Weinvariationen zu: Zitronen! KULINARIK Es gibt viele Strategien, um dem Winterblues beizukommen, der in unseren nördlichen Gefilden erst im neuen Jahr, nach vielen Feiertagen, so richtig zuschlägt. Flug gen Süden buchen, übers Wochenende ins nächste Thermalbad entfliehen, zu Hause das Helllicht installieren und die Vitamin-D-Dosis erhöhen. Oder auch: einmal so richtig in Zitronen schwelgen – und dazu Wein trinken. Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug K ennst du das Land, wo die Zitronen blühn... Wer einmal die Amalfi-Küste entlanggefahren ist, weiss, wie die mannshohen Pergolen auf den steilen Terrassen voll der gelben Früchte hängen; hat sie am Strassenrand bei den Händlern als «Limoni» in Spankörben liegen sehen. In grossen Schnitzen werden sie einem zum Probieren entgegengestreckt. Der Nordländer zögert, der Biss in die Zitrone scheint wie ein Sprung ins kalte Wasser – doch dann: eine neue Geschmackswelt! Natürlich ist da auch Säure, aber die belebt, wird umrahmt von reifer Süsse und salziger Mineralik. Dazu das leuchtende Gelb, durchsetzt mit ein wenig frischem Grün... Aromatherapie pur. Besonders zu diesem Zeitpunkt des Jahres kommt die mehr als gelegen, schmeckbares Sonnenlicht nach schweren Festtagsbraten und dunklen Saucen. Natürlich, Zitronen sind ganzjährig erhältlich, weil die immergrünen Bäume gleichzeitig blühen, junge Früchte heranwachsen lassen und reife tragen können. Doch die Primofiore aus der ersten Blüte von November bis April sind die besten; Grün ist übrigens kein Zeichen für Unreife, denn gelb werden Zitronen nur durch kühle Nächte. Spätestens jetzt fragt sich der geschätzte VINUM-Leser zweifellos, ob sich das nun wirklich mit dem grossen Thema Wein zusammenbringen lässt. Wir behaupten, die beiden sind förmlich füreinander geschaffen. Belebende Säure, Reife, Mineralik – klingt das nicht sowieso schon wie Wein? Also los, ran an die Zitronen! Grundsätzlich gilt dabei: Der Saft bringt Säure und Frische, während die Schale (dünn abgerieben von unbehandelten Bio-Zitronen) die ätherischen Öle enthält, die uns in inspirierende Aromenhöhen entführen. Aus chemischer Sicht handelt es sich um eine Mischung aus Limonen, Pinen, Terpinen und dem superintensiven Citral, in dem das kernige Geranial mit dem rosigduftigen Neral flirtet. Im Norden denken wir in der Küche bei Zitronen wahrscheinlich zuerst an Süsses: Wir aromatisieren Creme und Parfait, Mousse und Gelato, tränken Rührkuchen mit Zitronensirup und überbacken Lemon Curd, also Zitroneneiercreme, mit luftiger Meringue zu Lemon Pie. Gebratene Minibananen glasieren wir mit Zitronensaft, oder wir frieren denselben zu körnigem Granité. Weintechnisch bietet uns all dies eine wunderbare Gelegenheit, um Süsses aus dem Keller zu holen; es gibt wohl kaum Belebenderes als Zitroniges auf dem Dessertteller und eine der unzähligen grossartigen Riesling-Auslesen von Mosel, Saar und Ruwer im Glas, eine Petite Arvine Grain Noble von Marie Chappaz aus dem Wallis oder einen Ruster Ausbruch von Heidi Schröck aus dem Burgenland. Doch unsere gelben Freunde können viel mehr. Besonders die griechische Küche ist ohne Zitronen undenkbar. Hier werden sie in Salz eingelegt, während Nordafrika sie eher mit Gewürzen in Olivenöl mariniert. Beides lässt sich bestens in Salaten und Schmorgerichten einsetzen, um Licht und Farbe in die Kulinarik zu bringen. Die herzhafte, griechische Version des Lemon Curd heisst Avgolémono, wörtlich «Ei-Zitrone». Es handelt sich um eine Art warme Mayonnaise, für die zuerst Zitronensaft mit Eiern verquirlt und dann warme (nicht kochende!) Brühe untergeschlagen wird. Das begleitet alle Arten von Fisch, Fleisch und Gemüse (Artischocken! Rote Bete! Kürbis!) aufs Feinste, schmeckt aber etwas verdünnt auch als Suppe. Wir brauchen Konzentration Und zu alldem, nun endlich, Weisswein ins Glas! Die Auswahl ist gross, die Eckdaten zur Richtungsfindung folgende: Eine gewisse Kraft, ein Mindestmass an Rückgrat muss sein, um Säure und Aromenfülle aufzufangen. Das bedeutet: Unter 12,5 Vol.-% Alkohol wird es schwierig. Zu hohe Erträge sind kontraindiziert, weil wir Konzentration brauchen. Und: Salzig wirkende Mineralik im Glas harmoniert ausgesprochen gut mit zitroniger Aromatik im Glas. Bei der Wahl der Rebsorte und Herkunft punktet darüber hinaus die Tendenz zu gut ausgereifter, «südlicher» Säure, deshalb heissen unsere Stars Riesling und Assyrtiko, aber auch Albariño, Carricante, Chenin, Fiano, Sauvignon Blanc und Torrontés. Von den richtigen Böden, aus den besten Kellern «funktionieren» ausserdem auch Silvaner, Chasselas und Verwandte, besonders wenn sie durch ausgedehnten Hefekontakt der Zitronenintensität viel Umami entgegensetzen können. Wer sich jetzt wundert, wie weit gefasst die Möglichkeiten bei dieser weinkulinarischen Aromatherapie sind: Bei der Begegnung von Wein und Essen ist es wie im wahren Leben. Die «richtige» Antwort variiert abhängig von Stimmung und Situation. Deshalb alle Sinne auf entspannten Empfang schalten und ganz tief und frei riechen, schmecken, geniessen. VINUM 57 KULINARIK DIE WEINE Dreimal Weiss zum Zitronenhuhn – passend für unterschiedliche Vorlieben und Stimmungen, aber immer aromengelb und säureaffin. Yvorne Grand Cru 2014 Collection Chandra Kurt Bolle, Waadt (CH) 12,5 Vol.-% | 2016 bis 2020 Chasselas, also Gutedel, mit Blick auf den Genfer See, sehr fein, hell und leise, dabei eindringlich und langanhaltend mit zarter Säure, weissen Blüten, getrockneten gelben Früchten und frischen Haselnüssen. Ein diskreter Begleiter, der mit jedem Schluck spannender wird und einen schliesslich kaum noch loslässt. Riesling Turm Scharlachberg 2008 Weingut Riffel Bingen, Rheinhessen (D) 12,5 Vol.-% | 2016 bis 2020 Quarzitboden wie im Rheingau, aber statt auf den Rhein in die rheinhessische Weite gerichtet. Rauch und getrocknete Aprikosen in der Nase, dann sanfte, tiefe Fruchtsüsse von steiniger Säure getragen; zugänglich, dicht und lang. Erste (positive) Reifearomen, die aber durch die ausgewogene Witterung dieses Jahrgangs nur den Anfang bilden. Nychteri 2012 Domaine Sigalas Santorini (GR) 15 Vol.-% | 2016 bis 2025 Ganz grosses Kino aus überreifen AssyrtikoTrauben von wurzelechten alten Reben, die auf dem kargen Vulkanboden der Kykladeninsel Santorini wachsen. 30 Monate in alten grossen Eichenfässern auf der Hefe gelagert – weder trocken noch süss, sondern balsamisch und seelenstreichelnd mit feinsten Rosinen- und Walnussaromen. 58 VINUM Nychteri: umamistarkes Gegenüber für Olivenöl und Zitrone, vollkommen zeitlos – inspirierend. KULINARIK Riesling: Zitronenfreund mit perfekter Balance zwischen Finesse und purer Lust – belebend. Yvorne: der elegante, diskrete Erfrischer, eine Begegnung auf Augenhöhe – entspannt. VINUM 59 F R O M A G R E A T P A S T, A N E V E N G R E A T E R F U T U R E Vinitaly, 50 th edition VERONA 10 -13 APRIL 2016 TO G E T H ER W I T H I N T E R N AT I O N A L W I N E & SPIRITS EXHIBITION ORGANIZED BY V E RO N A , A P R I L 9 2016 Premier Event - operawine.it T R A D E O N LY FO L LOW U S I N F O.V I N I TA LY @ V E R O N A F I E R E . I T V I N I TA LY. C O M KULINARIK n ist Ursula Heinzelman ère eli mm So in, ch Kö t und Verkosterin mi er ch tis ak pr jahrelanger Erfahrung. Zitronenhuhn mit Kartoffeln und Schalotten Z itrone ist nicht gleich Zitrone. Das Zeitfenster für die Primofiore aus Amalfi ist klein, ihr Weg zu uns in den Norden nur selten gewährleistet. Doch frische Zitronen sind quasi überall erhältlich und bieten grundsätzlich perfekte Aromenbelebung in den grauen Monaten. Salzzitronen sind dabei Doping für Herzhaftes; entweder selbst eingelegt (siehe Tipp) oder aus gut sortierten Feinkostabteilungen. Dann noch Paolo Conte «Un gelato al limon, vero limon» singen lassen, und der Winterblues gibt garantiert klein bei. REZEPT FÜR 4–6 PORTIONEN 1 küchenfertiges Brathuhn, etwa 1,8 kg schwer 1 kg kleine, festkochende Kartoffeln 0,5 kg Schalotten Reichlich Rosmarin 3 frische Zitronen 1 in Salz eingelegte Zitrone Knoblauch, nach Geschmack 0,1 l + 1 EL Olivenöl Salz, Pfeffer 1.) Das Huhn am Vorabend waschen und trockentupfen. Knoblauch schälen. Zitronen heiss abspülen, eine davon halbieren und das Huhn damit komplett kräftig abreiben, dann den Saft darüberpressen und leicht einmassieren. Das Huhn innen und aussen leicht salzen und pfeffern. Die ausgedrückte Zitrone sowie den Knoblauch in die Bauchhöhle stopfen. Mit Klarsichtfolie abdecken und über Nacht im Kühlschrank lagern. 2.) Am nächsten Tag die Kartoffeln waschen und bürsten, die Schalotten schälen, den Rosmarin waschen. Den Ofen auf 200 °C Umluft vorheizen. 3.) Das Huhn auf ein tiefes Bratblech setzen, den abgesetzten Saft darübergiessen, Kartoffeln und Schalotten darum verteilen, leicht salzen und pfeffern. Alles mit dem Saft der beiden frischen Zitronen beträufeln, die Schalen ebenfalls ins Huhninnere drücken. Die Salzzitrone in Scheiben schneiden und unter die Keulen und Flügel klemmen. Rosmarin in kleine Zweige teilen oder die Nadeln von den Zweigen streifen, über Kartoffeln, Schalotten und Huhn streuen, über allem das Olivenöl verteilen. Das Huhn vorsichtig auf den Bauch umdrehen und mit einem weiteren EL Öl beträufeln. In eine Ecke des Blechs 50 ml Wasser giessen und durch Bewegen verteilen, das Blech in den Ofen schieben. 4.) Nach 20 Min. die Kartoffeln und Schalotten wenden, das Huhn auf den Rücken umdrehen. Wenn notwendig, noch etwas heisses Wasser angiessen, damit die Kartoffeln nicht festbacken. 5.) Die Hitze auf 180 °C reduzieren. 6.) Nach weiteren 20 Min. und wiederholtem Bewegen der Kartoffeln und Schalotten an den Schenkeln kontrollieren, wie weit das Huhn ist: Ein vorsichtiger Stich in die innere Schenkel-Bauchfalte lässt dann klaren Saft austreten. Sollte er noch blutig sein, weitere 10 Min. garen und nochmals kontrollieren. Die Kartoffeln und Schalotten sind dann längst golden braun, der zitronige Fond dickflüssig reduziert. 7.) Das Huhn 10 Min. mit Folie abgedeckt warm ruhen lassen und vor dem Zerteilen leicht schräg halten, um den Saft aus dem Inneren aufzufangen. Mit Kartoffeln und Schalotten anrichten, den Fond darüberträufeln. TIPP EINGELEGTE ZITRONEN Bio-Zitronen waschen und kreuzförmig einschneiden, so dass die Viertel am Stielansatz noch zusammenhängen. In ein grosses Glas eine Handvoll mittelgrobes Meersalz geben, die Zitronen grosszügig innen und aussen mit Salz einreiben und sie möglichst eng und fest ins Glas drücken. Eine weitere Handvoll Salz dazugeben und mit frisch gepresstem Zitronensaft bis zur Hälfte auffüllen. Das Glas verschliessen und über Nacht stehen lassen. Am nächsten Tag mit Saft auffüllen, so dass die Zitronen ganz bedeckt sind, und eine dünne Schicht Olivenöl als Abschluss daraufgiessen. Mindestens einen Monat ziehen lassen. VINUM 61
© Copyright 2024 ExpyDoc