Digitale Bibliothek Braunschweig Der liegende Löwe von 1740 10224-427 Markt, Vogelecke und Löwenapotheke zu Dresden http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig 1111~i~11111~~IIIIIIIIIIII!~1 10224-427-2 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Der liegende Löwe von 1740 l~~ ~r~l . \~.. 375 Jahre -:P·8~f' Markt, Vogelecke und Löwenapotheke zu Dresden http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Inhalt Seite Aus vergilbten Blättern und unter bröckelnden Siegeln 3 Des Apothekers Eidt 11 Ärger um den Erker 12 Visitationen 16 Der rote Hahn über der Vogelecke 18 Der Apotheker von Temperament (Johann Chr. Stenge\) 20 Ihro Königlicher Hoheit Leibapotheke und der steinerne Löwe 24 Von Thermolampe und Chlorodont . . . . . . 27 Stirn und Faust um Markt, Vogelecke und Löwenapotheke 28 Quellen Sä c h si s c he s Hau p t s t a a t s a r chi v, Privilegien Ratsarchiv der Stadt Dresden D res den und die um I i e gen d e G e gen d. Ein e Darstellung für Natur- und Kunstfreunde, I. Teil. Dresden 1804 Mag. C h r ist 0 P h J 0 h. Go t t f r. Ha y man n, Dresdens theils neuerlich verstorbene, theils ietzt noch lebende Schriftsteller oder Künstler. Dresden 1809 o t toR ich t er, Verwaltungsgeschichte der Stadt Dresden, 1. Abteilung. Dresden 1891 Co rn e I i u s Gur I i t t. Die Baudenkmäler Dresdens. Dresden 1903 Dr. Dr. H. Ku n z - K rau se, Verein der Apotheker Dresdens und Umgegend. Festschrift 1931 Fünfundzwanzig Jahre Chlorodont. Festschrift der Leo-Werke 1932 G run d b u c h des Amtsgerichts Dresden Die Abbildungen auf dem Inn entitel, sowie auf Seite 13 und 25 sind mit Genehmigung des Herrn Direktors Dr. Großmann im Stadtmuseum zu Dresden bewirkte Originalaufnahmen http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Aus vergilbten Blättern und unter bröckelnden Siegeln S ieben jahre waren es her, daß Kurfürst Moritz von Sachsen, im Gefecht von Sievershausen verwundet und im Gefühl des nahen Todes, seinem Bruder August das Kurschwert übergab. Das Moritzmonument an der Bastion unter dem Belvedere der Brühlschen Terrasse erinnert daran. Vater August hatte die Regierung Kursachsens übernommen und von Weißenfels seinen Hofapotheker Ha n n s u n t erd e r Li n den nach Dresden mitgebracht. Der hatte in Weißenfels nicht ohne großen Fleiß die Apotheke eingerichtet, vergrößert und seinem kurfürstlichen Herrn, nicht minder seiner Gemahlin Anna, in Gemeinschaft mit dem Hofmedicus in Nöten des Leibes und des Lebens beigestanden. Sein dankbarer Gönner war ihm gern zu willen, als Hanns unter der Linden um die Jahreswende 1560 bat, in seiner bequemen Behausung am Markt zu Dresden eine eigene Apotheke gründen zu dürfen. Hanns unter der Linden mag in hoher Gunst seines Herrn gestanden haben; denn, obwohl am Markt, also in fast unmittelbarer Nachbarschaft bereits seit 93 jahren die Marienapotheke bestand, erteilte der Kurfürst seinem Getreuen in der Ur k und e vom 3. Fe b r u ar 1560 das Privileg zur Errichtung der "zweiten" Apotheke am Markt. Der kluge Fürst begegnete von vornherein etwa zu erwartenden Einsprüchen des Marienapothekers mit dem Hinweise, daß die Stadt in wenigen jahren an Volk sich trefflich vermehret hätte, und daß, deutlicher gesagt, Hanns unter der Linden von dem Inhaber bemeldeter alter Apotheke in seinem Berufe ungehindert belassen werden möchte! Hanns unter der Linden aber nützte die Gelegenheit dieser Beweise außergewöhnlicher Gunst, um sich auch gleich das Privileg für seine Erben zu sichern. Die erwähnte Urkunde enthielt aber noch weitere Konzessionen. Außer den nunmehr zwei bestätigten Apotheken solle keine weitere in Dresden errichtet werden, und außerhalb der jahrmärkte dürfe kein Zuckermacher, weder in Altendresden (jetzt Neustadt) noch in Neuendresden (Altstadt), überzogenes Zuckerkonfekt ohne Vorwissen und Genehmigung der beiden privilegierten Apotheker herstellen. Geschähe es dennoch, so solle dem Zuwiderhandelnden die Ware beschlagnahmt und an arme Leute im Hospital gegeben werden. 3 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Des weiteren schützte die Urkunde die zwei Apotheker gegen die sich auf dem Markte alle Wochen, nicht bloß zu den Jahrmärkten herumtreibenden Tiriacksmänner und andere leichtfertige Landstreicher, die allerlei schädliche Latwergen, Pulver, Salben, Gift und andere stark abtreibende Stücke öffentlich feilhielten und damit einfältige Leute betrogen und zu Sünden und Schanden verführten. Tiriack oder Theriak war ein Mittel gegen animalische Gifte, das einst Andromachus von Kreta, der Leibarzt Neros, zusammengesetzt hatte. Der sorgsame Kurfürst hatte indes seinem Günstling zur Pflicht gemacht, nur gute Materialien zu verabreichen und niemals seine Kunden zu überteuern. Dafür war wiederum der Stadtrichter gehalten, den neuen Apotheker in der Ausübung seines Berufes zu schützen und ihm die ihm verliehenen Gerechtsame zu gewährleisten. So eröffnete Hans unter der Linden mit dem Privileg vom 3. Februar 1560, also vor 375 Ja h ren, seine Apotheke in einem Hause an der Nordseite des jetzigen Altmarktes, wahrscheinlich in dem ehemaligen Weimarsehen Hause. Er muß zur Zufriedenheit _ seines Herrn laboriert haben; denn in der Tat ging die Apotheke später auf seine Erben über, bis unter der Herrschaft Christians II. am 17. Februar 1600 Zacharias Hertel und nach ihm der kurfürstliche Destillator Ben e d i k t Hin c k e Im an n die Officin übernahm. Am 25. September 1623 ging die "zweite" Apotheke in den Besitz des Jodokus Müller (d. Ä.) über. Der besaß "hernach" ein Haus an der "Vogelecke", jetzt Ecke Altmarkt und Wilsdruffer Straße. Dieses Haus war schon 1536 urkundlich erwähnt unter dem Namen "Vogelecke", weil dort seit alters zu Marktzeiten die Vogelhändler ihren Platz hatten. Am 31. August 1631 wurde ihm das Privileg auf dieses Grundstück übertragen, dessen Bedeutung der rührige Jodokus Müller, als in bester Geschäftslage gelegen, frühzeitig genug erkannt hatte. Von dieser Zeit an nannte sich die "zweite" Apotheke die "Vogelapotheke", und ihr Besitzer signierte in der Folge "Apotheker an der Vogelecke". Die ihm über die Transferierung des Privilegs von Kurfürst Johann Georg I. ausgestellte U rkun d e vom 21. Au gu st 1631 deckt sich inhaltlich mit der einst dem Hanns unter der Linden erteilten. Nur genehmigt sie noch das Feilhalten gestoßener Würze und fordert die Überprüfung der Taxe durch die kurfürstlichen Leibärzte. Verfügungen des Rates von 1651 richten sich an drei Apotheker; denn 1640 war in Altendresden die Schwanapotheke errichtet worden, sodaß in Dresden beiderseits der EIbe nun konkurrierten: 4 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Zacharias Peißker, Apotheker zu Marien, ]odokus Müller, Apotheker an der Vogel ecke, und ]ohann George Grünberg, Apotheker zu Altendresden (Schwanapotheke). ]odokus Müller d. Ä. hat jahrzehntelang seinem Unternehmen vorgestanden. Ehe es an seine Erben überging, leistete der "Pachtapotheker in Herrn ] odoci Millers Vogelapotheke" , ] ac 0 bus Alb i ni, am 29. Mai 1661 in der Ratsstube den vorgeschriebenen Apotheker-Eid (s. S.ll). Aber der Name Müllers blieb mit dem Hause und mit der Apotheke eng verbunden; eine beim Neubau der Löwenapotheke 1913 gefundene Skulptur, ein Mühlstein (Müller) mit einem daraufsitzenden Vogel, bestätigt das zutreffend. Nach ]odokus Müllers d. Ä. Tode ging die Vogelapotheke über an seinen Sohn ] 0 d 0 ku s Müll erd.]. Unter diesem setzten Betriebsstörungen ein, wie sie aus den" Visitationen" (s. S. 16) hervorgehen. ]odokus d.]. mag daran nicht ganz schuldlos gewesen sein, wie er auch sonst im öffentlichen Leben (s. S. 17) nicht ohne die sonst geübte Rücksichtnahme aufgetreten sein mag. jodokus Müller d.]. und Severin Sartorius (Marienapotheke) suchten im Januar 1694 um Erneuerung alter Privilegien nach, sowohl für sich als auch für ihre Erben, desgleichen um Ausweisung der "Stöhrer" und Festsetzung einer Strafe für diese, sodaß anzunehmen ist, daß die in den Urkunden verbrieften Rechte der beiden Apotheker gegen Quacksalber und Kurpfuscher nicht mehr genug geschützt wurden. Die Regierung forderte deshalb vom Rat einen Bericht über die Zustände, auch darüber, ob ohne Bedenken dem Ansuchen der beiden Apotheker um Erneuerung ihrer Privilegien stattgegeben werden könne. Am 13. Oktober 1697 wurde das Privileg ]odokus Müllers d.]. von neuem bestätigt. Bis zur "Expedition" des Privilegs, vermutlich am 18.] uni 1698, sollte der Rat inzwischen die Verpflichtung übernehmen, ihn nach dem Wortlaut der früher erteilten Privilegien zu schützen. Im Verlauf der letzten Jahre schon, wie auch späterhin während der polnischen Königszeit, waren die Rechte der Apotheker immer wieder verbrieft worden, jedoch unter Vorbehalten der Fürsten und ihrer Nachfolger, daß sie diese Privilege wohl wahren und mehren, aber auch mi n der n konnten! Deshalb schritten die drei privilegierten Apotheker, als die Gründung von Apotheken in den Vorstädten vor dem Wilsdruffer und vor dem Pirnaischen Tore von anderer Seite erwogen wurde, zu einem Ansuchen bei dem Kurfürsten ]ohann Georg IV., in dem 5 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig sie vorschlugen, diese Apotheken wohl zu errichten, aber die drei bisherigen Apotheker in Gesellschaft mit der Errichtung und Konzession zu betrauen. Der plötzliche Tod des Kurfürsten - er starb an den Pocken - vereitelte die Einreichung dieses Schreibens. Sein Nachfolger August der Starke aber erteilte schon 1695, jedenfalls unter dem Drucke einer den drei Apothekern wenig freundlich gesinnten Seite, die Konzession für die Apotheke vor dem Wilsdruffer Tore (Engel apotheke), während er 1703 das Privileg für die Apotheke vor dem Pirnaischen Tore (später Mohrenapotheke) verlieh. Die Besitzer der drei alten Apotheken hatten das Nachsehen; denn die Schmälerung ihrer Privilegien durch die Neugründungen war eingetreten. Hinzu kamen noch weitere widrige Umstände. Am 23. Februar 1707 sank die Apotheke an der Vogelecke in Schutt und Asche (s. S. 18). Die politischen Wirren (Nordischer Krieg) waren offenbar dem Fortschreiten des Wiederaufbaues nicht eben förderlich; denn obwohl der Maurermeister Johann Gottfried Fehre in zwei Jahren das Eckhaus neu erstehen ließ, so erhielt es doch erst mit dem Jahre 1725, von 1740 an "Löwenapotheke" genannt, das Aussehen, in dem es bis zum Jahre 1912, 1913 begann der Abbruch, erhalten war. Jod 0 ku s M ü I I e rs d. J. Wi twe übernahm 1719 die Apotheke, nach ihrem Tode ihre bei den Töchter J 0 h an n a 00 rot he a Kr i e g geb. Müller (1732) und Dorothea Eleonore Janicke geb. Müller (1743). Die letzten beiden Erben Jodokus Müllers d. J. hatten am 9. Oktober 1733 an August 11. (llI. von Polen) das Gesuch um Erneuerung des ihrem verstorbenen Vater am 18. Juni 1698 verliehenen Privilegs gebeten. Nach dem Tode der Frau Krieg, 1743, wurde nun den Erben aufgegeben, diese Privilegien erst einmal im Original dem kurfürstlichen Amte zur Einsicht vorzulegen. Der Buchhalter der Löwenapotheke, Johann George Röhringer, gab an, daß wohl einige dem Brande vom Jahre 1707 zum Opfer gefallen wären, daß er aber vier solcher Urkunden nachweisen könnte, die er dann am 15. September 1744 auch herzutrug. Es waren die Urkunden vom 3. Februar 1560, gez. von Kurfürst August, vom 23. Januar 1593, gez. von Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen als Vormund Christi ans 11., vom 5. Dezember 1601, gez. von Kurfürst Christian 11., vom 21. August 1631, gez. von J ohann Georg 1. Nicht lange mehr blieb nun die Apotheke im Besitze der Nachkommen Müllers, mit dessen Namen und Erben sie über 130 Jahre lang verbunden gewesen war. 6 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Am 26. April 1755 erwarb sie J 0 h an n C h r ist i anS t eng e I, der Apotheker von Temperament (s. S. 20), ein unternehmungslustiger Mann, der vordem die Apotheke vor dem Wilsdruffer Tore besessen hatte und nach ihrem Brande 1749 eine provisorische Apotheke am Neuen Markte (Neu markt) errichtete. Ziel bewußt brachte er es durch eine Folge von Eingaben soweit, daß er 1756 für diese Apotheke "Zum Salomon" das Privileg erhielt, allerdings nur als Übertragung des Privilegs der Löwenapotheke, die ja in seinen Besitz gekommen war, auf diese neue Officin. Der schlaue, weltgewandte Mann führte die Löwenapotheke unter der Hand weiter, wie aus einer Eingabe vom 23. März 1759 (s. S. 23) hervorgeht, überließ sie aber 1760 dem Leibapotheker J 0 h an n A d am Ho p pe, während er das Grundstück selbst noch bis zum 13. April 1769 besaß. Um 1759/60 übernahm, ohne Privileg, der erwähnte Leibapotheker Hoppe die Löwenapotheke - als Leibapotheker brauchte er jedenfalls das Privileg nicht unbedingt - , brachte sie mit vielen Mühen und Kosten wieder hoch, bat aber am 3. November 1760, als er schon beständig krank war und unter den nunmehr schon vierjährigen Kriegsunruhen (des siebenjährigen Krieges), unter Belagerung und Bombardement in fortwährender Angst gelebt hatte, sein einziger Sohn aber erst seit drei Jahren in der (nichtöffentlichen) Hofapotheke zur Lehre war, um Genehmigung, auf Grund eines Kontraktes den Apothekergesellen Christian Gottlob Weinlig unter Vorbehalt seiner Pension, freien Quartieres, freien Holzes usw. als Leibapotheker zu bezeichnen und ihm die Führung der Löwenapotheke zu gestatten. Am 21. Februar 1761 legte der Rat das Gesuch, das vom König inzwischen zur Begutachtung dorthin zurückgegeben wurde, den fünf Dresdner Apothekern der Marien-, Salomonis-, Schwan-, Engel- und Mohrenapotheke vor, die ihrerseits am 18. März 1761 das Gesuch ablehnten, weil sie zuvor nicht gehört worden waren. Aus ihrem Vorschlage aber, die Vasa und Officinalia der Leibapotheke der älteren Hofapotheke zu überweisen, geht hervor, daß es nicht Gründe repräsentativer, sondern, zur Vorbeugung einer neuen Konkurrenz, Gründe vielmehr rein materieller Art waren. Auch der Rat berichtete an den König, daß die Apotheker in der Umwandlung der Leibapotheke in eine öffentliche ihren Ruin sähen. Als nun der König am 16. Mai 1761 im Sinne Hoppes entschied, erfolgte am 30. Mai 1761 ein wahrer Proteststurm der genannten Apotheker. Lange genug währte nun der Kampf Weinligs. Da - Friedrich August II. war 1763 gestorben und in ebendemselben Jahre nach zehnwöchiger 7 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Herrschaft auch sein Nachfolger Friedrich Christian - wendete sich Weinlig in sehr unterwürfiger Weise an den für den minderjährigen Friedrich August III. regierenden Administrator von Kursachsen Prinz Xaver. Diese Petition vom 18. April 1764, die sich auf einen sehr günstigen Visitations bericht der Leibapotheke vom 30. November 1762 berief - ein Zeichen dafür, daß im Grundstück der Löwenapotheke niemals das Bestehen der Officin unterbrochen war - hatte Erfolg. Prinz Xaver erteilte unter dem 23. Mai 1764 die Konzession. Weinlig hatte sein Ziel erreicht; er war Inhaber der Leibapotheke - die Bezeichnung "Löwenapotheke" wurde in der Folge ungeläufig geworden. Da nun Hoppe Leibapotheker der Gemahlin Friedrich Augusts 11. (111. von Polen), Maria ] osepha, war, die am 17. November 1757 als Geisel in der von Friedrich dem Großen verhängten Haft über Mitglieder des kurfürstlichen Hauses starb, suchte Weinlig im Mai 1770 nach, den Titel Leibapotheker der Kurfürstin Maria Antonia Walpurgis, der Gemahlin des nach zehn Wochen seines Regiments gleichfalls im Jahre 1763 verstorbenen Kurfürsten Friedrich Christian, zu erlangen, um damit auch die für den bisherigen Leibapotheker aus der kurfürstlichen Kasse bewilligten jährlich 300 Taler Mietzins für die Apotheke an der Wilsdruffer Gasse zu behalten. Am 30. Mai 1770 gab Maria Antonia von Pillnitz aus ihre Zustimmung. Auch das war erreicht, und Weinlig hatte Ursache genug, zufrieden zu sein. Aber er verscherzte sich in der Folge diese Glücksumstände, wie kurz nachher berichtet wird. In den wirtschaftlich bewegter werdenden Zeiten wechselte das Grundstück häufiger den Besitzer. In der Zwangsversteigerung gelangte es am 13. April 1769 an Karl Rudolf ]anicke, Geheimen Kanzlisten, und am 16. August 1774, wieder in der Zwangsversteigerung, an den Kauf- und Handelsherrn ] 0 h an n He in r ich CI au ß. Im ] ahre 1782 wurde der ehemalige Feldapotheker Gottfried Michael Hoff man n Besitzer der Apotheke, der sie "jüngsthin" von Frau ]ohanne Christiane Weinlig, der Frau des obenerwähnten Leibapothekers, erworben hatte. Weinlig war, wie aus einer Eingabe des Inhabers einer Pachtapotheke namens Ermisch vom 28. Februar 1781 hervorgeht, hoher Schulden halber außer Landes gegangen. Der Apotheke selbst wurde, nachdem Hoffmann sie erworben, die Führung des Schildes "Ihro König\. Hoheit Leibapotheke" untersagt. Hoffmann nannte sie deshalb wieder "Löwenapotheke" (s. S. 24). 8 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Es ist bezeichnend, daß in den Zeiten größerer politischer Verwickelungen, in die unser engeres Vaterland hineingetrieben wurde, im Laboratorium und in der Studierstube der Löwenapotheke ein Mann still arbeitete, der in seinem Berufe aufging und eine Zierde seines Standes wurde: Karl Gottfried Bünger. Er war 1798 Pächter der Apotheke geworden, war wissenschaftlich und technisch, als Gelehrter und Erfinder, anerkannt und brachte durch rastlosen Fleiß das Grundstück 1812 in seinen Besitz (s. S. 27). Nach seinem Tode verpachtete 1817 seine Tochter und Erbin Minna Henriette Emilie verehel. Kästner die Apotheke an Christian Gottlob Groß, der schon knapp sieben Jahre darauf, am 28. Dezember 1823, das ganze Grundstück erwarb. Er zahlte dafür die für die damalige Zeit außerordentlich hohe Summe von 83000 Talern. Mit der Bestätigung des Kaufes vom 19. januar 1824 erhielt Groß zugleich ein neues Privileg mit allen Lasten, unbeschadet der älteren auf der Apotheke haftenden Posten von 3176 Talern für die Sophienkirche, 20000 Talern für Herrn Kästner, 350 Talern 16 Groschen 9 Pfennigen für den Leutnant Mündler und 41134 Talern 5 Groschen und 8 Pfennigen für die neue unbezahlte Hypothek. Die Löwenapotheke hatte das Glück, nun auch weiterhin von zielbewußten Männern geleitet zu werden. Als Groß gestorben war, wurde das Grundstück am 19. juli 1841 auf seine drei Kinder, jedes mit einem Drittel am Grundstückswert beteiligt, eingetragen. Die G es c h w ist erG roß aber übertrugen das Geschäft dem Apotheker 0 tt 0 Sc h n eid er, der schon am 25. September 1852 das Grundstück kaufte und am 21. März 1853 die Kaufbestätigung erlangte. Schneider war der Mann, der die um die Mitte des 19. jahrhunderts immer häufiger und maßloser auftretenden Übergriffe der Kaufleute im Vertriebe von Heilmitteln erkannte und dagegen den Kampf zu führen begann. Auf seine Anregung kamen am 6. Oktober 1856 in seinem Landhause in Blasewitz die Apothekenbesitzer Eder, Gruner, Hofmann, Müller, Richter und Dr. Meurer (ehemals in der Marienapotheke) mit ihm zusammen, um im gemeinsamen Handeln den Behörden gegenüber Wünsche und Anträge zu unterbreiten. Aus dieser Zusammenkunft entwickelte sich der Verein der Apotheker Dresdens und Umgegend, der den genannten 6. Oktober 1856 noch heute als seinen Gründungstag bezeichnet. Schneider griff temperamentvoll in die Geschichte und die Geschicke des Vereins ein und war schon am 18. Oktober 1856 ' 9 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig als Senior (Vorsitzender) des Vereins ausersehen, falls Dr. Meurer, der zunächst keine Neigung für dieses Amt bekundete, die Wahl als solcher ablehnen würde. Sc h n eid er s Erb e n, die in der Folge das Privileg besaßen, verkauften das Haus am 11. März 1880 an den approbierten Arzt Dr. med. juli u s L e 0 pol d Sc h i eck für 300000 Mark. Der Kauf erlangte am 6. April 1880 die bestätigende Eintragung. Immer mehr machte nun der Stadtverwaltung die geringe Breite der Wilsdruffer Straße Sorge, die sich besonders nach dem Durchbruch der Badergasse nach dem Pirnaischen Platz und der an ihrer Stelle durchgeführten König-johann-Straße als Fortsetzung der Dresdner Ost-West-Achse zu einer Hauptverkehrsstraße entwickelte. Namentlich der Zugang vom Altmarkt her wurde fühlbar eng. Das Grundstück der Löwenapotheke erwies sich schließlich als Verkehrshindernis. Bei dem raschen Wachstum der aufblühenden Großstadt galt es zu handeln. Es galt aber auch, am alten, lieb und vertraut gewordenen Stadtbild zu rütteln. Der Rat mußte sich entschließen, die Löwenapotheke abzubrechen und an ihrer Stelle den zu errichtenden Neubau ganz beträchtlich hereinzurücken, so daß die immer bedrohlicher werdende Enge des Straßen einganges verschwinden würde. Der Abbruch der Löwenapotheke verursachte in einzelnen Teilen der Bürgerschaft zunächst Proteste, die aber ad acta gelegt werden mußten. Inzwischen hatte am 1. januar 1907 Dr. phi!. 0 t tom ar He ins i u s von M a yen bur g als Pächter die Apotheke übernommen. Der Rat fand in ihm einen Mann, der die ungeheuren Schwierigkeiten, die die Fortführung des Apothekenbetriebes während des Abbruches und des Neubaues verursachten, meisterte, und der, als er bereits mit den Plänen zur Gründung und Erweiterung seiner Leo-Werke, die aus den Räumen der Löwenapotheke hervorgingen, über und über beschäftigt war, alle Ungelegenheiten und Unannehmlichkeiten einer einstweiligen Verlegung in das alte Rathaus im Interesse des Gemeinwohles willig auf sich nahm. Das erwähnte Projekt des Rates hatte am 22. Novem ber 1906 zum Ankauf des Grundstückes Wilsdruffer Straße 1 durch die Stadtgemeinde geführt. Die Kaufsumme wurde auf 1150000 Mark einschließlich Apothekengeschäft, Mobiliar, Warenvorräte, Firmenführung usw. festgesetzt und der Besitzwechsel im Grundbuche am 10. Dezember 1906 eingetragen. 10 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Und nun verfiel der immer noch schöne Barockbau der Spitzhacke. Zu Beginn des Jahres 1913 begann der Abbruch. An seine Stelle trat der prächtige Neubau nach den Plänen des Stadtbaurates Erlwein (s. S. 29). Im September 1914 siedelte die Löwenapotheke vom alten Rathaus, wo sie, wie erwähnt, provisorisch untergebracht gewesen war, in die neuen Räume über. Neues Leben war aus den Ruinen erblüht. Am 31. Dezember 1924 trat Dr. Ottomar Heinsius von Mayenburg von der Leitung der Löwenapotheke zurück, um sich als Inhaber und Generaldirektor ganz dem Unternehmen der Leo-Werke und der Fabrikation des die Welt erobernden Zahnpflegemittels "Chlorodont" zu widmen. Der alte Löwe der Apotheke wurde zum Sinnbild und Fabrikzeichen der neuen Werke. Am 1. januar 1925 wurde die Apotheke übernommen von o tt 0 R 0 i tz s eh, der bisher in der Hofapotheke seines Amtes gewaltet hatte und nun in der ehrenvollen Erhaltung der Tradition der Löwenapotheke Weg und Ziel sieht. Des Apotheckers Eidt D ieses juramentum hat der Pachtapothecker in Herrn jodoci Millers Vogelapothecke Herr jacobus Albini, von Weißenfels, praestiret in der Rathsstube den 29. Mai 1661. "Ich, N: N: Apothecker allhier, schwere zu Gott, daß ich meines Apotheckers Ampts, zu Tag und Nacht fleißig und treulich abwarthen, den Medicinae Doctoribus Practicis, in allen gebührlichen sachen, soviel die Apothecken betrifft, wie auch dem Rath, billigen gehorsam leisten, meine Apothecken mit frischen tüchtigen wahren versehen, alle Inländische simplicia, so in die Apothecken gehören, zu rechter Zeit colligiren, mit allen fleiß exsicciren und rein halten, die Exotica aber ·frisch und guth von anderen orthen gebührend anschaffen, alle Arzeneyen und Composita, absonderlich die purgantia pharmaca und Chymica nach der kunst, und Medicorum praescription mit treuen f1eiss Verfertigen, die Recepta, so in meine Apothecken verschrieben werden, an maas, gewicht, specereyen und materien, rechtschaffen und ohne Zusaz verdorbener sachen, selbst oder durch verstendige gesellen, zurichten lassep, auch in manglung eines simplicis, oder compositi, nicht quid pro quo, oder eines vor das andere substituiren, sondern solches dem 11 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Medico, seines gefallens und erachtens nach zu endern, vermelden, und darnach mich richten, In bereitung der Medicamentorum opiatorum des Gewichts wohl wahr nehmen, nichts mit Honig machen, was mit Zucker seyn soll, keinen gifft, noch gifftige Arzneyen, oder was die Leibesfrüchte abtreibet, verdächtigen Personen oder ohne vorbewust eines Medici verkauffen, noch weg geben lassen, Dessgleichen was alt, verdorben, verlegen, als nichtig, hin weg werffen, aus meinem Hause schaffen, mit keinem Medico einen heimlichen Verstand umb gewinnes willen haben, noch einen vor den anderen den Patienten antragen oder antragen lassen, mich der Medicorum und Raths Visitation unweigerlich submittiren, und der Zeit, bis allhier eine Taxordnung herauskommt, den Witternbergischen Taxen bezeigen, und niemand zur ungebühr übersezen, In Summa, mich nebst den meinigen und bestalten Gesellen und Innungen, in aller nach der kunst und meinem gewissen, den krancken zu fromm und nuz, all Zeit zu tag und nacht, ohne weigerung, unnachlessig und unbeschwert, gegen den armen als reichen verhalten. So wahr mir Gott helffe und sein heiliges wortt durch jesum Christum. Amen." Arger um den Erker D er Erker an der Vogelecke ist immer reizvoll gewesen. Er mag an dem aus der Zeit der Reformation stammenden Hause am Eingang der engen Wilischen Gasse, die später die Willesche oder Wilsdorfer Gasse, seit 1858 aber die Wilsdruffer Straße genannt wurde, nicht minder auch an dem Barockbau aus dem jahre 1707, an dem ihn Meister Fehre durch drei Stockwerke emporführte, von Bürgern und von Fremden gern betrachtet worden sein. Und heute schweifen in der Flucht des Verkehrs die Blicke vielleicht weniger der Vorübereilenden, umsomehr aber die der stillen Beschauer hinüber nach der prächtigen Rundung über dem Laubengang. Aber der Erker wurde zuweilen auch ein Stein des Anstosses. Den immer häufiger auftretenden Erkerbauten sagte das Baustatut vom jahre 1660 die Fehde an. Wenn es auch die Beseitigung der schon vorhandenen Erker nicht etwa forderte, so gestattete es an den Neubauten die Fassaden- und Eckerker nur dann, wenn sie "der Stadt zur Zierde" gereichen und nicht über das normale Maß ausladen würden. jodokus Müller, der Vogel apotheker, kehrte sich 12 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Die Vogelecke (Aus Gabriel Tzchimm ers Kupferwerk von der Fürstenzusammenkunft 1678) http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig wenig an das erwähnte Statut. Ja, er begann im Jahre 1671 unter seinen Erker steinerne Säulen zu setzen. Daß diese Säulen nicht nur eine Sicherung des von ihnen getragenen Erkers bezwecken sollten, sondern daß jodokus Müller damit praktisch auf eine räumliche Erweiterung seiner Geschäftsräume hinzielte, geht aus der unten angeführten geharnischten Verteidigung Müllers gegen übelwollende Nachbarn hervor. Genug - die steinernen Säulen wuchsen empor, trotzig und verkehrshindernd. Da steckten die Nachbarn auf der Wilischen Gasse die Köpfe zusammen. Der Hauskellner Hanns Christoph Martini, der Bürger Christoph Wernßdorff, Dorothea Hartmann - diese streitbare Frau schrieb "in Abweßenheit Meines Manneß" - und der Hofbäcker Augustus Räscher schmiedeten das Komplott. Am 5. April 1671 reichten sie beim Rat eine schriftliche Beschwerde ein, die ziemlich energisch besagte, daß diese Säulen der Stadt bestimmt nicht zur Zierde gereichen würden und daß in ihrem Schatten und vor allem in der Nachtzeit allerlei Unfug von vorübergehenden Schelmen leicht getrieben werden könne. Der schlaue Vogel apotheker merkte sogleich, daß es andere Gründe gewesen waren, die die Beschwerde verursacht hatten. Offenbar war diesen Nachbarn der interessante Blick nach dem Markt benommen worden, wenn sie um den Feierabend oder zu einer sonst ruhigen Stunde in ihren Tornischen plaudernd standen oder saßen. Denn Müller begegnete in seiner schriftlichen Verteidigung, die er dem Rat sofort einreichte, zu allererst diesem Einwande, indem er erklärte, daß den Nachbarn keineswegs der "Prospekt" verbaut würde, wie sich die "Wohl Ehren Vesten, Großachtbahren, Wohlgelahrten, Hoch- und Wohlweisen, inssonders Hochgeehrten Herren und Vornehmen gebietenden Patroni" - hier fließt dem Apotheker gewiß schmunzelnd ein Tröpflein Bosheit aus dem Gänsekiel - überzeugen könnten. Wenn aber nach Ansicht der Beschwerdeführer durch die Erkersäulen die Unsicherheit in der Stadt vermehrt würde, so müßten die ihnen unmittelbar benachbarten Quergäßchen, die sie zu ihrer Bequemlichkeit und zum Abschneiden von Wegstrecken gewiß gerne benutzten, eher vermauert, als dieser Erker abgeschafft werden. Und was die Möglichkeit nächtlichen Unfuges anlange, so könne man unbesorgt sein; denn "auf dem Kreuze" (an der Straßenkreuzung) stehe zur Nachtzeit eine Schildwache, die mit übermütigem und rohem Gesindel schon fertig zu werden wisse. Sollte aber wirklich jemand 14 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig durch "die Verwahrlosung des Erkers attaquieret werden" und dabei in Ohnmacht fallen, so wolle er den Belästigten und Verletzten bis zu ihrer Rekonvaleszenz ohne Entgelt an die Hand zu gehen erbötig sein! Nur unter der Hand noch erwähnt Müller den wahren Zweck der Säulen: Die dadurch erzielte Erweiterung seiner Räumlichkeiten nach der Straße gestatte ihm, einen oder drei "Öffgen" in seinem Laboratorium aufzustellen. Müllers zwingende Logik veranlaßte den Rat, ihm Genehmigung zur Vollendung seiner Säulen zu erteilen. Auch die Nachbarn fUgten sich der geistigen Überlegenheit des Apothekers, behielten sich aber in einer Zuschrift an den Rat vom 10. April 1671 das jus contradicendi vor - um das sich aber jodokus MUller wenig kUmmerte! Der Erker des nach dem Brande von 1707 erstandenen Barockbaues wurde späterhin noch einmal der Schauplatz aufreizender Vorgänge. Am 3. Mai 1849 rotteten sich die Aufständischen auf dem Altmarkt zusammen, um von König Friedrich August 11. die Anerkennung der Reichsverfassung des Frankfurter Parlamentes zu erzwingen. Die Regierung hatte dem Treiben der Revolutionäre fast untätig zugesehen, und diese ZurUckhaltung rief nun auch Männer der Wissenschaft und Kunst in die Reihen der Rebellen, unter ihnen Richard Wagner und Gottfried Sem per. Aus dem Erker der Löwenapotheke forderte die ehemalige Hofopernsängerin Wilhelmine Schröder- Devrient das Volk auf, sich am König und an seiner Regierung blutig zu rächen, weil bei dem Sturm auf das Zeughaus mehrere Aufständische durch einen Kartätschenschuß der Regierungstruppen verletzt, einige sogar getötet worden waren. Die fanatische Frau hatte alle Ursache, nicht gegen das Königshaus zu hetzen. Bei ihrem Abgang von der Bühne hatte der König in hochherziger Weise ihr ein Gnadengehalt von jährlich tausend Talern ausgesetzt. Und als die Revolte verlaufen war, schlug wieder der König einen gegen sie eingeleiteten Prozeß nieder und gewährte in wahrhaft fUrstlicher Großmut der Sängerin weiterhin ihre Pension. Diese trUbe Erinnerung um den Erker verklärt sich aber bei dem Gedanken, daß diese Frau noch wenige jahre zuvor in Richard Wagners" Rienzi" den Adriano kreiert und mit den Worten "Versöhnung sei mein heilig Amt!" die Zuhörer im Semperbau zu wahren Sturmen des Beifalls und der Begeisterung hingerissen hatte. Ärger um den Erker aber vergaß hoch oben auf dem Eckbalkon des vierten Stockwerkes der jeweilige älteste Provisor der Löwen15 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig apotheke, dem hier Wohnung und Aussicht als ungeschriebenes Vorrecht zustand. Dann konnte der Blick, geschwächt durch das Halbdunkel drunten im Erdgeschoß, sich frei entfalten zu den vom Sonnenschein vergoldeten Giebeln und Dächern der Stadt, zu dem Gewimmel von geschäftigen Menschen drunten "auf dem Kreuz", drüben auf dem Altmarkt und rund um das Siegesdenkmal, das sich erst nach und nach verlor, wenn das Abendläuten von der nahen Kreuzkirche herüberzitterte . . . Visitationen D ie Erhaltung, der Vorrat und die Komposition unverfälschter und unverdorbener Medikamente, nicht zuletzt die Entzifferung der oft nicht leicht leserlichen Rezepte legte von alters den Apotheken ein gerüttelt Maß von Verantwortung auf, von dem sich verständlicher Weise der Laie kaum eine Vorstellung machen kann. Diese Verantwortung wurde deswegen höheren Ortes streng überwacht, und die von dort aus angeordneten Visitationen waren nicht nur Förmlichkeiten, sondern in der Tat Nachprüfungen, die sich naturgemäß auch auf alle Einzelheiten erstreckten. Die Berichte der Visitatoren gingen unverzüglich an die regierenden Stellen. Ein solcher Visitationsbericht datiert vom 2. April 1652. Hier wurde dem Kurfürsten Johann Georg I. untertänig gemeldet: "Die Officinen sindt in allen dreyen noch in ziemblichen Vorrath gewesen, undt ist des Jodoci Müllers seine auch wohl bestellet geflfnden worden . . . " Es fällt ohne weiteres auf, daß die Apotheke Jodokus Müllers (d. Ä.) hier besonders erwähnt wird. Die Gründe hierfür sind, wie gleich weiter berichtet wird, in mancherlei Streitigkeiten und gegenseitigen Anzeigen der konkurrierenden Apotheker zu suchen, die sich wohl durch Jahrzehnte erstreckt haben mögen. Jodokus Müller, wahrscheinlich d. J., hatte deswegen später einmal erhebliche Differenzen mit seinen Kollegen vom Fach. Insbesondere war er dem Apotheker Johann George Martini auf der Spur, daß dieser Medikamente, vielleicht unter der Taxe oder in nicht vorgeschriebener Komposition, verkaufte. Er hatte sich de~wegen beschwert und, wie schon Seite 5 erwähnt, unter Außerachtlassung gesellschaftlicher Normen deutlich genug angedroht, sich mit Hand und Schlag zu wehren, wenn der angeblich unlautere Wettbewerb nicht aufhöre. Johann George 16 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Martini suchte gegen die ihm in Aussicht gestellten Realinjurien Hilfe und Schutz beim Rat und schrieb am 29. juli 1680: " Was j odocus Müller vor ein Klag Schreiben wegen weg gegebener medicamenten wider mich eingereichet und wie Er am ende desselben betrohet, wenn ich mich dessen nicht enthalten würde, so dürffe aus billigen eifer ein unheil zwischen Ihm und mir entstehen, welche seine Betrohung gantz Klärlich dahin zielet, daß Er vim privatam üben wolle ... " jodokus Müller d. ]. hatte also keinen leichten Stand. Da brachte eine Visitation, die Ende 1685 durch D. Heinrich Boezo vorgenommen wurde, ihm neues Mißgeschick. Der Bericht über diese Visitation war vernichtend. Der Zustand der Vogel apotheke wurde als schlecht bezeichnet, die Medikamente waren bis auf wenige als mangelhaft befunden worden, so daß der Visitator die gänzliche Schließung der Apotheke in Aussicht stellte, bis sie von neuem instruieret und mit den gehörigen Requisiten wieder versehen sei. Zu diesem Berichte führte jodokus Müller, diesmal unter beweglichen Worten, an, daß er die Apotheke erst vor kurzem, nämlich Ostern 1685, von seinem Vater übernommen und dafür 7000 Taler bezahlt habe, trotzdem aber nach dem väterlichen Testament den Besitz noch mit seinen bei den Brüdern teilen müsse. Diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien die Ursache zu dem mißlichen Zustande der Apotheke geworden, und er hoffe, daß, nachdem er schon das Menschenmögliche getan habe, ihm ex culpa parenti und in Ansehung seiner Unschuld nicht allzugeschwind und zu streng mit ihm verfahren werde. Er bitte um Geduld und würde nach Aufstellung des Stadtphysikus aus den anderen Apotheken alles beschaffen, was fehle. Er würde dann binnen jahresfrist soweit sein, daß der Kurfürst keine Ursache haben werde, das PriviJegium einem anderen Apotheker zu übertragen. Die Visitatoren sahen daraufhin nochmals alle Medikamente durch, die Gefäße wurden entleert, was verdächtig war, weggeschüttet, so daß dem jodokus Müller jede Gelegenheit "zu unterschliff" benommen wurde. Das zu Protokoll gegebene Versprechen jodokus Müllers, alles zu vermeiden, was zu Beanstandungen Anlaß geben würde, wiederholte er am 29. Dezember 1685 in einem Schreiben an den Bürgermeister und den Rat, der ihm anstatt der erbetenen jahresfrist zur Abstellung der Mängel aber nur ein halbes jahr zubiIligte. 17 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Um ganz sicher zu gehen und sein Privileg nicht zu verlieren, hatte jodokus Müller in seinem Sinne auch an die Landesregierung geschrieben. jodokus Müller hat gehalten, was er versprochen hatte. Denn am 12. April 1687 berichteten die Leib-, Hof- und Stadtmedici an den Kurfürsten johann Georg 111. zusammen mit dem Rat, daß alle Mängel in der Vogelapotheke nunmehr abgestellt worden sind und daß die Officin als eine genugsam instruierte Apotheke wieder zu erachten sei. Eine im Anschluß an diesen Bericht nochmals an jodokus Müller gerichtete ernstliche Ermahnung beantwortete dieser mit der unterwürfigen Bitte um Schutz seines Privilegs, da inzwischen und während der Erneuerung der Requisiten in der Vogelapotheke allerhand Unbefugte in und außerhalb der Stadt, das sind die Krämer - sich mit dem auch Materialisten Verkauf von Medikamenten befaßten. Die durch die Visitation verursachte Betriebsstörung bezeichnete jodokus Müller in diesem Schreiben in verhaltener Bissigkeit als "Störerey", womit bewiesen sei: Der Teufel trau - in Pundo Devotion - dem Apotheker! Der rote Hahn über der Vogelecke F eueralarm wurde geschlagen am Abend des 23. Februar 1707. Das Haus an der Vogelecke stand in hellen Flammen. Ein betrunkener Soldat hatte das Unglück verursacht. Wohl eilten einige hilfsbereite Nachbarn herbei, aber es waren ihrer zu wenige, um den schnell um sich greifenden Brand wirksam bekämpfen zu können. Zudem fehlte es an der Wasserzufuhr. Wohl hätte das Wasser der "geschützten" Kaitzbach, die einst der umsichtige Vater August in die Stadt geleitet hatte, ausgereicht. Aber das Heranbringen des Wassers an die Brandstätte wurde zur Unmöglichkeit. Die Geschirrbesitzer hatten zwar in ihren Häusern und Höfen Wasserbütten (Rollen) pflichtgemäß auf ihren Brettwagen liegen, aber sie hatten Spanndienste zu leisten; denn an dem Tage hatte das Leichenbegängnis der Geheimrätin Birnbaumin stattgefunden, und ehe noch die Pferde aus den herrschaftlichen Karossen in die Büttenwagen umgeschirrt waren, lag das stolze Haus an der Vogelecke in Trümmern. Hatte der Kurfürst August der Starke vom Schloß aus die Ereignisse beobachtet oder war dem um diese Zeit in Dresden 18 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig anwesenden Fürsten schnell Bericht erstattet worden - wie dem auch sei: jedenfalls ordnete er strengste Untersuchung an und befahl exemplarische Bestrafung schuldiger oder säumiger Bürger. Das wirkte. Schon zwei Tage darauf, am 25. Februar, las der regierende Bürgermeister Dr. Dornblüth in einer Ratssitzung der Bürgerschaft gehörig den Text. Eine ganze Anzahl Bürger sei ihrer Feuerlöschpflicht nicht nachgekommen; andere hätten, wie beobachtet worden sei, von ferne gestanden und untätig zugesehen, wie Stockwerk um Stockwerk zusammengebrochen sei. Der Ratsdeputierte Daniel Stengel bestätigte das. Er wies dabei darauf hin, daß der Bürgermeister und er ihre Pflicht voll und ganz getan hätten; der Bürgermeister hätte ihm durch einen Stadtwächter sagen lassen, zehn bis zwölf Mann zum Feuer zu schicken. Er sei selbst in der Nachbarschaft herumgelaufen und hätte sich den Bürgern gegenüber auf die Worte des Stadtwächters berufen. Indes habe der Buchbinder johann Adam Stegmann, den er auch um Hilfe angegangen habe, ihm geantwortet: "Man wird sich vollends von einem Wächter commandieren lassen!" Das gab den Anlaß zu scharfen Anordungen des Rates. Zunächst wurde Stegmann verhört. Er war geständig, führte aber zu seiner Entschuldigung an, daß er Stengel, der zu ihm gekommen sei, nicht gekannt, sondern vielmehr für einen "Laternen Puz er" gehalten habe. jedoch hätte er sich dann eines besseren besonnen und noch beim Löschen geholfen. Stegmann wurde wegen dieser Rede und, weil er sich früher schon immer widerspenstig und ungehorsam gezeigt hatte, zu Gefängnis verurteilt. Am 23. März wurden die Ältesten der 43 Innungen aufgefordert, aus ihren Reihen Männer zu benennen, die bei künftigen Bränden mit "Eymern" zu Hilfe kommen sollten. Daraufhin wurden aus jedem Stadtteil 3 Rottmeister mit je 30 Mann verpflichtet, bei Feuersgefahr sich sofort auf dem Rathaus zu melden. Zur Hilfeleistung sollten auch die Handwerksburschen herangezogen werden, die nach dem Feuer als Löschlohn ein Faß Bier zu erhalten hätten. Selbst Hof und Adel blieben nicht verschont; beide wurden gehalten, ihr Gesinde in Fällen der Gefahr sofort vom Dienste zu befreien und zu Hilfe zu schicken. Auf diese Weise kam eine Feuerlöschmannschaft von 208 Mann mit 402 Eimern zustande. Nur die Zunft der Bader erhob gegen die Anordnung, ihrerseits einen Mann mit zwei Eimern zu stellen, Einspruch, weil nur zwei Bader in Dresden beiderseits der Eibe ansässig waren, die nach 19 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig einer früheren Anordnung bei elementaren Ereignissen und Aufruhr sich in ihren Häusern verhalten sollten, um verunglückte Personen verbinden zu können. Als wichtige Maßnahme kündigte der Rat noch an, daß die große Spritze auf dem Neuen Markte einen neuen Boden erhalten sollte. So hatte der Brand der Vogel ecke doch noch sein Gutes um das Gemeinwohl gehabt! Maurermeister johann Gottfried Fehre aber ließ aus dem Schutt der Vogelecke jenen prächtigen Barockbau erstehen, der durch zwei jahrhunderte hindurch zu einem Wahrzeichen der Stadt wurde. Der Apotheker von Temperament (Johann Christi an Stenge\) D er Apotheker, der um die Mitte des 18. jahrhunderts dem Rat zu Dresden und auch der sächsischen Regierung allerhand Nüsse zu knacken aufgab, war johann Christi an Stenge\. Er ist in Wahrheit ein vielgewandter Mann gewesen, der sich durch Widerstände und Mißgeschick nicht abhalten ließ, Steine aus dem Wege zu räumen, die ihn an der Erreichung seiner Ziele hinderten. Stengel war Besitzer der Engelapotheke vor dem Wilsdruffer Tore, die 1695 privilegiert worden war. In einer Nacht des jahres 1749 brannte sie völlig nieder. Stengel spekulierte nach diesem Brande ganz richtig, daß in diesem Teil der Stadt, in dem sich die abgebrannte Apotheke befunden hatte, infolge der Nähe des Schlosses, das eine eigene Apotheke unterhielt, der vielen unbewohnten, zum Teil nur repräsentativen Bauten des Zwingers, der Kirchen, weiterhin der kurfürstlichen Stallungen für sein Unternehmen wenig Aussicht auf steigende Frequenz bestand, sondern daß vielmehr seit dem Bau der Frauenkirche der Neue Markt mit seinen Patrizierhäusern und seiner aufblühenden Umgebung eine Zukunft besitze. Er verlegte darum mit Konzession des Rates, dem er vorgab, vor dem Wilsdruffer Tore nicht unterkommen zu können, seine Apotheke provisorisch hinter die Frauenkirche. Der Rat bewilligte ihm eine zweijährige Frist zu dieser Verlegung, und die übrigen privilegierten Apotheker, die zu dem Ansuchen Stengels 20 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Der Bar 0 c k bau Me ist e r Feh res (1913 abgebrochen) http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig gehört worden waren, gaben ahnungslos ihre Zustimmung, daß Stengel sich auf diese zwei jahre hin an einem von der Mitte der Stadt entfernteren Orte, eben am Neuen Markte, niederlassen könne. Stengel mietete während dieser Zeit im Hause des Appellationsrates Chladeny am Neuen Markt, Ecke Pirnaische Gasse, jetzt Landhausstraße, einen Laden auf sechs (!) jahre und traf Veranstaltungen, seine Apotheke dorthin zu verlegen. jetzt wurden die Dresdner Apotheker stutzig und traten mit dem Hinweis auf Stengels Mietvertrag in dem erwähnten Grundstück am 19. Oktober 1752 petitionierend und beschwerdeführend an den König und Kurfürsten Friedrich August 11. heran. Als die Einwendungen der Apotheker dringlicher wurden, kam ihnen Stengel zuvor: Er kaufte am 23. April 1755 die Löwenapotheke von Dorothea Eleonore janicke, der jüngeren Tochter des längst verstorbenen jodokus Müller d. J. Diese scheint gewußt zu haben, mit wem sie es zu tun hatte. Sie setzte im Kaufvertrage die Kaufsumme mit 10500 Talern fest und zwar mit 5000 Talern bei Abschluß des Kaufes, 3000 Talern acht Tage nach der Leipziger Ostermesse, 1000 Talern zu Michaelis und 1500 Talern zu Ostern 1756, nicht etwa durch "außenstehende Aktiva und habende Forderungen, Obligationes und Scheine oder andre Documente, sie mögen Nahmen haben, wie sie wollen", sondern in barem, klingenden Gelde mandatmäßiger Silbermünzsorten ! Die Dresdner Apotheker waren auf kurze Zeit beruhigt; denn sie glaubten, daß Stengel nun seine provisorische Apotheke am Neuen Markte wieder aufgeben und die Löwenapotheke übernehmen würde. Stengel war aber schon weiter. Er hatte in Erkenntnis der günstigen Lage seiner Apotheke am Neuen Markte und infolge der Konkurrenz der der Löwenapotheke unmittelbar benachbarten Marienapotheke am 26. April 1755, also wenige Tage nach dem Kaufe, an die Landesregierung petitioniert, das Privileg der Löwenapotheke auf die Apotheke am Neuen Markte zu transferieren. Diese nannte er die Apotheke "Zum Salomon" - offenbar war die Weisheit und Findigkeit des biblischen Königs ihm vorbildlich! Der Einspruch der Apotheker bewirkte zunächst die Abweisung des Gesuches. Stengel ließ aber nicht locker. Schon am 24. September 1755 flatterte eine erneute Eingabe um Übertragung des Privilegs der Löwenapotheke auf die "Zum Salomon" auf den Regierungstisch. Das Glück lachte dem Unentwegten. Wenig später wurde kraft Reskript des Königs und Kurfürsten, vom Grafen Brühl 22 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig eigenhändig unterzeichnet, ihm gestattet, "sothane Officin unter dem bisher geführten Nahmen der Salomonis Apotheke zu besitzen." Stengel erhielt am 27. April 1756 das urkundlich vollzogene Privileg, in dem ausdrücklich das Anerbieten des geschäftskundigen Apothekers angenommen wurde, einen jährlichen Canonem von sechs Talern zu erlegen. Er hatte dem permanenten Geldbedürfnis Brühls Rechnung getragen und damit erreicht, was er wollte. Noch besaß aber Stengel das Privileg für die 1749 abgebrannte Engelapotheke. Da kam 1758 die Frage der Errichtung einer Apotheke vor dem Seetore in Fluß. Stengel, vielleicht etwas ängstlich geworden durch die seiner Meinung nach nicht schnell genug fortschreitende Entwicklung des Stadtteils an der Frauenkirche, versuchte nun am 13. Juli 1758 in einer Eingabe die Transferierung des Privilegs der Engelapotheke auf die neu zu errichtende Apotheke vor dem Seetor zu erreichen. Offenbar schwebte ihm das Ziel einer Art MonopolsteIlung vor. Das war der Regierung und dem Rat aber denn doch zu viel. Stenge I wurde kurzerhand abgewiesen. Da klagte Stengel in einer erneuten Petition vom 23. März 1759 dem König und Kurfürsten seine Not. Man möge ihm nur zum Privileg der Apotheke vor dem Seetore verhelfen. Seine Finanzlage sei nicht rosig; denn er sei durch den Kauf und Brand der Apotheke vor dem Wilsdruffer Tore - obwohl er dabei alles gerettet hatte! schon damals in große Schulden geraten. Sie hätten sich vermehrt durch die Verlegung der Apotheke nach dem Neuen Markt und durch den dauernden Einspruch der hiesigen Apotheker; seine Verhältnisse seien auch nicht besser geworden durch den Kauf der Löwenapotheke und durch die damals rigorose Festsetzung der Kaufsumme. Nun habe er zwei Apotheken auf dem Halse, die Salomonisapotheke und die Löwenapotheke; der Besitz zweier aber nicht so rentabler Apotheken in einer Hand sei nicht convenable, zumal beide, die Salomonis- wie die Löwenapotheke, so beschaffen seien, daß jede ihren besonderen Geschäftsbetrieb erfordere. Stengel war mit der letzten Angabe nicht sehr vorsichtig gewesen, behauptete er doch nicht mehr und nicht weniger, als daß er die Officin der Löwenapotheke weiter unterhalten hatte! Ein am 22. Dezember 1759 in ebendemselben Sinne wiederholtes Gesuch fand, wie schon das erste, nicht die Zustimmung der Behörden, so daß Stengel, bescheidener geworden, heilfroh war, daß im Grundstück der Löwenapotheke 1760 der Leibapotheker Johann Adam Hoppe ihm ein Teil der Lasten pachtweise abnahm. Stengel begnügte sich, der vielen Scripturen 23 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig müde geworden, schließlich mit dem Besitz der Salomonisapotheke. Das Grundstück Wilsdruffer Gasse 1 wurde ihm aber mehr und mehr zur Last, ja, es kam 1769 unter den Hammer! Am 13. April 1769 mußte es ein Nachkomme jodokus Müllers, der Geheime Kanzlist Karl Rudolf janicke, erstehen, dem die auf dem Grundstück liegenden Lasten in der Folge ebensoviel Kummer und Sorge bereiteten, bis endlich am 16. August 1774 im Kauf- und Handelsherrn johann Heinrich Clauß dem schönen Haus an der ehemaligen Vogelecke ein Besitzer von Rang, Stand und klingender Münze erwuchs. Ihro Königlicher Hoheit Leibapotheke und der steinerne Löwe M aria Antonia Walpurgis, die Witwe des Ku;fürsten Friedrich Christian (gest. 1763), hatte dem ehemaligen Apothekergesellen der Leibapotheke Christian Gottlob Weinlig am 30. Mai 1770 gestattet, den Titel Leibapotheker zu führen, der schon seinem Vorgänger johann Adam Hoppe verliehen worden war. Als nun nach ihm der gewesene Feldapotheker Gottfried Michael Hoffmann die Apotheke an der Ecke der Wilsdruffer Gasse übernahm, glaubte er auch damit das Recht erworben zu haben, sich des Titels, Schildes und Siegels "Ihro Königlicher Hoheit Leibapotheke" bedienen zu dürfen. Auf Veranlassung des Kurfürsten Friedrich August 111. erließ aber der Rat am 12. Septem ber 1782 eine Verfügung, die dem Apotheker Hoffmann die Führung dieses Titels untersagte und jede Zuwiderhandlung mit zehn Talern Strafe bedrohte. Das Verbot war nicht unberechtigt; denn die Kurfürstin Maria Antonia war 1780 gestorben. Zudem befürchtete die kurfürstliche Verwaltung eine Schmälerung der auf dem Taschenberg untergebrachten Hofapotheke, möglicherweise gar eine Verwechslung, wenn Hoffmann die Bezeichnung "Leibapotheker" weiterführte. Hoffmann war vernünftig genug, die Gründe, die zu dem Verbot führten, als stichhaltig anzuerkennen. Und so versprach er in einem Schreiben vom 7. Oktober 1782, binnen vier Wochen das aushängende kurbayrische (Maria Antonia war eine bayrische Prinzessin) und kursächsische Wappen zu entfernen. Er wolle dann den Löwen, der vor der erlangten Konzession an der Hausecke geprangt hatte, dort wieder anbringen. 24 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Po r tal cl e r L ö wen apo t he k e (bis 1913) http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Dieses alte Abzeichen (s. InnentiteI), ein li e gen der Löwe mit der Inschrift "Privilegirte Löwen-Apothecke", jetzt im Stadtmuseum, war später im Lichthof des Grundstückes eingemauert. Ebenso war dort in das Mauerwerk eine jetzt auch im Stadtmuseum befindliche Tafel eingelassen, deren fast unleserliche Schrift an den Brand von 1707 erinnerte: "Der Herr Wahr unsere Hülffe. AIß dieses Hauß Ao. 1707 den 24. Febr. Unter der Regierung Friedr. Aug. Kön. und Churf. zu Sachsen Abends gegen 7 Uhr durch eine Starke Feuersbrunst Gänzl. in die Asche gelegt worden Ist solches durch Frau Anna Rosine Müllerin geb. Skorolin Tit. Hr.jodoci Müllers Apotheckers allhier SeI. hinterlassene Frau Witwe und Erbin in zweijähriger Zeit erbaut worden. Gott lasse uns und alle Kommende Besitzer in Frieden darin leben und behüte sie vor allem Unglück in der N oth, die uns betroffen." Hoffmann entschloß sich nun aber, einen neuen Löwen anfertigen zu lassen. Er teilte das dem Rat mit, und damit war der Fall erledigt. Hoffmann nannte seine Officin wieder die "Löwenapotheke". johann Ferdinand Feige, aus einer bekannten Dresdner Bildhauerfamilie stammend, erhielt von Hoffmann vertragsgemäß für Aushauen des Löwen in Stein, Färben und Vergolden mit gutem Dukatengold 20 Taler. Es war das letzte Werk des Künstlers; denn bald darauf verstarb der rüstige Meister im Alter von 50 jahren. Der von Meister Feige geschaffene sc h re i t end e Löwe ist ein stummer Zeuge geworden der Durchzüge von Kriegsvolk und der Zusammenrottung von Aufrührern, von rauschenden Volksfesten und prunkvollen Fürsteneinzügen. Er sah die Weihe des Siegesdenkmals und die in Flammen aufgehende Kreuzkirche. Und so manchem der jetzt noch Lebenden gab seine majestätische Ruhe Trost und Hoffnung, wenn es Kranken zu helfen galt. Von Thermolampe und Chlorodont W 'e schon Hanns unter der Linden fleißig laborieret hatte, so haben auch die ihm folgenden Apotheker nach altem Brauche ihres Berufes an der Vogelecke und in der Löwenapotheke emsig mit Glas und Retorte, mit Maß und Gewicht hantiert. Einer unter ihnen, Ka rl Go ttfri e d B ü n ger, ging unter die Erfinder und wissenschaftlichen Schriftsteller. Bünger war am 26 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig 20. Oktober 1768 in Wrietzen an der Oder im Brandenburgischen geboren worden. Er studierte in Halle und begann seine Apothekerlaufbahn als Lehrling in der Officin des Apothekers Loose. Seit 1798 war er dann Pächter der Löwenapotheke. Hier in Dresden bot sich ihm Gelegenheit zu Vorlesungen vor allem über Experimentalchemie. In Gilberts "Annalen der Physik", im "journal der Chemie" und im "journal der Pharmacie" erschienen bedeutende physikalische, chemische und pharmaceutische Abhandlungen. Aufsehen erregte 1804 seine Erfindung der Thermolampe fUr Apotheker. Diese war mehr ein zur Ersparung von Brennmaterial eingerichteter Verkohlungsofen. Er heizte ein Exsiccatorium (Trockenofen) und gab dabei soviel Kohlenwasserstoffgas, daß abends drei bis vier Zimmer damit erleuchtet werden konnten. Zugleich heizte dieser Ofen ein Sandbad und lieferte acht Kannen Wasser in zwei kupfernen Gefäßen bei Verkohlung von etwa 22 Pfund Holz. Die als Nebenprodukt sich ergebende Holzkohle fand weitere Verwendung. Bünger nahm unter seinen Kollegen vom Fach eine außerordentlich geachtete Stellung ein. Im jahre 1805 ernannte ihn die Oekonomische Societät zu Leipzig zu ihrem Ehrenmitgliede. Etwa hundert jahre später wurde die Löwenapotheke die Geburtsstätte eines Weltunternehmens. Am 1. januar 1907 übernahm sie ein Apotheker und Chemiker, der in seltenem Maße die Gabe des Weitblickes und dazu ein Herz für das Wohl des Volkes besaß: Dr. phi!. Ottomar Heinsius von Mayenburg. In den alten Räumen des vor zwei jahrhunderten aus dem Brandschutt erstandenen Gebäudes verwirklichte er an seinem Teile die Sorge für die Zahnerhaltung durch die Herstellung eines Zahnpflegemittels auf wissenschaftlicher Grundlage. "Chlorodont", der Name dieser Zahnpaste, ist heute buchstäblich in aller Mund. Ottomar Heinsius von Mayenburg war wohl der einzige, der damals die Entwickelung des Unternehmens vom provisorischen Laboratorium über den Dächern Dresdens - die erste Chlorodontpaste wurde 1909 von einem Laboranten und drei Arbeiterinnen in den Dachräumen der Löwenapotheke mittels Porzellanmörser und einer Handfüllmaschine hergestellt - bis zu Fabriken und Niederlagen in den bedeutendsten Städten der alten und neuen Welt ahnte. In dankbarer Erinnerung an den bescheidenen Anfang in der Löwenapotheke nannte er die rasch aufblühende Weltfirma die "Leo-Werke". Die Fabrikmarke aber zeigt heute noch den Löwen, das Urbild der Hoheit und Kraft, die im Dienste des Gemeinwohls ihr höchstes Ziel erblicken. 27 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Faust und Stirn um Markt, Vogelecke und Löwenapotheke M ehr als zwei jahrhunderte war der Barockbau Meister Fehres dem Stadtbild Zierde und Wahrzeichen. Da fielen in der zweiten Hälfte des 19. jahrhunderts die alten Häuser der Badergasse, die als Sackgasse den Zugang vom Altmarkt nach dem Pirnaischen Platze sperrte. An ihrer Stelle entstand die König-johann-Straße und mit ihr der gewaltig sich steigernde Straßenverkehr von Ost nach West und umgekehrt. Dort, wo sich die beiden Verkehrsachsen Dresdens aber kreuzten, erwies sich das Grundstück der Löwenapotheke merklich als Barre. Schon lange vor dem Ankauf der Löwenapotheke durch die Stadtgemeinde (s. S. 10), der 1906 erfolgte, wurden Pläne entworfen, auch von Laien und Besserwissern, wie man Herr der Situation werden könne. Eins stand von vornherein für den Stadtbildner fest: Die sperrende Ecke mußte fallen! Der mit der Geschichte der Stadt und ihrem gewohnten Bild verwachsene Bürger war aber damit nicht einverstanden. Wie konnte es auch anders sein! Denn so oft führte ihn der Weg dort vorüber, waren doch Markt und Löwenecke Brennpunkt nahezu aller Verkehrsstrahlen ! Der gute alte Dresdner liebte das unveränderte Marktbild. Und ein Prachtbau war Meister Fehres Werk, das den siebenjährigen Krieg unversehrt überstanden hatte, doch und noch. Die schöne Aufteilung der Fassade in vier Stockwerke, das erste, zweite und dritte mit je zehn Fenstern nach der Wilsdruffer Straße und mit je fünf Fenstern nach dem Altmarkt, der durch drei Stockwerke emporgeführte Erker mit dem goldenen Löwen im ersten und mit dem Flügel spannenden Vogel im dritten Stockwerk und dem krönenden Eckbalkon, die zwei himmelragenden Dachgeschosse, die Brüstungen und wundervoll verteilten Krönungen der Fenster, die Rustika des Erdgeschosses mit den schmalen, hohen Fenstern, hinter denen sich die Geheimnisse der Alchimie vermuten ließen das war es, wovon sich der Lokalpatriot nicht trennen mochte. Und stiegen wir in diesem verwinkelten Hause herum, in den nahezu völlig finsteren Kellergewölben, zu denen nur durch die in den zwei Meter dicken Mauern eingelassenen Lichtschächte spärlich einiges Mattlicht hereindringen konnte, bis hinauf zu den Dachgeschossen, in denen jeder Raum ausgenutzt war, dann begleitete 28 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Die Löwenapotheke seit 1914 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig uns der scharfe Geruch der Chemikalien und Ingredienzen, der Duft der Drogen und Kräuter vom feuersicheren Keller unter der Gangbahn der Wilsdruffer Straße bis hinauf zum Kräutertrockenplatz auf dem Dache. Dabei gab es Gelegenheit, die Barockdecken einer vergangenen Pracht und im vierten Stock die malerische Holzgalerie nach dem Lichthofe des Hauses zu bewundern. Bei all dem kam uns zum Bewußtsein, daß diese Apotheke, wie heute noch, in Frequenz und Umsatz zu den größten ihrer Art zu zählen sei.~ Das alles sollte fallen! In den ersten januartagen des jahres 1913 begann der Umzug der Löwenapotheke ins alte Rathaus, nachdem auch das nebenan am Altmarkt gelegene Krohnesche Grundstück zum Abbruch verurteilt worden war. Da der Transport der etwa 100000 Gefäße und Flaschen, Kartonnagen und Tuben außerordentlich umständlich war, wurden auf den Vorschlag des Stadtbauinspektors Hertzsch die meterstarken Mauern des Krohneschen Hauses und des alten Rathauses durchbrochen, und durch diese Mauerdurchbrüche gelangte in Kisten und Körben die ganze Officin nach und nach in das provisorische Heim. Der Umzug kostete hierbei kann man sich eine Vorstellung von der Umfänglichkeit machen - rund 5000 Mark. Und nun fiel Quader um Quader. Mauern und Wände, Säulen und Gewölbe stürzten. Zahllose Gespanne sorgten für den Abtransport der Schuttmassen. jetzt erstand aus tiefer Gründung der Bau Meister Erlweins, der, vom jetzigen Stadtbaudirektor Hirschmann in Planung und Ausführung tatkräftig und genial unterstützt, von einem großen Teile der Bürgerschaft einer nicht gerade wohlwollenden Kritik unterzogen wurde. Die einen wünschten den status quo mit dem traditionell engen Straßeneingang, die anderen schossen über das Ziel hinaus u.nd forderten gründliche Verbreiterung. Ausgehend von dem Gedanken, daß die letztere wohl wünschenswert sei, aber in der wundervollen Symmetrie des Altmarktes eine gähnende Leere verursacht hätte, die in unschönem Gegensatze zu dem auch nicht breiten Eingange der Schloßstraße gestanden und ein Loch in die Westfront des Altmarktes gerissen hätte, entschlossen sich die beiden Meister zur Lösung der Frage auf dem Wege der goldenen Mitte. Der Laubengang wurde geplant, den Wünschen nach Verbreiterung Rechnung zu tragen; die Ecke und Front nach der Wilsdruffer Straße, vom Laubengang getragen, erhielt aber zugleich die Geschlossenheit des Marktbildes - wer wollte wagen, angesichts dieser geradezu einzigartig geschickten Lösung noch zu murren! 30 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Die Löwenapotheke seit 1914 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig Die Wilsdruffer Straße wurde dadurch um fast sieben Meter verbreitert; denn die Straßenflucht wurde um vier Meter zurückverlegt, und der Laubengang hatte bis zur Front des Erdgeschosses immer noch eine Breite von fast drei Metern. Die Architektonik des Neubaues versöhnte wohl auch den verbohrtesten Kritikaster. Der Charakter des Patrizierhauses war vollendet gewahrt worden. ja, er erhielt seine Krönung durch die vornehme Einfachheit, die alle Sünden eines erst überstandenen Stiles mied und auch nicht in den Fehler einer allzugroßen Sachlichkeit verfiel, die uns heute schon wieder unerträglich ist. Bei der Innenplanung wurde D r. 0 t tom a r H ein s i u s von M a yen bur g mit seinem getreuen R ich ar d Sc h ra m m zum verständnisvollen, unersetzlichen Sachberater für die Aufteilung der Geschäftsräume, der Laboratorien und der Lager. Erlweins und Hirschmanns Pläne eilten weit voraus. Die vier Fronten des Altmarktes sollten nach ihrem Willen in sich einfügender Aufteilung, in Stil und Färbung erstehen, ähnlich der Löwenapotheke, mit reichem Goldschmuck der vielen vorhandenen Plastiken und Gitterwerke, so daß der schöne Markt wieder zu dem werden sollte, was er vor jahrhunderten schon gewesen war, zu einem prunkvollen Saale unter freiem Himmel, zu einem Platz der Repräsentation und der Feste. Und so wurden die Löwenapotheke und das einer prächtigen Erneuerung unterzogene alte Rathaus der Anfang zu diesem Projekt, dessen ganze Ausführung der Krieg und die Nachkriegszeit mit ihren wirtschaftlichen Erschütterungen verhinderte. Professor Ge 0 r g W rb a nahm sich der Plastiken an der Löwenapotheke an. Er schuf den Apotheker jodokus Müller, zwischen zwei sitzenden Löwen unter dem Erker stehend, dem er die Gesichtszüge seines Freundes Professor Otto Gußmann, des bekannten Dresdner Malers, lieh. Und unter der Brüstung des Erkers im ersten Geschoß modellierte er Reliefs, die das Fleischerhandwerk illustrieren. Was sollen aber diese hier an dem Bau, mit dem durch jahrhunderte die Apotheke verbunden war? ja, noch lange vor der Zeit, als die Vogelhändler zu Marktzeiten an der Ecke feilschten, standen hier die Freibänke der Dresdner Metzger, und Meister und Gesellen dieser Zunft hantierten hier mit Beil und Messer noch lange zuvor, ehe Wage und Flasche des ]odokus Müller Wahrzeichen seiner Gilde wurden. So klingt noch heute ein Zunftlied aus grauen Tagen, ein deutsches Lied von Faust und Stirn um Markt, Vogelecke und Löwenapotheke. . . 32 http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829 Digitale Bibliothek Braunschweig http://www.digibib.tu-bs.de/?docid=00032829
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