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aktuell
KVH • aktuell
Pharmakotherapie
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis
Jhrg. 20, Nr. 1 – März 2015
Hepatitis C: So gelingt der gezielte
Einsatz der neuen und teuren Mittel
Es gibt einige neue und extrem hochpreisige Mittel gegen die Hepatitis C. Eines
davon, das Sofosbuvir, schlägt inzwischen auch in der Publikumspresse Wellen,
weil die Herstellungskosten einer Tablette zwar nur im Centbereich liegen, der Hersteller aber einige hundert Euro dafür haben will. Abgesehen von der moralischen
Fragwürdigkeit und Unverschämtheit einer solchen Firmenstrategie müssen auch
wir Ärzte uns beim Einsatz solcher Mittel auch aus medizinischen Gründen überlegen, wo sie wirklich sinnvoll sind und wo nicht. So ist beispielsweise der Reflex
Hepatitis C  Sofosbuvir unzulässig, weil es in der Hepatitistherapie bekanntlich
auf viele Details ankommt, unter anderem den Genotyp des Virus und die bisherige Behandlung. Bei der richtigen Therapieentscheidung helfen die übersichtlich
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zusammengestellten Informationen in unserem Beitrag auf
Symptome einer Blaseninfektion, Streifentest aber negativ
Abwarten oder Antibiotika?
Wenn bei den Symptomen des weiblichen Harnwegsinfekts der Urin-Stick
positiv reagiert, ist die Behandlungsempfehlung klar. Aber wie gehen wir
mit diesen Patientinnen um, wenn der Teststreifen nicht reagiert? Schließlich ist die übliche Therapie mit Cotrimoxazol beispielsweise bei gleichzeitiger Gabe von Sartanen nicht ganz ungefährlich. Eine neue Untersuchung
macht nun klar: Entscheidend ist nicht der Test, sondern die Symptomatik.
Seite 9
Absetzen von Medikamenten bei
multimorbiden alten Patienten
Alte Patienten sind oft multimorbide und wenn man jede Krankheit isoliert betrachtet und medikamentös behandelt, kommt oft ein ziemlich gefährlicher PharmaCocktail zusammen. Zu den Folgen gehören beispielsweise Stürze, die zu kritischen
Zuständen führen können. Eine neue Metaanalyse hat nun herausgearbeitet, wo
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die größten Gefahren liegen und wie man sie vermindert. Akuter Durchfall: Wie viel Diagnostik,
wie behandeln?
Patienten mit akutem Durchfall gehören zum Praxisalltag. Wie man mit ihnen
am besten und wissenschaftlich fundiert umgeht, beschreibt eine S1-Leitlinie der
Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Am Ende
dieses Heftes finden Sie eine praxisgerechte Zusammenfassung dieser LeitlinieSeite 39
Empfehlungen.
Seite 1 der
Informationsdienst
Kassenärztlichen
Vereinigung
Hessen
Seite 2
Editorial
KVH • aktuell
Nr. 1 / 2015
Mittel gegen Hepatitis C: Absurde
Preisforderung sprengt jeden Rahmen
Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,
Mehr als 633 Millionen Euro hat die Therapie der
Hepatitis C mit den neuen Arzneimitteln – überwiegend Sofosbuvir – 2014 gekostet. Dies sind
mehr als zwei Prozent des gesamten Arzneimittelbudgets.
Der viel zu hohe Preis von Sofosbuvir wird zumindest zum Teil von den Krankenkassen als
unwirtschaftlich angesehen. So soll es erste Regressanträge gegeben haben, die Sofosbuvir-Verordnungen betreffen, die ohne Berücksichtigung der
Nutzenbewertung des G-BA zu Sofosbuvir getätigt
wurden.
Hier kann man gespannt auf das Ergebnis warten.
Bei aller berechtigten Kritik am Preis des Arzneimittels darf man nicht übersehen, dass es zur Behandlung der Hepatitis C zugelassen ist. Eine Zulassung
erhält ein Arzneimittel nur, wenn es wirksam ist. Bei
der Beurteilung derartiger Präparate fehlt zunächst
der Nachweis eines Mehrnutzens gegenüber der
Vergleichstherapie des G-BA und darauf fußend
eine Vereinbarung eines wirtschaftlichen Preises
zwischen Hersteller und Krankenkassen.
Unter Berücksichtigung der Nutzenbewertung
des G-BA für Sofosbuvir wird es mit großer Wahrscheinlichkeit künftig auch Regresse geben. Diese
betreffen die Patienten, deren Behandlung ihres
Hepatitis-C-Genotyps keinen Mehrnutzen aufweist.
Was hat dies mit uns zu tun? Sehr viel! Wir sollen
und müssen wirtschaftlich verordnen. Bei Unwirt-
schaftlichkeit – oft fraglich und strittig – haften
wir. Bei Arzneimittelkosten von mehr als 100.000
Euro pro Fall können wenige beanstandete Fälle
das finanzielle Aus einer Praxis bedeuten.
Es ist der Gesetzgeber gefordert, durch nichts
zu rechtfertigende Preise von Arzneimittelherstellern zu korrigieren. Weiterhin muss ein zwischen
Hersteller und Krankenkassen verhandelter wirtschaftlicher Preis – ein Mischpreis – für alle Patientengruppen, ob mit oder ohne nachgewiesenem
Zusatznutzen, als wirtschaftlich gelten.
Diese nicht hinnehmbare Situation wird künftig
noch gravierender. Die Therapiekosten der Hepatitis C des Jahres 2014 entfallen auf einige tausend
Patienten. Wenn von den geschätzten 300.000
Hepatitis C Kranken pro Jahr 30.000 behandelt
werden, bedeutet dies – Sofosbuvir-Therapie zum
aktuellen Preis – nicht zwei Prozent, sondern mit
rund drei Milliarden Euro zehn Prozent des gesamten Arzneimittelbudgets.
Dass kann und darf es nicht geben. Hierfür
können und werden wir Ärzte nicht das Risiko
tragen. Wir können und werden uns aber auch
nicht davon abhalten lassen, Patienten, Männer
und Frauen, die für diese Therapie geeignet sind,
zu behandeln. Mehr als 90% dieser Patienten
werden geheilt. Dafür sind wir da. Wir wollen
helfen, heilen und nicht Mangelverwalter von
Fällen und Kosten sein.
Ihr Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
Nr. 1 / 2015
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Editorial 2
Die Behandlung der chronischen Hepatitis C bei erwachsenen Patienten
4
Arzneimittelmarkt Deutschland: Zwei Bücher – zwei Welten
7
Erratum zu Repevax®
8
Cotrimoxazol – plötzliche Todesfälle bei Kombination mit Sartanen
9
Antibiotika für weiblichen Harnwegsinfekt bei negativem Urinstreifentest?
9
Zolpidem: Vorsicht im Straßenverkehr
10
Keine Alternative für Benzos: Auch die„Z-Hypnotika“ machen süchtig!
10
Aricept und seinen Generika: Malignes neuroleptisches Syndrom und Rhabdomyolyse
12
Absetzen von Medikationen bei geriatrischen Patienten mit komplexen Krankheitsbildern
13
Die geballte Ladung: Arzneiempfehlungen aus einem Krankenhaus
15
Langfristige Heilmitteltherapie (Lymphdrainage) bei lymphatischen Erkrankungen
Wie verordnet man wirtschaftlich?
16
Minutiös dokumentiert und spannend: Die mafiösen Methoden im Pharma-Marketing
21
Neue Thrombozytenaggregationshemmer in der hausärztlichen Versorgung
22
Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Mit ein wenig Courage zerschlagen wir das Kartell
Kein Rezept für schon gelieferte Verbände!
Bei mir behandelt der Chef noch selbst!
Heilung gelingt oft mit einfachen Mitteln
Wir müssten für jedes Quartal eine Spendenbescheinigung bekommen
Meine Verahs beherrschen die aktuelle Wundversorgung
Erst mal die Grundkrankheit diagnostizieren!
Den ohnmächtigen Hausarzt gibt es bei mir nicht!
Ich habe mich selbst zum Wundmanager gemacht
So finanzierten Ärzte den Betriebsausflug des Heimpersonals
Ich lasse mich gerne gegen einen „willigen Kollegen“ austauschen
Eine inakzeptable Situation, unter der alle leiden – außer den Verursachern in der Industrie
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34
PML nach Einnahme von Dimethylfumarat
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Ustekinumab – schwere Hautreaktionen
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Antirheumatische Therapie – Infektionsrisiko
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Suizidalität als Nebenwirkung
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Triptane – vasokonstriktive Effekte
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Metronidazol – sensorische Aphasie
37
Alltägliche und triviale Fallstricke bei der medikamentösen Behandlung
37
Bromocriptin – eingeschränkte Indikation
38
Kurzfassung der Leitlinie zum akuten Durchfall
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®
Impressum
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Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
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Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und
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Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
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KVH • aktuell
Nr. 1 / 2015
Die Behandlung der chronischen Hepatitis C bei erwachsenen Patienten
Neue Therapieschemata und
wirtschaftliche Verordnung
Dr. med. Wolfgang LangHeinrich
Die chronische Hepatitis C ist eine Viruserkrankung, Euro. Das kürzlich zugelassene Sofosbuvir-haltige
deren Verlauf zu schweren Leberschädigungen wie Kombinationsmedikament Harvoni® ist noch
Leberzirrhose, Leberzellcarzinoms, Lebertransplan- einmal ca. 20.000 Euro teurer. Bei den neuesten
tation und Tod führen kann. Die Zahl der Patienten, Präparaten ist die Nutzenbewertung noch nicht
die an einer chronischen Hepatitis C erkrankt sind, durchgeführt bzw. abgeschlossen. Dies spielt
beträgt nach verschiedenen Quellen 100.000, für die Verordnung, die Therapiekosten und
300.000 oder sogar bis zu 600.000 Euro. Die bis- mögliche Regressanträge durch die Krankenkasherigen Therapiemöglichkeiten waren Kombina- se eine außerordentlich wichtige Rolle. Für alle
tionstherapien mit Interferon und Virustatika, mit diese Präparate gilt, dass sie entsprechend ihrer
einer Therapiedauer von 16 bis 72 Wochen. Hier- Zulassung nach Verfügbarkeit unter Beachtung
unter treten vielfach erhebliche Nebenwirkungen, ihrer Indikationen zu Lasten der GKV verordvorwiegend durch Interferon, aber auch durch Vi- net werden können. Mit der Zulassung ist die
rustatika auf. Beispielsweise Depressionen, grippale Wirksamkeit eines Arzneimittels belegt. Offen
Symptome, Verschlechterung der Leberfunktion, ist noch die Bewertung des Zusatznutzens bzw.
selten Autoimmunerkrankungen von Leber und Mehrnutzens gegenüber einer VergleichstheSchilddrüse. Die neuen Hepatitis-C-Arzneimittel rapie. Die Krankenkassen müssen den Apothestellen einen Therapiedurchbruch dar. Es sind nun kenpreis für alle indikationsgerechten Verordnungen erstatten. Ergibt
Interferon-freie Therapien
die Nutzenbewertung für
mit erheblich weniger NeDie Heilung einer Hepatitis
einige Patientengruppen/
benwirkungen und deutGenotypen der Hepatitislich kürzerer Therapiedauer
C mit Sofosbuvir kostet bis
C-Krankheit keinen Mehrund weitgehender Heilung
nutzen, ist die Verordnung
bei den meisten Patienten
zu 90.000 Euro. Darf dies
des Arzneimittels ab der
möglich.
zu Milliardengewinnen des
Veröffentlichung des GBeim Hepatitis-C-Virus
BA-Beschlusses nach AnHerstellers
führen?
existieren verschiedene
sicht der Krankenkassen
Genotypen. Der Genotyp
unwirtschaftlich. Derartige Verschreibungen sind
1 mit rund 60 %, gefolgt
vom Genotyp 3 (ca. 27 %) und Genotyp 2 (ca. 7 regressbedroht. Es gibt erste Regressanträge
%) ist in Deutschland am häufigsten. Die Geno- bezüglich Sofosbuvirverordnungen bei Patienten,
typen 4 bis 6 spielen in Europa kaum eine Rolle.
deren Behandlung ihrer Hepatitis-C-Infektion
– des entsprechenden Genotyps – nach der
Wie bei allen neuen Arzneimitteln erfolgt bei Nutzenbewertung keinen Mehrnutzen aufweist.
den Hepatitis-C-Präparaten eine Nutzenbewer- Das Arzneimittel ist aber eindeutig weiter verordtung nach AMNOG durch den G-BA. Hierbei wer- nungsfähig.
den die verschiedenen Genotypen, therapienaiv
oder -erfahren, vorhergehende Therapieversager,
Bei der Verordnung von Genotypen/IndikatiPatienten mit oder ohne Zirrhose, Patienten mit onen mit Mehrnutzen wird weiterhin der ApoHIV-Coinfektion, auf ihren Zusatznutzen gegen- thekenabgabepreis bis zur Vereinbarung eines
über der vom G-BA vorgegebenen Vergleichsthe- wirtschaftlichen Preises zwischen Hersteller und
rapie bewertet. Dies ergab Hinweise auf einen Krankenkassen erstattet.
beträchtlichen, Anhaltspunkt für einen geringen
Die indikationsgerechte Verordnung der neubzw. bis keinen Zusatznutzen.
en Hepatitis-C-Präparate unterliegt nicht der
Die Therapie ist außerordentlich teuer. So kostet Wirtschaftlichkeitsprüfung. Für diese Verordnundie Sofosbuvirtherapie für 24 Wochen ca. 90.000 gen ist zwischen der KBV und dem GKV-
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KVH • aktuell
Spitzenverband ein finanzielles Sondervolumen
vereinbart worden, welches nicht ins Arzneimittelprüfvolumen einfließt.
Zur wirtschaftlichen Behandlung einer HepatitisC-Infektion ist die Genotypisierung der Patienten
unerlässlich. Die entsprechende Laborabrechnungsziffer ist GOP 32827 „Bestimmung des
Hepatitis-C-Virusgenotyps vor antiviraler Therapie
mit Interferon und/oder Nukleosidanaloga“. Diese
Laborleistung belastet das Laborbudget der anfordernden Praxis.
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Interferon-haltiges SOF-Regime): Wegen unzureichender Datenlage kein Zusatznutzen.
I) Genotyp 1 bis 6 mit HIV-Coinfektion (naiv/
therapieerfahren, je nach Genotyp Interferonfreies oder Interferon-haltiges SOF-Regime):
Wegen hoher SVR-Raten, sowie deutlicher
Verkürzung der Therapiedauer mit weniger
Nebenwirkungen ergibt sich trotz der Basis
einer einarmigen Studie ein Anhaltspunkt für
geringen Zusatznutzen.
Sofosbuvir/Sovaldi® – ein NS5B-Nukleosidpolymeraseinhibitor – ist in Kombination mit anderen
für die Hepatitis-C-Therapie geeigneten Präparaten
als Kombinationstherapie Sofosbuvir plus Peginterferon alfa plus Ribavirin bzw. als Interferon-freie
Therapie plus Ribavirin mit einer Therapiedauer von
12 bis 24 Wochen zugelassen.
Simeprevir/Olysio® – ein Proteaseinhibitor – ist in
Kombination mit andern Mitteln zur Behandlung
der Hepatitis C bei Genotyp 1 und 4 zugelassen.
Es ist für alle Genotypen eine Dreifachkombinationstherapie aus Simeprevir, Peginterferon alfa
und Ribavirin. Simeprevir wird 12 Wochen lang
eingenommen, danach die Therapie bis zu 48
Wochen weiter mit Peginterferon alfa und Riabvirin
fortgeführt.
Die Nutzenbewertung des G-BA hat ergeben:
A) Genotyp 1 (naiv ohne Zirrhose, Interferon-haltiges SOF-Regime): Anhaltspunkt für geringen
Zusatznutzen.
B) Genotyp 1 (naiv mit Zirrhose, Interferon-haltiges SOF-Regime): Anhaltspunkt für geringen
Zusatznutzen.
C) Genotyp 1 (therapieerfahren, Interferonhaltiges SOF-Regime): Wegen unzureichender
Datenlage kein Zusatznutzen.
D) Genotyp 2 (naiv, Interferon-freies SOFRegime): Hinweis auf einen beträchtlichen
Zusatznutzen.
E) Genotyp 2 (therapieerfahren, Interferon-freies
SOF-Regime): Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen.
F) Genotyp 3 (naiv/therapieerfahren, Interferonfreies SOF-Regime): Anhaltspunkt für geringen Zusatznutzen.
G) Genotyp 3 (naiv/therapieerfahren, Interferonhaltiges SOF-Regime): Wegen unzureichender
Datenlage kein Zusatznutzen.
H) Genotyp 4 bis 6 (naiv/therapieerfahren,
Die Nutzenbewertung des G-BA hat ergeben:
A) Genotyp 1, therapienaive Patienten mit und
ohne Zirrhose: Hinweis für einen beträchtlichen Zusatznutzen.
B) Genotyp 1, therapieerfahrene Patienten
(Relapse): Hinweis für einen beträchtlichen
Zusatznutzen.
C) Genotyp 1, therapieerfahrene Patienten
(vorherige Nonresponder): Hinweis für einen
beträchtlichen Zusatznutzen.
D) Genotyp 4, therapienaive Patienten und therapieerfahrene Patienten (Relapse): Anhaltspunkt für einen geringen Zusatznutzen.
E) Genotyp 4, therapieerfahrene Patienten (vorherige Nonresponder): kein Zusatznutzen.
F) Genotyp 1 und 4, therapienaive Patienten
(ohne Zirrhose) und therapieerfahrene Patienten (Relapse ohne Zirrhose) mit einer HIVCoinfektion: Anhaltspunkt für einen geringen
Zusatznutzen.
G) Genotyp 1 und 4, therapienaive Patienten
(mit Zirrhose) und therapieerfahrene Patienten (vorherige Nonresponder mit/ohne
Der pauschale Reflex „Hepatitis C benötigt Sofosbuvir“ ist falsch! Es
kommt auf die Details wie beispielsweise den Genotyp des auslösenden
Virus an. Wenn kein Zusatznutzen nachgewiesen ist, kann ein ruinöser
Regress die Folge sein.
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KVH • aktuell
Zirrhose, Relapse mit Zirrhose) mit einer HIVCoinfektion: kein Zusatznutzen.
Daclatasvir/Daklinza® – ein Inhibitor des NS5A
Strukturproteins – ist zugelassen zur Therapie der
chronischen Hepatitis C als Zweifachtherapie mit
Sofosbuvir und als Dreifachtherapie mit Peginterferon alfa und Ribavirin. Die Therapiedauer richtet
sich nach Krankheitsbild und –verlauf und liegt
zwischen 12 und 48 Wochen. Wegen kleiner Patientenzahlen, einarmigen Studien, Phase-II-Studien
bzw. fehlenden Studien, hat das IQWiG bei allen
bewerteten Genotypen der Hepatitis C Erkrankung
keinen Zusatznutzen gesehen.
Dies, obwohl bei therapienaiven Patienten ohne
Zirrhose mit Genotyp 1 sich ein langanhaltendes
virologisches Ansprechen (SVR) nach 12 Wochen
Therapie von 100% zeigt. Das Gleiche gilt für therapienaive und therapieerfahrene Patienten ohne
Zirrhose des Genotyps 3 mit einer SVR von 100
% nach 24 Wochen Therapie und therapienaive
Patienten des Genotyps 4 mit oder ohne Zirrhose
nach einer Kombinationstherapie über 24 Wochen
mit Daclatasvir, Peginterferon alfa sowie Ribavirin.
Hier liegt die SVR mit 78 bis 100 % weit oberhalb
der Vergleichstherapie Peginterferon alfa und Ribavirin mit 25 bis 50 %. Abweichend vom Bewertungsvorschlag des IQWiG sieht der Gemeinsame
Bundesausschuss bei verschiedenen Genotypen der
Hepatitis C einen Zusatznutzen.
Die Nutzenbewertung des G-BA hat ergeben:
A) Genotyp 1a, therapienaive Patienten ohne Zirrhose: Behandlung mit Daclastavir plus Sofosbuvir ohne Ribavarin – geringer Anhaltspunkt
für einen Zusatznutzen.
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B) Genotyp 1b, therapieerfahrene Patienten:
normal, Zusatznutzen nicht belegt.
C) Genotyp 1c, therapienaive Patienten mit Zirrhose: Zusatznutzen nicht belegt.
D) Genotyp 1, Patienten mit HIV-Koinfektion:
Zusatznutzen nicht belegt.
E) Genotyp 3 mit kompensierter Zirrhose und/
oder behandlungserfahren: Zusatznutzen
nicht belegt.
F) Genotyp 4: Therapienaive Patienten, die mit
Daclastavir + Peginterferon α + Ribavirin
behandelt werden: Anhaltspunkt für einen
beträchtlichen Zusatznutzen.
G) Therapienaive und therapieerfahrene Patienten, die mit Daclastavir+Sofosbuvir behandelt
werden: kein Zusatznutzen
Harvoni® ist ein Kombinationspräparat aus Sofosbuvir und Ledipasvir, einem Hemmer des viruseigenen NS5A-Proteins. Die EMA hat es in einem beschleunigten Zulassungsverfahren geprüft
und zugelassen. Harvoni® ist als Monotherapie
bei Patienten mit chronischer Hepatitis C mit
Genotyp 1 und 4 ohne oder mit kompensierter
Zirrhose sowohl bei therapienaiven als auch vorbehandelten Patienten zugelassen. In der Kombinationstherapie mit Ribavirin hat es auch eine
Indikation bei Patienten mit Genotyp 1 oder 4
mit dekompensierter Zirrhose sowie bei Patienten
mit Genotyp 3 mit Zirrhose und/oder vorherigem
Therapieversagen. Diese Kombinationstherapie
soll 24 Wochen durchgeführt werden. Möglich ist
auch die Behandlung bei einer HIV-Coinfektion.
Die AMNOG-Nutzenbewertung durch den G-BA
ist noch nicht erfolgt.
Fazit: Es kommt auf die Details und die wirklich präzise Indikation an!
Bei exakter Diagnosestellung, Bestimmung des Genotyps der chronischen
Hepatitis-C-Infektion, lässt sich der größte Teil der chronischen HepatitisC-Kranken erfolgreich behandeln. Es liegen für einzelne Genotypen bei
verschiedenen dieser Arzneimittel anhand der langfristig nachgewiesenen
Viruselemination / SVR Heilungsquoten von bis zu 100% vor. Nur bei den
Patienten mit Subgruppen, die nach der IQWiG-Bewertung bzw. dem
G-BA-Beschluss keinen Mehrnutzen aufweisen, muss die Therapie als
unwirtschaftlich angesehen werden.
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Wegen der hohen SVR-Rate – 94 bis 99% - ist
diese Fixkombination auch ohne vorliegende Nutzenbewertung bei Patienten mit Genotyp 1 ohne
oder mit kompensierter Zirrhose den anderen Regimen vorzuziehen.
Mitte Januar sind Exviera® sowie Viekirax® zur Behandlung der chronischen Hepatitis C mit Genotyp
1 und 4 zugelassen worden.
Exviera® 250 mg / Dasabuvir hat in Kombination
mit anderen Arzneimitteln zur Hepatitis-C-Behandlung – Viekirax® 12,5 mg / 75 mg / 50 mg (12,5 mg
Ombitasvir, 75 mg Paritaprevir, 50 mg Ritonavir)
und Ribavirin folgende zugelassene Indikation:
A) Genotyp 1b, Patienten ohne Zirrhose, Therapiedauer 12 Wochen
B) Genotyp 1b, Patienten mit kompensierter
Zirrhose, Therapiedauer 12 Wochen
C) Genotyp 1a, Patienten ohne Zirrhose, Therapiedauer 12 Wochen
D) Genotyp 1 a, Patienten mit kompensierter
Zirrhose, Therapiedauer 24 Wochen
E) Genotyp 4, Patienten ohne Zirrhose, Therapiedauer 12 Wochen
F) Genotyp 4, Patienten mit kompensierter Zirrhose, Therapiedauer 24 Wochen
Viekirax® 12,5 mg / 75 mg / 50 mg (12,5 mg
Ombitasvir, 75 mg Paritaprevir, 50 mg Ritonavir)
ist in Kombination mit anderen Arzneimitteln zur
Behandlung der chronischen Hepatitis C bei Patienten mit Genotyp 1 und 4 zugelassen.
Seite 7
A) Genotyp 1b, Patienten ohne Zirrhose, Behandlung mit Viekirax® und Dasabuvir für 12
Wochen
B) Genotyp 1b, Patienten mit kompensierter
Zirrhose, Behandlung mit Viekirax®, Dasabuvir
und Ribavirin, Behandlungsdauer 12 Wochen
C) Genotyp 1a, Patienten ohne Zirrhose, Behandlung mit Viekirax® plus Dasabuvir und
Ribavirin für 12 Wochen
D) Genotyp 1 a, Patienten mit kompensierter
Zirrhose, Behandlung mit Viekirax® plus Dasabuvir plus Ribavirin für 24 Wochen
E) Genotyp 4, Patienten ohne Zirrhose, Behandlung mit Viekirax® plus Ribavirin für 12 Wochen
F) Genotyp 4, Patienten mit kompensierter Zirrhose, Behandlung mit Viekirax® plus Ribavirin
über 24 Wochen
Bei exakter Diagnosestellung, Bestimmung des
Genotyps der chronischen Hepatitis-C-Infektion,
lässt sich der größte Teil der chronischen HepatitisC-Kranken erfolgreich behandeln. Es liegen für
einzelne Genotypen bei verschiedenen dieser Arzneimittel Heilungsquoten anhand der langfristig
nachgewiesenen Viruselemination/SVR von bis zu
100 % vor. Nur bei den Patienten mit Subgruppen,
die nach der IQWiG-Bewertung bzw. dem G-BA
Beschluss keinen Mehrnutzen aufweisen, muss die
Therapie als unwirtschaftlich angesehen werden.
Interessenkonflikte: keine
Arzneimittelmarkt Deutschland
Zwei Bücher – zwei Welten
Obwohl im gleichen Verlag erschienen,
könnten sie unterschiedlicher nicht sein:
zwei Werke, die den hiesigen Arzneimittelmarkt unter die Lupe nehmen.
datengesättigte Analyse des deutschen Arzneimittelmarktes, an dem zahlreiche angesehene
PharmakologInnen und MedizinerInnen mitgearbeitet haben.
Mit „Nutzen und Preise von Innovationen“ von
Klaus-Dirk Henke hält man ein schmales Heftchen
von 52 Seiten in der Hand, beim „Arzneiverordnungs-Report 2014“ (herausgegeben von Ulrich
Schwabe und Dieter Paffrath) hat man es mit
einem kiloschweren Wälzer von 1.289 Seiten
zu tun. Letzteres Werk ist eine umfassende und
Das Büchlein des Gesundheitsökonomen Henke
widmet sich nur einem Thema: der Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Interessanterweise gibt es
im Arzneiverordnungs-Report ein entsprechendes
von dem klinischen Pharmakologen Prof. Ulrich
Schwabe verfasstes Kapitel. Zu welchen Schlussfolgerungen gelangen die beiden Autoren?
KVH • aktuell
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Schwabe bietet einen umfassenden Überblick,
der aufgrund der zahlreichen Tabellen auch eine
Überprüfung der aufgestellten Thesen zulässt. Er
bewertet das in Deutschland 2011 eingeführte
Verfahren der Nutzenbewertung grundsätzlich
positiv, wenn er auch einige Schwächen aufdeckt.
So unterscheiden sich die Rabatte, die am Ende des
Verfahrens mit den Herstellern ausgehandelt werden, kaum nach Ausmaß des Zusatznutzens, wenn
man die 25 umsatzstärksten Präparate betrachtet.
Medikamente mit „beträchtlichem Zusatznutzen“
wurden im Schnitt 18,1% billiger. Bei denen, die
nur einen „geringen Zusatznutzen“ haben, sind
die Ersparnisse mit 21,7%
aber nur geringfügig höher.
Nr. 1 / 2015
siert, so dass man sie überhaupt nicht nachvollziehen, geschweige denn überprüfen kann.
Die inhaltliche Argumentation ist nicht nur stark
von ökonomischen Theorien, sondern auch von
ökonomischen Interessen geprägt. Die eigentliche
Nutzenbewertung – also was taugt ein neues Arzneimittel – interessiert Henke eher am Rande. Ihm
geht es vordringlich darum, wie der Hersteller einen
möglichst hohen Preis erzielen kann. Deshalb soll
seiner Ansicht nach die (generische) Vergleichstherapie für die Preisfindung keine Rolle spielen,
sie sei „ein wenig aussagekräftiges Verhandlungskriterium“. Stattdessen
sollen „vergleichbare ArzDa kann man als kritisch
neimittel“ herangezogen
denkender Kollege nur
werden, also die (teuren)
patentgeschützten Konkurstaunen: Auch Medikamenrenzpräparate. So würden
te ohne Zusatznutzen erziedie „Zahlungsbereitschaften“ (von wem eigentlich?)
len erhebliche Millionenumbesser berücksichtigt.
Deutlicher ist der Unterschied lediglich bei den Medikamenten, die „keinen
Zusatznutzen“ haben, auf
sie gab es 29,5% Rabatt.
Schaut man das Verschreisätze. Offensichtlich schläbungsverhalten an, hat die
fert die bunte Werbung der
Nutzenbewertung allerdings
Auf die Zahlungsbewenig Effekte. Auch Mittel
reitschaft
der LeserInIndustrie so manchen ärztliohne jeden Zusatznutzen
nen setzt offensichtlich
chen Verstand ein.
erzielen erheblich Umsätze.
auch der Springer Verlag:
Hier zeigt sich, was auch für
59,99 € kostet das dünne
den Arzneimittelmarkt allHeftchen von Henke – für
gemein gilt: Viele Ärztinnen und Ärzte orientieren den gleichen Preis bekommt man den zwanzig
sich eher an den Werbebotschaften der Hersteller Mal so dicken Arzneiverordnungs-Report.
als an der Evidenz.
Gar nicht zufrieden mit der Nutzenbewertung ist
dagegen Prof. Henke. Das mag auch mit dem Sponsor der Veröffentlichung zusammenhängen, dem
Verband forschender Arzneimittelhersteller (Vfa).
Die meisten Daten in der Publikation stammen vom
Vfa und sind zu allem Überfluss teilweise anonymi-
Jörg Schaaber
Nachdruck aus Pharma-Brief 1/2015, S.6f
Auf der Website www.bukopharma.de finden Sie neben
diesem auch andere informative und interessante Beiträge
aus dem Pharma-Brief.
Erratum zu Repevax®
In KVH aktuell Nr. 3/2014 wurde zu dem Thema Antikoagulanz und Verabreichung von Impfstoffen
eine Information veröffentlicht, die wir korrigieren möchten:
Der Kombinationsimpfstoff Tetanus-Diphtherie-Poliomyelitis-Pertussis, Repevax®, wurde in der damaligen Aussendung als für die subkutane Injektion ausgeschlossen gelistet. Richtig ist, dass der
Kombinationsimpfstoff Repevax für die subkutane Injektion vorgesehen ist und auch bei Patienten
unter Antikoagulationstherapie verabreicht werden kann.
Wir bitten, dies zu entschuldigen.
Nr. 1 / 2015
KVH • aktuell
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Cotrimoxazol – plötzliche Todesfälle bei
Kombination mit Sartanen
Bei einer Behandlung mit ACE-Hemmern oder
Sartanen sollten Patienten möglichst kein Cotrimoxazol (Generika) erhalten. Nach einer kanadischen Fall-Kontroll-Studie kann es zu plötzlichen
Todesfällen kommen: 14 Tage nach Gabe des
Antibiotikums war das Risiko im Vergleich zu einer
Amoxicillingabe um 54 Prozent erhöht. Als Erklärung kann die Wirkung beider Arzneistoffe auf die
Kaliumausscheidung dienen. Unter ACE-Hemmern
und Sartanen kommt es zu einer Hemmung der
Aldosteronsekretion und damit zu einer Verminderung der Kaliumausscheidungen durch die Nieren.
Das mit dem Kalium-sparenden Diuretikum Amilorid strukturell und pharmakologisch verwandte
Trimethoprim kann als Bestandteil der Antibiotikakombination Cotrimoxazol ebenfalls eine Kaliumretention fördern und damit zu lebensbedrohlichen
Hyperkaliämien führen.
Quelle: Pharm Ztg. 2014; 159 (46): 3769
Dr. med. Günter Hopf
Antibiotika für weiblichen Harnwegsinfekt
bei negativem Urinstreifentest ?
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Harnwegsinfekte sind bei Frauen häufig. Bei positivem Nachweis einer Infektion im Urin-Streifentest
(Leukozyten, Nitrit) gilt die Empfehlung einer dreitägigen antiinfektiösen Behandlung. Bei negativem
Streifentest und Symptomen einer Blaseninfektion
sind die Meinungen bisher uneinheitlich.
Dazu bewertete das Horten-Zentrum für praxisorientierte Forschung und Wissenstransfer (www.
evimed.ch) unlängst eine im BMJ erschienene
randomisierte doppeltblinde placebokontrollierte
Untersuchung in 30 zufällig ausgewählten Grundversorgungspraxen aus Neuseeland [1] zur Klärung
der Frage: Wie effektiv ist bei Symptomen eines
Harnwegsinfektes bei Frauen eine antibiotische
Behandlung trotz negativem Urinstreifentest?
Untersucht wurden Frauen (zwischen 16 und 50
Jahre alt) mit klinischen Zeichen eines Harnwegsinfektes (Dysurie, Pollakisurie), die sich zufällig in den
jeweiligen Praxen vorstellten und die einen negativen Urinstreifentest aufwiesen.
Ausgeschlossen wurden Frauen, die innerhalb
des letzten Monats einen nachgewiesenen oder
vermuteten Harnwegsinfekt behandelt bekommen
hatten sowie Fälle mit kompliziertem Harnwegsinfekt, Schwangerschaft, Trimethoprim-Allergie.
Ausgewertet wurden die Verläufe bei 59 Frauen
(Durchschnittsalter 36 Jahre), die entweder drei
Tage lang täglich mit einer Tablette zu 300 mg
Trimethoprim oder drei Tage lang täglich mit einer
Tablette Placebo behandelt wurden, anschliessend
wurden über weitere sieben Tage die Beschwerden
protokolliert. Als Outcome wurden eine weiter
bestehende Dysurie nach drei und sieben Tagen
sowie das mittlere Zeitintervall bis zum Abklingen
der Beschwerden ausgewertet.
Die Durchführung der Studie war methodisch
korrekt.
Ergebnisse
Von den Frauen mit initialer Dysurie (82% von 59
Fällen) hatten nach drei Tagen unter Trimethoprimtherapie 24% von 21 Fällen und unter Placebotherapie 74% von 27 Fällen weiterhin Beschwerden.
Diese signifikante Differenz (p=0,0005) blieb auch
nach sieben Tagen bestehen.
Die mittlere Zeit bis zum Abklingen der Beschwerden betrug unter Trimethoprim-Therapie fünf
Tage, unter Placebotherapie drei Tage (p=0,002).
Gelegentliche unerwünschte Ereignisse (wie beispielsweise Übelkeit, Hautjucken) traten in beiden
Gruppen gleich häufig auf.
Bei fünf von 59 Frauen (3 aus der TrimethoprimGruppe und 2 aus der Placebogruppe) fand sich
trotz negativem Urinstreifentest zu Beginn
Seite 10
KVH • aktuell
in der vor der Therapie angelegten Urinkultur ein
Keimwachstum.
Was bedeutet dieses Ergebnis für die tägliche
Allgemeinpraxis?
Ein negativer Urinstreifentest sagt nicht
voraus, ob eine Trimethoprim-Behandlung
unnötig oder erfolgversprechend ist.
Ein negativer Urinstreifentest sagt häufig eine
negative Urinkultur voraus (negativer prädiktiver Wert für den Urinstreifentest: 92%).
Ein negativer Urinstreifentest spricht für eine
antibiotische Therapie (hier 3 Tage lang täglich 300 mg Trimethoprim) dann, wenn eine
Symptomatik (Dysurie, Pollakisurie) vorliegt.
Da allerdings bei einem negativen Urinstrei­
fen­test und nicht vorliegendem Kulturergebnis trotz vorhandener Symptomatik eine
Nr. 1 / 2015
sofortige Antibiotikatherapie nicht gezielt
vorgenommen werden könnte, besteht möglicherweise eine Gefahr von Resistenzentwicklung.
Damit sollte für die Behandlung des häufigen
banalen weiblichen Blaseninfektes in erster
Linie die Symptomatik (Dysurie, Pollakisurie)
zielführend sein und nicht ein positiver Urinstreifentest (Leukozyten und Nitrit) oder gar
eine positive Urinkultur gefordert werden.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1. Dee, R., Toop,L., Chambers,S., Fletcher, L.: Response to antibiotics
of women with symptoms of urinary tract infection but negative
dipstick urine test results: double blind randomised controlled
trial. BMJ, 2005;331;143-;originally published online 22 Jun
2005; doi:10.1136/bmj.38496.452581.8F
Anmerkung der Redaktion:
In dieser Studie aus Neuseeland wurden die Patientinnen mit 2x 300 mg Trimethoprim behandelt. Bei
uns werden für die Behandlung eines akuten Harnwegsinfekts täglich 2x 150 bis 200 mg empfohlen.
Zolpidem: Vorsicht im Straßenverkehr
Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat
deutliche Hinweise auf das Zeitfenster von acht
Stunden nach der Einnahme von Zolpidem
(Stilnox®, Generika) formuliert: verminderte Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen können
in dieser Zeitspanne zu einer Einschränkung des
Fahrvermögens und psychomotorischen Störungen
führen, insbesondere in Kombination mit zentraldämpfenden Arzneimitteln und Alkohol. Eine Tageshöchstdosis von 10 mg darf nicht überschritten
werden (bei älteren Patienten 5 mg).
Quelle: Pharm. Ztg. 2014; 159 (35): 10
Dr. med. Günter Hopf
Keine Alternative für Benzos:
Auch die„Z-Hypnotika“ machen süchtig!
Dr. med. Klaus Ehrenthal
In der 39. systematischen Befragung von 847 Referenzapotheken der Arzneimittel-kommission der
Deutschen Apotheker wurden Missbrauchs- und
Abhängigkeitspotenzial von Schlaf- und Beruhigungsmittel zwischen dem 24. Juli und dem 21.
August 2012 mittels einer online-Befragung untersucht (1). Aus den Ergebnissen der 664 antwortenden Apotheken wurden anhand der vorliegenden
Rezepte deutliche Tendenzen zum Konsumverhalten in Deutschland erkennbar:
Nr. 1 / 2015
KVH • aktuell
1 Das bekannte Missbrauch- und Abhängigkeitspotential der Benzodiazepine wurde erneut
bestätigt. Man schätzte, dass 1,1 bis 1,2
Millionen Deutsche davon betroffen sind.
2 Das zunächst bei Markteinführung als weniger schwerwiegend beurteilte Abhängigkeitspotential der Z-Hypnotika (Zopiclon, Zolpidem, Zaleplon) fand sich sehr viel häufiger, als
erwartet. Es fanden sich vermehrte Häufigkeiten von Verschreibungen und auch Verschreibungen von Grosspackungen als deutliche
Anzeichen für Missbrauch. (Die WHO hat das
Abhängigkeitspotential der Z-Hypnotika dem
der Benzodiazepine inzwischen gleichgestellt.)
4 Es waren 43 % der Stoffe auf Privatrezepten
oder alternierend auf Privat- und Kassenrezepten verordnet worden.
5 Die missbrauchsverdächtigen BenzodiazepinVerordnungen waren überpropotional für
über 65-Jährige erfolgt, auch Frauen waren
deutlich häufiger betroffen.
6 Auch wurde fast ein Drittel der Patienten
erheblich länger als in den vom Gemeinsamen
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Arzneimittelrichtlinien (AMR)
maximal empfohlenen 4 Wochen (2) mit ZHypnotika behandelt.
Was wird in Körper und Psyche durch “Benzos“
oder „Z-Drugs“ verändert? Neben Anxiolyse, Beruhigung, Schlafförderung, Muskelentspannung,
Krampflösung entstehen beim längeren Gebrauch
(oft schon nach 1 Woche je nach Substanz) Wirkungsverlängerungen, sog. „hangover“. Es entwickeln sich Gewöhnung und Dosissteigerung,
mit “Rebound-Insomnie“ bei Entzugsversuchen.
Unruhe bis hin zu epileptischen Anfällen, Wahnzuständen, Gedächtnis- und Kognitionsstörungen,
emotionale Verflachung und „Versteinerung“
können entstehen.
Seite 11
kommt ausserdem häufig eine Polytoxikomanie mit
Alkohol und weiteren psycho-aktiven Substanzen
hinzu.
Entzugsbehandlungen sollten möglichst stationär
erfolgen, denn sie dauern länger. Eine nachgehende psychosoziale Begleitung oder gar Reha-Massnahme kann erforderlich werden. Heroinabhängige
beklagen, dass „der Valium-Entzug schlimmer ist,
als der Heroin-Entzug“. Ohne sachgerechte Nachbetreuung werden bis zu 90 % rückfällig (3).
Was bedeutet das für die Rezeptur von „Benzos“ und „Z-Drugs“ in der Praxis?
Verordnung nur entsprechend den Arzneimittelrichtlinien (2) vornehmen unter Beachtung
der Kontraindikationen, der Verordnungsdauer von maximal 4 Wochen und nur in kleinen
Packungsgrössen ! Bei GKV-Versicherten kein
Ausweichen auf Privatrezepte !
Keine Verordnung bei Alkoholikern, Suchtkranken, psychisch Gefährdeten und bei Fahrund Steuertätigkeiten !
Kombinationsbehandlung mit weiteren psychoaktiven Substanzen nur in begründeten
Ausnahmefällen und unter Befundkontrolle !
Patienten über 65 Jahre und Frauen sollten,
wenn überhaupt erforderlich, besonders
sparsam und eher niedrig dosiert mit diesen
Stoffen behandelt werden.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1
„Benzodiazepine und Z-Hypnotika - AMK-Umfrage zum Missbrauch“, Pharmazeutische Zeitung 2013: 20/2013
2
Arzneimittelrichtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses
der Ärzte und Krankenkassen, jeweils fortlaufend zuletzt 2014
aktualisiert mit derzeit 13 Anlagen www.g-ba.de/information/
richtlinien
3
Le Ker, Heike: Gefahr im Schlummertrunk, Spiegel Wissen, 2009;
4:58-61
Oft kommt es zu einer „low dose dependency“,
die die Sucht auf Dauer begleitet. Gravierend
Haben Sie auch Patienten in der Praxis, die sich regelmäßig „Z“ verschreiben lassen möchten? Wie gehen Sie damit um? Schreiben Sie uns!
Zuschriften bitte an:
Redaktion KVH aktuell, Frau Petra Bendrich, Kassenärztliche Vereinigung Hessen,
Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt
oder Fax: 069 / 7 95 02-501; oder E-Mail: [email protected]
Seite 12
KVH • aktuell
Nr. 1 / 2015
Nebenwirkungen von Aricept® und seinen Generika
Malignes neuroleptisches Syndrom und
Rhabdomyolyse unter Donepezil
Dr. med. Joachim Seffrin
Die kanadischen Gesundheitsbehörden geben mit
Datum 21.1.2015 bekannt, dass vereinzelte Fälle
von Rhabdomyolyse und neuroleptischem Syndrom
unter Donepezil aufgetreten sind. Diese potentiell
lebensgefährlichen Nebenwirkungen müssen jetzt
in Kanada im Beipackzettel aufgeführt werden. Aus
meiner Sicht ein weiteres Argument, von diesem
Wirkstoff die Finger zu lassen. Spätestens beim
Umzug ins Altenheim ist der sowieso fragwürdige
Sinn dieser Behandlung ganz besonders in Zweifel
zu ziehen und die Behandlung mit diesem Schritt
zu beenden. Betrachtet man die wohl dürftige
Wirkung, steht das Risiko ernster Nebenwirkungen nicht dafür. Vor genau zwei Jahren hat das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein Stufenplanverfahren eingeleitet, um
diese Nebenwirkungen in die Fachinformation von
Donepezil aufzunehmen. Die aktuelle Version des
Beipackzettels vom Januar 2015 weist aber immer
noch nicht auf diese gefährlichen Nebenwirkungen
hin (und wer kann das alles lesen und behalten?).
In der Ausgabe März 2013 schreibt das arzneitelegramm® wörtlich: „Wir erachten Cholinesterasehemmer als umstrittenes Therapieprinzip: Die
Effekte sind gering und allenfalls bei einer kleinen
Anzahl von Patienten klinisch relevant, die unerwünschten Effekte beträchtlich.“(2) Nach meinem
persönlichen Eindruck sind die Veröffentlichungen, die ständig und immer wieder eindringlich in
Fachzeitschriften, Nachrichten und Laienpresse die
angebliche Unterversorgung unserer Patienten mit
Alzheimerpräparaten mit Krokodilstränen beklagt
hatten, weitestgehend verschwunden, die (vielleicht bezahlten?) Fürsprecher verstummt, seitdem
die Wirkstoffe als Generika deutlich preiswerter
erhältlich sind.
In seinem – in dieser Ausgabe von KVH aktuell
besprochenen – Buch von Peter C. Gøtzsche weist
der Autor darauf hin, dass kein Arzt auf der Welt
sämtliche Interaktionen und Nebenwirkungen
ausreichend beachten kann, um Unglücke sicher
zu verhindern.
Zum fragwürdigen Nutzen und weiteren möglichen Nebenwirkungen siehe Quellenangaben.
Eine Frage an unsere Kollegen: Haben Sie
positive Effekte bei Donepezil gesehen? Wie
sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Schreiben
Sie uns!
Bis auf die beiden letzten Jahrgänge sind die
Ausgaben des arznei-telegramms® kostenlos im
Internet unter www.arznei-telegramm.de zugänglich, alternativ ist das Abonnement, wie auch
für den Arzneimittelbrief oder infomed screen
preiswert erhältlich. Diese Journale sind anzeigenfrei und damit unabhängig von industriellen
Einflüssen.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1http://healthycanadians.gc.ca/recall-alert-rappel-avis/
hc-sc/2015/43469a-eng.php
2
arznei-telegramm: a-t 2013; 44: 32
3
arznei-telegramm: a-t 2012; 43: 54-5
4
Der Arzneimittelbrief: AMB 2010, 44, 52
5
Der Arzneimittelbrief: AMB 2004, 38, 76
6
Der Arzneimittelbrief: AMB 2005, 39, 78b
7
infomed-screen 8 -- No. 10 (Oktober 2004)
8
What now for Alzheimer‘s disease? An epidemiological evaluation of the AD2000 trial,John Attia et al. Australian Prescriber,
VOLUME 28 : NUMBER 6 : December 2005 (http://www.
australianprescriber.com/magazine/28/6/134/5)
Nr. 1 / 2015
KVH • aktuell
Seite 13
Absetzen von Medikationen bei geriatrischen
Patienten mit komplexen Krankheitsbildern
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Bei geriatrischen Patienten mit komplexen Krankheitsbildern und dadurch entstandener Multimedikation wird immer häufiger das Absetzen von
Medikationen gefordert, vor allen in vier Situationen: bei Stürzen, bei Delirien, beim kognitiven
Abbau und beim Lebensende. Über die Effekte des
Absetzens der Medikation finden sich bisher nur
wenige Untersuchungen.
Dazu veröffentlichten Van Crammen et al. mit
ihrem Team von Geriatern aus Rotterdam (Niederlande), Gent (Belgien), Brighton (Grossbritannien)
und Rom (Italien) kürzlich eine Untersuchung über
Wirkungen einer Medikationsreduktion in den vier
Situationen [1].
Vorgehensweise
Nach einer Literaturdurchsicht (in Medline, Embase,
Cochrane Library, Cinahl, PsychLit) wurden von den
Autoren für eine Metaanalyse englischsprachige Untersuchungen und neuere randomisierte kontrollierte Studien (RCT’s), die zwischen dem 1.1.2008 und
1.5.2013 veröffentlicht worden waren, ausfindig
gemacht. Zur Suche waren gebräuchliche medizinische Begriffe zum Absetzen der Medikation („drug
cessation, medication cessation, drug withdrawal,
medication withdrawal, drug discontinuation, medication discontinuation, polypharmacy reduction“)
verwendet worden. Es wurden solche Arbeiten
untersucht, die die Wirkung der Beendigung einer
Medikation bei 65-jährigen oder älteren Patienten
beurteilten nach Stürzen („falls“), bei Delirium („delirium“), bei kognitivem Abbau („cognitive impairment“) und beim Absetzen einer nicht adäquaten
Medikation am Lebensende („end of life“).
Ergebnisse bei Sturz-Patienten
Es fanden sich 48 Studien und 210 RCT`s, sowie 5
Reviews mit 2 speziellen spezifischen Artikeln, die
die Effektivität des Absetzens von Medikationen bei
älteren Sturzpatienten belegten. Dabei fand sich
beim Sturzrisiko und bei der Fallhäufigkeit durch
eine Überprüfung und entsprechende Modifikation
der Medikation in verschiedenen Untersuchungen
der Cochrane Library keine Wirksamkeit.
Jedoch hatte eine schrittweise Reduktion der psychotropen Medikation, wie Antipsychotika, Ben-
zodiazepine, Antidepressiva, verglichen mit einer
Placebo-Medikation, die Rate der Stürze signifikant
reduziert. Ein entsprechendes sorgfältig konzipiertes Fortbildungs-Programm für die verschreibenden
Ärzte verbunden mit Selbstkontrollen durch die
Patienten hatte eine signifikante Abnahme der
Sturzhäufigkeit zur Folge [2,3]. Dies fand sich so
auch in der weiteren Literatur, allerdings nicht in
Bezug auf das Gesamtrisiko, überhaupt einen Sturz
zu erleiden.
Ergebnisse bei Patienten mit Delirium
oder kognitivem Abbau
Das Risiko eines Medikamenten-induzierten Deliriums ist hoch, besonders bei Patienten mit Demenz.
Die Verbindung mit Polypharmazie, der veränderten Pharmakokinetik und Pharmakodynamik
bei Komorbidität im Alter wirkt synergistisch mit
Medikationen, die ein Delirium erzeugen. Durch
Medikamente wurden bis zu 39% der Delirien bei
Älteren verursacht [4].
Besonders fanden sich hierbei Psychotropika, Antikonvulsiva, Antiparkinson-Medikamente, OpioidAnalgetika, gastroenteral wirkende Medikamente
wie Spasmolytika, Cimetidin sowie kardiovaskulär
wirkende Medikationen wie Antiarrhythmika,
Digoxin, Antihypertensiva wie Betablocker, Methyldopa, Steroide. Dabei spielt die anticholinerge
Wirkung wahrscheinlich die ursächliche Rolle [5].
In einem systematischen Review fand sich eine
verbesserte kognitive Leistung durch den Entzug
psychotrop wirkender Medikamente [6] und in einer anderen prospektiven Kohortenstudie mit einer
systematischen Reduktion einer Polypharmazie bei
teils sehr alten geriatrischen Patienten fand sich
eine verbesserte Kognition bei 56 von 64 Patienten, nachdem alle Medikamente abgesetzt worden waren, die nicht lebensnotwendig waren [7].
Diese positiven Effekte auf die Kognition blieben
bei Nachuntersuchungen (im Mittel 19.2 Monate)
bestehen. (Siehe auch die Leitlinie Multimedikation
der Hessischen Leitliniengruppe [8]).
Ergebnisse bei Patienten
am Lebensende
Die Therapieentscheidungen für die letzten
Seite 14
KVH • aktuell
Stunden oder Tage des Lebens bei terminalen Erkrankungen in der Palliativmedizin haben Fragen
des Rechts zur Selbstbestimmung des Patienten,
der Ethik und Wirksamkeit besonderer oder riskanter medizinischer Interventionen neben der
medizinischen Routinetherapie zu beachten [9]. Bei
alten Patienten mit begrenzter Lebenserwartung,
die ihnen bisher ermöglicht wurde durch multiple
Medikationen auch zur Verhinderung klinischer
Ereignisse, kann auf viele Medikationen verzichtet
werden – insbesondere auch, um iatrogene Schädigungen zu vermeiden [10]. Hierzu gibt es nur sehr
wenige Untersuchungen, weswegen es notwendig
ist, Kriterien für einen Konsensus herzustellen, wie
sinnvolle von nicht sinnvollen Medikationen am
Lebensende zu trennen und wie letztere zu vermeiden sind [11].
Was bedeutet das für die
ärztliche Praxis?
Zur Verminderung der Sturzhäufigkeit sind
bei geriatrischen Patienten Verordnungen von
psychotropen Medikationen einzuschränken
und/oder die Dosen zu vermindern.
Dazu kann eine pharmakologische Schulung
der (Haus-)Ärzte wirksam beitragen.
Ein Delirium kann bei Älteren durch viele
Medikamente ausgelöst werden. Die anticholinergen Eigenschaften vieler Stoffe sind
häufig die Auslöser eines Delirs. Vermeidung
oder eine Dosisreduktion von anticholinergen
Substanzen sollte immer versucht werden.
Eine systematische Reduktion besonders von
Psychotropika (wie Antipsychotika, Benzodiazepine, Antidepressiva) bei Polypharmazie
Nr. 1 / 2015
verbessert bei Älteren oftmals die Kognition.
Am Lebensende sollte im Konsensus alles
nicht Lebensnotwendige reduziert oder abgesetzt werden, um nicht zusätzlich zu schaden.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1
Van der Cammen TM, Rajcumar C, Onder G, Sterce SS, Pertovic
M: Drug cessation in complex older adults: time for action. Age
and Ageing 2013;0:1-6, Doi: 10.1093/ageing/aft166.
2
Gillespie LD, Robertson MC, Gillespie WJ, Sherrington C, Gates
S, Clemson LM, et al.: Interventions for preventing falls in older
people living in the community. Cochrane Database Syst Rev
2012;9:CD007146., doi:10.1002/14651858.CD007146.
3
Hill KD, Wee R: Psychotropic drug-induced falls in older people:
a review of interventious aimed at reducing the problem. Drug
Aging 2012;29:15-30
4
Catic AG: Identification and management of in-hospital druginduced delirium in older patients. Drugs Aging 2011;28:737748.
5
Tune L, Carr S, Hoag E, Cooper T: Anticholinergic effects of drugs
commonly prescribed for the elderly: potential means for assessing risk of delirium. Am J Psychiatry 1992;149:1393-1394.
6
Iyer S, Naganathan V, McLachlan AJ, Le Couteur DG: Medication
withdrawal trials in people aged 65 years and older: a systematic
review. Drugs Aging 2008;25:1021-1031.
7
Garfinkel D, Mangin D: Feasibility study of a systematic approach
for discontinuation of multiple medications in older adults:
addressing polypharmacy. Arch Intern Med 2010;170:16481654.
8
Hausärztliche Leitlinie Multimedikation der Leitliniengruppe
Hessen mit der DEGAM www.pmvforschungsgruppe.de/publikationen/leitlinien/multimedikation
9
http://en.wikipedia.org/wiki/End-of-life_care care-test (22.May
2013, date last accessed).
10 Cruz-Jentoft AJ, Boland B, Rexach L: Drug therapy optimization at
the end of life. Drugs Aging 2012;29:511-521.
11 Onder G, van der Cammen TJ, Petrovic M, Somers A, Rajkumar C:
Strategies to reduce the risk of iatrogenic illness in complex older
adults. Age and Ageing 2013;42:284-291
Hilfreich bei der Bereinigung der Multimedikation bei älteren Patienten ist die
Leitlinie Multimedikation der Leitliniengruppe Hessen und der DEGAM. Wir haben
einen gößeren Auszug der Leitline in den Heften 1/2013 bis 3/2013 veröffentlicht.
Im Internet ist die Leitlinie zu finden unter:
www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-043l_S2e_Multimedikation_2014-05.pdf
Nr. 1 / 2015
KVH • aktuell
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Die geballte Ladung
Immer wieder einmal schicken uns Kollegen die
Medikationsempfehlung aus einem Entlassungsbrief
einer Klinik, weil sie diese für unsinnig oder überzogen halten. Oben sehen Sie den Ausriss aus einem
solchen Brief. Er stammt aus der psychiatrischen Abteilung einer hessischen Klinik. Der Patient war dort
wegen eines „fraglichen Suizidversuchs“ eingeliefert
worden. Die Dauerdiagnosen des Patienten:
– Myokardinfarkt (I25.2G);
– KHK – s.a. Koronare Herzkrankheit (I25.9G);
– Thrombose, Phlebitis und Thrombophlebitis
der Beckenvenen, Z.n. (I80.20Z);
– Gonarthrose, li. (M17.9LG);
–
–
–
–
Spinalkanalstenose (M48.0G);
Hyperlordose (M40.5G);
Hypertonie (I10.9-G);
Arrhythmie (I49.9G);Harnröhrenstriktur
(N35.9G);
– Sturzneigung, anderenorts nicht klassifiziert
(R29.6G);
Wie aufwändig es für den Hausarzt ist, diesen
außerhalb des stationären Bereichs kaum realisierbaren und medizinisch unsinnigen Medikationsplan
zu bereinigen, weiß jeder Kollege.
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KVH • aktuell
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Langfristige Heilmitteltherapie (Lymphdrainage) bei lymphatischen Erkrankungen
Wie verordnet man wirtschaftlich?
Apotheker Klaus Hollmann
Die Solidaritätsgemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung gibt im Sozialgesetzbuch als
Leistungsrahmen vor, dass nur die ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung
zur Verfügung gestellt werden darf. Der Arzt hat
zudem, da die manuelle Lymphdrainage zu den
Heilmitteln zählt, ein Heilmittelverordnungsbudget
einzuhalten.
Der Arzt entscheidet nach medizinischen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung der
leistungsrechtlichen Vorgaben, ob und in welchem
Umfang die manuelle Lymphdrainage verordnet
wird. Was aber ist nun eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Therapie bei lymphatischen Krankheitsbildern? Mit den nachfolgenden
Ausführungen wird versucht, eine Hilfe, eine Orientierung und einen Überblick über die Versorgung
mit Heil- und Hilfsmitteln zu geben.
Heilmittelkatalog
Die manuelle Lymphdrainage kann in den Behandlungseinheiten MLD 30 min, MLD 45 min und MLD
60 min unter den nachfolgenden Indikationsschlüsseln verordnet werden:
Lymphabflussstörungen, Indikationsschlüssel
LY1, mit prognostisch kurzzeitigen Behandlungsindikationen
bei venöser Insuffizienz mit Hautschädigungen (z.B. Ulcus cruris)
bei postthrombotischem Syndrom
nach interventioneller / operativer Behandlung
von Gefäßerkrankungen
bei primärer (angeborener) Schädigung des
Lymphsystems
bei sekundärer (erworbener) Schädigung des
Lymphsystems, z.B. nach Operationen, Verletzungen, Entzündungen [3].
Die Therapie wird mit einer 6er-Serie in der Erstverordnung begonnen und sollte nach der zweiten
6er-Serie abgeschlossen sein, so die Vorgaben im
Heilmittel-Katalog. Gesamtverordnungsmenge im
Regelfall 12 Therapieeinheiten. Regelmäßig wäre
hier die MLD 30 Minuten angezeigt. Reicht die
Therapiezeit nicht aus, kann mit medizinischer
Begründung auf 45 Minuten oder gar 60 Minuten
erhöht werden.
Bei der Verordnung von Lymphdrainage
kann man auch die Formulierungen Teilbehandlung (30 min MLD), Großbehandlung
(45 min MLD) und Ganzbehandlung (60 min
MLD) verwenden.
Lymphabflussstörungen, Indikationsschlüssel
LY2, mit prognostisch länger andauerndem Behandlungsbedarf.
bei primärer (angeborener) Schädigung des
Lymphsystems
bei sekundärer (erworbener) Schädigung
des Lymphsystems, z. B. nach Operationen,
Bestrahlungen, Verletzungen, Entzündungen
bei venöser Insuffizienz mit Hautschädigungen (z. B. Ulcus cruris)
bei postthrombotischem Syndrom
nach interventioneller / operativer Behandlung von Gefäßerkrankungen
bei primärer (angeborener) Schäden des
Lymphsystems
bei sekundärer (erworbener) Schädigung des
Lymphsystems, z.B. nach Operationen, Bestrahlungen, Verletzungen, Entzündungen
[3].
Die Therapie wird mit einer 6er-Serie in der Erstverordnung begonnen. In weiteren Serien zu je
6 Therapieeinheiten sollte nach maximal 30
Definition Lymphödem
Das Lymphödem ist, im unbehandelten Zustand, eine progrediente, chronische Erkrankung als Folge einer primären oder sekundären Schädigung des Lymphdrainagesystems mit Vermehrung und
Veränderung der interstitiellen Gewebsflüssigkeit. Im weiteren Verlauf ist die Erkrankung durch eine
Veränderung von Geweben, mit einer Zunahme von Binde- und Fettgewebe sowie Veränderungen
der extrazellulären Matrix gekennzeichnet [1].
Nr. 1 / 2015
KVH • aktuell
Einheiten die Erkrankung im Regelfall ausreichend
versorgt worden sein.
Bei der Regelfallversorgung besteht kein Anspruch auf die maximale Anzahl der Anwendungen
(hier 30 Einheiten), wenn mit einer geringeren Anzahl an Therapieeinheiten bereits ein ausreichender
Therapieerfolg erzielt worden ist. Dies ergibt sich
u.a. daraus, dass die Regelfallversorgung nicht aus
30 Therapieeinheiten, sondern maximal 5 x 6 Anwendungen/Verordnungen unter Berücksichtigung
einer Kontrolluntersuchung besteht.
Chronische Lymphabflussstörungen bei bösartigen Erkrankungen, Indikationsschlüssel LY3,
z. B. nach OP / Radiatio
Mammakarzinom
Malignome Kopf / Hals
Malignome des kleinen Beckens [3]
Die Therapie wird mit einer 10er-Serie in der
Erstverordnung begonnen. In weiteren Serien zu
je 10 Therapieeinheiten sollte nach maximal 50
Einheiten die Erkrankung im Regelfall ausreichend
versorgt worden sein.
Verordnung außerhalb des Regelfalls
Wenn die Regelverfallversorgung nach LY1, LY2
und LY3 nicht ausreichend ist – unzureichender
Therapieerfolg – kann ohne eine Therapiepause
über den Regelfall hinaus eine Folgeverordnung
außerhalb des Regelfalls ausgestellt werden. Dies
muss medizinische begründet und mit einer prognostischen Einschätzung versehen werden.
Sofern im Einzelfall verlaufsabhängig unmittelbar ein Wechsel von LY1 zu LY2 medizinisch
begründet ist, ist die bereits zu LY1 erfolgte
Verordnungsmenge auf die Gesamt-verordnungsmenge von LY2 anzurechnen. Ein Wechsel von LY2 zu LY1 ist nicht möglich.
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Stadium I: Ödem von weicher Konsistenz,
Hochlagern reduziert Schwellung;
Stadium II: Ödem mit sekundären Gewebsveränderungen, Hochlagern ohne Wirkung
Stadium III: Elephantiastische harte Schwellung, häufig lobuläre Form mit typischen
Hautveränderungen [1].
Ohne Kompression
keine weitere MLD-Verordnung
Nach der Lymphdrainage ist die Extremität zu
komprimieren! Ohne Kompression ist der Effekt
der Lymphdrainage schnell verloren. Dies sollte zu
der Konsequenz führen, dass ohne Bereitschaft
des Patienten eine Kompression zu tragen, keine
Lymphdrainage mehr verordnet wird.
Der Patient muss bereit sein, sich bei der Behandlung seiner Erkrankung einzubringen, einen
Kompressionsstrumpf zu tragen, ansonsten kann
er von seinem behandelnden Arzt bzw. der Solidaritätsgemeinschaft nicht erwarten, dass er eine
maximale Versorgung erhält.
Kompressionsbehandlung
Verkürzt gesagt sollte folgendes gelten:
Kompressionsbandagierung in der Entstauungsphase
Kompressionsstrumpf in der Erhaltungsphase
Das bedeutet, die Entstauungstherapie ist eine
Zweiphasentherapie. In der Phase, wo die lymphatische Erkrankung besonders ausgeprägt ist,
verbietet sich die Anpassung eines Kompressionsstrumpfes. Zunächst muss hier eine Entstauung
durch Kompressionsbandagierung erreicht werden.
Verordnungen außerhalb des Regelfalls sind, so
wie dies aus der Formulierung hervorgeht, Ausnahmen. Unter vielen Fällen einer, der gut dokumentiert und begründet werden muss.
Die Kompressionsbandagierung selbst ist eine
Leistung des Physiotherapeuten. Die Kompressionsbandagierung wird somit zusätzlich zur Lymphdrainage auf dem Muster 13 (Heilmittelrezept)
verordnet, damit der Physiotherapeut tätig werden
kann. Es entstehen zusätzliche Verordnungskosten.
Die Maßnahme ist medizinisch in diesem Stadium der Erkrankung aber absolut notwendig und
zweckmäßig und damit zu verordnen.
Beim Lymphödem unterscheidet man folgende
Stadien, die Ihnen bei der Beurteilung für die
Verordnungsrelevanz außerhalb des Regelfalls ebenfalls helfen:
Stadium 0: Keine Schwellung, pathologisches Lymphszintigramm;
Die Leitlinie zur Therapie der Lymphödeme (1)
formuliert, dass die komprimierende Bandagierung
den Vorteil bietet, dass bei abnehmender Schwellung, d.h. bei der Reduktion der Umfänge, die
Druckbehandlung kontinuierlich den betroffenen
Körperteilen angepasst werden kann.
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KVH • aktuell
Der Physiotherapeut benötigt, um die Kompressionsbandagierung vornehmen zu können, Binden
(Verbandsmaterialien). Somit sind auch diese Verbandsmaterialien vom Vertragsarzt zu verordnen.
Bitte stellen Sie dafür ein rotes Arzneiverordnungsblatt – Muster 16 – aus.
Welche Binden werden benötigt und
sind zu verordnen?
1 x weiche Fixierbinde 4 cm
2 x Dauerelastische Binde kräftig 12 cm
2 x Kurzzugbinde 6 cm
4 x Kurzzugbinde 8 cm
8 x Kurzzugbinde 10 cm
4 x Kurzzugbinde 12 cm
1 x Standardpflaster zum fixieren 2,5 cm
2 x Schaumstoffbinde 10 cm
2 x Schaumstoffbinde 15 cm
Die Abrechnung der behandelnden Physiotherapeuten bei der Kompressionsbandagierung erfolgt
über eine „Gebührenordnungsnummer“ (Abrechnungsposition X0204). Mit der Vergütung dieser
„Gebührenordnungsnummer“ sind die Kosten
für Polstermaterial und Schlauchverbände (Tricofix
o.ä.) mit abgegolten. Die Arztpraxis kann nur die
Kompressionsbinden auf Namen des Patienten
und zu Lasten der jeweiligen Kasse verordnen.
Polstermaterialien und Schlauchverband muss der
Physiotherapeut selbst stellen. Alle Lymphsets beinhalten leider die Polstermaterialien bzw. Schlauchverbände, so dass ein Lymphset nicht zu Lasten der
GKV verordnet werden kann. Zum Beispiel Rosidal
Lymphset beinhaltet:
tg Schlauchverband (damit nicht
verordnungsfähig)
Als Hautschutz (Hygiene) unter dem entstauenden Kompressionsverband. Enthält hauptsächlich
Baumwolle.
Mollelast
Angenehm weiche, sehr elastische Fixierbinde zur
Kompression von Fingern und Zehen beim lymphologischen Kompressionsverband.
Komprex Schaumgummi-Binde
Zur Kompression bei der Ödembehandlung.
Cellona Synthetikwatte (damit nicht verordnungsfähig) Als Polster unter dem Kompressionsverband zur gleichmäßigen Druckverteilung
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sowie zur Verhinderung von Abschnürungen und
Druckstellen.
Rosidal soft
Hautfreundliche und luftdurchlässige Schaumstoffbinde zur Polsterung unter dem Kompressionsverband. Verhindert das Rutschen des Verbandes.
Rosidal K
Kräftig komprimierende Kurzzugbinde aus 100%
Baumwolle zur kräftigen Kompression in der lymphologischen Therapie.
Idealbinde
Zur kräftigen Kompression und Verbandstabilisierung im Bereich des Oberschenkels und des
Abdomens.
Die Kompressionsbandagierung erfolgt regelmäßig nicht auf Dauer, sondern nur vorübergehend
und geht dann über in die Versorgung des Patienten mit einem Kompressionsstrumpf.
Kompressionsstrümpfe zählen nach der leistungsrechtlichen Einteilung der GKV zu den Hilfsmitteln.
Daraus folgt, dass Kosten weder zu den Heilmitteln,
noch zu den Arzneimitteln einbezogen werden.
Für Hilfsmittel gibt es keine statistische Erfassung der Kosten bezogen auf den verordnenden Arzt.
Die Hilfsmittelverordnung erfolgt immer über das
Muster 16, Arzneiverordnungsblatt, das zudem im
Feld „7“ markiert wird.
Auf einem Hilfsmittelrezept muss nach den
Hilfsmittel-Richtlinien immer eine Diagnose angegeben werden.
Der Kompressionsstrumpf wird dann bei der
lymphatischen Erkrankung angepasst, wenn das
Stadium der Entstauungstherapie abgeschlossen
ist. Das Bein oder der Arm sind im Umfang reduziert und ein Kompressionsstrumpf beginnend ab
Klasse 2 oder höher ist ab diesem Zeitpunkt die
Versorgung der Wahl.
Die Formulierung: „Kompressionsstrumpf nach
Maß“ sollte nicht auf dem Rezept angegeben
werden. Natürlich muss der Patient morgens, dann
wenn das Bein oder der Arm noch nicht geschwollen
ist, in der Apotheke oder im Sanitätshaus vorsprechen und es wird immer gemessen und die Messergebnisse in einer Maßkarte dokumentiert.
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Die Messung/Maßkarte ist die alleinige Grundlage dafür, ob der Patient mit einer passenden
Konfektionsware versorgt werden kann, oder eine
individuelle Maßanfertigung erfolgen muss.
Es gibt Krankheitszustände, die höhere Frequenz
pro Woche erforderlich machen. Dies bedingt eine
ausreichende Dokumentation der Symptomatik auf
dem Rezept bzw. in den ärztlichen Unterlagen.
Beim Kompressionsstrumpf gilt die Regelung in
den Hilfsmittel-Richtlinien, dass aus hygienischen
Gründen eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmittel erfolgen kann. Der Patient muss den Strumpf
waschen und damit wechseln können; ein zweites
Paar kann deshalb verordnet werden.
Eine Therapiefrequenz von mehr als 2 x pro
Woche kann in der akuten Entstauungsphase
notwendig sein und ist dann bei abklingender
Symptomatik zu reduzieren.
Diese „doppelte Versorgung“ treffen Sie aber
nicht gleich bei der ersten Ausstattung, so unsere
Empfehlung. Vielmehr erhält der Patient hier zunächst ein Paar (wenn z.B. beide Beine betroffen
sind) verordnet. Diese werden angefertigt. Nach
der Anfertigung spricht der Patient bei einem
Kontrolltermin in der Arztpraxis vor und wenn er
dann berichtet, dass der angepasste Strumpf gut
vertragen und täglich getragen wird, dann kann
sofort ein weiteres Paar (wenn z.B. beide Beine
betroffen sind) rezeptiert werden.
Es ist erforderlich, dass es mindestens einen ArztPatienten-Kontakt im Quartal bei Patienten mit
durchgehender physikalisch-therapeutischen Behandlung gibt, denn die Heilmittelrichtlinien des
Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen sehen vor, dass sich der Arzt von
dem Erfolg der Heilmitteltherapiemaßnahme zu
überzeugen hat.
Wenn der Strumpf täglich getragen wird, was
grundsätzlich der Fall sein sollte, dann lässt die
Kompressionskraft nach etwa 6 Monaten nach und
der Strumpf kann nach diesem Zeitraum erneut
verordnet werden.
Bei LY1 und LY2 sind maximal 6 Therapieeinheiten pro Rezept möglich, bei LY3 maximal 10
Therapieeinheiten pro Rezept.
Therapiefrequenz
Die Therapiefrequenz ist im Heilmittelkatalog
für jeden Indikationsschlüssel vorgegeben. Beispielsweise MLD mindestens 1 x pro Woche. Mit
der Verordnung gibt der behandelnde Arzt die
Frequenz vor. Wir raten zu einer eindeutigen Verordung, wie z.B. 1 x pro Woche und nicht zu einer
Angabe 1 bis 2 x pro Woche.
Nach den Heilmittel-Richtlinien liegt die Therapiefrequenz bei LY1 bei mindestens 2 x wöchentlich und bei LY2 und LY3 bei mindestens 1 x
wöchentlich.
Verordnungsmengen
Bei der Erstverordnung und der Folgeverordnung
im Regelfall ist die Therapieserie vorgegeben.
Abweichende und damit auch höhere Mengenangaben pro Rezept sind erst dann möglich, wenn
die Therapiemaßnahme außerhalb des Regelfalls
erfolgt. Bei Folgeverordnungen außerhalb des
Regelfalls kann somit die individuell erforderliche
Anzahl an Therapieeinheiten verordnet werden.
Allerdings gilt dies nur für den Zeitraum von 12
Wochen. Dann ist für die Weiterverordnung eine
Kontrolluntersuchung erforderlich.
Beispiel für den Zeitraum von 12 Wochen:
Verordnungsmenge max. 12 Therapieeinheiten bei Therapiefrequenz 1 x pro Woche
Verordnungsmenge max. 24 Therapieeinheiten bei Therapiefrequenz 2 x pro Woche
Komplexe Physikalische Entstauungstherapie:
MLD
Hautpflege
Kompressionstherapie
Bewegungstherapie Deutsche Gesellschaft für Lymphologie
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Lymphologie
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Lipödem
Bei der Behandlung des sogenannten Lipödems empfiehlt das Behandlungskonzept von Földi, die
Komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) Phase eins durchzuführen. In der KPE Phase zwei
können die Maßnahmen, wie die MLD, ausschleichend abgebaut werden. Sehr wichtig bei dem
Lipödem ist die Versorgung mit einer gut sitzenden Kompressionsstrumpfhose, die konsequent von
der Patientin getragen werden muss. Zudem ist die Verbindung über Bewegung unabdingbar. Die
Compliance der Patienten mit Lipödem ist laut Földi häufig sehr schlecht, sowohl was das Tragen
der Kompressionsstrumpfhose wie auch das Erhalten des normalen Körpergewichts betreffend.
Dies sollte aber nicht durch eine häufiger durchgeführten MLD mit einer hohen Behandlungszeit,
zur Lasten der Gesetzlichen Krankenkasse, kompensiert werden. Diese Vorgehensweise wäre nicht
medizinisch sinnvoll, da die MLD ohne konsequente Kompression nicht langanhaltend wirksam ist.
In den aktuellen Prüfverfahren für den Verordnungszeitraum 2012 wurde seitens der hessischen
Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen in
Bezug auf die MLD kritisiert, dass Ärzte zu einem
hohen Anteil die MLD als Therapieeinheit mit 60
Minuten verordnet hatten. Unter einer wirtschaftlichen Verordnungsweise würde man verstehen,
dass die Therapielänge 60 Minuten nur sehr wenigen Einzelfällen vorbehalten bleiben müsse und
nicht die Regelversorgung bedeute.
Da es sich hierbei um Arztpraxen handelte, die
sehr hohe Überschreitungen zu den Richtgrößenverordnungsvolumen aufgewiesen hatten, ist die
Kritik nachvollziehbar und sicherlich leicht vom
Arzt umzustellen.
Bewegungstherapie –
Selbsttherapiemaßnahme sind
experimentell und klinisch belegt
Patienten mit lymphatischen Beschwerden der Extremitäten neigen dazu, ihre körperliche Aktivität
einzuschränken. Es ist aber falsch, die Extremitäten
wegen des Ödems zu schonen oder nur hochzulagern. Die Muskel- und Gelenkpumpe wirken sich in
Verbindung mit der Kompressionsversorgung rückflussfördernd auf Venen und Lymphbahnen aus.
Besonders geeignet sind:
Walking- Nordic Walking
Radfahren – Hometrainer
Schwimmen
Medizinische Trainingstherapie / Krafttraining
Langlauf [1]
Entlastung für den Vertragsarzt
Eine neue Vereinbarung zwischen GKV-Spitzenverband und KBV entlasten den verordnenden
Vertragsarzt. Bei einer Vielzahl von schweren Erkrankungen trägt jetzt wieder die Krankenkasse
das Morbiditätsrisiko bei den verordneten Heilmitteln. Lymphatische Erkrankungen sind davon auch
betroffen.
Zwar handelt es sich hierbei um ein komplexes
Regelwerk, das zwischen dem GKV-Spitzenverband
und der KBV als bundesweiter Vertrag beschlossen
wurde, die Konsequenzen sind für die Vertragsärzte jedoch sehr gut.
Die Verordnungskosten für Heilmittel, also auch
für die Lymphdrainage, sind für die Erkrankungen,
die in der Vereinbarung aufgelistet sind, außerhalb
der Verordnungsbudgets.
Heilmittelverordnungskosten für die MLD werden bei
der Elephantiasis (ICD-10 Code I89.0),
bösartiger Neubildung nach OP / Radiatio
Mammakarzinom, Mailgnomen Kopf / Hals
und Malignomen des kleinen Beckens (ICD10 Code C00-C97),
beim hereditärem Lymphödem (ICD-10 Code
Q82.0)
aus den Verordnungsstatistiken zur Richtgrößenprüfung herausgerechnet und belasten das Heilmittelbudget nicht mehr.
So sind beispielsweise alle Lymphdrainageverordnungen im Bereich der Gynäkologie, die nach
Mamma-Ca. oder nach Ovarial-Ca. notwendig
werden 1:1 aus der Statistik herausgerechnet. Das
gilt natürlich auch bei onkologischen Praxen oder
onkologischen Fällen, die mit MLD in der hausärztlichen Praxis versorgt werden.
Die vollständige Liste der Vereinbarung zwischen
GKV-Spitzenverband und KBV, die seit dem
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1.1.2013 gilt, hat die KV Hessen unter der Webseite
http://www.kvhessen.de/fuer-unsere-mitglieder/
publikationen/infopharm veröffentlicht.
Damit die Verordnungskosten aus den Budgets
herausgerechnet werden, muss auf die exakte
Übertragung des ICD-10 Code und des Indikationsschlüssels auf die Verordnungsvordrucke geachtet
werden.
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nungen gibt, kann eine nicht zweckmäßige, nicht
notwenige und nicht wirtschaftliche Verordnung
auch nicht ausgestellt werden, dies sollte jeder Arzt
bei der Verordnung der MLD weiterhin bedenken.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1
AWMF online, Diagnostik und Therapie der Lymphödeme
2
AWMF online, Lipödem
3
G-BA, Heilmittelkatalog
Selbst wenn es keinen „Budgetdruck“ mehr
(oder noch viel „Luft im Budget“) für diese Verord-
Vergütung der Physiotherapeuten nach der Gebührenordnung der Ersatzkassen
Leistungen / Legende
Kosten
Manuelle Lymphdrainage (MLD) 30 Min.
15,90 €
Manuelle Lymphdrainage (MLD) 45 Min.
23,19 €
Manuelle Lymphdrainage (MLD) 60 Min.
37,81 €
Kompressionsbandagierung einer Extremität
6,82 €
Quelle: Gebührenordnung Physiotherapeuten; VdeK
Minutiös dokumentiert und spannend:
Die mafiösen Methoden im Pharma-Marketing
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Buchbesprechung der Neuerscheinung „Tödliche
Medizin und organisierte Kriminalität“ von Peter
C. Goetzsche, 2014, RIVA-Verlag München 512
S, 24,90 €. (Erster Preis kürzlich in der Kategorie
„Grundlagen der Medizin“ der British Medical
Association).
führenden Pharmakonzerne von Gerichten in den
USA durchgesetzt und erzwungen worden waren:
wegen illegaler Vermarktung bei nicht zugelassenen Indikationen, wegen falscher Darstellung von
Forschungsergebnissen, wegen Verschweigens
schädlicher Nebenwirkungen und wegen Betrugs.
Der Gründer und Leiter des Nordischen Cochrane-Zentrums in Kopenhagen stellt in seinem unlängst auf Deutsch erschienenen Buch zahlreiche
und schwerwiegende Manipulationen in der Medikamenten-Vermarktung dar nach gründlichen Recherchen, die er mit vielen Quellenangaben belegt.
Der ehemalige Insider hatte als Pharmareferent
(bei Fa. Astra, später Fa. Astra-Syntex) etliche
unredliche Marketingmethoden verschiedener
Hersteller kennengelernt. Der Chemiker und Biologe studierte nach seinem Ausscheiden aus den
Diensten der Industrie Medizin und deckte seither
Studienmanipulationen in vielen Firmen auf, die
er detailliert darstellt. Dabei beschreibt Goetzsche,
wie riesige Summen zur Beeinflussung der Marketingchancen an Meinungsführer, Politiker,
So berichtet er ab Seite 60 von zahlreichen erfolgten Strafzahlungen und Abfindungen in Milliardenhöhe, die inzwischen gegen die 10 weltweit
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KVH • aktuell
Beamte in Aufsichtsgremien und Ärzte geflossen
waren, die aus den überhöhten Pharmaprofiten
generiert worden waren.
Das gut gegliederte Buch liest sich flüssig, teilweise sogar spannend. Der Autor spart nicht mit
Vorwürfen über die Profitgier etlicher Hersteller
mit Inkaufnahme von Schädigungen zahlreicher
Patienten bis hin zu Todesfällen. So empört ihn
besonders, dass Pharmafirmen mit vielen Ärzten
und Patienten Studien erstellen lassen, aber dass
ihre Ergebnisse mit dem Studiendesign, den vollständigen Falldaten, den Nebenwirkungen usw.
als „Eigentum der Hersteller“ geheim gehalten
werden. Die statistische Nachbearbeitung wird
dann durch die Firmen und ihre Ghostwriter mittels „Datenmassage“ für ein positives Ergebnis
optimiert. Beim Marketing wird durch solche
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gefakten Studien häufig ein blendendes und fast
Nebenwirkungs-freies Wirkprinzip dargestellt, das
natürlich einen besonderen Preis rechtfertige. So
werden mit sogenannten „Blockbustern“ jährlich
weltweit Umsätze von Milliarden US-Dollar erzielt.
Der Autor macht aber auch ausführliche und
gut begründete Verbesserungsvorschläge für eine
Lösung dieser ethischen Probleme durch Datenmanipulation und Interessenkonflikte bei Herstellern,
Gesundheitsaufsicht und schliesslich auch bei jedem anwendenden Arzt.
Die Lektüre dieses Buches ist deswegen für jeden
kritischen Leser bei der Anwendung von Medikamenten unverzichtbar.
Interessenkonflikte: keine
Duale Plättchenhemmer – neue
Thrombozytenaggregationshemmer in der
hausärztlichen Versorgung
Schlusswort des Autors zum Leserbrief „S1-Leitlinie - mit der Lupe eines
Kardiologen gelesen“ von Dr. med. Christian Albrecht in KVH aktuell 4/2014
Herrn Kollegen Albrecht sei herzlich gedankt für
die Mühe, die er sich macht, sich als Kardiologe
mit der allgemeinmedizinischen Leitlinie zu den
Thrombozyten-Aggregationshemmern en detail
argumentativ auseinanderzusetzen. Zu seinen Argumenten im Einzelnen:
es fehle eine Empfehlung zum Vorgehen bei
Kontraindikationen gegen ASS/Clopidogrel
nach Stent-Implantation.
Eine Kontraindikation gegen beide Substanzen gleichzeitig habe ich noch nicht erlebt. Es
findet sich hierzu auch keine Evidenz, die eine
Empfehlung begründen würde.
Bei ASS-Kontraindikation könne nach Durchführung eines Thrombozyten-Funktionstestes
das Clopidogrel höher dosiert gegeben werden.
Hier gibt es genügend Evidenz dafür, dass die
Durchführung von solchen Funktionstests und
die entsprechende höhere Clopidogrel-Dosis
keinen Vorteil für die Patienten darstellen.
Die Empfehlung, nach beschichtetem Stent
eine doppelte Plättchenhemmung (DAPT) einzusetzen, stehe mit nur einer begründenden
Studie (PRODIGY) auf zu wackeligen Füßen.
Eine frische Arbeit aus dem New England
Journal fand bei knapp 10.000 Patienten,
bei denen die DAPT bei beschichtetem Stent
auf bis zu 30 Monate ausgedehnt wurde: in
der länger behandelten Gruppe gab es zwar
1,0% weniger Stent-Thrombosen und 1,6%
weniger größere kardiovaskuläre Ereignisse,
die Gesamtsterblichkeit war aber in der länger
behandelten Gruppe um 0,5% erhöht, die
Blutungsrate natürlich ohnehin, und egal, wie
lange die Patienten eine doppelte Plättchenhemmung erhielten, hatten sie eine erhöhte
Rate an Stent-Thrombosen und Infarkten
in den ersten 3 Monaten nach Beendigung
der Clopidogrel-Gabe. In einer im Lancet
veröffentlichten Untersuchung brachte eine
Verlängerung einer DAPT über 1 Jahr hinaus
keinen Vorteil. Und eine frische ebenfalls im
Lancet veröffentlichte, die DAPT-Studie einbeziehende Metaanalyse von 14 Studien mit
knapp 70.000 Patienten zeigte keinen
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Anstieg der gesamten oder der kardiovaskulären Sterblichkeit, wenn eine DAPT bereits
nach 6 Monaten beendet wurde.
Es solle darauf geachtet werden, Ticagrelor
nur bei tatsächlich gesichertem akutem koronarem Syndrom (ACS) einzusetzen.
Darin sind wir uns selbstverständlich einig:
Ticagrelor sollte nicht bei einer stabilen KHK
verwendet werden.
Der Einsatz von Ticagrelor bei konservativer
oder bei Bypass-Behandlung eines Myokardinfarktes sei zu hinterfragen.
Hier ist die Datenlage nach der PLATO-Studie
eindeutig: Ticagrelor hat einen klaren Vorteil
bei allen Formen des koronaren Syndroms unabhängig von deren Behandlung, also auch
bei konservativ und mit Bypass behandelten
Infarkt-Patienten
Bei Unverträglichkeit von Ticagrelor solle Clopidogrel unabhängig vom implantierten Stent
12 Monate lang eingenommen werden.
International einheitlich wird nach unbeschichtetem Stent eine DAPT nur für 4 Wochen empfohlen. Bei konservativ behandeltem
akutem Koronarsyndrom hatte eine DAPT in
der CURE-Studie einen Netto-Vorteil (Reduktion von Reinfarkten abzüglich größere Blutungskomplikationen) nur während der ersten
3 Monate. Eine doppelte Plättchenhemmung
mit ASS+Clopidogrel über 12 Monate nach
Infarkt ist nicht zu empfehlen.
Die Feststellung, Prasugrel sei beim ACS nicht
indiziert, widerspreche der Datenlage und den
Empfehlungen der Fachgesellschaften AHA,
ESC und DGK.
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In der Nachanalyse der TRITON-TIMI-38-Studie durch das IQWIG kam heraus, dass
– beim Nutzen von Prasugrel rein enzymatische periprozedurale Infarkte mit gezählt
wurden,
– bei den schwer wiegenden Blutungen die
nach einer Bypass-OP aufgetretenen nicht
mit gezählt wurden,
– Clopidogrel in der Studie systematisch
dadurch benachteiligt wurde, dass es zu
spät, z.T. erst nach der PTCA eingesetzt
wurde.
=> Prasugrel hat nach akutem Koronarsyndrom keinesfalls mehr Vor- als Nachteile im Vergleich zu Clopidogrel. In der
TRILOGY-ACS-Studie bestätigte sich das
bei über 7000 Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die konservativ behandelt
wurden.
Die Empfehlungen der DEGAM-S1-Leitlinie
Thrombozyten-Aggregationshemmer sind gut
begründet und können, auch wenn sie im Widerspruch zu Empfehlungen und Therapie diverser
Kardiologen stehen mögen, problemlos durch die
Hausärztinnen und Hausärzte befolgt werden. Im
juristischen Zweifelsfall sind die Empfehlungen der
eigenen Fachgesellschaft relevant.
Dr. med. Günther Egidi,
Arzt für Allgemeinmedizin,
Autor der DEGAM-S1-Leitlinie „Duale
Plättchenhemmer – neue
Thrombozytenaggregationshemmer in der
hausärztlichen Versorgung“
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Foto: www.miriamdoerr.com
Unsere beiden Beiträge zum Wundmanagement in KVH aktuell Nr. 4/2014 sind
offensichtlich auf großes Interesse bei unseren Lesern gestoßen. Wie behandeln
die Kolleg/Innen chronische Wunden? Müssen wir uns von den „Wundmanagern“
bevormunden lassen? Wir haben eine ganze Reihe von Zuschriften bekommen –
einen Teil davon stellen wir auf den folgenden Seiten vor.
Mit ein wenig Courage
zerschlagen wir das Kartell
Wundbehandlung macht Mühe; natürlich ist es
für Pflegekräfte angenehmer, einmal wöchentlich
eine Wundauflage aufs offene Bein zu kleben, bis
der Eiter darunter hervorquillt, anstatt regelmäßig,
womöglich täglich Verbände anzulegen. Wenn
ihnen dieses Vorgehen von sogenannten „Wundmanagern“, die auf der Gehaltsliste der Hersteller
stehen, auch noch als das Nonplusultra eingeflüstert wird, ist das Kartell aus Inkompetenz; Faulheit
und Korruption perfekt.
Dem Kollegen Seffrin sei ins Stammbuch geschrieben, dass es ihm mit seinem Rezeptblock ein
leichtes ist, dieses Kartell zu zerschlagen, ein wenig
Courage vorausgesetzt. Und wenn der Patient sich
einen „willigen Kollegen“ sucht – sei`s drum, offene Beine und chronische Wunden sind bei allen
Kassenärzten ein Zuschussgeschäft.
Selbstverständlich ist ein drohender Regress kein
gutes Argument für den Arztberuf. Ein Problem ist
er jedoch nur für Kollegen, die in ihrem Selbstverständnis die größte medizinische Koryphäe aller
Zeiten sein müssen und ohne Rücksicht auf die
Kosten vor sich hin doktern. Wer für 40.000 Euro
pro Jahr Wundauflagen für einen Patienten verordnet, ist selbst schuld und hat seinen Regress redlich
verdient (und sein RLV ebenfalls).
Dr. med. Rainer Klose
Facharzt für Dermatologie
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KVH • aktuell
Seite 25
Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Kein Rezept für schon gelieferte Verbände!
Vielen Dank für die beiden sehr hilfreichen Artikel
in KV-aktuell Nr.4-2014 zum Thema Wundversorgung und dem Problemen bei der Verordnung von
Wundauflagen.
Aus meiner Sicht ist hier nur das möglichst konsequente Umsetzen praxisinterner Standarts schadensbegrenzend. Dazu gehören:
– Kritische Beurteilung von Empfehlungen von
Krankenhäusern, Ambulanzen, Wundschwestern usw.
– Keine Verordnung nach bereits erfolgter Lieferung an den Patienten.
– Verwendung einer praxisinternen Positivliste
(Beispiele aus meiner Praxis zeigt die folgendeTabelle).
Dr. med. Uwe Stolz
Facharzt für Allgemeinmedizin
Ziel 1.3.4 (1) Wundauflagen – praxisinterne Positivliste
Ziel: kostengünstige Verordnung von Wundauflagen
Anmerkung 1: Die praxisinterne CL listet kostengünstige Wundauflagen. Diese sollen bevorzugt verordnet werden. Bei der Auswahl
ist die Stückzahl zu beachten. Eine Verordnung nicht gelisteter Wundauflagen soll nur im Ausnahmefall erfolgen. Verordnungen nach
Krankenhausentlassung, Empfehlungen von „Wundschwestern“, Pflegediensten sind entsprechend kritisch zu prüfen
Anmerkung 2: Die aufgeführten Preise sind Apothekeneinkaufspreise (Quelle: Lauer-Taxe). Ein Preisvergleich erfolgt 1x /Jahr nach
Angaben einer Apotheke. Bitte beachten: Die Apothekenverkaufspreise liegen ca. 30-40% höher.
Bezeichnung
Hydrocolloidverband
1. Wahl
Ultec pro
2. Wahl
Traumasive plus
Schaumverbände
1. Wahl
Dracofoam
2. Wahl
Askina DresSil
Hydrogele
1. Wahl
Hydrosorb
Folienverbände
1. Wahl
Mepore Film
2. Wahl
Suprasorb F
3. Wahl
Nobaderm
Silber-, Jodverbände
1. Wahl
Atrauman Ag
2. Wahl
Urgotül Silver
3. Wahl
Betaisodona Wundg.
Alginate
1. Wahl
Draco Algin
2. Wahl
Askina Sorb
Wundgaze
1. Wahl
Oleo-Tüll
2. Wahl
Branolind
Wahl
Cuticell Classic
Hersteller
PZN
Größe
Stückzahl
Preis/St.
Covidien
01893276
10x10
5
3,80
Hexal AG
08704278
10x10
10
4,50
Draco
04350429
10x10
10
4,86
B.Braun
06489189
10x10
10
5,70
Hartmann
04426635
10x10
5
8,28
Mölnlycke
02381331
10x12
10
2,10
Lohmann
00433012
10x12
10
2,21
Noba
00428152
10x12
50
1,62
Hartmann
02813807
10x10
10
4,56
Urgo
04667356
10x12
10
5,87
Mundiph.
2754594
10x10
10
1,13
Draco
01003785
10x10
10
3,87
B.Braun
02251657
10x10
10
4,60
Sanofi
07051377
10x10
50
0,73
Hartmann
04074900
7,5x10
30
0,91
BSN
04979096
10x10
10
0,88
Seite 26
KVH • aktuell
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Bei mir behandelt der Chef noch selbst!
Ich bin Hausarzt in einer Kleinstadt in Sachsen seit
30 Jahren mit Versorgungen im Pflegeheim und
finde: Es war höchste Zeit, das Sie sich mal diesem
unerfreulichen Themas gewidmet haben. Was hier
im Alltag so abläuft, hat teilweise mafiöse Züge.
Die von ihnen geschilderten Wunschrezepte
von irgendwelchen unbekannten Sanitäthäusern
schlagen auch bei mir regelmäßig auf. Es hat sich
hier eine unheilige Allianz zwischen Krankenhäusern und „Wundmanagern/Wundschwestern/
Wundspezialisten etc.“ gebildet. Das erfordert ein
ausgesprochen dickes Fell des Hausarztes, sich hier
durchzusetzen. Da werden kistenweise Produkte
(wo ich weder Preis noch Namen kenne) schon
vorab geliefert und der Patient erpreßt, er müsse
diese bezahlen, wenn kein Rezept vom Hausarzt
komme. Eine Wundschwester, zu der ich sagte,
die Verordnungshoheit liege immer noch beim
Arzt, teilte mir mit, diese Zeiten seien schon längst
vorbei. (Eine Zutrittsgenehmigung für meine Praxis
war dann auch vorbei).
Da diese selbsternannten Experten oftmals direkt
nach den berühmten Freitagsentlassungen aktiv werden (Entlassungsmanagement der Krankenhäuser)
wird man dann montags mit Verschreibungswünschen bombardiert. Diese sind noch dazu oftmals
fachlich völlig abartig (z.B.Kombination Hydrogel mit
Saugkompressen!!) und fast immer völlig hypertroph
wie die Versorgung mit mehreren Systemen gleichzeitig. Einen Nutzen der Wundmanager/in (für den
Patienten) habe ich noch nie festgestellt. Ich halte das
für pures Marketing. Allerdings behandle ich gerne
Wunden und schiebe das nie ab, mag bei anderen
Kollegen mit anderen Schwerpunkten anders sein.
Die eigentliche Behandlung ( Verband, Spülung etc)
der Wunden macht doch dann eh ein Pflegedienst
nach Anordnung durch den behandelnden Arzt.
Von dessen sauberer Arbeitsweise hängt m.E. der
Erfolg der Behandlung ab, nicht von Empfehlungen
von Verkäufern mit Crashkurs „moderne Wundversorgung“. Wie sich Kollegen dieses wichtige Gebiet
der hausärztlichen Versorgung aus der Hand nehmen
lassen können ist mir ein Rätsel.
Ein Nutzen moderner Wundversorgung kann
ich für meine Praxis nur bestätigen für Hydro-
colloidverbände (die sich wegen des längeren
Wechselintervalls auch rechnen) und teilweise
Alginate/Folie bei stark absondernden Wunden.
(evtl. Hydrogele zum Ausfüllen eines „Kraters“
unter Hydrocolloid). Ich habe andere Systeme probiert (Schaumstoffe etc.) aber keine wesentlichen
Effekt feststellen können. Ansonsten benutze
ich gerne die feuchte Kochsalzkompresse unter
Occlusivverband (geht auch hervorragend mit
Haushaltfolie, ist natürlich nicht erlaubt..), damit
bekommt man (fast) jeden Dekubitus zur Granulation, dann Hydrocolloidverband.
Ich denke, die KV muß dringend!! die alltagsmüden Kollegen sensibilisieren (z.B. mal individuelle Aufstellung der verursachten Verbandmittelkosten), um ein Bewußtsein zu schaffen,
was z.B. ein Stück Schaumstoff oder ein Stück
Klebefolie als Verband kosten. Vielen Kollegen
ist das nicht bewußt, da bei uns nie Preise ankommen (bewußte Irreführung unterstelle ich
hier mal). Wieso gibt es denn keine Datenbank
mit wenigstens ca.-Preisen? Ist mal wieder glattes
politisches Versagen.
Ich mach mir schon gelegentlich die Mühe, nach
Verbandstoffpreisen im Internet zu suche. Man
erlebt dann sein blaues Wunder.
Bei mir finden (übrigens prinzipiell nicht erlaubte)
nachträgliche Verordnungen höchst selten statt
und mit Wundschwestern arbeite ich nie zusammen. Bei mir behandelt der Chef noch selbst.
Wieso sich manche Ärzte gegen solche Forderungen nicht durchsetzen, kann ich nicht verstehen
(Helfersyndrom / Harmoniebedürfnis / Gleichgültigkeit???). Das hier sinnlos ausgegebene Geld
kann viel besser an anderer Stelle für den Patienten
verwendet werden. Einen Regress über Verordnungen auszusprechen, von denen die Preise nicht
nachvollziehbar sind, ist natürlich niemandem
vermittelbar und nicht gerade geeignet, ärztlichen
Nachwuchs zu begeistern.
Trotzdem bin ich der Meinung, das viele Ärzte
nicht verstanden haben, daß sie auch eine Verantwortung gegenüber dem Sozialsystem haben
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
und verantwortlich für eine möglichst gerechte/
sinnvolle Verteilung der Resourcen sind, da wir die
Schnittstelle Patientenwunsch/Verkaufswunsch/
Sparwunsch Sozialkassen regulieren.
Wenn ich mit einem Kollegen über dieses (zugegebenermaßen schwierige ) pragmatische Thema
rede werde ich immer staunend angesehen...
bei teilweise fordernden Patienten damit an.
Hier ist ein Regress m.E. durchaus gerechtfertigt,
da diese Kollegen ja auch die Vorteile aus dieser
Arbeitsweise ziehen.
Dipl.Med. Matthias Geisler
FA für Allgemeinmedizin
Manche Ärzte denken immer noch, je teurer die
Behandlung desto besser sei sie und biedern sich
Heilung gelingt oft mit einfachen Mitteln
dem Artikel von Herrn Kollegen Seffrin über das
perfide System der Wundbehandlung ist eigentlich
nichts mehr hinzuzufügen. Für meine Person habe
ich es immer abgelehnt, unkritisch und ohne persönliche Kontrolle der Wunden reichlich Verbandmaterial nach Wunsch der Wundmanager/-innen
(oft sind es Krankenschwestern) zu rezeptieren. Ich
habe dagegen immer wieder festgestellt, dass oft
mit einfachen (und sehr preiswerten!!) Maßnahmen eine Abheilung von Wunden erreicht werden
kann. Man muß nur zunächst dem teilweise sehr
hohen Druck von der Gegenseite (Pflegedienste, Altenheime, Verwandschaft etc.) widerstehen. Wenn
dann aber klar ist, dass man sich nicht leichtfertig
ins Bockshorn jagen lässt und auch die Thereapiehoheit + Verantwortung (fachlich + gegenüber der
Kasse) beim Arzt liegt, ist wieder eine vernünftige
Zusammenarbeit möglich.
Dr. Axel Weber
Wir müssten für jedes Quartal eine
Spendenbescheinigung bekommen
Zunächst einmal ein sehr interessanter Beitrag von
Ihnen. Vielen Dank.
Zur Frage 1: Im Grunde genommen ist es ein
schwieriges Thema. Ich selbst arbeite bei chronisch
belegten Wunden viel mit Allevyn und Allevynsilber zu Beginn der Behandlung. Nach Ihrem
Beitrag werde ich Allevyn-Silber nicht nehmen. Ich
kann keine eindeutige Aussage darüber machen,
ob Allevyn tatsächlich zur schnelleren Wundheilung
führt. Für mich wirkt sich das positiv aus auf die
Wundheilung.
Zu Frage 2: Gesundheitspolitik ist ein Schlachtfeld. Wir Ärzte sind Soldaten unterster Gruppierung. Wir werden ohne Schutzschild ins Schlachtfeld geschickt. Wenn wir Glück haben, werden wir
von keinem Pfeil getroffen. Nicht nur bei Wundmanagement, sondern von A-Z. Für alles, was nicht
richtig ist und richtig läuft ach medizinischer Art, ist
der Arzt verantwortlich. Wenn ich je Patient etwa
20 oder 30 Euro pro Quartal bekomme, dann ist
meine Arbeit als niedrigst qualifiziert einzustufen.
Das ist doch der Umkehrschluss. Oder? Wer darf
mich dann überhaupt in Regress nehmen oder
verantwortlich machen? Wenn es um Regress
und Verantwortung geht, bin ich hochqualifiziert.
Wenn es um die Bezahlung geht, bin ich niedrigst
qualifiziert. Ich schenke der KV jedes Quartal
10.000 bis 15.000 Euro. Wie auch viele viele meiner Kollegen. Wir Ärzte müssten jedes Quartal eine
Spendenbescheinigung von der KV bekommen.
Diese könnten wir zumindest bei dem Steuerberater vorlegen. Das wäre doch eine Idee?!
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Zu Frage 3: Begeistern nicht. Erschrecken ja. Auch
Ärzte, die jahrelang niedergelassen sind, geben ihre
Zulassung wegen der gesamten Misere in dieser
Politik ab. Nur die Liebe zu meinem Beruf kann
mir keiner wegnehmen. Davon lebe ich und damit
beruhige ich mich und kompensiere meine Ängste und Sorgen. Oder haben wir etwa eine starke
Gewerkschaft wie die Piloten? Wir Ärzte nehmen
alles, aber auch alles hin.
Ich wollte eigentlich nichts schreiben. Aber Sie
haben sich sehr viel Mühe gegeben und einen sehr
interessanten Beitrag geschrieben. Ich konnte nicht
anders.
Dr. med. Mohsen Ghasemi
Meine Verahs beherrschen die
aktuelle Wundversorgung
Nachdem ich vor Jahren auch unter den Druck der
Wundmanager geraten bin, habe ich mich fortgebildet und nehme die Versorgung der Wunden
selbst vor. Behilflich sind mir dabei meine drei Verahs, demnächst auch Näpas, die sich regelmäßig
in der aktuellen Wundversorgung fortbilden und
die Wundversorgung am Krankenbett vornehmen.
Wundmanager und Fremdpflegepersonal nehme ich nicht in Anspruch. Ich selbst kontrolliere
wöchentlich persönlich den Wundzustand und
erörtere mit meinen Helferinnen unter Berück-
sichtigung der Wirtschaftlichkeit (der Apotheker
nennt mir die aktuellen Preise) die weiteren Therapiemaßnahmen. Auf diese Weise erhalte ich mir
meine Therapiehoheit, die ich im Übrigen weder bei
Ratschlägen von Krankenhauskollegen oder Facharztkollegen aufgebe. Das Rückgrat habe ich nach
fast 30 Jahren als niedergelassener Allgemeinarzt
schon. Sicherlich wird dies einem jungen Kollegen
so nicht sofort gelingen, meine Nachfolger werde
ich jedoch entsprechend stärken.
Dr. med. S. Remy
Erst mal die Grundkrankheit diagnostizieren!
Den Autoren ist zunächst dafür zu danken, dass
sie sich mit einem Thema beschäftigen, das „in der
Ausbildung des Arztes nicht zu den besonders relevanten Fächern“ (Hollmann) gehört, dabei aber Kosten verursacht, bei denen es sich „um einen hohen
Millionenbetrag“ (Seffrin ) handelt – der Behandlung
chronischer Wunden. Die Artikel enthalten sehr viel
Richtiges, was Markttransparenz, Datenlage zur
Wirksamkeit der Wundauflagen und Einfluß der
„Wundmanager“ angeht. Allerdings bleibt etwas
Entscheidendes nachzutragen. „Was ist eigentlich
die spezifisch ärztliche Rolle in der Behandlung chronischer Wunden?“ und „Nach welchen Kriterien
soll denn der verantwortungs- und kostenbewußte
Hausarzt Wundauflagen verschreiben, die doch immerhin „zweckmäßig“ ( Hollmann ) sind ?“
Zur Beantwortung der ersten Frage fehlt in dem
Artikel von Herrn Hollmann ein Teil der allgemein
gültigen Definition einer chronischen Wunde.
Sie ist nicht nur dadurch charakterisiert, dass der
Defekt ( übrigens nicht nur der der Haut, sondern
häufig genug auch der Defekt tiefer gelegener
Gewebe) länger als einige Wochen besteht. Ganz
entscheidend ist, dass chronische Wunden im Rahmen einer Grundkrankheit entstehen.
Es treten weniger „Verzögerungen während der
Heilung“ auf, der „natürliche Heilungsprozeß ist
auch nicht gestört oder gänzlich gestoppt“ ( Zitate
Hollmann ), sondern es bestehen aktive, zu Wunden führende Pathomechanismen, die identifiziert
werden müssen. Hierbei kann es sich z.B. um Störungen des venösen oder arteriellen Systems, den
Diabetes mellitus, entzündliche Hauterkrankungen oder maligne Krankheiten handeln. Aufgabe
des Arztes ist nicht zuvörderst das Verschreiben
einer Wundauflage, sondern die Diagnose der
Grundkrankheit und das Einleiten einer kausalen
Therapie!
Ist man sich über die Ursache der chronischen
Wunde im Klaren und hat man die adäquate
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Therapie dieser Erkrankung eingeleitet, folgt die
Verschreibung einer passenden Wundauflage. Aber
nach welchen Kriterien? Die im Artikel von Herrn
Seffrin zitierte S3 – Leitlinie der DGfW ( Deutsche
Gesellschaft für Wundheilung und Wundheilungsforschung) nennt dazu in der Empfehlung 29:
„.. Die Auswahl der Materialien erfolgt in Abstimmung mit den Zielen des Patienten und den
Erforderlichkeiten der Wundsituation und der
Wirtschaftlichkeit:
Schmerzvermeidung, Praktikabilität für den Patienten, Zustand von Wundrand und Wundumgebung,
Haftstärke, Exsudataufnahme und -rückhaltefähigkeit, Allergien und Verträglichkeit müssen berücksichtigt werden.“
Von einer Wundauflage alleine ist die Heilung
einer chronischen Wunde nicht zu erwarten. Heilen
kann nur die kausale Therapie. Die Wundauflage
wird bedarfsorientiert ausgewählt . Eine stark exsudierende Wunde benötigt einen Superabsorber,
eine fast abgeheilte Wunde kommt mit einer Folie
zurecht.
Über die jeweiligen Eigenschaften der angebotenen Produktgruppen ( z.B. Alginate, Schaumverbände, Hydrogele etc. ) lassen sich Informationen
z.B. in den Wundfibeln der großen Kliniken oder
auch im Internet ( z.B. in den Standards des Wundzentrum Hamburg ) finden.
Mit diesen Informationen ausgestattet, wird
es dem Hausarzt leichter fallen, die Diskussion
mit Patienten, Angehörigen, Pflegepersonal und
Wundmanagern zu führen. Verschreibt er nach den
genannten Kriterien ist er überdies vor Regressen
geschützt.
Dr.med. K.-C..Münter
FA für Allgemeinmedizin /Phlebologie
und 1. Vorsitzender des Wundzentrum
Hamburg e.V.
Den ohnmächtigen Hausarzt
gibt es bei mir nicht!
Mit großem Interesse habe ich Ihre der Wahrheit
entsprechenden Berichte über diese sogenannten
Wundbehandlungkonzepte gelesen.
Als jetzt seit 35 Jahren niedergelassener Landarzt, der eine chirurgische Ausbildung auf einer
Gefäßchirurgie einschließlich Phlebologie hatte,
kann ich nur immer wieder staunen, welcher Unsinn verbreitet wird. Meines Erachtens sind 70 bis
80 Prozent der hier angebotenen Wundauflagen
absoluter Nonsense. Immer wieder muss ich entdecken, dass Wunden zugekleistert werden, Tat
für Tag, Woche für Woche mit teuren Verbänden,
die, wie wir alle wissen, pro Verbandswechsel
vier bis acht Euro kosten können (vielleicht sogar
noch mehr).
Woher kommt dies?
Nach meinem Dafürhalten hat sich hier eine ausgeprägte Industriemafia gebildet, die Pflegerinnen
und Pfleger mit tollen Angeboten (Meetings mit Be-
wirtung) verführt, diese Verbände anzuwenden. Es
ist natürlich immer bequem, einen sterilen Verband,
nach theatralischer Anwendung von sterilen oder
halbsterilen Handschuhen, wieder draufzulegen.
Wundreinigungen werden selten vorgenommen,
baden ist teilweise verpönt, Kompressionen sind
auch nicht immer sehr bekannt oder wohlwollend
angewendet (bei Ulcus-cruris-Patienten).
Gründe für diese missliche Entwicklung sind
sicher die Bequemlichkeiten, die aus solchen
Verbänden resultieren. So, wir mir immer wieder
bekannt wird, beschäftigen sich viele Ärzte auch
nicht unbedingt gerne mit dieser Geduld erfordernden Therapie. Es wird delegiert und Arzthelferinnen werden zu solchen WundmanagementProgrammen geschickt oder Wundmanager/
Innen treten auf den Plan. Selbige kennen absolut
nicht mehr die herkömmlichen, durchaus auch
aseptischen Verbände, die wir in früheren Zeiten
gemacht haben. Damit hat die jetzt aktive Gruppierung keine Vergleichsmöglichkeiten mit
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
ehemals standardisierten Verbandmaterialien und
den jetzt neuen Verbänden.
auch den Mut haben, zu zeigen, wie die richtige
Wundversorgung aussieht.
Nach meinem Dafürhalten gehört eine UlkusVersorgung, egal ob arterieller oder venöser Ursache, in die Hand des Arztes. Den ohnmächtigen
Hausarzt gibt es bei mir nicht. Zu 99% schreibe ich
diese teuren Produkt nicht auf und verweise auf
diese Vertriebsmafia. Sicherlich muss man dann
Aber nochmals vielen Dank für Ihre Ausführungen, setzen Sie es fort, damit diesem teuren Übel
ein Ende gesetzt wird.
Dr. med. Willy Herget
Facharzt für Allgemeinmedizin
Ich habe mich selbst
zum Wundmanager gemacht
mit Interesse las ich den Artikel des Herrn Apotheker Klaus Hollmann und die Stellungnahme des
Kollegen Dr. med. Joachim Seffrin in KVH aktuell
Ausgabe Nr. 4.
Drohgebärde in Form einer Regressforderung in
Höhe von 40.000 € auf und verteufele im gleichen
Atemzug die „sogenannten Wundmanager“. Das
ist mir alles viel zu flach.
Ich selbst war vor einigen Jahren ebenso verwirrt
und verunsichert über den unüberschaubaren
Markt an Produkten zur Behandlung chronischer
Wunden und hatte zunächst nach dem Motto „try
and error“ versucht, die diversen Produkte auszuprobieren. Die damals eher häufigeren Misserfolge
mit teuren Wundauflagen gaben den Anlass im
März 2009 gemeinsam mit einer MFA meiner Praxis
den Kurs der ICW (Initiative Chronische Wunde:
https://www.icwunden.de/) in Bad Gandersheim zu
besuchen. Ich wollte mir von den, ich zitiere, „sogenannten Wundmanagern“ nichts vorschreiben
lassen, wollte meine ärztliche Kompetenz nicht aus
der Hand geben. So bin ich selbst ein „sogenannter
Wundmanager“ geworden.
Der Kollege Seffrin stellt die Frage, ob es ein
Zufall ist, dass keine evidenzbasierte Studien zur
Wirksamkeit von Wundauflagen existieren. Nein, es
ist kein Zufall. Das Medizinproduktegesetz schreibt
im Gegensatz zum Arzneimittelgesetz keine Studien vor. Es gibt hier also eine Lücke im Gesetz, die
geschlossen werden sollte.
Mittlerweile habe ich Anfang November das neu
von der ICW angebotene und weiterführende Kurrikulum zum „Ärztlichen Wundexperten“ in Duisburg absolviert. Der Kurs hat mich begeistert, weil
man hier die Handwerkzeuge vermittelt bekommt,
die ärztlichen Kompetenzen deutlich auszubauen
und ich fühle mich durchaus nicht als „fast ohnmächtiger Hausarzt“.
Der Beitrag des Herrn Apotheker Hollmann hat
mich sehr enttäuscht, denn nach meinem Empfinden setzt er sich nur sehr oberflächlich und plakativ
mit der Wundbehandlung auseinander – es geht
nach dem üblichen Strickmuster: Man baue eine
Außerdem liegt die Problematik der Durchführung von Studien in der Wundbehandlung auch
darin, dass es kaum möglich ist, eine chronische
Wunde mit einer anderen zu vergleichen, weil die
Rahmenbedingungen fast nie identisch sind:
Wie wollen Sie Wunden untereinander vergleichen, deren Heilung auch von diversen
Komorbiditäten und den entsprechenden
Begleittherapien abhängig ist?
Wie wollen Sie eine Verblindung durchführen, wenn Wundauflagen völlig unterschiedlich aussehen?
Wie und mit was sollte eine Vergleichsgruppe
behandelt werden?
Wenn man die S3-Leitlinie im Deutschen Ärzteblatt mal genauer inspiziert, finden sich darin
trotzdem viele wertvolle Hinweise, auch wenn sie
in der Tat in einigen Punkten eher einem Konsensuspapier entspricht. Zu Beginn der Leitlinie steht
nach meiner Meinung ein sehr wichtiger Satz:
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
„Die Behandlung der Wunde beginnt mit der
klinischen Anamnese und der darauf weiter einzuleitenden Diagnostik der Grunderkrankung, die
gemäß den Leitlinien-Empfehlungen der Fachgesellschaften erfolgen soll.“
Hier liebe Kolleginnen und Kollegen sind WIR
gefragt!
Nur Ärzte dürfen und sollten eine Diagnose stellen und Diagnostik durchführen! Pflegefachkräfte,
die im Artikel mit „sogenannten Wundmanager“
bezeichnet werden, dürfen das nicht. Wer sich aber
mit der Behandlung chronischer Wunden beschäftigt, stellt immer wieder fest, dass vor der Aufnahme
der Behandlung einer chronischen Wunde genau
dies durch die verantwortlichen Hausärzte nicht
erfolgt ist.
Natürlich kann man dann auf eine Wunde draufpacken, was immer man möchte und es wird
nicht sehr erfolgreich sein. Sie können auch bei
der Behandlung des Hypertonus erhebliche Fehler
machen, wenn die zu Grunde liegenden Ursachen
nicht beachtet werden.
Das Zitat des Kollegen Dr. Seffrin: „Hausärzte
dürfen oft nur noch das Rezept unterschreiben
und die Regressgefahr übernehmen – und wenn
sie sich weigern, werden sie unter Druck gesetzt“
zeigt genau dieses Dilemma: Wir überlassen, sicher
auch aus einer zeitlichen Überforderung heraus,
denn die Behandlung von chronischen Wunden
ist zeitaufwendig und schlecht honoriert, ureigene
ärztliche Funktionen den Pflegefachkräften und
jammern dann, dass man uns vorschreibt, was auf
eine Wunde zu kommen hat! Dies beruht auch auf
einem gewissen Desinteresse der meisten Kollege/
Innen an chronischen Wunden.
Viele Pflegekräfte haben sich in den letzten Jahren über Kurse fortgebildet. Ärzten fehlt häufig
das Wissen über die Unterschiede der Vielzahl
der Wundauflagen. Die Industrie hat dies bereits
erkannt und sucht mittlerweile lieber einen „Wundmanger“ als Ansprechpartner auf, bei dem sie gewisse Kenntnisse erwartet, als einen Arzt, der sich
mit dem Thema noch nie beschäftigt hat.
Für mich sieht eine erfolgreiche Wundbehandlung wie folgt aus:
Ärztliche Kompetenz in der Diagnosestellung
der Wundursache bzw. der Einleitung einer
entsprechenden Diagnostik
Ärztliche Kompetenz in einem Miteinander
von Haus-, Fach- und Klinikärzten
Ärztliche Kompetenz in der Organisation notwendiger flankierender Maßnahmen
Ärztliche Kompetenz in einem ordentlichen
Wunddebridement
Ärztliche Kompetenz in der Anleitung der
Pflegefachkräfte und Delegation der Wundbehandlung nach Durchführung o.g. Maßnahmen
Maßgebliches Ziel sollte immer das Arbeiten im Team mit den Wundbehandlern und
den anderen notwendigen Fachkräften, wie
Podologen, Orthopädietechniker, Orthopädieschuhmacher, Physiotherapeuten, …. sein!
… und genau dies beschreibt auch die Leitlinie in
einem Algorithmus (siehe Fließdiagramm) mit dem
eindeutigen Hinweis auf eine multidisziplinäre,
sektorenübergreifende Versorgung der Patienten!
ABER dazu muss ich als Arzt bereit sein, mir zum
einen diese Kompetenz zu erwerben (wir bilden
uns ja auch in der Behandlung des Diabetes oder
Hypertonus fort) und zum anderen auch mit den
weiteren beteiligten Fachdisziplinen zu kooperieren!
Die jedoch wichtigste Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung einer chronischen Wunde
wird im letzten Satz des Artikels „Die Wahl der
Wundauflage ist unter anderem abhängig von den
Erfordernissen der Wundsituation, den Zielen des
Patienten und der Wirtschaftlichkeit“ beschrieben.
Genau richtig: Die Wundsituation gibt die Wahl
der Wundauflage vor und was eine Wunde zur
Heilung benötigt, das kann ich lernen!
Was jedoch im Artikel von Herrn Hollmann überhaupt keine Erwähnung findet, ist das bereits oben
erwähnte Wunddebridement, hierin liegt auch
nach Einschätzung der Experten (siehe Leitlinie) ein
Großteil des Erfolgs einer Wundbehandlung, auch
wenn es hierzu erneut keine „harten Daten“ gibt.
Das chirurgische Wunddebridement ist aber
auch wieder eine ureigene ärztliche Aufgabe, den
Pflegefachkräften ist nach Erwerb entsprechender
Fachkenntnisse bei derzeitiger Rechtslage
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
nur der Umgang mit einem Scharfen Löffel oder
Kürette gestattet.
gen wird, sollte man sich beizeiten um konstruktive
Lösungsansätze bemühen. Dies schließt auch die
Einbeziehung von Pflegefachkräften ein, wir werden
uns dem nicht verschließen können und ich persönlich will das auch gar nicht. Ich empfinde die Zusammenarbeit als echte Bereicherung und Entlastung.
Ich darf hierzu eine Aussage von Herrn Prof. Dr.
med. Knut Kröger, dem stellvertretenden Vorsitzenden der Initiative Chronische Wunde anfügen, die er
sinngemäß in meinem Kurs
zur ärztlichen Wundexpertin
in Duisburg machte: „Ob
„Ob und wie schnell man
und wie schnell man eine
eine chronische Wunde zur
chronische Wunde zur AbAbheilung bringt, hängt in
heilung bringt, hängt in erster Linie davon ab, wie gut
erster Linie davon ab, wie
man die Wunde debridiert.
gut man die Wunde debVon welcher Firma anschließend die Wundauflage ist,
ridiert. Von welcher Firma
die auf die Wunde kommt,
die Wundauflage ist, die
ist unerheblich, sie muss nur
anschließend auf die Wunder jeweiligen Wundsituation angepasst sein!“
de kommt, ist unerheblich“
Wie sieht aber die derzeitige Versorgung chronischer
Wunden in Deutschland aus? Die Kolleginnen und
Kollegen, die sich mit chronischen Wunden beschäftigen, sind derzeit noch eine kleine Minderheit, die
dann in der Tat regressbedroht sind. Hier muss ich
dem Kollegen Dr. Seffrin unbedingt Recht geben:
Unsere jungen Kollegen/innen wollen unter diesen
Rahmenbedingungen mit drohender Regressgefahr
nicht arbeiten. Hier ist nicht nur die Politik gefragt,
sondern auch unser Widerstand gegen die unseligen
Regresse!
In Zeiten von einem drohendem Haus- und Fachärztemangel, so gehen allein in meinem Landkreis bis
zum Jahr 2020 165 Hausärzte in Ruhestand, deren
Nachbesetzung sicher nicht in vollem Umfang erfol-
Was kann ich also derzeit
zu meinem eigenen Regressschutz tun? Nach meiner Einschätzung ist eine fundierte
Ausbildung und eine präzise
Dokumentation der durchgeführten Wundbehandlung
der derzeit beste und einzige
Regressschutz, wenn man
sich nicht nachsagen lassen
möchte, eine Wunde nicht
nach dem derzeitigen Kenntnistand der Wissenschaft behandelt zu haben.
So kann ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur
ermutigen, sich auf dem Sektor der Versorgung
chronischer Wunden weiterzubilden. Und wenn
Wunde nun nicht Ihre Leidenschaft ist? Schließen
Sie sich mit den Wundbehandlungsnetzen Ihrer
Umgebung zusammen! Schauen Sie sich in ihrem
Umfeld nach ärztlichen Wundbehandlern um und
weisen Sie diesen spezialisierten Kollegen/innen die
betroffenen Patienten zu, ähnlich einem Facharzt. Ich
weise meine Diabetiker ja auch meinem besonders
qualifizierten Kollegen/in in der diabetologischen
Schwerpunktpraxis zu.
Katrin Fitzler
Fachärztin für Allgemeinmedizin
So finanzierten Ärzte
den Betriebsausflug des Heimpersonals
Die Artikel des Dezember-Heftes von KVH aktuell
über das Dilemma mit der Versorgung chronischer
Wunden mit mehr oder minder dubiosen Wundauflagen sprechen mir aus der Seele. Insbesondere
kann ich den Artikel von Herrn Seffrin nur bestätigen. Meine Erfahrungen mit verschiedenen Al-
tenheimen und dortigen „Wundmanagern“ sind
sehr ähnlich mißlich und frustrierend.
Dabei hat mir eine ehemalige PDL noch gebeichtet, daß es interne Absprachen zwischen
der Pflege und dem aus naheliegenden
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
Gründen favorisierten Wundzentrum gebe und
zwar dahingehend, dass man die Ärzte mit
detaillierten Vorschlägen zur Wundversorgung
ihrer Altenheim-Wundpatienten zur Unterschrift
unter einen nicht nachvollziehbaren Wust von
teuren Wundmaterialien bzw. auch Trinknahrung
bringe.
Selbstverständlich kommt es dann zur Abrechnung der rezeptierten (teuersten) Produkte, aber
die Auslieferung erfolgt mittels viel preiswerterer
Materialien. Differenz = Betriebsausflug für die
AltenpflegerInnen!!! Ich muß zugeben, dass meine Phantasie zuvor nicht ausreichte, mir so etwas
vorzustellen. Soll aber kein Einzelfall sein!
Ein derartiges Sponsoring mißfällt sicher nicht
nur mir. Solcherart vorgewarnt sann ich auf Abhilfe, ohne die Versorgungsqualität meiner Patienten
zu gefährden, aber mich vor üblen Regreßforderungen zu schützen.
1 Die WundberaterIn der Patienten-Krankenversicherung wird zum Ortstermin ins Altenheim einbestellt und soll Vorschläge bzgl. der
Wundversorgung machen. Diese ist meistens
dtl. billiger als die Vorschläge des Wundzentrums...Ich lasse mir von der Krankenkasse
diese Wundversorgung schriftlich genehmigen bzw. rezeptiere vorbehaltlich der Genehmigung durch die GKV.
2 Die Wundversorgungsvorschläge werden
schriftlich fixiert, z.b. durch Email der Wundberaterin an mich als Hausärztin und in der
Patientenakte vor Ort ebenfalls dargelegt.
So kommen vertretende Kollegen etwa zu
Urlaubszeiten nicht in Verlegenheit, in obige
Falle zu tappen.
3 Besondere Wundversorgungswünsche von
Patienten oder Angehörigen lasse ich per
Faxanfrage bei der KV abklären und bitte um
Verständnis, daß ich diesen probaten Vorschlag gern weitergegeben habe an ähnlich
geplagte Kollegen. Damit kann ich die Ablehnung solcher Forderungen selbstverständlich „auf höherer Ebene“ darstellen und bin
aus der psychologisch miserablen Situation
des Spielverderbers heraus. Patienten oder
Angehörige können sich dann leichter damit
abfinden, daß es eben nicht zu verordnen
geht und hören dann wieder auf meinen
fachlichen Rat. Derartige Wünsche nehmen
oft ihren Anfang in der „Beratung“ durch
Pflegekräfte mit wie auch immer gearteter
Qualifikation bzw. Interessenlage s.o. Dann
folgt meine Ablehnung, womit ich mir den
Ärger der Versicherten zuziehe. Schnellstens
wird sich bei der Krankenkassen-Hotline
erkundigt, wo dann fast immer der Satz zu
hören ist, daß der Arzt das Produkt xy ja verordnen könne. Erboste Rückmeldungen sind
die sehr schnelle Folge.
Ich antworte diesen Patienten dann gern, daß
an den Hotlines trainierte Lügner sitzen, die gebetsmühlenhaft diesen Satz aufsagen. Der Patient
hört heraus, sein Arzt enthalte ihm ja etwas ihm
Zustehendes vor, was jedoch so nicht stimme.
Die Person von der Hotline ist fein heraus, der
Arzt bekommt die A...-Karte. Wenn der Arzt es
verordnet, droht ihm ein Regreß, d.h. er selbst
zahlt das Produkt. Das wiederum will kein Patient.
Ich biete dann die Faxanfrage bei der KV an, was
schon viele Patienten gar nicht mehr möchten. Sie
vertrauen meiner Expertise. Dem verbleibenden
kleinen Rest halten wir dann die Fax-Rückantwort
mit der Ablehnung vor die Nase und bitten sie,
dies doch ihrer Krankenkasse mitzuteilen. Ab da
ist Ruhe und man kann sich wieder wichtigen
Themen widmen.
Zu Ihren Fragen im Artikel:
ich glaube an den Nutzen von feuchter
Wundbehandlung.
ich nehme immer mal erstaunt zur Kenntnis,
wie viel die guten alten Kernseife-Bäder leisten und schmunzele über deren „Kosten“.
den Druck auf uns Ärzte gebe ich ungeniert
an die KV weiter und finde dort (Hollmann
u.v.a.) auch offene Ohren
von jungen Kollegen sieht man allenfalls noch
den Kondensstreifen, wenn sie mit den Fakten der Regressproblematik vertraut gemacht
werden. So hat man für den seltenen Fall,
daß ein Praxisnachfolger sich interessiert, nur
zwei Möglichkeiten: schön lügen oder schön
ärgern, weil man ehrlich war und der junge
Kollege sich gegen eine Niederlassung entscheidet.
Vor einigen Wochen war hier eine Fortbil-
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
dung zum Thema Wundversorgung. Referent war
Prof. Dr. med. Andreas Schwarzkopf aus Aura
a.d.Saale. Er bot eine hochinteressante Fortbildung
zum Thema und wäre gewiß ein guter Autor für
eine Publikation in der KVH. Auch er konnte mir
keine neutrale Information zum Thema Wundauflagen/Kosten/Nutzen nennen.
Ich bin gespannt, was Sie noch über die Rückmeldungen zu diesem unerfreulichen Thema berichten
werden.
Vera Scherfer
FÄ Allgemeinmedizin
Ich lasse mich gerne gegen
einen „willigen Kollegen“ austauschen
aus dem hohen Norden möchte auch mal Stellung
zu ihrem wunderbaren Artikel nehmen, der die
Problematiken gut darstellt.
1. Ein besonderer Nutzen einer bestimmten
Wunduflage besteht sicher nicht, ich glaube
jeder arbeitet so nach Gefühl und persönlichen Erfahrungswerten. Solange eine Wunde
gut durchblutet ist, wird sie immer abheilen,
egal was man so tut.
2. Die Problematik der Wundmanager ist mir
natürlich auch bekannt, ich gebe dem überhaupt nicht nach (s.o., ist ja letztlich egal was
man macht) und kann leider den Hinweis auf
den „Austausch durch einen willigen Kolegen“ nicht nachvollziehen. Meistens handelt
es sich ja doch um arbeitsintensivere Patienten, da bin ich nicht abgeneigt gegen einen
willigen Kollegen ausgetauscht zu werden.
Das wird die nächste Generation „Y“ bestimmt genauso sehen.
3. Die Regressgefahr halte ich für irrelevant,
ich kann meine Kinder deshalb durchaus für
unseren Beruf begeistern. Das Problem ist
eher das Anspruchsverhalten der Patienten
heutzutage, etc.. Solange man sich an die
KV-Vorgaben oder an Leitlinien oder in Bremen z.B. an das Bremer Arzneimittelregister
hält, wird es nicht zu einem Regress kommen.
Ausgesprochen kostenintensive Patienten
(Hepatitis C, onkologische Patienten, HIV)
werden in Großstädten meistens auch durch
die entsprechenden fachärztlichen Kollegen
betreut.
Dr. med. Mario Tonin
Anmerkung der Redaktion zu den Briefen
Eine inakzeptable Situation, unter der alle
leiden – außer den Verursachern: Der Industrie
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zunächst ganz herzlichen Dank für Ihre zahlreichen
Zuschriften, die für uns Ausdruck des besonderen
Engagements und der Berufsbegeisterung der Ärzte ist (aus sprachlichen Gründen verwende ich die
männliche Form, unsere Kolleginnen und Patientinnen sind selbstverständlich überall genauso adressiert), ihre Patienten bestmöglich zu versorgen. Wir
wissen es auch zu würdigen, dass Sie Ihre wertvolle
Zeit für Ihre Beiträge geopfert haben.
Aufgrund der Vielzahl der Antworten und Anregungen seien lediglich mehrere kurze Anmerkungen getan: Wir fanden einige konkrete und hilfreiche Tipps, wie mit dem Dilemma umgegangen
werden kann. Wir bitten Sie zu prüfen, was Ihnen
davon in Ihrer Praxis nützlich sein kann.
Es ist sehr lobenswert, die Mitarbeiter der Praxis
zu schulen und zu Fortbildungen zu schicken.
Bedenken Sie jedoch, dass nicht jede Fortbil-
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Wundversorgung und Wundmanager: Das sagen unsere Leser
dung den erhofften Nutzen bringt, da allzu häufig
interessengelenkte Ausbilder unterrichten. Deshalb
seien auch die Pharma-unabhängigen Veranstaltungen zum Thema Wundbehandlung empfohlen.
Wir erinnern auch nochmals an unseren Beitrag in
KVH aktuell Nr. 3/2011, der die Grundlagen der
Wundbehandlung aufgreift sowie auf die angehängte Preisliste der gängigen Wundauflagen,
die eine gewisse Markt- und Preisübersicht bietet,
auch wenn die Preise mittlerweile eher gestiegen
sein dürften.
Bei den Diskussionen im Altenheim besteht das
Problem weniger darin, einmal einen Patienten an
Kollegen zu verlieren, als vielmehr in den unerfreulichen Diskussionen und der Beeinträchtigung der
Arbeitsatmosphäre. Mindestens so unerquicklich
ist es, im Bestreben um rationale Therapie als sparwütiger Knauser verschrien zu sein. An dieser Stelle
sei noch ein kurzer Verweis auf den Leserbrief von
Frau Dr. Fitzler erlaubt, die ihren Mentor Professor
Dr. Kröger zitiert, der in einem Satz die wichtigsten
Fakten zusammengefasst hat: „Ob und wie schnell
man eine chronische Wunde zur Abheilung bringt,
hängt in erster Linie davon ab, wie gut man die
Wunde debridiert. Von welcher Firma anschließend
die Wundauflage ist, die auf die Wunde kommt, ist
unerheblich, sie muss nur der jeweiligen Wundsituation angepasst sein.“ Eigentlich ist dem nichts
hinzuzufügen, dennoch seien unten nochmals die
Kernaussagen unseres Artikels wiederholt.
Trotz Millionenumsätzen, gigantischem Werbeaufwand mit Pharmareferenten, Hochglanzfolien,
sogenannten Fortbildungen für Ärzte und Mitarbeiterinnen und vielem anderen hat es die Industrie
bis zu diesem Tage versäumt, wissenschaftliche
Studien, geschweige denn UNABHÄNGIGE wissenschaftliche Untersuchungen vorzulegen, die
den Nachweis der Überlegenheit ihrer Präparate
gegenüber der Konkurrenz erbringen. Stattdessen
sollen dem Arzt lächerliche, üblicherweise gekaufte
Anwendungsbeobachtungen den Nutzen verschiedener Wundauflagen vorgaukeln. Eine skandalöse
Situation. Nicht einmal der Vorzug verschiedener
Prinzipien (Alginate, Kolloide…) gegenüber anderen gilt nach unserer Kenntnis als erwiesen und
ist mehr Erfahrungsschatz. In unseren Augen ein
Armutszeugnis für die Industrie, die damit nachweislich nicht am Wohl unserer Patienten, sondern
vor allem an Gewinnmaximierung interessiert ist.
Genauso blamabel ist die Untätigkeit der Politik,
die den Nutzenbeweis oder gar einen Beleg für
bessere Wirksamkeit von der Industrie weiterhin
nicht einfordert. Stattdessen verlagert sie den
Druck auf die Ärzte, die sie qua Krankenkassen mit
Regressen bedroht.
Bis auf die Industrie ist dies für alle anderen Beteiligten im System, vor allem für die Patienten eine
inakzeptable Situation.
Dr. med. Joachim Seffrin
Interessiert an einer Fortbildung? Zu den Themen Wundmanagement und Kompressionstherapie bietet die KV
Hessen Veranstaltungen in Frankfurt an:
am 9.5.2015 Wundmanagement (Kursnummer 1652) und
am 4.7.2015 Kompressionstherapie (Kursnummer 1687).
Beide Veranstaltungen sind natürlich produktneutral, beinhalten einen praktischen Teil und werden
von einer zertifizierten Wundmanagerin moderiert. Nähere Informationen zu den Veranstaltungen
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KVH • aktuell
Nr. 1 / 2015
PML nach Einnahme von Dimethylfumarat
Eine MS-Patientin erkrankte nach längerer Einnahme von Dimethylfumarat (Tecfidera®) an PML
(progressive multifokale Leukenzephalopathie)
und verstarb zwei Monate nach Diagnosestellung.
Von anderen Dimethylfumarathaltigen Präparaten
zur Therapie der schweren Psoriasis ist diese UAW
schon lange bekannt. Bei schweren Blutbildverän-
derungen wie Lymphopenie sollte Tecfidera® sofort
abgesetzt werden. Ebenso sollte unter der Therapie mit diesem Präparat das Blutbild engmaschig
kontrolliert werden, wie unter der Therapie mit
Fumaderm® bereits vorgeschrieben.
Quelle: Pharm Ztg. 2014; 159 (45): 126
Dr. med. Günter Hopf
Ustekinumab – schwere Hautreaktionen
Ustekinumab (Stelara®), zugelassen zur Therapie
mittelschwerer bis schwerer Plaque-Psoriasis und
psoratischer Arthritis, kann eine exofoliative Dermatitis mit ähnlichen Symptomen einer erythrodermischen Psoriasis verursachen. Das Auftreten
wird als selten eingeschätzt (≥ 1/10.000), häufiger ist jedoch ein Auftreten einer Exfoliation der
Haut ohne weitere Symptome einer Dermatitis (≥
1/1000). Bei Auftreten entsprechender Symptome
muss Ustekinumab abgesetzt werden.
Quelle: Pharm Ztg. 2014; 159 (48): 127
Dr. med. Günter Hopf
Antirheumatische Therapie – Infektionsrisiko
Nach einem Übersichtsartikel muss zu Beginn
einer immunsuppressiven antirheumatischen Therapie das Infektionsrisiko individuell abgeschätzt
werden. Dabei spielen die Art der rheumatischen
Erkrankung, Komorbiditäten, Alter und Intensität
der Therapie eine Rolle. Auffrischimpfungen sollten
vor Beginn der immunsuppressiven Therapie durch-
geführt werden. Als spezielle Risikokonstellationen
gelten latente Tuberkulose und Hepatitis B, die mit
speziellen Testverfahren ausgeschlossen werden
müssen.
Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2014; 139: 1593-5
Dr. med. Günter Hopf
Suizidalität als Nebenwirkung
Selbstmordgedanken oder auch durchgeführte
Selbsttötungen sind selten eine unerwünschte
Wirkung eines Arzneistoffes. Sie werden daher in
klinischen Zulassungsstudien oft nicht erkannt oder
z.B. auf biographische Situationen wie Verlust eines
Partners zurückgeführt. 2008 wurde Rimonabant
vom Markt genommen, da dieser Arzneistoff in der
Indikation Gewichtsreduktion vermehrt Depressionen und Suizide verursacht hatte.
Folgende Arzneistoffe bzw. –gruppen werden
mit vermehrt auftretender Suizidalität in Verbindung gebracht:
– Bupropion (Elontril®, Zyban®)
– Chinolone wie Ciprofloxacin (Ciprobay®)
– Evavirenz (Sustiva®)
– Finasterid (Proscar®, Generika)
– Interferon alfa-2b (IntronA®)
– Isotretinoin (Generika)
– Mefloquin (Lariam®)
–SSRI-Antidepressiva
– Topiramat (Generika)
Die Autoren verweisen auf die Beachtung
von Vorsichtsmaßnahmen bzw. besonderen
Warnhinweisen bei folgenden Arzneistoffen:
– Atomoxetin (Strattera®)
– Methylphenidat (Generika)
– Montelukast (Singulair®)
Quelle: Arzneimittelbrief 2014; 48: 49-52
Dr. med. Günter Hopf
Nr. 1 / 2015
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Triptane – vasokonstriktive Effekte
Triptane, vor allem Sumatriptan, gehören inzwischen zur Standardmedikation bei Migräne. In einer
Studie wurden über 6 Jahre alle kardiovaskulären
Ereignisse unter der Therapie mit überwiegend
Sumatriptan aufgelistet. Spasmen der Koronararterien, zerebrovaskuläre Spasmen, gastrointestinale
Nekrosen, Aneurysmen und weitere arterielle Schäden. Bei schwangeren Frauen wurden congenitale
arterielle Missbildungen und Infarkte der Placenta
in Zusammenhang mit der Einnahme eines Triptans festgestellt. Die Autoren raten Schwangeren
und Patienten mit Durchblutungsstörungen in der
Vorgeschichte von der Einnahme von Triptanen
grundsätzlich ab.
Quelle: Prescrire internat. 2014; 23: 240
Dr. med. Günter Hopf
Metronidazol – sensorische Aphasie
Nach einer neurochirurgischen Operation wurden
bei einem 74-jährigen Patienten Clostridien im
Stuhl gefunden, die mit Metronidazol (Clont®, Generika) therapiert wurden. Am 6. Tag kam es zu einer hypertensiven Entgleisung, gefolgt von Zeichen
einer sensorischen Aphasie. Kein Hinweis auf eine
frische zerebrale Ischämie, keine kardiovaskulären
Befunde. Erst nach Umstellung auf Vancomycin
besserte sich die Symptomatik unter Beibehaltung
der oralen Antikoagulation mit Phenprocoumon
rasch. Bei neu auftretender neurologischer Symptomatik sollte auch an eine Metronidazol-induzierte
Enzephalopathie gedacht werden, auch wenn periphere Neuropathien unter Metronidazol häufiger
beschrieben wurden.
Quelle: Dtsch. Med. Wschr. 2014; 139; 2341 – 43
Dr. med. Günter Hopf
Alltägliche und triviale Fallstricke bei der
medikamentösen Behandlung
Triviales kann, insbesondere bei alten Patienten,
ein Störfaktor für eine korrekte Medikation sein.
So waren bei 200 Patienten
47% nicht in der Lage, eine verordnete Dosierung zeitlich zuzuordnen.
39%, 10 ml Saft in einen Messbecher zu füllen.
34%, eine Dose mit Kindersicherung zu öffnen.
27%: eine Dose mit Brausetabletten zu öffnen.
23%, die Applikation „Brausetablette“ zu
erklären und in Wasser aufzulösen.
23%, 20 Tropfen auf einen Teelöffel zu zählen.
20%, eine Verordnung „Bei Bedarf“ zu erklären.
8%, eine Tablette zu teilen.
Befragt wurden Patienten in einem geriatrischen Krankenhaus, ursächlich waren mangelnde
manuelle Fertigkeiten, unzureichende kognitive
Fähigkeiten, aber auch negative Einstellungen
gegenüber Arzneimitteln. Bemängelt wurden zu
wenig Erläuterungen zur Einnahmedauer oder
Dosierung und unzureichende Informationen über
unerwünschte Wirkungen der Arzneimittel. Nach
einer neuen Befragung halten über die Hälfte der
Patienten Medikamente für Gift und 20% glauben,
dass Medikamente abhängig machen würden.
Bei Verordnung von Arzneimitteln scheint noch
zusätzlich einige Zeit für Erklärungen (und auch
Demonstrationen z.B. bei Sprays) nötig zu sein,
insbesondere bei alten Patienten.
Quelle: Ärzteztg. v. 30.10.13, S. IV
Dr. med. Günter Hopf
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Bromocriptin – eingeschränkte Indikation
Der Prolaktinhemmer Bromocriptin (Pravidel®,
Generika) soll wegen schwerer unerwünschter
Wirkungen zum Abstillen nur noch eingesetzt
werden, wenn zwingende medizinische Gründe
vorliegen. Erhöhter Blutdruck, Herzerkrankungen
oder schweren psychiatrische Störungen gelten als
Kontraindikation.
Quelle: Pharm. Ztg. 2014; 159(35): 21
Dr. med. Günter Hopf
Auf den beiden folgenden Seiten stellen wir Ihnen eine Kurzfassung
der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und
Familienmedizin zum akuten Durchfall vor.
DEGAM S1-Handlungsempfehlung
Akuter Durchfall
Epidemiologie, diagnostische und therapeutische Empfehlungen
Definition
Akuter Durchfall ist ein Ungleichgewicht zwischen
Sekretion und Resorption im Darm und kann durch
unterschiedliche Ursachen hervorgerufen werden.
Die Symptomatik dauert nicht länger als 14 Tage.
Kriterien: ≥ 3 ungeformte Stühle/24 Std. oder
Wassergehalt ≥ 75% oder Stuhlgewicht ≥ 250 g.
Epidemiologie / Versorgungsproblem
Durchfall gehört zu den 20 häufigen Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis (Häufigkeit in
SESAM-4: 3,4%, in CONTENT-Studie: 4,0%).
Durchfallerkrankungen treten gehäuft in den
Herbst- und Wintermonaten auf [11]. Davon betroffen sind eher jüngere Patienten.
des Schweregrades:
– mild (keine körperliche Beeinträchtigung)
– moderat (Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten)
– schwer (schwere körperliche Beeinträchtigung)
Prognose / Verlauf
In der Mehrheit der Fälle handelt es sich um
kurze (bis max. 14 Tage) und milde Krankheitsverläufe ohne bleibende Gesundheitsschäden.
Davon abzugrenzen sind chronische Verläufe,
welche länger als 14 Tage dauern. Die vorliegende
Handlungsempfehlung beschränkt sich auf akute
Durchfälle (bis 14 Tage).
Abwendbar gefährliche Verläufe
Hypotonie mit prärenalem Nierenversagen.
Schwere Elektrolytverschiebungen mit neurologischen (u.a. Vigilanzverlust) oder kardialen
Komplikationen.
Verschlechterung einer Grunderkrankung bei
fehlender Wirksamkeit bestehender Medikation.
Maligne Grunderkrankung.
Pseudomembranöse Kolitis bei Antibiotika-assoziierter Diarrhoe.
Sepsis bei Durchwanderungsperitonitis.
Ausbildung eines HUS* bei EHEC-Infektion
Vorgehen: siehe DEGAM S1-Leitlinie EHEC/
HUS (Klassische Symptome: AZ-Reduktion, Blässe, Ödeme, Hämaturie, Hämolytische Anämie,
Thrombopenie, Niereninsuffizienz).
Diagnostik
Die Diagnostik in der Betreuungsepisode wird
mehrheitlich durch die Anamnese und die gezielte, symptombezogene klinische Untersuchung
*
gebildet. Bei Beschwerdepersistenz, Verdacht auf
einen schweren Krankheitsverlauf, Hinweise für
eine maligne Grunderkrankung, Aufenthalt in den
Tropen, Immunsuppression (Chemotherapie, HIV,
Organtransplantation) sollten erweiterte Diagnostikmaßnahmen initiiert werden (mikrobiologische
Stuhlkultur, Labor, Sonographie des Abdomens).
Die Überweisung zu anderen Fachärzten oder die
stationäre Abklärung/Therapie bleibt abwendbar
gefährlichen Verläufen bzw. therapieresistenten
Fällen vorbehalten.
Therapie
Im Vordergrund steht die symptomatische Behandlung, der Umfang hängt vom klinischen Befund ab.
Typische Therapiemaßnahmen sind: Anordnung
einer ausreichenden oralen Flüssigkeits-/Elektrolytaufnahme, ärztliches Beratungsgespräch zur diätetischen Ernährung, Hygiene- sowie Verhaltensmaßnahmen (Händedesinfektion, Meidung von
Gemeinschaftseinrichtungen, ggf. Arbeitsverbot
im Gastronomie-/Lebensmittelgewerbe), bei Bedarf
die Verordnung von Antidiarrhoika sowie bei Bedarf Antiemetika und Probiotika. Die Einnahme von
Probiotika (bspw. Lactobacillus GG, S. boulardii)
zeigte eine Verkürzung der Krankheitsdauer (um
etwa 1 Tag) und kann in Erwägung gezogen werden. Erschwert wird eine eindeutige Empfehlung
durch die hohe Diversität der verschiedenen eingesetzten Bakterien-Stämme und Inhomogenität
der Studien. Im Vordergrund steht die Vermeidung
eines Flüssigkeits- und Elektrolytdefizits. Auf eine
ausreichende, erhöhte Flüssigkeitsmenge (zum
Beispiel Suppe, Tee) ist zu achten – insbesondere
elektrolyt- und glukosereiche Produkte. Während
akutem Durchfall sollte eine intensive sportliche
Aktivität vermieden werden. Bei Verdacht oder
Nachweis von Rota-/Noro-Viren bzw. Salmonellen
sind Gemeinschaftseinrichtungen bzw. lebensmittelverarbeitende Gewerbe zu meiden.
Eine antibiotische Therapie sollte nur bei Verdacht
auf bestimmte bakterielle Erreger oder Nachweis
dieser dem Resistogramm entsprechend erfolgen
(z.B. bei Clostridium difficile, Typhus, Shigellen,
Amöben, Cholera). Bei HUS ist keine Verordnung
einer probatorischen Antibiose nötig, da die Gefahr
einer Verschlimmerung der Symptomatik durch evtl.
vermehrte Toxinfreisetzung besteht. Eine spezifische antivirale Therapie bei nachgewiesen viralen
Durchfallerregern steht derzeit nicht zur Verfügung.
Hämolytisch-urämisches Syndrom
Autoren: M. Sander und K. Gerlach
Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny
Stand 2013; © DEGAM www.degam-leitlinien.de
XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden
PVSt Deutsche Post AG,
Entgelt bezahlt,
68689
PH863453V
andlungsempfehlun
DEGAM S1-Handlungsempfehlung
urchfall
S1-Handlungsempfehlung
iagnostische und ther
Bridging
Akuter Durchfall
Behandlungsalgorithmus
Anamnese
Dauer, Stuhlbeschaffenheit
Konsistenz, Farbe, Frequenz, Blut-/Schleimauflagerung), Begleitsymptome (Erbrechen, Bauchschmerzen,
Fieber), Alter, Komorbiditäten (Malignome, Immunsuppression, aktive Infektion)
Nahrungsmittel, Umgebung (Meldepflicht?), Medikamente ( Antibiotika, Laxantien), Ausland (Malariagebiet?), Allergien,
Beruf (AU- Notwendigkeit/Isolationsnotwendigkeit?)
ersorgungsproblem
symptomorientierte klinische Untersuchung
6
10
6
hweregrades
► mittlerer - hoher Schweregrad
► positive Auslandsanamnese
► Verzehr von (rohen) Meerestieren
► Bauchschmerzen/Pseudoappendizitis-Symptome
► stattgehabte Antibiose (< 2 Monate)
► Erbrechen + Nahrungsmittelabhängigkeit
► blutige Stühle
4]:
Stuhlkultur/Nachweis v. Enterotoxinen
(ggf. wiederholen)
liche
US
[
Verläufe
Labor
(kleines Blutbild, Natrium, Kalium, Creatinin, CRP)
bei
EHEC-Infektion
Vorg
Bei Beschwerdepersistenz z. A. von u.a.:
Malignom
CED
HIV
Sprue
4
Überweisung zur weiteren
ambulanten Abklärung
stationäre Einweisung
Therapie:
supportiv Probiotika
Meidung von Noxen
kausal
symptomatisch
CAVE!
13
CAVE: NW + KI beachten!
Autoren: M. Sander, K. Gerlach
Konzeption und wissenschaftliche Redaktion: M. Scherer, C. Muche-Borowski, A. Wollny
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sofortige stationäre Einweisung