Endstation Notunterkunft - Was tun Kommunen für Obdachlose? | Manuskript Endstation Notunterkunft - Was tun Kommunen für Obdachlose? Bericht: Albrecht Radon Traurige Rückkehr in die Obdachlosenunterkunft Köthen. Janet Prengel und Angie Sopart blicken auf die Spuren eines unglücklichen Lebens. Aufgewühlt durch unsere Berichterstattung hatten sie vor einem Monat gemeinsam mit anderen Helfern das Zimmer von Peter Modrack auf Vordermann gebracht. Nun ist er tot. Angie Sopart: Wir wollten eigentlich, dass er sieht, dass man auch anders leben kann, in einem sauberen Umfeld. Einfach, dass er wieder Freude hat und aus dem Trott rauskommt, dass er sieht, dass es auch anders geht. Ende vergangenen Jahres besuchen wir Peter Modrack das erste Mal - und sind erschüttert. Der 67-Jährige lebt in einem völlig verwahrlosten Zimmer. Seinen Tag verbringt der Alkoholkranke auf der Couch. Er wirkt angeschlagen - immer wieder erleidet der Rentner starke Hustenanfälle. Um sich zu Waschen, müssen die Bewohner das Wasser elektrisch erhitzen. Duschen gibt es nicht. Die Toiletten sind auf halber Treppe und für den gehbehinderten Peter Modrack nur schwer erreichbar. Sämtliche Zimmer werden mit alten Öfen beheizt. Peter Modrack Im Winter wird es hier nie warm, nie. Vor zwei Wochen stirbt Peter Modrack auf seiner Couch. Peter Böckelmann wohnt seit drei Monaten in der Einrichtung. Er hat seinen toten Mitbewohner gefunden. Peter Böckelmann Unbeschreiblich. Wird man so schnell nicht los, das Gesicht. Zimmernachbar Fred Mattern kannte Peter Modrack seit fast 40 Jahren. Reporter: Was war das für ein Mensch, der Herr Modrack? Fred Mattern: Das war ein guter Mensch. Ich bin mit dem bombig klargekommen. Hier ist er auch nochmal. Der Tod seines Freundes hat ihn schwer getroffen. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Endstation Notunterkunft - Was tun Kommunen für Obdachlose? | Manuskript Fred Mattern Ich war erstmal fix und fertig. Musste erstmal raus hier aus dem Haus. Da habe ich vier Tage auf der Straße gewohnt. Im Obduktionsbericht heißt es: Peter Modrack ist an akutem Herzversagen gestorben. Auslöser: Vorschädigungen an Herz und Lunge. Die Hausbewohner bringen den Tod trotzdem mit den katastrophalen Zuständen in der Unterkunft in Verbindung. Sie zeigen uns gesundheitsgefährdenden Schimmel in den Zimmern. Fred Mattern: Aber die haben ja hier nie was gemacht. Und bei ihm war das hier am schlimmsten. Reporter: Der Schimmel? Fred Mattern: Ja. Peter Böckelmann: Gerade für jemanden Älteres, der so schon ein paar Probleme hat, wird es nicht besser werden. Hinzu kommt die Kälte im gesamten Haus. Am Todestag lagen die Außentemperaturen um den Gefrierpunkt. Bei unserem letzten Dreh steigt das Thermometer im Zimmer von Peter Modrack nicht über zehn Grad. Angie Sopart Hier war es manchmal arschkalt auf Deutsch gesagt. Der saß hier mit zwei Decken, richtig eiskalt. Der hat nur gefroren. Egal, wann wir hier waren. Die Stadt Köthen lehnt seit Monaten Interviewanfragen zur Wohnsituation ab. Im Rathaus ist man nach wie vor der Meinung: Die Anforderungen an die Unterbringung Obdachloser sind erfüllt. Eine soziale Betreuung für die Bewohner gibt es nicht. Dafür zuständig: der Landkreis. Man arbeite an einem Konzept, heißt es. Peter Modrack hatte zwar eine Betreuerin, doch die war nur für die rechtlichen Angelegenheiten zuständig. Wir besuchen die Frau zu Hause. Sie will unerkannt bleiben. Betreuerin Ich kann mir nichts vorwerfen. Herr Modrack hat alle Hilfsangebote abgelehnt. Da er nun verstorben ist, hat sich das Thema für mich erledigt. 180 Kilometer entfernt. Das Wohn- und Sozialhaus "Zum Regenbogen" in Zwickau. In der ehemaligen Pension für Bauarbeiter finden gestrauchelte Existenzen eine Zuflucht. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Endstation Notunterkunft - Was tun Kommunen für Obdachlose? | Manuskript Kerstin Täuber: Du weißt, was heute ist. Michael Gehlert: Wellnesstag. Kerstin Täuber: Wellnesstag. Wie jeden Freitag. Michael Gehlert: Ja. Hier sind zurzeit 28 wohnungslose Menschen untergebracht, wie der 64jährige Michael Gehlert. Die soziale Betreuung übernimmt Betreiberin Kerstin Täuber persönlich und unentgeltlich. Kerstin Täuber: Damit du das Wochenende wieder schön aussiehst, wenn du zu den Verkäuferinnen in den Kaufmarkt gehst. Michael Gehlert: Oh ja. Kerstin Täuber: Kannst du wieder flirten. Michael Gehlert: Nanana. Kerstin Täuber: Es wird dann noch geduscht. Es wird noch Einkaufen gegangen, wir waschen die Wäsche. Alles, was dazu gehört, dass es einem ein bissel gut geht. Michael Gehlert: Ach, mir geht es gut. Reporter: Wie wichtig ist denn das, dass sich jemand um sie kümmert? Auch die simplen Sachen, wie Rasieren - wie wichtig ist denn das für Sie? Michael Gehlert: Für mich ist es ganz wichtig, weil ich nicht mehr so richtig sehe. Da würde ich mich laufend schneiden. Peter Modrack hatte diese Hilfe nicht. Wir zeigen Kerstin Täuber unsere Bilder von der Obdachlosenunterkunft Köthen. Die 55jährige ist entsetzt. Kerstin Täuber: Das kann ja wohl nicht sein. Dieser Mensch lebt ja völlig verwahrlost. Ein Wahnsinn. Das ist ja unterlassene Hilfeleistung. Für sich ganz alleine gelassen. Wenn die Stadt so eine Einrichtung hat, dann müsste sich doch Köthen drum kümmern. Die monatliche Miete im Regenbogenhaus beträgt inklusive Nebenkosten 270 Euro. Dafür gibt es Duschen, Toiletten und ein warmes Zimmer. Viele der Bewohner sind alkoholkrank, so wie der verstorbene Peter Modrack. Kerstin Täuber weiß: Ihr Organismus reagiert speziell auf Kälte äußerst empfindlich. Kerstin Täuber Die frieren ja so, die klappern ja richtig, die haben ja richtig Schüttelfrost. Und dann noch ein kaltes Zimmer - dann versagt das Immunsystem, dann versagt das Herz, dann versagt ja alles. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3 Endstation Notunterkunft - Was tun Kommunen für Obdachlose? | Manuskript Kerstin Täuber finanziert alle anfallenden Kosten von den Mieteinnahmen der Bewohner. Viel bleibt da nicht übrig. Dennoch: Die Betreuung obdachloser Menschen ist für sie eine Herzensangelegenheit. Kerstin Täuber: Hallo. Willste dein Geld? Um sie vor sich selbst zu schützen, verwaltet Kerstin Täuber auch deren Einkünfte. Ohne diesen Service würde Steffen Neef seine monatliche EU-Rente wohl zu schnell in Alkohol und Zigaretten umsetzen. Kerstin Täuber: Was machstn das Wochenende? Steffen Neef: Mal schauen. Ich will eventuell mal in die Stadt. Kerstin Täuber: Mal sehen, wie das Wetter wird. Mittagszeit. Der ehemalige Imbissbetreiber Peter Rohde kocht in der Gemeinschaftsküche Bohnensuppe - wer will, darf sich daran beteiligen. Er und Kerstin Kaluza leben seit vielen Jahren im Regenbogenhaus. Beide haben unsere Berichterstattung über die Obdachlosenunterkunft Köthen im Fernsehen verfolgt. Peter Rohde: Sowas ist strafbar eigentlich. Kerstin Kaluza: Das ist menschenunwürdig sowas. Das ist wie eine Müllhalde. Peter Rohde: Da ist das hier ein 5-Sterne-Hotel dagegen. In einem geborgenen Umfeld den Lebensabend verbringen, ist offenbar auch für wohnungslose Menschen möglich. Peter Modrack hatte dieses Glück nicht. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 4
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