van Gogh bis Twombly. Ausgewählte Werke

van Gogh bis Twombly · Ausgewählte Werke · Berlin, 4. Juni 2015
Schmuck1
van Gogh bis Twombly
Ausgewählte Werke
Selected Works
Auktion Nr. 240
Donnerstag, 4. Juni 2015
17.00 Uhr
Auction No. 240
Thursday, 4 June 2015
5 p.m.
www.villa-grisebach.de
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1
Walter Leistikow
Bromberg 1865 – 1908 Berlin
„Havelsee bei Berlin“. Um 1907
Öl auf Leinwand. 64,5 x 76,5 cm (25 ⅜ x 30 ⅛ in.).
Unten rechts signiert: W. Leistikow.
Holtmann (unveröffentlicht) 326. –
[3276] Gerahmt. Provenienz: Sammlung Georg Schäfer,
Schweinfurt / Privatsammlung, Niedersachsen
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
Zeit seines Lebens hat Walter Leistikow vor allem die brandenburgische Landschaft gemalt. Zwar entwarf Leistikow, was
heute weniger bekannt ist, als Anhänger der britischen Artsand-Crafts-Bewegung auch Möbel, Stoffe, Teppiche und Tapeten.
Doch am meisten faszinierte ihn das, was er auf seinen Ausflügen ins Umland von Berlin sah: die Wälder und einsamen Seen,
die schilfbestandenen Ufer und der weite, fahlblaue Himmel zur
Mittagszeit oder in der Abenddämmerung.
Das Gemälde „Havelsee bei Berlin“ ist ein eindrucksvolles
Beispiel für Leistikows stilistische Reife. Der Wasserlauf, die Kiefern
auf sandigem Waldgrund, die grandiosen Wolkenformationen und
ihre Reflexionen auf der Wasseroberfläche, das alles ist in der für
den Künstler charakteristischen, expressiv-flächigen Malweise
ausgeführt. Darüber hinaus jedoch weist „Havelsee bei Berlin“ ein
Merkmal auf, das dem Bild eine Sonderstellung in seinem Schaffen
garantiert. Es ist der Standpunkt, den der Maler für sein Gemälde
gewählt hat.
Üblicherweise baut Leistikow in seinen Kompositionen auf eine
Spannung von Frontalität und dreidimensionalem Raum, Nahansichten im Vordergrund kontrastieren mit einer perspektivischen
Öffnung im Mittel- und Hintergrund. Oft bedient er sich dabei auch
harter Gegensätze von beleuchteten hellen Zonen und im Schatten
gelegenen dunklen Bereichen. Der „Havelsee bei Berlin“ dagegen ist
geprägt von einer neuen Dynamik, einem Sog, der den Betrachter
unwiderstehlich ins Bild zieht, hervorgerufen insbesondere von der
kräftigen Diagonalen der Baumreihe links. Durch diesen Kunstgriff
gelingt es Leistikow, der kargen brandenburgischen Landschaft die
Aura eines spektakulären Ereignisses zu verleihen. (UC)
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Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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2
Max Slevogt
Landshut 1868 – 1932 Neukastel/Pfalz
Selbstportrait. 1894
Gouache, Tusche und Kreide auf Papier,
auf leichten Karton aufgezogen.
33 x 25,6 cm (13 x 10 ⅛ in.).
Unten links mit Bleistift über Gouache
monogrammiert und datiert: MS 94.
[3466] Provenienz: Ehemals Wilhelm Buller, Duisburg
€ 15.000 – 20.000
$ 16,200 – 21,600
Max Slevogt war 25 Jahre alt, als er dieses beeindruckende
Selbstportrait schuf. Er hatte erfolgreich sein Studium an der
Münchner Kunstakademie abgeschlossen und in Paris – wie
später auch Henri Matisse und Pierre Bonnard – die angesehene private Académie Julian besucht. 1890 war er mit seinem
Künstlerfreund Robert Breyer durch Italien gereist, um sich an
den Kunstschätzen des Landes zu schulen. Nun hatte er sich
in München als freier Künstler niedergelassen. Sein in Kreide,
Tusche und Gouache ausgeführtes Bildnis zeigt ihn in leichter
Untersicht als selbstbewußten jungen Mann. Der Blick des
Künstlers in den Spiegel ist distanziert und sich selbst (und damit
auch den Betrachter) kritisch musternd – ein Eindruck, der durch
die zusammengezogenen, auf der Stirn eine Falte bildenden
Augenbrauen noch gesteigert wird.
Seine malerischen Mittel stehen ihm hier bereits in derselben
Virtuosität zur Verfügung, die nach der Jahrhundertwende auch
seine bekannten lichtdurchfluteten und farbensatten impressionistischen Gemälde kennzeichnen wird. In großer Meisterschaft
läßt er den Umriß seines Hauptes aus dem Hintergrund hervortreten, moduliert in feinen farblichen Nuancen das Antlitz. Dabei
ist die Grundstimmung des Kolorits dunkel, fast düster und nur im
Inkarnat und am Hemdkragen rot, hellbraun und weiß gehöht. Der
Kontrast, der sich dadurch ergibt, verstärkt die eigentümlich belebte
Wirkung, die von Max Slevogts Selbstportrait ausgeht. Über diese
Strahlkraft war sich der Maler offenkundig im Klaren. Dies ist das
Bild eines Mannes, der genau weiß, was er vermag. (UC)
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Grisebach 06/2015
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3
Lesser Ury
Birnbaum/Posen 1861 – 1931 Berlin
Straße bei Nacht im Regen (Berlin). Um 1898/1900
Öl auf Leinwand. 52 x 36 cm (20 ½ x 14 ⅛ in.).
Unten links signiert: L. Ury.
Das Gemälde wird aufgenommen in das Werkverzeichnis
der Gemälde, Pastelle, Gouachen und Aquarelle von
Lesser Ury von Dr. Sibylle Groß, Berlin (in Vorbereitung). –
Craquelé, Retuschen. [3547] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Stieglitz, Tel Aviv /
Privatsammlung, Israel / Privatsammlung, Berlin
Die Poesie der europäischen Großstadt rührt im ausgehenden
19. Jahrhundert wesentlich von einer historischen Verzögerung
beim Individualverkehr her. Immer noch war die Kutsche das
vorherrschende Fahrzeug. Ihr leises Fahrgeräusch und das Hufgetrappel der Pferde zieht sich als Ton durch die Großstadtliteratur der frühen Moderne. Die lederbezogene Höhle, auf die der
Regen trommelt, ist in vielen Büchern (z.B. den „phantastischen“
Nächten Arthur Schnitzlers) der Schauplatz der Liebesaffären, ob
stürmischer Beginn, ob trister Ausklang.
€ 60.000 – 80.000
$ 64,700 – 86,200
Solange die Kutschen fuhren, war die Großstadtnacht zwar
beleuchtet, aber geheimnisvoll, mit theaterartigen Hell-DunkelKontrasten. In der deutschen Kunst hat niemand suggestiver als
der Berliner Lesser Ury diese Poesie der nächtlichen Avenuen
in Malerei verwandelt. Die Faszination, die von diesen Nachtstücken ausgeht, ist mit dem zeitlichen Abstand immer größer
geworden. Am Ende eines über 110jährigen Siegeszuges der
„autogerechten Stadt“ blicken wir auf Pferde, Zaumzeug, Kutschen und Lichtreflexe Urys wie auf ein verlorenes ästhetisches
Paradies. (CS)
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Grisebach 06/2015
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4
Odilon Redon
Bordeaux 1840 – 1916 Paris
„Roger et Angélique“ (auch „Saint Georges et le Dragon“
oder „Andromède sauvée“). (Vor) 1908
Öl auf Leinwand . 50 x 32 cm (19 ⅝ x 12 ⅝ in.).
Unten rechts signiert: ODILON REDON.
Wildenstein 1276. –
[3247] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Druet, Paris (1908 bis mind. 1912) /
Richard Bühler, Winterthur (bis 1935) / Sammlung Bergengren,
Lund (1958) / Galerie Europe, Paris / Galerie Der Spiegel,
Köln (um 1962) / Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen
(1968, seitdem in Familienbesitz)
Ausstellung: Peintures, pastels, dessins, lithographies par Odilon
Redon. Paris, Galerie Druet, 1908, Kat.-Nr. 16 / Vystavka sto let
francuzskoj zivopisi (1812–1912) / Exposition centennale de l’Art
français. Sankt Petersburg, Institut Français, 1912, S. 113, Kat.-Nr.
517 / Ausstellung Odilon Redon, 1840–1916. Winterthur, Museum,
1919, Kat.-Nr. 193 / Fem sekler fransk konst. Miniatyrer, målningar, teckningar 1400–1900. Stockholm, Nationalmuseum, 1958,
Kat.-Nr. 160 / Jubiläumsausstellung 1912/1962. Neuss, ClemensSels-Museum im Obertor, 1962/63, Kat.-Nr. 20, ganzseitige Abb.
S. 14 („Das Ungeheuer“, Leihgabe aus Privatbesitz) / 22. Ruhrfestspiele Recklinghausen 1968: Reiche des Phantastischen.
Recklinghausen, Städtische Kunsthalle, 1968, Kat.-Nr. 148,
m. Abb. / Odilon Redon. Winterthur, Kunstmuseum, und Bremen,
Kunsthalle, 1983/84, ganzseitige Abb. S. 198 („Die Rettung der
Andromeda“) / Odilon Redon. Prince of Dreams, 1840–1916.
Chicago, Art Institute; Amsterdam, Van Gogh Museum, und London,
Royal Academy of Arts, 1994/95, Kat.-Nr. 102, Abb. S. 342
Literatur und Abbildung: Charles Fegdal. Paris, Rieder, 1929
(= Maîtres de l’Art moderne), Abb. Tf. LV / Sammlung Richard
Bühler, Winterthur. Luzern, Galerie Fischer, im Hotel National,
2.9.1935, Kat.-Nr. 8, Abb. Tf. 5 / Klaus Berger: Odilon Redon.
Phantasie und Farbe. Köln, Verlag M. DuMont Schauberg, 1964,
Kat.-Nr. 130 / Igor Gazdik: Odilon Redon. Bratislava, Pallas, 1971,
Abb. Tf. 34 (Détail) / Matthias Frehner: Richard Bühler: „Un homme
du XVIe siècle“. In: Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft
(Hrsg.): Die Kunst zu sammeln. Schweizer Kunstsammlungen seit
1848. Zürich, Schweizerisches Institut für Kunstwissenschaft, 1998,
S. 225-242, hier S. 228, Abb. 3
€ 80.000 – 120.000
$ 86,200 – 129,000
In der griechischen Sage rettet Perseus mit Hilfe des geflügelten
Pegasus die Königstochter Andromeda vor dem riesigen Seemonster Keto, dessen Opfergabe die Prinzessin sein sollte. Die
Dramatik des entscheidenden Augenblickes, in welchem Perseus
Keto tötet und Andromeda im allerletzten Moment vor dem sicheren Tod bewahrt, hat die Alten Meister wie Cesari oder Rubens,
aber auch Gustave Doré und vor allem Odilon Redon, den „Prinzen der Träume“, wie er anläßlich der Retrospektive 1994/95 in
Chicago, Amsterdam und London bezeichnet wurde, fasziniert
und gefesselt und zu immer neuen Bilderfindungen angeregt.
12
Der Faszination des Schreckens konnte sich also auch Redon
nicht entziehen. Der französische Erneuerer der Graphik und
der dekorativen Malerei, der bis in die 1890er Jahre in der
sogenannten „Schwarzen Phase“ fast ausschließlich Kohlezeichnungen und Lithographien von skurrilem und bizarrem
Erfindungsreichtum schuf, vollführte um 1900 eine radikale
Wendung in seinem Werk und wurde zu einem der größten
Koloristen der frühen Avantgarde.
Das Meer und der damit verbunde Schöpfungs- und Weiblichkeitsmythos waren zentrale Vorstellungen in Redons farbiger
Phase, mit denen er sich in zahlreichen Bildern auseinandersetzte. Sie alle zeichnet auch eine gewisse erotische Spannung
aus, die vor allem vom Kontrast zwischen der gefesselten
nackten Frau und dem kriegerischen Helden beziehungsweise
dem furchteinflößenden Ungeheuer mit Ansätzen einer
menschlichen Physiognomie lebt. In unserem Bild läßt Redon
die an einen Felsen gekettete Andromeda farblich und
kompositorisch in den Bildhintergrund treten. Andromeda
wurde von Ursula Perucchi-Petri (2003) exemplarisch als
„an die Natur und an die Materie gebundene Frau“ interpretiert.
Der Künstler fokussiert weniger auf die Prinzessin als vielmehr
auf den sich anbahnenden Kampf zwischen Keto – dessen
unheimlicher, roter Kopf und riesige Tentakel sich aus dem
aufgewühlten Meer erheben – und dem von rechts oben
herannahenden Perseus, der zum finalen Schlag mit einer
Lanze ansetzt. Perucchi-Petri erkennt hier den „Kampf des
höheren Bewußtseins gegen die instinkthaften und destruktiven
Kräfte des Ungeheuers“, was Redons Bild vom Künstler als
Retter „der Schönheit aus der formlosen Materie“ des Meeres
entspricht. Die bewegte Meeresoberfläche und der Wellengang
nehmen diese dynamische Diagonale von rechts oben nach
links unten auf. Somit weisen Komposition und Farbgebung
des Bildes auf die Auseinandersetzung zwischen Held (Geist)
und Monster (Materie) hin, die für den Künstler auch stellvertretend für seine Weltsicht war, in der „die Kunst die Macht
hat, selbst die niedrigsten Formen des Lebens in Geistiges zu
verwandeln“.
Unser Bild weist neben dem dichten Ideengehalt, der typisch für
Redons Werk ist, eine hochkarätige Provenienz auf. Es befand
sich 1935 in der berühmten Schweizer Kunstsammlung von
Richard Bühler in Winterthur. Um 1900 war das schweizerische
Städtchen aufgrund umfangreicher mäzenatischer Aktivitäten
der Familien Bühler, Hahnloser und Reinhart zu einem Zentrum
des Sammelns französischer Kunst des 19. Jahrhunderts
avanciert. In dieser Atmosphäre wurde Redon zu einem gefragten Künstler, der nicht nur privaten Kontakt mit den Familien
Bühler und Hahnloser unterhielt, sondern auch 1919 im Kunstmuseum Winterthur mit einer frühen Retrospektive geehrt wurde.
Unser Andromeda-Bild steht somit stellvertretend für Redons
Erfolg bei bürgerlichen Sammlern Anfang des 20. Jahrhunderts,
die seine visionären und einzigartigen Qualitäten bereits zu Lebzeiten förderten und seine vergeistigte Kunstphilosophie wie seine
phantasiereichen Bilderfindungen zu schätzen wußten. (OS)
Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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Lovis Corinth
Tapiau/Ostpreußen 1858 – 1925 Zandvoort
„Gutshof im Winter“. 1912
Öl auf Leinwand. 79 x 94 cm (31 ⅛ x 37 in.).
Unten links signiert, datiert und bezeichnet:
LOVIS CORINTH 1912 i/M [in Mecklenburg].
Berend-Corinth/Hernad 550. –
[3277] Gerahmt.
Provenienz: Dr. K. Ellstädter, Berlin /
Dr. Paul Grünfeld, Berlin (seitdem in Familienbesitz)
Das Jahr 1911 war ein Schicksalsjahr für Lovis Corinth.
Im Dezember erlitt der 53jährige einen heftigen Schlaganfall.
Doch das hielt ihn nicht vom Malen ab, im Gegenteil. Heute
sind sich die Kunsthistoriker einig, daß er in der Zeit danach
eine bis dahin ungekannte Freiheit im künstlerischen Ausdruck
entwickelte.
Ausstellung: Berliner Secession 1916, Kat.-Nr. 25, m. Abbildung /
32. Ausstellung: Lovis Corinth zum 60. Geburtstag. Berlin, Berliner
Secession, 1918, Kat.-Nr. 94 / Corinth-Ausstellung. Einhundertsiebzig Bilder aus Privatbesitz. Berlin, Nationalgalerie, 1923, Kat.-Nr.
94 (datiert „1914“) / Lovis Corinth, Ausstellung von Gemälden und
Aquarellen zu seinem Gedächtnis. Berlin, Nationalgalerie, 1926,
Kat.-Nr. 259 (dort datiert „1914“) / Lovis Corinth. London, Tate
Gallery, 1997, außer Katalog (lt. Etikett auf dem Schmuckrahmen)
€ 100.000 – 150.000
$ 108,000 – 162,000
14
Der „Gutshof im Winter“ ist eines der ersten Gemälde, die nach
dem gesundheitlichen Zusammenbruch entstanden. Die Bäume
sind kahl, Schnee ist gefallen. Allerdings ist es offenbar nicht
sehr kalt, denn sonst wären die Hühner und Kühe im Stall. Was
die Palette betrifft, so hat sich Corinth wie so häufig auf zwei,
drei dominante Hauptfarben beschränkt. Auf Rot- und Brauntöne und ein fahles Weiß, das im Vordergrund zu Grau wird. Daß
dieses Winterbild dennoch den für Corinth typischen malerischen
Glanz ausstrahlt, liegt daran, daß der Künstler in den Dreiklang
der Hauptfarben vereinzelt Lichter in Orange, Gelb, Blau und
Grün gesetzt hat – so bringt er seine Komposition zum Leuchten.
Beim „Gutshof“ deutet sich bereits an, was Corinth in seinem
berühmten expressiven Spätwerk zu höchster Virtuosität steigerte.
Den Realismus, der sich für den Betrachter auch früher schon
oft nur aus kürzelhaften zeichnerischen Andeutungen erschloß,
vermischt der Maler hier mit dezidiert abstrakt ausgeführten
Zonen. Für Corinth kann eine Farbschliere auf der Leinwand
eine Spur im Schnee sein oder eben auch nur eine Farbschliere.
Das macht seinen von keinem anderen deutschen Secessionisten erreichten künstlerischen Rang aus – und den „Gutshof im
Winter“ zu einem großartigen Meisterwerk. (UC)
Grisebach 06/2015
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Vincent van Gogh
Groot-Zundert 1853 – 1890 Auvers-sur-Oise
„Head of a Peasant Woman: Right Profile“
(„Kopf einer Bäuerin: Profil nach rechts“). Um 1884/85
Öl auf Leinwand. Doubliert. 41 x 30,5 cm (16 ⅛ x 12 in.).
de la Faille 144 / Hulsker 561. –
Kleine Retuschen. [3230] Provenienz: Vincent van Gogh (bei der Familie in Nuenen
zurückgelassen) / Anna Cornelia van Gogh-Carbentus, Schwester
des Künstlers, Nuenen/Breda (1885-86) / Adrianus („Janus“)
Schrauwen, Breda (1886-1902) / Jan C. Couvreur, Breda (1902) /
W. van Bakel und Cornelius Hendrikus Wilhelmus („Kees“)
Mouwen jr., Breda (1902-03) / Kunstzalen Oldenzeel, Rotterdam
(1903) / Gerlacus („Gerlach“) Ribbius Peletier jr., Utrecht (im
Febr. 1903 bei Oldenzeel erworben, bis 1930) / Adriana Louisa
Ribbius Peletier-Wijbelingh, Ehefrau des Vorbesitzers, Utrecht
(durch Erbschaft 1930 erhalten, bis 1939) / Louise J. SchokkingRibbius Peletier, Tochter der Vorbesitzerin, Doorn (durch Erbschaft
1939 erhalten, bis ca. 1959) / Galerie E. J. van Wisselingh & Co.,
Amsterdam (ca. 1959 erworben) / Olive Hosmer, Montreal
([vor] 1960 erworben) / John H. Shuter, Neffe der Vorbesitzerin,
Beaconsfield, Québec/Montreal (nach 1970 erhalten) /
Galerie Nathan, Zürich / Privatsammlung, Süddeutschland/
Großbritannien (1984 bei Nathan erworben)
Ausstellung: Vincent van Gogh. Rotterdam, Kunstzalen Oldenzeel,
1903, Nr. 4 / Canada collects. European Painting 1860–1960.
Montreal, Museum of Fine Arts, 1960, Kat.-Nr. 153, Abb. S. 51
Literatur und Abbildung: J(acob)-B(aart) de la Faille: L’Œuvre de
Vincent van Gogh. Catalogue raisonné. 4 Bde. Paris/Brüssel,
Les Éditions G. van Oest, 1928, hier Bd. 1: Kat.-Nr. 144, Bd. 2:
Abb. Tf. XL („Paysanne brabançonne“, Leinwand auf Holz) /
Walther Jan Clemens Vanbeselaere: De Hollandsche periode
(1880–1885) in het werk van Vincent van Gogh (1853–1890).
Antwerpen, De Sikkel, 1937 (= Diss. 1934), S. 290, Nr. 144
(Leinwand auf Holz), S. 341f. / J(acob)-B(aart) de la Faille:
Vincent van Gogh. Paris, Hyperion, 1939, Kat.-Nr. 154, m.
Abbildung („Bäuerin aus Brabant“, Öl auf Holz) / Jan Hulsker:
Van Gogh en zijn weg. Het complete werk. Amsterdam,
Meulenhoff International, 1978, Kat.-Nr. 561, m. Abb.
(„Boerenvrouw, kop“, Leinwand auf Holz) / Ingo F. Walther/
Rainer Metzger: Vincent van Gogh. Sämtliche Gemälde, Bd. 1:
Etten, April 1881 – Paris, Februar 1888. Köln, Benedikt Taschen
Verlag, 1989, Abb. S. 68 („Kopf einer Bäuerin mit weißer
Haube“) / Louis van Tilborgh und Marije Vellekoop: Van Gogh in
Utrecht. The Collection of Gerlach Ribbius Peletier (1856–1930).
In: Van Gogh Museum Journal 1997-1998, S. 26-41, hier S. 28,
Abb. 2 (Foto des Wohnzimmers der Familie Ribbius Peletier in
Utrecht, 1903-04, unser Gemälde links auf einer Staffelei),
S. 30, S. 33, Abb. 6 (Gemälde des Wohnzimmers der Familie
Ribbius Peletier in Utrecht von Elsie Spronck, 1932, unser
Gemälde hinten rechts über der Tür), S. 34 u. S. 36, Nr. 2,
m. Abb. („Head of a woman“, Öl auf Leinwand auf Holz) /
Martha Op de Coul: In search of Van Gogh’s Nuenen studio:
the Oldenzeel exhibitions of 1903. In: Van Gogh Museum
Journal 2002, S. 113, Nr. 4
€ 600.000 – 800.000
$ 647,000 – 862,000
16
Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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Auf dem Weg zu den „Kartoffelessern”
Über die Bedeutung der Brabanter Portraits für Vincent van Goghs Gesamtwerk
Die Kopfportraits von Bauern und ihren Frauen, die Vincent van
Gogh zwischen 1884 und 1885 in der südholländischen Provinz
Brabant zeichnete und malte, zeigen den Niederländer noch vor
dem Höhepunkt seines Schaffens. Diese geschlossene Werkgruppe dokumentiert einen entscheidenden Moment auf seinem
Weg vom Autodidakten, der sich noch an Vorbildern der „Haager
Schule“ orientierte, hin zum autonomen Künstler, der einmal
selbst die Kunstgeschichte maßgeblich prägen sollte. Mit den
Bauernbildnissen bereitete van Gogh gezielt sein erstes Hauptwerk
vor – die berühmten „Kartoffelesser“ von 1885 (Abb. 8), in denen
der damals 32jährige zum ersten Mal seine künstlerischen Ideen
zusammenfaßte.
Besonders erfolgreich war das Leben von Vincent van Gogh
bis dahin nicht verlaufen. Als Kunsthändler und als Lehrer war
er gescheitert, ebenso als Theologe und Buchhändler. Freiwillig
ging der Pastorensohn danach als Laienprediger ins belgische
Kohlengebiet des Borinage, um dort auf eigene Faust unter den Arbeitern zu missionieren. Seine ehrgeizige Familie, aus der studierte
Theologen und Lehrer, Offiziere und Kunsthändler stammten, hatte
versucht, ihm diesen Plan auszureden.
Daß ihr Sohn ihn trotzdem verfolgte, führte zu einem tiefen
Zerwürfnis vor allem mit den Eltern. Van Goghs Bruder Theo, der
als erfolgreicher Kunsthändler in Paris lebte, war es schließlich,
der den vier Jahre Älteren an dessen frühere Leidenschaft fürs
Zeichnen erinnerte. Van Gogh folgte seinem Rat, beschloß, seinen
Lebensunterhalt fortan als Künstler zu verdienen, und kehrte nach
einem zweieinhalbmonatigen Malaufenthalt in der niederländischen
Provinz Drenthe schließlich im Dezember 1883 ins Haus seiner
Eltern nach Nuenen in der Provinz Brabant zurück – obwohl er
sich von ihnen auch weiterhin unverstanden fühlte. „Man hat eine
ähnliche Scheu, mich ins Haus zu nehmen, wie man sich scheuen
würde, einen großen zottigen Hund im Haus zu haben“, schrieb er
nach Paris. „Er kommt mit nassen Pfoten in die Stube - und er ist
überhaupt so zottig und wüst! Allen läuft er in den Weg. Und er bellt
so laut. Kurzum – er ist ein schmutziges Vieh.“
Im Pfarrhaus in Nuenen arbeitete van Gogh zunächst in der ehemaligen Bügelkammer, die für ihn umgebaut und mit einem Ofen
ausgestattet wurde; später zog er in einen stallähnlichen Anbau an
der Rückseite des Pastorats neben dem Misthaufen um. Seinen
Platzbedürfnissen entsprach auch das nicht. Im Mai 1884 mietete
van Gogh deshalb für 75 Gulden im Jahr zwei Räume im Haus des
katholischen Küsters Johannes Schafrat an (Abb. 3). Im größeren
der beiden Zimmer hängte er seine Gemälde und Zeichnungen auf.
Im kleineren malte er, abends bei Kerzenlicht, und er unterrichtete dort auch vier Schüler: seinen Freund Anton Kerssemakers,
den Eindhovener Goldschmied Antoon Hermans, Willem van de
Wakker, einen Angestellten im Telegrafenamt von Eindhoven, und
Dimmen Gestel, der in derselben Stadt eine Fabrik für Zigarrenbanderolen besaß. In einer Kammer unterm Dach des katholischen
Küsters schlief Vincent van Gogh schließlich auch (Abb. 2) – ein
Affront für seinen Vater, den reformierten Pastor Theodorus van
Gogh. Hier, im Hause Schafrat, entstand vermutlich wenig später
auch das vorliegende Frauenbildnis.
Noch in Drenthe hatte van Gogh zunächst mit einer Bilderserie
begonnen, die Weber bei der Arbeit in ihren großen Webstühlen
und Frauen an Spinnrädern zeigt. Dort auch den bewunderten
Max Liebermann zu treffen, der regelmäßig von Berlin zum Malen
nach Drenthe fuhr, gelang ihm nicht: Als van Gogh ankam, war der
Deutsche schon abgereist. Ähnlich wie in van Goghs zeitgleich entstandenen Landschaftsbildern, die keinerlei Hinweise auf die auch
in den Niederlanden längst begonnene Industrialisierung enthalten,
idealisierte er auch in den Interieurs seine Motive und verklärte sie
romantisch. „Heutzutage gibt es keine Spinnräder mehr, und das ist
für Maler und Zeichner sehr bedauerlich“, hatte er an Theo geschrieben. „Jedoch ist etwas anderes an ihre Stelle getreten, was nicht
weniger malerisch ist, nämlich die Nähmaschine.“ Trotzdem feierte
van Gogh in seinen Bildern weiter die vorindustriellen Zustände, wie
er sie aus Romanen und von seinen Vorbildern der „Haager Schule“
– Jozef Israëls und Johan Hendrik Weissenbruch, den Brüdern Jacob,
Matthijs und Willem Maris, von George Hendrik Breitner und seinem
Cousin und Lehrer Anton Mauve – kannte.
Abb. 1. Vincet van Gogh. Kopf einer Bauersfrau (F 1174). 1884. Bleistift und Tinte
auf Papier. 15,9 x 10,7 cm. Privatsammlung
18
In diesem Zusammenhang sind auch die Bildnisse von Landarbeitern und ihren Frauen zu sehen, die Vincent van Gogh im Winter
1884/85 in der Umgebung seines Wohnortes Nuenen zeichnete
und malte und zu denen auch das vorliegende Gemälde zählt.
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Abb. 2. Witwe Schafrat mit van Goghs Stuhl, auf dem er malte.
Abb. 3. Haus des Küsters Schafrat in Nuenen (van Goghs Atelier hinter den beiden
Fenstern links).
Sie dienten ihm – auf Papier wie auf Leinwand – als Vorbereitung
für jenes große Bild, mit dem er schließlich Mitte April 1885 im
Atelier bei Schafrat begann. Die 47 erhaltenen Ölbilder sind trotzdem autonome Werke, zu denen van Gogh unter anderem durch
die Serie „Heads of peasants“ in der Zeitschrift „The Graphic“
inspiriert worden war. Manche Gemälde bereitete er durch Federzeichnungen vor, die er selbst als „Gekritzel“ bezeichnete. Einige
von ihnen zeichnete van Gogh sogar mit Bleistift vor – so auch
die 15,9 x 10,7 Zentimeter messende Skizze zum vorliegenden
Gemälde (de la Faille 1174, Abb. 1), auf der die Augen der Frau
geöffnet sind. Daß das etwas spätere Ölbild das einzige unter den
zahlreichen in Nuenen entstandenen Bildnisstudien ist, auf dem
van Goghs Modell die Augen geschlossen hat, verleiht ihm eine
besondere Qualität. Die Frau, die in kontemplativer Versenkung
völlig auf ihre innere Welt konzentriert zu sein scheint, bleibt
dadurch als Individuum mit eigenen Gedanken sichtbar.
Hinter dem selbstgewählten neuen Bildnis-Projekt stand auch
van Goghs Wunsch, irgendwann einmal als Figurenmaler Karriere
machen zu können: Das Genre galt auch ihm als Königsdisziplin
der Malerei. Ende Oktober 1884 entstand das erste Bildnis, und
tatsächlich verbesserten sich danach van Goghs Fähigkeiten auf
diesem Gebiet merklich: Er fand von der flächigen Malerei zu einer
plastischeren Gestaltung seiner Sujets. Kaum eines der Modelle ist
namentlich bekannt, auch die Frau auf dem vorliegenden Gemälde
nicht. Gelegentlich wurde sie als Mutter von Gordina de Groot
identifiziert, der jüngeren Frau, die auf dem „Kartoffelesser“-Bild
hinter dem Esstisch sitzt. Einen Beleg dafür gibt es allerdings
nicht. Und weil das große Gemälde die Kate der Familie de Grootvan Rooij zeigt, ist es auch durchaus wahrscheinlich, daß eher die
ältere Frau am rechten Bildrand die Mutter ist. Ihre vergleichsweise große Nase und die deutlich wulstigeren Lippen lassen sich,
anders als auf anderen Einzelbildnissen jener Zeit,
auf dem vorliegenden aber nicht wiederfinden.
Und doch ist sie im Werkzusammenhang zugleich, ähnlich wie bei
Rembrandts Gemälde vorbereitenden „Tronjen“, auch Vertreterin
jenes entindividualisierten Menschentyps, nach dessen wahrhafter
Darstellung van Gogh in jener Zeit suchte. 15 solcher Zeichnungen
auf Papier sind heute noch überliefert. In insgesamt vier Sendungen schickte Vincent van Gogh sie zwischen Dezember 1884 und
Januar 1885 an Theo nach Paris: „Ich arbeite sehr hart an der Serie
von Köpfen, an die ich mich gegeben habe“, teilte er ihm dazu mit
und forderte den Bruder, der ihm das Zeichnen nahegelegt hatte,
auf, nun auch Kontakt zu Verlegern für diese Arbeiten zu suchen.
Sollten die an Theo geschickten Zeichnungen vorher als unmittelbare Vorlagen für die Umsetzung der Bildnisse im Atelier auf
Leinwand gedient haben, müßte auch das vorliegende Gemälde
demnach spätestens vor deren Versand, also in den ersten Wochen
des Jahres 1885, entstanden sein.
Abb. 4. Typische Trachten Brabanter Bauern.
Van Goghs Ziel war es auch im vorliegenden Bildnis ohnehin nicht,
in erster Linie eine individuelle Physiognomie wiederzugeben.
Er suchte in den Nuenener Bauernköpfen die Verkörperung des
primitiven Landlebens, die er Theo bereits im Sommer in einem
Brief beschrieben hatte: „Meine Farbrechnung steht aber so, daß
ich mit dem Anfangen von neuen Sachen in größerem Format ein
bißchen zurückhaltend sein muß, umso mehr, als es mich ziemlich
viel an Modellen kosten wird; falls ich überhaupt mal geeignete
Modelle kriegen kann von dem Typus, der mir vorschwebt (grobe,
platte Gesichter mit niedriger Stirn und dicken Lippen, nicht dieses
Scharfe, sondern voll und Millet-artig), und gerade mit dieser
Kleidung.“ Ihn faszinierte die traditionelle Tracht der Brabanter
Landbevölkerung (Abb. 4): Keine Frau verließ damals das Haus,
ohne eine von verschiedenen möglichen Hauben auf dem Kopf
zu tragen. Den Kontrasten, die sich in ihrem Faltenwurf, in den
Schatten und im Vergleich zur dunklen Kleidung ergaben, versuchte van Gogh mit malerischen Mitteln zu entsprechen – auch auf
dem vorliegenden Bild. Ganz langsam wurden seine Darstellungen
plastischer, ganz langsam hellte sich in Nuenen seine Palette auf.
Zu echter Farbe allerdings fand van Gogh erst, als er 1886 zu
seinem Bruder nach Paris, ins Zentrum des Impressionismus, zog.
Er habe versucht, die Menschen so naturgetreu wie möglich wiederzugeben, teilte er Theo van Gogh später mit. Nicht als sozialen
Kommentar, sondern so, wie er seine Motive sah: als Zeugen eines
archaischen Bauernlebens, das von der fortschreitenden Industrialisierung noch völlig unberührt geblieben ist: „Ich habe mich nämlich
sehr bemüht, den Betrachter auf den Gedanken zu bringen, daß
diese Leutchen, die bei ihrer Lampe Kartoffeln essen, mit denselben
Händen, die in die Schüssel langen, auch selber die Erde umgegraben
Grisebach 06/2015
19
haben; das Bild spricht also von ihrer Hände Arbeit und davon,
dass sie ihr Essen ehrlich verdient haben.“ Der 31jährige wollte
nach Jahren weitestgehend autodidaktischer Schulung außerdem
endlich auch ein Bild schaffen, mit dem er in den Augen seiner
Kollegen und des Kunsthandels würde bestehen können.
Die Aufgabe, die er sich ausgerechnet mit jenem Motiv gestellt
hatte, war trotz aller Vorarbeiten nicht einfach zu lösen. Das Vorhaben, fünf Menschen so darzustellen, daß sie im Schein nur einer
einzigen Öllampe auch noch halbwegs naturalistisch aussehen,
mußte letztlich scheitern. Van Gogh hatte zwar versucht, das Problem mit Hilfe unzähliger Vorstudien in Kohle und zweier Vorfassungen in Öl in den Griff zu bekommen. Er skizzierte die Kanne auf dem
Tisch, die Uhr an der Wand und sogar die Gabeln, mit denen die
Bauersleute nach den Kartoffeln stochern. Das erhoffte Meisterwerk wurde bis ins Detail geplant. Er probierte aus, ob er das im
Vordergrund dargestellte Mädchen besser stehen oder sitzen ließ,
und beschäftigte die alte Frau am rechten Bildrand mit Kanne und
Tassen, als er feststellte, daß sie mit ihrem Arm gar nicht bis an die
Kartoffeln herankommen würde.
Abb. 5. Van Gogh. Die Kartoffelesser (F 1661). 1885. Lithographie. 26,5 x 32,5 cm
Daß er wieder gescheitert war, wurde van Gogh schließlich selbst
bewußt – nicht erst durch die völlig vernichtende Kritik des Freundes
van Rappard, der über die noch schwächere, seitenverkehrte Lithographie, die van Gogh sofort im April 1885 nach dem Gemälde
druckte (Abb. 5), an ihn schrieb: „Du wirst mir beistimmen, daß
eine solche Arbeit nicht ernstgemeint ist. Glücklicherweise kannst
Du mehr als das; aber warum hast Du dann alles gleichermaßen
oberflächlich betrachtet und behandelt? Warum die Bewegungen
nicht gründlich studiert? Jetzt posieren sie. Diese kokette kleine
Hand der hintersten Frau, wie wenig wahr! Und welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Kaffeekessel, dem Tisch und der Hand,
die oben auf dem Henkel liegt? Was macht dieser Kessel eigentlich,
er steht nicht, er wird nicht festgehalten, aber was dann? Und warum
darf der Mann rechts kein Knie haben und keinen Bauch und keine
Lungen? Oder stecken die in seinem Rücken? Und warum muß sein
Arm einen Meter zu kurz sein? Und warum muß er auf die Hälfte
seiner Nase verzichten? Und warum muß die Frau links so ‘nen
Pfeifenstiel mit einem Würfel dran als Nase haben? Und bei einer
solchen Arbeitsweise wagst Du dann noch, die Namen Millet und
Breton anzurufen? Wirklich, die Kunst steht zu hoch, scheint mir,
als daß man sie so unbekümmert behandeln dürfte.“ Tief getroffen,
beendete van Gogh daraufhin zunächst die Freundschaft. Wenig
später gestand er dann aber selbst ein: „Ich weiß auch, daß es
seine Mängel hat, doch gerade weil ich sehe, daß die jetzigen Köpfe
kräftiger werden, wage ich zu behaupten, daß auch die Kartoffelesser
ihre Kraft behalten werden.“
Abb. 6. Wohnzimmer im Hause Ribbius Peletier, Utrecht, 1903/04. Links auf der
Staffelei steht unser Bild.
Abb. 7. Elsie Spronck. Das Wohnzimmer der Familie Ribbius Peletier. 1932.
Sammlung Stichting Landgoed Linschoten. Unser Bild hängt über der Tür.
20
Trotzdem schickte van Gogh Abzüge der Lithographie auch an
Theo, zur Verteilung an Pariser Kunsthändler wie Durand-Ruel.
Der Bruder kam der Bitte offenbar gar nicht erst nach. Zwar lobt
er, man könne „die Holzschuhe der Gemalten aneinanderschlagen
hören“; vor allem seine Bemerkung, die Körper der Bauern seien
schlechter als deren Köpfe gelungen, traf van Gogh aber: Er hatte
ja gerade keine abbildenden Portraits, sondern eine allgemeingültige und dadurch in seinen Augen wahrhafte Genreszene malen
wollen. Theo forderte ihn auf, hellere Farben einzusetzen, weil
es für van Goghs dunkle Gemälde mit ihren melancholischen Bauernsujets kaum noch einen Markt gab. In Paris hatten längst die
Impressionisten ihren Siegeszug angetreten. Die zwischen 1874
und 1886 veranstalteten Gruppenausstellungen dieser Künstler
versetzten die Kunstwelt in Aufruhr, und Theo van Gogh zählte zu
den wichtigsten Förderern der umstrittenen neuen Bewegung.
Seinen Bruder in den Niederlanden aber hatte diese radikale
Erneuerung der europäischen Kunst noch nicht erreicht.
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Abb. 8. Vincent van Gogh. Die Kartoffelesser (F 82). Nuenen, April 1885. Öl auf Leinwand. 82 x 114 cm. Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Stichting).
„Wenn ich später wieder Modelle für meine Figuren finde, kann ich
hoffentlich beweisen, daß ich noch auf etwas anderes aus bin als auf
grüne Landschaften und Blumen“, wird Vincent van Gogh später aus
Paris an seine Schwester Willemien schreiben. Die Figurenmalerei war
ihm, durch die Erfahrungen mit den Bauernportraits in Nuenen, zum
zentralen Anliegen geworden. Mit dem Malen der Brabanter Landbevölkerung hatte er im Spätsommer 1885 aber abrupt aufgehört.
Die unverheiratete Gordina de Groot war schwanger geworden, und
für den katholischen Pfarrer kam als Vater nur der Maler – der zu
allem Überfluß auch noch im Haus seines Küsters lebte und arbeitete
– in Frage. „Der Pfarrer ging so weit“, schrieb van Gogh empört
seinem Bruder ins bedeutend leichtlebigere Paris, „daß er den Leuten
Geld versprach, wenn sie sich nicht malen ließen. Hätte ich diesen
Ärger mit den Modellen nicht gehabt, so wäre ich den Winter über noch
hiergeblieben. Aber hier mit Modell zu arbeiten, stößt, wie sich zeigt,
nicht so sehr auf den Widerstand des Pfarrers, der an sich durch völlige
Nichtbeachtung meinerseits wirkungslos geworden wäre; das Elend
ist vielmehr – obwohl ich mich nicht beirren lasse –, daß die Leute
zögern und mehr Angst haben, als ich dachte.“ In Paris aber, wohin er
1886 zu seinem Bruder zog, konnte Vincent van Gogh Portraitstudien
wie diese nicht fortsetzen: Ihm fehlte schlicht das Geld, um dort die
professionellen Modelle bezahlen zu können.
Zur Provenienz des Gemäldes
Anders als in Deutschland, wo private Sammler vor allem durch
die pathetisch legendenbildenden Veröffentlichungen von Julius
Meier-Graefe und die Ausstellungen bei Paul Cassirer erstmals
auf das farbenstarke Spätwerk von Vincent van Gogh aufmerksam
wurden, konzentrierten sich die Sammler in den Niederlanden zunächst auf das Frühwerk. Maßgeblich dafür waren unter anderem
die drei Ausstellungen mit Van-Gogh-Werken, die die Rotterdamer
Galerie Oldenzeel im Januar, Mai und Dezember 1903 ausrichtete.
Schon im Februar des Jahres erwarb dort der Utrechter Zigarrenfabrikant Gerlach Ribbius Peletier für 500 Gulden das vorliegende
Bild, das Vincent van Gogh 1885 bei seinen Eltern in Nuenen
zurückgelassen und das seine Schwester Anna Cornelia später
wie Dutzende andere für wenige Gulden an einen Trödler verkauft
hatte. Es war das zweite Van-Gogh-Werk, das Ribbius Peletier in
seinen Besitz brachte; acht weitere Van-Gogh-Gemälde, darunter
auch zwei Spätwerke, sollten im Laufe der Jahre folgen. Davon,
daß das Frauenbildnis über fünf Jahrzehnte lang in Familienbesitz
blieb, legen auch zwei Bilddokumente Zeugnis ab: Um 1903/04
ließ sich die Familie Ribbius Peletier im Salon ihres Hauses an der
Maliebaan 15 in Utrecht fotografieren (Abb. 6); das Gemälde steht
auf einer Staffelei am linken Bildrand. 1932 malte dann die Künstlerin Elsie Spronck das Wohnzimmer im selben Haus (Abb. 7).
Dort hatte man inzwischen umdekoriert: Das Frauenbildnis hatte
nun auf einem Bord über einer Tür Platz gefunden. Über die
Galerie van Wisselingh in Amsterdam wurde das Gemälde zunächst nach Kanada verkauft. Mitte der 1980er Jahre fand es
dann über die Zürcher Galerie Nathan zum heutigen Besitzer.
Stefan Koldehoff
Der Autor stellt sein Honorar der Max-Liebermann-Gesellschaft
Berlin e.V. zur Verfügung, die in Liebermanns Villa am Wansee bis zum
10. August 2015 die Ausstellung „Liebermann und van Gogh“ zeigt.
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Max Liebermann
1847 – Berlin – 1935
„Gemüsemarkt in Delft“. 1907
Öl auf Leinwand. 71 x 89 cm (28 x 35 in.).
Unten rechts signiert und datiert: M. Liebermann 1907.
Eberle 1907/21. –
[3120] Gerahmt.
Provenienz: Theodor Behrens, Hamburg (erworben am
21.12.1907 in der Galerie Paul Cassirer, Berlin) /
ehemals Privatsammlung, USA
Ausstellung: X. Jahrgang, VI. Ausstellung. Berlin, Galerie Paul
Cassirer, 1908, Kat.-Nr. 40 („Gemüseauktion in Delft II“) / Private
Schätze. Über das Sammeln von Kunst in Hamburg bis 1933
(Katalog zur Ausstellung: Picasso, Beckmann, Nolde und die
Moderne. Meisterwerke aus frühen Privatsammlungen in Hamburg).
Hamburg, Hamburger Kunsthalle, 2001, Kat.-Nr. 93, Farbabbildung
S. 110, und S. 42 m. Abbildung / Der deutsche Impressionismus.
Bielefeld, Kunsthalle, 2009/10, ganzseitige Farbabbildung S. 219
Literatur und Abbildung: N. N.: Kunstausstellungen: In: Kunst und
Künstler, Jg. VI, H. 6, 29.2.1908, S. 255-258, hier S. 256 / Gustav
Pauli: Max Liebermann. Des Meisters Gemälde in 304 Abbildungen.
Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlags-Anstalt, 1911 (= Klassiker
der Kunst in Gesamtausgaben, Neunzehnter Band), Abbildung
S. 170, Anm. S. 247 u. S. 250 / Erich Hancke: Max Liebermann.
Sein Leben und seine Werke. Berlin, Bruno Cassirer, 1914, S. 451
u. S. 543 (Werkkatalog) / Erich Hancke: Max Liebermann. Sein
Leben und seine Werke. Berlin, Bruno Cassirer, 2. Auflage 1923,
S. 451 / Bernhard Echte und Walter Feilchenfeldt (Hrsg.): Kunstsalon Paul Cassirer. Die Ausstellungen. Band 3: „Den Sinnen ein
magischer Rausch“, 1905–1908. Wädenswil, Nimbus, 2013, ganzseitige Farbabbildung S. 666, auf S. 667, 668, 671, 676, 677, 681,
683, 686 u. 687 erwähnt in den Rezensionen von Willy Pastor (Tägl.
Rundschau, 7.2.1908, Nr. 32), J. Meier-Graefe (Tagebucheintrag
vom 9.2.1908), Fritz Stahl (Berliner Tageblatt, 11.2.1908, Nr. 88),
Ernst Kreowski (Berliner Volkszeitung, 19.2.1908, Nr. 83), Wilhelm
Micheels (Berliner Neueste Nachrichten, 20.2.1908, Nr. 93), Rudolf
Klein (Magdeburgische Zeitung, 23.2.1908, Nr. 98), Paul Landau
(Freisinnige Zeitung, 28.2.1908), Alfred Gold (Frankfurter Zeitung,
29.2.1908, Nr. 60), Curt Glaser (Hamburgischer Correspondent,
2.3.1908, Nr. 112), und Walter Cohen (Kunstchronik N. F., 19. Jg.,
Nr. 21, 3.4.1908, Sp. 356 f.)
€ 150.000 – 200.000
$ 162,000 – 216,000
Wie auf einer Bühne dirigieren beim „Gemüsemarkt in Delft“ die
Männer mit langen Stecken ihre flachen Boote aneinander vorbei.
In einem einfachen Haus mit Öffnung zum Kanal warten die Händler auf die Waren. Unzählige Schaulustige verfolgen das Spektakel.
„Um den Duft des Sonnenlichts auf die Gegenstände und auf die sie
umgebende Luft zu malen, taucht Liebermann stets den Pinsel zuerst in das reine Weiß und dann erst in die Lokalfarbe. [...] Dadurch
erzeugt er die Wirkung allgemeiner Helligkeit, in der das Hellste
erst recht leuchtet.“ (Woldemar von Seidlitz, in: Cornelius Gurlitt:
Die deutsche Kunst seit 1800, Berlin 1924, S. 364) Auf unserem
Bild erhalten die hellen Hemden der Schiffer einen Lichtimpuls,
der ihre für die Komposition wichtigen Bewegungen betont. Und
aus dem bräunlich dunklen Grundton des Wassers und der Boote
leuchten die Berge an Gemüse taufrisch hervor.
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Lovis Corinth
Tapiau/Ostpreußen 1858 – 1925 Zandvoort
„Charlotte mit Wilhelmine“. 1909
Öl auf Papier. 69,2 x 51,4 cm (27 ¼ x 20 ¼ in.).
Unten rechts mit Bleistift signiert und datiert: Lovis Corinth 1909.
Berend-Corinth/Hernad 392. –
Kleine Retuschen. [3537] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung / Dr. Fritz Rothmann, London /
Kunsthandlung Franz Resch, Gauting / Privatsammlung, Rheinland
Wir sehen die 29jährige Gattin des Künstlers, Charlotte BerendCorinth, und die am 13. Juli 1909 geborene Tochter Wilhelmine.
Eine junge Mutter mit ihrem Kind – eine alltägliche, fast beiläufige
Szene. Und doch spüren wir auf besondere Weise die körperliche
Nähe, sehen wir das Licht, das im Gesicht des Kindes und im
Haar der Frau spielt, und teilen die Intimität, die der Maler so
ungezwungen und mit energischer Direktheit festhält.
Ausstellung: Lovis Corinth, 1858–1925. Zürich, Kunsthaus, 1933,
Kat.-Nr. 7 / Lovis Corinth. Sammlung Dr. Fritz Rothmann, London.
Kassel, Staatliche Kunstsammlungen, 1963/64, Kat.-Nr. 6,
mit ganzseitiger Abbildung
Lovis Corinth hatte zu diesem Zeitpunkt bereits einen langen
künstlerischen Weg zurückgelegt, war aus München nach Berlin
gezogen und hatte sich als einer der wichtigsten Künstler der
Berliner Secession etabliert.1904 heiratete er Charlotte Berend,
die er wie auch die Kinder Thomas und Wilhelmine in zahlreichen
Portraits dargestellt hat. In Berlin eignete Corinth sich zunehmend eine lockere impressionistische Malweise an. Der Drang
des Malers, den Reiz des Flüchtigen unmittelbar einzufangen,
zeigt sich insbesondere in den Bildnissen seiner Frau. In den
Erinnerungen Charlotte Corinths erfahren wir immer wieder,
wie spontan der Künstler auf momentane Situationen und
Sinneseindrücke reagierte.
Literatur und Abbildung: Versteigerungskatalog: Modern
Paintings, Drawings and Sculpture. London, Christie’s,
21.10.1988, Kat.-Nr. 378, m. Abbildung
€ 80.000 – 120.000
$ 86,200 – 129,000
Corinth ergreift den Zauber des Augenblicks mit großzügigen
Pinselstrichen. Körperumrisse und räumliche Umgebung deutet
er nur skizzenhaft an, während er farblich modellierend betont,
worauf es ihm in diesem Moment ankommt: den Kopf des Neugeborenen an der Brust der Mutter, die bergenden und unterstützenden Hände, die innige seelische Verbindung, die im Körperlichen sichtbar wird. Im Gegensatz zu dem im selben Jahr
entstandenen monumentalen Familienbildnis, das sich heute
im Niedersächsichen Landesmuseum Hannover befindet, steht
in vorliegender Darstellung der Eindruck des Zufälligen und
Unwiederholbaren im Vordergrund. Neben der Intensität und
dem Ausdruck persönlicher Gefühle zelebriert der Maler hier
auch den Akt der Wahrnehmung selbst: den entscheidenden
Moment, der die Bildwürdigkeit und Gültigkeit eines Motives
erkennt. (sch)
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Max Liebermann
1847 – Berlin – 1935
Im Ruderboot. 1920er Jahre
Pastell auf Papier (aus einem Zeichenblock).
23,5 x 30 cm (9 ¼ x 11 ¾ in.).
Unten rechts mit Bleistift signiert: MLiebermann.
Unten minimal berieben. [3048] Gerahmt.
Provenienz: Dr. Hans Heymann, Berlin / Privatsammlung,
Ostdeutschland / Privatsammlung, Berlin (bis 1992) /
Galerie Rosenbach, Hannover / Galerie Binhold, Berlin /
Privatsammlung, Berlin (1992 bei Binhold erworben,
seitdem in Familienbesitz)
Wüßten wir nichts über das kleine, bezaubernde Pastell, so
würden wir denken: Im Ruderboot sitzt unverkennbar Max
Liebermann. Es ist eine schöne Phantasie: Der Maler sitzt am
Ufer des Wannsees in seinem Garten, skizziert die Segelboote
auf dem Wasser, malt ein hölzernes Ruderboot dazu – und setzt
sich einfach selbst dort hinein. Natürlich auch im Boot zeichnend, denn auch wenn man den Block nicht sieht, zeigt die
Armhaltung, daß seine Hände nicht untätig sein können.
Literatur und Abbildung: Berlin, Versteigerungshaus „Union“
(Leo Spik), 28./29.4.1937, Nr. 35 (Einlieferung unter Zwang;
in der Auktion nicht verkauft) / 25. Kunstauktion: 19. und
20. Jahrhundert. Berlin, Villa Grisebach Auktionen, 30.5.1992,
Kat.-Nr. 132, mit Farbabbildung
€ 40.000 – 60.000
$ 43,100 – 64,700
Wir danken Margreet Nouwen, Berlin, für die Bestätigung
der Authentizität des Pastells und für freundliche Hinweise.
Der heutige Besitzer und die Erben nach Dr. Hans Heymann
haben sich bezüglich dieses Werkes gütlich geeinigt.
Hierdurch ist die Eigentumslage geklärt und sichergestellt,
daß der Ersteigerer unumschränktes und einredefreies
Eigentum an dem Pastell erhält.
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Die Technik des Pastells kommt Liebermann in zwei Dingen
künstlerisch entgegen. Zum einen erlaubt sie ein spontanes,
zeichnerisches Arbeiten vor dem Sujet, das dennoch nicht auf
Farbe verzichtet. Zum anderen wirken die Arbeiten lichtdurchflutet
und hell. Liebermanns Palette hat sich durch die Verwendung der
Pastelltechnik in der Folge auch beim Malen in Öl aufgehellt. Unsere
Arbeit ist voller Licht. Silbrig blau leuchtet die Wasseroberfläche,
meisterlich gibt Liebermann die Bewegung der weißen Segel wieder,
indem er sie nicht als Fläche malt, sondern sie durch einzelne,
nebeneinander gesetzte Striche darstellt. Wenige Striche genügen
auch, um Spiegelungen auf das Papier zu bringen. Luftig leicht ist
diese Freilichtmalerei. In ihr vereint sich die Wiedergabe des Natureindrucks mit einem künstlerischen Einfall. Wünschen wir dem
Maler im Boot, daß er sich nicht zu sehr in die Arbeit vertieft, denn
zum Ufer muß er schließlich doch selbst zurückrudern. (OH)
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10 Erich Heckel
Döbeln 1883 – 1970 Radolfzell am Bodensee
„Alsterlandschaft“ (Die Alster bei
der Mellingburger Schleuse). 1913
Öl und Tempera auf Leinwand. 69,5 x 79 cm (27 ⅜ x 31 ⅛ in.).
Unten rechts monogrammiert und datiert: EH 13.
Rückseitig in Schwarz signiert: Erich Heckel.
Hüneke 1913-29 (in Vorbereitung) / Vogt 1913/45. –
Farben im Rahmenausschnitt leicht geblichen. [3253] Gerahmt.
Provenienz: Ehemals Prof. Dr. Richard Hessberg, Essen
(bis 2010 Depositum im Museum Folkwang, Essen)
Ausstellung: Erich Heckel 1883–1970. Gemälde, Aquarelle,
Zeichnungen und Graphik. Essen, Museum Folkwang, und
München, Haus der Kunst,1983/1984, Kat.-Nr. 41, mit
Farbabbildung / Hamburger Ansichten. Maler sehen die Stadt.
Hamburg, Hubertus-Wald-Forum in der Hamburger Kunsthalle,
2009/2010, Kat.-Nr. 50, Farbabb. S. 175 („Die Alster bei der
Mellingburger Schleuse“)
€ 250.000 – 350.000
$ 269,000 – 377,000
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Heckel siedelte 1911 von Dresden nach Berlin über. Der als ruhig
und maßvoll beschriebene Maler suchte in der Großstadt weniger
nach neuen Bildmotiven, obgleich er aus Straßenschlucht und
Hochbahnviadukten eine düster-statische Komposition (Straße
in Berlin, 1911) schuf. In Berlin erhofften sich Heckel, Kirchner
und die anderen Brücke-Künstler ein größeres Publikum, bessere
Ausstellungsmöglichkeiten, geschäftlichen Erfolg und engere
Kontakte zu Galeristen und Förderern. Inspiration fand der Maler
weiterhin eher in der Natur: Die Sommermonate der folgenden
Jahre verbrachten der Maler und seine Frau auf Hiddensee,
Fehmarn, dem Darß und auf Sylt. Über die Reisen schrieb Heckel
an den Freund Walter Kaesbach: „Ich sammle Vorräte, Material.“
(Zit. nach: Anton Henze: Erich Heckel. Leben und Werk. Stuttgart
1983, S. 46)
Im Sommer 1913 wandert Heckel mit seiner Frau, der Ausdruckstänzerin Sidi Riha, durch Schleswig-Holstein. In Osterholz an der
Flensburger Förde mieten sie ein Häuschen, das zum ersehnten
Rückzugsort wird. Von dort aus statten sie dem Förderer und
Freund Gustav Schiefler auf dessen Landsitz in Mellingstedt
im Alstertal einen Besuch ab. Das Glück und die Lebensfreude
dieses Sommers sprechen aus der „Alsterlandschaft“. Die wilden
Farbstürme der Dresdener Jahre weichen hier einer neuen Intensität. Heckel verdünnt nun die Ölfarben mit Benzin, sie werden
immaterieller, doch leuchtender. Der Maler legt nur wenige
Flächen an: ein Stück Wiese, einen Erdhang. Der Rest wird mit
kurzem, in alle Richtungen ausgreifenden Pinselstrichen erfaßt.
Immer wieder bleiben Teile der Leinwand frei. Werner Haftmann
sagte über die Kunst Heckels, „daß er noch in der Erregung eine
geheime Überlegenheit bewahrte“ (Zit. nach: Paul Vogt: Geschichte
der deutschen Malerei im 20. Jahrhundert, Köln 1976, S. 39). Bei
aller Frische und Spontaneität ist die malerische Umsetzung der
Spiegelungen im Fluß höchst kunstvoll: Selbst die Leerstellen auf
der Leinwand werden Teil der Wasseroberfläche. (OH)
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11 Emil Nolde
Nolde 1867 – 1956 Seebüll
„Landschaft mit Kirche (gelb und violett)“. Um 1931
Aquarell auf Japan. 19,7 x 15,4 cm (7 ¾ x 6 ⅛ in.).
Unten rechts mit Feder und dunkler Tinte signiert: Nolde.
Das Aquarell war ursprünglich eingeklebt in das hier
beigegebene Buch: Emil Nolde: Das eigene Leben.
Ohne Ort und Verlag, 1931 (numeriertes Künstlerexemplar
im goldgeprägten grünen Halbledereinband mit grauem
Leinenbezug).
Mit einer Expertise von Prof. Dr. Manfred Reuther, Stiftung
Seebüll Ada und Emil Nolde, vom 20. April 2015. –
[3524] Provenienz: Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen
€ 60.000 – 80.000
$ 64,700 – 86,200
Emil Noldes Aquarellmalerei erfuhr zweimal einen radikalen
Wandel: Die frühesten, rein deskriptiven Arbeiten waren noch
geprägt von einer „intimen, aber etwas kleinlich tiftelnden Art“,
so der Maler selbst, geboren aus einer „äußerlich gesehenen
abschreibenden Naturfreude“. 1908 dann gelangte er zu einer
„freieren, breiteren und flüssigen Darstellung, die ein besonderes, gründliches Verstehen und Eingehen auf Struktur und Art der
Papiere und die Möglichkeiten der Farbe erfordert, aber vor allem
wohl doch die Fähigkeit der sinnlichen Einstellung des Auges“
(Emil Nolde: Reisen, Ächtung, Befreiung. Köln 1988, S. 27).
Anfang der zwanziger Jahre erfolgte dann schrittweise die gänzliche Hinwendung zur Farbe als autonomem Ausdrucksträger,
was eine grundlegend veränderte Arbeitsweise zur Folge hatte.
Nicht mehr das Motiv bestimmte, was auf dem Papier entstand,
sondern allein die scheinbar willkürlich aufgetragenen, intensiven
Farben. Verläufe, Flecken, Abdrücke und Wasserränder evozieren
Gesichter, Phantasiegestalten, Landschaften oder Meere, die
Nolde in einem letzten Arbeitsschritt mittels Tuschfeder oder
–pinsel präziser in Erscheinung treten läßt. Dem Zufall kommt bei
diesem Prozess eine entscheidende Rolle zu, der Künstler beugt
sich bereitwillig und lustvoll dem Diktat der Farben.
Unser kleinformatiges Blatt ist mit seiner berauschenden Farbigkeit ein herausragendes Beispiel für Noldes Aquarellmalerei um
1930. Die Komplementärfarben Gelb und Violett beherrschen
das fulminante Himmelsgeschehen, das wie ein bedrohlicher
Gewittersturm über einem Bergsee anmutet. Kühle Blau- und
Grüntöne dagegen bestimmen den schmalen, fest umgrenzten
Streifen Land im unteren Bilddrittel, in den mit filigranem Federstrich eine Kirche mit Nebengebäude eingezeichnet ist. Deren
rote Ziegeldächer sorgen für einen zusätzlichen, delikaten Farbakzent. Der Gegensatz zwischen großflächigem, von enormem
künstlerischen Selbstbewußtsein zeugenden Farbauftrag und
kleinteiliger, fast schon kalligraphischer Federzeichnung macht
den Reiz der Aquarelle aus Noldes Reifephase aus. Daß er dieses
kleine Blatt besonders geschätzt haben muß, belegt die Tatsache,
daß er es in einen Vorzugsband seiner Autobiographie „Das
eigene Leben“ von 1931 eingeklebt hat. Diese Bände wurden –
oft mit persönlicher Widmung versehen – nur engsten Freunden
und treuen Wegbegleitern als Geschenk überreicht. (AF)
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(Abbildung in Originalgröße)
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12 Emil Nolde
Nolde 1867 – 1956 Seebüll
„Tulpen (rot und violett) in einer blauen Vase“. Um 1930
Aquarell auf Japan. 33,7 x 47 cm (13 ¼ x 18 ½ in.).
Unten rechts mit Feder und dunkler Tinte signiert: Nolde.
Mit einer Expertise von Prof. Dr. Manfred Reuther, Stiftung
Seebüll Ada und Emil Nolde, vom 20. April 2015. –
[3033] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Norddeutschland
Ausstellung: Blume und Stilleben. Gemälde, Aquarelle,
Zeichnungen und Graphik. Berlin, Galerie Pels-Leusden,
1985/86, Kat.-Nr. 89, Farbabb. (Faltblatt)
Literatur und Abbildung: Auktion 254. Hamburg, Hauswedell &
Nolte, 8./9. Juni 1984, Nr. 1217a, Farbabb. Tf. 19
€ 80.000 – 100.000
$ 86,200 – 108,000
In diesem Tulpenaquarell spielt Emil Nolde seine ganze Könnerschaft aus – er läßt die Farben verlaufen, so daß sie organisch
werden, aber in ihrer nahezu abstrakten inneren Struktur weisen
die Blüten zugleich weit über ein bloßes Abbild hinaus. Vor allem
aber gelingt es Nolde hier durch seine Komposition, also den
Blick von halb oben auf die Vase und die Anschnitte rechts und
links, den Strauß zu einer energiegeladenen Ballung von Rot, Blau
und Lilatönen zu verdichten. Unterstützt wird die innere Tektonik
der Komposition vor allem durch die beiden gut sichtbaren Stiele
der Tulpen in der linken Bildhälfte, die sich biegen wie die Kiele
eines aufgespannten Regenschirms. Die dünnen Stengel scheinen die opulente Blütenpracht kaum tragen zu können und neigen sich unter deren Last zu Boden. So kommt es, daß sich das
komplementäre Blattgrün des Straußes erst im oberen Bilddrittel
entfaltet. Gemeinsam bilden sie ein kühles, vertikales Gegengewicht zu dem sattfarbigen Oval der Blüten. Dieses kompositorische Grundmotiv greift auch die farblich dezente Gestaltung des
Hintergrundes auf. Ein zartes Gelb bereichert die Farbpalette am
rechten Bildrand in Form von Astern oder Orchideenblüten.
Die Tulpe ist in Noldes Blumenmalerei die Blume, die am häufigsten auftaucht. Fotografien aus dem Hause Nolde und der Berliner
Atelierwohnung belegen die hohe Wertschätzung des Malers für
die Tulpe in all ihren unterschiedlichen Varianten, solange deren
Blüte einfarbig ist. Mehrfarbige Züchtungen wurden gemieden.
Ihre Wiedergabe im Aquarell hätte eine kleinteiligere Malweise
erfordert und widersetzte sich der von Nolde bevorzugten großflächigen Malweise in der für ihn so typischen Naß-in-Naß-Technik. In unserem Aquarell reihen sich die schweren, fast kreisrunden Tulpenblüten wie in einer innerlich leuchtenden, rot-violetten
Farbgirlande aneinander. (AF)
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Grisebach 06/2015
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13 Karl Schmidt-Rottluff
Rottluff 1884 – 1976 Berlin
Stilleben. 1913
Öl auf Leinwand. 65 x 73 cm (25 ⅝ x 28 ¾ in.).
Unten links signiert und datiert: S. Rottluff 1913.
Das Gemälde ist im Archiv der Karl und Emy
Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin, dokumentiert. –
[E] Gerahmt.
Provenienz: Ehemals Herbert Eulenberg,
Düsseldorf (Geschenk des Künstlers)
Ausstellung: 1913. Bilder vor der Apokalypse. Kochel,
Franz Marc Museum, 2013, ganzs. Farbabb. S. 57
€ 300.000 – 400.000
$ 323,000 – 431,000
Von der realistischen, „täuschend echten“ Naturnachahmung
zum gleichnishaften Sinnbild und zur reinen Form: Das Motiv
des Stillebens wandelte sich mit dem Zeitgeist in der Kunst und
dem jeweiligen Verständnis von Realität und Abbild, Sein und
Schein. Die Klassische Moderne hauchte dann den Gefäßen,
Blumen und Früchten ein Leben jenseits der Natur ein. Unser
„Stilleben“ gehört einer Schaffensphase Karl Schmidt-Rottluffs
an, die ganz im Bann der Abstraktion, der Vereinfachung und
Vertiefung stand. Die Eruptionen der frühen „Brücke“-Jahre
sind dem konzentrierten Blick und der Suche nach der großen
umfassenden Form gewichen. Wir blicken in leichter Aufsicht
auf die Objekte, die sich rhythmisch um eine Kanne gruppieren.
Der Künstler vertraut ganz auf die Ausdruckskraft weniger
Farben und verzichtet weitgehend auf die Wiedergabe von
Details – umso betörender die Wirkung der einzelnen tiefblauen Blume. Der ungewohnte Bildausschnitt drängt die
Objekte an den Rand, beschneidet ihre Formen. SchmidtRottluff malt uns die Gegenstände fremd. Nicht durch übermäßige Verzerrung, sondern indem er die scheinbar eindeutige
Perspektive subtil bricht und die Formen soweit wie möglich
reduziert, zum Teil bis zur Unkenntlichkeit. Wir sehen einfache
Elemente wie Kreisformen, Scheiben, schwungvolle Konturen,
fein ausbalancierte Farbflächen, deren Verhältnis zueinander
die innere Spannung des Bildes erzeugt.
Das Ganze ist von äußerster Raffinesse, keine ausdrucksgeladene Geste, wie wir sie mit dem Begriff „Expressionismus“
zumeist in Verbindung bringen, sondern Charakterisierung
durch schärfste Beobachtung. Wir sollen nicht Vertrautes
wiedererkennen, wir sollen die wundersame Schönheit entdecken, die Intensität und Klarheit, die zum Vorschein kommt,
wenn man den Schleier lüftet. „Expression“ speist sich hier
mehr aus dem Geistigen als aus dem Emotionalen – und hat
dennoch eine große Seele.
Das Bild ist ein Geschenk des Künstlers an die Familie des
Schriftstellers Herbert Eulenberg (1876-1949), der seinerseits
die geistigen Strömungen der Zeit mit seinem Schaffen begleitet
hat. Eulenbergs romantisch-expressionistische Bühnenwerke
und Dramen zeichnen sich durch ein hohes Maß an Subjektivität
und Gefühl aus, er selbst konnte sich nach eigener Aussage
„manchen Gemälden wie Menschen hingeben“ (zit. nach:
H. Eulenberg, So war mein Leben, Düsseldorf 1948). (sch)
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14 Hermann Max Pechstein
Zwickau 1881 – 1955 Berlin
Blick auf Dorf mit Kirchturm (Leba). 1921/22
Aquarell über Kreide auf Papier. 49 x 59 cm (19 ¼ x 23 ¼ in.).
Unten rechts mit Bleistift signiert (ligiert): HMPechtstein.
Restaurierter Einriß. [3537] Gerahmt.
Provenienz: Kunsthandel Wolfgang Werner, Bremen (1983) /
Galerie Rosenbach, Hannover / Privatsammlung, Rheinland
Ausstellung: Aquarelle der Brücke. Berlin, Brücke-Museum,
1995/96, Kat.-Nr. 105 mit ganzs. Farbabb.
€ 40.000 – 50.000
$ 43,100 – 53,900
„In dem Friedensvertrag [nach dem Ende des Ersten Weltkriegs]
wurde bei Nidden die Grenze gezogen. Der Ort kam zu Litauen;
also mußte ich mich trennen und mich erneut auf die Suche nach
einem Fleck Erde begeben, der nicht von Malern, Touristen und
Badegästen überlaufen war. Im April 1921 machte ich mich allein,
nur mit dem nötigsten Material im Rucksack, auf die Suche. Ich
hatte der Karte nach in Ostpommern eine ähnliche Nehrung zwischen dem Leba-See und der Ostsee ausfindig gemacht. Zu Fuß
streifte ich die Ostseeküste, nach Westen marschierend, ab. Ich
entschloß mich zuletzt, in Leba mein Standquartier zu errichten.
Wenngleich dort andere Menschen, andere Fischertypen lebten,
so wiesen doch die große Londsker Wanderdüne und das weit
ausgebreitete Dünengelände eine gewisse Ähnlichkeit mit der
Kurischen Nehrung auf, die mich bewog, hier zu arbeiten.
Die darauffolgenden Jahre blieb es dabei, und ich habe es nicht
bereut. Ich lernte diese Küste nicht nur schätzen, sondern auch
lieben. Sei es nun, daß ich auf meinen Streifzügen weiter ins Land
hinein, ins ‘blaue Ländchen’ kam, in herrliche Wälder, zwischen
denen verborgene Seen aufblitzten und sprudelnde Flüsse und
Bäche sich durch die Landschaft schlängelten. [...] Dabei ruhte der
Stift nicht. Alles, was ich sah und um mich erlebte, wurde unerbittlich festgehalten und wie die erbeuteten Forellen, Lachse, Hechte
und Aale nach Hause getragen. Ich erhielt dadurch eine Sicherheit,
die mich nicht versinken ließ in dem Zusammenbruch nach dem
Kriege.“ (Max Pechstein: Erinnerungen. Wiesbaden, Limes Verlag,
1960, S. 107f.)
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15N
Hermann Max Pechstein
Zwickau 1881 – 1955 Berlin
„Ein Sonntag“. 1921
Öl auf Leinwand. 80 x 100 cm (31 ½ x 39 ⅜ in.).
Unten rechts signiert (ligiert): HMPechstein.
Rückseitig in Schwarz mit Werknummer bezeichnet,
betitelt und signiert: 1921 (12 Ein Sonntag HMPechstein.
Soika 1921/14. –
[3453] Gerahmt.
Provenienz: Dr. Walter Minnich, Montreux (um 1921 beim
Künstler erworben, bis 1937) / Kunstmuseum, Luzern (1937
als Schenkung von Walter und Alice Minnich erw., Inv.-Nr. KH 320,
„Sonntag, Kornfeld“) / Kunsthändler Gerhard Brauer, Amsterdam
(1964 vom Kunstmuseum Luzern erw., bis 1969) Kunsthandel,
Hamburg (erw. 1969) / Privatsammlung, Schweiz
Ausstellung: Max Pechstein. Zürich, Kunsthaus, 1923,
Kat.-Nr. 65 („Sonntagmorgen, Kornfeld“) (?)
Literatur und Abbildung: Auktion 508: Kunst des XX.
Jahrhunderts. Köln, Kunsthaus Math. Lempertz, 4./5.12.1969,
Kat.-Nr. 4869, Abb. Tf. 2 / Isabel Greschat und Christoph Lichtin
(Hrsg.): Der Sammler Walter Minnich und das Kunstmuseum
Luzern. Pechstein, Melzer, Soutine, Terechkovitch [anläßlich der
Ausstellung „Modell für ein Museum’“, Luzern, Kunstmuseum,
2006/07]. Heidelberg, Kehrer Verlag, 2006, S. 38, Anm. 74
€ 500.000 – 700.000
$ 539,000 – 754,000
38
Die politische Nachkriegsordnung zwang Pechstein 1921, sich
einen neuen Ort für die sommerlichen Arbeitsaufenthalte zu
suchen. Er fand ihn in Leba, an der pommerschen Ostseeküste.
An Freunde schreibt er: „Neue Landschaft, neue Menschen,
ich habe mich hineingefressen. [...] Dazu habe ich das Ackerland
hinten, also ein bedeutend breiteres Arbeitsfeld als in Nidden.“
(Zit. nach: Ausst.-Kat. Max Pechstein. Sein malerisches Werk,
Brücke Museum Berlin, Berlin 1996, S. 21)
Unser Gemälde ist ein großartiges Zeugnis für die Inspiration,
welche die neue Landschaft in dem Maler weckte. Zwischen
Getreidefeldern schreitet ein Mensch auf einem gewundenen
Weg in die Tiefe der hügeligen Landschaft. Durch Wolkenlücken
brechen Sonnenstrahlen und tauchen alles in goldenes Licht.
Wie schon in seinen früheren Arbeiten sind die Farben bei Pechstein weniger Emotion und Ausdrucksverlangen, sondern voll
des sinnlichen Natureindrucks. Die Welt war ihm nicht Gleichnis,
sondern Gegenwart. Pechstein liebte es, Lichteindrücke wiederzugeben. Spiegelungen, Sonnenuntergänge: Kaum einer seiner
expressionistischen Malerfreunde vermochte es so eindringlich
wie Pechstein, den Natureindruck so glanzvoll zu überhöhen.
Während Schmidt-Rottluff das Naturvorbild deutlich erkennbar
zum Zeichen reduziert, wirkt die Vereinfachung der Dinge bei
Pechstein so organisch, daß man als Betrachter kaum irritiert ist.
Haben wir nicht alle jene durch die Wolken brechenden Sonnenstrahlen schon einmal genau so gesehen wie auf dem Gemälde?
Die Komposition ist ganz aus der Farbe heraus entwickelt. Unser
Bild besteht lediglich aus Gelb, Grün und Blau. Blockhaft sind
die Feldstreifen horizontal geschichtet. Sonnenstrahlen und
Weg sorgen für vertikale und diagonale Gegenbewegungen.
In leuchtender Fülle sind die Töne auf die Leinwand gebracht.
Der Betrachter spürt die Freude des Malers vor dem Motiv,
seine nach den Entbehrungen des Krieges wiedergewonnene
Lebensfreude. (OH)
Grisebach 06/2015
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16 Hermann Max Pechstein
Zwickau 1881 – 1955 Berlin
„Ein grauer Morgen“. 1940
Öl auf Leinwand. 79,5 x 100,5 cm (31 ¼ x 39 ⅝ in.).
Unten rechts signiert (ligiert) und datiert: HMPechstein 1940.
Rückseitig in Schwarz betitelt, signiert und bezeichnet:
Ein grauer Morgen HMPechstein Berlin W. 62. Kurfürstenstr. 126.
Nicht bei Soika. – Mit einem kunsthistorischen Gutachten
von Prof. Dr. Aya Soika, Berlin, vom 8. April 2015. –
[3474] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Berlin (bis 1995) / Privatsammlung,
Deutschland (durch Erbschaft vom Vorbesitzer)
€ 70.000 – 90.000
$ 75,400 – 97,000
Nach der bewegten „Brücke“-Zeit in Dresden und Berlin entdeckte Max Pechstein zu Beginn der 1920er Jahre die Abgeschiedenheit der pommerschen Landschaft für sich. Vor allem
die Gegend rund um den Garder See faszinierte ihn. Immer
wieder fuhr er für Monate an die Ostsee. Ab 1939 zog er sich
ganz dorthin zurück und blieb im Badeort Leba. Hier konnte er
sich seiner Kunst widmen, ohne Nachstellungen durch die
Nationalsozialisten befürchten zu müssen. Als das Gemälde
„Ein grauer Morgen“ entstand, war der Zweite Weltkrieg bereits
in vollem Gange. Doch auf den ersten Blick deutet nichts in
diesem Bild darauf hin. Pechstein scheint beim Malen buchstäblich in die Natur eingetaucht zu sein. Seine Staffelei hat der
Künstler direkt ans Ufer gestellt, so daß das Schilf im Vordergrund ihn nahezu umschließt, wie wenn er darin Schutz suchte.
Virtuos hat Max Pechstein die frühmorgendliche Stimmung
eingefangen. In der rechten oberen Ecke der Leinwand lassen
die ersten Sonnenstrahlen die Wolken am Himmel erstrahlen.
Über dem Rest liegt noch das verblassende Blau der Nacht.
Dennoch ist das Gemälde von einer eigentümlichen Spannung
durchdrungen. Sie ergibt sich vor allem durch die unterschiedliche malerische Behandlung der einzelnen Bereiche. Im Lauf der
Jahre hatte sich Pechstein zunehmend von seinen expressionistischen Anfängen entfernt. Beim „Grauen Morgen“ scheint er
noch einmal darauf zurückzugreifen. Spitzen Stacheln gleich,
mit scharfen Widerhaken bewehrt, ragen die Schilfrohre fast
bedrohlich aus dem Wasser. Sie stehen damit in einem deutlichen Kontrast zum Sfumato des Mittel- und Hintergrundes –
als wollte der Künstler dadurch zum Ausdruck bringen, daß auch
hier, am vermeintlich friedlichen Garder See, die Idylle brüchig
geworden ist. (UC)
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17N
Ernst Ludwig Kirchner
Aschaffenburg 1880 – 1938 Davos
„Portrait Bosshart“. 1922
Öl auf Leinwand. 70 x 60 cm (27 ½ x 23 ⅝ in.).
Rückseitig mit dem Stempel und der mit Pinsel in
Schwarz eingetragenen Registriernummer:
NACHLASS E. L. KIRCHNER Da/Ba 47.
Gordon 698 (datiert „1921-23“). –
Kleine Retuschen. [3512] Gerahmt.
Provenienz: Nachlaß des Künstlers (1968) / Familienstiftung
Benvenuta, Vaduz (2000) / Privatsammlung, Schweiz
Ausstellung: Ernst Ludwig Kirchner. Werke aus dem Nachlaß, zum
ersten Male in Deutschland, aus Anlaß seines 70. Geburtstages
1950. Hamburg, Kunstverein; Hannover, Kestner-Gesellschaft;
Bremen, Kunsthalle, und Wuppertal, Städtisches Museum,
1950/51, Kat.-Nr. 24 / Ernst Ludwig Kirchner. Lugano, Museo
d’Arte Moderna, Villa Malpensata, 2000, Kat.-Nr. 68, m. Abb.
€ 250.000 – 350.000
$ 269,000 – 377,000
Ernst Ludwig Kirchner als Portraitmaler? Es ist immer noch zu
wenig bekannt, daß in Kirchners malerischem und vor allem
graphischem Werk zahlreiche Bildnisse vorkommen, die künstlerisch zu den herausragenden Arbeiten seiner Kunst zählen. So hat
er nicht nur in der „Brücke“-Zeit die Freundinnen Fränzi, Marcella
und Dodo häufig dargestellt, sondern auch während seiner ganzen
Schaffenszeit Menschen seiner Umgebung und Bekanntschaft in
Bildnissen gedeutet, unter anderen die Schriftsteller Alfred Döblin,
Carl Sternheim und Leonhard Frank und die Maler Erich Heckel,
Oskar Schlemmer und Otto Mueller. Zu dieser Reihe gehören auch
die Portraitstudien und das Gemälde des Schweizer Dichters Jakob
Bosshart (1862–1924).
Kirchners gezeichnete und gemalte Bildnisse sind keine Auftragsarbeiten und keine Abbilder der äußeren Erscheinung der
portraitierten Personen. Sie beruhen auf dem inneren Bild, das
sich der Künstler vom Wesen des Dargestellten machte. Sie wollen
durch die Maske, die jeder trägt, hindurchschauen auf den wahren
Menschen. Im Gegensatz zur Photographie geben sie auch keinen
Augenblicksmoment wieder, sondern sie enthalten im besten
Fall einen Teil der Biographie, die sich in das Gewordensein des
Gesichts eingeschrieben hat. Das Problem, das mit dem Portrait
gelöst werden muß, ist, für die Wesensschau eine Form zu finden,
mit der sich sowohl ein stimmiges Bild gestalten als auch die
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Personendeutung für den Betrachter verstehbar ausdrücken läßt.
Für seine vielen Portraits hat Kirchner jeweils eine eigene, charakteristische Form gefunden, so daß es keine Wiederholungen
gibt. Seine Erfindung neuer Bildzeichen (Hieroglyphen) entspricht
der Einmaligkeit jedes Einzelnen der Dargestellten.
Kirchner lernte Jakob Bosshart im Herbst 1921 in der Zürcher
Heilstätte Davos Clavadel kennen. Bald entwickelte sich ein
für beide inspirierendes, freundschaftliches Verhältnis. Jakob
Bosshart sah Kirchners kleine Holzschnitte zu Georg Heyms
Gedichten „Umbra vitae“ und wünschte sich auch Illustrationen
zu seinen Erzählungen, die dann 1923, bebildert mit 22 folkloristischen Text-Holzschnitten von Kirchner, unter dem Titel „Neben
der Heerstraße“ erschienen. In einem Brief an Gustav Schiefler
hebt Kirchner die Menschenfreundlichkeit und „unglaubliche
Güte“ Bossharts hervor. Diese Charakterzüge sollten auch in das
Portrait eingehen.
In vielen Zeichnungen und Skizzen und einer lockeren Strichätzung (Dube R 386) hat Kirchner das Portrait eingeübt. Aber
gegenüber den Strichzeichnungen erforderte das Gemälde
eine Umsetzung in flächige Formen. Zunächst ist die rigorose
Großformigkeit befremdlich, mit der das Gesicht als homogene
Farbfläche, akzentuiert durch das massive Brillengestell und den
bogenförmigen Schnauzbart, gemalt ist. Aber gerade dadurch
erreicht Kirchner den Ausdruck einer souveränen Ruhe und Gelassenheit im Bildnis des Schriftstellers. Die leichte Wendung des
Kopfes und der lebhafte Blick drücken seine gespannte Aufmerksamkeit und Anteilnahme aus. Man glaubt auch, in dem Gemälde
den Pädagogen zu erkennen. Jakob Bosshart hat sechzehn Jahre
lang als Rektor des Kantonsgymnasiums Zürich gewirkt. Der
entschiedene Ausdruck des Mundes, gemalt als gerader Strich
im Oval der wulstigen Lippen, läßt keinen Zweifel daran, daß er
dieser Leitungsfunktion gewachsen war. Das Gesicht des 60jährigen wird eingerahmt vom weißen Kopf- und Barthaar, das dem
Dichter die Abgeklärtheit des Alters gibt. Kirchner hat den Kopf
vor den Hintergrund der Clavadeler Bergwelt gesetzt. Die Farben
und Formen der Gebirgslandschaft, in ähnlichen Nuancen wie die
des Gesichts und der Haare, binden den Kopf in die Komposition
des Bildganzen.
Das „Portrait Bosshart“ ist ein Bildnis der Freundschaft, das
Ernst Ludwig Kirchners Sympathie für den Dichter widerspiegelt
und die unsrige weckt.
Günther Gercken, Lütjensee
Grisebach 06/2015
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18 Georg Kolbe
Waldheim/Sachsen 1877 – 1947 Berlin
„Kniende“. 1926
Bronze mit goldbrauner Patina. Höhe: 54 cm (21 ¼ in.).
Auf der linken Fußsohle monogrammiert (ligiert): GK.
Darunter der Gießerstempel H.NOACK BERLIN.
Vgl. Berger 87. – Mit einem Gutachten von
Dr. Ursel Berger, Berlin, vom 12. Januar 2015. –
Einer von ca. 20 posthumen Güssen. [3151] Provenienz: Privatsammlung, Baden-Württemberg
€ 40.000 – 60.000
$ 43,100 – 64,700
Zuerst wollte der junge Georg Kolbe Maler werden. Nach ersten
Studien und mehreren Auslandsreisen, unter anderem nach
Paris und Rom, führten Louis Tuaillon und August Gaul Georg
Kolbe zur Bildhauerei. Die frühen Plastiken Georg Kolbes stehen
in akademischer Tradition, zeigen aber auch Elemente des
Jugendstils. Strengere Figuren folgen, die mit sparsamen Mitteln
größtmöglichen Ausdruck erzielen sollten. Gebrochene Konturen
und lebhafte Körpersprache zeigen dann den Einfluß des Expressionismus. Später wandte sich Kolbe wieder der griechischen
Plastik der Antike, Auguste Rodin und Aristide Maillol zu. Sein
ausgesprochenes Interesse für den Tanz führte zu einer großen
Zahl von Tanzdarstellungen. Aber auch in anderen Werken führte
Kolbe die Beweglichkeit des Körpers vor.
„Mit dieser ,Knienden‘ begann Kolbes reifes Werk. Ihre Ruhe
ist nicht mit Entspanntheit gleichzusetzen: Die Arme sind leicht
abgespreizt, die Hände gedreht, der Kopf zur Seite gewendet, die
Füße berühren nur mit den Zehen den Boden. Eine innere Spannung scheint die junge Frau zu erfüllen. Ihre Haltung, ihr sensibles
Gesicht mit den halbgeschlossenen Augen wie auch die vibrierende Oberfläche tragen dazu bei, daß die Figur beseelt wirkt. Seit
Herbst 1926 waren Bronzegüsse der ,Knienden‘ in zahlreichen
Ausstellungen zu sehen, zuerst vermutlich auf der Biennale von
Venedig 1926. Auffallend ist, daß die besinnlichen Frauengestalten aus der Mitte der zwanziger Jahre die größte Resonanz bei
Sammlern fanden.“ (Ursel Berger, in: Georg Kolbe 1877-1947.
Ausst.-Kat. Georg Kolbe Museum Berlin, 1997/98, S. 113-114)
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Grisebach 06/2015
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19N
Karl Schmidt-Rottluff
Rottluff 1884 – 1976 Berlin
„Regenbogen über der Bucht“. 1956
Öl auf Holz. 87,5 x 101,5 cm (34 ½ x 40 in.).
Unten rechts signiert: S. Rottluff. Rückseitig mit Pinsel in
Schwarz signiert, betitelt und mit der Werknummer bezeichnet:
Schmidt=Rottluff „Regenbogen über der Bucht“ ((5619)).
Nicht mehr bei Grohmann. – Das Gemälde ist im Archiv der
Karl und Emy Schmidt-Rottluff Stiftung, Berlin, dokumentiert. –
[3505] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Wilhelm Grosshennig, Düsseldorf (1961,
1969) / Privatsammlung (ab 1972) / Galerie Margret Heuser,
Düsseldorf (1995) / Privatsammlung, Schweiz
Ausstellung: Schmidt-Rottluff – Gemälde aus den letzten
15 Schaffensjahren. Sonderausstellung. Düsseldorf, Galerie
Wilhelm Grosshennig, 1961, S. 15 / Sonderausstellung
Schmidt-Rottluff. Gemälde aus den Jahren 1907-1961.
Düsseldorf, Galerie Wilhelm Grosshennig, 1969,
Farbabb. S. 23
€ 140.000 – 180.000
$ 151,000 – 194,000
46
Sierksdorf an der Lübecker Bucht war ab 1951 der letzte Rückzugsort von Schmidt-Rottluff an der Ostsee. In Nidden an der
Kurischen Nehrung hatte der Maler vierzig Jahre zuvor zu der für
ihn typischen Malerei gefunden. Alte Motive wie Akte im Freien,
Fischerboote, einzelne Bäume – all dies sah er in Sierksdorf neu.
Er schuf Kürzel für die Seinswelt, reduzierte Formen, die dennoch
alles Wesentliche enthielten. Dissonante Farbtöne prallten in
seinen Bildern aufeinander und steigerten die Gegenstände zu
einer kraftvollen Monumentalität. Man spürt den Einfluß der
ungegenständlichen Malerei des Informel und des Abstrakten
Expressionismus. Die Dinge werden zu immer stärker vereinfachten Bildzeichen. Indem Schmidt-Rottluff sie durch Konturen trennt,
die oft farblich vom Gegenstand abgelöst sind, werden aus seinen
Werken strenge Kompositionsgefüge aus Formen und Farbe.
Von der Steilküste blickt der Betrachter über die Bucht auf das
gegenüberliegende Ufer. Vor düsteren Wolken erscheint ein
Regenbogen. Bäume, Steilküste und Blumen sind nur noch
als Chiffren erkennbar. Die kompositorisch vermittelnde Wasserfläche ist lediglich durch mehrere Bögen angedeutet. Die
Farbklänge des Vorder- und Hintergrundes können sich umso
wirkungsvoller entfalten. Im Vordergrund steht ein warmer
Akkord aus Ocker und Gelb einem kalten aus Türkis und Rosa
gegenüber. Hinreißend gemalt, zieht ein türkisfarbenes Band in
den warmen Akkord. Etwas aufgehellt taucht das Türkis vor
dem Küstenstreifen wieder auf. Der Einsatz der Farbe folgt bildnerischen Gesetzmäßigkeiten und konstituiert so den Bildraum.
Asketisch in der Form, doch ganz frei in der Farbigkeit, findet der
über siebzigjährige Schmidt-Rottluff in den späten Arbeiten zu
einer zeitlos schönen Malerei. (OH)
Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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20 Ernst Barlach
Wedel 1870 – 1938 Rostock
„Die lesenden Mönche III“. 1932
Bronze mit brauner Patina. Höhe: 58 cm (22 ⅞ in.).
Rechts unten signiert und datiert: E Barlach 1932.
Darunter der Gießerstempel: H.NOACK BERLIN.
Laur 528. –
Einer von 19 seit 1950 entstandenen Bronzegüssen. [3539] Provenienz: Privatsammlung, Süddeutschland (erworben 1954)
Ausstellung: Ernst Barlach. Artist of the North. Eine Ausstellung
der Ernst Barlach Gesellschaft, Hamburg, und der Ernst Barlach
Stiftung, Güstrow, im Rahmen von Ars Baltica. Rostock,
Kunsthalle; Gdańsk, Museum Narodowe; Helsinki, Ateneum;
Wedel, Ernst Barlach Museum, und Aalborg, Nordjyllands
Kunstmuseum, 1998-2000, ganzseitige Farbabbildung S. 220
€ 40.000 – 60.000
$ 43,100 – 64,700
48
Nach der Rußlandreise des Jahres 1906 entwickelte Ernst
Barlach die Formensprache seiner Skulpturen: blockhafte
Gestalt, geschlossene Konturen und wenige, deskriptive
Einzelheiten. Damals fand der Künstler eine Verbindung zwischen
innerer Empfindung und Stimmung des Menschen mit seiner
äußeren Körperlichkeit. Ähnlich der mittelalterlichen Bildhauerkunst, die Barlach ebenfalls geprägt hat, berühren seine stillen
Bildwerke Grundfragen menschlichen Seins und werden intuitiv
verstanden.
Ausgebildet an der Hamburger Kunstgewerbeschule und der
Akademie in Dresden, brachte die erwähnte Reise Barlach in
seiner Kunst entscheidend vorwärts. 1909 übersiedelte er,
von einem Italienaufenthalt zurückgekehrt, nach Güstrow und
widmete sich der Plastik, der Literatur und später auch graphischen Arbeiten. Vom Gedankenaustausch mit anderen Künstlern
hielt Barlach sich weitgehend fern, er hatte auch kein Lehramt
inne. Wie viele seiner Zeitgenossen begrüßte Barlach den Ersten
Weltkrieg zunächst als eine Möglichkeit, soziale Veränderungen
zu bewirken, die er seit langem ersehnt hatte. Schnell jedoch
wurde er dieser Illusion beraubt und wandte sich gegen jede
Form von Aggression. Im Umfeld der dramatischen Ereignisse
dieser Jahre wurde die Gebärdensprache seiner Skulpturen weiter verknappt und zusammengefaßt. Eine erste Ausstellung 1917
im Kunstsalon Cassirer stieß bei Publikum und Kritik noch auf
wenig Zustimmung, eine weitere am gleichen Ort brachte Barlach
1926 endlich den verdienten Erfolg. „Bei keinem Künstler des
Expressionismus sind wir so schnell mit dem Wort deutsch bei der
Hand wie bei Barlach. [...] Formvereinfachung, Suche nach dem
Kreatürlichen und Verzicht auf komplizierte intellektuelle Inhalte
waren das Anliegen einer ganzen Generation. Barlach verband dies
mit einer zunehmend religiösen Weltschau, und darin mögen wir
das spezifisch Deutsche erkennen.“ (Angela Schneider, in: Kunst
des 20. Jahrhunderts, Nationalgalerie Berlin, o.J., S. 22)
Grisebach 06/2015
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21 Alexej von Jawlensky
Torschok 1864 – 1941 Wiesbaden
„Große Meditation“. Um 1936/37
Öl auf leinenstrukturiertem Papier, auf Karton aufgezogen.
24,9 x 18,8 cm (9 ¾ x 7 ⅜ in.). Unten links monogrammiert: A. J.
Unten rechts unleserlich datiert: 3[.].
Nicht bei Jawlensky. – Mit einer Fotoexpertise von Maria Jawlensky,
Lucia Pieroni-Jawlensky und Angelica Jawlensky Bianconi, Alexej
von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno, vom 9. Oktober 2001. –
Restaurierte Einrisse. [3545] Gerahmt.
Provenienz: Arte Moderna e Contemporanea, Venedig/
Pietrasanta / Privatsammlung, Polen (erworben 2002
in der o.g. Galerie)
€ 70.000 – 90.000
$ 75,400 – 97,000
Alexej von Jawlensky hat sich selten zu seiner Kunst geäußert
und ihr kein Theoriegebäude wie beispielsweise Kandinsky zur
Seite gestellt. Dies führte dazu, daß die Nachwelt gerade den
späten Bildfolgen einen mystischen Nimbus verlieh, der sich
aus der russischen Heimat des Künstlers herleitet. Zweifellos
war Jawlensky ein tiefreligiöser Mensch, und die Kopfform der
späten Arbeiten erinnert an den Christuskopf, doch greift eine
solche Interpretation der Versenkung ins Innere und Geistige
zu kurz. Der Maler erforschte die Möglichkeiten der Malerei
auf empirische Weise in seinen Serien der „Variationen“, der
„Abstrakten Köpfe“ und der „Meditationen“. Der menschliche
Kopf war das beherrschende Motiv im Werk Jawlenskys, von
den Anfängen bis zu den letzten Arbeiten. Die starkfarbigen
Portraits begründeten seine ersten Erfolge, in den „Abstrakten
Köpfen“ tilgte der Maler die Individualität und vereinfachte sie
zugunsten einer seriellen Systematisierung immer mehr. Gleichzeitig erzeugt die große Varianz der Palette eine Vielzahl von
Stimmungen.
In seiner letzten Serie, den „Meditationen“, vereinheitlicht
Jawlensky Form und Farbklang noch stärker. Ein in jedem Bild
wiederkehrendes Bildgerüst wird in dunkler Farbigkeit, ernst
und herb, getönt. In dieser Serie verwirklicht Jawlensky seine
Vorstellung von der Macht der Farbe, die sich nun fast gänzlich
vom Gegenstand, dem menschlichen Gesicht, löst. Mit formelhafter Geste wird das Antlitz auf vertikale und mehrere horizontale Striche reduziert. Dazwischen erscheinen Farbflächen in
Ocker, Türkis, Rot und mehreren, aus diesen Farben gewonnenen
Zwischentönen. Jede der „Meditationen“ ist einzigartig, und es
ist fast verstörend, in welche Tiefen des Ausdrucks Jawlensky mit
jedem einzelnen dieser Bilder vorzudringen vermochte. (OH)
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Grisebach 06/2015
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22 Alexej von Jawlensky
Torschok 1864 – 1941 Wiesbaden
„Variation“. 1915/16
Öl auf leinenstrukturiertem Papier, auf Leinwand aufgezogen.
35,7 x 25,9 cm (14 x 10 ¼ in.). Unten rechts monogrammiert: A. J.
Auf dem Keilrahmen oben ein Etikett der Galerie Beyeler, Basel.
Nicht bei Jawlensky. – Mit einem Gutachten (in Kopie) von Angelica
Jawlensky Bianconi, Alexej von Jawlensky-Archiv S.A., Locarno,
vom 19. November 2012. –
Die seitlichen Kanten minimal beschnitten, kleine Farbverluste.
[3538] Gerahmt.
Provenienz: Harold Diamond, New York / Galerie Beyeler, Basel
(erworben 1961 vom Vorbesitzer) / Rolf und Lotte Frowein,
Wuppertal (erworben 1961 von Beyeler) / Privatsammlung,
Nordrhein-Westfalen
€ 100.000 – 150.000
$ 108,000 – 162,000
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges mußte Jawlensky Deutschland
verlassen. Er fand Zuflucht in Saint-Prex am Genfersee und begann
hier mit einer Serie von Bildern, die den Ausblick aus dem Fenster
seines Arbeitszimmers zeigen und deshalb als „Landschaften“
bezeichnet werden. Doch schnell wird klar, sie sind viel mehr als
das. Zum ersten Mal in der Geschichte der Malerei beginnt ein
Maler, eine Serie ähnlichen Formats zu schaffen, in der sich die
Objekte vom Naturvorbild lösen und zu Formeln werden, die allein
durch Farbflächen definiert sind. Nun könnte man einwenden,
Monet habe dieses Prinzip schon Jahrzehnte zuvor mit seinen
Ansichten der Kathedrale von Rouen verwirklicht, doch zeigen
Monets Werke immer einen Augenblick, eine Beleuchtung oder
Stimmung. Jawlenskys „Variationen“ hingegen sind vollkommen
unabhängig von Tages- oder Jahreszeiten, seine Farben nie oder
nur selten beschreibend. Und noch etwas fällt auf: Trotz hartnäckiger Wiederholung der immer gleichen Bildformeln gibt es keine
Steigerung beispielsweise zu einer immer stärkeren Abstrahierung
des Naturvorbilds. Neben einer ganz in Farbflächen aufgelösten
„Variation“ entsteht eine weitere, in der wir plötzlich wieder das
Haus oder die Gartenpforte erkennen, wie auf unserem Bild. Und
dies bedeutet keineswegs einen malerischen oder gedanklichen
Rückschritt. Es ist ein Mosaikstein im konsequenten Ausloten
von Farbklängen und der kompositorischen Organisation der
Bildfläche.
Unsere „Variation“ besticht durch den Gegensatz von zarter
Tönung, Türkis, Blau und Violett in lichter Farbgebung, und einer
Dynamik der Formen. Von der unbesetzt wirkenden Bildmitte
streben die Flächen zu den Seiten hin. Auch die Binnenstrukturen der einzelnen Farbflecken sind durch den sichtbaren
Pinselstrich bewegt. Jawlensky gelingt es mit den „Variationen“
erstmals, die Vorstellung von einer unbegrenzt erweiterbaren
Folge mit Hilfe von systematisierten Formen zu vermitteln. (OH)
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23 Oskar Schlemmer
Stuttgart 1888 – 1943 Baden-Baden
„Roter schräg, Kleinbild V?“. 1932
Öl und Bleistift auf Leinwand, auf Pappe aufgezogen.
18 x 27 cm (7 ⅛ x 10 ⅝ in.). Rückseitig mit Pinsel in
Schwarz teilweise unleserlich datiert, betitelt und
signiert: 193[2] Roter schr... O Schlemmer.
von Maur WVZ G 260. –
[3543] Gerahmt.
Provenienz: Hermann Mattern, Berlin (um 1935
vom Künstler erhalten) / Privatsammlung, Berlin
Ausstellung: Oskar Schlemmer. Stuttgart, Galerie Dr. F.C.
Valentien (Liste vom 13.9.33, Nr. 13, betitelt: Roter schräg) /
Oskar Schlemmer. Stuttgart, Galerie Lutz und Meyer, 1948, Kat.Nr. 17 / Kunst von 1835-1960 aus Kasseler Privatbesitz. Kassel,
Kunstverein, 1960, Kat.-Nr. 133 (betitelt: Rufer statt: Roter) /
Poelzig - Endell - Moll und die Breslauer Akademie 1911-1932.
Berlin, Akademie der Künste; Mülheim, Städtisches Kunstmuseum,
und Darmstadt, Kunstverein, 1965, Kat.-Nr. 275
Literatur und Abbildung: Hans Hildebrandt: Oskar Schlemmer.
München, Prestel-Verlag, 1952, Kat.-Nr. 232 (betitelt: Rote Mitte;
Kleine Fassung)
€ 120.000 – 150.000
$ 129,000 – 162,000
Die Darstellung des modernen Menschen in seiner elementaren
Wesensform ist das zentrale Anliegen von Oskar Schlemmers
Kunst. Um seine Vision eines zeitgemäßen Menschenbildes
künstlerisch umzusetzen, wählte er zahlreiche unterschiedliche
Herangehensweisen, nutzte den graphischen Verlauf einer Linie,
das Volumen einer Plastik ebenso wie die Bewegung eines
Tänzers auf der Bühne. Die Schilderung individueller Erscheinungen und psychischer Empfindungen sucht man bei Schlemmer
vergebens, das zeigt schon der Blick auf nüchtern klingende
Bildtitel wie „Figuren im Raum“ oder „Kopf nach rechts“. Die
menschliche Gestalt wird zur Chiffre, die der Künstler in ein
System aus Rhythmen, räumlichen Bezügen und einfachen
Gesetzmäßigkeiten einbindet. In den vielfältigen Spielarten,
die innerhalb dieser formalen Strenge möglich sind, vor allem
aber in ihrer sinnbildhaften und spirituellen Ebene liegt die
Faszination von Schlemmers unverwechselbarer Bildsprache.
Im Bild „Roter schräg“ gibt Oskar Schlemmer dem Ausdruckswert
der Farbe besondere Bedeutung. Die leuchtend rote Halbfigur mit
den vor dem Körper verschränkten Armen drückt dynamische
und zugleich gebremste Bewegung aus. Während sie mit Händen,
Schultern und dem zur Seite geneigten Haupt fest in der Bildfläche
verankert ist, vermitteln die beiden im Profil gesehenen Randfiguren zu einem diffus-mystischen Raum im Hintergrund. Somit ist
Rot nicht nur die Farbe vitaler Lebensenergie, sondern auch die
Farbe der Transzendenz und einer entmaterialisierten geistigen
Sphäre, in der die Gesetze von Abstraktion, Form und Maß auf
die Kräfte des Unbewußten und Irrationalen treffen.
„Ohne Zweifel hat Schlemmer während seiner Breslauer Akademiezeit, die mit dem Umzug nach Berlin im November 1932 endet und
der bereits im Frühjahr 1933 die Verbannung aus der Öffentlichkeit
folgt, malerisch seine größte, zwischen konstruktiver Bildarchitektur und atmosphärischer Farbautonomie pendelnde Variationsbreite erreicht.“ (Ina Conzen, in: Ausst.-Kat. Oskar Schlemmer.
Visionen einer neuen Welt. Staatsgalerie Stuttgart 2014/15,
S. 102) (sch)
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24 Paul Klee
Münchenbuchsee 1879 – 1940 Muralto/Locarno
„Das Haus zum blauen Stern“. 1920
Aquarell auf Gipsgrundierung auf Leinen auf Papier auf Karton.
17,5 x 12,5 cm (25,4 x 19,2 cm) (6 ⅞ x 4 ⅞ in. (10 x 7 ½ in.)).
Oben links signiert: Klee. Unterhalb der Darstellung auf dem
Karton mit Feder in Schwarz mit Werknummer bezeichnet und
betitelt: 1920/136 Haus zum blauen Stern. Rückseitig unten
rechts der Stempel von Dr. Karl-Gustav Gerold, Bonn.
Paul-Klee-Stiftung 2481. –
[3055] Provenienz: Neue Kunst Hans Goltz, München (im Mai 1921
vom Künstler erworben) / Karl-Gustav Gerold, Dublin/Bonn
(seitdem in Familienbesitz)
Ausstellung: Die Maler am Bauhaus. München,
Haus der Kunst, 1950, Kat.-Nr. 131
Literatur und Abbildung: Ausstellungskatalog: Paul Klee.
Im Zeichen der Teilung. Die Geschichte zerschnittener Kunst
Paul Klees 1883–1940. Mit vollständiger Dokumentation.
Düsseldorf, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, und
Stuttgart, Staatsgalerie, 1995, Abb. S. 341 (nicht ausgestellt)
€ 200.000 – 300.000
$ 216,000 – 323,000
„Das Haus zum blauen Stern“ ist zeitlich in die Periode nach
der berühmten Tunisreise (1914) und vor der Übersiedelung
Paul Klees ans Weimarer Bauhaus 1921 einzuordnen. Auf
ihrer Studienreise durch Tunesien hatten Paul Klee und seine
Malerkollegen August Macke und Louis Moillet sich intensiv mit
dem analytischen Form- und Farbverständnis Robert Delaunays
und Paul Cézannes auseinandergesetzt. Es ging nicht darum,
die Natur nachzuahmen, sondern Möglichkeiten der Gestaltung
analog zu den Prinzipien der Natur hervorzubringen. Hauptanliegen Klees war es in dieser Zeit, eine Verbindung zwischen innerer
und äußerer Welt zu schlagen, denn weder auf die geistige Fülle
der inneren Sphäre noch auf die ästhetischen Reize der äußeren
wollte er verzichten. Er fand die Antwort in der Reduktion. Er
erkannte die Möglichkeiten einfacher kubischer Formen, die sich
selbst nicht gegenständlich lesen lassen und dennoch, durch
systematisches Aneinandersetzen, Assoziationen mit bestimmten
Umwelteindrücken hervorrufen können.
Im „Haus zum blauen Stern“ gelingt es Klee durch das Aufeinandertreffen gerader und spitzwinkliger Linien und durch die Wiederholung dieses Prinzips, das Bild eines spitzdachigen Hauses
inmitten einer Stadt zu erschaffen. Gelbe Rechtecke werden zu
Fenstern, die ein warmes Licht ausstrahlen und die Assoziation
einer freundlichen Herberge hervorrufen. Die Fensterläden sind
geöffnet und laden den vorbeiziehenden Besucher zur Rast ein.
Die untergehende Sonne steht wie ein roter Ball im Zentrum
des Bildes und taucht die Architektur in abendliches Licht. Der
farbige Stern, der dem Bild schließlich seinen Namen gibt, ist
ein Motiv, das seit der Tunisreise immer wieder in Klees Bildern
erscheint – ein Fragment seiner Beschäftigung mit der geistigen
Welt des Orients, Zeichen für die Suche nach einer Ganzheit von
Kosmos, Welt und Kunst.
Auch mit Materialien und Techniken experimentierte Klee in
dieser Zeit. Er malte auf Leinengewebe und Nessel ebenso wie
auf Holztafeln und Pappe oder Papier, das er, wie beim „Haus
zum blauen Stern“, auf Leinen aufzog. Für die Grundierungen
verwendete er neben den üblichen Materialien auch Kreide und
Gips. Der Farbcharakter bekommt so eine matte Erscheinung
und nähert sich einer freskohaften Wirkung. Durch den Gipsgrund erhält die Komposition einen haptischen Charakter, der
im Kontrast zu den zarten Aquarellfarben steht und dem Bild
eine spannende Zweischichtigkeit verleiht. (NB)
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(Abbildung in Originalgröße)
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25 Paul Klee
Münchenbuchsee 1879 – 1940 Muralto/Locarno
„Noch heiss, und fremd einher“. 1938
Pastell auf Jute. 40,5 x 49,5 cm (16 x 19 ½ in.).
Auf einem rückseitig aufgeklebten Streifen des
Originalkartons mit Feder in Braun links datiert
und mit Werknummer bezeichnet sowie rechts
betitelt: 1938 T 10 noch heiss, und fremd einher.
Paul-Klee-Stiftung 7512. –
Vom Original-Karton abgelöst und auf eine grau
bemalte Leinwand aufgezogen. [3386] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Beyeler, Basel (bis 1966) /
Privatsammlung, Deutschland
Ausstellung: Klee. Basel, Galerie Beyeler, 1963,
Kat.-Nr. 62, mit Farbabbildung / Klee. Spätwerke.
Basel, Galerie Beyeler, 1965, Kat.-Nr. 23,
mit Farbabbildung
€ 250.000 – 350.000
$ 269,000 – 377,000
„Wir stehen aufrecht in der Erde verwurzelt / Ströme bewegen
leicht uns hin und her / frei ist nur die Sehnsucht dorthin:
zu Monden und Sonnen“ – Paul Klee (Zit. nach: Das Universum
Klee. Ausst.-Kat. Berlin 2008, S. 88)
Paul Klee hat einen vollkommen selbständigen Bildkosmos
erschaffen. In diese Wunderwelt fanden Musik, Dichtung, die
Naturwissenschaften, Kindliches und Philosophisches Eingang.
Klee nahm alles in sich auf, ließ vieles Jahre in sich ruhen, um
es dann als ganz eigene, neue Schöpfung in die Welt zu senden.
Sein Blick blieb immer neugierig, Gegensätze und Widersprüche
ließ er gelten, ja er suchte sie geradezu. Die Vielgestaltigkeit der
Dinge erfreute ihn. Als Lehrer am Bauhaus in Weimar und Dessau
entwickelte Klee eine Kunsttheorie, in der er die Bewegung als
kosmische Urkraft definierte. Anders als Kandinsky beispielsweise formulierte er auf Grundlage dieser Idee aber keinen
Führungsanspruch seiner Kunst. Selbst eher intuitiv arbeitend, gab
es für ihn kein richtig oder falsch. Wie in seiner Kunst schätzte er
auch gedanklich das Schwebende. Gänzlich undogmatisch konnte
der Künstler so sein einzigartiges Werk erschaffen, das sich neben
der Seinswelt und der auf Theorien aufgebauten Gedankenwelt als
eine dritte Möglichkeit von Wirklichkeit bis heute behauptet.
In den abstrakten Arbeiten der 1920er Jahre steigern sich die
vielen kleinteiligen Elemente durch die dynamische Komposition
zu größerer Wirkung, ähnlich wie sich Motive einer Sinfonie durch
Dynamik und Klangfarbe zu einem großen Ganzen verbinden. In
den späteren Werken wurden die Motive größer, auch elementarer.
Das Motiv der roten Scheibe taucht häufig in Klees Werk auf.
Wie die Sonne ist sie ein Kraftfeld. Man gewinnt den Eindruck,
die blaue Form und der dunkle Bogen wurden durch die Energie
der roten Scheibe deformiert. Und während alle anderen Formen
statisch wirken, wohnt der Scheibe eine Dynamik inne. Mit feiner
Ironie kehrt Klee hier die wissenschaftliche Erkenntnis um, nach
der die Sonne in ihrem System der statische Punkt ist, um den
sich alles dreht. (OH)
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26N
Walter Dexel
München 1890 – 1973 Braunschweig
„1923 III“. 1923
Öl auf Leinwand. 40 x 30 cm (15 ¾ x 11 ¾ in.).
Unten mittig signiert und datiert: DEXEL 23
(in die frische Farbe geritzt). Auf dem Keilrahmen
mit Bleistift signiert und bezeichnet (mit Pinsel in
Schwarz wohl von fremder Hand nachgezogen):
WALTER DEXEL 1923 III.
Nicht bei Wöbkemeier. –
[3492] Provenienz: Paul Lutzeier, Detroit und Ann Arbor /
Michigan (erworben in Deutschland während seiner
Tätigkeit 1946 bis 1953 für die US-amerikanische
Militärregierung in Berlin, seitdem in Familienbesitz)
€ 60.000 – 80.000
$ 64,700 – 86,200
Wir danken Dr. Ruth Wöbkemeier, Bremen, für die
Bestätigung der Authentizität des Gemäldes.
60
Der lyrische Anteil in Walter Dexels konstruktivistischen Kompositionen, der sich vor allem in der Verwendung gemischter Farben
ausdrückt, verdankt sich seiner pragmatischen Bindung an die
Wirklichkeit der Empfindungen. Als gelernter Werbegestalter
und Typograph verstand Dexel etwas von Wahrnehmungspsychologie und war sich der Tatsache bewußt, daß die „reine“ Lehre
der „absoluten“ Bildgestaltung zwar auf dem Papier einen guten
Eindruck hinterlassen mag, aber nicht unbedingt die Menschen
in der Intensität erreicht, die ihren Verfechtern vorschwebt.
Dexel, der für sich „weder die mystisch-philosophischen Grundgedanken des de Stijl noch die Begrenzung des formalen Kanons
auf die gerade Linie, den rechten Winkel und die Grundfarben“
akzeptierte (so Walter Vitt im Werkverzeichnis der Druckgraphik,
Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 1971, S. 6/7),
verwandelt damit in seinen abstrakten Bildern grundsätzlich das
ausschließende Prinzip der Beschränkung in ein den Betrachter
einschließendes Verständnis der Erweiterung.
Zwar bleibt er in der Komposition „1923 III“ der geraden Linie und
dem rechten Winkel treu, aber die formale Strenge dieser Entscheidung wird durch die Wahl der Farben nahezu hintertrieben.
Es gibt hier keine reine, ungemischte Farbe. Das Kolorit bewegt
sich in einem für konstruktivistische Gestaltungen unüblichen
Gefilde von Erd- bzw. Naturtönen wie Dunkelgrün, Blaßgelb, Braun
und Ocker. Die Temperatur ist eher warm. Der Gegensatz von
statischer Formgebung und dem Lyrismus der Farben bringt eine
Spannung in das Bild, die subtil und unspektakulär, aber dennoch
sehr wirkungsvoll ist. Dies ist das Gemälde eines Meisters, der
„seinen“ Konstruktivismus kennt und über die nötige Souveränität
verfügt, sich auch ein wenig außerhalb der Regeln zu bewegen.
Vielleicht begründet das einen Teil der sympathischen Anmutung,
die das Bild in seinem kleinen Format ausstrahlt. (MS)
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27 Walter Dexel
München 1890 – 1973 Braunschweig
„Glasbild II“ oder „Blaue Scheibe“. 1928
Hinterglasmalerei. Im Künstlerrahmen.
46,5 x 39,6 cm (Rahmen) (18 ¼ x 15 ⅝ in. (frame)).
Auf der Rückwand mit Pinsel in Schwarz signiert,
datiert und bezeichnet: WALTER DEXEL 1928 II.
Auf der Rückwand des Schmuckrahmens ein
Etikett der Galerie Gmurzynska, Köln.
Wöbkemeier 344. –
[3422] Provenienz: Carl Laszlo, Basel / Galerie Bargera, Köln /
Privatsammlung, Rheinland
In wenigen Jahren schuf Walter Dexel Anfang der zwanziger Jahre
ein singuläres abstraktes Werk. Die Hinterglasbilder nehmen darin
eine Ausnahmestellung ein – in einer der ältesten künstlerischen
Techniken, die ihre Blüte in den Kathedralen der Gotik erlebte,
entwarf Dexel Werke von größter Modernität. Während seinen
Collagen und Gemälden immer eine spezifische Form von warmer
Abstraktion zu eigen ist, weil er der Harmonie am Ende doch immer
den Vorzug gab vor der Dekonstruktion und weil sie leben von der
spröden, trockenen Materialität der Collagepapiere und der
Ölfarben (siehe Los 26), kommt in den Hinterglasbildern eine
zusätzliche Dimension hinzu: ein stolzer Glanz der Perfektion.
Ausstellung: Walter Dexel. Bild, Zeichen, Raum. Bremen,
Kunsthalle; Wuppertal, Von der Heydt-Museum; Berlin,
Bauhaus-Archiv; Wolfsburg, Kunstverein; Karlsruhe,
Badischer Kunstverein, 1990/91, Kat.-Nr. 71, S. 177 /
Konstruktivismus – Entwicklungen und Tendenzen seit
1913. Köln, Galerie Gmurzynska und Bargera, 1972,
Kat.-Nr. 110, ganzs. Farbabbildung [irrtümlich auf dem
Kopf stehend abgebildet]
So unterscheiden sich die Hinterglasbilder vor allem dadurch von
seinem übrigen Werk, daß sie durch die Verglasung zu Ende gedacht
und fixiert erscheinen. Wo ansonsten die geometrischen Formen bei
Dexel immer wirken, als sei das Dargestellte nur eine Möglichkeit
unter vielen und als könne sich das ganze, fein austarierte Gefüge
durch einen Lufthauch auch wieder in Bewegung setzen, so sind die
Hinterglasbilder abgeschlossene Manifestationen einer neuen Form.
„Glasbild II oder Blaue Scheibe“ ist das drittletzte Hinterglasbild,
das Dexel überhaupt schuf. Die Hinterglasbilder markieren den
Gipfelpunkt von Walter Dexels solitärem künstlerischen Werdegang.
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
Es war Dexel selbst, der erkannte, daß der Weg für ihn an dieser
Stelle zu Ende war. Denn er war von dem Gedanken an eine
künstlerische Durchdringung der Gesellschaft erfüllt und war
parallel zu seinem künstlerischen Werk in Jena auch als Typograph
und Werbegrafiker tätig, entwarf Straßenbeleuchtung, Richtungsweiser – und Leuchtreklamen. Gerade diese Leuchtreklamekästen
mit Werbung schienen ihm dann selbst eine neue Richtung zu
weisen – ganz hin zur angewandten Kunst. Für über vierzig Jahre
pausierte er dann als Maler. Und heute, fast hundert Jahre nach
dem Entstehen, kann man in der formvollendeten Schönheit einer
Hinterglasmalerei wie unserem „Glasbild II“ erkennen, daß da in
der Tat eine gesamte Avantgardebewegung ihren gültigen Ausdruck
gefunden hatte. Der blaue Halbkreis kann nur dort links unten
stehen, und das Orange kann das Weiß nur so begleiten. Das ganze
Bild drückt aus: Da geht es lang.
Fünf Werke gibt es überhaupt nur aus dem Jahr 1928 von ihm –
er war auf dem Absprung. Wenig später wendete er sich ganz der
Reklame zu, der Photographie, der Typographie. Mit seinen Hinterglasbildern schuf er gleichsam bereits die einzigen Reklametafeln
für die Schönheit der Abstraktion und für die Kraft der Geometrie,
die es in der Kunst des 20. Jahrhunderts gegeben hat. (FI)
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28 Hermann Glöckner
Cotta bei Dresden 1889 – 1987 Berlin
„Projektion eines Keils auf Bronze, nach rechts“. 1933/34
Mischtechnik und Ritzung auf Karton. 35 x 25 cm (13 ¾ x 9 ⅞ in.).
Oben rechts datiert (eingeritzt): 11.6.33. Rückseitig mit dem
geprägten Monogramm und datiert: G XXXIV. Auf der Rückpappe
ein Aufkleber mit ausführlicher handschriftlicher Bildlegende von
Gerhard Altenbourg (in blauer Tinte).
Dittrich 55. –
[3315] Gerahmt.
Provenienz: Gerhard Altenbourg (1969 vom Künstler) /
Privatsammlung, Süddeutschland
Ausstellung: Hermann Glöckner zum 80. Geburtstag.
Zeichnungen, Gemälde und Tafeln aus den Jahren 1911-1945.
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett,
1969, Kat.-Nr. 137
€ 30.000 – 40.000
$ 32,300 – 43,100
Im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bereiteten russische
Künstler der Abstraktion den Weg: Malewitsch und sein „Schwarzes Quadrat“ oder Kandinsky, der Punkt und Linie definierte. Um
1930 erfand Hermann Glöckner, einer der großen Einzelgänger der
deutschen Kunstgeschichte, der nach einer Lehre als Musterzeichner und dem Akademiebesuch in seiner Heimatstadt Dresden als
freier Künstler tätig war, die „Faltungen“. Durch Teilen und Knicken
von Flächen ergeben sich in ihnen geometrische Formen. Glöckner
begann damals auch, seine kontinuierlichen Forschungen zu Fläche
und Raum zu dokumentieren. Als er die unbewußt formulierten
Maßverhältnisse in seinem Bild „Der kleine Dampfer“ (Dittrich G
60) entdeckte, „war [das] für mich die Veranlassung, die konstruktiven, geometrischen Grundlagen meiner Malerei zu untersuchen, ihre
elementaren und komplexen Zusammenhänge zu finden. Ich habe
mich damals entschlossen, noch einmal von vorn anzufangen, alles,
was bisher geschehen war, beiseite zu werfen und mich ganz und
gar auf diese Frage zu konzentrieren.“ So schildert Glöckner den
Beginn dessen, „was später von Kunstwissenschaftlern als ,Tafelwerk‘
bezeichnet worden ist“ (Hermann Glöckner. Ein Patriarch der
Moderne. Hrsg. John Erpenbeck, Berlin, 1983, S. 57). Unser Bild
gehört in diesen Zusammenhang.
Ein kupfernes Dreieck erhebt sich über einem zweiten in Schwarz.
Oder ist dies der Schatten des Kupfers? Den gesamten Bildgrund
in Ockergelb durchziehen fein eingeritzte Linien: ein weites Feld für
die Konstruktion, eine Landschaft, in der ein kupferner Weg sich
zum Horizont erstreckt. So ist das Kunstwerk mehrfach zu lesen,
und auch Glöckner hat sich mehr für Variablen als für Konstanten
interessiert. Die Rückseite unserer Tafel zeigt auf rotem Papier
einzig Glöckners Signet, das „G“. Es belegt das typographische
Feingefühl, das diesen Maler, Zeichner, Plastiker, Photographen,
Gestalter und Sammler auszeichnet. Veränderungen alltäglicher
Dinge, ein frischer Blick auf Vertrautes, ein neuer Zusammenhang
wohlbekannter Objekte – alles geriet ihm zur Kunst. (EO)
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29 Max Beckmann
Leipzig 1884 – 1950 New York
„The Swing“ (Die Schaukel). 1947
Feder in Schwarz über Kohle auf Bütten. 54 x 49,8 cm
(21 ¼ x 19 ⅝ in.). Unten rechts mit Feder in Braun signiert,
bezeichnet und datiert (verblaßt): Beckmann A 47.
Dort auch mit Bleistift betitelt: „the swing“.
Mit einer Bestätigung (in Kopie) von Mathilde Q. Beckmann,
New York, vom 5. September 1978. –
Leicht stockfleckig. Randmängel. [3468] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Hessen/Bayern (1978 über
die Catherine Viviano Gallery, New York, aus dem Nachlaß
des Künstlers erworben)
Ausstellung: Max Beckmann. Exhibition of Paintings, Water
Colors, Drawings. Sculptures, Graphics. New York, Catherine
Viviano Gallery, 1970, Kat.-Nr. 17, Abbildung auf dem Umschlag /
A Catalogue of Paintings, Sculptures, Drawings & Water Colors by
Max Beckmann. New York, Catherine Viviano Gallery, 1973, Kat.Nr. 21, mit ganzseitiger Abbildung / Max Beckmann. Drawings,
Sculptures. New York, Carus Gallery, 1975, Kat.-Nr. 18, mit ganzseitiger Abbildung / Max Beckmann, Aquarelle und Zeichnungen
1903-1950. Bielefeld, Kunsthalle; Tübingen, Kunsthalle, und
Frankfurt a.M., Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut,
1977/78, Kat.-Nr. 202, mit ganzseitiger Abbildung
€ 30.000 – 40.000
$ 32,300 – 43,100
Als Max Beckmann diese schwungvolle, überaus reizvolle Zeichnung zu Papier brachte, lebte er bereits seit zehn Jahren im Exil.
1937 hatte er Deutschland verlassen und war nach Amsterdam
gezogen, wo er Naziherrschaft und Krieg nur unter Entbehrungen
und bei zunehmend angegriffener Gesundheit überstand. 1947
aber kündigten sich große Ereignisse an. Mußte er noch kurz
zuvor befürchten, aus den Niederlanden ausgewiesen zu werden,
so hatte er jetzt endlich den entscheidenden „non-enemy status“
erlangt. Damit war es ihm möglich, das heiß ersehnte Visum
für die USA zu beantragen, das er im Sommer 1947 auch erhielt.
Diese Aufbruchsstimmung prägt unsere Zeichnung, der Beckmann
den Titel „Die Schaukel“ gegeben hat. Daß dieses Blatt dem
Künstler besonders wichtig war, zeigt der Umstand, daß es aus
dem Nachlaß von Quappi stammt, seiner verehrten Frau, der er
es offenkundig zum Geschenk gemacht hat.
Wie immer bei Beckmann ist es auf den ersten Blick nicht einfach
zu erkennen, worum es im Bild geht. Man sieht drei weibliche
Gestalten, aber nur die im Hintergrund sitzt tatsächlich gerade auf
einer Schaukel. Hinter der Hauptfigur befindet sich eine weitere
Person, beider Gesichter sind merkwürdig verschattet. Links im
Bild ist eine vierte Gestalt, anscheinend ein Mann. So rätselhaft
sich dieses Arrangement ausnimmt, so sehr erinnert es bis in die
Details an ein berühmtes Gemälde gleichen Titels: „Die Schaukel“,
Jean-Honoré Fragonards Ikone des Rokoko. Da dieses Gemälde
seit 1900 in der Wallace Collection in London ausgestellt war,
ist stark anzunehmen, daß Beckmann es dort bei einem seiner
England-Aufenthalte gesehen hat – 1938 etwa, als er anläßlich der
Ausstellung „Twentieth Century German Art“ in London einen Vortrag über seine Malerei hielt. Fragonards Bild handelt von Aufbruch
und Verführung, von Überraschung und jugendlicher Leichtigkeit.
Das gleiche empfand wohl Beckmann, als er seine beschwingte
Version der „Schaukel“ zeichnete. (UC)
Jean-Honoré Fragonard. Die Schaukel. 1767/68.
Öl auf Leinwand. 81 x 64 cm. Wallace Collection, London
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30 Georg Tappert
1880 – Berlin – 1957
„Tänzerin im Rampenlicht (Varieté)“. Um 1920
Öl auf Leinwand. 90,5 x 71 cm (35 ⅝ x 28 in.).
Unten links signiert: Tappert. Rückseitig mit Kreide
signiert und betitelt: TAPPERT VARIETÉ.
Wietek 208. –
[3463] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Norddeutschland (Leihgabe im
Schleswig-Holsteinischen Landesmuseum Schloß Gottorf,
Schleswig, 1995-99) / Privatsammlung, Süddeutschland
Georg Tappert zählt zu den herausragenden Malern des
deutschen Expressionismus, auch wenn sein Name heute noch
immer nicht allen geläufig ist. 1910 hatte der Künstler am Tag
der Ablehnung eines seiner Gemälde durch die Jury der Berliner
Secession mit zwei Mitstreitern die Neue Secession gegründet.
Dieser Berliner Salon des Refusés stieß sogleich auf großen
Anklang. Mitglieder der ersten Stunde waren unter anderen die
Angehörigen der Dresdner „Brücke“, ein Jahr später kamen auch
Franz Marc und Wassily Kandinsky hinzu.
Ausstellung: Georg Tappert. Ein Berliner Expressionist 1880
bis 1957. Berlin, Berlinische Galerie, 1980/81, Kat.-Nr. 28 /
Georg Tappert – Das Vermächtnis. Werke der Georg-TappertStiftung. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik,
Photographien. Kloster Cismar, Schleswig-Holsteinisches
Landesmuseum Schloß Gottorf, 1995, Kat.-Nr. 45, Abb. S. 190 /
Georg Tappert. Deutscher Expressionist. Schleswig, Schloß
Gottorf, Stiftung Schleswig-Holsteinische Landesmuseen, und
Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, 2005, Kat.-Nr. 53a,
ganzs. Farbabb. S. 97
Seine Motive fand Georg Tappert vor allem im Berliner Nachtleben. Er kannte die Halbwelt der Vergnügungssüchtigen, der
Tänzerinnen und Varieté-Besucher, der Prostituierten und
Kleinkriminellen seit seiner Kindheit aus eigener Anschauung.
Als Sohn eines Schneiders war Tappert in der Friedrichstraße
aufgewachsen, damals das Berliner Mode- und Amüsierviertel
par excellence. Nachdem er zunächst eine Schneiderlehre
absolviert hatte, studierte er von 1900 bis 1903 an der Großherzoglich-Badischen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. Danach zog er für vier Jahre nach Worpswede, wo er eine
Kunstschule leitete. Dort lernte er Paula Modersohn-Becker
kennen, die ihn mit aktuellen Strömungen der französischen
Kunst vertraut machte. Später stand er stilistisch Malern wie
George Grosz und Otto Dix nahe, allerdings ohne sich deren
Hang zum Karikaturhaften anzueignen.
Literatur und Abbildung: Jahrbuch des Schleswig-Holsteinischen
Landesmuseums 1996, S. 154
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
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Und so weist auch seine um 1920 entstandene „Tänzerin im
Rampenlicht“ alle Merkmale des expressiven Verismus der
1920er Jahre auf: die ausdrucksstarke, leicht gekünstelte
Körperhaltung, das intensive Kolorit und generell ein besonderes
Einfühlungsvermögen in psychologische Ausnahmezustände.
Die Anspannung, unter der die junge Frau die Bühne betritt,
ist bei Tappert regelrecht mit Händen zu greifen, auf eine
sympathisierende, nicht bloßstellende Art. (UC)
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31 Otto Dix
Gera-Untermhaus 1891 – 1969 Singen
„Frühling am Untersee“. 1941
Mischtechnik auf OSSA-Holztafel.
65 x 85 cm (25 ⅝ x 33 ½ in.).
Unten rechts monogrammiert und datiert:
19 [Monogramm] 41.
Löffler 1941/19. –
Kleine Retuschen, Frühschwundrisse. [3547] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Berlin
€ 70.000 – 90.000
$ 75,400 – 97,000
Über Felder und blühende Bäume schweift der Blick über den
Untersee, dahinter der Thurgau und vor dem Horizont eine erste
Kette der Hochalpen. Dieses Landschaftsbild wirkt in seiner auf
den ersten Blick realistischen Auffassung lapidar und schlicht,
doch ist es mit seiner kostbaren malerischen Ausführung ein
Zeugnis großer Künstlerschaft. Das Gebiet um den Bodensee
wurde dem 1933 aus seinen Ämtern an der Dresdner Kunstakademie gedrängten Dix zur unfreiwilligen neuen Heimat. Der Großstadtmensch, hineingeworfen in eine paradiesische Landschaft
(„zum Kotzen schön“, wie er bekannte), entwickelte sich fast
notgedrungen zum Landschaftsmaler.
Gerade unser Bild mit dem überhöhten Standort wirkt wie ein
bewußter Akt der Aneignung dieser so anderen Welt. Die erkennbar komponierte Landschaft verstärkt den Eindruck noch. Die
Auseinandersetzung des Malers mit der deutschen und niederländischen Renaissancemalerei ist schon bei frühen Werken
erkennbar. Sie erreicht in unserem Bild einen Höhepunkt. Die
Anlage des Sujets als Überblickslandschaft erinnert an Brueghel;
Details wie der ins Bild ragende Ast einer Kiefer lassen an Altdorfer denken, und auch die lasierende Maltechnik verweist auf
die Kunst der Alten Meister. Die Rezeption altdeutscher Malerei
führte bei Dix zu einer sachlich-realistischen, detailreichen Malerei.
Die Verstärkung dieser Tendenzen in den 1930er Jahren kann
nur als Reaktion auf den ideologisch verbrämten Naturalismus
gesehen werden, der die malerische Massenproduktion der Zeit
bestimmte. Dix stellte sich hierdurch in eine Traditionslinie mit
den Alten Meistern und suchte nach einer eigenen Position als
deutscher Maler. (OH)
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32N
Karl Hofer
Karlsruhe 1878 – 1955 Berlin
Sonnenblumen in einer Vase. 1946
Öl auf Leinwand. 97 x 71 cm (38 ¼ x 28 in.).
Unten rechts monogrammiert und datiert (ligiert): CH 46.
Nicht bei Wohlert. –
[3520] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, USA (vom Künstler
erworben, seitdem in Familienbesitz)
€ 70.000 – 90.000
$ 75,400 – 97,000
Karl Hofer, gegen den 1934 von den Nationalsozialisten ein Malund Arbeitsverbot verhängt wurde, verlor niemals an Schaffenskraft und Produktivität. Auch während des Krieges und danach
entstanden zahlreiche Gemälde, die von seinem meisterhaften
Können zeugen. Häufig empfing er Gäste in seinem Atelier und
verkaufte Gemälde dort direkt.
Die Vielfalt der Fertigkeiten Hofers zeigt sich nicht nur in seinen
inhaltsreichen Figurenbildern, sondern auch in den immer wieder
in verschiedenen Varianten auftretenden Blumen- und Früchtestilleben. Die Stillebenmalerei hat eine lange Tradition in der
Kunstgeschichte. Zunächst ging es vor allem um die naturgetreue, täuschend echte Wiedergabe von ausgesuchten Objekten,
später auch um Sinnbilder der Vergänglichkeit. Im 20. Jahrhundert treten diese inhaltlichen Überlegungen hinter der Freude an
neuen Möglichkeiten der Darstellung und Farbigkeit zurück.
Hofer zeigt hier einen großen, in prächtiger Blüte stehenden
Strauß Sonnenblumen, der auf einem Tisch vor einem durch
wenige erdige Farbtöne definierten Hintergrund steht. Die
Blumen hingegen erscheinen in strahlendem Gelb, überwirklich schön, aber distanziert, von großer Naturnähe und doch
entrückt. Licht und Schatten sind mit sparsamen, aber entschiedenen Pinselstrichen akzentuiert. Der breitflächige und trockene
Farbauftrag ist typisch für die Malweise des Künstlers, der,
inspiriert von Expressionismus, Kubismus und Neuer Sachlichkeit, seine eigene künstlerische Formensprache fand. (NB)
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33 Karl Hofer
Karlsruhe 1878 – 1955 Berlin
„Pierrot und Harlekin“. Um 1923
Öl auf Leinwand. 117,5 x 90,5 cm (46 ¼ x 35 ⅝ in.).
Unten links monogrammiert (ligiert): CH. Auf dem Keilrahmen
oben mit Bleistift signiert und betitelt: K. Hofer, Pierrot u. Harlekin.
Wohlert 549. –
Rückseitig eine übermalte „Tropische Scene II“ (laut handschriftlichem Titel auf dem Keilrahmen). [3033] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Flechtheim, Düsseldorf / Wallraf-RichartzMuseum, Köln (ehem. Inv.-Nr. 1214, erworben 1923, 1937 als
„entartet“ beschlagnahmt) / Kunstsalon Abels, Köln /
Privatsammlung (bis 1975) / Galerie Pels-Leusden, Berlin (1982) /
Privatsammlung, Berlin (1982 in der Galerie Pels-Leusden
erworben, seitdem in Familienbesitz)
Ausstellung: Karl Hofer. Das gesammelte Werk. Mannheim,
Städtische Kunsthalle, 1928, Kat.-Nr. 25 / Karl Hofer. Zürich,
Kunsthaus, 1929, Kat.-Nr. 77 / Karl Hofer. Ölbilder, Aquarelle,
Zeichnungen. 30 Jahre Galerie Bremer 1946–1976. Berlin, Galerie
Bremer, 1976, Abbildung auf dem Vorderumschlag / Karl Hofer.
Gemälde, Handzeichnungen und Graphik. Berlin, Galerie PelsLeusden, 1979, Kat.-Nr. 7, Farbabbildung auf dem Titel
Literatur und Abbildung: Das Querschnittbuch 1923. Frankfurt,
Querschnitt-Verlag, 1923, S. 86 / Wilhelm Michel: Neue Gemälde von
Karl Hofer. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 53, 1923/24,
S. 2-10, hier Abb. S. 5 / Alfred Salmony: Die neue Galerie des 17.
bis 20. Jahrhunderts im Museum Wallraf-Richartz in Köln. In: Der
Cicerone, Jg. 16, 1924, S. 5, Abb. 4 („Pierrots“), und S. 7 / Max Deri:
Der Maler Karl Hofer. In: Die Dame, Bd. 53, 1925/26, H. 9, S. 5f.,
hier Abb. S. 6 / Hans Friedrich Secker: Die Galerie der Neuzeit im
Museum Wallraf-Richartz. Leipzig, Klinkhardt & Biermann, 1927,
S. 148, Abb. Tf. 47 / Museum der Gegenwart, Jg. 2, 1931/32, H. 3,
S. 135 / Kunstchronik, Jg. 1, 1948, H. 1/2, S. 11 / Der Tag (Berlin),
31.3.1949, Nr. 50, m. Abb. / Versteigerungskatalog 549: Kunst des
XX. Jahrhunderts. Köln, Kunsthaus Lempertz, 5.12.1975, Kat.-Nr. 325,
Farbabbildung auf dem Vorderumschlag / Eo Plunien: Eine Million
durch das Rätsel der Kunst gehämmert. In: Die Welt (Hamburg und
Berlin), 10.12.1975, Nr. 287, S. 23 m. Abb. / Peter Hans Göpfert:
Briketts ersetzten den Blumenstrauß. 30 Jahre Galerie Bremer (...).
In: Die Welt (Berlin), 16.10.1976, Nr. 242, Beilage S. II m. Abb. / John
Laupitz: In Form und Farbe. Galerie Bremer: Hofer-Ausstellung zum
Jubiläum. In: Der Abend (Berlin), 19.10.1976, Nr. 238, S. (5) / Lutz
Meunier: Aktuelle Ausstellungen in Westberlin. (...). In: Die Weltkunst,
Jg. 49, 1979, H. 10, 15.5.1979, S. 1274, Abb. S. 1275 / Gerhard
Leistner: Nachgewiesene Museumsverkäufe durch die Galerie
Flechtheim. In: Ausstellungskatalog: Alfred Flechtheim. Sammler,
Kunsthändler, Verleger. Düsseldorf, Kunstmuseum, 1987/88, S. 129133, hier S. 129 („1934 verkauft an Kunsthaus A. Faust, Köln“) /
Andrea Reich: Das Harlekin-Motiv bei Karl Hofer. Mag.-Arbeit. Berlin,
Freie Universität, 1994, Abb. 30 / Alexandra Lieb: Maske oder
Gesicht? Überlegungen zu den Gesichtsstereotypen im Werk Karl
Hofers. Mag.-Arbeit. Universität Augsburg, 2001, S. 32, Abb. 31
Karl Hofer ist einer der großen Menschenmaler des 20. Jahrhunderts. Höchst selten nur hat er seine Figuren als Staffage benutzt
oder ihnen Posen abverlangt, die auf eine rein körperhafte Darstellung abzielen. Ihn interessierte vor allem die Innenwelt seiner
Menschen, und mit der Art der konzentrierten Vereinfachung, in
der er sie darstellt, schlägt er inhaltlich einen Bogen in die Vergangenheit, zum großen Rembrandt, einem anderen Spezialisten für
psychologische Einfühlung.
Hier hat er sich zwei Figuren erwählt, die schon qua Tradition
eine Projektionsfläche für Gemütslagen bieten, die durchaus im
Widerstreit miteinander liegen können. Zum einen den Pierrot
als stummen Betrachter der Welt, dessen Gefühle und Gedanken sich vor allem pantomimisch artikulieren, und zum anderen
den Harlekin, der, aus einer älteren Tradition kommend, als
subversiver Spaßmacher zwischen listiger Gaunerhaftigkeit und
aufklärerischem Impetus changierte. Hofers Blick zielt aber nicht
auf den komödiantischen Hintergrund, sondern auf die stumme
Zwiesprache, mit der er die beiden ein wenig der lauten Welt
der Manege entrückt, die sie wohl gleich betreten werden, um
in ihren Kostümen die ihnen zugewiesenen Rollen zu spielen.
Hier, am Rand des Spektakels, sind sie zuallererst Menschen,
die ganz bei sich sind, und wir wissen nicht, ob sie sich sammeln
für ihren Auftritt oder anderen Gedanken nachhängen. Beides
scheint der Fall zu sein. Während Harlekin ganz in sich gekehrt
scheint und vielleicht über etwas grübelt, was nichts mit seinem
Spiel zu tun hat, neigt sich Pierrot zu ihm, mit leicht fragendem
Blick, als wollte er noch etwas besprechen mit seinem Kollegen
oder als wollte er ihn erinnern, daß sie beide doch gleich wieder
hinausmüssen. Doch jener scheint ihn nicht zu bemerken, er
befindet sich in einer anderen Sphäre. Sinnfällig arrangiert Hofer
diese Diskrepanz zwischen innen und außen durch die beiden
blauen Bahnen des geöffneten Vorhangs. Während Harlekin sich
dahinter befindet, ist Pierrot vor den Vorhang getreten und hat
sich gedanklich schon auf den Weg in die Manege begeben, die
er aber mit seinem Kollegen teilen möchte.
Dies alles erzählt Karl Hofer ohne große Gesten oder Posen, und
sein Gemälde zeigt beispielhaft seine Auffassung, die er im Jahr
1922 in seinem Text „Ein neuer Naturalismus?“ so formuliert
hatte: „Es ist schwer, oder vielmehr die seltene Gabe seltener
Menschen, den inneren Ausdruck in der allen und zu allen Zeiten
verständlichen Sprache der Naturform darzustellen. Nicht durch
ein Ungefähr oder Übertreibung, sondern durch verstehende
Vereinfachung, die alles enthält.“ (Karl Hofer. Malerei hat eine
Zukunft. Briefe, Aufsätze, Reden. Hrsg. Von Andreas Hüneke.
Kiepenheuer Verlag, Leipzig und Weimar 1991, S. 159) (MS)
€ 200.000 – 300.000
$ 216,000 – 323,000
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Grisebach 06/2015
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34 Karl Hofer
Karlsruhe 1878 – 1955 Berlin
„Frau in Ruinen“. 1945
Öl auf Leinwand. 100 x 65 cm (39 ⅜ x 25 ⅝ in.).
Unten links monogrammiert und datiert (ligiert): CH45.
Wohlert 1881. –
Neufassung einer wohl verbrannten Fassung von 1944
(Wohlert 1782). Rückseitig ein verworfenes Frauenportrait.
Monogrammiert und datiert (ligiert): CH44 (nicht bei Wohlert).
[3511] Gerahmt.
Provenienz: Sammlung Klopmann, Berlin / Galerie Pels-Leusden,
Berlin / Privatsammlung, Norddeutschland (1979 bei PelsLeusden erworben, von 1981 bis 1997 als Leihgabe in der
Hamburger Kunsthalle)
Ausstellung: 1. Deutsche Kunstausstellung der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der Sowjetischen Besatzungszone.
Berlin, Zeughaus, 1946, Kat.-Nr. 189, Abb. S. 19 / Ausstellung
Hamburger Künstler. Hamburg, Kunstverein, August 1946 / Carl Hofer.
Ausstellung von neuen Werken. Berlin, Ausstellungsräume des Westens,
1946, Nr. 35, Abb. 47 (Faltblatt mit Ausstellungsliste nebst Bildband
von Adolf Jannasch, Potsdam 1946) / Karl Hofer. Gemälde, Handzeichnungen und Graphik. Berlin, Galerie Pels-Leusden, 1979, Kat.-Nr.
16a, Farbabbildung S. 2 / Zeitspiegel I. 1891–1945. Berlin, Galerie
Pels-Leusden, 1986, S. 134, Farbabb. S. 135 / Die Kunst der frühen
Jahre 1945–1949. Malerei und Graphik. Berlin, Neue Berliner Galerie
im Alten Museum, 1990 / Karl Hofer. Selm, Schloß Cappenberg, 1991,
S. 185, ganzseitige Farbabb. S. 139 / Karl Hofer. Gemälde und
Zeichnungen. Wolfsburg, Kunstverein, 1992, (Klappkarten-) Nr. 38 /
InterZonale 1945. Konferenz der Bilder. Kiel, Schleswig-Holsteinischer
Kunstverein, in der Kunsthalle, 1995, S. 156, Farbabb. S. 97 /
ArmutsZeugnisse. Die Darstellung der Armut in der Kunst des 20.
Jahrhunderts. Dortmund, Fritz-Hüser-Institut, im Museum am Ostwall,
1995, Abb. S. 21 / Deutsche Kunst 1933–1945 in Braunschweig.
Kunst im Nationalsozialismus. Braunschweig, Städtisches Museum,
2000, Kat.-Nr. 255, m. Abb. / Im Zentrum: Ernst Ludwig Kirchner.
Eine Hamburger Privatsammlung. Hamburg, Kunsthalle; Davos, Kirchner
Museum, und Berlin, Brücke-Museum, 2001-2003, S. 123, S. 176f.,
Kat.-Nr. 22, ganzseitige Farbabbildung S. 142 / Zeit im Blick. Felix
Nussbaum und die Moderne. Osnabrück, Felix-Nussbaum-Haus,
2004/05, Kat.-Nr. 181, mit Farbabbildung / Karl Hofer. Anmut,
Elegie und äußerste Härte. Ausstellung zum 50. Todestag. Berlin,
Galerie Pels-Leusden, 2005, S. 88f., mit Farbabbildung
Literatur und Abbildung: Die umfangreichen Angaben zu Literatur
und Abbildungen unter www.villa-grisebach.de
€ 100.000 – 150.000
$ 108,000 – 162,000
Dies ist ein Jahrhundertbild der deutschen Kunst, geschaffen
von einem Künstler, der eine Jahrhundertgestalt gewesen ist.
In seiner „Frau in Ruinen“ hat Karl Hofer dem Schicksal seines
Vaterlandes und Europas in der Stunde Null mit einem unvergeßlichen Bild geantwortet. Auch siebzig Jahre nach seiner Entstehung geht von ihm die gleiche unmittelbare, den Betrachter
ergreifende starke Botschaft aus, die sofort nach seiner Veröffentlichung in der Öffentlichkeit begriffen wurde. Man hat das
Bild damals „eine Bildwerdung des Unsagbaren“ genannt, „mehr
Leben bergend, als die schärfste Beobachtung erfassen vermag“
(Adolf Behne, 1947). Mehr Leben? Mehr Tod vor allem in einer
Dimension, die jede traditionelle Totenklage in Frage stellte. Die
Frau in Ruinen ist stumm, ja sie scheint sich sogar selbst den
Mund zu verschließen. Aber sie spricht mit ihrer Geste dennoch
das Schlußwort zur Katastrophe, die sich in diesem Jahr erfüllt
hat. Im Mai 1995, ein halbes Jahrhundert danach, hat Roman
Herzog in Worten gesagt, was der Zeitgenosse Hofer im Sinn
hatte, als er das Werk schuf: „Deutschland hatte den furchtbarsten Krieg entfesselt, den es bis dahin gegeben hatte, und
es erlebte die furchtbarste Niederlage, die man sich vorstellen
konnte. Europa war ein Trümmerfeld, vom Atlantik bis zum
Ural und vom Polarkreis bis zur Mittelmeerküste. Millionen aus
allen Völkern, auch aus dem deutschen, waren tot, gefallen, in
Bombenangriffen zerfetzt, in Lagern verhungert, auf den Straßen
der Flucht erfroren, und andere Millionen [...] waren den größten
Vernichtungsaktionen zum Opfer gefallen, die menschliche Hirne
je ersonnen hatten. Millionen hatten ihre Freunde, ihre Heimat
verloren oder waren gerade dabei, sie zu verlieren, Millionen
kamen aus Kriegsgefangenenlagern oder wanderten gerade dorthin. Millionen waren zu Krüppeln geschossen. Hunderttausende
von Frauen wurden vergewaltigt. Der Geruch der Krematorien
und der schwelenden Ruinen lastete über Europa.“
Hofers Leistung, das allgemeine Schicksal seiner Zeit in FigurenKonstellationen zu bannen, ist vielleicht erst heute, wo sich im
Blick auf die Kunst des vergangenen Jahrhunderts die Spreu vom
Weizen trennt, in ihrer ganzen Großartigkeit wahrzunehmen.
Hofer wußte zeitlebens, daß unter der Oberfläche des wechselnden Zeitgeistes in Millionen von Seelen eine unterirdische Welt verborgen lag: mit unerfüllten Hoffnungen auf Frieden, mit Ozeanen
von Leid, mit Landschaften voller Traum- und Alptraumszenerien.
Hofer „glaubte ihren zitternden Herzschlag vernehmen zu sollen
und quälte sich ab ,die Unsäglichkeiten faßbar und schaubar zu
machen“– so hat es Paul Ortwin Rave, der treue Freund der
verfemten Künstler während der NS-Zeit, 1956 ausgedrückt.
Sehnsucht nach Idylle fern von dem Lärm der Zeit, Unruhe
und Gram, Verzweiflung und Grauen, Gebärden von Qual und
Klage, das sind Hofers große Themen gewesen. Hofers Œuvre
ergibt ein Riesenpanorama der Seele im Deutschland des
20. Jahrhunderts. Der Bogen spannt sich vom unversehrten,
jahrtausendealten klassischen Menschenbild über Furcht und
Elend des Menschen in bösen Zeiten bis hin zum Verstummen
des Menschen in seiner Qual, dem kein Gott mehr zu sagen
gibt, was er leidet.
Christoph Stölzl, Weimar
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35 Fritz Winter
Altenbögge 1905 – 1976 Herrsching/Ammersee
„Triebkräfte der Erde“. 1944
Öl und Monotypie auf dünnem, halbtransparentem Papier.
29,5 x 20,9 cm (11 ⅝ x 8 ¼ in.).
Unten links monogrammiert und datiert: FW 44.
Lohberg 784. –
[3159] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Nordrhein-Westfalen
Ausstellung: Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939.
Köln, Messehallen, 1981, Kat.-Nr. 93, Abb. S. 349 / Fritz Winter.
Triebkräfte der Erde. Münster, Westfälisches Landesmuseum
für Kunst und Kulturgeschichte, und Villingen-Schwenningen,
Städtische Galerie im Beethovenhaus, 1981/82, Kat.-Nr. 60,
Farbabb. / Neue Formen. Fritz Winter. Arbeiten auf Papier
1925-1975. Stuttgart, Kunstmuseum, 2006, Kat.-Nr. 146,
Farbabb. S. 112
Literatur und Abbildung: Werner Haftmann: Fritz Winter –
Triebkräfte der Erde. München, Verlag R. Piper & Co., 1957,
Farbabb. o.S.
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
„Im sinnenden Vollziehen eines bildnerischen Äußerungswillens
schrieb sich diese Reihe [Triebkräfte der Erde] hin, – ein Bilderund Tagebuch aus einzelnen, für sich bestehenden Seiten, die
doch beim Abschluß einen zyklischen Zusammenhang ergaben,
weil sie aus einem einheitlichen Erlebnisgrund hervortraten.
Alle haben das gleiche Format, sie sind auf dünne, mit einer
ölhaltigen Emulsion getränkte Schreibmaschinenblätter gemalt,
die dem Maler bei Beginn der Arbeit zur Hand lagen. Alle sind
Hochformate und schon in dieser Wahl nicht auf erzählende Breite als auf verdichtetes Wachstum der Form gerichtet. Schließlich
entstanden sie in einem einzigen ununterbrochenen Arbeitsgang,
der sich kaum über vier Wochen hinzog. Sie wurden im Januar/
Februar des Jahres 1944 gemalt in der Stille eines oberbayerischen Landhauses in Diessen am Ammersee, das ein großer
Garten umgibt. Jeder Arbeitstag erbrachte mindestens ein Blatt,
oft arbeitete der Maler an mehreren zugleich. [...]
Im pochenden Drängen dieses Vorfrühlings entdeckte der Maler
überall die Zeichen der unterirdisch andrängenden mächtigen
Wachstumskraft. Eine aufgehobene Erdscholle gab den Blick frei
auf keimende Entfaltungen; unter den modernden Blättern am
Baumstamm drängten sich feine Gebilde nach oben; ans Flechtwerk der Wurzeln hatten sich feine Kristalle angesetzt. Schüchtern hob sich die lebendige Farbe – das Rot, das Blau, das Grün
– aus dem toten Braun und Grau des Erdreichs. [...]
All diese Bilder zeigen ein eigentümliches mikroskopisches
Heranrücken an die natürlichen Erscheinungen. Diese Sehweise
ist das Zeichen dafür, daß die Sensibilität des Malers nicht mehr
so sehr auf die Sensationen der weiten, freien Natur antwortet
[...] sondern auf die Wirklichen unterliegenden Wirkkräfte und
Prozesse. Es ist eine sehr moderne Weise des Sehens.“
(Werner Haftmann in der Einführung zu dem 1957 erschienen
Bändchen: Triebkräfte der Erde. München, Piper Verlag, S. 37,
41 u. 44)
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Paul Delvaux
Antheit 1897 – 1994 Furnes/Belgien
Étude pour „Les Dryades“. 1966
Aquarell, Pinsel und Feder in Schwarz auf Papier.
62 x 50,5 cm (24 ⅜ x 19 ⅞ in.).
Unten rechts signiert und datiert: P. DELVAUX 9-66.
[3194] Gerahmt.
Literatur und Abbildung: Versteigerungskatalog:
London, Christie’s, 6.12.1983, Kat.-Nr. 194
€ 70.000 – 100.000
$ 75,400 – 108,000
Wir danken Martine Van Deun Gautot, Fondation
Paul Delvaux, St. Idesbald, für freundliche Hinweise.
Paul Delvaux wehrte sich zeit seines Lebens gegen die Bezeichnung
„Surrealist“, da seiner Malerei jede offenkundige Phantastik fremd
sei. Aus heutiger Sicht ist seine Kunst eher dem Lager der „Magischen Realisten“ zuzurechnen, die der niederländische Maler Pyke
Koch 1971 folgendermaßen von den Surrealisten abgrenzte: „Der
Magische Realismus bedient sich Vorstellungen, die wohl möglich,
aber unwahrscheinlich sind, während der Surrealismus unmögliche
Situationen wiedergibt. Zwischen dem offenkundig Unmöglichen
und dem Unwahrscheinlichen liegt die Welt von Surrealismus und
Magischem Realismus“ (Pyke Koch, in: Ausst.-Kat. Magisch
Realisme in Nederland, Antwerpen 1971).
Delvaux bleibt in seinen Bildern stets nahe der natürlichen
Wirklichkeit, übersteigert diese jedoch mittels einer verblüffenden Detailgenauigkeit und entführt den Betrachter so in traumhafte, visionäre Gefilde. Die Vorstudie ist für ihn ein wichtiges
Mittel zur endgültigen Bildfindung. Unser Aquarell diente als
Entwurf für sein großes Ölbild „Les Dryades“, das Ende 1966
entstand. Die anmutige zentrale Frauengestalt mit rotem Umhang und auffälligem Hutschmuck wurde für dieses Gemälde
bis ins Detail übernommen, ihre Partnerin in Blau am rechten
Bildrand hingegen nicht. Die Bildidee, hinter einer Wasserfläche eine sich nahezu endlos in den Tiefenraum erstreckende
Tempellandschaft wiederzugeben, ist bereits hier in kleinem
Maßstab angelegt, ebenso die Belebung der Szenerie mit
weiteren nackten wie auch bekleideten Frauengestalten. Die
titelgebenden Dryaden, Baumgeister der griechischen Mythologie, gehören dem komplexen bildnerischen Alphabet Delvaux’
an, das der Maler etwa Mitte der 1930er Jahre für seine Malerei
zu entwickeln begann. All diese weiblichen Geschöpfe sind auf
denselben Frauentyp zurückzuführen, den er in seinen Bildern
immer wieder beschwor. Delvaux bekannte: „Frauen waren für
mich sehr lange unerreichbare Wesen. Ich träumte sie mir herbei
– in allen Situationen, die der Traum gebiert: Brücke, Platz und
Eisenbahn.“ (Fritz J. Raddatz, in: DIE ZEIT, 29. Juli 1994) (AF)
Paul Delvaux. Les Dryades. 1966
Öl auf Leinwand. 149,5 x 237,5 cm. Museum Ludwig, Köln
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37 René Magritte
Lessines 1898 – 1967 Brüssel
„La malédiction“. 1963
Öl auf Leinwand auf Karton.
16,1 x 21 cm (6 ⅜ x 8 ¼ in.). Unten rechts signiert: Magritte.
Rückseitig mit Kugelschreiber in Schwarz gewidmet:
Amicalement à Monsieur et Madame Amiel Najar René Magritte
1963. Dort auch ein Etikett der Mayor Gallery, London.
Sylvester 975. –
[3548] Gerahmt.
Provenienz: Amiel E. Najar, Brüssel / Privatsammlung, Berlin
Literatur und Abbildung: Patrick Waldberg: René Magritte.
Suivi d’une bibliographie générale par André Blavier.
André de Rache, Brüssel 1965, Abb. S. 234
€ 150.000 – 200.000
$ 162,000 – 216,000
Wenige Künstler haben die Vorstellung von der Kunst im
20. Jahrhundert derart stark geprägt wie René Magritte.
Frühe Anregungen empfing der Maler durch die Dada-Bewegung. In den späten zwanziger Jahren lernte er dann in Paris
den Kreis der Surrealisten um André Breton und Paul Éluard
kennen. Auch die Bilder Giorgio de Chiricos sollen ihn damals
nachhaltig beeindruckt haben. In der Folge schuf Magritte ein
in der europäischen Kunst einzigartiges Gesamtwerk, in dem
sich präzise ausgeführte Bildideen und vage Assoziationen
akkurat die Waage halten.
Unsere Fassung von „La malédiction“ hat eine Reihe von
Vorläufern, die alle denselben Titel tragen. Der Prototyp all
dieser Gemälde, die Magritte über mehrere Jahrzehnte schuf,
stammt aus dem Jahr 1931 (Sylvester 337). Die Arbeit daran
fiel in eine für den Künstler entscheidende Phase. Zu jener
Zeit lebte er schon wieder in Brüssel, hielt jedoch regen
Kontakt zu seinen Freunden in Paris. Erste Erfolge stellten
sich ein. Magritte entwickelte seinen eigenen Stil, illustrierte
den Buchumschlag zu „Qu’est-ce que le surréalisme?“ von
André Breton. Außerdem hatte er zum ersten Mal in seiner
Laufbahn größere Ausstellungen, im Palais des Beaux-Arts in
Brüssel und 1936 auch in New York.
In diesen für ihn so wichtigen Monaten zieht er mit „La malédiction“ die Summe aus seinen bisherigen Erfahrungen. Die
Kluft zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren hat
hier die denkbar größte Tiefe erreicht. Der einladende blaue
Himmel mit seinen dahingetupften Schäfchenwolken kollidiert heftig mit dem Titel, durch den der Künstler sein Werk
vervollständigte. Die Unbeschwertheit eines Sommertages
wird so auf sehr konkrete Weise zum Fluch. Denn dadurch
erlangt das Bild eine Kraft, vergleichbar mit den maliziösdoppeldeutigen Weissagungen antiker Orakel. Als wollte
Magritte dem Betrachter mitteilen, daß er es ihm gern selbst
überlassen möchte, Sinn darin zu finden – allerdings, wie
bei jedem anständigen Rätsel, auf eigenes Risiko. (UC)
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38 Joan Miró
Barcelona 1893 – 1983 Palma de Mallorca
Ohne Titel. 1973
Gouache, Tuschpinsel und Farbkreide auf Velin.
70,3 x 86 cm (27 ⅝ x 33 ⅞ in.). Unten rechts signiert: Miró.
Rückseitig mit Bleistift datiert: 23 / IV / 73, V.
Mit einer Bestätigung von Emilio Fernandez Miró, Sucesión Miró,
Palma de Mallorca, vom 3. September 1997. –
[3438] Provenienz: Privatsammlung, Rheinland
€ 300.000 – 400.000
$ 323,000 – 431,000
Mit seiner unverwechselbaren, lyrisch-ungegenständlichen
Form der Malerei war Miró maßgeblich daran beteiligt, der Abstraktion in der europäischen Kunst den Weg zu bereiten. Die
Gouache „Ohne Titel“ von 1973 zählt zu jenen Arbeiten des
Spätwerks, in denen der damals 80jährige Miró die Summe
der Erfahrungen und Einflüsse zieht, die er selbst in den zurückliegenden sechs Jahrzehnten als prägend empfunden hat.
Bis er sich 1956 auf Mallorca niederließ, hatte er die meiste
Zeit seines Lebens in Paris zugebracht. Dort machte er unter
anderem die Bekanntschaft der Surrealisten um André Breton,
lernte Schriftsteller und Poeten wie Ernest Hemingway und
Henry Miller kennen. Infolgedessen begann er sich für
das Prinzip der „écriture automatique“ zu interessieren. Und
er entwickelte einen persönlichen Kanon an Symbolen, von
dem er fortan regelmäßig Gebrauch machte.
In unserer souveränen, in schwungvollem Duktus ausgeführten
Gouache finden sich eine ganze Reihe dieser Symbole: der
gelbe und der rote Halbmond etwa, ein Verweis auf das Attribut
der Artemis, der Göttin der Jagd und der Fruchtbarkeit, das
bei Miró für Begierde steht. Die zwei Augen, die man im Bild
erkennt, sind eine Verklausulierung weiblicher Geschlechtsorgane; der Stern links deutet auf das Wirken kosmischer
Energien. Mit etwas Phantasie kann man auch die rundliche
schwarze Form im Zentrum der Gouache als Vogel interpretieren,
welcher – ähnlich wie der Halbmond – bei Miró ebenfalls
Begehren symbolisiert. Nimmt man das alles als Ganzes, dann
läßt dies nur einen Schluß zu: Bei dieser Gouache handelt es
sich um eine Liebeserklärung an das Leben selbst. (UC)
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39 Willi Baumeister
1889 – Stuttgart – 1955
„Helle Figuren auf Dunkel“. 1947
Öl mit Kunstharz und Spachtelkitt auf Karton.
35,7 x 45,9 cm (14 x 18 ⅛ in.). Oben rechts mit
Bleistift signiert und datiert: Baumeister 47.
Rückseitig mit Bleistift betitelt und datiert:
Helle Figuren auf Dunkel 1944/47.
Beye/Baumeister 1237. –
[3409] Gerahmt.
Provenienz: Maria Tannenbaum, New York /
Galerie Gunzenhauser, München / Privatsammlung,
Baden-Württemberg
Ausstellung: Baumeister. Gemälde - Zeichnungen - Graphik.
Frankfurt a.M., Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, 1961,
Kat.-Nr. 6a / Willi Baumeister. Ölbilder, Handzeichnungen.
München, Galerie Gunzenhauser, 1986, Kat.-Nr. 7
Literatur und Abbildung: Will Grohmann: Willi Baumeister.
Leben und Werk. Köln, Verlag DuMont Schauberg, 1963,
Kat.-Nr. 904, mit Abb.
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
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Willi Baumeister zählt zu den bedeutendsten Malern der
Klassischen Moderne in Deutschland: 1913 nahm er, ein
enger Freund Oskar Schlemmers, in Berlin an Herwarth
Waldens legendärem Ersten Deutschen Herbstsalon teil.
Später wurde Baumeister Mitglied in der „Novembergruppe“
und bei der Pariser Künstlervereinigung „Cercle et Carré“, in
der sich auch Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Fernand
Léger und Georges Vantongerloo zusammengetan hatten.
Daneben begann er schon in den 1920er Jahren, sich intensiv
für außereuropäische und prähistorische Kulturen zu interessieren. Wie befreiend das Ende des Zweiten Weltkrieges auf
den von den Nationalsozialisten mit Ausstellungsverbot
belegten Künstler gewirkt haben muß, kann man nur erahnen.
Jedenfalls brachte Baumeister 1947 seine damals vielbeachtete Streitschrift „Das Unbekannte in der Kunst“ heraus –
und schuf im selben Jahr das Gemälde „Helle Figuren“.
Unser Werk zeigt den 58jährigen Maler auf dem Höhepunkt
seines künstlerischen Vermögens. Der einheitliche Bildraum
ist bei den „Hellen Figuren“ fast vollständig aufgelöst. Lediglich am unteren und oberen Rand der Leinwand deutet sich
so etwas wie eine Perspektive an. Das Zentrum der Komposition wird eingenommen von kürzelhaften Andeutungen und
Skripturen, die man nach eingehender Betrachtung tatsächlich als Figuren interpretieren könnte. Die Offenheit der Lesart
war für Baumeister das entscheidende Element seiner Kunst.
Der Künstler, schrieb der Maler in dem Jahr, in dem die
„Hellen Figuren“ entstanden, „produziert seine bedeutenden
Werte ohne Lehrgut, ohne Erfahrung, ohne Nachahmung. Nur
auf diese Weise findet er bisher Unbekanntes, Originales. Das
Genie ,kann‘ nichts und nur damit alles.“ (Zit. nach: C. Harrison/
P. Wood (Hrsg.): Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, OstfildernRuit 1998, S. 753) (UC)
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40 Fritz Wotruba
1907 – Wien – 1975
„Kleine liegende Figur II“. 1953
Bronze mit dunkelbrauner Patina.
15,5 x 40,5 x 14 cm (6 ⅛ x 16 x 5 ½ in.).
An der rechten Schmalseite des Sockels signiert: WOTRUBA.
Breicha 177. –
Einer von 7 numerierten Güssen. [3342] Provenienz: Privatsammlung, Süddeutschland
€ 25.000 – 35.000
$ 26,900 – 37,700
Nach 1945 veränderte sich die Kunst der westlichen Welt
grundlegend. Der damalige Neubeginn war oftmals von der
Absage an die Gegenständlichkeit geprägt. Einige Künstler
versuchten, auf ihrem früheren Werk aufbauend, neue Wege
für sich zu finden, wie etwa Henry Moore. Andere konnten
bereits auf ihren persönlichen ‚Kanon‘ von Formulierungen
zurückgreifen, wie zum Beispiel Alberto Giacometti. Fritz
Wotruba blieb seinen Grundprinzipen treu und führte sie
zugleich zu zeitloser Gegenwärtigkeit. Das Bild des Menschen
war und blieb sein Thema. In der Nähe zu klassischen Skulpturen, deren Maximen er souverän in seine zergliederten,
stereometrischen Formen übertrug, erweist sich Wotrubas
Meisterschaft.
„Ich versuche bei der Realisierung eines Themas mit einem
Minimum an Formen auszukommen, da ich glaube, daß die
künstlerische Aussage durch die rücksichtsloseste Ausmerzung
jeder Formenphrase nur wahrer und dadurch wirksamer wird.
Ich gebe aber zu, daß ich gleichzeitig glaube, daß auch bei
größter Anstrengung (über sich selbst hinauszukommen) der
Ballast, mit dem Herkunft und Erinnerung uns beschweren,
niemals abgeworfen werden kann. Deswegen ist die Vorstellung
von der einfachen, disziplinierten Form ein subjektiver Begriff,
und doch gibt es einen Urbegriff von Einfachheit und Harmonie,
der erreicht werden muß.“ (Fritz Wotruba, zit. nach: Kritisches
Lexikon der Gegenwartskunst. Fritz Wotruba, München 1993,
S. 2) (EO)
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41 Willi Baumeister
1889 – Stuttgart – 1955
„Fra Diavolo (auf Gelb)“. 1951
Öl mit Kunstharz auf Hartfaser. Im Künstlerrahmen.
65 x 81 cm (25 ⅝ x 31 ⅞ in.). Unten rechts mit Bleistift
signiert und datiert: Baumeister 7.51. Rückseitig mit Kreide
betitelt, datiert, signiert und bezeichnet: Fra Diavolo (auf Gelb)
1951 Baumeister 81 x 65 cm. Auf dem Rahmen oben Etiketten
der Sammlung G. D. Thomson, der Modernen Galerie Otto Stangl
und der Feigl Gallery, New York.
Beye/Baumeister 2042. –
[E] Gerahmt.
Provenienz: Hacker Gallery, New York / G. David Thompson,
Pittsburgh / Galerie Otto Stangl, München / ehemals Privatsammlung (1957 erworben bei Stangl, München)
Ausstellung: Willi Baumeister. New York, Hacker Gallery, 1952, mit
Abb. / Willi Baumeister. München, Galerie Otto Stangl, 1956 (außer
Katalog, auf einem Ausstellungsphoto im Archiv Baumeister zu sehen)
Literatur und Abbildung: Will Grohmann: Willi Baumeister. Stuttgart
1952, S. 59, Kat.-Nr. 142, mit Farbabbildung / Will Grohmann: Willi
Baumeister. Leben und Werk. Köln, Verlag M. DuMont Schauberg,
1963, Kat.-Nr. 1123, mit Abb. / Oto Bihalji-Merin: Willi Baumeister.
in: Quadrum, Nr. 8, 1960, S. 59-74, hier Farbabb. S. 63 / Morris
Davidson: Painting with Purpose. Englewood Cliffs, New Jersey, 1964,
S. 107, Abb. 41
€ 150.000 – 200.000
$ 162,000 – 216,000
Der Kunsthistoriker Will Grohmann hat sich schon zu Lebzeiten des
Künstlers als einer der besten Kenner von Willi Baumeisters Werk
erwiesen und hat als erster versucht, die fast unüberschaubare
Flut von künstlerischen Einfällen und Ideen in Kategorien zu fassen.
Dabei spannt sich ein weiter Bogen etwa von den „Mauerbildern“ bis
hin zu den „Metaphysischen Landschaften“. In letztere Werkgruppe
ist im weiteren Sinne auch unser Bild einzuordnen. Aber Grohmann
selbst stellt fest: „Man kommt bei Baumeister in jedem Jahrfünft oder
Jahrzehnt in Verlegenheit, die Einzelfälle sinngemäß zu katalogisieren,
es ist für sie nirgends Platz, außer im Ganzen des Œuvre, das alle nur
denkbaren Entwürfe und Experimente zu beherbergen vermag. Es
ginge nicht an, sie unter den Tisch fallen zu lassen, nur weil sie den
Ordnungssinn des Chronisten stören.“
Ein solcher Einzelfall ist „Fra Diavolo“, das sich, folgt man Grohmann,
mit der „Faust“-Serie berührt, „aber es ist so heiter und verwegen
wie die Spieloper Aubers, mit dem neapolitanischen Gelb und Rot und
der banditenhaften Figurine rechts“ (Will Grohmann: Willi Baumeister.
Leben und Werk, Köln 1963, S. 112). Auf einem hellen Grund stehen
aus dem Schaffen des Malers wohlvertraute Zeichen, zarte Liniengefüge, zerfließende amorphe Formen in sachter Bewegung, fast
plastisch erscheinende Zusammenballungen und farbige, schwebende Einsprengsel. Diese charakteristischen Elemente beseelen das
Bildformat, eine Bühne, auf der sich ein phantasievolles Spiel voller
Poesie ereignet. (EO)
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42N
Norbert Kricke
1922 – Düsseldorf – 1984
„Raumplastik“. 1960
Edelstahlstäbe, geschweißt, auf schwarzen Onyxsockel montiert.
Höhe (ohne Sockel): 56 cm (22 in. ).
Die Plastik wird aufgenommen in das Werkverzeichnis
der Plastiken Norbert Krickes von Dr. Sabine Kricke-Güse,
Berlin (in Vorbereitung). –
[3062] Provenienz: Galerie Karl Flinker, Paris / Mr. und Mrs. Robert
Brookings Smith, St. Louis, Missouri (erworben 1965) /
Sally Smith Duffield, Wellington, Florida, und Brian Brookings
Romanski, St. Louis, Missouri (durch Erbschaft) / The Sheldon
Art Galleries, St. Louis, Missouri (durch Schenkung)
Literatur und Abbildung: Eduard Trier: Norbert Kricke
(= Monographien zur rheinisch-westfälischen Kunst der
Gegenwart, Bd. 28). Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen
1963, ganzs. Abb. S. 60
€ 140.000 – 180.000
$ 151,000 – 194,000
Wir danken Dr. Sabine Kricke-Güse, Berlin,
für freundliche Hinweise.
Mit dem Verkaufserlös werden das Ausstellungs- und
das Vermittlungsprogramm der Sheldon Art Galleries,
St. Louis, Missouri, gefördert.
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In Norbert Krickes Schaffen ist die Auseinandersetzung mit
dem Raum ausschließliches Thema. Der Künstler umkreiste
die Fragestellung in mehreren Werkphasen und gelangte von
geometrisierenden Formen über Flächenbahnen und kurvigdynamische Raumplastiken zur minimalistischen Linie im Raum,
mit der er sein Werk beschloß. Hatten aus Drahtbündeln übereinander geschichtete Körper ihm ermöglicht, Verhalten und Wirkung
einer Ebene oder senkrechten Wand im Raum zu studieren, gab
er diese tektonische Konstruktionsweise Mitte der 1950er Jahre
auf und erlaubte der Linie, Krümmungen, Kurven und dichte Knäuel
zu bilden. Ob sie sich dabei zu einem Kern hin konzentrieren oder
wieder auflösen und auseinanderstreben, überließ Kricke dem
jeweiligen Entstehungsprozeß, denn im Raum gibt es seiner Überzeugung nach unendlich viele Richtungen.
Unsere „Raumplastik“ von 1960 balanciert auf kleiner Standfläche.
Daraus steigt eine erste Formation aus gebündeltem Draht empor,
die sich im mittleren Bereich erst seitlich ausdehnt und dann
weiter zur Höhe strebt. Filigrane Bündel wie auch einzelne Drähte
sprengen die Kontur und verlieren sich im Raum. Einen Höhepunkt
dieser Werkphase stellt die mächtig aufstrebende, wie im Abflug
zu einer anderen Welt verharrende „Große Kasseler“ (1958/59)
dar, eine imponierende Figuration über die Freiheit der Gedanken.
Aber – dem Künstler erschloß sich der Raum noch nicht genug.
Die Bewegung und die Zeit, die dabei verstreicht, versuchte er mit
Linien in allen drei Dimensionen zu verfolgen. Der Raum aber ist
unendlich groß und kaum für ein Individuum zu ermessen. Krickes
Skulpturen sind beredte Zeugen seines Wunsches, das Geheimnis
von Körper und Raum zu verstehen. Sie sind aber auch nur
Stationen auf dem Weg des Künstlers, die für seine Kunst und
für sich selbst existentiell notwendige Freiheit zu erlangen. (EO)
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43 Peter Brüning
Düsseldorf 1929 – 1970 Ratingen
„Ohne Titel“. Um 1961
Öl und Farbkreide auf Leinwand. Doubliert.
90 x 115,5 cm (35 ⅜ x 45 ½ in.).
Otten 432. –
[3119] Gerahmt.
Provenienz: Nachlaß Peter Brüning, Ratingen /
Privatsammlung, Hessen
€ 50.000 – 70.000
$ 53,900 – 75,400
Zwischen Peter Brünings frühen Landschaftsbildern und seinem
Spätwerk, das die Urbanisierung der Natur durch Straßenbau
und Massenverkehr zum Gegenstand hat, stehen in den Jahren
um 1960 abstrakte Gemälde. Willi Baumeister hatte dem jungen
Künstler empfohlen, sich auch der Innenwelt des Menschen
zuzuwenden, und ihn auf die ostasiatischen Philosophen des
Zen-Buddhismus aufmerksam gemacht. Ihre lakonische und
zugleich definitive Kalligraphie hat in Brünings Malerei ebenso
Spuren hinterlassen wie seine bewußte Auseinandersetzung
mit Werken Cy Twomblys.
Auf dem hellen Grund des Bildes stehen schraffierte Formen. Sie
scheinen unruhig zu vibrieren, vor dem Blick zu verschwimmen
und ihre Ausdehnung zu verändern. Der Maler wählte lebhaftes Rot, Rosa und etwas Hellbraun, um die spontanen Zeichen
festzuhalten, der umgebende Raum wächst zu unendlicher Weite
an. Skripturale schwarze Pinselstriche geben dem Auge Halt und
regen Assoziationen an. Wenn nämlich der Gegenstand unbedeutend für ein Kunstwerk wird, dann ergänzt die Erfahrung aus dem
immensen Gedächtnisspeicher, den jeder Mensch durch seine
Entwicklung und die tägliche Wahrnehmung aufbaut, das, was
dargestellt sein könnte. Die Ausdehnung des Raums, in dem die
Zeichen schweben, hat Peter Brüning nicht festgelegt, das Bild
kann als Momentaufnahme des Hier und Jetzt gesehen werden
und als Ausdruck der Unendlichkeit. An keiner Stelle verschließt
es sich dem Zugang, nirgends errichtet es eine Schwelle. In
unserem Bild öffnet sich die Tür zu einer großen gedanklichen
und künstlerischen Weite. (EO)
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44 Hann Trier
Düsseldorf-Kaiserswerth 1915 – 1999 Castiglione della Pescaia
„Nymphe Echo“. 1964
Öl auf Leinwand. 195 x 129,5 cm (76 ¾ x 51 in.).
Unten rechts signiert und datiert: hTrier 64.
Rückseitig mit schwarzer Kreide signiert, datiert
und betitelt: hTrier 1964 DIE NYMPHE ECHO.
Auf dem Keilrahmen zwei Etiketten der Galerie Der Spiegel,
Köln, sowie ein Etikett zur Ausstellung Kassel 1964 (s.u.).
Gerlach-Laxner 452. –
[3222] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Der Spiegel, Köln / Privatsammlung,
Rheinland (seit Anfang der 1980er Jahre)
Ausstellung: III. documenta. Kassel, 1964, Bd. 1, S. 194,
Kat.-Nr. Trier 4 / Hann Trier. Köln, Kunstverein, 1979, Kat.-Nr. 61
€ 18.000 – 24.000
$ 19,400 – 25,900
„Nymphe Echo“ ist ein Hauptwerk Hann Triers, nicht nur, weil
es auf der legendären documenta von 1964 ausgestellt war,
sondern vor allem, weil hier Dynamik auf so überzeugende Weise
Form wird und Triers doppelhändige Malweise sich so souverän
zu einer einheitlichen, kraftvollen Komposition verdichtet. Es ist,
als schaue man von oben auf zwei Wellen, die in der Mitte des
Bildes zusammenstoßen, sich dort auftürmen zu hellen und braunen Schaumkronen. Und genau aus diesem energiegeladenen
Zusammentreffen der beiden Bildhälften baut Trier seinen Turm
zur Feier der informellen und abstrakten Malerei. So kraftvoll
malen die rechte Hand und die linke Hand hier gegeneinander
an, daß das ganze Gebilde unten und oben etwas aus dem Lot
gerät, doch es verliert seine Mitte nicht, und es ist gerade dieser
Schwung innerhalb der Mittelachse, der den ganzen Bildraum
elektrisiert und in Spannung hält.
Im Dezember 1963 informierte der documenta-Rat Hann Trier
darüber, daß beschlossen worden sei, eine Anzahl seiner Ölbilder
anläßlich der dritten documenta (27. Juni – 5. Oktober 1964)
auszustellen. Zuvor waren Werke von Hann Trier bereits 1955
und 1959 auf der documenta I und II gezeigt worden. Mit der
Auswahl der Gemälde für die dritte documenta war Alfred Hentzen
beauftragt. Gleichzeitig beschloß der Arbeitsausschuß für die
Sonderausstellung „Handzeichnungen“, mehrere Zeichnungen von
Hann Trier zu zeigen. Ihre Auswahl wurde seinem Bruder Eduard
Trier übertragen, der nach Vorschlägen des Künstlers eine Gruppe
von fünf Zeichnungen aus der Zeit von 1951 bis 1963 zusammenstellte.
Hann Trier, der seinen farbigen Bildern lieber einen Namen als
eine Nummer gegeben hat, verweist mit dem Titel „Nymphe
Echo“ auf Ovids „Metamorphosen“. Die Nymphe hatte die Göttin
Juno durch unentwegtes Reden von einem Ehebruch ihres Gatten
Zeus abgelenkt. Aus Rache nahm daraufhin die Göttin Juno der
Nymphe die Sprache, so daß sie nur noch wenige zuvor gehörte
Worte anderer nachsprechen konnte. Trotz der vielen inhaltsschweren Titel war es nie die Intention von Hann Trier, „daß der
Betrachter hingeht, den Titel liest und dann das Bild verhört, ob
es dem Titel gerecht wird. Ich will nur sagen, was mich geleitet
hat, was mir durch den Kopf ging oder wie es mir selbst hinterher
manchmal vorkam.“ Mit beiden Händen gleichzeitig malend,
entstand der für sein Werk gestische Aufbau der Bilder in
einer tänzerischen Choreographie beider Arme – phasenweise
sich abstoßend, doch am Ende souverän ineinanderfließend. (AGT)
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45 Emil Schumacher
Hagen 1912 – 1999 San José/Ibiza
„Barbaros“. 1957
Öl auf Leinwand. 132 x 170 cm (52 x 66 ⅞ in.).
Unten rechts signiert und datiert: Schumacher 57.
Auf dem Keilrahmen mit Pinsel in Schwarz betitelt
und mit Kugelschreiber datiert: Titel: Barbaros 10.IV.57.
Rückseitig ein fragmentarisches Etikett der 29. Biennale
Venedig, 1958. Auf dem Keilrahmen Etiketten der Ausstellungen
Berlin 1957, Hannover 1961, Münster und Venedig 1962 (s.u.).
Das Werk ist registriert im Archiv der Emil Schumacher Stiftung,
Hagen, unter der Nummer 0/94. –
[3109] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Süddeutschland (vom Künstler
erworben)
Ausstellung: Deutscher Künstlerbund. 7. Ausstellung, mit
Sonderausstellung Kunst am Bau. Berlin, Hochschule für
bildende Künste, 1957, Kat.-Nr. 279 mit Abb. (anderer
Zustand) / Emil Schumacher. Hannover, Kestner-Gesellschaft,
1961, Kat.-Nr. 44a / 31. Biennale Venedig, 1962, Kat.-Nr. 173 /
Emil Schumacher. Münster, Westfälischer Kunstverein, Landesmuseum, 1962, Kat.-Nr. 35 / Le grand geste! Informel und
Abstrakter Expressionismus 1946-1964. Düsseldorf, museum
kunst palast, 2010, Kat.-Nr. 132, ganzs. Farbabb. S. 149
Literatur und Abbildung: Werner Schmalenbach: Emil Schumacher.
DuMont Buchverlag, Köln 1981, S. 64, Abb. 27 auf S. 147
€ 150.000 – 200.000
$ 162,000 – 216,000
98
1945: eine ungeheuerliche und nahezu unüberwindliche Zäsur.
Zusammenbruch, Befreiung, Neuanfang. Doch wo anknüpfen
und wie? Für viele Künstler waren selbst die Strömungen der
zwanziger Jahre nicht der richtige Weg für eine Neubesinnung.
Eine schöpferische Welterfahrung ohne Figur und Gegenstand
wurde für viele Maler der einzig gangbare Weg. Befördert durch
den amerikanischen Abstrakten Expressionismus und die École
de Paris, entwickelte sich das Informel zur wegweisenden
Richtung in der europäischen Malerei zwischen etwa 1950 und
1960. Klassische Form- und Kompositionsprinzipien wurden
ebenso abgelehnt wie die geometrische Abstraktion. Die Bildform sollte ebenso offen wie prozessual sein. „Barbaros“ gehört
zu den ersten Arbeiten, in denen Schumacher eine ganz eigene
„informelle“ Bildsprache fand, die ihn zu einem der großen
deutschen Maler des 20. Jahrhunderts werden ließ.
Das anspruchsvolle Format zeigt eine ovale Form aus verhalten
leuchtendem Orange. Die Wärme des Farbtons läßt das umgebende Weiß sich wie schmelzendes Eis an die Bildränder zurückziehen.
Doch existiert auch noch ein anderer, „gefährlicher“ Gelbton. Für
Schumacher hat Gelb „einen unbeschreiblichen Reiz, [...] es riecht
süß, es schmeichelt wie Moos, und man übersieht die Otter, die darin
eingeringelt liegt. Unbekannte Gefahr“ (Emil Schumacher. Leben in
der Malerei, Gespräche und Texte, Ostfildern, Hatje Cantz Verlag,
2008, S. 25). Offenbart sich in der Farbe ein Nachhall eigenen
Erlebens? Ein grau-weißes Lineament überzieht das Bild. Die Linien,
streng gerade, raumgreifend geschwungen oder unentschieden abbrechend, werden kontrastiert mit Punkten in Schwarz und wenigen
Flecken in Rot. Das Geflecht scheint auf dem Weg zu einer Figuration zu sein, zu welcher, bleibt allerdings offen. Farben und Linien
verharren in einem Schwebezustand, der den ästhetischen Reiz
dieses Bildes von Schumacher ausmacht. Der Maler hat bekannt,
dem Material, den Farben also und den Formen, oft seinen Willen
gelassen zu haben. Dieses sich „Mitreißenlassen“ ist auch für den
heutigen Betrachter eine beglückende Erfahrung. (OH)
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46 Fred Thieler
Königsberg 1916 – 1999 Berlin
„Desafinado“. 1963
Mischtechnik und Collage auf Leinwand.
190 x 125 cm (74 ¾ x 49 ¼ in.).
Unten rechts signiert und datiert: F. Thieler 63.
Rückseitig in Schwarz signiert, datiert und betitelt:
F. Thieler 1963 desafinado.
Melchior 6/151. –
[3119] Gerahmt.
Provenienz: Galerie Nothelfer, Berlin / Galerie Sander,
Darmstadt / Privatsammlung, Hessen
Innerhalb der ,Weltsprache‘ der Abstraktion nach 1945 nimmt
Fred Thieler einen wichtigen Platz unter den deutschen Vertretern
dieser Stilrichtung ein. Er beschäftigte sich sowohl mit dem Materialcharakter des Bildes als auch mit seinen lyrischen und abstraktexpressiven Kräften. Aus der Farbe ließ er eine dichte Struktur
entstehen, die er in der Fläche des Bildformates ausbreitete. Seine
Bilder benötigen keine Titel, sie sind pure Malerei. Sie verzichten
auf den Gegenstand und sind Dokumente prozessualer Abläufe
von unerhört frischer, immer verblüffender Aussage.
Ausstellung: Fred Thieler. 1961-1963. Bilder und Grafik.
Oldenburg, Oldenburger Kunstverein, 1963, Faltblatt Nr. 12 /
Professor Fred Thieler, Berlin. Ölgemälde, Collagen, Graphiken.
Witten, Märkisches Museum, 1965, Kat.-Nr. 29 / 40 Jahre Kunst
in der Bundesrepublik Deutschland. Oberhausen, Städtische
Galerie Schloß Oberhausen, und Berlin, Staatliche Kunsthalle,
1989, Abb. S. 94
Literatur und Abbildung: Manfred de la Motte (Hrsg.): Fred Thieler.
Berlin, Galerie Georg Nothelfer, 1983, Abb. S. 108 / Ausst.-Kat. Fred
Thieler. Arbeiten von 1940-1986. Berlin, Akademie der Künste und
Saarbrücken, Saarland Museum, Moderne Galerie, 1986, Abb. S 75 /
Ausst.-Kat. Fred Thieler. Dialog mit der Farbe. Emden, Kunsthalle;
Herford, Daniel-Pöppelmann-Haus; Schweinfurt, Städtische Sammlungen, 1991, Abb. S. 23
€ 30.000 – 40.000
$ 32,300 – 43,100
100
Ein dichter Strom von Farbe und Pigment, schwer zu lenken,
breitet sich über die Leinwand aus. Dem vehementen Zugriff
ausgeliefert, liegt sie während des Malvorgangs auf dem Boden
von Thielers Atelier. Krater brechen auf, Blauwerte betören das
Auge, prismenartig gebrochene, kristalline Formen irritieren
den Blick. Werner Haftmann nannte das „Natur + Technik +
Geschwindigkeit“, um ihre Beziehung zu organischem Wachsen,
die rhythmische Strukturierung und die Dynamik der Oberfläche
zu umschreiben. Aber damit nicht genug. „Zur Farbe und ihrer
vielfältigen Verwendung kommt ein neues Element hinzu: Collage
und dé-Collage. Meist wird Papier auf Leinwand verwendet, gelegentlich wieder neu bemalt, oft wieder entfernt, manchmal dann
neuerlich miteinander verspannt und verzahnt. [...] in einem letzten
Prozeß werden dann alle Elemente in Verbindung gebracht zu
einem neuen Gesamten, das anders nicht hätte entstehen
können.“ (Manfred de la Motte: Thieler-Lexikon 1960-1965.
In: Fred Thieler. Arbeiten 1940-1986. Ausst.-Kat. Akademie
der Künste, Berlin 1986, S. 74) (EO)
Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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47 Cy Twombly
Lexington/Virginia 1929 – 2011 Rom
„Silex Scintillans“. 1981/82
Öl, Farbkreide und Bleistift auf Fabriano-Velin.
100 x 70,6 cm (39 ⅜ x 27 ¾ in.). Oberhalb der
Mitte monogrammiert und datiert: CT aug 81 mar 82.
Unten betitelt: SILEX SCINTILLANS.
Lambert 164. –
[3010] Gerahmt.
Provenienz: Privatsammlung, Berlin (1982 in der
Galerie Karsten Greve, Köln, erworben)
Ausstellung: Cy Twombly. Arbeiten auf Papier 1981-82. Köln,
Galerie Karsten Greve, 1982, Kat.-Nr. 33, mit ganzs. Farbabb.
€ 100.000 – 150.000
$ 108,000 – 162,000
Die farbige Zeichnung „Silex Scintillans“ scheint auf den ersten
Blick an eine Landschaft, den Verlauf einer Bucht oder auch
einen Gebirgszug über dem Meer zu erinnern. Ein warmer, rot
verdichteter Kern wird in deutlichem Kontrast von einer kühlen,
blauen Linienstruktur eingeschlossen. Darüber liegt wie eine
schützende Haube eine gelbe Linie. Blau und Gelb führen farbig
unverändert zur rechten Blatthälfte, das Rot hingegen verläuft,
abgeschwächt und mit Weiß vermengt, zum rechten Bildrand.
Unterhalb der Lineaturen hat Twombly in Blau und Schwarz in
Großbuchstaben den Titel „Silex Scintillans“ notiert, rechts ist
das Blatt mit einem weit auseinander gezogenen „C T“ in Rot
monogrammiert und daneben der Zeitraum festgehalten,
in dem die Zeichnung entstanden ist: „aug 81 / mar 82“.
Bereits 1957 tauchen erste lesbare Zeichen, Zitate und Texte
als Bestandteile in Cy Twomblys Bilderns auf. Verschiedene
Ausdrucksebenen gehen dabei eine vibrierende Synthese ein.
Die Suche nach dem Sinn von Malerei, Zeichnung und Schrift
wird der Assoziation des Betrachters überlassen. Twombly
selbst hat hervorgehoben: „Das Malen bestimmt das Gebilde,
deshalb erklärt es weitgehendst die Idee oder den Gefühlsinhalt
eines Bildes.“
Als Twombly im August 1981 mit der Arbeit „Silex Scintillans“
begann, hielt er sich in der italienischen Hafenstadt Gaeta
auf, deren malerische landschaftliche Umgebung offenbar die
Zeichnung inspiriert hat. Auch im Folgejahr hat der Künstler das
zwischen Rom und Neapel gelegene Küstenstädtchen besucht,
in dem er schon bald seinen Lebensmittelpunkt wählte. Mit dem
lateinischen Titel „Silex Scintillans“ (Funkensprühender Stein)
verweist Twombly auf das 1650 erschienene gleichnamige Hauptwerk des walisischen Dichters Henry Vaughan (1622-1695). Der
funkensprühende Stein ist darin die Metapher für ein durch die
Worte Gottes wiedererwecktes erkaltetes Herz. Die Natur dient
der Verwirklichung einer göttlichen Idee. Das Titelblatt der ersten
Ausgaben Vaughans zeigt Gottes Hand, die durch Wolken greifend,
mittels Berührung einen Stein in Form eines Herzens unter sprühenden Funken zum Schmelzen bringt. (AGT)
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Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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48 George Rickey
South Bend, Indiana 1907 – 2002 St. Paul, Minnesota
„Two Lines Up Excentric, Variation III“. 1975
Kinetische Edelstahlskulptur mit 2 beweglichen Nadeln
(Außenskulptur). Höhe: 300 cm, Breite (im Ruhezustand): 97 cm,
Nadeln: jeweils 211 cm (118 ⅛ in., 38 ¼ in., 83 ⅛ in.).
Auf der Bodenplatte signiert und datiert (eingeritzt): Rickey 1975.
Eines von 3 numerierten Exemplaren.
Auf temporäre Betonverankerungskonstruktion montiert. [3533] Provenienz: Privatsammlung, Großbritannien (erworben bei
Gimpel & Hanover Galerie, Zürich/London, seitdem in
Familienbesitz)
Ausstellung: George Rickey. Zürich/London Gimpel &
Hanover Galerie, 1975, Kat.-Nr. 23, mit Abb.
€ 100.000 – 150.000
$ 108,000 – 162,000
Wir danken Birgit Mieschonz, Estate of George Rickey,
East Chatham, für freundliche Hinweise.
NEU KORR_104
Zwei geknickte Stäbe, die sich nach oben hin wie Nadeln verjüngen, schreiben unsichtbare Kreise und Schleifen in die Luft. Sie
nähern sich an, kurz hält man den Atem an, aber sie berühren
sich nicht. Sie schwingen, pendeln oder stehen fast reglos im
Raum. Rickey hat einmal bekannt, daß die Bewegungsarten, die
dem kinetischen Künstler zur Verfügung stehen, überschaubar
seien, kaum mehr als die zwölf Töne umfaßten, die der abendländischen Musik zur Verfügung stünden.
Hier wie dort existieren jedoch zugleich unerschöpfliche
Möglichkeiten. Während aber das an den Notentext gebundene Musikstück bei jeder Aufführung zumindest ähnlich klingt,
sind die Bewegungsmöglichkeiten einer Skulptur von Rickey
unendlich. Die Abläufe gehorchen zwar den Naturgesetzen der
Schwerkraft und der Luftenergie, doch die Skulptur ergibt sich
auch den fließenden, modulierenden Kräften der Natur. Hierin
liegt ein poetischer Gedanke.
Jede Skulptur von Rickey gibt sich in Material und geometrischer
Form eindeutig als Werk des 20. Jahrhunderts zu erkennen.
Anders als der von ihm bewunderte Alexander Calder versucht Rickey nicht, die Natur zu imitieren. Der Künstler denkt
technisch-konstruktiv. Die Bewegungen seiner Arbeiten sind
koordiniert und geformt. In unserem Fall ist der kurze Teil des
geknickten Stabes viel schwerer als der lange Teil. Hierdurch
bewegen sich die Stäbe langsam, fast zögerlich. Das Vordringen
in den Raum vollzieht sich nicht mit machtvoller Geste, sondern
behutsam. Bei aller Beherrschung der Mittel spürt der Betrachter den Respekt vor den Wirkkräften der Natur. So bezeichnet
Werner Haftmann denn auch die Arbeiten Rickeys als „bildhafte
dichterische Metaphern einer zeitgenössischen Wirklichkeitserfahrung“ (George Rickey zum 80. Geburtstag. Skulpturen. Eine
Werkübersicht, Galerie Pels-Leusden, Berlin 1987). (OH)
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49 Bruno Goller
Gummersbach 1901 – 1998 Düsseldorf
Die Krawatte. 1971
Öl auf Leinwand. 190 x 160 cm (74 ¾ x 63 in.).
Unten rechts signiert: Bruno Goller.
[3489] Gerahmt.
Provenienz: Ehemals Johannes Wasmuth, Rolandseck
Ausstellung: Bruno Goller. Bilder, Zeichnungen. Remagen,
Bahnhof Rolandseck, 1991, ganzs. Farbabb. S. 117 / Bruno
Goller zum 95. Geburtstag. Bilder, Zeichnungen. Remagen,
Bahnhof Rolandseck, und Solingen, Museum Baden, 1996/97,
ganzs. Farbabb. S. 103 / Bruno Goller. Retrospektive zum
hundertsten Geburtstag. Krefeld, Haus Langen und Haus
Esters, und Winterthur, Kunstmuseum Winterthur, 2001/02,
Kat.-Nr. 44, ganzs. Farbabb. S. 77
Literatur und Abbildung: Volker Kahmen: Bruno Goller. Edition
Bahnhof Rolandseck, 1981, Nr. 107, ganzs. Abb., S. 198
€ 40.000 – 60.000
$ 43,100 – 64,700
Die stille Monumentalität dieses Gemäldes von Bruno Goller erklärt
sich aus der Perspektive des Malers: Die Krawatte, die dem
Gemälde den Titel gibt, hat die enorme Größe, weil dem 70jährigen
Künstler eine Kindheitserinnerung aufstieg, nämlich der Blick in
die Auslagen des Putzmachergeschäftes seiner Mutter, mit dem
Krawattenständer, dem zahlreichen Zierrat für Kleider und Hüte.
Nach dem frühen Tod des Vaters hatte Goller viel Zeit im mütterlichen Geschäft im Erdgeschoß des Wohnhauses verbracht, und
aus dieser fernen Welt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg schraubte
sich die Krawatte sowie die Bänder auf dem zweiten Ständer hinein
in Gollers Motivrepertoire (natürlich spielt das Gemälde auch mit
dem Phallussymbol, zu dem für den heranwachsenden Knaben die
Krawattenständer geworden sind).
Immer wieder gelingt es Bruno Goller, mit einem eingeschränkten
Themenfundus aus seinem direkten Umfeld Kunstwerke zu schaffen, die aus ihrer Zeit fallen. Die Vasen, Schleifen, Tassen und
Schüsseln, die er in seinen Bildern aufreiht, werden durch den so
spröden wie ausgeklügelten Malstil sofort aus ihrer Alltäglichkeit
gerissen und entfalten eine eigene Musealität. Er malt die Dinge so,
als seien es archäologische Funde der Antike. Verstärkt wird dieser
Effekt durch die Oberflächenhaptik und seine – man könnte fast
sagen – „etruskische Palette“, die den Leinwänden den Charakter
von gebranntem Ton verleihen.
Wie die zwei Enden eines Vorhangs läßt Goller bei unserem Bild
die beiden angeschnittenen roten Flächen links und rechts zur
Seite treten, um die Bühne zu bereiten für die Krawatte und den
Schleifenständer. Skulpturen gleich stehen Sie da, wie angegossen.
Und doch entwickeln die Muster auf ihnen ein Eigenleben, die
organischen Formen lösen sich auf und verdichten sich wie Zellen
unter einem Mikroskop; sie sind der einzige Bewegungsherd des
Gemäldes.
Besonderen Kunstwerken gelingt es, daß die persönliche Ebene
des Künstlers, so subjektiv sie auch sein mag, auf einer höheren
Ebene durch eine ganz andere gesellschaftliche Relevanz gesteigert wird. So verwandelt sich die Krawatte, die aus einer Kindheitserinnerung Bruno Gollers aufstieg, für uns heutige Betrachter zu
einem Bild aus dem Jahre 1971, zur halbironischen, halb dokumentarischen Darstellung einer Ikone der Angestelltenwelt, auch zu
einem versteinerten Männlichkeitssymbol (und dies alles lange
bevor die Krawatte im Werk von Claes Oldenburg die beiden
Assoziationsebenen mit den Mitteln der Pop Art in monumentale
Kunstwerke verwandelte).
Bruno Goller war ein Außenseiter und blieb es ein Leben lang.
Gefangen in den Bildern seiner Kindheit, legte er sogar seine
Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie nieder, um sich ganz
seinem Werk widmen zu können. Der Öffentlichkeit verweigerte er
sich, Ausstellungen eigentlich auch, wenn doch, dann nahm er
unter Protest teil. Nun hat seine Wiederentdeckung begonnen. (FI)
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50 Brigitte und Martin Matschinsky-Denninghoff
1923 – Berlin –2011 und Grötzingen 1921 – lebt in Berlin
„Pegasos“. 1980/81
Messing und Zinn, auf schwarz lackierten Holzsockel montiert.
120 x 75 x 95 cm (ohne Sockel) (47 ¼ x 29 ½ x 37 ⅜ in.).
Schwarz 424. –
Unikat. [3519] Provenienz: Privatsammlung, Hannover
Ausstellung: Matschinsky-Denninghoff. München, Galerie
von Laar, 1981 / Matschinsky-Denninghoff, Skulpturen und
Zeichnungen 1955-1985. Berlin, Akademie der Künste; Nürnberg,
Germanisches Nationalmuseum; Saarbrücken, Saarland-Museum,
1985, Kat.-Nr. 66, Abb. S. 26 / Matschinsky-Denninghoff.
Hannover, Galerie Kö, 1988
Literatur und Abbildung: Vingt Ans de Prix Bourdelle. Paris,
Musée Bourdelle, 1981, mit Abbildung
€ 80.000 – 120.000
$ 86,200 – 129,000
Seit 1955 arbeiteten die Bildhauerin Brigitte Meier-Denninghoff
und der gelernte Photograph Martin Matschinsky, die sich
am Theater begegnet waren, zusammen. Wenige Jahre später
entwickelten sie die spezifische Technik, die ihr gemeinsames
Schaffen über Jahrzehnte bestimmen sollte. Ihre Plastiken werden nicht modelliert und gegossen oder aus dem Stein herausgehauen, sondern aus unzähligen Drahtbündeln geschichtet
und geformt, verlötet und zur Einheit gefügt. Was mit den
Materialien Messing und Zinn begann, wurde später dauerhaft
und wetterbeständig aus Chromnickelstahl gebaut. Die frühen
Arbeiten haben den technisch perfektionierten des Spätwerks
eine fragilere Oberfläche voraus, doch auch das neue Verfahren
läßt die Skulpturen altern und eine Patina hervorbringen, die
ihren eigenen Reiz besitzt.
„Pegasos“ ist eine Kombination aus Rohr und Fläche. Ersteres
wächst aus dem Boden hervor, einmal fast rechtwinklig in den
Raum abbiegend, bevor es abrupt endet. Die Fläche schwingt
sich empor, verjüngt sich in die Luft. Diese Bahn wirkt wie
ein Stück Stoff, eine Standarte, ein langes, schmales Tuch.
Johannes Langner nennt das „Antithese des Organischen und
des Anorganischen, ein Grundthema des Schaffens der beiden
Künstler“, und sieht unter Berücksichtigung des Titels in der
Skulptur ein Symbol der Inspiration. (Matschinsky-Denninghoff.
Skulptur und Zeichnung 1955-1985, Ausst.-Kat. Akademie der
Künste, Berlin 1985, S. 26)
Der traditionellen Erwartung an eine Freiplastik, „von allen
Seiten gleich schön“ zu sein, folgt das abstrakte Bildwerk vollkommen. Brigitte Meier-Denninghoff ist durch Antoine Pevsner,
bei dem sie gearbeitet hat, mit der dynamischen Form im Raum
vertraut geworden, das photographisch geschulte Auge Martin
Matschinskys erspürt hinter einer Ansicht auch ihre Varianten
von der Seite oder von hinten. Und so ruht die Plastik in sich
selbst, erlaubt aber den Gedanken, den sie umspielenden
Kräften nachzuspüren und sie mit Assoziationen zu füllen. (EO)
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Grisebach 06/2015
Grisebach 06/2015
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Villa Grisebach
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Kunst des 19. Jahrhunderts
Photographie
Mittwoch, 3. Juni 2015 · 14 Uhr
Mittwoch, 3. Juni 2015 · 17.30 Uhr
Moderne Kunst
Graphik und Editionen
Freitag, 5. Juni 2015 · 11 Uhr
Freitag, 5. Juni 2015 · 14.30 Uhr
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Werke aus der
Sammlung Manfred Wandel
van Gogh bis Twombly
Ausgewählte Werke
Donnerstag, 4. Juni 2015 · 11 Uhr
Donnerstag, 4. Juni 2015 · 17 Uhr
Contemporary Art
Third Floor
Freitag, 5. Juni 2015 · 18 Uhr
Samstag, 6. Juni 2015
11 Uhr / 15 Uhr
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Englisch erhältlich.
1. Descriptions in English of each item included in this
catalogue are available online or upon request.
2. Basis für die Umrechnung der EUR-Schätzpreise:
1 US $ = EUR 0,928 (Kurs vom 1. April 2015)
3. Bei den Katalogangaben sind Titel und Datierung, wenn
vorhanden, vom Künstler bzw. aus den Werkverzeichnissen
übernommen. Diese Titel sind durch Anführungszeichen
gekennzeichnet. Undatierte Werke haben wir anhand der
Literatur oder stilistisch begründbar zeitlich zugeordnet.
2. The basis for the conversion of the EUR-estimates:
1 US $ = EUR 0,928 (rate of exchange 1 April 2015)
4. Alle Werke wurden neu vermessen, ohne die Angaben in
Werkverzeichnissen zu übernehmen. Die Maßangaben sind
in Zentimetern und Inch aufgeführt. Es gilt Höhe vor Breite, wobei bei Originalen die Blattgröße, bei Drucken die Darstel-
lungsgröße bzw. Plattengröße angegeben wird. Wenn Papier- und Darstellungsmaß nicht annähernd gleich sind, ist die Papiergröße in runden Klammern angegeben. Signaturen,
Bezeichnungen und Gießerstempel sind aufgeführt. „Bezeichnung“ bedeutet eine eigenhändige Aufschrift des
Künstlers, im Gegensatz zu einer „Beschriftung“ von fremder
Hand. Bei druckgraphischen Werken wurde auf Angabe der
gedruckten Bezeichnungen verzichtet.
5. Bei den Papieren meint „Büttenpapier“ ein Maschinenpapier
mit Büttenstruktur. Ergänzende Angaben wie „JW Zanders“
oder „BFK Rives“ beziehen sich auf Wasserzeichen.
Der Begriff „Japanpapier“ bezeichnet sowohl echtes wie
auch maschinell hergestelltes Japanpapier.
6. Sämtliche zur Versteigerung gelangenden Gegenstände
können vor der Versteigerung besichtigt und geprüft
werden; sie sind gebraucht. Der Erhaltungszustand der
Kunstwerke ist ihrem Alter entsprechend; Mängel werden
in den Katalogbeschreibungen nur erwähnt, wenn sie den
optischen Gesamteindruck der Arbeiten beeinträchtigen.
Für jedes Kunstwerk liegt ein Zustandsbericht vor, der
angefordert werden kann.
3. The titles and dates of works of art provided in quotation
marks originate from the artist or are taken from the
catalogue raisonné. These titles are printed within quotation
marks. Undated works have been assigned approximate
dates by Villa Grisebach based on stylistic grounds and
available literature.
4. Dimensions given in the catalogue are measurements taken
in centimeters and inches (height by width) from the actual
works. For originals, the size given is that of the sheet;for
prints, the size refers to the plate or block image. Where that
differs from the size of the sheet on which it is printed, the
dimensions of the sheet follow in parentheses ( ). Special
print marks or designations for these works are not noted in
the catalogue. “Bezeichnung” (“inscription”) means an
inscription from the artist’s own hand, in contrast to
“Beschriftung” (“designation”) which indicates an inscription
from the hand of another.
5. When describing paper, „Bütten paper” denotes machine made paper manufactured with the texture and finish of
„Bütten”. Other designations of paper such as „JW Zanders”
or „BFK Rives” refer to respective watermarks. The term
„Japan paper” refers to both hand and machine-made
Japan paper.
6. All sale objects may be viewed and examined before the
auction; they are sold as is. The condition of the works
corresponds to their age. The catalogues list only such
defects in condition as impair the overall impression of the
art work. For every lot there is a condition report which
can be requested.
7. Die in eckigen Klammern gesetzten Zeichen beziehen sich
auf die Einlieferer, wobei [E] die Eigenware kennzeichnet.
7. Those numbers printed in brackets [ ] refer to the consignors
listed in the Consignor Index, with [E] referring to property
owned by Villa Grisebach Auktionen.
8. Es werden nur die Werke gerahmt versteigert, die gerahmt
eingeliefert wurden.
8. Only works already framed at the time of consignment
will be sold framed.
114
Auktion in Berlin · 3./4. Juli 2015 · Katalogbestellung: [email protected]
Lavinia Fontana de Zappis · Bildnis eines jungen Mannes · 1581 · Öl auf Leinwand · 76 x 63 cm (Detail)
Versteigerungsbedingungen
der Villa Grisebach Auktionen GmbH
§ 1 Der Versteigerer
1. Die Versteigerung erfolgt im Namen der Villa Grisebach Auktionen GmbH –
nachfolgend: „Grisebach“ genannt. Der Auktionator handelt als deren
Vertreter. Er ist gem. § 34b Abs. 5 GewO öffentlich bestellt.
Die Versteigerung ist somit eine öffentliche Versteigerung i.S. § 474 Abs. 1
S. 2 und § 383 Abs. 3 BGB.
2. Die Versteigerung erfolgt in der Regel für Rechnung des Einlieferers,
der unbenannt bleibt. Nur die im Eigentum von Grisebach befindlichen
Kunstgegenstände werden für eigene Rechnung versteigert.
Sie sind im Katalog mit „E“ gekennzeichnet.
3. Die Versteigerung erfolgt auf der Grundlage dieser Versteigerungs­bedingungen.
Die Versteigerungsbedingungen sind im Auktionskatalog,
im Internet und durch deutlich sichtbaren Aushang in den Räumen von
Grisebach veröffentlicht. Durch Abgabe eines Gebots erkennt der Käufer
diese Versteigerungsbedingungen als verbindlich an.
§ 2 Katalog, Besichtigung und Versteigerungstermin
1.Katalog
Vor der Versteigerung erscheint ein Auktionskatalog. Darin werden zur
allgemeinen Orientierung die zur Versteigerung kommenden Kunst­gegen­stände
abgebildet und beschrieben. Der Katalog enthält zusätz­lich Angaben über
Urheberschaft, Technik und Signatur des Kunst­gegen­standes. Nur sie
bestimmen die Beschaffenheit des Kunst­gegen­standes. Im übrigen ist der
Katalog weder für die Beschaffenheit des Kunstgegenstandes noch für dessen
Erscheinungsbild (Farbe) maß­gebend. Der Katalog weist einen Schätzpreis
in Euro aus, der jedoch lediglich als Anhaltspunkt für den Verkehrswert des
Kunst­gegen­stan­des dient, ebenso wie etwaige Angaben in anderen
Währungen.
Der Katalog wird von Grisebach nach bestem Wissen und Gewissen und
mit großer Sorgfalt erstellt. Er beruht auf den bis zum Zeitpunkt der
Versteigerung veröffentlichten oder sonst allgemein zugänglichen
Erkenntnissen sowie auf den Angaben des Einlieferers.
Für jeden der zur Versteigerung kommenden Kunstgegenstände kann bei
ernstlichem Interesse ein Zustandsbericht von Grisebach angefordert und
es können etwaige von Grisebach eingeholte Expertisen eingesehen werden.
Die im Katalog, im Zustandsbericht oder in Expertisen enthaltenen Angaben
und Beschreibungen sind Einschätzungen, keine Garantien im Sinne des
§ 443 BGB für die Beschaffenheit des Kunstgegenstandes.
Grisebach ist berechtigt, Katalogangaben durch Aushang am Ort der
Versteigerung und unmittelbar vor der Versteigerung des betreffen­den
Kunstgegenstandes mündlich durch den Auktionator zu berichtigen oder zu
ergänzen.
2.Besichtigung
Alle zur Versteigerung kommenden Kunstgegenstände werden vor der
Versteigerung zur Vorbesichtigung ausgestellt und können besichtigt und
geprüft werden. Ort und Zeit der Besichtigung, die Grisebach fest­legt,
sind im Katalog angegeben. Die Kunstgegenstände sind gebraucht und
werden in der Beschaffenheit versteigert, in der sie sich im Zeit­punkt der
Versteigerung befinden.
3. Grisebach bestimmt Ort und Zeitpunkt der Versteigerung.
Sie ist berechtigt, Ort oder Zeitpunkt zu ändern, auch wenn der
Auktions­katalog bereits versandt worden ist.
§ 3 Durchführung der Versteigerung
1.Bieternummer
Jeder Bieter erhält von Grisebach eine Bieternummer.
Er hat die Verstei­gerungsbedingungen als verbindlich anzuerkennen.
Von unbekannten Bietern benötigt Grisebach zur Erteilung der
Bieternummer spätestens 24 Stunden vor Beginn der Versteigerung
eine schriftliche Anmel­dung mit beigefügter zeitnaher Bankreferenz.
Nur unter einer Bieternummer abgegebene Gebote werden auf der
Verstei­gerung berücksichtigt.
2.Aufruf
Die Versteigerung des einzelnen Kunstgegenstandes beginnt mit dessen
Aufruf durch den Auktionator. Er ist berechtigt, bei Aufruf von der im Katalog
vorgesehenen Reihenfolge abzuweichen, Los-Nummern zu verbinden oder zu
trennen oder eine Los-Nummer zurückzuziehen.
Der Preis wird bei Aufruf vom Auktionator festgelegt, und zwar in Euro.
Gesteigert wird um jeweils 10 % des vorangegangenen Gebots, sofern der
Auktionator nicht etwas anderes bestimmt.
3.Gebote
a) Gebote im Saal
Gebote im Saal werden unter Verwendung der Bieternummer abgegeben.
Ein Vertrag kommt durch Zuschlag des Auktionators zustande.
Will ein Bieter Gebote im Namen eines Dritten abgeben, hat er dies mindestens 24 Stunden vor Beginn der Versteigerung von Grisebach unter Vorlage
einer Vollmacht des Dritten anzuzeigen. Anderenfalls kommt bei Zuschlag der
Vertrag mit ihm selbst zustande.
b) Schriftliche Gebote
Mit Zustimmung von Grisebach können Gebote auf einem dafür vorgesehenen
Formular auch schriftlich abgegeben werden. Sie müssen vom Bieter unterzeichnet sein und unter Angabe der Los-Nummer, des Künstlers und des
Titels den für den Kunstgegenstand gebotenen Hammerpreis nennen.
Der Bieter muss die Versteigerungsbedingungen als verbindlich anerkennen.
Mit dem schriftlichen Gebot beauftragt der Bieter Grisebach, seine Gebote
unter Berücksichtigung seiner Weisungen abzugeben. Das schriftliche
Gebot wird von Grisebach nur mit dem Betrag in Anspruch genommen,
der erforderlich ist, um ein anderes Gebot zu überbieten.
Ein Vertrag auf der Grundlage eines schriftlichen Gebots kommt mit dem
Bieter durch den Zuschlag des Auktionators zustande.
Gehen mehrere gleich hohe schriftliche Gebote für denselben Kunst­
gegenstand ein, erhält das zuerst eingetroffene Gebot den Zuschlag,
wenn kein höheres Gebot vorliegt oder abgegeben wird.
c) Telefonische Gebote
Telefonische Gebote sind zulässig, wenn der Bieter mindestens 24 Stunden
vor Beginn der Versteigerung dies schriftlich beantragt und Grisebach
zugestimmt hat. Der Bieter muss die Versteigerungs­bedingungen als
verbindlich anerkennen.
Die telefonischen Gebote werden von einem während der Verstei­gerung im
Saal anwesenden Mitarbeiter von Grisebach entgegen­genommen und unter
Berücksichtigung der Weisungen des Bieters während der Versteigerung
abgegeben. Das von dem Bieter genannte Gebot bezieht sich ausschließlich
auf den Hammerpreis, umfasst also nicht Aufgeld, etwaige Umlagen und
Umsatzsteuer, die hinzukommen. Das Gebot muss den Kunstgegenstand,
auf den es sich bezieht, zweifelsfrei und möglichst unter Nennung der
Los-Nummer, des Künstlers und des Titels, benennen.
Telefonische Gebote können von Grisebach aufgezeichnet werden.
Mit dem Antrag zum telefonischen Bieten erklärt sich der Bieter mit der
Aufzeichnung einverstanden. Die Aufzeichnung wird spätestens nach drei
Monaten gelöscht, sofern sie nicht zu Beweiszwecken benötigt wird.
d) Gebote über das Internet
Gebote über das Internet sind nur zulässig, wenn der Bieter von Grisebach zum
Bieten über das Internet unter Verwendung eines Benutzernamens und eines
Passwortes zugelassen worden ist und die Versteigerungsbedingungen als
verbindlich anerkennt. Die Zulassung erfolgt ausschließlich für die Person des
Zugelassenen, ist also höchst­persönlich. Der Benutzer ist verpflichtet, seinen
Benutzernamen und sein Passwort Dritten nicht zugänglich zu machen. Bei schuldhafter Zuwiderhandlung haftet er Grisebach für daraus entstandene Schäden.
Gebote über das Internet sind nur rechtswirksam, wenn sie hinreichend
bestimmt sind und durch Benutzernamen und Passwort zweifelsfrei dem
Bieter zuzuordnen sind. Die über das Internet übertragenen Gebote werden
elektronisch protokolliert. Die Richtigkeit der Protokolle wird vom Käufer
anerkannt, dem jedoch der Nachweis ihrer Unrichtig­keit offensteht.
Grisebach behandelt Gebote, die vor der Versteigerung über das Inter­net
abgegeben werden, rechtlich wie schriftliche Gebote. Internetgebote
während einer laufenden Versteigerung werden wie Gebote aus dem
Saal berücksichtigt.
117
4.
a)
b)
c)
d)
–
–
–
e)
Der Zuschlag
Der Zuschlag wird erteilt, wenn nach dreimaligem Aufruf eines Gebots kein
höheres Gebot abgegeben wird. Der Zuschlag verpflichtet den Bieter, der
unbenannt bleibt, zur Abnahme des Kunstgegenstandes und zur Zahlung
des Kaufpreises (§ 4 Ziff. 1).
Der Auktionator kann bei Nichterreichen des Limits einen Zuschlag unter
Vorbehalt erteilen. Ein Zuschlag unter Vorbehalt wird nur wirk­sam, wenn
Grisebach das Gebot innerhalb von drei Wochen nach dem Tag der
Versteigerung schriftlich bestätigt. Sollte in der Zwischenzeit ein anderer
Bieter mindestens das Limit bieten, erhält dieser ohne Rücksprache mit
dem Bieter, der den Zuschlag unter Vorbehalt erhalten hat, den Zuschlag.
Der Auktionator hat das Recht, ohne Begründung ein Gebot abzulehnen
oder den Zuschlag zu verweigern. Wird ein Gebot abgelehnt oder der
Zuschlag verweigert, bleibt das vorangegangene Gebot wirksam.
Der Auktionator kann einen Zuschlag zurücknehmen und den
Kunst­gegenstand innerhalb der Auktion neu ausbieten,
wenn ein rechtzeitig abgegebenes höheres Gebot von ihm übersehen
und dies von dem übersehenen Bieter unverzüglich beanstandet worden ist,
wenn ein Bieter sein Gebot nicht gelten lassen will oder
wenn sonst Zweifel über den Zuschlag bestehen.
Übt der Auktionator dieses Recht aus, wird ein bereits erteilter Zuschlag
unwirksam.
Der Auktionator ist berechtigt, ohne dies anzeigen zu müssen, bis zum
Erreichen eines mit dem Einlieferer vereinbarten Limits auch Gebote für
den Einlieferer abzugeben und den Kunstgegenstand dem Einlieferer unter
Benennung der Einlieferungsnummer zuzuschlagen. Der Kunstgegenstand
bleibt dann unverkauft.
§ 4 Kaufpreis, Zahlung, Verzug
1.Kaufpreis
Der Kaufpreis besteht aus dem Hammerpreis zuzüglich Aufgeld.
Hinzu­kommen können pauschale Gebühren sowie die gesetzliche
Umsatz­steuer.
A. a) Bei Kunstgegenständen ohne besondere Kennzeichnung im Katalog berechnet sich der Kaufpreis wie folgt:
Bei Käufern mit Wohnsitz innerhalb des Gemeinschaftsgebietes der
Europäischen Union (EU) berechnet Grisebach auf den Hammerpreis ein
Aufgeld von 30 %. Auf den Teil des Hammer­preises, der 500.000 EUR
übersteigt, wird ein Aufgeld von 25 % berechnet. Auf den Teil des
Hammer­preises, der 1.000.000 EUR übersteigt, wird ein Aufgeld von
20 % berechnet. In diesem Aufgeld sind alle pauschalen Gebühren
sowie die gesetzliche Umsatzsteuer enthalten (Differenzbesteuerung
nach § 25a UStG). Sie werden bei der Rechnungstellung nicht einzeln
ausgewiesen.
Käufern, denen nach dem Umsatzsteuergesetz (UStG) im Inland
geliefert wird und die zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, kann auf
Wunsch die Rechnung nach der Regelbesteuerung gemäß Absatz B.
ausgestellt werden. Dieser Wunsch ist bei Beantragung der Bieter­
nummer anzugeben. Eine Korrektur nach Rechnungsstellung ist nicht
möglich.
b) Bei Kunstwerken mit der Kennzeichnung „N“ für Import handelt es
sich um Kunstwerke, die in die EU zum Verkauf eingeführt wurden.
In diesen Fällen wird zusätzlich zum Aufgeld die verauslagte
Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von derzeit 7 % des Hammerpreises
erhoben.
B. Bei im Katalog mit dem Buchstaben „R“ hinter der Losnummer gekennzeichneten Kunstgegenständen berechnet sich der Kaufpreis wie folgt:
a)Aufgeld
Auf den Hammerpreis berechnet Grisebach ein Aufgeld von 25 %.
Auf den Teil des Hammerpreises, der 500.000 EUR übersteigt, wird
ein Aufgeld von 20 % berechnet. Auf den Teil des Hammerpreises, der
1.000.000 EUR übersteigt, wird ein Aufgeld von 15 % berechnet.
b)Umsatzsteuer
Auf den Hammerpreis und das Aufgeld wird die jeweils gültige
gesetzliche Umsatzsteuer erhoben (Regelbesteuerung mit „R“
gekennzeichnet). Sie beträgt derzeit 19 %.
c)Umsatzsteuerbefreiung
Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegenständen
berechnet, die in Staaten innerhalb der EU von Unternehmen er­worben
und aus Deutschland exportiert werden, wenn diese bei Beantragung
und Erhalt ihrer Bieter­nummer ihre Umsatzsteuer-Identifikations­nummer
angegeben haben. Eine nachträgliche Be­rücksichtigung, insbesondere
eine Korrektur nach Rechnungs­stellung, ist nicht möglich.
Keine Umsatzsteuer wird für den Verkauf von Kunstgegen­ständen
118
berechnet, die gemäß § 6 Abs. 4 UStG in Staaten außerhalb der EU
geliefert werden und deren Käufer als ausländische Abnehmer gelten
und dies entsprechend § 6 Abs. 2 UStG nachgewiesen haben.
Im Ausland anfallende Einfuhr­umsatz­steuer und Zölle trägt der Käufer.
Die vorgenannten Regelungen zur Umsatzsteuer entsprechen dem
Stand der Gesetzgebung und der Praxis der Finanzverwaltung.
Änderungen sind nicht ausgeschlossen.
2. Fälligkeit und Zahlung
Der Kaufpreis ist mit dem Zuschlag fällig.
Der Kaufpreis ist in Euro an Grisebach zu entrichten. Schecks und
andere unbare Zahlungen werden nur erfüllungshalber angenommen.
Eine Begleichung des Kaufpreises durch Aufrechnung ist nur mit
un­be­strittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen zulässig.
Bei Zahlung in ausländischer Währung gehen ein etwaiges Kursrisiko
sowie alle Bankspesen zulasten des Käufers.
3.Verzug
Ist der Kaufpreis innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Rechnung
noch nicht beglichen, tritt Verzug ein.
Ab Eintritt des Verzuges verzinst sich der Kaufpreis mit 1 % monatlich,
unbeschadet weiterer Schadensersatzansprüche.
Zwei Monate nach Eintritt des Verzuges ist Grisebach berechtigt und auf
Verlangen des Einlieferers verpflichtet, diesem Name und Anschrift des
Käufers zu nennen.
Ist der Käufer mit der Zahlung des Kaufpreises in Verzug, kann Grise­bach
nach Setzung einer Nachfrist von zwei Wochen vom Vertrag zurücktreten.
Damit erlöschen alle Rechte des Käufers an dem erstei­gerten Kunst­gegen­
stand.
Grisebach ist nach Erklärung des Rücktritts berechtigt, vom Käufer
Schadensersatz zu verlangen. Der Schadensersatz umfasst insbe­sondere
das Grisebach entgangene Entgelt (Einliefererkommission und Aufgeld),
sowie angefallene Kosten für Katalogabbildungen und die bis zur Rückgabe
oder bis zur erneuten Versteigerung des Kunst­gegen­­standes anfallenden
Transport-, Lager- und Versicherungs­­kosten.
Wird der Kunstgegenstand an einen Unterbieter verkauft oder in der
nächsten oder übernächsten Auktion versteigert, haftet der Käufer
außerdem für jeglichen Mindererlös.
Grisebach hat das Recht, den säumigen Käufer von künftigen Verstei­gerungen
auszuschließen und seinen Namen und seine Adresse zu Sperrzwecken an
andere Auktionshäuser weiterzugeben.
§ 5 Nachverkauf
Während eines Zeitraums von zwei Monaten nach der Auktion können nicht
versteigerte Kunstgegenstände im Wege des Nachverkaufs erworben werden.
Der Nachverkauf gilt als Teil der Versteigerung. Der Interessent hat persönlich,
telefonisch, schriftlich oder über das Internet ein Gebot mit einem bestimmten
Betrag abzugeben und die Versteigerungsbedingungen als verbindlich anzuerkennen. Der Vertrag kommt zustande, wenn Grisebach das Gebot innerhalb
von drei Wochen nach Eingang schriftlich annimmt.
Die Bestimmungen über Kaufpreis, Zahlung, Verzug, Abholung und Haftung für
in der Versteigerung erworbene Kunstgegenstände gelten entsprechend.
§ 6 Entgegennahme des ersteigerten Kunstgegenstandes
1.Abholung
Der Käufer ist verpflichtet, den ersteigerten Kunstgegenstand spätestens
einen Monat nach Zuschlag abzuholen.
Grisebach ist jedoch nicht verpflichtet, den ersteigerten Kunst­gegen­stand
vor vollständiger Bezahlung des in der Rechnung ausgewiesenen Betrages
an den Käufer herauszugeben.
Das Eigentum geht auf den Käufer erst nach vollständiger Begleichung des
Kaufpreises über.
2.Lagerung
Bis zur Abholung lagert Grisebach für die Dauer eines Monats, gerech­net ab
Zuschlag, den ersteigerten Kunstgegenstand und versichert ihn auf eigene
Kosten in Höhe des Kaufpreises. Danach hat Grisebach das Recht, den
Kunstgegenstand für Rechnung des Käufers bei einer Kunst­spedition einzulagern und versichern zu lassen. Wahlweise kann Grise­bach statt dessen den
Kunstgegenstand in den eigenen Räumen ein­lagern gegen Berechnung einer
monatlichen Pauschale von 0,1 % des Kaufpreises für Lager- und
Versicherungskosten.
3.Versand
Beauftragt der Käufer Grisebach schriftlich, den Transport des ersteigerten
Kunstgegenstandes durchzuführen, sorgt Grisebach, sofern der Kaufpreis vollständig bezahlt ist, für einen sachgerechten Transport des Werkes zum Käufer
oder dem von ihm benannten Em­pfän­­ger durch eine Kunstspedition und
schließt eine entsprechende Transportversicherung ab. Die Kosten für
Verpackung, Versand und Versicherung trägt der Käufer.
4.Annahmeverzug
Holt der Käufer den Kunstgegenstand nicht innerhalb von einem Monat ab
(Ziffer 1) und erteilt er innerhalb dieser Frist auch keinen Auftrag zur
Versendung des Kunstgegenstandes (Ziffer 3), gerät er in Annahme­verzug.
5. Anderweitige Veräußerung
Veräußert der Käufer den ersteigerten Kunstgegenstand seinerseits, bevor
er den Kaufpreis vollständig bezahlt hat, tritt er bereits jetzt erfüllungshalber
sämtliche Forderungen, die ihm aus dem Weiterverkauf zustehen, an
Grisebach ab, welche die Abtretung hiermit annimmt. Soweit die abgetretenen
Forderungen die Grisebach zuste­henden Ansprüche übersteigen, ist Grisebach
verpflichtet, den zur Erfüllung nicht benötigten Teil der abgetretenen Forderung
unverzüglich an den Käufer abzutreten.
§ 7 Haftung
1. Beschaffenheit des Kunstgegenstandes
Der Kunstgegenstand wird in der Beschaffenheit veräußert, in der er sich bei
Erteilung des Zuschlags befindet und vor der Versteigerung besichtigt und
geprüft werden konnte. Ergänzt wird diese Beschaffen­heit durch die Angaben
im Katalog (§ 2 Ziff. 1) über Urheberschaft, Technik und Signatur des
Kunstgegenstandes. Sie beruhen auf den bis zum Zeitpunkt der Versteigerung
veröffentlichten oder sonst allgemein zugänglichen Erkennt­nissen sowie auf
den Angaben des Einlieferers. Weitere Beschaffen­heits­merkmale sind nicht
verein­bart, auch wenn sie im Katalog beschrieben oder erwähnt sind oder
sich aus schriftlichen oder mündlichen Auskünften, aus einem Zustands­
bericht, Expertisen oder aus den Abbildungen des Katalogs ergeben sollten.
Eine Garantie (§ 443 BGB) für die vereinbarte Beschaffenheit des
Kunstgegenstandes wird nicht übernommen.
2. Rechte des Käufers bei einem Rechtsmangel (§ 435 BGB)
Weist der erworbene Kunstgegenstand einen Rechtsmangel auf, weil an
ihm Rechte Dritter bestehen, kann der Käufer innerhalb einer Frist von zwei
Jahren (§ 438 Abs. 4 und 5 BGB) wegen dieses Rechts­man­gels vom Vertrag
zurücktreten oder den Kaufpreis mindern (§ 437 Nr. 2 BGB). Im übrigen werden die Rechte des Käufers aus § 437 BGB, also das Recht auf Nach­erfüllung,
auf Schadenersatz oder auf Ersatz ver­geblicher Aufwendungen ausgeschlossen, es sei denn, der Rechts­mangel ist arglistig verschwiegen worden.
3. Rechte des Käufers bei Sachmängeln (§ 434 BGB)
Weicht der Kunstgegenstand von der vereinbarten Beschaffenheit
(Urheberschaft, Technik, Signatur) ab, ist der Käufer berech­tigt, innerhalb
von zwei Jahren ab Zuschlag (§ 438 Abs. 4 BGB) vom Vertrag zurückzutreten.
Er erhält den von ihm gezahlten Kaufpreis (§ 4 Ziff. 1 der Verstei­gerungsbedingungen) zurück, Zug um Zug gegen Rückgabe des Kaufgegenstandes in
unverändertem Zustand am Sitz von Grisebach. Ansprüche auf Minderung
des Kaufpreises (§ 437 Nr. 2 BGB), auf Schadens­ersatz oder auf Ersatz
vergeblicher Aufwendungen (§ 437 Nr. 3 BGB) sind ausgeschlossen.
Dieser Haftungsausschluss gilt nicht, soweit Grisebach den Mangel
arglistig verschwiegen hat.
Das Rücktrittsrecht wegen Sachmangels ist ausgeschlossen, sofern Grisebach
den Kunstgegenstand für Rechnung des Einlieferers ver­äußert hat und die
größte ihr mögliche Sorgfalt bei Ermittlung der im Katalog genannten
Urheberschaft, Technik und Signatur des Kunst­gegenstandes aufgewandt
hat und keine Gründe vorlagen, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
In diesem Falle verpflichtet sich Grisebach, dem Käufer das Aufgeld, etwaige
Umlagen und die Umsatz­steuer zu erstatten.
Außerdem tritt Grisebach dem Käufer alle ihr gegen den Einlieferer, dessen
Name und Anschrift sie dem Käufer mitteilt, zustehenden Ansprüche wegen
der Mängel des Kunstgegenstandes ab. Sie wird ihn in jeder zulässigen und
ihr möglichen Weise bei der Geltendmachung dieser Ansprüche gegen den
Einlieferer unterstützen.
4. Fehler im Versteigerungsverfahren
Grisebach haftet nicht für Schäden im Zusammenhang mit der Abgabe von
mündlichen, schriftlichen, telefonischen oder Internetgeboten, soweit ihr
nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Dies gilt insbesondere
für das Zustandekommen oder den Bestand von Telefon-, Fax- oder Datenleitungen sowie für Übermittlungs-, Über­tragungs- oder Übersetzungsfehler
im Rahmen der eingesetzten Kommunikationsmittel oder seitens der für die
Entgegennahme und Weitergabe eingesetzten Mitarbeiter. Für Missbrauch
durch unbefugte Dritte wird nicht gehaftet. Die Haftungsbeschränkung gilt
nicht für Schäden an der Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit.
5.Verjährung
Für die Verjährung der Mängelansprüche gelten die gesetzlichen
Verjährungsfristen des § 438 Abs. 1 Ziffer 3 BGB (2 Jahre).
§ 8 Schlussbestimmungen
1.Nebenabreden
Änderungen dieser Versteigerungsbedingungen im Einzelfall oder
Nebenabreden bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform.
2. Fremdsprachige Fassung der Versteigerungsbedingungen
Soweit die Versteigerungsbedingungen in anderen Sprachen als der
deutschen Sprache vorliegen, ist stets die deutsche Fassung maßgebend.
3. Anwendbares Recht
Es gilt ausschließlich das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Das
Abkommen der Vereinten Nationen über Verträge des internationalen
Warenkaufs (CISG) findet keine Anwendung.
4.Erfüllungsort
Erfüllungsort und Gerichtsstand ist, soweit dies rechtlich vereinbart werden
kann, Berlin.
5. Salvatorische Klausel
Sollte eine oder mehrere Bestimmungen dieser Versteigerungsbedingungen
unwirksam sein oder werden, bleibt die Gültigkeit der übrigen Bestimmungen
davon unberührt. Anstelle der unwirksamen Bestimmung gelten die
entsprechenden gesetzlichen Vorschriften.
119
Conditions of Sale
of Villa Grisebach Auktionen GmbH
Section 1 The Auction House
1. The auction will be implemented on behalf of Grisebach Auktionen GmbH –
referred to hereinbelow as “Grisebach”. The auctioneer will be acting as
Grisebach’s representative. The auctioneer is an expert who has been publicly
appointed in accordance with Section 34b paragraph 5 of the Gewerbeordnung
(GewO, German Industrial Code). Accordingly, the auction is a public auction as
defined by Section 474 paragraph 1 second sentence and Section 383
paragraph 3 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code).
2. As a general rule, the auction will be performed on behalf of the Consignor,
who will not be named. Solely those works of art owned by Grisebach shall
be sold at auction for the account of Grisebach. Such items will be marked
by an “E” in the catalogue.
3. The auction shall be performed on the basis of the present Conditions of Sale.
The Conditions of Sale are published in the catalogue of the auction and on the
internet; furthermore, they are posted in an easily accessible location in the
Grisebach spaces. By submitting a bid, the buyer acknowledges the Conditions
of Sale as being binding upon it.
Section 2 Catalogue, Pre-Sale Exhibition and Date of the Auction
1.Catalogue
Prior to the auction date, an auction catalogue will be published. This provides
general orientation in that it shows images of the works of art to be sold at
auction and describes them. Additionally, the catalogue will provide information
on the work’s creator(s), technique, and signature. These factors alone will
define the characteristic features of the work of art. In all other regards, the
catalogue will not govern as far as the characteristics of the work of art or its
appearance are concerned (color). The catalogue will provide estimated prices in
EUR amounts, which, however, serve solely as an indication of the fair market
value of the work of art, as does any such information that may be provided in
other currencies.
Grisebach will prepare the catalogue to the best of its knowledge and belief,
and will exercise the greatest of care in doing so. The catalogue will be based
on the scholarly knowledge published up until the date of the auction, or
otherwise generally accessible, and on the information provided by the
Consignor.
Seriously interested buyers have the opportunity to request that Grisebach
provide them with a report outlining the condition of the work of art (condition
report), and they may also review any expert appraisals that Grisebach may
have obtained.
The information and descriptions contained in the catalogue, in the condition
report or in expert appraisals are estimates; they do not constitute any
guarantees, in the sense as defined by Section 443 of the Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB, German Civil Code), for the characteristics of the work of art.
Grisebach is entitled to correct or amend any information provided in the
catalogue by posting a notice at the auction venue and by having the auctioneer
make a corresponding statement immediately prior to calling the bids for the
work of art concerned.
2. Pre-sale exhibition
All of the works of art that are to be sold at auction will be exhibited prior to
the sale and may be viewed and inspected. The time and date of the pre-sale
exhibition, which will be determined by Grisebach, will be set out in the
catalogue. The works of art are used and will be sold “as is”, in other words
in the condition they are in at the time of the auction.
3. Grisebach will determine the venue and time at which the auction is to be held.
It is entitled to modify the venue and the time of the auction, also in those cases
in which the auction catalogue has already been sent out.
Section 3 Calling the Auction
1. Bidder number
Grisebach will issue a bidder number to each bidder. Each bidder is to
acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it.
At the latest twenty-four (24) hours prior to the start of the auction, bidders as
yet unknown to Grisebach must register in writing, providing a written bank
reference letter of recent date, so as to enable Grisebach to issue a bidder
number to them.
At the auction, only the bids submitted using a bidder number will be considered.
2. Item call-up
The auction of the individual work of art begins by its being called up by the
auctioneer. The auctioneer is entitled to call up the works of art in a different
sequence than that published in the catalogue, to join catalogue items to form a
lot, to separate a lot into individual items, and to pull an item from the auction
that has been given a lot number.
When the work of art is called up, its price will be determined by the auctioneer,
denominated in euros. Unless otherwise determined by the auctioneer, the bid
increments will amount to 10 % of the respective previous bid.
3.Bids
a) Floor bids
Floor bids will be submitted using the bidder number. A sale and purchase
agreement will be concluded by the auctioneer bringing down the hammer to
end the bidding process.
Where a bidder wishes to submit bids in the name of a third party, it must notify
Grisebach of this fact at the latest twenty-four (24) hours prior to the auction
commencing, submitting a corresponding power of attorney from that third party.
In all other cases, once the work of art has been knocked down, the sale and
purchase agreement will be concluded with the person who has placed the bid.
b) Written absentee bids
Subject to Grisebach consenting to this being done, bids may also be submitted
in writing using a specific form developed for this purpose. The bidder must sign
the form and must provide the lot number, the name of the artist, the title of the
work of art and the hammer price it wishes to bid therefor. The bidder must
acknowledge the Conditions of Sale as being binding upon it.
By placing a written bid, the bidder instructs Grisebach to submit such bid in
accordance with its instructions. Grisebach shall use the amount specified in the
written bid only up to whatever amount may be required to outbid another bidder.
Upon the auctioneer knocking down the work of art to a written bid, a sale and
purchase agreement shall be concluded on that basis with the bidder who has
submitted such written bid.
Where several written bids have been submitted in the same amount for the
same work of art, the bid received first shall be the winning bid, provided that
no higher bid has been otherwise submitted or is placed as a floor bid.
c) Phoned-in absentee bids
Bids may permissibly be phoned in, provided that the bidder applies in writing
to be admitted as a telephone bidder, and does so at the latest twenty-four (24)
hours prior to the auction commencing, and furthermore provided that Grisebach
has consented. The bidder must acknowledge the Conditions of Sale as being
binding upon it.
Bids phoned in will be taken by a Grisebach employee present at the auction on
the floor, and will be submitted in the course of the auction in keeping with the
instructions issued by the bidder. The bid so submitted by the bidder shall cover
exclusively the hammer price, and thus shall not comprise the buyer’s premium,
any allocated costs that may be charged, or turnover tax. The bid must
unambiguously designate the work of art to which it refers, and must wherever
possible provide the lot number, the artist and the title of the work.
Grisebach may make a recording of bids submitted by telephone. By filing the
application to be admitted as a telephone bidder, the bidder declares its consent
to the telephone conversation being recorded. Unless it is required as evidence,
the recording shall be deleted at the latest following the expiry of three (3)
months.
d) Absentee bids submitted via the internet
Bids may be admissibly submitted via the internet only if Grisebach has
registered the bidder for internet bidding, giving him a user name and password,
and if the bidder has acknowledged the Conditions of Sale as being binding
upon it. The registration shall be non-transferable and shall apply exclusively
to the registered party; it is thus entirely personal and private. The user is under
obligation to not disclose to third parties its user name or password. Should the
user culpably violate this obligation, it shall be held liable by Grisebach for any
damages resulting from such violation.
Bids submitted via the internet shall have legal validity only if they are sufficiently
120
4.
a)
b)
c)
d)
e)
determinate and if they can be traced back to the bidder by its user name and
password beyond any reasonable doubt. The bids transmitted via the internet will
be recorded electronically. The buyer acknowledges that these records are
correct, but it does have the option to prove that they are incorrect.
In legal terms, Grisebach shall treat bids submitted via the internet at a point in
time prior to the auction as if they were bids submitted in writing. Bids submitted
via the internet while an auction is ongoing shall be taken into account as if they
were floor bids.
Knock down
The work of art is knocked down to the winning bidder if, following three calls for
a higher bid, no such higher bid is submitted. Upon the item being knocked down
to it, this will place the bidder under obligation to accept the work of art and to
pay the purchase price (Section 4 Clause 1). The bidder shall not be named.
Should the bids not reach the reserve price set by the Consignor, the auctioneer
will knock down the work of art at a conditional hammer price. This conditional
hammer price shall be effective only if Grisebach confirms this bid in writing
within three (3) weeks of the day of the auction. Should another bidder submit a
bid in the meantime that is at least in the amount of the reserve price, the work
of art shall go to that bidder; there will be no consultations with the bidder to
whom the work of art has been knocked down at a conditional hammer price.
The auctioneer is entitled to refuse to accept a bid, without providing any reasons therefor, or to refuse to knock down a work of art to a bidder. Where a bid
is refused, or where a work of art is not knocked down to a bidder, the prior bid
shall continue to be valid.
The auctioneer may revoke any knock-down and may once again call up the work
of art in the course of the auction to ask for bids; the auctioneer may do so in all
cases in which
–
The auctioneer has overlooked a higher bid that was submitted in a timely
fashion, provided the bidder so overlooked has immediately objected to
this oversight;
–
A bidder does not wish to be bound by the bid submitted; or
–
There are any other doubts regarding the knock-down of the work of art
concerned.
Where the auctioneer exercises this right, any knock-down of a work of art that
has occurred previously shall cease to be effective.
The auctioneer is authorized, without being under obligation of giving notice
thereof, to also submit bids on behalf of the Consignor until the reserve
price agreed with the Consignor has been reached, and the auctioneer is
furthermore authorized to knock down the work of art to the Consignor, citing
the consignment number. In such event, the work of art shall go unsold.
Section 4 Purchase Price, Payment, Default
1. Purchase price
The purchase price consists of the hammer price plus buyer’s premium.
Additionally, lump sum fees may be charged along with statutory turnover tax.
A. a)
For works of art that have not been specially marked in the catalogue,
the purchase price will be calculated as follows:
For buyers having their residence in the community territory of the
European Union (EU), Grisebach will add a buyer’s premium of 30 % to
the hammer price. A buyer’s premium of 25 % will be added to that part
of the hammer price that is in excess of EUR 500,000. A buyer’s premium
of 20 % will be added to that part of the hammer price that is in excess of
EUR 1,000,000. This buyer’s premium will include all lump sum fees as
well as the statutory turnover tax (margin scheme pursuant to Section
25a of the German Turnover Tax Act). These taxes and fees will not be
itemized separately in the invoice.
Buyers to whom delivery is made within Germany, as defined by the
German Turnover Tax Act, and who are entitled to deduct input taxes,
may have an invoice issued to them that complies with the standard
taxation provisions as provided for hereinabove in paragraph B. Such
invoice is to be requested when applying for a bidder number. It is not
possible to perform any correction retroactively after the invoice has
been issued.
b) Works of art marked by the letter “N” (for Import) are works of art that
have been imported from outside the EU for sale. In such event, the
import turnover tax advanced, in the amount of currently 7 % on the
hammerprice, will be charged in addition to the buyer’s premium.
B. For works of art marked in the catalogue by the letter “R” behind the lot
number, the purchase price is calculated as follows:
a) Buyer’s premium
Grisebach will add a buyer’s premium of 25 % to the hammer price.
A buyer’s premium of 20 % will be added to that part of the hammer price
that is in excess of EUR 500,000. A buyer’s premium of 15 % will be added
to that part of the hammer price that is in excess of EUR 1,000,000.
121
b)
Turnover tax
The hammer price and the buyer's premium will each be subject to the
statutory turnover tax in the respectively applicable amount (standard
taxation provisions, marked by the letter "R"). Currently, this amounts
to 19 %.
c) Exemption from turnover tax
No turnover tax will be charged where works of art are sold that are
acquired in states within the EU by corporations and exported outside of
Germany, provided that such corporations have provided their turnover
tax ID number in applying for and obtaining their bidder number. It is not
possible to register this status after the invoice has been issued, and
more particularly, it is not possible to perform a correction retroactively.
No turnover tax shall be charged for the sale of works of art that are
delivered, pursuant to Section 6 paragraph 4 of the Umsatzsteuergesetz
(UStG, German Turnover Tax Act), to destinations located in states that
are not a Member State of the EU, provided that their buyers are deemed
to be foreign purchasers and have proved this fact in accordance with
Section 6 paragraph 2 of the German Turnover Tax Act. The buyer shall
bear any import turnover tax or duties that may accrue abroad.
The above provisions on turnover tax correspond to the legislative status
quo and are in line with the practice of the Tax and Revenue Authorities.
They are subject to change without notice.
2. Due date and payment
The purchase price shall be due for payment upon the work of art being knocked
down to the buyer.
The purchase price shall be paid in euros to Grisebach. Cheques and any other
forms of non-cash payment are accepted only on account of performance.
Payment of the purchase price by set-off is an option only where the claims
are not disputed or have been finally and conclusively determined by a court’s
declaratory judgment.
Where payment is made in a foreign currency, any exchange rate risk and any
and all bank charges shall be borne by the buyer.
3.Default
In cases in which the purchase price has not been paid within two (2) weeks of
the invoice having been received, the buyer shall be deemed to be defaulting on
the payment.
Upon the occurrence of such default, the purchase price shall accrue interest at
1 % per month, notwithstanding any other claims to compensation of damages
that may exist.
Two (2) months after the buyer has defaulted on the purchase price, Grisebach
shall be entitled – and shall be under obligation to do so upon the Consignor’s
corresponding demand – to provide to the Consignor the buyer’s name and
address.
Where the buyer has defaulted on the purchase price, Grisebach may rescind the
agreement after having set a period of grace of two (2) weeks. Once Grisebach
has so rescinded the agreement, all rights of the buyer to the work of art
acquired at auction shall expire.
Upon having declared its rescission of the agreement, Grisebach shall be entitled
to demand that the buyer compensate it for its damages. Such compensation of
damages shall comprise in particular the remuneration that Grisebach has lost
(commission to be paid by the Consignor and buyer’s premium), as well as the
costs of picturing the work of art in the catalogue and the costs of shipping,
storing and insuring the work of art until it is returned or until it is once again
offered for sale at auction.
Where the work of art is sold to a bidder who has submitted a lower bid, or
where it is sold at the next auction or the auction after that, the original buyer
moreover shall be held liable for any amount by which the proceeds achieved
at that subsequent auction are lower than the price it had bid originally.
Grisebach has the right to exclude the defaulting buyer from future auctions
and to forward the name and address of that buyer to other auction houses
so as to enable them to exclude him from their auctions as well.
Section 5 Post Auction Sale
In the course of a two-month period following the auction, works of art that have
gone unsold at the auction may be acquired through post auction sales. The post
auction sale will be deemed to be part of the auction. The party interested in
acquiring the work of art is to submit a bid either in person, by telephone, in
writing or via the internet, citing a specific amount, and is to acknowledge the
Conditions of Sale as being binding upon it. The sale and purchase agreement
shall come about if Grisebach accepts the bid in writing within three weeks of its
having been received.
The provisions regarding the purchase price, payment, default, pick-up
and liability for works of art acquired at auction shall apply mutatis mutandis.
Section 6 Acceptance of the Work of Art Purchased at Auction
1.Pick-up
The buyer is under obligation to pick up the work of art at the latest one (1)
month after it has been knocked down to the buyer.
However, Grisebach is not under obligation to surrender to the buyer the work of
art acquired at auction prior to the purchase price set out in the invoice having
been paid in full.
Title to the work of art shall devolve to the buyer only upon the purchase price
having been paid in full.
2. Storage
Grisebach shall store the work of art acquired at auction until it is picked up,
doing so at the longest for one (1) month, and shall insure it at its own cost, the
amount insured being equal to the purchase price. Thereafter, Grisebach shall
have the right to store the work of art with a specialized fine art shipping agent
and to insure it there. At its choice, Grisebach may instead store the work of art
in its own premises, charging a monthly lump-sum fee of 0.1 % of the purchase
price for the costs of storage and insurance.
3.Shipping
Where the buyer instructs Grisebach in writing to ship to it the work of art
acquired at auction, subject to the proviso that the purchase price has been paid
in full, Grisebach shall procure the appropriate shipment of the work of art to the
buyer, or to any recipient the buyer may specify, such shipment being performed
by a specialized fine art shipping agent; Grisebach shall take out corresponding
shipping insurance. The buyer shall bear the costs of packaging and shipping the
work of art as well as the insurance premium.
4. Default of acceptance
Where the buyer fails to pick up the work of art within one (1) month (Clause 1)
and fails to issue instructions for the work of art to be
shipped to it (Clause 3), it shall be deemed to be defaulting on acceptance.
5. Sale to other parties
Should the buyer, prior to having paid the purchase price in full, sell the work of
art it has acquired at auction, it hereby assigns to Grisebach, as early as at the
present time and on account of performance, the entirety of all claims to which
it is entitled under such onward sale, and Grisebach accepts such assignment.
Insofar as the claims so assigned are in excess of the claims to which Grisebach
is entitled, Grisebach shall be under obligation to immediately re-assign to the
buyer that part of the claim assigned to it that is not required for meeting its
claim.
Section 7 Liability
1. Characteristics of the work of art
The work of art is sold in the condition it is in at the time it is knocked down to
the buyer, and in which it was viewed and inspected. The other characteristic
features of the work of art are comprised of the statements made in the
catalogue (Section 2 Clause 1) regarding the work’s creator(s), technique and
signature. These statements are based on the scholarly knowledge published
up until the date of the auction, or otherwise generally accessible, and on the
information provided by the Consignor. No further characteristic features are
agreed among the parties, in spite of the fact that such features may be
described or mentioned in the catalogue, or that they may garnered from
information provided in writing or orally, from a condition report, an expert
appraisal or the images shown in the catalogue. No guarantee (Section 443
of the Bürgerliches Gesetz­buch (BGB, German Civil Code)) is provided for the
work of art having any characteristic features.
2. Buyer’s rights in the event of a defect of title being given
(Section 435 of the German Civil Code)
Should the work of art acquired be impaired by a defect of title because it is
encumbered by rights of third parties, the buyer may, within a period of two (2)
years (Section 438 paragraph 4 and 5 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB,
German Civil Code)), rescind the agreement based on such defect of title, or it
may reduce the purchase price (Section 437 no. 2 of the German Civil Code).
In all other regards, the buyer’s rights as stipulated by Section 437 of the
German Civil Code are hereby contracted out, these being the right to demand
the retroactive performance of the agreement, the compensation of damages,
or the reimbursement of futile expenditure, unless the defect of title has been
fraudulently concealed.
3.
4.
5.
Buyer’s rights in the event of a material defect being given
(Section 434 of the German Civil Code)
Should the work of art deviate from the characteristic features agreed
(work’s creator(s), technique, signature), the buyer shall be entitled to rescind
the agreement within a period of two (2) years after the work of art has been
knocked down to it (Section 438 paragraph 4 of the Bürgerliches Gesetzbuch
(BGB, German Civil Code)). The buyer shall be reimbursed for the purchase price
it has paid (Section 4 Clause 1 of the Conditions of Sale), concurrently with the
return of the purchased object in unaltered condition, such return being effected
at the registered seat of Grisebach.
Claims to any reduction of the purchase price (Section 437 no. 2 of the German
Civil Code), to the compensation of damages or the reimburse–ment of futile
expenditure (Section 437 no. 3 of the German Civil Code) are hereby contracted
out. This exclusion of liability shall not apply should Grisebach have fraudulently
concealed the defect.
The right to rescind the agreement for material defects shall be contracted out
wherever Grisebach has sold the work of art for the account of the Consignor
and has exercised, to the best of its ability, the greatest possible care in
identi­fying the work’s creator(s), technique and signature listed in the catalogue,
provided there was no cause to doubt these statements’ being correct. In such
event, Grisebach enters into obligation to reimburse the buyer for the buyer’s
premium, any allocated costs that may have been charged, and turnover tax.
Moreover, Grisebach shall assign to the buyer all of the claims vis-à-vis the
Consignor to which it is entitled as a result of the defects of the work of art,
providing the Consignor’s name and address to the buyer. Grisebach shall
support the buyer in any manner that is legally available to it and that it is able
to apply in enforcing such claims against the Consignor.
Errors in the auction proceedings
Grisebach shall not be held liable for any damages arising in connection with
bids that are submitted orally, in writing, by telephone or via the internet,
unless Grisebach is culpable of having acted with intent or grossly negligently.
This shall apply in particular to the telephone, fax or data connections being
established or continuing in service, as well as to any errors of transmission,
transfer or translation in the context of the means of communications used,
or any errors committed by the employees responsible for accepting and
forwarding any instructions. Grisebach shall not be held liable for any misuse
by unauthorized third parties. This limitation of liability shall not apply to any
loss of life, limb or health.
Statute of limitations
The statutory periods of limitation provided for by Section 438 paragraph 1
Clause 3 of the Bürgerliches Gesetzbuch (BGB, German Civil Code) (two years)
shall apply where the statute of limitations of claims for defects is concerned.
Section 8 Final provisions
1. Collateral agreements
Any modifications of the present Conditions of Sale that may be made in an
individual case, or any collateral agreements, must be made in writing in order
to be effective.
2. Translations of the Conditions of Sale
Insofar as the Conditions of Sale are available in other languages besides
German, the German version shall govern in each case.
3. Governing law
The laws of the Federal Republic of Germany shall exclusively apply. The United
Nations Convention on the International Sale of Goods shall not apply.
4. Place of performance
Insofar as it is possible to agree under law on the place of performance and the
place of jurisdiction, this shall be Berlin.
5. Severability clause
Should one or several provisions of the present Conditions of Sale be or become
invalid, this shall not affect the validity of the other provisions. Instead of the
invalid provision, the corresponding statutory regulations shall apply.
122
Einliefererverzeichnis Impressum
Consignor Index
Imprint
[3010] 47 [3033] 12, 33 [3048] 9 [3055] 24 [3062] 42 [3109] 45
[3119] 43, 46 [3120] 7 [E] 13, 41 [3151] 18 [3159] 35 [3194] 36
[3222] 44 [3230] 6 [3247] 4 [3253] 10 [3276] 1 [3277] 5 [3315] 28
[3342] 40 [3386] 25 [3409] 39 [3422] 27 [3438] 38 [3453] 15
[3463] 30 [3466] 2 [3468] 29 [3474] 16 [3489] 49 [3492] 26
[3505] 19 [3511] 34 [3512] 17 [3519] 50 [3520] 32 [3524] 11
[3533] 48 [3537] 8, 14 [3538] 22 [3539] 20 [3543] 23 [3545] 21
[3547] 3, 31 [3548] 37
Herausgegeben von:
Villa Grisebach Auktionen GmbH,
Fasanenstraße 25, D-10719 Berlin
Geschäftsführer:
Bernd Schultz, Micaela Kapitzky, Florian Illies,
Dr. Markus Krause, Daniel von Schacky, Rigmor Stüssel
HRB 25 552, Erfüllungsort und Gerichtsstand Berlin
Katalogbearbeitung:
Dr. Markus Krause, Traute Meins, Stefan Pucks,
Dr. Martin Schmidt, Nina Barge, Laura von Bismarck,
Miriam Klug
Research: Miriam Klug
Provenienzrecherche: Dr. Sibylle Ehringhaus
Textbeiträge: Nina Barge (NB), Ulrich Clewing (UC),
Dr. Andreas Fluck (AF), Anne Ganteführer-Trier (AGT),
Oliver Hell (OH), Florian Illies (FI), Dr. Elke Ostländer (EO),
Susanne Schmid (sch), Dr. Martin Schmidt (MS),
Prof. Dr. Christoph Stölzl (CS), Oliver Sukrow (OS)
Text-Lektorat: Matthias Sommer, Berlin
Photos: © Fotostudio Bartsch, Karen Bartsch, 2015
Photobearbeitung: Ulf Zschommler
© VG Bildkunst, Bonn 2015 (für vertretene Künstler)
Trotz intensiver Recherche war es nicht in allen Fällen möglich,
die Rechteinhaber ausfindig zu machen.
Produktion/DTP: Daniel Lamprecht
Database-Publishing: Digitale Werkstatt, J. Grützkau, Berlin
Herstellung & Lithographie: Königsdruck GmbH
Gedruckt auf Maxisatin, 150 g/qm
Schrift: Didot und Corporate S
Die bibliographischen Angaben zu den zitierten Werkverzeichnissen unter www.villa-grisebach.de/de/kataloge/WVZ_240
Abbildungen auf dem Umschlag:
Umschlag vorn:
Vincent van Gogh · Los 6
Doppelseite vorn:
Hermann Max Pechstein · Los 15
Doppelseite 2/3:
Willi Baumeister · Los 41
Einzelseite hinten:
Paul Delvaux · Los 36
Doppelseite hinten: Emil Nolde · Los 12
Umschlag hinten:
Cy Twombly · Los 47
(Ausschnitt)
© VG Bild-Kunst, Bonn 2015 (Ausschnitt)
© Fond. P. Delvaux S. Idesbald, Belgien /
VG Bild-Kunst, Bonn 2015 (Ausschnitt)
© Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde (Ausschnitt)
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