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b sie, wie die Bühnenautorin Mme Jeanne Manu (rechts), in ihrem «Cabinet de travail»
Die Frau Wirf» stets Dante, ob sie nun, wie Miss Beechy (links), im mondänen Badeort Dinard ein Tennisturnier ausfocht oder o
Photographen posierte.
Salonfähig modern
Nr. 202
I" OCTOBRE
73
1901
ßr den Titelblatt-
die Belle Dame der Jahrhundertwende
Frau und Gesellschaft im Spiegel der französischen Zeitschrift «Femina», Jahrgang 1901
Von Regula Heusser
«Bedenken Sie doch, verehrte Leserin, die immensen Kosten, welche die Herstellung einer so luxuriösen Publikation wie
verursacht, während der Verkaufs- und Abonneder
mentspreis so bescheiden ist. Man nenne uns die Revue, welche
ihren Leserinnen ebenso weisses Hochglanzpapier, ebenso feine
Klischees und eine ähnlich verschwenderische Fülle von Gravüren für nur 50 Centimes bietet!» So wirbt Verleger Pierre Lafitte
im Editorial der Nummer 19 weitere Leserinnen für sein Anfang 1901 ins Leben gerufenes Lieblingsprodukt «Femina».
Und berechtigterweise führt er dabei den günstigen Preis der
grossformatigen (33,5 x 26,5 cm), prunkvoll aufgemachten
Selbstverständlich hielt «Fem'.na»
auf dem
Zweiwochenzeitschrift ins Feld, kostete iie doch genauso wenig
wie eine Dusche in einem öffentlichen Etablissement oder wie
der Eintritt in ein Quartierlichtspielhaus. Obwohl sich die neue
Illustrierte ganz offensichtlich an Damen des gehobensten Pariser Bürgertums wandte, liess sich ihr dynamischer, damals
29jähriger Gründer bei der Werbekampagne keineswegs lumpen: Die über 20 000 Abonnentinnen des ersten Jahrganges
erhielten ausnahmslos den einbezahlten Betrag gleich doppelt
in Form von modischen Accessoires oder Schmuck zurückerstattet. «Femina» brauchte vorderhand nicht zu rentieren, sie
war vielmehr Liebhabererzeugnis und Versuchsballon eines
mondänen und in mancher Hinsicht modernen Unternehmers,
welcher sich nicht gescheut hatte, das Journalistenmetier von
der Pike auf bei der Tageszeitung «Echo de Paris» und bei
verschiedenen Radfahrerrevuen zu erlernen, bevor er selbst
gleich mehrere illustrierte Magazine lancierte.
Zahlreiche Leserbedürfnisse des jungen 20. Jahrhunderts
deckte Lafitte ab mit seinen Periodika. Die augenfälligste Neuerung, die seine Blätter deutlich von den französischen Presseerzeugnissen der Zeit abhebt, ist der vielseitige und konsequente
Einsatz von Illustration und Reportage, beides Elemente der
erst Jahre später massiv einsetzenden «Amerikanisierung» der
sportlich-modischen Sektor mit der Zeit Schritt und stellte rechtzeitig die «Automobilmode» vor: Staubfängerröcke, die zum Teil an den Knöcheln wie Säcke zugebunden wurden,
knöchellange Gummimäntel und plastifizierte Hauben, die «nur
auf den ersten Blick hässlich sind».
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SamiUg/Sonnug, I./2. September 1979
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zu: Aus den Buchstaben des Titels «Femina» sind möglichst
viele Wörter zu bilden, wobei kein Buchstabe zweimal vorkommen da r. Die Gewinnerin fand nicht weniger als 95 französische Vokabeln und Flexionsformen. Die grosszügigen Preise
bestehen aus Bargeldbeträgen von 500 Francs, aus Photoapparaten oder Gutscheinen für Parfümerie- und Bijouteriegeschäf-
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und Zeit hat die «Femina»-Leserin
Viele Zeitvertreibe
sind so exquisit, dass sie nur noch in der
zum Verschwenden
Reportage über die ganz wenigen, die sie sich selbst leisten
können, erleb
werden. So der urkomische gesellschaftliche Ant
lass des Vogelwettrennens, wo Truthahne, Rebhühner und
Gänse von Damen der besten Gesellschaft am Gängelband aus
Broderie geführt werden. Auch die Wohnkultur der oberen
Zehntausend interessiert brennend, und in jeder Nummer wird
der Besuch eines Schlosses oder eines Herrschaftshauses festgehalten. Wie man den Inseraten in «Femina» entnehmen kann,
springt bereits eine ganze Reihe von Stilmöbel- und Argenterieverleihhäusern ein, um die Kulissen wenigstens für Familienfeste und andere Empfänge bereitzustellen, da, wo sie nicht
mehr alltäglich sind.
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Bionahrung, teurem Schmuck und allerlei modischen Accessoires wurden in den Inseraten Düfte mit klingenden Namen und als Kräftigungsmittel empfohlener Wein angepriesen.
französischen Presse. Bereits 1898, gleichzeitig mit der Gründung eines Vclofuhrerzirkx-Is, war Lafitte mit der Sport- und
Freizeitrevue «La vie au grand air» (Das Leben im Freien)
herausgekommen, 1901 folgte «Femina», 1902 «Musica» und
Magazin «Je sais
1905 schliesslich das populärwissenschaftliche
tout». 1906 begann der unermüdliche Unternehmer mit einer
gepflegten
Illustrierten, «Fermes et Chäteaux» (Geweiteren
höfte und Schlösser), die vom Hause Hachette herausgegebene
«Vie ä la Campagne» ernsthaft zu konkurrenzieren. Daneben
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produziert
er eine volkstümliche Ausgabe von Maurice Leblancs beliebten Abenteuerromanen «Arsene Lupin» und grünganz dem Geschmack der Zeit entsprechend
eine
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Filmgesellschaft (Films d'art), welche mit Schauspielern der Comedie-Francaise Filme drehte.
Mit seiner «Femina» veränderte Lafitte die Formel für die
Frauenzeitschrift grundlegend, stellte er doch erstmals die Photographie als Hauptgestaltungselement in den Vordergrund und
durchbrach gleichzeitig die übliche starre mise en page. Bisher
begüterte Leserinnen gehabt, so
hatten Frauenblätter weniger
etwa das bewährte «Petit Echo de la Mode», das schon 1885
Auflage
von 100 000 erreicht hatte und 1900 auf rund
eine
300 000 Exemplare kam. Da seine Käuferinnen den Schichten
angehörten, in denen man selbst schneiderte, verdankte das
Blatt seinen Erfolg vor allem den Schnittmustern.
«Le Horne»
Nicht so «Femina». Hier werden alle Haushaltthemen ausgespart, mit Ausnahme jener prestigebetonten Handarbeiten,
die bereits in die Nähe des Kunsthandwerks rücken: In der
Rubrik «L'atelier de Femina» gibt eine gewisse Comtesse Iseult
Anleitungen, wie Zinnkrüge mit Polygravurtechnik zu verzie-
ren, hölzerne Musiknotenständer zu bemalen, Opernguckeretuis
mit Glasperlenstickerei zu besetzen seien. Kuchenbacken ist die
einzige Küchenarbeit, die überhaupt vorkommt im ersten Jahr-
Dicouverte
gang der ambitiösen Zeitschrift. Schliesslich wird diese Kunst
als Aeusserung ihrer Berufung zur Gattin und Mutter selbst der
russischen Zarin attestiert. Rezepte finden sich ausschliesslich
für exotisches Backwerk, wie etwa für englische Buns und Muffins (Kuchenbrötchen) oder für ein turmartiges Gebäck, wobei
der snobistische Hinweis nicht fehlt, das dazu benötigte Waffeleisen sei nur in Deutschland aufzutreiben.
Klavierspielen ist die obligate musische Betätigung jeder
Tochter des angesprochenen Milieus. Für Bräute wird bis ins
Detail die «Aussteuer des 20. Jahrhunderts» durchphotogra,
phiert, die Revue gibt aber auch illustrierte Ratschläge
mit
welchen Dessins das Piano neu zu lackieren sei, falls die bevorUmzug
in einen Neubau mit sich bringe.
stehende Heirat den
Eine Vielfalt von Interessen und Fertigkeiten wird bei der
Adressatin der Revue als selbstverständlich vorausgesetzt: Sie
versteht eingestreute lateinische Brocken genauso wie englische
und sammelt als Ausdruck ihrer kosmopolitischen Orientierung
Postkarten. Wie aus den-Wcttbewerben zu schliessen ist, die sich
trotz oder gerade wegen si h r e anspruchsvollen Niveaus einer
regen Beteiligung erfreuen, betätigt sich die «Femina»-Leserin
als Schriftstellerin, Malerin oder gar Komponistin. Sie liebt es
offensichtlich, kreativ gefordert zu werden, und frönt diesem
Gesellschaftsspiel per Post mit um so grösserem Ehrgeiz, als die
Gewinnerinnen stets mit Namen aufgeführt werden. Ganz dem
dynamischen Stil des Zeitungsgründers Lafitte entsprechend,
werden die Leserinnen von allem Anfang an zur Mitgestaltung
ein genialer Werbetrick. Die ersten
der Illustrierten angeregt
Wettbewerbe und Rätsel stehen im Dienst der Imageschaffung
des Blattes, gilt es doch, zum Titel «Femina» entweder einen
langsamen Walzer zu komponieren oder eine Erzählung zu verfassen. Als malerische oder bildhauerische Leistung wird eine
personifizierte Darstellung oder eine Statuette verlangt, wobei
ausdrücklich volle Freiheit der Gestaltung ohne jegliche Anlehnung an das Klischee des Titelblattes gewährt wird. Für eher
linguistisch Orientierte kommt folgende Wortschatzübung hin-
Sensationnelle
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Inventeur
6, Rue Castiglione, PARIS
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Während zeitgenössische Hüter der Moral gegen die angloamerikanische «Garconnification» der Frau in der Mode wettern, bringt «Femina» ihren Leserinnen mit didaktischem Geschick bei, dass die knöchellangen Gummimäntel und die plastifizierten Hauben für die Fahrten im offenen Auto nur auf den
ersten Blick hässlich seien. Diese Geschmackserziehung in
Richtung einer Modernität wenigstens im Modesektor ist wiederum der Aufgeschlossenheit und der Sportpassion des Verlegers Lafitte zu verdanken, die sich auch in zahlreichen Inseraten
für Radsport und Photozubehör spiegelt.
Der Sommer 1900 hatte gleich zwei aufsehenerregende
Sportereignisse mit sich gebracht, von denen «Femina» ein Jahr
darauf noch zehrte: Die anlässlich der «Exposition universelle»
durchgeführten Ballonwettflüge und das Autorennen Pa«Femina» porträtiert je eine der prominenten Teiln
nehmerinnen. Eine gewisse Mme Savary bewies männergleiche
Mut am Wettfliegen. Die Reporterin prophezeit euphorisch:
«Wenn erst einmal der Traum des steuerbaren Ballons erfüllt
ist, wird dieser wohl zum bevorzugten Fortbewegungsmittel unserer sportlichen Frauen.» Stellenweise rührend ist die Reportage über Mm« Camille du Gast, die mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde alle drei Etappen
der Strecke Paris Berlin durchraste und Neunzehnte im Geumgefahren, auch
samtklassement wurde. «Sie hat niemanden
keinen Hund und kein Huhn, nicht einmal einen Vogel. Sie
liebt Tiere und leidet, wenn sie diese leiden sieht.» lieber Kosten und Teilnahmebedingungen des tollen Unternehmens erfährt die Leserin nichts. Dabei waren die ersten Autos fast unerschwinglich. Noch 1914 kostete der billigste Ford 6000 Francs
und ein Renault Hotchkiss zwischen 8000 und 20 000 Francs.
Bürgers und seiner Familie
Das Jahresbudget eines gutsituierten
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porte 5« d 60 ans retrouve ses
traits de 3o a o5 ans.
PLUS DE POCHES SOILS LES YEUX
PLUS UE RIDES SU.R LE VISAGE
AVANT
«Les Sports»
In merkwürdigem Kontrast zur Befriedigung dieser nostalgischen Bedürfnisse nach dem Lebensstil einer Noblesse, die
doch immerhin im Schwinden begriffen ist, steht die betont
aufgeschlossene Note der Zeitschrift. Der Geist der Moderne
wird allerdings wohldosiert verabreicht. Die Sportarten des jungen Jahrhunderts rufen nach einem veränderten Bekleidungsstil, vor allem bei den Frauen. «Noch ist sportliche Betätigung
Privileg weniger Damen, und so bleibt der snob appeal vorderhand glücklich erhalten. «Da eine grosse Zahl unserer Leserinnen vermutlich bald am Steuer anzutreffen sein wird», findet es
die Redaktion angebracht, die Automobilmode vorzustellen.
APRES
Mehr als zwanzig Jahre jünger versprach M. Autard, der «selbst operiert», seine Kundinnen zu machen. Zur Bekräftigung seiner Behauptung publizierte
er sogar die Adresse der vor und nach der Behandlung abgebildeten Dame, die «dort jederzeit zu besichtigen» sei.
Neue Zürcher Zeitung vom 05.09.1971
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WOCHENENDE
betrug zwischen 13 000 und 19 000 Francs, dasjenige
der Allerreichsten 45 000 Francs.
Die «Sportswonien» nehmen im Verhältnis zu ihrer damals
doch recht schwachen Verbreitung viel Platz ein in der noblen
Revue. Dabei wird das Standesbewusstsein der «echten» Sporttreibenden gepflegt, notfalls auf Kosten der Kleinbürgerin, die
«mit ihren heimlichen Wünschen nach Höherem» spöttisch belächelt wird. So in einer Photoreportage über Frauen, die Mietdroschken in einer Manier besteigen, als handle es sich um den
eigenen Wagen. «Bei solchen Gesten», schliesst die sarkastische
Bildlegende, «überrascht der Beobachter die weibliche Psychologie.» Ob derlei Attacken gegen die weibliche Affektiertheit
nicht doch auch die privilegierten Damen ridikülisieren sollen,
bleibt ungewiss. Jedenfalls ist das Medium Photographie auch
hier in einem verblüffend modernen Sinn eingesetzt. Zeitgemäss
für solche Charakterisierungen war eigentlich noch immer die
Karikatur, die in «Femina» eher sparsam verwendet wir. Der
als Hauszeichner engagierte Caran d'Ache wiederum ist einer
der ganz wenigen seiner Gilde
so der Monograph der französischen Karikatur, Gustave Kahn
, der das Weib nicht negativ zeichnet.
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Frauenporträts
Gerne werden der Leserin weibliche Persönlichkeiten mit
aussergewöhnlichem Schicksal vorgestellt. Dabei kommen meist
kleine Schönheitsfehler wie Vermögensverlust, Mesalliance
oder gar Scheidung vor, die dann aber durch die Charakteroder Geistesgrösse der Heldin wettgemacht werden können. Geschätzt wird alles, was der Banalität entflieht und doch gesellg
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bleibt.
Die selbstbewusste Schauspielerin Henriette Fouquier, die
kein eigenes Vermögen
«wozu daraus ein Hehl machen»
hatte, machte ihre Kunst zum Broterwerb und wurde schon bald
von einem wohlhabenden, noch unbekannten Schriftsteller ge-
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Dame gehörte selbstverständlich der Hut: undenkbar wäre es gewesen, sich unbehütet oder
letzten Saison in der Oeffentlichkeit zu zeigen.
- fast
noch schlimmer
- in einer Creation der
Gegen einen Unkostenbeitrag von 2 Francs erhielt jede Abonnentin die
«Broche Femina» (oben links) als Treueprämie. Das mit Perlen. Pailletten
und Goldgarn bestickte Tafttäschchen wurde jungen Mädchen für «den
Operngucker und das Taschentuch» empfohlen.
ehelicht. «Diese glückliche Ehe ging sie nicht nur ein, weil sie es
verdiente, sondern weil sie ihr Leben mit genügend weiblicher
Energie so organisiert hatte, dass sie auch ohne diese Verbindung ausgekommen wäre.» Dem Drang ihres Herzens gab die
Erzherzogin Stephanie, Witwe des österreichischen Kronprinzen Rudolf, nach, indem sie in zweiter Ehe den Grafen Lonyai
heiratete und auf alle ihre königlichen Vorrechte verzichtete.
Diese Information figuriert unter «Romantische Hochzeiten».
Bittere: ist die Geschichte des russischen Grossherzogs Michael
und seiner unstandesgemässen Verbindung mit der Gräfin Sofie
de Neremberg, welcher nach der Hochzeit der Empfang am
Zarenhof verweigert wurde. Das berichterstattende Pseudonym
Smilis versucht die für Repräsentativzwecke nicht geeignete
Frau zu retten: «Sie bescheidet sich also, eine Mustergattin und
ausgezeichnete Mutter zu sein. Ist das nicht eine Aufgabe, die
alle königlichen und prinzlichen Ehren aufwiegt?»
Die aktive Rebellin gegen alle Konventionen ihrer Zeit rekrutiert man vorsichtshalber unter den Verstorbenen: George
(1804
Sand
ist die einzige echt unangepasste Frau, der
im ersten Jahrgang der «Femina» ein Porträt gewidmet ist.
Wohlwollend gepriesen werden die Herzensgüte, der Altruismus, die Kinderliebe und die caritative Haltung dieser «Autorin
rustikaler Romane», die mit 25 Jahren ihren Mann nicht mehr
ertrug und die beiden Kinder allein grosszog. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass sie sich in Herrenkleidern am wohlsten fühlte und sich freiwillig aufs Land, in ihr
Heimatdorf, zurückzog. Oekonomische Zwänge werden heruntergespielt, in moralische Grösse umgedeutet: «Neben ihren
literarischen Aufgaben fand sie noch Zeit zum Kochen und
Nähen für ihre Kinder.»
Das Ausland
Auf den
Besuch der Zarenfamilie im Septeniber 1901 wird
die französische Leserin vorbereitet, indem ihr nochmals die
Garderobe der Zarin Alexandra Fjodorowna bei ihrer ersten
Frankreichvisite, 1896
anlässlich der Unterzeichnung des
vorgeführt wird.
,
französisch-russischen Geheimbündnisses
Die Frau des russischen Souveräns wird als liebliches, musisch
eigentlich geht, sind von gefälligen Jugendstilornamenten
Verschwenderische Fülle auch in der «Mise en page»: die Photos der vier Blusen, um die es hier
und zusätzlichen modischen Accessoires umgeben.
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Samstig/Sonnü*, I./2. September
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WOCHENENDE
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eine englische Komödie auf, die
schreibt die Reporterin
würdig wäre, öffentlich gezeigt zu werden.
Glücklicherweise ist
aufgeschlossen
der Lord so
und kultiviert, dass er raffinierteste
Kost auftischen hisst, anders als gewisse Mandarine, die selbst
in Europa oder Amerika nur Haifischflossen in Rizinusöl und
faulige Eier anrühren.
Auch Amerika kommt zu seinem Prominentenporträt: Mme
Roosevelt, die Gattin des jungen Präsidenten, der im September
1901 das Amt seines ermordeten Vorgängers angetreten hat,
wird bereits im Heft vom 1. Dezember vorgestellt. Zwar wird
der neuen First Lady zugestanden, sie sei mit all ihren Tugenden eine Republikanerin im Sinne der alten Römer, doch wird
sie für ihre Propagierung eines relativen Konsumverzichts
jede Amerikanerin könne mit einem Budget von 1500 Francs
jährlich für ihre Toilette auskommen
sozusagen mit volkswirtschaftlichen Argumenten kritisiert. «Das wird sich kaum
durchsetzen bei den Schönen New Yorks. Und überhaupt: ernährt sich nicht ein ganzes Volk von Arbeiterinnen vom Luxus
der mondänen Frauen und sind die Oekonomen nicht auch der
Meinung, dass Sparprogramm
e
mehr dem Arbeiter als dem
müssigen Reichen schaden?» So schliesst der Test unter der
Familienphoto der Roosevelts.
Schaltenseiten des Lebens
London, wo die Damen ihre «Lieblinge» der Jury präsen«Social life ä /'anglaise»: In der Legende zu diesem «amüsanten Bild» einer Katzenschau in
tierten, schwingt sogar ein Hauch Ironie.
11
Das Argument, dass die begüterte Dame für die «unter einem schlechten Stern geborenen Frauen» Beschäftigungsmöglichkeiten schaffe, galt im Frankreich der Jahrhundertwende
tatsächlich, war doch der Mangel an weiblichen Arbeitsplätzen
so gross, dass Frauen nicht nur als Lohndrückerinnen, sondern
auch als Streikbrecherinnen eingesetzt wurden. Dass in den Industrien mit weiblicher Belegschaft bereits die ersten Gewerkschaften entstanden, erwähnt «Femina» nirgends. Dabei gab es
im Jahr 1900 in Frankreich nicht nur 6S0 000 Hausangestellte
im Dienst der grossen Damen, sondern auch 950 000 Näherinnen und 30 000 Modistinnen, aus deren Kreis sich zum Beispiel
das .«Gemischte Syndikat der Nadel» rekrutierte. Zwar hatte die
Illustrierte ihren Leserinnen gleich /u Beginn «Etudes» aus den
die Frauen speziell interessierenden Produktionszweigen angekündigt, doch vermisst man Texte, die auch nur im entferntesten an Industriereportagen erinnern. Vielleicht wären der eben
erst im neuen Arbeitsgesetz vorgeschriebene, längst nicht über-
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In
«Gymkhana» hiess der in Compiegnc veranstaltete sportliche Wettkampf, bei dem «von Damen an der Leine geführte Tiere aller Art» (hier Enten und
Gänse) ein Rennen bestritten. Regel: das Tier hatte der Dame stets vorauszueilen.
gebildetes Geschöpf geschildert (hübsch war sie in der Tat im
Vergleich zu manchen andern Herrschergattinnen der Zeit).
als katholische Alix
Ueber den Fanatismus der Konvertitin
von Hessen musste sie zum russisch-orthodoxen Glauben fibermündete,
dass die ganzen Enttreten , der schliesslich darin
scheidungen am Hof dem Wanderprediger und Wunderheiler
Rasputin überlassen wurden, schweigt das Blatt. Vom Zaren
Nikolaus II. selbst, dessen Erziehungsminister kurz zuvor wege>; ' er katastrophal ungerechten Verhältnisse an den Universitäten von Attentätern ermordet worden war, wird lediglich die
Passio i für das Photographieren erwähnt, die ihn veranlasse,
selbst a>; f der Jagd seinen Apparat mitzuführen.
Aus' .indisches fliesst auch in Form der Schicksale von Diplomat ;ngattinnen in die Zeitschrift ein. Ein Jahr nach dem
«Boxe. -Aufstand» gegen die europäischen Kolonialisten, welche die Chinesen schamlos ausnützten und ihre Hochkultur
missachteten, bringt «Femina» unter dem Titel «Die Heldinnen
Sommertrefjpunkt der vornehmen Gesellschaft war Dinard. Hier eine
vormittägliche «Causerie»
auf der Casino-Terrasse.
des Chinakrieges» einen Bericht aus der belagerten französischen Gesandtschaft in Peking. Als eine der Heldinnen wird die
Gattin des österreichischen Handelsgesandten, Frau von Rosthorn, gefeiert, welche sich freiwillig in die französische Gesandtschaft begab, weil dort gekämpft wurde und sie sich nützlich machen konnte. Sie betreute französische, österreichische,
schweizerische, belgische und italienische Offiziere und Freiwillige, hielt sie bei guter Laune, obwohl sie das ewige Pferdefleisch leid waren und auch die Sauberkeit der Tischtücher und
Gedecke zu wünschen übrigliess. Sie half gar beim Barrikadenbau und fabrizierte Sandsäcke. Diese «schwache Frau» bot dem
«starken Geschlecht» ein Exempel von Mut und wurde für
ihren tapferen Einsatz von der französischen Regierung mit
dem Orden der Legion d'honneur ausgezeichnet.
China ist auch vertreten durch den Bericht über eine Soiree
in der kaiserlichen Gesandtschaft in Paris. Die Töchter und
Söhne des Botschafters Lord Yu-Keng führen vor dem Diner
Am alljährlich stattfindenden Wohltätigkeitsbasar der 1901 gerade zwanzigjährigen «Union des Femmes de France» spielten die Damen der guten
Tag».
Gesellschaft mit viel Enthusiasmus « Verkäuferin für einen
An der Ausstellung der bildenden Künstlerinnen nimmt die aus Damen
Begutachtung entgegen.
bestehende Jury die Werke zur
all eingehaltene 1 1 -Stunden-Tag für die Arbeiterin und die zwiTageslöhne der Schuh-,
schen 1.60 und 3 Francs angesetzten
Bijouterie- und Textilindustrien doch zu wenig pittoresk ausgefallen.
Wollte man sich über die Frau in der Arbeitswelt informieren, so hielt man sich besser an die von Frauen 1897 gegründete
Zeitung «La Fronde», die für die rechtliche Gleichstellung der
Frau, insbesondere der Arbeiterin, eintrat und ihre Leserinnen
mitunter auch warnte vor der Gefahr des «Damismus», dieser
«bürgerlichen Perversion des Feminismus». In der «Femina»
Wohltätigkeit
wurde gerade diese «Damismus» gescholtene, mit
gepriesen. Sie
verbundene Aufgeschlossenheit als vorbildlich
entsprach auch durchaus der Realität der Grossbürgersfrau, in
«Gages»
Spenden für alte
deren Budget der Posten für
Dienstboten, Bettler und Hilfswerke, Trinkgelder an Kutscher,
Summen,
ja
Postboten,
bis zu zehn
beachtliche
Polizisten
Prozent der Gesamtausgaben, ausmachte. Die oft sehr detailgewähren einen guten
lierten Angaben in den Haushaltbüchern
Einblick in die Haltung der Spenderinnen. So etwa der Vermerk: «Zahlungen an eine ehemalige Tänzerin, die vor der ProJugendprostitution,
stitution bewahrt werden konnte.» Vor der
die unter anderem dadurch gefördert wurde, dass nach damaligem Strafrecht Mädchen mit 13 Jahren bereits als Mätresse
benutzt werden durften, nach Zivilrecht aber erst mit 15 heiratsfähig waren, schloss man lieber beide Augen. Die Schutzalterfrage gehörte zu den Themen der «Fronde».
Grosszügige caritative Projekte werden in der «Femina» gehier werden sogar ausnahmsweise Sumbührend gewürdigt
men genannt. Eine reiche Pariserin liess für 600 000 Francs eine
Kinderkrippe bauen und stiftete einen jährlichen Unterhaltsbeitrag von 45 000 Francs gleich mit. Liebevoll beschreibt die
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Samalag/Sonnlag, t./2. SepUimber 1979
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Galerie der Majestäten (von links nach rechts): Alexandra, Königin von Grossbritannien und Irland, Kaiserin von Indien; Haritko, Kaiserin von Japan; Sophie, Königin von Schweden; Wilhelmine, Königin der Niederlande: AugustaVictoria, Kaiserin von Deutschland, Königin von Preussen; Helena, Königin von Italien.
Reporterin die hygienischen Verhältnisse, die moderne Warmwasserzentralheizung und die mit den Namen ihrer Stifter versehenen Kinderbettchen. Woher die Krippenkinder kommen,
erfährt man nicht, dabei waren gerade in der Region Paris
41,7 Prozent aller Arbeitnehmer Frauen. Ohne die Ursachen des
unglücklichen Kinderloses zu ergründen, wird vermerkt, Kinderelend sei «eine grosse Ungerechtigkeit und ein unverdientes
Malheur».
Aber es gab auch glückliche Kinder, über die zu berichten
weniger deprimierend war, Kinder beispielsweise, die kostbare
reinrassige Hunde besassen oder ausgefallene Haustiere wie
junge Esel oder zahme Rehe. Mit Adeline de Germain, dem
6jährigen «Bebe pianiste», ist auch das Wunderkind, sogar in
weiblicher Ausführung, vertreten. Zum 1. Mai 1901, dem Tag,
an dem sich bereits erste gewerkschaftlich organisierte Frauen
unter die Manifestanten mischten, brachte «Femina» ein speziell dem Kind gewidmetes Heft heraus. Eine umfassende Retrospektive der Ausstellung «Das Kind durch die Jahrhunderte»
füllt beinahe die ganze Nummer. Am Rande sind einige sehr
einfallsreiche Reportagen placiert, so etwa die «Persönlichkeiten im Alter der Unschuld», für die es den «Feminaw-Mitarbeitern gelang, Kinderphotos von Mitgliedern der Academic francaise, vom damaligen Erziehungsminister, von einem Theaterdirektor und von mehreren Schauspielern zu beschaffen. In der
Legende zu den Skizzen verschiedenster Kindertypen wird eine
Art «geographische Psychologie der Rassen» entworfen, welche
die ganzen Vorurteile der Zeit sowie den französischen Chauvinismus spiegelt: «Der kleine Engländer, der richtige kleine Angelsachse, der nur auf sich selbst zählt im Leben und die kühne
Abenteuerlust dieser Rasse ausstrahlt, die Robinson Crusoe mit
einem Applaus begrüsst hat, der noch nicht verklungen ist. Der
starrköpfige Hebräer, der schmachtende Italiener, der Russe
mit dem eigenwilligen Kinn, der listige Chinese, der fatalistische Araber, der feurige Spanier, der lassige Syrer, der sparsame Schweizer, der spiellustige Grieche, der gastliche Schwede, der stolze Deutsche, der unterjochte (sie!) Neger und der
Franzose, Freund von jedermann.»
Mit dem Niedergang der Belle Epoque und dem Ausbruch
des Ersten Weltkrieges war die Zeit der Luxusillustrierten «Femina» vorbei. Vorbei war vor allem auch die Zeit der kleineren,
experimentierfreudigen Verleger. Schon vor 1914 hatte die
Transport- und Verträgerorganisation des Hauses Hachette eine
mächtige Stellung. Der Krieg förderte zusätzlich den schon bestehenden Trend, Exklusivvertriebsrechte an den Grossverleger
abzutreten, dem sich immer mehr kleinere Verleger fügen mussten. Im Januar 1916 kaufte Hachette dann die ganze Gruppe
von Revuen und Publikationen von Pierre Lafitte auf. «Femina» bestand zwar weiter, wurde jedoch zunehmend unattraktiver und erlebte eine weitere Krise, als 1920 die französische
Ausgabe von «Vogue» von der amerikanischen Gruppe CondeNast ins Leben gerufen wurde.
Benutzte Literatur:
Turgeon, Charles: Le Fcminisme
francis. Paris 1907.
Singer-Kerel, Jeanne: Le coüi de la vie a Paris de 1840 a 1954.
Perrot, Marguerite: Le mode de vie des familles bourgeoises. Beide Paris 1961.
Guilbert, Madeleine: Les femmes dans l'organisation syndicale avant 1914. Paris
1966.
Kahn, Gustave: Das Weib in der Karikatur Frankreichs. Deutsch: Stuttgart
1907.
Das Heft vom I. Mai 1901 war ganz dem Kind gewidmet. Eine besondere Attraktion bildete die Porträtseite «Persönlichkeiten im Alter der Unschuld»,
für die «Femina»-Mitarbeiter u. a. Kinderbilder des ehemaligen Präsidenten der Republik, des Erziehungsministers und Sarah Bernhardis beschafften.
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Besuch der Zarenfamilie: Nikolaus II. mit Zarin Alexandra
und den beiden ältesten Töchtern Olga und Tatjana.
Auftakt zum
Direkt ans Leserinnenherz rührte die Reportage über Kinderkrippen, in denen arme Kinder dank der Grosszügigkeit wohlhabender Bürger in besten hygienischen Verhältnissen leben durften. Stille Wohltätigkeit: an jedem Kinderbettchen ist eine Tafel mit dem Namen des Spenders angebracht.
Neue Zürcher Zeitung vom 05.09.1971