kritisch. tolerant. informativ. DIEtZEITUNG Überall nur noch das eine Thema: Islam hier, Islam da; Islam als Gefahr, Terrorattentate auf der ganzen Welt, die mit dem Islam in Verbindung gebracht werden. Die Medien beschäftigten sich in den letzten Monaten nur noch mit dem einen Thema. Tageszeitungen, Zeitschriften, TV-Talkshows - alle fragen, ob der Islam eine Gefahr für unsere Gesellschaft ist und dies auf eine Art und Weise, die in die Köpfe der Nicht-Muslime automatisch Angstund Schreckensbilder hämmert. Keine Berichte über die friedliebenden Muslime, die in Deutschland, in Europa und vor allem in ihren Heimatländern leben und nicht einmal ansatzweise etwas mit Terrorismus zu tun haben. Die Medien, die von einem Großteil unserer Gesellschaft als Wissensquellen herangezogen werden, setzen dann lieber auf Sensationsjournalismus und berichten einseitig. Ja, es gibt Terroristen, es gibt den so genannten „Islamischen Staat“, der im Namen des Islams mordet und viele andere Gruppierungen und Einzeltäter, die von sich behaupten, dass sie für Allah töten. Und ja, es gibt auch in Deutschland Menschen, die sich zum Islam bekennen und verfassungswidrig handeln oder handeln würden. Doch die einseitige Berichterstattung führt dazu, 2. Ausgabe/2015 Gehört der Islam zu Deutschland? dass die integrierten Muslime, die zweifelsfrei die absolute Mehrheit bilden und gerne in Deutschland leben, durch die Pauschalisierungen fremdenfeindlichen Parolen gegenüberstehen. Das teilt die Gesellschaft in zwei Lager und macht die Integrationsarbeit der letzten Jahre zunichte. Diese Ausgabe beschäftigt sich ausführlich mit diesem Thema, weshalb im Februar auch eine Talkrunde zum Thema aufgezeichnet wurde und Menschen mit verschiedenen Standpunkten und Meinungen zu Wort kamen. Zafer Cin Dieses Projekt wird unterstützt durch die AG 1 „Miteinander leben in Dietzenbach - Begegnung und Engagement“ der Kreisstadt Dietzenbach. Kunst und Musik: Rebecca Rezvani, eine Jungautorin aus Dietzenbach, stellt ihr Buch vor (Mehr auf Seite 11). Kontakt: [email protected] www.dietzeitung.de www.facebook.com/dietzeitung Sport: Özer Arslan plant gemeinsam mit seinem Freundeskreis eine Fahrradtour nach Istanbul (Mehr auf Seite 15). Impressum: Chefredakteur: Zafer Cin Redakteur: Seyfi Alp Kolumnisten: Flamur, Nuray Arslan, Lisa Sundt Grafikdesign: Stefan Schmidt Fotoredaktion: Brenda Lien und Bilal Yüce Videoredaktion: Selcik Foto- und Videoproduktion Erscheinungsweise: Quartalsweise Auflage: 1.000 Exemplare Integration: Das Thema Flüchtlinge in Dietzenbach ist ein sehr großes Thema dieser Ausgabe, weshalb gleich drei Artikel sich dem Thema widmen (Mehr auf den Seiten 2-4). DIEtZEITUNG Aus dem Krieg in die bücherei IN DEN LETZTEN JAHREN STIEGEN DIE ZAHLEN DER FLÜCHTLINGE WELTWEIT RASANT AN. DIETZENBACH ALLEIN MUSSTE LETZTES JAHR 84 FLÜCHTLINGE AUFNEHMEN - ES FOLGEN WEITERE. Wie die Gemeinschaftsunterkunft am Kindäcker Weg in Windeseile gebaut wurde, bekam ich im Spätherbst mit. Dass ich irgendwann einmal dort sitzen und mit Erstem Stadtrat Dietmar Kolmer über die Flüchtlinge Dietzenbachs sprechen geschweige denn einige der Flüchtlinge persönlich kennenlernen werde, kam mir nie in den Sinn. Ich nahm die Einladung von Herrn Kolmer zu einem Gespräch in der Unterkunft an. Als ich zusammen mit Seyfi Alp das Gebäude betrat kamen uns bereits einige Flüchtlinge entgegen, die uns zwar mit einem Lächeln sehr nett begrüßten. Allerdings sah man auch eine gewisse Angst in den Augen. „Wer sind die zwei, was wollen die? Sind die beiden Freund oder Feind?“, schoss ihnen wohl durch den Kopf. Doch wenn wir gewusst hätten, welche Überraschungen noch auf uns warten, hätten wir uns besser vorbereitet. Vorbildliche Flüchtlingsarbeit Im vergangenen Jahr nahm Dietzenbach 84 Flüchtlinge aus verschiedenen Nationen auf. Die meisten kommen aus Syrien, Eritrea, Somalia, dem Dreiländereck Iran/Irak/Türkei und Afghanistan/Pakistan. Laut einer Prognose werden es in diesem Jahr 136 und im kommenden Jahr weitere 190 Flüchtlinge sein, die ihre Zuflucht in Dietzenbach finden werden. Die Verteilung und örtliche Zuweisung von Flüchtlingen und anderer Personen nach dem Manfred Hanke, Mitarbeiter der städtischen Flüchtlingsstelle. Foto: Seyfi Alp 2 Alles über Integration Landesaufnahmegesetz erfolgt in Hessen durch das Regierungspräsidium Darmstadt. Die Aufnahme, Unterbringung und Betreuung vor Ort regeln die Gebietskörperschaften in eigener Zuständigkeit. Demnach entfallen laut eines Sozialindexschlüssels 9,7% der Flüchtlinge, die dem Kreis Offenbach zugerechnet werden, auf Dietzenbach. Im Vergleich dazu müssen Rodgau (14%) und Dreieich (12%) wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen. Man muss nicht erwähnen, dass für jede Stadt das Thema Flüchtlinge eine große Herausforderung ist, Einerseits ist es eine logistische Herausforderung, Wohnraum zu schaffen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Flüchtlinge sich wohlfühlen und sich in einer sicheren Umgebung befinden. Andererseits ist bei den Zuweisungen darauf zu achten, dass nicht verfeindete Ethnien oder Nationalitäten aufeinander treffen oder gar in derselben Unterkunft wohnen müssen. Dietzenbach kann allerdings laut Kolmer stolz auf seine Flüchtlingspolitik sein: „Die Verantwortlichen der Nachbarkommunen kommen nach Dietzenbach und fragen uns, wie wir dieses und jenes Problem angehen, weil sie sehen, dass wir vieles anders machen und damit erfolgreich sind“, erzählt Kolmer stolz. Ein ganz wesentlicher Punkt sei es, die Flüchtlinge erst einmal untereinander zu sozialisieren und zu integrieren und dafür zu sorgen, dass sie wie eine Großfamilie füreinander da sind. Es bringe nichts, diese anspruchsvolle Aufgabe Integrationsbeauftragten anzuvertrauen und mit einer Vielzahl von Integrationsprojekten eine Art Bringschuld von Menschen einzufordern, die schon auf ihrer Flucht genug durchmachen mussten. Diese Art der Hilfe zur Selbsthilfe setzt die „Flüchtlingshilfe Dietzenbach“ mit ehrenamtlichem Engagement erfolgreich um und wird dabei von der „Projektstelle Flüchtlinge“ der Kreisstadt Dietzenbach und von Kolmer selbst professionell und unbürokratisch unterstützt. Wolfram Doetsch und Dr. Gerd Wendtland koordinieren die Aktivitäten der Flüchtlingshilfe Dietzenbach und stimmen sie mit den offiziellen Stellen der Stadt und des Kreises Offenbach ab. Hemmnisse vor diversen Behörden und Verwaltungen wurden den Flüchtlingen genommen, indem ihnen klargemacht wurde, dass sie auch als Flüchtlinge Rechte haben und keine Kriminellen sind. Neben dem Deutschkurs, der täglich stattfindet, gibt es verschiedene Aktivitäten, bei denen bereits viele engagiert teilnehmen. Beim Lauftreff des SC Steinberg habe man bereits einen Stadtmeister aus den Reihen der Flüchtlinge küren dürfen. Die afghanischen Flüchtlinge seien vor allem begeisterte Schachspieler und würden regelmäßig Kurse besuchen. Daneben seien natürlich Fußball und Basketball sehr beliebt. Sport - Sprache - Kreativität. So laute die Erfolgsformel der Stadt. Der letzte Punkt soll durch eine Kooperation mit Künstlern umgesetzt werden, für die auch eine Ausstellung geplant ist. Auch Gartenarbeit steht für das Jahr 2015 an. Die Flüchtlinge wollen ihre noch etwas trostlos wirkende Außenanlage mit einem Hochbeet verschönern. Wissbegierig und fleißig wie sie sind, gab es schon erste Beschwerden über fehlende Räume, die man zum Lernen nutzen will. Die Stadtbücherei wäre zwar ein beliebter Ort, um Vokabeln zu lernen, sei aber freitags und samstags nur drei Stunden geöffnet und sonntags geschlos- 2. Ausgabe/2015 sen. Das Lernen in der Unterkunft sei aufgrund des Lärmpegels oft nicht möglich. Ein K ennenlernen bei Tee und Gebäck Das Interview ist beendet. Was anschließend geschah, hatte wohl keiner erwartet. Einige afghanische Flüchtlinge hatten keine Berührungsängste und kamen schnell mit mir und Seyfi Alp ins Gespräch. Als wir einige Worte auf Farsi austauschten, haben wir sogar ihre Herzen erobert. Es war ein sehr emotionaler Moment, als uns dann noch einer von ihnen zum Tee trinken eingeladen hat. In Dietmar Kolmer ist sichtlich zufrieden mit der Flüchtlingsarbeit in Dietzenbach. Foto: Seyfi Alp seinem ein paar Quadratmeter großen Zimmer, das er sich mit einem anderen Flüchtling teilt, unterhielten wir uns und bekamen zum Tee noch etwas Süßes gereicht. Es war für Seyfi Alp und mich etwas beschämend, dass wir als Gastgeber der Stadt selbst wie Gäste herzlich empfangen und sofort von den Flüchtlingen ins Herz geschlossen wurden. Diese Aufgabe steht aber uns Dietzenbachern zu. Wir müssen diese Menschen mit offenen Armen empfangen und dafür sorgen, dass es ihnen gut geht, nicht andersherum. Zafer Cin DIEtZEITUNG Alles über Integration Ana Kucağı: Dietzenbach Dietzenbach - der Mutterschoß Türkçe: Genç gazeteci Zafer Çin beni telefonla arayıp, „Şugün şu saatte bir yere söz verme. Seni farklı bir yere götüreceğim“ dediğinde beni nasıl bir ortamın beklediğini bilmiyordum. 2015’in başından itibaren sığınmacılarla ilgili haberler Almanya’da hem televizyonlar, hem radyolar ve hem de gazetelerde ön plana çıktı. Zafer Çin ile buluşup evime çok da uzak olmayan bir yerde kısa süre önce inşaatı biten binaya geldiğimde beni düzen ve disiplin karşıladı. Dietzenbach’ta misafir edilen sığınmacıların yurduydu burası. Bu binanın çok hızlı bir biçimde bitirildiğine şahit olanlardanım. Zira evimden yürüyerek eski Dietzenbach merkezine giderken inşaat işçilerinin soğuk günlerde bile canla başla çalıştıklarına şahit olmuştum. Haziran ayında yapılacak seçimlerde belediye başkan adayı olacağını öğrendiğim, şehrin tanınmış simalarından Dietmar Kolmer bize Dietzenbach’a yerleştirilen sığınmacılarla ilgili detaylı bilgi verdi. Görüşmemizin sonunda birlikte fotoğraf çekmek için tanıştığımız sığınmacılarla kaynaştık. Mesleğimizle ilgili çalışmamız bitip tam yurttan ayrılacağımız sırada Afganistan kökenli sığınmacılardan biri bizi odasına davet etti. Kısa süre önce gelmesine rağmen zorlansa da Almanca konuşarak anlaştık. Konuşmamızın hemen başında bize çikolota ikram etmesi dikkat çekiciydi. Bununla da yetinmeyip gönlünün ateşinde ısıttığı suyla bize çay yaptı. 1992 senesinde geldiğim ve o günden buyana yaşadığım Dietzenbach’ta özellikle son 10 yıldaki olumlu gelişmeleri görüyorum. Şirin kasabamdaki her olumlu gelişme beni buraya biraz daha bağlıyor. Dietzenbach Belediyesi, sığınmacılara yardım kuruluşları ve gönüllülerden oluşan ekibin bu son çalışmasıyla gurur duydum. Savaş bölgelerinden kaçıp Almanya’ya sığınan insanlar için Dietzenbach ana kucağı gibi insanları sarmalamıştı.Şimdi 18 yaşında olan oğlumun ilkokula başladığı Sterntalerschule yakınındaki sığınmacıların kaldığı yurdun önünden her geçişimde emeği geçenlere teşekkür ediyorum. „İşte benim Dietzenbachım bu“ diyorum. Gürültü patırtı yapmadan, el ele verip yardıma koşanların huzurunda saygıyla eğiliyorum. Savaş, ölüm ve işkencenin yaşandığı bölgelerde aylarca, belki senelerce acı çeken yüzler şimdi Dietzenbach’ta gülüyor. Dietzenbach’ın kollarını açıp kucakladığı insanların yüreklerindeki umudu da son ziyaretimde gördüm. Seyfi Alp Deutsch: Ich konnte nicht erahnen, was mich erwarten wird, als mich der junge Journalist Zafer Cin anrief und sagte, dass ich mir nichts vornehmen sollte, weil er mich an einen besonderen Ort bringen möchte. Seit Anfang 2015 waren Flüchtlinge in allen Medien ein wichtiges Thema. Nachdem 2. Ausgabe/2015 ich mit Zafer Cin in dem Gebäude ankam, dessen Fertigstellung nicht lange her war, traf ich auf eine unerwartete Disziplin und Sauberkeit. Es war die neue Gemeinschaftsunterkunft für die Flüchtlinge in Dietzenbach. Ich bekam mit, dass dieses Gebäude recht flott gebaut wurde. Wenn ich von zu Hause aus Richtung Altstadt lief, konnte ich beobachten wie die Bauarbeiter im kalten Winter mit großer Einsatzbereitschaft an der Fertigstellung des Heims arbeiteten. Dietmar Kolmer, der für die Bürgermeisterwahl im Juni kandidieren wird gab uns im Gespräch Details zu den Flüchtlingen Dietzenbachs. Einige von ihnen konnten wir sogar anschließend persönlich kennenlernen und ein gemeinsames Foto schießen. Als unsere Arbeit im Heim erledigt war und wir auf dem Weg nach Hause waren, wurden wir von einem afghanischen Flüchtling auf sein Zimmer eingeladen. Auch wenn erst seit kurzer Zeit in Deutschland war, konnten wir uns auf Deutsch unterhalten. Es war bemerkenswert, dass er uns direkt etwas Süßes angeboten und einen Tee gekocht hat. Ich kam 1992 nach Dietzenbach und sehe vor allem in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte. Jeder Fortschritt meiner schönen Kleinstadt bindet mich ein wenig mehr an sie. Ich bin stolz auf die Stadt Dietzenbach, die Flüchtlingshilfe und die ehrenamtlichen Helfer. Dietzenbach ist aktuell so etwas wie der Mutterschoß für die Menschen, die vor dem Krieg fliehen mussten. Jedes Mal, wenn ich am Heim vorbeilaufe, danke ich den Helfern und Unterstützern und sage stolz: „Das ist mein Dietzenbach“ und verneige mich vor ihnen. Menschen, die in Gebieten mit Krieg, Tod und Folter leiden mussten, dürfen nun in Dietzenbach wieder lachen. Bei meinem letzten Besuch durfte ich die Hoffnung in den Herzen dieser Menschen spüren. Ins Deutsche übersetzt von Zafer Cin Einige der Flüchtlinge waren sofort bereit für ein gemeinsames Foto mit Seyfi Alp (links). Foto: Zafer Cin 3 DIEtZEITUNG Alles über Integration Die Odyssee nach Deutschland Flüchtlinge sind gerade ein großes Thema in Deutschland, so auch in Dietzenbach. Daher beschloss ich, mit einem Flüchtling in Dietzenbach ein Gespräch zu führen. Für einen Samstagmittag verabredete ich mich mit einem afghanischen Flüchtling namens Hassan (Name von der Red. geändert), der in der Gemeinschaftsunterkunft am Kindäcker Weg wohnt. Hassan begrüßt mich freundlich und bittet mich in einen gemeinschaftlich genutzten Aufenthaltsraum. Osman, ein Flüchtling aus Pakistan, gesellt sich ebenfalls zu uns. Auf der einen Seite des Zimmers steht eine Tafel mit deutschen Vokabeln. Auf den Tischen liegen Karten mit Bildern, auf der Rückseite befinden sich die entsprechenden Begriffe dafür. Da ich Hassans Landsmann bin und seine Sprache spreche, vertraut er mir. Wäre ich kein Afghane, würde er dieses Gespräch nicht führen, erzählt er mir. Generell spüre ich eine gewisse Angst bei den Flüchtlingen, denen ich in der Unterkunft begegne. Ob er sich wohlfühlt, frage ich Hassan als erstes. Er antwortet mir, dass es einem kleinen Wunder gleicht, den Taliban entflohen zu sein und nun in Deutschland zu leben. Er werde nicht belästigt und nehme die Deutschen als ein fröhliches, nettes Volk wahr. Dabei sollte Hassan eigentlich nicht in Deutschland bleiben dürfen. Die Behörden wollten ihn nach Österreich schicken. Doch da er einen leiblichen Bruder in Offenbach hat, durfte er doch hier bleiben. Er erzählt mir weiterhin, dass er sieben Länder durchqueren musste, um endlich in Deutschland anzukommen. Zunächst führte ihn seine Reise an das Afghanistan angrenzende Pakistan. Danach wurde im Iran Halt gemacht. Schließlich ging es über die Türkei, Bulgarien Serbien, Ungarn und Österreich nach Gießen, wo alle Flüchtlinge zunächst aufgenommen und dann in verschiedene Städte und Kommunen Hessens verteilt werden. Dort lernte er auch etwas Englisch, erzählt er mir. Doch was wir nicht wissen und uns nur sehr schwer vorstellen können und worüber er nicht reden möchte, sind die Reisestrapazen und der lange Leidensweg, die bei ihm Spuren hinterlassen haben. Er leidet seit einem halben Jahr an Depressi- 4 onen und nimmt starke Medikamente. Auf die Frage, ob er seine Heimat und vor allem seine Familie vermisst, wird es emotional. Hassan hat in Jalalabad (Afghanistan) zwei Schwestern und zwei jüngere Brüder. Sein Vater habe ihm geraten, das krisengeschüttelte Land zu verlassen, um sich eine bessere Zukunft zu verschaffen. Für eine vermeintlich bessere Zukunft und ein besseres Leben die Familie verlassen - ist das sinnvoll? Nun ist Hassan hier. Er hat es als einer von wenigen geschafft und hat die Flucht erfolgreich überstanden. Insgesamt leben 60 Menschen aus verschiedenen Ländern hier. Neben Afghanen, Pakistanern oder Irakern leben auch Menschen aus Somalia, Eritrea oder dem Iran hier. Sie kennen sich alle mittlerweile seit drei Monaten. Das Zusammenleben klappt prima. Etwas Deutsch können die Flüchtlinge schon sprechen. Es reicht jedenfalls, um im Supermarkt das Nötigste zu kaufen oder mal nach dem Weg zu fragen. In seiner Freizeit geht Hassan oft seinen Bruder in Offenbach besuchen. Von dort aus kann er seine Familie in der Heimat anrufen. Sollte es mal in Afghanistan ruhiger zugehen, würde er natürlich sehr gerne zurück. Doch in dieser schwierigen Lage ist es für ihn unmöglich, daran überhaupt einen Gedanken zu verschwenden. Zum Schluss des rund einstündigen Gesprächs hinterlasse ich ihm meine Handynummer, damit er mich im Notfall oder bei etlichem Papierkram kontaktieren kann. Siraj Sheirzei Flucht - eine Erinnerung „Vollständig ausgebombt“, so etwa wurde es meinen in Berlin wohnenden Eltern 1944 amtlich bescheinigt. Wir flüchteten in die Heimat meiner Eltern, nach Hinterpommern. Mein Vater war „im Krieg“. 1945, vor Kriegsende, flüchtete die Großfamilie - meine Großmutter, ihre schwerkranke Schwester, meine Tante mit vier Kindern unter 10 Jahren, meine schwangere Mutter und ich - 2 Jahre alt - im „letzten Zug“ aus ihrem Heimatort in Hinterpommern gen Westen. Alles blieb zurück, Wertsachen wurden im Garten vergraben, auf dass man sie später wieder fände. Wie alle anderen Flüchtlinge hatten wir ein Ziel: Verwandte. Die Unsrigen in Thüringen erreichten wir nach mehrtägiger Zugfahrt. Die siebenköpfige Familie meines Onkels rückte zusammen und bot den neun Neuankömmlingen Platz. Es war eng. Meine Mutter und ich zogen weiter zur Tante meines Va- 2. Ausgabe/2015 ters, die uns eine Unterkunft beschafft hatte. Meine Schwester wurde geboren, mein Vater spannte eine Leine durchs Zimmer und zog Kerzen. Meine Mutter suchte Beeren und Brennnesseln, die Versorgung war erbärmlich. Irgendwann machte sich mein Vater auf, weiter gen Westen. „Bitte schicke mir zwei Pfund Mehl, meine Mutter hat sie mir geborgt und ich will es ihr zurückschicken“ - lese ich in einem Brief meiner Mutter an ihn aus dieser Zeit. Anfang 1949 dann die Nachricht: „Ihr müsst jetzt nachkommen“, schrieb mein Vater. Und es folgte unsere dritte, aber meine erste bewusst erlebte Flucht, diesmal aus der Sowjetisch besetzten Zone, über die damals sogenannte „grüne Grenze“. Der Zug kommt des Abends an einem einsamen Ort an, ich sehe nur ein dunkles Haus vor mir, mit leeren Fensterhöhlen, dahinter Wald. Eine kleine Gruppe von Menschen sammelt sich. „Das dort ist der Führer“, sagt meine Mutter, „du musst immer hinter ihm hergehen.“ Der Führer - ich erinnere mich genau an diese Bezeichnung für den bezahlten Schlepper - ergänzt: „Wenn die Kinder schreien, bin ich weg. Sie müssen sich kümmern.“ Meine Mutter trägt die kleine Schwester, wir gehen hintereinander durch den dunklen Wald. Versuchen jedes Knacken der Äste zu vermeiden. Ich habe Angst. Meine Schwester fällt in Brennnesseln, meine Mutter hält ihr den Mund zu. Weiter!! Kurz vor Morgengrauen gelangen wir an ein Feld. Im Hintergrund ein Feuerschein. Der Führer erläutert: „Sie müssen rüberrennen, hintereinander, schnell, beim Feuer sitzen russische Soldaten.“ Und dann ist er fort. Ich erinnere nur mich selbst, wie ich renne und renne, ganz alleine, und ankomme auf einer grauen Straße. Dann ist der Film aus. Wieder Unterschlupf bei Verwandten, danach als anerkannte Flüchtlinge in Hannover aufgenommen, mit dem wiedergefundenen Vater in einem Zimmer und schließlich nach fünf Jahren Flucht und Ungewissheit gelandet in der vermuteten neuen Hauptstadt Frankfurt am Main, wo sich das Berliner Unternehmen meines Vaters niedergelassen hatte, sodass er seinen Arbeitsplatz wiederfand. Meine Mutter hat sich im Grunde nie in die „neue Umgebung“ eingefunden. Die Sprache, und es war doch „nur“ ein Dialekt, blieb ihr fremd. Grüne Soße gab es bei uns einmal, und zwar gekocht in Mehlschwitze. „Wie kann man so etwas essen?“ fragte sich meine Mutter. Als Jugendliche und noch lange als Erwachsene konnte ich die Heimatsehnsucht meiner Mutter nicht verstehen. Die Pommernkarte zu Hause war mir fremd. Fragen stellte ich keine. „Ich mag Frankfurt“ - hielt ich gegen diese Nostalgie. „Hier bin ich zur Schule gegangen, hier arbeite ich, habe hier alle meine Freunde. Mit Hinterpommern habe ich nichts zu tun.“ Meine Mutter hingegen wiederholte häufig: „Auf der ganzen Welt, überall, immer und immer wieder, Flüchtlinge mit ihren Karren und Taschen…“ Erst sehr viel später habe ich die dahinter stehende subjektive Tragik verstanden, und die Trauer - zu spät, um noch Fragen zu stellen. Aber rechtzeitig genug, mir den Schmerz und auch die Hoffnung der Menschen vorzustellen, die heute über Ländergrenzen und Kontinente hinweg versuchen, ihr Leben zu retten und sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden. Irlis Gussmann DIEtZEITUNG Gesellschaftskritik 2. Ausgabe/2015 Lahore - Eine Stadt mit Menschen Die pakistanische Metropole bebt. Schneider, Restaurants, Supermärkte, Optiker und alles, was man hier sonst nicht erwarten würde. Frauen mit Kopftüchern, ohne Kopftücher. Männer mit Bart, ohne Bart. Sie lachen, sie essen, sie telefonieren, sie reden. Unzählige Motorräder düsen auf der Straße. Oft sieht man eine ganze Familie auf einem Motorrad, ein Balanceakt. Es wird permanent gehupt, sogar beim Parken, damit im Chaos bloß niemand ungewarnt bleibt. Die Metropolitan Police patrouilliert und ist in der Menge immer präsent. Wir werden gebeten, mit dem PKW nicht direkt vor den Geschäften anzuhalten, um den Verkehr nicht zu blockieren. Nandos, McDonalds, Pizza Hut, Burger King, Dunkin Donuts. Die Terroristen und ihre kranke Gesellschaft scheinen also doch weltliche Vorlieben zu haben! Wir laufen in ein Kaffeehaus hinein und setzen uns. Ich schaue mich um, es läuft Musik. Der junge Herr, vielleicht 17 Jahre alt, hat ein herzliches Lächeln, strahlt Freundlichkeit und Entgegenkommen aus; in Deutschland vom Aussterben bedroht. Die Menükarte sieht professionell aus, keine Sprachfehler. Es gibt verschiedene Sorten Kuchen und 20 Kaffeesorten. Ich bestelle ein Red Velvet Cake mit einem Standard Latte macchiato. In meinem Kaffee ist ein sehr gelungenes Herzmuster abgebildet. Lecker. Ich bezahle mit der Karte und mache mich auf den Weg. Draußen erzählt mir meine Begleitung, dass der Autoschlüssel einem Vertrauensherrn gegeben wurde, damit dieser das Auto ordentlich umparkt. Im Gegenzug habe meine Begleitung eine Karte aus Papier von ihm erhalten. Nein, der Vertrauensherr sei von keiner großen Firma, sondern eine Privatperson und doch wurde sein Auto noch nie geklaut. Wir fahren an die Stadtboulevard Liberty und steigen in einer Menschenmenge aus, um zu spazieren. Als Ausländer aus dem zivilisierten Westen schaue ich ständig über meine Schulter und versuche den verrückten Terroristen rechtzeitig zu identifizieren, bevor er es tut. Na, wo ist er bloß? Und warum laufen hier Frauen ohne Kopftücher lachend durch die Gegend? Ich schmunzele und überlege, wie es wohl einem Deutschen hier ergehen müsste, wenn ich schon mit meinen pakistanischen Wurzeln das Gefühl habe, mich in Acht nehmen zu müssen. Deshalb sieht man wohl keinen einzigen Deutschen hier. Aber was machen dann die vielen Chinesen hier? Mir wird gesagt, dass sie eifrig an Bauprojekten zur Verbesserung der Infrastruktur arbeiten und viel Potenzial in Pakistan sehen. Auch höre ich, dass morgen, am 25. Dezember 2014 die meisten Geschäfte geschlossen sein werden, weil Weihnachten in Pakistan ein nationaler Feiertag ist. Es überkommt mich ein kleiner Wutanfall. Das verzerrte Weltbild, das uns die ganze Zeit vorgegaukelt wird. So als wären die Menschen in dieser Gesellschaft Fanatiker, kranke Frauenhasser, Hassprediger und programmiert auf Selbstmordattentate. Ich vergleiche meine Erfahrung in Pakistan mit meiner ersten und bisher letzten Reise in die Vereinigten Staaten via Canada. „What are you doing?! Can‘t you read the sign?!“, schrie der bewaffnete Soldat mich an, weil ich direkt zur Schranke gefahren war, um meinen Pass vorzuzeigen. Ich entschuldigte mich und wollte zurückfahren, bevor er noch lauter schrie und mich aufforderte, stehenzubleiben. Ich war irritiert, unsicher und fühlte mich beleidigt. Wo habe ich mehr Angst? In Amerika, wo man plötzlich in Guantanamo Bay landen oder von einem rassistischen Polizisten erschossen werden kann oder in Pakistan, wo alle mit wenig auskommen und die Restaurants am Abend ihr Essen eher an Bedürftige verteilen als wegschmeißen? Es gibt keine perfekte Kultur für alle. Das gesunde und weltoffene Weltbild wird von unseren Medien zielführend demoliert. Hass, Ausländerfeindlichkeit und Arroganz werden zunehmen, wenn wir aus Furcht weniger reisen und uns weniger mit anderen Kulturen auseinandersetzen. Es ist dann nur eine Frage der Zeit bis andere Nationen uns in einer neuen Welt überholen. Naweed Khan Die Bartisierung des Abendlandes (Satire) Gewinnspiel: Ist dieser Mann ein Salafist oder Der Bart ist momentan stark im Trend. Egal ob bloß ein ultramoderner junger Mann? Zu gewinVollbart, Dreitagebart oder ein nicht zurechtgenen gibt es drei neue Rasierklingen von Wilkinson. machtes Gestrüpp: überall sieht man immer mehr Männer mit immer mehr Haaren im Gesicht. Doch woran mag das liegen? Hat die Pegida-Bewegung womöglich doch recht? Haben die barttragenden Muslime in Deutschland unsere Männerwelt unterwandert und geht deshalb das Abendland bald unter? Was früher voll in Mode war und danach eher als ungepflegt galt, ist in der heutigen Zeit wieder total „in“. Der Männerbart feiert sein Comeback auf der großen Mode-Bühne! Ist die Ursache tatsächlich die Islamisierung des Abendlandes oder liegt es vielmehr daran, dass die Rasierklingen von Gillette, Wilkinson (Schleichwerbung), und wie sie alle heißen mit 15 Euro für drei, vier Klingen viel zu teuer sind? Oder spart man dadurch morgens mehr Zeit im Badezimmer und kann sich mehr Schlaf gönnen? Vielleicht kommt der kratzige Trend ja auch da her, wo alles Neue herkommt: aus Hollywood! Viele US-Stars wie George Clooney, Brad Pitt, Leonardo DiCaprio oder Robert Pattinson tragen den Bart in jeder vorstellbaren Form und Masse. Oh Gott, Hollywood ist auch islamisiert! Mittlerweile scheint auch die Frauenwelt sich mit dem haarigen Look der Männer abgefunden zu haben. Glattrasierte Haut ist längst Schnee von gestern. Vielmehr hat sich der Bart beim Mann zu einer Art Statussymbol entwickelt. Was sind jedoch die Vorteile eines Bartträgers, abgesehen von der Tatsache, dass er einen männlicher aussehen lässt? Mir fallen da direkt Unreinheiten wie Pickel oder Mitesser im Gesicht ein. Diese lassen sich zumindest im Hals- und Kinnbereich mit dem dichten Haar leicht verdecken. Auch wenn manche Leute Angst empfinden, wenn sie Männer mit der wuchernden Gesichtspracht sehen. Doch selbst dem kann man etwas Positives abgewinnen. In der Bahn zum Beispiel habe ich als Bartträger oft eine ganze Sitzreihe für mich allein, da ich wohl so einigen das Gefühl vermittele, als wäre ich frisch von einer Talibansitzung gekommen. Naja, so kann ich wenigstens in Ruhe mein Buch lesen oder einfach nur meiner Musik lauschen. Siraj Sheirzei 5 DIEtZEITUNG Gesellschaftskritik 2. Ausgabe/2015 Gehört der Islam zu Dietzenbach? „Einem Artikel der Offenbach-Post können wir entnehmen, dass in Dietzenbach ca. 12.000 Menschen muslimischen Glaubens leben. Das ist knapp ein Drittel der Stadtbevölkerung. Gehört also der Islam zu Dietzenbach? In einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung heißt es: „Muslime in Deutschland sind mit Staat und Gesellschaft eng verbunden“ – Können Sie eine solche Einschätzung nach Ihren Erfahrungen in Dietzenbach teilen?“ Dr. Gerd Wendtland Entstehungsgeschichte Da die Islamdebatte in Deutschland ein nie enden wollendes Thema ist und in den letzten Monaten Islamismus, Terrorismus, Salafismus, ISIS, Pegida und die ganzen anderen negativ konnotierten Schlagworte in den Medien präsent waren, ergab sich nach einigen Gesprächen im Bekanntenkreis die Idee zu einer Talkrunde mit Gästen, die unterschiedliche Standpunkte vertreten. Doch ausschlaggebend war eine Mail von Guido Kaupat, der den Vorschlag einbrachte, einen Artikel zu den aktuellen Geschehnissen zu verfassen. Gleichzeitig schlug auch Naweed Khan vor, etwas für diese Ausgabe beizutragen. Da ich wusste, dass beide Persönlichkeiten unterschiedlicher nicht sein könnten, kam mir die Idee, beide in einem Interview zu Wort kommen zu lassen. 6 „Die Frage muss eigentlich lauten, welche Art von Islam zu einem Teil Deutschlands werden kann. Die Frage, die sich scheinbar keiner stellen will ist doch aber: Wann hört ein friedliebender Islam auf und wo fängt Islamismus an? Islamismus ist nicht erst, wenn Gewalt angedroht oder tatsächlich angewendet wird. Islamismus ist es schon, wenn ein junges Mädchen nicht am Sportunterricht teilnehmen darf oder keinen Freund haben darf.“ Guido Kaupat „Die unterschiedliche Darstellung, ob der Islam zu Deutschland gehören könne oder nicht, spiegelt die jeweils selektive Wahrnehmung der inneren Widersprüche im Islam in Text und Vorbild. Diese inneren Widersprüche müssen innerislamisch geklärt werden. Nur die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbaren Haltungen können zu Deutschland/Dietzenbach gehören.“ Sigrid Herrmann-Marschall Der hessische Landtagsabgeordnete, Ismail Tipi (CDU), war als Begleitung von Guido Kaupat vor Ort und hatte nach der Talkrunde ebenfalls die Möglichkeit, sein Statement zum Thema abzugeben. Seine Meinung war eindeutig: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland!“ Kontrovers aber sachlich... ...war die Talkrunde, die von Dr. Gerd Wendtland auf eine sehr professionelle Art und Weise moderiert wurde. Dabei war die Runde bunt gemischt und konnte, was die Meinungen und Statements der einzelnen Gäste angeht, unterschiedlicher nicht sein. Während der Diskussion bildeten sich schnell zwei Lager: Auf der einen Seite Guido Kaupat und Sigrid Herrmann-Marschall, die eine genaue Definition von Islam bzw. Islamismus verlangen bzw. fragen, welcher Islam zu Deutschland gehören soll. Ihrer Meinung nach kann nur der Islam zu Deutschland gehören, der mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Tuba Hamoglu und Naweed Khan dagegen betonen, dass die Mehrheit der Muslime in Deutschland integriert ist und sich demnach auch an diese Grundordnung hält. Die friedliebenden Muslime würden allerdings durch Medienberichte verunglimpft und pauschalisiert. Samuel Diekmann, Pastor der Jesus-Gemeinde, strahlte eine Art Ruhepol zwischen beiden Lagern aus und sorgte mit guten Beiträgen wie „Ich in ein Freund der Muslime, aber ich bin ein kritischer Freund, der auch vieles hinterfragt“, dafür, dass er bei seinen Mitdiskutanten Symphatiepunkte sammelte. Wer sich die Aufzeichnung in voller Länge anschauen möchte, kann dies auf YouTube tun. Unter dem Titel „Gehört der Islam zu Deutschland, gehört der Islam zu Dietzenbach“ ist das Video aufrufbar. Foto: Seyfi Alp Zafer Cin Parallel liefen allerdings Gespräche mit „Selcik Foto & Videoproduktion“ über Videoberichte, die als Kooperationsprojekte mit der DIEtZEITUNG gebracht werden könnten. So lag es eigentlich auf der Hand, dass das geplante Interview mit Khan und Kaupat aufgezeichnet wird. Es war nur noch eine Frage der richtigen Organisation und der Überzeugungsarbeit. Letztendlich kristallisierte sich nach weiteren Unterhaltungen im Bekanntenkreis die Idee einer Talkshow heraus, zu der weitere Gäste und ein Moderator eingeladen werden können. Denn mehr Köpfe bedeuten mehr Meinungen und damit eine interessantere Diskussion zu einem Thema, zu dem wohl jeder in Deutschland eine Meinung hat und mitreden kann - egal ob positiv oder negativ. DIEtZEITUNG „Auf die Frage ‚gehört der Islam zu Deutschland‘ antworte ich als Pastor tendenziell: ‚Ja, die andere Religionsgemeinschaft gehört genauso dazu wie meine eigene, denn mein Recht ist auch deines!‘ Im Diskurs stelle ich aber fest, dass ich diesen Satz je nach dem, was man unter ‚dem Islam‘ und je nach dem, was man unter ‚gehört zu Deutschland‘ versteht, zwischen ‚100% dafür‘ und ‚ach so, dann bin ich nicht dabei‘ schwanke.“ Samuel Diekmann Gesellschaftskritik „Ich bin deutsche Staatsbürgerin, gebürtige Hessin, stolze Rodgauerin, Atatürk liebende Türkin, emanzipierte und aus freiem Willen kopftuchtragende Muslimin, elhamdülillah! Und ob man es will oder nicht, ich bin ein Teil Deutschlands - auch mit meinem Glauben an Allah! Ich bin keine Schmarotzerin, keine Terroristin, keine Unterdrückte, ich entspreche nicht dem islamfeindlichen Bild, welches viele Medien schüren.“ Tuba Hamoglu 2. Ausgabe/2015 „Der Islam gehört zu Deutschland. ‚Sozialterroristen‘ erkennen jedoch eine erfolgreiche Integration nicht an und erwarten von Muslimen, ihre Kultur aufzugeben. Unter dem Deckmantel ‚Kampf gegen Salafismus‘ wird für das Kopftuch-, Moschee- und Minarettverbot plädiert. Integration ist ein Prozess, welcher auf beiden Seiten erfolgen muss und ist mit einer engstirnigen Auffassung von Sozialterroristen nicht umsetzbar.“ Naweed Khan Kontrovers und spannend war die Diskussionsrunde. Foto: Seyfi Alp 7 DIEtZEITUNG Gesellschaftskritik 2. Ausgabe/2015 Türkçe: Misafiri kovmak Almanya’ya yakışmıyor Deutsch: Kolumne Es passt nicht zu Deutschland, Gäste zu verbannen 1961 yılından itibaren Almanya’ya çalışmak için gelmeye başlayan Türklerin özellikle 1970’li senelerde çok zor işlerde çalıştığı kitaplara da konu oldu. Günter Wallraff’ın „En Alttakiler“ adlı kitabında da değindiği gibi göçmenler dişlerine ve kaslarına bakılarak Almanya’ya getirildi. 1980’deki göç dalgasıyla Türkiye’den Almanya’ya gelenler 12 Eylül öncesi anarşi ortamından ve sonrasındaki askeri rejimden rahatsız olanlardı. İçlerinde kendimin de yer aldığı 1990 sonrası gelenlerin önemli bir kısmı Türkiye’deki eğitimine Batı kültüründen artılar eklemek istiyordu. 25 senemi geride bıraktığım Almanya’da bu ülkenin bilgime kattıklarını her zaman şükranla dile getirdim. 1990 sonrası her tatile gidişimde başta anne babam ve akrabalarım olmak üzere Almanya’daki olumlu tabloları anlattım. İş disiplini başta olmak üzere sokakların temizliği ve insana verilen değeri hep ön plana çıkardım. Ancak son zamanlarda bir göçmen olarak huzurum kaçtı. Zira mesleğim gereği toplumun kılcal damarlarına girip çıkmama rağmen, dışlanmanın soğuk yüzünü hissedebiliyorum. Televizyon, gazete ve dergilerde göçmenlerin ve Müslümanların dışlandığını hissetmek acı veriyor. Evde, işte ve sokakta yürürken bu düşüncelere dalınca aklıma Almanya’da doğup büyüyen göçmen gençler geliyor. Ana babalarının ülkesi kendileri için sadece bir tatil yeri olan milyonlarca göçmen genci düşünüyorum. „Nereye gidebilirler ki?“ diye çıkmaz bir sokağa girip, kalıyorum. Almanya’ya gelen ilk kuşaktan göçmenlere soruyorum: „Sizin zamanınızda nasıldı Almanlarla ilişkileriniz?“ diye. „2. Dünya Savaşı sonrası taş taş üstünde kalmayan Almanya’yı biran önce kalkındırmak için el ele omuz omuza vermiştik“ cevabını alıyorum. Tam bu noktada, „Almanya’ya anne babalarımız misafir olarak bile gelmiş olsalar, kovulmayı hak ettik mi?“ sorusu geliyor. „Hele Almanya gibi son senelerde ihracatta rekor üstüne rekor kıran bir ülkeye, 50 sene önce davet ettiği insanları kovmak yakışır mı?“ diye düşünüyorum. İslam adının terörle 5 dakika içinde 10 defa anıldığı televizyon haberleri gözümün önünden geçiyor. Pegida yürüyüşlerinde atılan sloganlar evimde oturma odamın içine düşüyor. Her yer karanlık oluyor. Evimde, tam da kendimi istenmeyen biri olarak hissettiğim bir anda kapım çalıyor. 23 yıllık Alman kapı komşum elinde bir pasta ile geliyor. Bana gülümsüyor. Seyfi Alp Vielfältig berichten Bücher von Türken, die ab 1961 zum Arbeiten nach Deutschland kamen und besonders seit den Siebzigern unter schwierigen Bedingungen arbeiteten. Wie Günter Wallraff in seinem Werk „Ganz unten“ beschreibt, mussten die Arbeiter durch etliche Gesundheitstests, bevor sie nach Deutschland durften. Die Einwanderungswelle von 1980 war auf den Militärputsch zurückzuführen. Die Türken, die nach 1990 nach Deutschland kamen, zu denen ich ebenfalls zähle, kamen, um ihre in der Türkei erworbene Bildung durch die westliche Kultur zu erweitern. Dass ich in meinen 25 Jahren in Deutschland mein Wissen erweitern konnte, habe ich immer wieder zum Ausdruck gebracht. Wenn ich meinen Urlaub in der Türkei verbrachte, schwärmte ich meinen Eltern und Verwandten von den tollen Zuständen in Deutschland vor. Die Arbeitsdisziplin, die sauberen Straßen oder die Wertschätzung der Menschen stellte ich immer in den Vordergrund. Allerdings ist mein innerer Frieden seit kurzem gebrochen. Obwohl ich bedingt durch meinen Beruf immer unter Menschen bin, spüre ich das schmerzhafte Gefühl der Ausgrenzung. Es tut weh, dass in den Medien Migranten und Muslime ausgegrenzt werden. Wenn ich zu Hause, bei der Arbeit oder beim Spazieren daran denke, fallen mir die jungen Menschen mit Migrationshintergrund ein, die das Land ihrer Vorfahren nur aus dem Urlaub kennen. „Wohin können sie schon gehen“, frage ich mich und finde keine Antwort. Ich frage die erste Generation der türkischen Gastarbeiter wie ihre Beziehung zu den Deutschen war. „Nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir uns gemeinsam dafür stark gemacht, um das vom Krieg zerstörte Deutschland wieder aufzubauen“, bekomme ich als Antwort. An diesem Punkt frage ich mich, ob unsere Eltern, die anfangs als Gäste kamen, es verdient haben, aus Deutschland verbannt zu werden. Deutschland als Wirtschaftsmacht ziemt es nicht, seine Gäste nach 50 Jahren wieder fortzutreiben. Ich denke an die Nachrichten, in denen zehn Mal Islam und Terror innerhalb von fünf Minuten in engem Zusammenhang genannt wurden. Die Slogans der Pegida-Demonstranten schallen in meinem Wohnzimmer. In dem Moment, in dem ich mich in meinem eigenen Wohnzimmer ungewollt fühle, klingelt es. Mein deutscher Nachbar, den ich seit 23 Jahren kenne, steht mit einem Kuchen an der Tür und lächelt. Ins Deutsche übersetzt von Zafer Cin 8 „Der Islam gehört zu Deutschland”, hörten wir Bundeskanzlerin Angela Merkel vor kurzem in einer Rede sagen. Auch von anderen politischen Hauptakteuren hörten wir zuvor diese oder ähnliche Aussagen. Doch gehört der Islam wirklich zu Deutschland? Gehört der Islam zu Dietzenbach? Diese Frage wird immer häufiger aufgeworfen. Antworten, die auf diese Frage gegeben werden, basieren häufig auf der persönlichen Erfahrung mit dem Islam bzw. was man unter „Islam“ versteht. Aufgrund der häufig negativen Darstellung der Muslime durch die Medien und der Gleichsetzung des Islams mit Terrorismus und Extremismus hat die deutsche Öffentlichkeit oft einen schlechten Eindruck vom Islam und von den Muslimen und wollen die Frage, ob der Islam zu Dietzenbach gehört, verneinen. Diejenigen, die sich nicht allein durch Medien leiten lassen und mit dem „wahren“ Islam persönlich in Kontakt kommen, haben kein Problem damit, den Islam als Teil Deutschlands/Dietzenbachs anzuerkennen. Mein Aufruf als Integrationslotsin richtet sich nun sowohl an Muslime als auch an Nichtmuslime. Wir sollten unsere Meinung nicht nur immer aus einer Quelle beziehen, sondern die Sache vielseitig betrachten können, um uns auch letztlich eine vernünftige Meinung bilden zu können. Die größte Verantwortung tragen jedoch wir Muslime. Wir sollten den Islam in seiner eigentlichen Form richtig ausleben und praktizieren, damit unsere nichtmuslimischen Mitmenschen dem wahren Islam begegnen können und ihre Vorurteile dementsprechend abbauen können. Leider gibt es jedoch viele “Muslime”, die ihre Religion falsch präsentieren und dazu führen, dass man sich ein schlechtes Bild vom Islam macht. Folgende Worte vom britischen Sänger und Musiker Yusuf Islam (ehem. Cat Stevens) möchte ich zum Schluss hierzu erwähnen: „Hätte ich den Islam anhand der Muslime kennengelernt, wäre ich kein Muslim geworden. Zum Glück habe ich den Islam aus dem Koran gelernt.“ Auf ein friedliches Miteinander und bis zum nächsten Mal. Nuray Arslan, Integrationslotsin der Kreisstadt Dietzenbach, wird künftig an dieser Stelle ihre Kolumne für unsere Zeitung verfassen. DIEtZEITUNG Gesellschaftskritik 2. Ausgabe/2015 Fussball - nicht bloss ein Hobby Sowohl für mich als auch für eine Menge Menschen war und ist der Fußball mehr als nur eine Sportart. Jeder von uns hat gewisse Alltagsprobleme, ob in der Familie, im Beruf oder in seinem sozialen Umfeld. Doch während eines Fußballspiels wird alles vergessen. Die Welt beschränkt sich auf das Spielfeld und alles andere ist irrelevant. Sowohl in unserer Kindheit als auch heute war und ist es völlig egal, ob wir 13 gegen 11 oder 8 gegen 6 spielten, ob das Ergebnis 17 zu 22 lautete, man mit oder ohne fliegenden Torwart spielte, ob der Ball neu oder platt war, ob unsere Kleidung dreckig oder kaputt wurde - was zählte, war die Liebe zum Spiel, die Freude zusammen zu spielen unabhängig von Alter, sozialen Stand oder Herkunft der Mitspieler. Wir teilten uns einen Tetra Pak Eistee und genossen den Moment, selbst wenn man das Spiel verlor. Denn im Endeffekt war man doch froh, gespielt zu haben. Wir wurden von Ronaldo (R9), Roberto Carlos, Zidane, Ronaldinho, Beckham, Figo und vielen mehr inspiriert. Fußball war unser Leben. Durch DIEtZEITUNG die Zeichentrickserien „Die Kickers“ und „Die tollen Fußballstars“ wurde die Leidenschaft verstärkt, da man sich vor allem mit den Protagonisten „Tsubasa“ und „Gregor“ identifizieren konnte. Das Jedermannturnier, das jährlich im Waldstadion stattfand, war ein Highlight, auf das wir uns besonders gefreut hatten. Dort konnten wir als Migrantenkinder unser Können unter Beweis stellen und das meist vor einer randvollen Tribüne im Waldstadion. Diese Zeiten werden wohl für ewig in unseren Erinnerungen verweilen. Es war eine Zeit der Unbeschwertheit. Jedes Kind, ob groß, klein, dick, dünn, hell, dunkel, religiös oder nicht religiös durfte mitspielen egal, ob er gut oder weniger gut spielen konnte. Eine Renaissance der Neunzigerjahre wird es wohl nicht mehr geben, jedoch könnte man für neue schöne Momente und neue Erfahrungen sorgen, indem das Jedermannturnier wieder organisiert wird oder Bolzplätze gebaut werden. Ein öffentlicher Bolzplatz allein, der sich dazu noch in Steinberg befindet, ist ein Witz. Fußball verbindet, Fußball ist gelebte Integration. Viele ausländische Kinder kommen erst durch den Fußball und andere Sportarten in direkten Kontakt mit deutschen Kindern. Deshalb ist Fußball auch das beste Integrationsprojekt für eine Stadt, weshalb man nicht am falschen Ende sparen sollte. Bachir Alaoui Clubs, Bars und das Nachtleben Die „All Stars“ waren beim letzten Jedermannturnier von 2007 Turniersieger und seit 2002 immer unter den Top 4. 2. Ausgabe/2015 Die Gaststätte der Integration Mit dem Griechen Themis (links) ist der türkische Wirt Dogan Kümetepe (rechts) seit über 25 Jahren befreundet. Fotos: Zafer Cin Vorurteile, Pauschalisierungen und Klischees liegen wohl in der Natur des Menschen. Dieser Artikel soll eben mit diesen Vorurteilen oder Klischees zum einen spielerisch umgehen und zum anderen dafür sorgen, dass endlich damit aufgeräumt wird. Es kommt nämlich nicht selten vor, dass türkische Landsmänner etwas überrascht schauen, wenn sie mich kennenlernen und erfahren, dass ich der Wirt der Gaststätte „Zum Treppche“ bin. Ein Türke betreibt eine Kneipe und schenkt Bier aus? Ja, tatsächlich und es kommen nicht nur Deutsche Gäste „Zum Treppche“, was die Atmosphäre bei uns so besonders macht. Wer beispielsweise während der WM 2014 zu uns kam, um sich die Spiele unserer Nationalmannschaft anzuschauen, sah Türken oder Marokkaner mit einem Trikot der deutschen Nationalmannschaft, die bei jedem Tor Seite an Seite mit Deutschen jubelten und feierten. Aber auch der Alltag bei uns sieht alles andere als „normal“ aus. Da sitzt der Deutsche zusammen mit dem Türken an einem Tisch und spielt stundenlang die türkische „Volkssportart“ der türkischen Teehäuser „Okey“, welche in Deutschland unter dem Namen „Rommé“ bekannt ist. Aber es ist nicht nur die Tatsache, dass Deutsche und Türken bei uns zusammenkommen. sondern eine ehrlich gemeinte Einladung für alle Ich kann stolz behaupten, dass wir ein Ort der ge- Dietzenbacher, die für Toleranz und Offenheit gelebten Integration sind, der zum einen die Buntheit genüber „anderen“ stehen und ein Zusammenleben unserer schönen Stadt repräsentiert und zum ande- mit unterschiedlichen Menschen fördern wollen. ren aber auch die Gäste hier keinen nach Religion Ich erwarte euch zum gemeinsamen Fußballgucken oder Herkunft beurteilen. So ist es sicherlich auch oder Tavla-Spielen oder einfach zu einem netten für viele Griechen und Türken unvorstellbar, in Gespräch. einem Lokal zusammen zu kommen, geschweige denn eine jahrelange Freundschaft zu führen. Doch Dogan Kümetepe auch dies sieht man hier. Ich bin seit über 25 Jahren mit einem Griechen befreundet und kann zu Recht behaupten, dass er Auf den Club 33-Revival-Partys legt Kumpel Themis auch Hand für mich wie ein Bruder ist an und mixt die Cocktails. Zuletzt möchte ich unsere Club 33-Revival-Partys erwähnen (Offenbach-Post berichtete bereits am 6. März), die ebenfalls die gelebte Integration bei uns widerspiegeln. Wie einige wissen, befand sich der Club 33 im Keller der Dietzenbacher Polizeistation, wurde aber leider 2009 aus diversen Gründen geschlossen. In den 16 Jahren, in denen der Club Woche für Woche für tolle Partystimmung in Dietzenbach sorgte, entstanden Freundschaften, die bis heute bestehen. Es sind Freundschaften zwischen den unterschiedlichsten Nationalitäten, weshalb ehemalige Besucher und Organisatoren den alten Geist wieder aufleben lassen wollen. Es ist keine Werbung für einen Lokal, 9 DIEtZEITUNG Kunst und Musik 2. Ausgabe/2015 Die Ratte Ludwig spricht über Toleranz Ich bin ein Kind Dietzenbachs. Hier wurde ich geboren und bin in dieser Stadt aufgewachsen. Ich lebe und arbeite vor Ort als Illustratorin, Karikaturistin und Cartoonistin. Als ich geboren wurde, gab es noch keine 8000 Einwohner hier, die Entfernung zwischen meinem Wohnort Steinberg und Dietzenbach betrug zwei volle Kilometer mit Feldern, Wiesen und Äckern, die Straße war mit Apfelbäumen gesäumt. In meiner damaligen Klasse gab es drei ausländische Gastarbeiterkinder, die keineswegs abgelehnt wurden, sondern ganz normal mitliefen und die deutsche Sprache erlernten. Das war vor etwa 50 Jahren. Klar, da hat sich einiges geändert. Wir müssen einfach kapieren, dass die Bewohner dieser Stadt, ob mit oder ohne Migrationshintergrund, eine Gemeinschaft darstellen, die nur mit gegenseitiger Toleranz und Akzeptanz gut miteinander leben kann. Wichtig ist, dass wir die gleiche Kolumne Wir kamen in ein Land, das nur vergessen hat was Krieg heißt, mit der Hoffnung zu fliehen aus der Hölle des Diesseits. Sprache sprechen, bzw. uns austauschen und unterhalten können. Das beginnt aber schon mit einem Augenkontakt, einem Lächeln oder einem Gruß. Im vergangenen Sommer durfte ich für die Stadt Dietzenbach eine Broschüre mit dem Titel „unsere Stadt Dietzenbach“ schreiben, illustrieren und bebildern, um die Schönheiten dieser Stadt zu präsentieren, die sie ohne Zweifel hat. Vielleicht kennen einige unter den Lesern diese Broschüre schon, die es zum Selbstkostenpreis an der Rathausinfo und im Stadtbüro in der Altstadt zu erwerben gibt. Sicher ist auch einigen meine gezeichnete ComicRatte Ludwig aufgefallen, die seit nunmehr 18 Jahren einmal wöchentlich als Cartoon in der hiesigen Kreistageszeitung, als Werbung und auch an den Wänden Dietzenbachs zu sehen ist. Dass es sich bei meinem Markenzeichen um eine Ratte handelt, ist rein zufällig. Vielleicht war es eine gewisse Intuiti- Sie vergessen, dass Mutter Natur ihnen einst die Nahrung schenkte, teilen diese nicht und deswegen starben Menschen. Aber die Einwanderer sind nur statistische Zahlen, Wir laufen tagelang, um in einer Minute einen skrupel- aber diese Zahlen können deine Sprache nicht und losen Abschied zu erleben, können dir nichts sagen. all die traurigen Seelen, die gehen mussten, zum Glück können sie nicht mehr reden. Also gehen diese Menschen mit einem stummen Schrei nach Freiheit, Wir sind gekommen, damit unsere Kinder eine Schule und sterben dort, wo wir sie nicht hören können. In sehen, ihrer Heimat. und nicht mehr zurück müssen in den Kugelregen. Es gibt nichts schlimmeres, wie wenn Kinder Augen nicht mehr leuchten, sie stecken uns in einen Container und sagen wir wären keine Deutschen. Wir wären anders als sie und hätten kein Recht hier Geld zu verdienen, sie regieren einen Staat, aber die Welt gehört nicht ihnen. 10 Flamur, Rapper aus Dietzenbach, wird künftig an dieser Stelle seine Kolumne für unsere Zeitung verfassen. on, die Ratte zu wählen, denn wenn man bedenkt, dass die Ratte ein Tier ist, das in jedem Land der Welt anzutreffen ist, dann hat es doch ziemliche Ähnlichkeiten mit den Menschen, ihrer Vielfältigkeit und ganz besonders mit Dietzenbach, wo etwa 100 Nationalitäten beheimatet sind. Kürzlich wurde ich von der Stadt Dietzenbach mit der „Bürgermedaille“ ausgezeichnet, die mir für die positiven Verdienste um das Image der Kreisstadt verliehen wurde. Ich hoffe, es gelingt mir weiterhin, mit meinen Zeichnungen zum Wohle unserer Stadt beizutragen. Momentan spüre ich viel negative Unruhe in der Welt, die auch mir zu schaffen macht. Wenn man Zeichner ist, der einen von Humor geprägten Job hat, dann ist es nicht leicht trotz täglicher Krisenmeldungen, Attentate, Katastrophen und Kriegsdrohungen den Humor beim Zeichnen aufrecht zu halten. Seit einiger Zeit schalte ich darum oft ab und lese nur noch die mir angenehmen Themen, auch wenn ich aufgrund dessen nicht immer auf dem neuesten Stand der Dinge bin. Ich wünsche mir und meinen Mitmenschen mehr Positiv-Nachrichten, denn ohne Zweifel gibt es die. Zumindest will ich für meinen Teil, weiterhin positiv arbeiten und lieber das Lachen bringen, als das Grauen zeichnen. Uschi Heusel DIEtZEITUNG Kunst und Musik 2. Ausgabe/2015 Fiktion als Ventil – Schreiben als Therapie (Buchvorstellung) Jungautorin Rebecca Rezvani Foto: Brenda Lien »Als junger Mensch sind wir ziellos, unser Lebensweg gleicht einem endlosen Labyrinth. Blind gehen wir vorwärts – nicht, weil uns unsere eigene vorläufige Sinnlosigkeit bewusst ist und wir, geleitet von Ehrgeiz und gutem Willen, daran etwas ändern wollen, sondern aus Prinzip, aus purer Lust am Wandern durch den dichten Nebel des Lebens – immer weiter, sozusagen grundlos auf der Suche nach dem Grund. Wir gedeihen und ergötzen uns daran, können es kaum erwarten, endlich formvollendet zu sein. […] Doch wenn es soweit ist, der so lang ersehnte Sommer unseres Lebens uns mit all seinen verheißungsvollen bunten Farben und seinen reifen Früchten einholt, bedauern wir es. Sehnen uns zurück nach der einst so verhassten Zeit der Blüte, […] der gesunden Ziellosigkeit. Denn die Reife, die Formvollendung und dieser Erfolg nach langen Mühen gehen nicht nur mit verlockenden Freiheiten und Unabhängigkeit einher, nein, sondern auch mit Pflichten, mit Entscheidungen. Ja, ob sie uns nun schmeckt oder nicht, das ist die Frucht, die wir ernten. […] In dieser Zeit lichtet sich der Nebel, unser persönliches Labyrinth verschwindet, weicht einem klaren Pfad, der [...] schnurgerade ins Ungewisse führt. In meinem Falle ist der Weg, sei er nur Resultat einer folgenschweren Kausalitätskette oder auch unausweichliche Bestimmung, keineswegs ein steiniger – er ist klar und schlicht, im Grunde einfach zu bestreiten. Allerdings ist es meine Bürde, die mich beinahe zu Fall bringt, meine Verantwortung, ein unaussprechlich schweres Bündel auf meinen Schultern. Ich sehne mir ein Zeitalter der Aufklärung und der Offenbarung herbei, ich kämpfe dafür. Und eines kann ich Dich lehren: Willst Du die süßen Früchte des Erfolgs ernten, so zahle deinen bitteren Preis.« … Nein. So hatte ich den Anfang meiner Geschichte nicht geplant. Er klingt anders als ich es mir vorgestellt hatte. Aber es fühlt sich richtig an. Ich bemerke, dass ich die Zeit vergessen habe. Der Samstag ist nun einige Stunden alt. Ich sitze noch immer an meinem Laptop. Musik dringt aus den Lautsprechern. Ich bin müde, doch mein Gehirn arbeitet unentwegt weiter. Ich schreibe. Hm. Schreiben. Das Ausdenken von Geschichten. Fiktion. Fantasie. Irgendwie seltsam, seine Freizeit so zu verbringen, sich so weltfremd zu verhalten, sogar nicht zu schlafen, nur, um von Universen zu berichten, die es nicht gibt und nie geben wird. Doch ist es wirklich so eigenartig? Immerhin erreicht Fiktion uns alle, wir versenken uns gerne in Geschichten. Und nicht selten lernen wir sogar von ihnen. Ich musste feststellen, dass sie in erster Linie eines sind: Therapie. Schon früh fiel mir auf, dass sich echte Probleme plötzlich besser bewältigen ließen, wenn ich mich dem Schreiben hingab, denn meine Ideen wurden zu meinem Ventil. Jene ersten 285 Wörter, mit denen ich diesen Artikel, aber auch einst mein aktuelles Projekt begann, sind inzwischen zu einem noch nicht beendeten Buch von etwa 300 Seiten herangewachsen. Es ist ein kompliziertes Werk, das mich oft überfordert. Doch keine Tätigkeit hat mir je mehr Freude bereitet. Also werde ich meinen verrückten Impressionen auch weiterhin gerne gestatten, mich nächtelang vom Schlafen abzuhalten. Rebecca Rezvani 11 MIGRANT DIEtZEITUNG VS. Neues aus der Nachbarschaft 2. Ausgabe/2015 IN DIESER NEUEN KOLUMNE WERDEN LISA SUNDT UND ZAFER CIN IN FIKTIVEN GESPRÄCHEN AKTUELLE THEMEN UND PROBLEME IN DIETZENBACH BEHANDELN. DEN ANFANG MACHT DER FASCHINGSUMZUG, DER SEIT EINIGEN JAHREN GEMESSEN AN DER TEILNEHMERZAHL UND DEN SCHAULISTIGEN WENIG ERFOLG VORWEIST. Foto: Brenda Lien 1 2 3 4 5 12 DIEtZEITUNG BIODEUTSCHE Neues aus der Nachbarschaft 2. Ausgabe/2015 6 7 KOMMENTAR 8 9 Wie jedes Jahr versammelten sich auch am 14.02.2015 zahlreiche Narren auf den Bürgersteigen Dietzenbachs, um dem Fastnachtsumzug zuzujubeln. Auch diverse Dietzenbacher Gaststätten und Lokale beteiligten sich an diesem Tag. In der Hausnummer 21 auf der Frankfurter Straße gab es neben närrischer Musik auch Glühwein, Punsch und Gegrilltes. Auch „Die Suppe und das Grün“ hatten einige kulinarische Leckerbissen aufgetischt, um die hungrigen Narralesen zu verpflegen. Der Fastnachtsumzug in Dietzenbach ließ nicht nur Kinderherzen höher schlagen, auch zahlreiche Erwachsene verkleideten sich. Cowboys, Indianer, Bienen und auch Piraten feierten zusammen auf den Straßen. Der Umzug startete pünktlich um 15:11 Uhr in der Frankfurter Straße und führte entlang der Babenhäuser Straße bis zum Harmonieplatz. Die Sonne strahlte an diesem Fastnachtssamstag mit den Bonbons sammelnden Kindern um die Wette. In all den Jahren fällt allerdings eines auf: Die Menschen auf den Gassen werden nicht weniger und die Stimmung ist grandios, allerdings fehlt es an der Beteiligung am Umzug selbst. Es wirkt, als würden es von Jahr zu Jahr weniger Zugnummern werden und das bei gleichbleibender Begeisterung der Dietzenbacher. Für die kommenden Umzüge wären weitere Zugnummern wünschenswert, um die FastnachtTraditionen zu pflegen. Denn eines steht fest: Die Dietzenbacher lieben ihre fünfte Jahreszeit. Sabrina Scholz 13 DIEtZEITUNG Sport und Bewegung Dietzenbach’ın Özil’i Dietzenbachs Özil Türkçe: Almanya’da yaşayıp futbolun biraz içinde olan Türkler, Türkiye’ye modern futbolun Jupp Derwall ile geldiğini bilirler. Almanya Milli Takımı antrenörlüğü görevini bıraktıktan sonra İstanbul’a giden ve Galatasaray’ın başında Türkiye’de modern futbolun temellerini atan Derwall’in ardından KarlHeinz Feldkamp da yarı kalan işleri bir adım öteye götürdü. Galatasaray’ın 2000 senesinde UEFA Kupası’nı kazanmasının nedenlerinden en önemlisinin önce Derwall ve ardından Feldkamp ile başlayan modern futbol olduğu bilinir. Futbolun Almanya’daki göçmen ailelerinin çocukları için de güce ve paraya ulaşma yolu olduğu 1990’ların başlarında anlaşılmaya başlandı. 1990 öncesi dönemde Erhan Önal ve İlyas Tüfekçi gibi isimler de futbol alt yapısını Almanya’da alan ve daha sonra Türkiye’de başarılı olan isimlerdi. Ancak şuan Hannover 96 antrenörlüğünü yapan Tayfun Korkut ve Eintracht Frankfurt‘tan Erol Bulut’un gidişi sonrası yeni bir dönem başladı. Bugün gayri resmi rakamlara göre Türkiye Süper Ligi takımlarında Almanya doğumlu futbolcuların oranı yüzde 30’ları geçti. Bundesliga’da da Hamit ve Halil Altıntop yanında Nuri Şahin ve Mesut Özil gibi göçmen futbolcuların büyük başarılara imza atması Almanya doğumlu Türk gençlerinin futbola ilgisini artırdı. Bundan 15 sene önce Dietzenbach’ta doğan Ramazan Delifer, halen formasını giydiği TSV Heusenstamm takımının en önemli isimleri arasında gösteriliyor. Takımın orta sahasında görev yapan ve arkadaşlarını yönlendiren Ramazan’ın hedefi ikinci bir Mesut Özil olabilmek. Babası Şaban Delifer, „Annesi ve ben şimdiye kadar hiç bir maçını kaçırmıyoruz. Oğlumuzda büyük bir yetenek 2. Ausgabe/2015 olduğunu Alman antrenörler de söylüyor“ dedi. Ramazan’a büyük destek veren dayısı Nuri Delifer ise, „Kendi yaş grubunda Offenbach Ligleri’nin en iyilerinden olduğunu herkes biliyor. Büyük aksilikler olmazsa Ramazan çok büyük başarılara imza atacak” dedi. Seyfi Alp ist seit 25 Jahren Journalist und war u.a. für die türkischen Tageszeitungen Sabah und Zaman tätig. Mit seiner Erfahrung unterstützt er unsere Zeitung ehrenamtlich. Deutsch: Jeder Türke, der in Deutschland lebt und sich mit dem Fußball beschäftigt, weiß, dass Jupp Derwall den modernen Fußball in die Türkei brachte und dafür ein wichtiges Fundament legte, indem er nach seiner Station als Trainer der Deutschen Nationalmannschaft den Istanbuler Klub Galatasaray trainierte. Karl-Heinz Feldkamp führte dies weiter, weshalb man zurecht behaupten kann, dass der größte Erfolg Galatasarays, nämlich der Gewinn des UEFA-Cups im Jahre 2000, der Arbeit dieser beiden Persönlichkeiten geschuldet ist. Anfang der Neunzigerjahre erkannten die Eltern von Einwandererkindern den finanziellen und sozialen Stellenwert des Fußballs. Erhan Önal und Ilyas Tüfekci gehören zu einer früheren Generation, die eine deutsche Fußballausbildung genossen hat und anschließend in der Türkei erfolg reich war. Mit dem amtierenden Trainer von Hannover 96, Tayfun Korkut, und dem ehemaligen Spieler der Eintracht Frankfurt, Erol Bulut, die beide in Deutschland geboren und in der Türkei erfolgreich Fußball spielten, wurde eine neue Zeit eingeläutet. Einer inoffiziellen Statistik zufolge sind aktuell über 30% der Spieler in der türkischen Süper Lig in Deutschland geboren. Deutschtürkische Fußballspieler wie die Altintop-Brüder, Nuri Sahin oder aber Mesut Özil sind die aktuellen Vorbilder der jugendlichen Deutschen mit türkischem Migrationshintergrund. Der 15-Jägrige Ramazan Delifer ist einer von ihnen. Er ist Dietzenbacher und Leistungsträger beim TSV Heusenstamm. Ramazan, der als Spielmacher und Führungsspieler seine Mitspieler in Szene setzt, will ein zweiter Özil werden. „Meine Frau und ich haben bis heute kein einziges Spiel unseres Sohnes verpasst. Wir haben bereits von vielen Trainern gehört, dass er ein außergewöhnliches Talent besitzt“, erzählt der stolze Vater Saban Delifer. Ramazans Onkel Nuri, ergänzt: „Im Kreis Offenbach weiß jeder, dass er zu den Besten seiner Altersgruppe zählt. Wenn nichts dazwischen kommt, wird Ramazan noch sehr erfolgreich werden.“ Ins Deutsche übersetzt von Zafer Cin TSV Heusenstamm takımında oyun kurucu olarak görev yapan ramazan Delifer kendi yaş grubundaki en yetenekli futbolcular arasında gösteriliyor. Ramazan Delifer zählt als Spielmacher des TSV Heusenstamm zu den talentiertesten Spieler seiner Altersklasse. 14 DIEtZEITUNG Sport und Bewegung 2. Ausgabe/2015 Mit dem Rad nach Istanbul Radfahren bei Wind und Wetter. Ihr habt richtig gelesen - Wir haben vor mit dem Fahrrad von Dietzenbach nach Istanbul zu fahren. Wieso? Weil wir es können. Ich war ein leidenschaftlicher Jogger bis zu einer Verletzung, die das Joggen leider nicht mehr ermöglichte. Ein Freund hatte im vergangenen Sommer die Idee, eine kleine Radtour zu machen. Ich war anfangs sehr skeptisch, ob ich das mit meiner Verletzung überhaupt durchstehe. Doch nach ein paar Kilometern auf dem Rad merkte ich, dass ich schmerzfrei fahren konnte. Wir radelten im Umkreis von Dietzenbach und merkten, welch schöne Ecken und Sehenswürdigkeiten die Kleinstädte um Frankfurt herum haben. Viele Städte wie Seligenstadt besitzen eine lange Geschichte, so sind dementsprechend viele historische Gebäude vorzufinden. Das Rhein-Main-Gebiet bietet so viel Kultur und so viele Sehenswürdigkeiten, die wir leider im Alltag nicht wahrnehmen. Erst wenn man sich fest vornimmt, diese kulturellen Schätze zu entdecken, sieht man die Schönheit und Vielfalt unserer Region. Als unser Freundeskreis von unseren Ausflügen erfuhr, wuchs unsere Radfahrergruppe schnell an, sodass wir nun aus rund zehn begeisterten Fahrradfahrern bestehen, die die Region erkunden und für sich neu entdecken. Wir sind als Gruppe Sport - Natur / Landschaft - und vor allem soziale wohl der beste Beweis, dass die Integration funkti- Kontakte sind die Vorteile einer Fahrradtour. oniert und leben diese auch in der Praxis vor. Wir bestehen nicht nur aus einer bunt gemischten Truppe mit verschiedenen Migrationshintergründen, sondern beschäftigen uns auf den Touren mit der Kultur und der Geschichte und lernen dabei viel über unsere Region. Im kommenden Sommer werden wir unsere Touren fortsetzen und uns auf unser großes Ziel vorbereiten. Für den Sommer 2016 ist unsere IstanbulTour geplant, die wir in zwölf Tagen bewältigen möchten. Zurzeit erstellen wir Trainings- und Ernährungspläne, wählen Routen und sind auch auf der Suche nach Sponsoren, die uns bei diesem Vorhaben logistisch und finanziell unter die Arme greifen wollen. Auch trainierte Radfahrer, die bei unserer Istanbul-Tour mitmachen möchten, sind herzlich eingeladen und können uns kontaktieren. Die gute alte Karte - wenigstens muss man sich Özer Arslan hier nicht auf ein Navi verlassen. Vereinsleben 2.0 Es ist ein Kürzel, das die meisten Deutschen kennen: e.V. Denn zumindest in einem Verein sind die meisten. Aber im deutschen Vereinsleben scheint der Wurm zu stecken. Es sind zwei Entwicklungen zu beobachten - die Überalterung der aktiven Mitgliederschaft und der einsetzende Mangel an Ehrenamtlichen. Dass Vereine zunehmend aus alten Leuten bestehen, ist demnach ein verbreitetes Phänomen über alle Bereiche des Vereinslebens hinweg. In vielen Vereinen ist die jüngere Generation (-30 Jahre) unterrepräsentiert. Wenn die Jugend einmal fehlt, dann ist es auch schwer, sie wiederzubekommen. Bei Jugendlichen spielt die Ganztagsschule eine Rolle dabei, dass weniger Zeit für Vereinsengagement vorhanden ist; bei Studenten sind es die gedrängteren Lehrpläne der BachelorStudiengänge. Und bei jungen Berufstätigen spricht bisweilen die größere Flexibilität und Mobilität in Zeiten befristeter Arbeitsverträge gegen ein dauerhaftes Vereinsengagement. Von immer mehr Vereinen oder anderen öffentlichen Institutionen wird der gesellschaftliche Wandel beobachtet. Wie schafft man die Jugendlichen weg von der Onlinewelt? Das reale Leben nehmen sie kaum noch wahr, sie sind online unterwegs. Früher ging man auf die Straße zum Spielen, heute nennen sie Sport treiben „FIFA zocken“ und am Handy spielen. Die Gemeinschaft sollte an höchster Stelle stehen, das reale Leben nicht untergehen. Viele junge Leute wollen sich an keinen Verein binden. Doch selbst dafür haben sich Vereine Gedanken gemacht. Durch Punktekarten kann man zu den Sportangeboten gehen, um aus dem Alltagstrott herauszukommen, ohne sich binden zu müssen. Ist dann der Ehrgeiz geweckt und der innere „Schweinehund“ bekämpft, kann man sich jederzeit dem Verein anschließen. Wie können wir junge Leute gewinnen? Mit dieser Frage beschäftigen sich heutzutage Vereine. Was interessiert junge Leute, was lässt sie vom Sofa aufstehen? Neue und ausgefallene Angebote sind da schon einmal ein guter Anfang. Junge Leute sollen sich ausprobieren, ihren Körper neu herausfordern, so evtl. neue Hobbys entdecken und vielleicht auch Freunde dazu anregen können dem Verein beizutreten. Brücken schlagen, in vielfältiger Weise, das sollte sich Dietzenbach auf die Fahnen schreiben. Sind es doch oftmals die vielen kleinen persönlichen Begegnungen und Momente, die gemeinsamen Aktivitäten und Hilfeleistungen, die das gegenseitige Verständnis und den harmonischen Umgang miteinander fördern, die „Brücken schlagen“ zwischen Menschen verschiedener Altersgruppen und unterschiedlicher sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft. Das sind die wesentlichen Elemente, die ein friedliches und konfliktfreies Zusammenleben in unserer Gesellschaft, welche verschiedene Interessen und Lebensstile hat, ausmachen. Julia Löhr 15 DIEtZEITUNG Sport und Bewegung 2. Ausgabe/2015 DIEtZEITUNG Sport und Bewegung 2. Ausgabe/2015 Mehr als nur ein Boxtraining In der Max-Planck-Straße 9 treffe ich mich mehrmals wöchentlich mit den Jungs, die schon so etwas wie eine zweite Familie für mich sind, beim „Boxprojekt Dietzenbach“ zum Lernen, Quatschen und Trainieren. Alles läuft wie bei einem Ritual ab: Als erstes muss man hier jeden per Handschlag begrüßen. Montags und donnerstags um 16 Uhr beginnt die Hausaufgabenbetreuung, in der wir von erfahrenen Hausaufgabenbetreuern/innen beim Lernen und bei den Hausaufgaben unterstützt werden. Nach den Hausaufgaben kann man Tischtennis spielen oder gemütlich mit den Jungs einen Tee trinken und über den Tag sprechen. Um 18 Uhr fängt dann auch das Boxtraining an, das um 20 Uhr endet. Mittwochs haben wir dann von 15 bis 16 Uhr Krafttraining mit einem anschließenden Lauf- 16 training, bei dem meistens sogar ein Beamter der Dietzenbacher Polizei mitläuft. Das Freitagstraining kann man sich durch persönliche Fortschritte sowohl im sportlichen als auch im sozialen Bereich dazu verdienen. Da wird unter anderem Sparring (Trainingswettkämpfe) gemacht, was in den anderen Trainingseinheiten nicht der Fall ist. Hat man sich so sehr gesteigert, dass man einen offiziellen Wettkampf bestreiten will, kann man sich auch dienstags ein persönliches Training alleine mit dem Trainer erarbeiten und für die SG Dietzenbach in ganz Deutschland in den Ring steigen. Ganz wichtig ist, dass man nicht zu spät kommt. Falls es doch mal vorkommt, muss man zumindest den Trainern Bescheid sagen. Macht man das nicht, muss man für jede zu spät gekommene Minute fünf Liege- stütze machen. Während des Trainings ist es sehr wichtig, sich zu benehmen und nicht zu stören. Aber nicht nur im Boxprojekt zählt das Benehmen, sondern auch in der Schule und in der Freizeit. Unsere Trainer/in wollen von allen Jugendlichen die Zeugnisse sehen und setzen sich auch mit den Lehrern in Verbindung. Nach dem Training werden immer Freiwillige gesucht, die die Halle putzen und Küchendienst machen. Außerdem werden dann noch wichtige Dinge mit allen Teilnehmern besprochen. Selbst nach dem Duschen sitzen wir zusammen und quatschen noch lange nach dem Training und trinken dabei Tee. Natürlich helfen uns unsere Trainer auch bei der Ausbildungsplatzsuche und führen viele verschiedene Freizeitaktivitäten mit uns durch. Oft haben wir auch einen Austausch mit anderen Boxvereinen, indem wir uns gegenseitig besuchen und gemeinsam trainieren. Nach dem gemeinsamen Mittagessen und einer Erholungspause trainieren wir dann weiter. Das „Boxprojekt Dietzenbach“ holt viele Jugendliche von der Straße und diese wissen dann etwas Besseres mit ihrer Zeit anzufangen. Younes Moullig Barah Zabar (rot), ein Teilnehmer des Boxprojekts in Action landet einen Volltreffer.
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