn Hamburg wird nach innen und außen in der Zukunft nur leben, wenn die Metropolregion Identität gewinnt. Vielen Dank! 173 DANKSAGUNGEN Ein herzlicher Dank geht an alle Bewerberinnen und Bewerber des Preises für ihr Engagement und die Teilnahme. Alle Bewerbungen haben das hohe Niveau und die Vielfalt in der Metropolregion abgebildet. Unser Dank geht außerdem an die Jury und Impulsgeber des Preises: Prof. Dr. Reinhard Flender, Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Christian Kellersmann, Prof. Dr. Friedrich Loock, Barbara Mirow, Prof. H.C. Peter Schmidt und Rudolf Stilcken. Dank geht ebenso an das Institut für kulturelle Innovations- forschung an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, insbesondere an Prof. Dr. Reinhard Flender und Jenny Svensson für die Trägerschaft des Preises sowie die Unterstützung bei der Umsetzung der Auslobung des Preises. Des Weiteren gilt unser Dank insbesondere Peter Schmidt und dem Atelier peter schmidt, belliero & zandée für die Gestaltung des Logos und der Preisskulpturen. Besonderer Dank geht außerdem an Prof. Dr. Alexander Deichsel für seine Einführung im Rahmen der Preisverleihung. Wir bedanken und ganz herzlich bei allen Autorinnen und Autoren dieser Publikation: Prof. Dr. Alexander Deichsel, Elisa Erkelenz, Prof. Dr. Reinhard Flender, Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Christian Kellersmann, Prof. Elmar Lampson, Prof. Dr. Friedrich Loock und Rudolf Stilcken. 174 175 IMPRESSUM Herausgeber: Prof. Dr. Reinhard Flender (v.I.S.d.P.) KMM VERLAG KMM Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg Große Bergstraße 264/266 22767 Hamburg www.kmm-hamburg.de Redaktion: Max Münz, Rudolf Stilcken Lektorat: Bildrechte: Andreas Hoffmann S. 50-90: 1 (Dirk Fellenberg/Martin Luther), 2 (MKG Hamburg) 3 (Roland Magunia), 4 (Hamburger Kunsthalle, Kay Riechers), 5 (Architekten von Gerkan, Marg und Partner (gmp)), 6 (Hamburger Kunsthalle), 7 (MKG Hamburg), 8 (Qart, Hamburg), 9 (Simon Vouet (1590–1649): Die vier Jahreszeiten, 1644/45, National Gallery of Ireland, Dublin, Agentur: gürtlerbachmann), 10 (MKG Hamburg), 11 (Henning Rogge/ Deichtorhallen Hamburg), 12 (Bucerius Kunst Forum), 13 (Bucerius Kunst Forum, Ulrich Perrey), 14 (Michaela Hille), 15 (Fred Dott); Elisa Erkelenz S. 115 ( Jonas Lindstroem); Rudolf Stilcken S. 140 (Richard Stradtmann); Fotos S. 144 - 165 ( Jürgen Joost, Hannes Harnack); resonanzraum S. 166, 167 ( Jann Wilken) Wir haben uns bemüht, die einzelnen Bildrechte zu recherchieren. Das ist nicht in allen Fällen gelungen. Bildrechte-Inhaber bitten wir um einen entsprechenden Hinweis an uns. Erscheinungstermin: März 2016 Prof. Dr. Reinhard Flender Nachbestellungen der Publikation sind unter [email protected] Gestaltung: Die Online-Version dieser Publikation ist auf der Seite: Art Direction, Wolfgang Behnken Grafik, Kirsten Gutmann Druck: Beisner Druck GmbH & Co. KG 176 für 7,50 € + 1,65€ Porto möglich. www.kulturkommunikationspreis.de frei verfügbar. ISBN 978-3-9813044-2-8 © Mit freundlichen Abdruckrechten der Autoren. www.kulturkommunikationspreis.de 177 179 ISBN 978-3-9813044-2-8 7,50 € Einzel-Verkaufspreis
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