Frühjahrspsychiatrietage 2015 - LVR

LVR-Klinik Bonn
2015
Gesichter der Angst
Dokumentation
Fachtagung 04. März 2015
14:00 UhrAnmeldung und Stehcafé
14:30 Uhr Begrüßung P
rof. Dr. Markus Banger
Tagungsvorsitz: Dr. Michael Schormann
14:45 Uhr Angst und Depression: Was trennt, was ist gemeinsam?
Prof. Dr. Wilhelm-Peter Hornung
15:15 Uhr Entängstigung von Patienten/innen und Angehörigen
Dr. Ernstbernard Rosen
15:45 Uhr Die Angst nicht oder nicht ausreichend gut zu funktionieren
Prof. Dr. Markus Banger
16:15 Uhr Pause
Tagungsvorsitz: Prof. Dr. Markus Banger
17:00 Uhr Alte Ängste – Angst im Alter
Dr. Michael Schormann
17:30 Uhr Angst bei Psychosen - Die Angst des Therapeuten vor
schizophrenen Patienten/innen
PD Dr. Anke Brockhaus-Dumke
18:15 Uhr Podiumsdiskussion „Angst vor dem Leben - Suizid“
19:15 Uhr Schlussworte und Verabschiedung
Referentinnen und Referenten
Banger, Prof. Dr. Markus
Ärztlicher Direktor,
Chefarzt Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie,
LVR-Klinik Bonn
Brockhaus-Dumke, PD Dr. med. Anke
Ärztliche Direktorin,
Rheinhessen-Fachklinik Alzey
Hornung, Prof. Dr. Wilhelm-Peter
Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie I,
LVR-Klinik Bonn
Rosen, Dr. Ernstbernard
Chefarzt Psychiatrie und Psychotherapie III,
LVR-Klinik Bonn
Schormann, Dr. Michael
Chefarzt Gerontopsychiatrie und Psychotherapie, LVR-Klinik Bonn
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Fa c h t a g u n g März 2015
P R O G R AMM
LVR-KLINIK BONN
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Podiumsdiskussion
Heister, Dr. Ulrich
Ärztlicher Leiter Notarzt- und Rettungsdienst, Bonn
Kern, Dr. Anna-Helga
Gesundheitsamt, Rhein-Sieg-Kreis
López-Frank, Dipl. Psych. Ulla
DGVT-Ausbildungsakademie, Bonn
Schneider, Prof. Dr. Barbara
Chefärztin Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, LVR-Klinik Köln
Schott, Prof. Dr. Dr. Heinz
Leiter Medizinhistorisches Institut, Universität Bonn
Tagungsvorsitz
Banger, Prof. Dr. Markus
Schormann, Dr. Michael
2. frühjahrspsychiatrietage bonn/rhein-sieg „gesichter der Angst“
Vorwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Auftaktveranstaltung der „Frühjahrspsychiatrietage Bonn/
In der anschließenden Diskussion mit dem Schwerpunkt
Rhein-Sieg“ fand in diesem Jahr am 4. März, unter dem Mot-
„Angst vor dem Leben - Suizid“ gab es Kurz-Statements der
to „Gesichter der Angst“, in der Beethovenhalle Bonn statt.
Podiumsteilnehmer/innen zum Thema, - aus der histori-
Mit rund 320 interessierten Fachkräften aus der Region stand
schen, aus der beruflichen, aber auch aus der persönlichen
diesmal das Thema „Angststörungen“ im Zentrum der Auf-
Sicht. Wie schon bei den letzten Frühjahrspsychiatrietagen
merksamkeit.
stand die offene Diskussion mit den zahlreichen interessier-
Jeder Mensch hat Angst, manchmal mehr, manchmal we-
ten Teilnehmerinnen und Teilnehmern im Vordergrund.
niger. Angst kann inspirieren, eine mächtige Triebfeder sein
und extreme Energien freisetzen, - sie kann aber auch bis
Mit dem zweiten Teil der Frühjahrspsychiatrietage Bonn/
hin zur Handlungsunfähigkeit lähmen. Angststörungen wie
Rhein-Sieg, der sich am 21. März in der LVR-Klinik Bonn an-
Panikattacken, Phobien oder generalisierte Angst sind in
schloß, wurden in einem bunten Programm Betroffene, An-
Deutschland weit verbreitet. Die Fachtagung nahm „Angst-
gehörige und Interessierte angesprochen, informiert und zu
störungen“ in den Blick und machte deutlich, dass Angst
einem gemeinsamen Erfahrungsaustausch geladen.
ein diagnoseübergreifendes Phänomen ist, mit hoher persönlicher Betroffenheit und individuellem Krankheitsgefühl.
Die fünf Fachbeiträge näherten sich aus unterschiedlichen
Perspektiven der Frage, worin sich die normale Furcht von
der pathologischen Angst unterscheidet, beleuchteten Auslösesituationen sowie Möglichkeiten der Entängstigung von
Betroffenen und Angehörigen in den unterschiedlichen noso-
Prof. Dr. Markus Banger
logischen und psychosozialen Kontexten.
Ärztlicher Direktor
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LVR-KLINIK BONN
Angst und Depression: Was trennt, was ist gemeinsam?
Prof. Dr. Wilhelm-Peter Hornung
P
rof. Dr. Hornung betrachtete Unterschiede und Gemein-
häufigsten nannten die Pa-
samkeiten von Angst und Depression. Hierbei stellte er
tienten/innen
Schwierigkeiten in der klassifikatorischen Diagnostik heraus,
körperliche
Angstäußerungen
(88%),
beschrieb die Epidemiologie von Angst und Depression sowie
welche
Unterschiede im therapeutischen Ansatz.
Hauptkriterium der Angst
wiederum
ein
Angst und Depression sind im Internationalen Klassifika-
darstellen. Depressive Stö-
tionssystem der Welt-Gesundheits-Organisation (ICD-10) in
rungen und Angststörun-
zwei unterschiedlichen Kapiteln zu finden: Angst unter Kapitel
gen sind in ihren Reinfor-
F4 „Neurotische Belastungs- und Somatoforme Störungen“,
men klinisch klar unterscheidbar. Angst ist jedoch Symptom
Depression unter Kapitel F3 „Affektive Störungen“. In Kapitel
nahezu jeder Depression, häufig bestehen Komorbiditäten
F4 wird auf eine Mischung von depressiven Symptomen und
von Angst und Depression, insbesondere zwischen GAS und
Angstsymptomen hingewiesen. Betrachtet man hingegen
depressiver Störung. Als Leitlinie gilt es, das dominierende
das Kapitel F3, lassen sich weder Hinweise auf Angstsympto-
Symptom zu identifizieren und entsprechend zu diagnosti-
matik noch eine Mischung von Angst und Depression finden.
zieren. In der Pharmakotherapie mit bestimmten SSRIs un-
Die Komorbiditätsraten, also das gemeinsame Auftreten von
terscheiden sich die Behandlung von Angststörungen und
Angst und affektiven Erkrankungen, belegen die Koexistenz
Depression kaum. Hinsichtlich des kognitiv-verhaltensthe-
beider Symptomatologien (79% 1-Jahresprävalenz Generali-
rapeutischen Vorgehens bestehen jedoch elementare Unter-
sierte Angststörung (GAS) und depressive Störung).
schiede (Sorgenkonfrontation bei GAS, nicht bei depressiver
In einer Studie von Kuhs (1995) wurden 250 Patienten/innen mit depressiver Störung nach ihren Ängsten befragt. Am
Störung).
Im anschließenden Diskurs zum Vortrag wurde seitens
Prof. Dr. Hornung die Abschaffung von Mischkategorien im
Klassifikationssystem angeregt. Für das therapeutische
Vorgehen bei einem Patienten mit komorbid auftretender
Angststörung, Depression und Substanzabhängigkeit (THC)
empfahl Prof. Dr. Hornung die Entgiftung mit anschließender kognitiver Verhaltenstherapie zunächst der depressiven
Symptomatik und anschließend bestehender Restsymptomatik der Angststörung. Im Plenum wurde der Einsatz einer vorübergehenden Gabe von Benzodiazepinen in der Behandlung
von Angst und Depression vor dem Hintergrund des Abhängigkeitspotentials kritisch reflektiert.
4
2. frühjahrspsychiatrietage bonn/rhein-sieg „gesichter der Angst“
Entängstigung von Patienten/innen und Angehörigen
Dr. Ernstbernard Rosen
U
m Angst nicht nur als Symptom einer psychiatrischen
Modelle, wie beispielsweise
Erkrankung oder Morbus Angst zu betrachten, sondern
das
ebenfalls als Folge einer psychiatrischen Erkrankung, wid-
Drei-Ebenen-Modell,
um die Trennung von Um-
mete sich Dr. E. Rosen thematisch der Entängstigung von
welt,
Patienten/innen und deren Angehörigen.
Krankheit verständlich zu
Persönlichkeit
und
Historisch bedingt, bestehen viele Vorurteile gegenüber
machen. Jemand kann un-
Menschen mit psychischen Erkrankungen, gegen mögliche
ter Atemnot leiden, weil
Behandlungsansätze ebenso - geprägt durch den Begriff der
ihm von außen jemand den
„schizogenen Mutter“ - gegenüber der Mitschuld von An-
Hals zudrückt (Umwelt), er fünf Etagen Treppen hochgelau-
gehörigen. Diese Vorurteile führen zu einer erhöhten Angst
fen ist und keine Kondition hat (Persönlichkeit) oder, weil er
vor einer psychiatrischen Diagnose und können eine Symp-
eine Lungenentzündung hat (Krankheit). Drei Ursachen für
tomverstärkung bewirken. Hinzu kommt die reale Furcht vor
eine ähnliche Symptomatik. Eine weitere Analogie für De-
einer inadäquaten medizinischen Versorgung, bedingt durch
pression kann ein Haus ohne Strom sein. Nur weil kein Strom
Einsparungen und wirtschaftlichen Druck der Kliniken. Das
da ist, sind die Geräte nicht defekt. Anliegen dieser einfachen
Empfinden von Angst und Schmerz sind wichtige, schützende
bildlichen Erklärungen ist, dem Schrecken der psychischen
Funktionen unseres Organismus, jedoch nur in angebrach-
Erkrankung eine Vorstellung zu geben, um diese verständ-
ter Qualität und Quantität. Das Unbekannte bzw. Begriffslose
lich zu machen. Dadurch können Patienten und Angehörigen
führt häufig zu einer Angstreaktion. So auch das innerpsy-
zusätzliche Ängste genommen werden und der Trialog zwi-
chische Erleben, da es sich schwer in Worte fassen lässt.
schen Patient, Angehörigen und behandelnden Therapeuten
Es bleibt für viele abstrakt und begrifflos, folglich angster-
bestmöglich genutzt werden.
regend. Ein möglichst früher Einbezug der Angehörigen in
Im Anschluss an den Vortrag wurden psychische Zustän-
die Behandlung des Patienten wirkt Schuldgefühlen seitens
de thematisiert, für die es noch an Erklärungsmodellen und
der Angehörigen entgegen. Es kann ein Bündnis geschlossen
Beschreibungen mangelt. Beispielsweise ist die innere Leere
werden, welches dem Wohle des Patienten dient. Am wich-
bei der Depression ein Symptom, das weder Patienten noch
tigsten ist es einfache Erklärungen, Begriffe und Bilder zu
Therapeuten in Worte fassen können. Sprache sei ein Ver-
finden, um sich vor der Angst gegenüber dem Unbekannten
ständigungsmittel unter Gesunden und für manche Zustände
zu schützen. Hierfür eignen sich mehrere psychoedukative
gäbe es leider weder Worte noch Bilder.
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LVR-KLINIK BONN
Die Angst nicht oder nicht ausreichend gut zu funktionieren
Prof. Dr. Markus Banger
U
nter dem Thema „Gesichter der Angst“ fokussierte Prof.
higkeit, die gegebenenfalls
Dr. Banger seinen Vortrag auf die, über den klinischen
durch medikamentöse Ar-
Kontext hinaus, weit verbreitete Angst nicht oder nicht aus-
beitsunterstützung erreicht
reichend gut zu funktionieren.
werden soll. Die Angst nicht
Bei einem Projekt zur integrierten Versorgung, an dem
mehr zu funktionieren gilt
sich die LVR-Klinik Bonn von 2010 bis 2011 beteiligte, fiel auf,
es, im therapeutischen Ge-
dass viele 50-Jährige mit Problemen am Arbeitsplatz kämp-
spräch offen zu thematisie-
fen. Diese Probleme sind laut Prof. Dr. Banger einerseits auf
ren, ernst zu nehmen und
eine Entfremdung durch neue Technologien zurückzufüh-
als Ausgangspunkt für Gespräche über die aktuelle Lebens-
ren, andererseits kommen Stressoren, wie beispielsweise
situation zu nutzen. Elemente, die Sicherheit oder Entspan-
Mobbing am Arbeitsplatz, eine permanente Informationsflut
nung vermitteln, sollen herausgearbeitet und der Umgang
und die ständige Erreichbarkeit hinzu. Das gesellschaftli-
mit psychoaktiven Substanzen kritisch diskutiert werden.
che Umfeld strebt nach beständiger Weiterentwicklung und
Das permanente Streben nach Optimierung ist eine gesell-
Überschreitung bisher bestehender Grenzen. Der Arzt kann
schaftliche Fehlentwicklung, welche Angst und psychosoma-
hierbei mitunter als Anthropotechniker verstanden werden -
tische Reaktionen (Abhängigkeit, Burnout, Schlafstörungen)
als Optimierer des Menschen. Der Krankheitsbegriff befindet
hervorrufen kann. Prof. Dr. Banger betonte, insbesondere die
sich folglich im Wandel. Es geht um die Gleichstellung aller
Unabhängigkeit der eigenen Wertigkeit in Abgrenzung zur
und einzelne Problembereiche werden ausgebessert, um die
Leistungsfähigkeit herauszustellen. Ärzte und Therapeuten
vermeintliche Chancengleichheit zu erhöhen. Gesundheit
sind vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen
und Krankheit lassen sich auf viele Arten definieren, häufig
Entwicklung in dieser Debatte besonders gefordert.
geht es jedoch um ein dynamisches Gleichgewicht. Jede Ge-
Im anschließenden Austausch wurden die Konsequenzen
neration hat unterschiedliche Vorstellungen dieses Gleichge-
des Satzes „schneller, höher, weiter“ als vitalmenschliches
wichts. Für manche ist Gesundheit die optimale Leistungsfä-
Leitbild kritisch debattiert.
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2. frühjahrspsychiatrietage bonn/rhein-sieg „gesichter der Angst“
Alte Ängste – Angst im Alter
Dr. Michael Schormann
D
r. Schormann bezog sich als Chefarzt der Gerontopsych-
der kognitiven Inhalte, dem
iatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik Bonn in seinem
Annehmen der Ängste so-
Vortrag auf alte Ängste - Angst im Alter.
wie der Akzeptanz der ge-
Angst ist als Schutzfunktion dienlich. Sie stärkt die Be-
genwärtigen Umstände. Für
wältigung von Gefahren- und Stresssituationen, das Selbst-
psychopharmazeutische
bewusstsein, die Bindung und die Selbstwirksamkeitsüber-
Behandlungen gibt es wenig
zeugung. Fast 70 Jahre nach Kriegsende ist die Möglichkeit
Evidenz (s. u. a. Bandelow
für Patienten, im therapeutisch geschützten Rahmen das
et al., 2013). Problemfeder
damals Erlebte mitzuteilen und sich öffnen zu können, als
in der Psychopharmakotherapie bei älteren Patienten sind
ein besonderes Privileg der Alterspsychiatrie zu verstehen.
neben Medikamenten mit unerwünschten Nebenwirkungen
Angehörige können hierbei wichtige Gesprächs- und Bünd-
(Hyponatriämie mit Müdigkeit, Verwirrung, Sturzneigung)
nispartner sein. Im Alter kommt Angst besonders durch den
jene mit Abhängigkeitspotential (Benzodiazepine). Qualität
drohenden Verlust von Selbstbestimmung und abnehmender
in der Psychiatrie ist schwer messbar, jedoch für jedermann
psychophysischer Resilienz auf. Der subjektiv erlebte Verlust
fühlbar. Angstreduktion, Zuwachs an Lebensqualität und die
der körperlichen Integrität wird als bedrohlich empfunden.
Rückkehr in das eigene Umfeld mithilfe eines gesunden the-
Spezifische Ängste im Alter sind beispielsweise die Fallangst,
rapeutischen Fundaments ist, was Psychotherapie im Kern
welche real begründet ist. Desweiteren kann es im Alter bei
ausmacht. Beziehungspflege und Kontinuität sind hierbei
reduzierter Resilienz durch Triggerreize oder das erneute
elementare Grundlagen auf dem Weg zu guter therapeuti-
Gefühl erlebter Hilflosigkeit und Ausgeliefertseins zu einer
scher Arbeit.
Traumareaktivierung kommen. Eine bedauerlicherweise real
Durch Fragen und Beiträge aus dem Plenum wurde im
begründete Angst im Alter, ist die vor Altersarmut. Es ent-
Anschluss an den Vortrag noch einmal die Tragweite von
steht ein Teufelskreislauf aus der Sorge vor Einsamkeit und
Einsamkeit und Isolation als besonderer Risikofaktor hervor-
der daraus resultierenden Scham Hilfen, wie beispielsweise
gehoben. Um die Schwelle der Inanspruchnahme von Hilfen
ambulante Leistungen, in Anspruch zu nehmen. Psychothe-
möglichst zu senken, ist eine bessere Informationspolitik so-
rapeutisch liegt der Schwerpunkt auf Nachvollziehbarkeit
wie die Etablierung einer besseren Vernetzung wichtig.
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LVR-KLINIK BONN
Angst bei Psychosen – Die Angst des Therapeuten vor Menschen
mit Schizophrenie
PD Dr. med. Anke Brockhaus Dumke
A
ls Gastreferentin widmete sich Frau Dr. Brockhaus-
akut psychotischen Episode die Wahl des Medikaments von
Dumke den Themen Ängste bei Psychosen, medikamen-
dem Nebenwirkungsprofil sowie der Präferenz des Patienten
töse Therapie sowie der Angst des Therapeuten vor Patienten
abhängig zu machen, da es zwischen den einzelnen antipsy-
mit Schizophrenie.
chotischen Medikamenten nur geringe Wirksamkeitsunterschiede gibt. Bei einer Dauermedikation zur Rückfallprophylaxe soll eine Kombination mit psychosozialen Interventionen
erfolgen. Zieht man das Absetzen einer Dauermedikation in
Betracht, gilt als klinische Empfehlung die Medikamente eher
später abzusetzen (ca. 5 Jahre), da bei frühzeitigem Absetzen
der Medikation die Rezidivrate in den darauffolgenden Jahren erhöht ist. Neuere Befunde, wie die Verlaufsstudie über
7 Jahre von Wunderlich et al. (2013) zeigen jedoch, dass das
Absetzen der Antipsychotika zwar zu Beginn mit einer höheren Rezidivrate assoziiert ist, langfristig jedoch mit niedrigen
Rezidivraten und höherem psychosozialem Funktionsniveau.
Die Haltung vieler Therapeuten in der Psychotherapie zu
Psychosen sei laut Dr. Brockhaus-Dumke bedauerlicherweise von Vorurteilen geprägt. Demnach gelten Psychose-Pati-
Psychosen gehen mit Wahrnehmungsstörungen, Ich-
enten als unmotiviert, Psychotherapie als schädlich für den
Störungen und unterschiedlichen Wahnthemen, wie bei-
Patienten und die Psychopharmakotherapie steht allein im
spielsweise Verfolgungswahn, einher. Die Wahnentwicklung
Vordergrund. Die S3-Leitlinie bei Schizophrenie (2005) emp-
ist von Klaus Conrad in hervorragender Weise beschrieben
fiehlt jedoch kognitive Verhaltenstherapie (KVT) bei medika-
worden und lässt sich in verschiedene Stadien einteilen, be-
mentös behandlungsresistenter Schizophrenie, insbesonde-
ginnend mit Trema - einer Destruierung des Situationsge-
re bei persistierender Positivsymptomatik, KVT zur weiteren
füges - über abnormes Bedeutungsbewusstsein bis hin zu
Reduktion des Rückfallrisikos zusätzlich zu einer adäquaten
Apokalyptik, einem Zustand schwerster Angst, mit manch-
medikamentösen Therapie sowie KVT als alleinige Therapie
mal rauschhaft gehobener Stimmung, akuten Halluzinatio-
zur Prävention einer psychotischen Episode bei Personen mit
nen und dem Zerfall von Sprache und Denken einhergehend.
erhöhtem Psychose-Risiko. Unabhängig von der Wahl des
Die unter einer Psychose auftretenden Ängste lassen sich gut
Therapieverfahrens ist eine offene, authentische und gleich-
mit dem Angstkreislauf nach Margraf und Schneider (1990)
zeitig selbstfürsorgende therapeutische Haltung des Thera-
abbilden. Zur medikamentösen Behandlung empfiehlt die
peuten eine wichtige Grundvoraussetzung für erfolgreiche
British Association for Psychopharmacology (2011) bei einer
Psychotherapie.
8
2. frühjahrspsychiatrietage bonn/rhein-sieg „gesichter der Angst“
Podiumsdiskussion
„Angst vor dem Leben - Suizid“
I
n der Podiumsdiskussion zum Thema „Angst vor dem Leben
Das Thema Suizid betrifft nicht nur den Patienten, auch
– Suizid“ leitete Prof. Dr. Banger die Gesprächsführung zwi-
Angehörige und Fachpersonal sind davon beeinträchtigt. Im
schen den folgenden fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmern:
Austausch zwischen Podiums- sowie Tagungsteilnehmern/
Prof. Dr. Dr. Heinz Schott, Leiter Medizinhistorisches Ins-
innen wurde der Umgang mit chronisch kranken Patienten/
titut der Universität Bonn umschrieb das Thema Suizid aus
innen besprochen. Frau Dr. Kern riet hierbei zu einem offe-
kulturgeschichtlicher Perspektive und stellte die Frage in den
nen Dialog mit den Patienten/innen, wobei es um das Abwä-
Raum, inwieweit die Psychiatrie den Freitod als autonomen
gen von Gefährdungsaspekten sowie das Angebot von Hilfe-
Akt von Krankheit abgrenzen könne. Dr. Anna-Helga Kern
möglichkeiten geht. Eine niedergelassene Ärztin beschrieb
vom Gesundheitsamt des Rhein-Sieg-Kreises berichtete von
die therapeutische Arbeit mit chronisch suizidalen Klienten
praktischen Erfahrungen des sozial-psychologischen Diens-
als besondere Herausforderung. Prof. Dr. Hornung verwies
tes. Sie betonte die Suizidgefahr bei Depressionen, beschrieb
auf den Beziehungsaspekt im Umgang mit Suizidalität im
positive Erfahrungen mit Suizidprävention und akzentuierte
Klientenkontakt, da die beständige Äußerung lebensmüder
die Wichtigkeit eines kurzfristig verfügbaren, gemeindenahen
Züge und die neuerliche Gefahrenabklärung eine konstrukti-
Versorgungsangebotes. Frau Dipl. Psych. Ulla López-Frank,
ve therapeutische Arbeit nicht zulassen. Ein Polizeibeamter,
Leiterin der DGVT-Ausbildungsakademie für Psychotherapie
der Kollegen in psychosozialen Notlagen berät, berichtete
in Bonn, bezog sich auf die Entängstigung angehender Psy-
von der Schwierigkeit, zu erkennen, wann er überhaupt nach
chotherapeuten/innen vor dem Thema Suizid. In ihrer Aus-
möglichen Suizidgedanken fragen darf und wie man mit die-
bildung begegnen die angehenden Therapeuten/innen häufig während des klinischen Praktikums erstmals suizidalen
Handlungen in einem geschützten Rahmen. Im zweiten Teil
der Ausbildung sind sie selbst als ambulante Therapeuten in
Einzelgesprächen mit Patienten/innen in Kontakt, wodurch
die Verantwortung gefühlt alleine bei ihnen liegt. Frau LópezFrank plädiert für die Entwicklung eines sicheren Umgangs
mit dem Thema Suizidalität und die angehenden Therapeuten/innen in der Reflektion ihres therapeutischen Handelns
zu unterstützen. Prof. Dr. Barbara Schneider, Chefärztin Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen der LVR-Klinik-Köln,
beschreibt die diagnostische Abstufung von lebensmüden
Gedanken bis hin zu konkreten Suizidplänen. Im therapeutischen Klientenkontakt ist eine Atmosphäre von Offenheit und
Vertrauen wichtigste Grundlage. Desweiteren sollen Ange-
ser Verantwortlichkeit ethisch umgehen kann. Suizidalität ist
hörige stets mit einbezogen werden und gleichermaßen Un-
immer ein heikles Thema, dennoch gilt es, diese stets abzu-
terstützungsangebote erhalten. Dr. Ulrich Heister, Ärztlicher
klären, so Prof. Dr. Schneider. Im Gespräch könne man dies
Leiter des Notarzt- und Rettungsdiensts Bonn, berichtet aus
beispielsweise durch Betonung der eigenen Sorgen um den
Sicht des Notarztes, wenn er zu einem Einsatz gerufen wird.
anderen zugänglich machen.
Der hinzu gerufene Arzt erlebt eine Momentaufnahme einer
Abschließend bedankte sich Prof. Dr. Banger sowohl bei
potentiell oder bereits eskalierenden Situation mit, die es -
allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Podiumsdiskus-
wenn möglich - zu entschärfen gilt. Manchmal ist dies jedoch
sion, als auch bei allen Tagungsbeteiligten für ihr engagiertes
leider nur mit einer Maßnahme des Psychisch-Kranken-Ge-
Mitwirken.
setzes möglich.
9
LVR-KLINIK BONN
Zusammenfassung Fachtagung „Gesichter der Angst“
Unter dem Motto „Gesichter der Angst“ knüpften die dies-
der Angst“ mit der anschließenden Podiumsdiskussion zu
jährigen Frühjahrspsychiatrietage der LVR-Klinik Bonn an
dem Thema „Angst vor dem Leben – Suizid“. Die über den
den Erfolg des Vorjahres an. In mehreren Vorträgen wurde
Patienten und Angehörige hinausgehende, weitreichende
Angst von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus betrachtet.
Betroffenheit verschiedener Berufsgruppen, wie angehen-
Hierzu zählte Angst in Zusammenhang mit anderen psychi-
den Psychotherapeuten oder Notärzten, wurde verdeutlicht.
schen Erkrankungen, wie Depression und Schizophrenie, die
Zum Umgang mit dem sensiblen Thema Suizidalität und der
Entängstigung von Patienten/innen und Angehörigen, Ängste
Abklärung von Gefährdungsaspekten wurde sich im Plenum
in Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen so-
ausgetauscht und beraten.
wie Angst im Alter. Abgerundet wurde das Thema „Gesichter
Informationstag
Informationstag, 21. März 2015
D
er zweite Teil der Frühjahrspsychiatrietagung richtete
eigener Sache“ und der bekannte Psychiater, Autor und Ka-
sich, wie bereits im Vorjahr, an Menschen aus der Region,
barettist Dr. Manfred Lütz trat mit seinem aktuellen Bühnen-
an Betroffene, Angehörige und Interessierte. Zahlreiche Be-
programm „ Irre! Wir behandeln die Falschen“ auf und sorgte
sucherinnen und Besucher erwartete ein buntes Programm
für Begeisterung unter den Zuschauern. Informationsstände
inklusive kurzer Fachvorträge. Frau Gudrun Schliebener, Vor-
bildeten den Rahmen für die offene Veranstaltung in den im
sitzende des Bundesverbandes der Angehörigen psychisch
Park der LVR-Klinik Bonn gelegenen Sportstätten.
Kranker e.V. referierte zum Thema „Angehörige – Experten in
10
frühjahrspsychiatrietage bonn/rhein-sieg „Informationstag“
Informationstag
in der
LVR-Klinik Bonn
2 0 1 5
11
851-485 Druck: LVR-Druckerei, Ottoplatz 2, 50679 Köln, Tel 0221 809 - 2418
LVR-Klinik Bonn
IMPRESSUM
Kaiser-Karl-Ring 20, 53111 Bonn
Herausgeber LVR-Klinik Bonn, Kaiser-Karl-Ring 20, 53111 Bonn
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Redaktion und Gestaltung Linda Mehrmann, Karin Runde (ViSdPR)
[email protected], www.klinik-bonn.lvr.de
Bilder © freshidea (Titel), Tilmann Daub, Sonja Reich, Karin Runde