Zukunftscharta „EINEWELT – Unsere Verantwortung“

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Zukunftscharta
„EINEWELT – Unsere V
Interview mit Dr. Gerd Mülle
wirtschaftliche Zusammena
Herr Bundesminister, Sie haben die
Zukunftscharta auf den Weg gebracht
– was hat es damit auf sich?
2015 entscheidet die Weltgemeinschaft
über ihre Zukunft. Bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen
im September verpflichten wir uns auf
neue Ziele für nachhaltige Entwicklung,
die die bisherigen Millenniumsentwicklungsziele ablösen. Wir bekommen also
eine Art Weltzukunftsvertrag und setzen uns neue Ziele, die für alle Länder
gelten – auch für Industrieländer wie
Deutschland.
Wie gelingt es uns, den Klimawandel zu bremsen? Wie schaffen wir es,
den weltweiten Kampf gegen Hunger
und Armut zu gewinnen? Wie gehen
wir wirksam gegen die immer noch
zu hohe Kindersterblichkeit vor? Der
Zukunftscharta-Prozess dient der Vorbereitung dieser Entwicklungsziele bei
uns in Deutschland. Denn wenn es um
die großen Fragen der Menschheit wie
Klima, Flucht und eine gerechte und
nachhaltige Ressourcennutzung geht,
dann sitzen wir alle in einem Boot. Die
Lösung dieser Fragen erfordert nicht
nur das engagierte Handeln der internationalen Staatengemeinschaft, sondern
auch das Umdenken und Mitmachen
der Menschen bei uns in Deutschland. Darum habe ich Anfang 2014
den Dialogprozess Zukunftscharta angestoßen und Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft,
Wirtschaft, Politik, Kirchen, Stiftungen
und Verbänden sowie Bürgerinnen
und Bürger zum Mitmachen eingeladen. Von April bis September vergangenen Jahres wurde auf der Webseite
www.zukunftscharta.de rege darüber
diskutiert, was wir für eine gerechtere
und nachhaltige Welt tun können.
Auf Veranstaltungen in ganz Deutschland von der Ostsee bis zur Zugspitze
wurden Vorschläge gesammelt. Unabhängige Vertreter aus Wissenschaft und
Zivilgesellschaft haben aus der Fülle
von Anregungen – alleine auf der Webseite gab es 1.500 Beiträge – acht
wichtige Themenfelder abgesteckt, die
sich im Text der Zukunftscharta wiederfinden. Diese Zukunftscharta dient
uns als Leitfaden für die internationalen
Verhandlungen über die künftigen Entwicklungsziele.
Wie stellen Sie sicher, dass die Charta
nicht nur in Ihrem Haus sondern von
der gesamten Bundesregierung beachtet wird?
Schon beim ersten Entwurf waren all
jene Bundesministerien eingebunden,
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Verantwortung“
er, Bundesminister für
arbeit und Entwicklung
die einen inhaltlichen Bezug zur Charta
hatten und haben. Wichtig ist aber vor
allem, dass die Charta vergangenen
November in Berlin in Anwesenheit von
über 3.000 Gästen aus Zivilgesellschaft,
Politik und Wirtschaft an Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel übergeben wurde.
Der Prozess ist also eines der Leuchtturmprojekte der Bundesregierung für
die Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands.
„EINEWELT – Unsere Verantwortung“
heißt der Slogan der Zukunftscharta.
Warum ist es Ihnen so wichtig, in
der breiten Bevölkerung für globale
Fragen und ein Mitdenken zu werben?
Wir leben in einer globalisierten Welt,
trinken Kaffee aus Peru, essen Ingwer
aus China, kaufen Kakao von der Elfenbeinküste und unsere Smartphones
sind vollgepackt mit seltenen Rohstoffen
aus dem Kongo. Das sind nur einige
Beispiele dafür, dass wir über unseren Tellerrand schauen müssen, denn
schon die Frage, was ich kaufe, hat
Auswirkungen anderswo in der Welt.
Wir sind im Alltag von Dingen umgeben,
die weit weg unter oft fragwürdigen
Arbeitsbedingungen hergestellt wurden,
wie sie bei uns aus gutem Grund längst
verboten sind. Die Jeans ist ein solches
Beispiel. Die Menschen, die unsere
Kleidung in Bangladesch, Pakistan oder
Vietnam herstellen, verdienen selbst an
der teuren Markenjeans allenfalls einen
Euro. Vor allem bezahlen die Näherinnen
wegen der schlechten Arbeitsbedingungen häufig mit ihrer Gesundheit, und ihr
Lohn reicht kaum zum Leben. Das kann
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nicht sein. Arbeit muss angemessen
bezahlt werden, egal ob in Deutschland
oder in Bangladesch. Darum habe ich
das Bündnis für nachhaltige Textilien ins
Leben gerufen.
Industrie und Handel, Zivilgesellschaft,
Gewerkschaften und auch die Politik
stellen sich hier gleichermaßen ihrer
Verantwortung für die Einhaltung von
Sozial- und Umweltstandards. Aber es
sind letztlich die Verbraucherinnen und
Verbraucher, die entscheiden, ob sie für
faire Produkte mehr Geld bezahlen, weil
ihnen gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen auch im Ausland ein Anliegen
sind. Mit dem kürzlich freigeschalteten
Internetportal „textilklarheit.de“ haben
wir einen ersten wichtigen Schritt getan,
um Licht in das Dunkel aus Labeln und
Standards zu bringen, sodass Konsumenten sich sogar per App auf dem
Smartphone direkt im Laden informieren
können.
Wir alle können Verantwortung dafür
übernehmen, wie sich die Welt entwickelt, und das fängt schon beim Einkauf
an.
Sie haben das Textilbündnis angesprochen. Was tut Ihr Haus zur Bewältigung der globalen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der
Ebola-Epidemie?
Von Subsahara-Afrika bis Lateinamerika
– wir unterstützen viele Länder dabei,
sich an den Klimawandel anzupassen,
dessen Folgen besser zu verkraften
oder auf erneuerbare Energien zu setzen. Deutschland gehört daneben zu
den größten Gebern im Waldschutz
– allein zwölf Prozent der weltweiten
CO2-Emissionen gehen auf die Zerstörung von Wäldern zurück. Wir Industrieländer haben den Klimawandel
ins Rollen gebracht, Schwellenländer
wie China oder Indien haben ihn weiter
verstärkt. Unter den Folgen leiden aber
vor allem die Menschen in den ärmsten Ländern. Wenn der Meeresspiegel
steigt, werden beispielsweise große
Teile von Bangladesch unbewohnbar
werden. Dagegen müssen wir etwas
tun.
Ein wichtiges Anliegen ist mir auch das
Thema Gesundheit. Die Ebola-Epidemie
ist ein trauriger Beleg dafür, wie wichtig
eine funktionierende medizinische Versorgung in Entwicklungsländern ist. Die
Bundesregierung hat seit dem vergangenen Sommer fast 200 Millionen Euro
für die Bewältigung der Ebola-Krise
bereitgestellt, mehr als die Hälfte davon
aus dem Etat meines Ministeriums. Dieses Geld fließt in Aufklärung, Prävention, Material- und Nahrungsmittelbeschaffung. Vor allem arbeitet mein Haus
aktuell daran, die Gesundheitssysteme
in den betroffenen Ländern und Regionen zu stärken, damit sich diese
menschliche Tragödie nicht so schnell
wiederholen kann.
Wie geht es weiter mit der Zukunftscharta? Wie wollen Sie die Menschen
konkret in diese Thematik einbeziehen?
Derzeit ist eine große Zukunftstour mit
Stationen in allen Bundesländern bis
Sommer 2016 in Planung. Lokale Initiativen und Akteure, gerne auch Verbände, sind eingeladen, ihre Aktivitäten für
eine gerechtere und nachhaltigere Welt
vorzustellen und mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Bei der Diskussion
über die Zukunftsfragen der Menschheit
müssen natürlich auch Jugendliche eine
wichtige Stimme haben, weshalb auch
Schulklassen eingeladen werden. Ich
werde an möglichst vielen Veranstaltungen teilnehmen und rechne auch mit der
Teilnahme der jeweiligen Ministerpräsidenten. Es ist mir wichtig, dass von
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diesen Veranstaltungen klare politische
Botschaften ausgehen.
Auch der Deutsche Genossenschaftsund Raiffeisenverband ist herzlich eingeladen, sich an diesem Prozess zu
beteiligen, um seine hervorragende internationale Arbeit sichtbar zu machen.
Apropos Unterstützung durch den
DGRV: Was können wir zur Umsetzung der Ziele der Zukunftscharta
beitragen?
Genossenschaften spielen in unserer Entwicklungszusammenarbeit eine
wichtige Rolle, vor allem im ländlichen
Raum. Es gibt mehrere Ziele in der
Charta, zu deren Umsetzung die Genossenschaften maßgeblich beitragen können. Als Erstes fällt mir natürlich das Ziel
„Ein Leben in Würde weltweit sichern“
ein, zu dem auch die Bekämpfung von
Hunger und Mangelernährung gehört.
Noch immer leiden über 800 Millionen
Menschen weltweit an Hunger.
Landwirtschaftliche Genossenschaften
stellen Maschinen und Saatgut in Entwicklungsländern für Bäuerinnen und
Bauern zur Verfügung und ermöglichen
damit bessere Erträge und reichere Ernten im Kampf gegen den Hunger. Ländliche Spar- und Kreditgenossenschaften
ermöglichen in vielen armen Regionen
der Welt erst, dass aus Ideen ertragreiche Wirklichkeit wird. Da sind wir
dann auch gleich bei einem zweiten Ziel
der Charta: „Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit
fördern“. Genossenschaften tragen auf
diese Weise zur Steigerung des Einkommens, der Eigeninitiative und letztendlich konkret zur Verbesserung der
Lebensbedingungen der Menschen bei.
Jede Unterstützung ist hier willkommen,
denn die EINEWELT ist unsere Verantwortung.
Herr Bundesminister, vielen Dank.
Ein Interview der
-Redaktion
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