Politik Standpunkt Aufbruch ins Zeitalter der Permamobilität – Ende des Stillstands Der amerikanische Fahrzeughersteller General Motors geht davon aus, dass binnen zehn Jahren die ersten fahrerlosen Taxis auf den Straßen verkehren werden. Tesla-Gründer Elon Musk ist in seinen Prognosen noch optimistischer. Doch unabhängig vom tatsächlichen Zeitpunkt darf es als relativ sicher angesehen werden, dass der motorisierte Straßenverkehr der Zukunft maschinen- und nicht menschengesteuert stattfindet. – Eine Einschätzung von Thomas Sauter-Servaes. 20 Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 zeuge gegen professionelle Flottenbetreiber an, die mit speziellen Vehikeln andere Marktsegmente bedienen werden. Wendige Einsitzer mit ungestörter Privatsphäre werden nach dem Nespresso-Prinzip den starren Linienbetrieb von Bussen und Bahnen attackieren. Kapsel statt Kanne auch im Verkehr. Kleinbusähnliche Mobile können dagegen verschiedene Mobilitätswünsche zu gemeinsamen Fahrten verknüpfen und als Sammeltaxi extrem kostengünstig eine Tür-zu-Tür-Beförderung ermöglichen. Die Mobilität wird zu einem großen Experimentierfeld innovativer On-Demand-Mobilitätsservices. Die bislang undurchlässigen Mauern zwischen privater Automobilität, Taxi und kollektivem ÖV werden fallen, Personen- und Güterverkehr in der redesignten Postkutsche der Moderne verstärkt wieder kombiniert. Digitale Mobilitätsplattformen ermöglichen eine Echtzeit-Transparenz über sämtliche Optionen, berechnen in Millisekunden die optimale Kopplung von Beförderungsanfragen und -kapazitäten. Das Auto wird zum Anhängsel des Smartphones, die Algorithmen im Hintergrund mindestens ebenso wichtig wie die Robotik im Fahrzeug. Dieses Internet der rollenden Dinge läutet das Zeitalter der Permamobilität ein. Verzeichnen private Personenwagen heute im Durchschnitt tägliche Standzeiten von rund 23 Stunden oder über 95 % ihrer Lebensdauer, wird ihr Betrieb nun von der Effizienzwelle eingeholt. Henry Fords Fließbandprinzip der Automobilindustrie als Inbegriff der Effizienzsteigerung erreicht mit 100 Jahren Verzögerung als Fließbandmobilität der Permamobile den motorisierten Straßenverkehr. Die aus dem Wegfall der Parkplätze resultierenden Flächengewinne entsprechen einem gigantischen innerstädtischen Landerschließungsprogramm. Die Herausforderung wird sein, den notwendigen Neuordnungsprozess der freiwerdenden Verkehrsflächen für eine nachhaltige Steigerung der innerstädtischen Lebensqualität zu nutzen. Werden die Flächen nicht genutzt, um muskelkraftbetriebene Fortbewegungsformen in ihrer Attraktivität deutlich zu steigern, werden sich die Effizienzgewinne eines robotisierten Straßenverkehrs schnell zum Nachteil ent wickeln: Stark sinkende Mobilitätskosten verbunden mit Qualitätssteigerungen werden Nutzungsfrequenz und Reiseweiten des Autos 4.0 explodie■ ren lassen. Dann droht der nächste Stillstand. Dr.-Ing. Thomas Sauter-Servaes Studiengangleiter Verkehrssysteme, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), Winterthur (CH) [email protected] Foto: privat W as sich zunächst nach einer weiteren technologischen Evolutionsstufe im Automobilbau anhört, wird bereits in absehbarer Zeit revolutionäre Auswirkungen auf das gesamte Verkehrssystem und unser Mobilitätsverhalten haben. Es bedeutet nicht weniger als das Ende des Stillstands, den wir seit Jahrzehnten auf vielen Ebenen des Verkehrssystems erleben. Noch sehen wir beim „autonomen Fahren“ ein klassisches Auto vor dem inneren Auge, vielleicht ohne Lenkrad und Gaspedal, aber weiterhin in den gewohnten Proportionen. Blickt man zurück auf den Systemwechsel von der Kutsche zum Automobil erscheint es allerdings logisch, dass die Automatisierung vollkommen andere Fahrzeugkonzepte hervorbringen bringen wird. Denkbar wäre ein COV, ein Commuter Vehicle, das die heutigen Sport Utility Vehicles (SUV) in Abmessungen und Gewicht übertreffen wird. Denn mit dem automatischen Fahren verlieren lange Pendlerdistanzen endgültig ihren Schrecken. Das Auto wird zum Road Office, die Fahrtdauer analog zum Home Office als Arbeitszeit angerechnet. Nicht Leistung und Geschwindigkeit stehen im Fokus des Nutzers, sondern Komfort, Vernetzung und alternative Nutzungskonzepte. Ein eigenes Ökosystem digitaler und analoger Dienstleistungen wird sich rund um das selbstfahrende Auto etablieren. Angesichts dieses Anforderungsprofils haben plötzlich Google, Uber & Co. die besseren Startbedingungen, um das Auto von morgen zu entwerfen. Mit Hochdruck arbeiten daher die großen Autohersteller an der Transformation zu Mobilitätsdienstleistern. Ford kooperiert mit Google, General Motors investiert eine halbe Milliarde Dollar in den taxiähnlichen Service Lyft und Daimler bietet auf der hauseigenen App moovel verschiedene Mobilitätsangebote aus einer Hand. Die Luft für reine Autobauer wird dünner. Mit der um ein Vielfaches bequemeren und zeiteffizienteren Raumüberwindung im COV schwingt das Pendel der Urbanisierung zurück. Das günstigere und grünere Leben auf dem Land haucht alten Dörfern neues Leben ein. Was Starbucks heute ist, könnten COVs für Arbeitsnomaden der Zukunft sein: ein angesagter Third Place irgendwo zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Dass ein derartiges Fahrzeug in der Stadt im Jahr 2015 keinen Parkplatz mehr finden würde, ist 2025 ohne Belang. Es benötigt keinen Stellplatz mehr, da es nach dem Absetzen seines Besitzers ohne Pause im Taxi-Modus für diesen Geld verdient – vielleicht auch nachts im Lieferbetrieb. Als rollende Variante der Wohnungsvermittlungsbörse airbnb tritt ein riesiger Schwarm dieser privaten Sharing-Fahr-
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