INHALT Vorwort 9 Teil 1 AU F SÄTZ E 11 Christofer Herrmann Der rote Backstein – Farbe herrschaftlicher Präsentation oder monastischer Bescheidenheit? 12 Barbara Perlich Die Ausbreitung der mittelalterlichen Backsteinarchitektur im Ostseeraum. Beobachtungen zur Bautechnik 32 Tilo Schöfbeck Die Stiftskirche St. Nikolai zu Beuster. Baugeschichtliche Untersuchung zu einer der ältesten Backsteinkirchen in Deutschland 42 Alexander Konieczny Die Baugeschichte der Jakobskirche in Thorn im 14. Jahrhundert im Lichte neuer Bauuntersuchungen 54 Burkhard Kunkel Werkgeschichte und Rekonstruktion. Über den Umgang mit den bildkünstlerischen Altarausstattungen der Stralsunder Kirchen zur Zeit der lutherischen Reformation 80 Matthias Müller Caspar David Friedrichs architektonische Visionen. Die Antizipation neugotischer Backsteinkirchen in der romantischen Landschaftsmalerei 98 Agnese Bergholde „Das Problem des Kampfes zwischen Basilika und Halle“ am Beispiel des Doms zu Riga 114 Heidrun König Eine ferne Erinnerung an die Herrlichkeit Gottes. Backsteinkirchen als Kulturzentren und Ausstellungsbauten nach 1945 – eine Skizze 122 Literaturverzeichnis 136 Teil 2 AU SST E L LU N G STA F E L N 147 Abbildungsnachweis zu den Ausstellungstafeln 222 VORWORT Die Kulturlandschaften der Länder rund um die Ostsee sind durch eine aus dem künstlich hergestellten Backstein errichtete Architektur geprägt. Nirgendwo sonst erscheint der rot bis gelb gebrannte Kunststein so allgegenwärtig zu sein wie hier. Die Anfänge des Bauens mit dem Backstein reichen im Norden Europas bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts zurück, als an zahlreichen Orten fast gleichzeitig technisch und konzeptionell anspruchsvolle Dome, Klöster und Stiftskirchen errichtet wurden. Rasch breitete sich die innovative Bauweise in allen Ländern rund um die Ostsee aus und der Backstein war bald das bevorzugte Material für alle Baugattungen von der Kathedrale bis zum Bürgerhaus. Die Bauten der ‚Backsteinromanik‘ und ‚Backsteingotik‘ locken jährlich Millionen von Touristen in die Städte an der Ostsee, insbesondere dort, wo die Ensembles der Denkmäler aus dem roten Stein zum Weltkulturerbe erklärt wurden (Lübeck, Wismar, Stralsund, Thorn, Marienburg). Schon seit dem 19. Jahrhundert beschäftigen sich Kunstgeschichte und Archäologie mit dem Phänomen der Backsteinarchitektur. Grundlegende Aspekte der Technologie, Kulturgeschichte oder des Bedeutungsgehalts wurden dabei untersucht und diskutiert. Einige der wichtigsten Fragen scheinen geklärt, etwa dass wesentliche Anregungen für den Backsteinbau Nordeuropas aus Oberitalien kamen. Vieles bedarf aber noch gründlicher Studien. Neue Forschungsperspektiven und moderne Untersuchungsmethoden haben im neuen Jahrtausend die Erkenntnismöglichkeiten der Wissenschaft erheblich erweitert. Die Ausstellung möchte einen Einblick geben in die aktuellen Forschungsergebnisse aus den Bereichen der Archäologie und Architekturgeschichte. Der Besucher erhält vielfältige Informationen über neue Erkenntnisse zum mittelalterlichen Backsteinbau in der gesamten Breite – sowohl geographisch als auch von den Baugattungen und den Forschungsansätzen her gesehen. Präsentiert werden Dome, Klosteranlagen, Stadt- und Dorfkirchen, aber auch Burgen und Bürgerhäuser von Dänemark über Deutschland und Polen bis nach Lettland. Dabei wird auch auf Gebiete südlich des Ostseeraums, etwa Großpolen und Schlesien, Bezug genommen. Ergänzend zu den Inhalten der Ausstellungstafeln finden sich in diesem Band acht Aufsätze, die spezielle Aspekte der Backsteinarchitektur und ihrer Rezeption vertiefend behandeln. Die Herausgeber möchten mit diesem Katalog zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem faszinierenden Backsteinthema anregen. Christofer Herrmann Matthias Müller Ernst Gierlich VORWORT | 9 Teil 1 AUFSÄTZE DER ROTE BACKSTEIN Farbe herrschaftlicher Präsentation oder monastischer Bescheidenheit? Christofer Herrmann Die Frage, warum es nördlich der Alpen bald nach der Mitte des 12. Jahrhunderts an vielen Orten fast gleichzeitig zur Verwendung des Backsteins als Baumaterial kam, ist nachwievor noch nicht befriedigend beantwortet. Eine der häufig vertretenen Theorien geht davon aus, dass der Einführung des Backsteins Motive der Herrschaftsrepräsentation zugrunde lagen. Der künstliche Baustoff sei zunächst kein Ersatzmaterial für natursteinarme Regionen – wie Vertreter eines funktional-ökonomischen Erklärungsmodells argumentieren – sondern ein exklusives, nur den allerhöchsten Kreisen von Königen und Hochadel vorbehaltenes Material gewesen. Erst in einer späteren Phase hätte der Backstein seine Exklusivität verloren und dann auch für niedriger stehende Bauherrengruppen und für einfache Bauaufgaben verwendet werden können. Die Gründe für die Exklusivität des Materials werden vor allem in der roten Farbe gesehen, die als ‚Herrschaftsfarbe‘ par excellence anzusehen sei. Der Backstein hätte daher den Charakter eines ‚imperialen‘ Baustoffes besessen, der durch den Kaiser protegiert worden sei. Der Einsatz des Backsteins würde in dieser Zeit häufig auch eine politisch-ideologische ‚Kaisernähe‘ der dieses Material verwendenden Bauherren anzeigen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Italienzüge Friedrich Barbarossas, bei denen die den Kaiser begleitenden deutschen Fürsten, Adligen und Ritter mit der in Oberitalien verbreiteten Backsteinbauweise, die man als imperial verstanden hätte, in Kontakt gekommen seien. Von Italien zurückgekehrt habe man in den eigenen Landen Backsteinbauten für exklusive-repräsentative Zwecke errichten lassen, zum Teil auch durch mitgebrachte italienische Bauleute. Erst in einer späteren Zeit hätte das Backsteinmaterial im Sinne eines ‚gesunkenen Kulturgutes‘ für weniger repräsentative Bauaufgaben zur Verfügung gestanden. Die oben skizzierte Argumentationsweise lässt sich (mit unterschiedlicher Ausprägung und Gewichtung) seit den 1950er Jahren beständig in der kunsthistorischen Fachliteratur finden, wobei sich die Autoren der späteren Publikationen häufig auf die ältere Literatur rückbeziehen und dabei ein sich ständig selbst bestätigendes Denkmuster erzeu- 12 | CHRISTOFER HE RRMAN N gen. Dezidiert formuliert wird der Gedanke des roten Backsteinmaterials als Ausdruck imperialen Repräsentationswillens schon in dem 1958 publizierten Beitrag von Hans Joachim Krause über den Backsteinbau der Stiftskirche der Augustinerchorherren in Altenburg1. (Abb. 1) Ein ähnliches Interpretationsschema entwickelte Heinrich Magirius bald danach in seiner Monographie zum Zisterzienserkloster in Altzella2 und weiteren Publikationen3. Dietrich Ellger übernahm in einem Beitrag zur Farbgebung des Ratzeburger Doms die Argumentation Krauses zu Altenburg, warnte aber gleichzeitig vor zu weitgehender Spekulation über politische Beweggründe der Farbwahl4. Ernst Badstübner hat den Gedanken seit den 1980er Jahren vertieft und weitergetragen, wobei die Architektur der Zisterzienser sowie der Mark Brandenburg im Zentrum seines Interesses standen5. Übernommen wurde diese Sichtweise in jüngerer Zeit unter anderem von Dirk Schumann6, Tobias Kunz in Hinblick auf die Backsteinarchitektur Seelands7, von Friederike Warnatsch-Gleich in Studien zu Klosterkirchen (insbesondere der Zisterzienserinnen) in Obersachsen und Schlesien8, von Paul Nawrocki in einer Arbeit über den frühen dänischen Backsteinbau9, in der Publikation Claudia Trummers zur Backsteinarchitektur Sachsens und Südbrandenburgs10 sowie Beiträgen von Peter Sachenbacher11 und Lutz Scherf12 über das östliche Thüringen, insbesondere das Obere Schloss in Greiz. Jens Christian Holst hat den Gedanken des Backsteins als herrschaftlichen Bedeutungsträger ebenfalls positiv gewertet13. Auch in einem aktuellen Bericht zu Forschungsaktivitäten bei der Altenburger Stiftskirche – und damit kehren wir wieder zum geographischen Ausgangspunkt der Theorie zurück – wird die Interpretationslinie beibehalten14. Die kurze Übersicht zur Literaturlage – die man noch um weitere Titel ergänzen könnte – zeigt, dass sich die Interpretation des roten Backsteins als exklusives und bedeutungstragendes herrschaftliches Material großer Beliebtheit erfreut und weitgehend etabliert ist. In der jüngeren Literatur werden jedoch (mit Ausnahme von Holst und Trummer) kaum noch Anstrengungen unternommen, die eigent- Abb. 1: Altenburg, Stiftskirche der Augustiner-Chorherren auf dem Berge, Ansicht von Nordwesten (Foto 2013). liche These zu belegen, vielmehr wird sie als feststehende Wahrheit behandelt, der man lediglich neue Beispiele hinzufügt. Dadurch scheint, zumindest indirekt, diese ikonologische Auslegung noch glaubwürdiger zu werden, denn die Vermehrung der Beispiele könnte man als empirische Bestätigung der These werten. Ansonsten wird offenbar keine Notwendigkeit mehr gesehen, die Grundaussage auf ih- ren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, man begnügt sich mit dem Verweis auf die Aussagen älterer Autoritäten des Faches sowie auf die offenbar selbstverständliche innere Logik der Argumentation. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die These vom bedeutungstragenden Backsteinrot plausibel und durch wissenschaftlich stichhaltige Beweise gut belegt ist, weshalb DER ROTE BACKSTEIN – FARBE HERRSCHAFTLICHER PRÄSENTATION ODER MONASTISCHER BESCHEIDENHEIT? | 13 ein neuerliches Hinterfragen dieser Auffassung unnötig wäre. Dennoch hat dieser Beitrag sich zur Aufgabe gestellt, die Grundthese vom bedeutungstragenden, ‚imperialen‘ Backsteinrot auf ihre argumentative Substanz hin zu prüfen und dabei die wissenschaftlich relevanten Ausgangsfragen zu stellen. Hierzu gehören insbesondere folgende Aspekte: – Gibt es zeitgenössische Schriftquellen, die Aussagen zum möglichen Bedeutungsgehalt des Backsteins und seiner Farbe machen? – Welche Hinweise und Beispiele existieren, die eine eindeutige Verwendung des Backsteins im königlich-imperialen Zusammenhang aufzeigen? – Was ist unter herrschaftlichen Bauten zu verstehen? Woher wissen wir, wer Bauherr für welche Bauaufgaben war? Insbesondere interessier hier die Frage, wer der Bauherr eines Klosters im 12./13. Jahrhundert gewesen ist. – Gibt es Gegenbeispiele für die Exklusivitätsthese, d.h. eindeutige Belege für die frühe Verwendung des Backsteins außerhalb der königlichen oder hochadligen Sphäre? Erst nach einer kritischen Erörterung dieser grundlegenden Fragen kann die Stichhaltigkeit der anfangs skizzierten Ausgangsthese zum bedeutungstragenden Aspekt der Backsteinverwendung angemessen beurteilt werden. SCHRIFTQUELLEN MIT AUSSAGEN ZUM BEDEUTUNGSGEHALT DES BACKSTEINS Historiker benötigen Schriftquellen, um Aussagen über die Vergangenheit treffen zu können. Existieren zur Frage des Bedeutungsgehalts der frühen Backsteinarchitektur und der herrschaftlichen Symbolik der (purpur-)roten Farbe derartige Quellen? In der Forschungsliteratur gibt es einige wenige Hinweise hierzu, die nachfolgend vorgestellt und diskutiert werden sollen. Eine bemerkenswerte Erwähnung der Backsteinverwendung findet sich in der Grabbeischrift für den dänischen König Waldemar I. (1157–1182). Im Sarkophag wurde oberhalb des Kopfes eine kleine Bleitafel beigelegt, in der einige besondere Taten des Herrschers verzeichnet sind. Hierzu gehört, dass er Abb. 3: Trier, Konstantinsbasilika, Ansicht von Süden (Foto 2005). Abb. 2: Grabinschrift für den dänischen König Waldemar I. (… 1182). Die im Sarkophag über dem Kopf angebrachte Bleitafel erwähnt den aus Backstein errichteten Teil des ‚Danewerks‘ als eine besondere Tat des Königs. 14 | CHRISTOFER HE RRMAN N das sog. Danewerk „ex lateribus coctis“ habe bauen lassen (Abb. 2)15. Damit ist ein 3,7km langer Abschnitt des Grenzwalls an der Südgrenze Dänemarks gegen Sachsen gemeint, der von Waldemar in Backstein befestigt wurde („Waldemarsmauer“). Die neue massive Bauweise betrachtete man – im Vergleich zu den übrigen älteren Abschnitten des Danewerks, die als Holz-Erde-Anlagen ausgeführt worden waren – als eine der bemerkenswerten Leistungen, die den Ruhm des Königs über seinen Tod hinaus mitbegründen sollten. Dass der Backstein und seine Farbe als exklusives königliches Material angesehen wurden, lässt sich aus dem Text der Grabbeischrift jedoch nicht herauslesen, da zur Farbigkeit keine Aussage erfolgt. Hätte Waldemar den langen Mauerabschnitt aus importiertem Tuff oder Kalkstein errichten lassen, wäre diese Leistung vermutlich genauso gelobt worden. Ähnlich verhält es sich mit der Aussage in einer Urkunde Jaromars von Rügen, der 1193 berichtete, er habe die einem Nonnenkonvent geschenkte Hofkirche zu Bergen „in predio proprio opere latericio“ errichten lassen16. Ausführungen zum Farb- oder Symbolgehalt des Backsteins finden sich in der Quelle nicht. Holst erwähnt eine Stelle aus der Visio Godeschalci (1189), in der der Bauer Gottschalk eine große Basilika mit glatten, un- durchdringlichen Mauern sah, die in wunderbarem Rot leuchteten („fulgore nimio rutilans“)17. Für eine Identifizierung des leuchtend roten Materials mit dem Backstein, wie sie Holst vermutet, gibt es keine konkreten Hinweise im Text. Man könnte genauso gut an Edelsteine (wie bei der Beschreibung des himmlischen Jerusalem in der Johannesvision) denken. Eine bedeutungstragende Verknüpfung des Rot mit Herrschaftssymbolik lässt sich dem Text ebenfalls nicht entnehmen. Hingewiesen wird in der Forschungsliteratur18 auch auf eine Stelle in den Gesta Friderici Imperatoris mit einer Beschreibung der Pfalz in Kaiserlautern, die Kaiser Friedrich I. 1160 „ex rubris lapidibus“19 errichtet habe. Dabei handelte es sich jedoch nicht um Backstein, sondern um den regional anstehenden roten Buntsandstein, der auch für zahlreiche andere Bauten der Region verwendet wurde. Der Einsatz des Materials war also keineswegs ein Privileg des Kaisers und die Chronik macht auch keine Aussage zu einem eventuellen Symbolgehalt der Farbe. Der Verweis auf diese Quelle im Zusammenhang mit der Diskussion um den vermeintlichen Bedeutungsgehalt des roten Backsteins erfolgt offenbar nur deshalb, weil ansonsten keine Bemerkungen in der mittelalterlichen DER ROTE BACKSTEIN – FARBE HERRSCHAFTLICHER PRÄSENTATION ODER MONASTISCHER BESCHEIDENHEIT? | 15 Schriftüberlieferung bekannt sind, die die Wirkung des Backsteinrots beschreiben. Bisher konnte keine einzige mittelalterliche Quelle nachgewiesen werden, in der man Aussagen zu einem möglichen Bedeutungsgehalt des Backsteins an sich oder seines Farbcharakters finden kann. Natürlich lässt sich aus der Tatsache, dass keine Schriftquellen bekannt sind, die die Herrschaftssymbolik der roten Farbe oder des Backsteinmaterials belegen, nicht schließen, eine solche Symbolik habe es nicht gegeben. Vielleicht sind alle diesbezüglichen Quellen verloren gegangen oder man hatte es nicht für wert befunden, darüber zu schreiben. In der Tendenz ist das Nichtvorhandensein von schriftlichen Aussagen zur Materialsymbolik aber doch eher dahin zu deuten, dass es einen solchen allgemeingültigen symbolischen Gehalt nicht gegeben hat. Dennoch könnte man in begründeten Einzelfällen eine solche Deutung vorschlagen, wenn eine eindeutige Befundlage dies nahelegt, was in den folgenden Abschnitten geprüft werden soll. Aus dem Blickwinkel der schriftlichen Überlieferung lässt sich die Ausgangthese des bedeutungstragenden Backsteinmaterials jedenfalls nicht untermauern. ROT ODER PURPUR? ZUR VERMEINTLICHEN FARBSYMBOLIK DES BACKSTEINS Als ein wesentliches Argument für die Exklusivität und den repräsentativen Bedeutungsgehalt des Backsteins bei den frühen Bauten in Deutschland wird des Öfteren die farbsymbolisch gedeutete Rottönung des Materials genannt. Krause spricht in Hinblick auf den Backsteineinsatz in Altenburg zunächst nur ganz allgemein von einem „bewußten Akt einer inhaltsbindenden Übertragung“, die einen „kaiserlichen Anspruch vertrat“ 20. Möller äußert sich dagegen in seiner Materialanalyse desselben Baus explizit zur angenommenen Farbdeutung21. Er sieht im Einsatz des Backsteins ein farbsymbolisches Anliegen, denn Purpur oder Rot habe als Hoheitsfarbe imperiale Vorstellungen vermitteln wollen. Er beruft sich dabei auf spätantike Vorbildbauten, etwa die Kirchen Ravennas oder die Konstantinsbasilika in Trier (Abb. 3), deren möglicherweise auf Sicht berechnetes rotes Mauerwerk als Beleg für den Imperialcharakter des Materials herangezogen wird. Diese Vorliebe für weiß-rot Färbungen sei dann in die karolingische Zeit übertragen worden und habe in der staufischen Epoche ihren Höhepunkt erreicht (Aachener Münster, Mainzer Dom22). Möller weist außerdem darauf hin, dass in Altenburg ortsnah roter Sandstein und Porphyr vorhanden gewesen ist und die Wahl des Backsteins daher als Hinweis auf dessen ganz spezielle farbsymbolische 16 | CHRISTOFER HE RRMAN N Qualität zu deuten sei. Magirius sah in der Verwendung des Backsteins an wichtigen Bauteilen ein „Zeichen für eine Bezugnahme auf imperiale Vorbildhaftigkeit“23. Insbesondere die rote Farbe habe, wie die moderne Forschung bestätige, „für das Mittelalter eine „Königsidealität“ demonstriert“24. Scherf spricht hinsichtlich der Materialwahl in Altenburg von einem „Symbol für den Anspruch Friedrichs I. als Römischer Kaiser, der bewusst auf antike Vorbilder zurückgreift“25. In einem aktuellen Forschungsbericht zu Altenburg sehen Ettel, Mattern und Moos eine „farbikonologische Botschaft des Werkstoffs, die eine unmittelbare Verknüpfung zum herrschaftlichen Anspruch herstellte.“26 Für Kunz war der rote Backstein gegen 1200 „Träger des allgemeinen herrschaftlichen Gedankens“, basierend auf dem „imperialen Charakter der roten Farbe“27. Auch Holst unterstützt die These vom „»Purpur« als Königsfarbe“, die bei Backsteinbauten als „Bedeutungsträger“ eingesetzt wurde28. In eine vergleichbare Richtung weisen die Interpretation Trummers, die im Backsteinrot eine „königlich-kaiserliche Bedeutung“ erkennen will29, sowie die Auffassung Nawrockis, nach der die rote Farbe des Backsteins „die Aura der römischen Kaiser vermitteln sollte, als deren Nachfolger sich Barbarossa betrachtete“30. Diesen imperialen Bedeutungsgehalt überträgt Sachenbacher auch auf Backsteinbauten von Reichsvasallen, die, wie etwa die Vögte von Weida, durch die Errichtung von Burgen aus Backstein „kaisertreue Macht und Herrschaft im Osten des Reiches repräsentieren“31. Warnatsch-Gleich spricht vom Backstein sogar als „kaiserlichen“ Stein32. Sind die Argumente für die oben angeführten Interpretationen schlüssig und wurde die Backsteinfarbe tatsächlich mit dem Herrschaft symbolisierenden Purpur identifiziert? Wie im vorhergehenden Kapitel dargelegt, kennen wir keine schriftlichen Quellen, die uns expressis verbis Hinweise zur zeitgenössischen Deutung der roten Backsteintönung geben. Zur Farbsymbolik allgemein finden sich dagegen zahlreiche Bemerkungen im mittelalterlichen Schrifttum, die insbesondere Rudolf Suntrup umfassend gesammelt und ausgewertet hat33. In Bezug auf das Purpur34 lassen sich zahlreiche Bibelstellen nachweisen, in denen rote Farbvorstellungen für die „allegorische Deutung der Purpurfarbe herangezogen“ werden35. Am häufigsten wird dabei eine Beziehung zum Blut hergestellt, das auf die Leiden und den Kreuzestod Christi verweist. Daneben besteht eine „durch alttestamentliche oder weltliche Konvention gegebene Symbolik der Purpurfabe“ als „Königspurpur“36, das sowohl mit dem Königtum Christi als auch mit einem weltlichen Königtum in Verbindung gebracht werden kann. Bei der weltlichen Deutung können allerdings auch negative Lesarten vorkommen, d.h. die Auslegungen des Purpur als Farbe der luxuria oder superbia. In der Herrschaftspraxis wurde Purpur vor allem bei der Kleidung (etwa Krönungsmäntel der Reichsinsignien) und im Urkundenwesen (Purpururkunden, Abb. 4) als „Ausdruck der Majestät und Hoheit“ von Kaiser und Papst eingesetzt37. Die verschiedenen mittelalterlichen Farbbezeichnungen für das Rot (ruber, rubeus, rubicundus, etc.) kann man ebenfalls mit einer Reihe von Sinngehalten verknüpfen38, wobei jedoch Deutungszusammenhänge mit Herrschaft oder Königtum nirgends nachzuweisen sind. Wie lässt sich nun die Backsteinfarbigkeit in diesem Zusammenhang deuten? Als schwierig erweist sich zunächst die Frage, wie man erkennen kann, ob ein Rotton im Mittelalter als Purpur interpretiert wurde. Problematisch ist auf jeden Fall eine pauschale Gleichsetzung von Rot und Purpur, denn dies würde dem exklusiven Charakter des Purpur widersprechen. Purpur im engeren Sinne sind Farbtöne zwischen rot und blau, d.h. Varianten des Violett. Im mittelalterlichen Verständnis konnte aber die farbliche Variationsbreite, die mit dem Purpurbegriff belegt wurde, in Einzelfällen von Blutrot bis Himmelblau reichen39. Ob ein Rotton im konkreten Fall als rot oder purpurn verstanden wurde, hing von der spezifischen Verwendungs- und Interpretationssituation ab. Trotz der möglichen Überschneidungen darf man in Hinsicht auf die mittelalterliche Farbsymbolik Rot und Purpur jedoch keinesfalls gleichsetzen, da diese Bezeichnungen mit deutlich voneinander unterschiedenen Inhalten verbunden waren. Während das Purpur tatsächlich mit der in unserem Zusammenhang wichtigen Herrschaftssymbolik verknüpft werden konnte, trifft dies auf das Rot allgemein keinesfalls zu. Die in der Diskussion um den vermeintlich bedeutungstragenden Materialwert des Backsteins häufig formulierte Aussage, die rote Farbe hätte Herrschaft symbolisieren sollen, ist demnach unzutreffend, denn das Rot an sich war keine Herrschaftsfarbe. Es ist nun zu erörtern, ob es für eine solche Deutung des Backsteins konkret nachweisbare oder offensichtliche Anhaltspunkte gibt. Dabei sind vor allem zwei Aspekte zu prüfen, die Bandbreite der Farbtönungen des Backsteins sowie die Art der Gebäude, bei denen er in der Frühzeit zum Einsatz kam. Zu fragen ist also einerseits, ob sich das Farbspektrum des Backsteinmaterials in den Bereichen bewegte, die als Purpur verstandenen werden konnten und andererseits, ob der frühe Backstein vorwiegend bei Bauten eingesetzt wurden, die im königlichen Umfeld entstanden waren. Abb. 4: Heiratsurkunde Kaiser Ottos II. und Theophanu (972). Eines der bekanntesten Beispiele für die Verwendung des Purpurs als kaiserliche Farbe. DER ROTE BACKSTEIN – FARBE HERRSCHAFTLICHER PRÄSENTATION ODER MONASTISCHER BESCHEIDENHEIT? | 17 Insgesamt gesehen überwiegen in der Backsteinarchitektur der meisten Regionen tatsächlich Rottöne unterschiedlicher Intensität, doch ist auch der Anteil des Materials mit gelblicher Farbausprägung nicht unerheblich40. Innerhalb der roten Backsteine lässt sich eine große Varianz zwischen Dunkelrot und Hellrot erkennen. Für eine theoretisch angenommene Deutung der Backsteinfarbe in Verbindung mit dem Königspurpur können eigentlich nur Beispiele einer kräftigen Rottönung in Frage kommen, möglicherweise auch dunkel gebrannten Steine, deren Farbcharakter sich als schwarzviolett interpretieren ließe. Es wäre also zu prüfen, ob Backsteinbauten königlichen oder imperialen Charakters eine solche intensiv-kräftige Kolorierung aufweisen. Doch schon ein erster allgemeiner Bestandsüberblick zeigt, dass eine solche Beziehung offenbar nicht bestand. Beispiele unterschiedlicher Farbintensitäten finden sich in der Backsteinarchitektur sowohl bei hochrangigen als auch bei niederen Bauaufgaben. Backsteinkirchen mit eindeutig königlichen bzw. imperialen Anspruch konnten durchaus überwiegend gelbliche Farbtöne aufweisen. Hingewiesen sei etwa auf San Vitale in Ravenna (2. Viertel 6. Jh.), das als wesentliches typologisches Vorbild für die Aachener Kaiserpfalz gilt. Als Beispiel aus dem Norden kann die Benediktinerkirche in Ringsted (Baubeginn um 1170) genannt werden – die Grablege der dänischen Könige. Wenn das kräftige Rot tatsächlich die das Königtum symbolisierende Farbe gewesen wäre, wo – wenn nicht an dieser Kirche – hätte man es zum Einsatz bringen müssen? Stattdessen sieht sich der Betrachter mit einer fleckigen Außenhaut, bestehend aus einem Gemisch gelber, rötlicher und bräunlicher Steine, konfrontiert41. (Abb. 5) Ähnliche Befunde trifft man auch andernorts an, etwa beim Ratzeburger Dom. Auch schwarz gebrannte Backsteine, deren dunkel-violetter Farbcharakter vielleicht als Purpur interpretiert werden könnte, kamen bei den frühen Backsteinbauten nicht im Abb. 5: Ringsted, Benediktinerkirche und Grablege der dänischen Könige. Ansicht von Osten. Gut erkennbar ist der ‚fleckige‘ Farbeindruck mit einem hohen Anteil gelblicher Backsteine (Foto 2013). Abb. 6: Burg Landsberg, Doppelkapelle. Die Außenfassade der oberen Apsiden sind in Backstein ausgeführt. dekorativen Sinne zum Einsatz. Entweder wurden die überbrannten Köpfe zum Mauerinneren hin vermauert und blieben für den Betrachter somit unsichtbar oder man verwendete sie sichtbar, aber unsystematisch an der Außenfläche. Erst im späten 13. Jahrhundert kam es zu einer systematisch angewandten dekorativen Musterbildung mithilfe der schwarzen Binderköpfe an den Außenwänden von Burgen und Kirchen. Bei den spätantiken Backsteinbauten kaiserlicher Provenienz, die von manchen Autoren als Kronzeugen einer imperialen Backsteintradition herangezogen werden, stellt sich außerdem die Frage, ob sie überhaupt backsteinsichtig waren, oder 18 | CHRISTOFER HE RRMAN N nicht überwiegend – wofür es viele Hinweise gibt – mit edleren Werkstoffen verkleidet bzw. verputzt waren. So hat Möller versucht, die Konstantinsbasilika in Trier als möglicherweise vorbildstiftenden backsteinsichtig-roten Imperialbau zu deuten42. Das heutige Erscheinungsbild der Basilika ist jedoch das Ergebnis von Restaurierungsmaßnahmen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, bei denen sowohl die noch umfangreich vorhanden gewesenen römischen Putzreste entfernt als auch die antiken Backsteinoberflächen fast vollständig erneuert wurden43. Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich aus empirischer Sicht kein auffallender Zusammenhang zwischen der DER ROTE BACKSTEIN – FARBE HERRSCHAFTLICHER PRÄSENTATION ODER MONASTISCHER BESCHEIDENHEIT? | 19 Einfluss der lübisch-stralsundischen Monumentalbauten auf die Architektur im Ostseeraum Als das Lübecker Domkapitel um 1262–64 zum Chorneubau seiner Kathedralkirche schritt, wählte es das damals vornehmste verfügbare Architekturkonzept. Mit dem geplanten basilikalen Chor samt Umgang und Kapellenkranz wurden damit erstmals im nordfranzösischen Werksteinbau entwickelte Bauideen in den Backsteinbau der Ostseeregion übertragen. Schon bald darauf griff man diese Konzeption für den Chorneubau der Stralsunder Hauptpfarrkirche St. Nikolai (noch vor 1270) auf und änderte die Planung für die als Hallenchor begonnene Choranlage der Lübecker Marienkirche (ab etwa 1270). Der letztgenannten Pfarrkirche in Lübeck blieb es vorbehalten, das vollständige Bauproramm bei der Fertigstellung um 1291–1300 zuerst präsentieren zu können. Neben der Verschmelzung von Umgang und jeweils dreiseitig gebrochenen Kapellen unter sechsteiligen Gewölben, trat auch ein offenes Strebewerk hinzu. Wie nachhaltig das höchsten Ansprüchen genügende lübisch-stralsundische Architekturkonzept als Sinnbild für wirtschaftliche und machtpolitische Potenz auch in überregionalem Kontext ausstrahlte, zeigen die spätgotischen Vertreter der Gruppe. Neben St. Marien in Stralsund ist die Petrikirche in Riga zu nennen, wo zu Anfang des 15. Jahrhunderts Baumeister Johannes Rumeschottel aus Rostock am Chorbau wirkte. Besonders eindrucksvoll präsentiert sich St. Nikolai in Lüneburg (Chor 1405–1421, Langhaus), wo noch im 19. Jahrhundert das typische verdeckte Strebewerk durch ein offenes der Neugotik ersetzt wurde, um das seit mehr als einem halben Jahrtausend wirksame architektonische Konzept zu komplettieren. Text: Michael Huyer Wismar, St. Nikolai (2008) Stralsund, St. Marien (2006) Lübeck, Marienkirche (2009) Doberan, Zisterzienserkirche (2009) 174 | NEUE FORSCHUN GE N ZUR B ACKSTE INARCHITE KTUR Lübeck, Marienkirche, Innenansicht (1965) Riga, St. Petri (2005) NEUE FORSCHUNGEN ZUR BACKSTEINARCHITEKTUR | 175 Baugeschichtliche und dendrochronologische Untersuchung der St. Jakobikirche in Thorn/Torun´ Über die Einheitlichkeit des Baus kann man nur in Bezug auf den Chor sprechen, ein Meisterwerk der Backsteinarchitektur auf europäischem Niveau. Die hier tätige Bauwerkstatt verfügte über eine enorme Erfahrung, die sie sicherlich außerhalb des Deutschordenslandes erworben hatte, vielleicht im Rahmen von Bauvorhaben der Zisterzienser. Die realisierte Form des Langhauses wich nicht nur vom ursprünglichen Konzept aus der Bauzeit des Chores stark ab, sondern ist ein Resultat mehrmaliger Änderungen der Bauideen. Das Langhaus und der Westturm wurden von mehreren lokalen Bauwerkstätten in verschiedener Ausführungsqualität ausgeführt. Der ursprüngliche Langhausplan sah eine Stufenhalle mit stark überhöhtem Mittelschiff vor. Für die ausgeführte Basilikalösung entschied man sich in der letzten Langhausbauphase in den 1350er Jahren, sicherlich unter Einfluss der Danziger Marienkirche (1343 begonnene Basilika). Die Jakobikirche war also nicht die erste im Ordensland errichtete Basilika. Text: Alexander Konieczny Im Zusammenhang mit den komplexen Wiederherstellungsarbeiten an der Jakobikirche in Thorn wurden 2002–2011 ein gründliches Aufmaß einiger Bauteile (Westturm, Dachwerke, nördliche Vorhalle) angefertigt und dendrochronologische Untersuchungen aller Holzgefüge durchgeführt. Aus den 18 Holzkonstruktionen und vielen hölzernen Einzelelementen erfolgte die Entnahme von 214 Analyseproben. Auf dieser Grundlage ließ sich jede der aus der Zeit zwischen dem 14. und 20. Jh. stammenden Holzkonstruktionen genau datieren. Eines der ältesten komplett erhaltenen Dachwerke in Polen ist die Konstruktion über dem Chor, die aus im Winter 1316/1317 gefälltem Kiefernholz errichtet wurde. Bei dem einfachen Kehlbalkendachwerk ohne Mittelrahmen bestand die Längsversteifung nur aus den an den Sparren von unten angenagelten Winterlatten und den äußeren Dachlatten. Die Querversteifung bilden in vier Gespärren Andreaskreuze, die sich aus zwei zu den Sparren parallel verlaufenden Streben zusammensetzen. Thorn, St. Jakobi, Schema der Bauabfolge von Langhaus und Turm. Phase 1: Errichtung der Umfassungsmauern der Seitenschiffe sowie der Turmpfeiler (Zeichnung: A. Konieczny 2012) Thorn, St. Jakobi, Schema der Bauabfolge von Langhaus und Turm. Phase 3: Errichtung der Scheidbögen (Zeichnung: A. Konieczny 2012) Thorn, St. Jakobi, Schema der Bauabfolge von Langhaus und Turm. Phase 4: Bau des 2. Turmgeschosses und Errichtung der Pultdächer über den seitlichen Turmanbauten (Zeichnung: A. Konieczny 2012) Thorn, St. Jakobi, Datierungsversuch der Bauphasen von Langhaus und Turm auf der Grundlage dendrochronologischer Gutachten (Zeichnung: A. Konieczny 2012) Thorn, neustädtische Pfarrkirche St. Jacobi, Ansicht von Nordosten (2013) Während der Bauuntersuchungen wurden einige bedeutende Entdeckungen gemacht. So konnten unter den Dächern der Seitenschiffe bisher unbeachtete Halbgiebel der Seitenkapellen lokalisiert werden, was die Ermittlung der genauen Bauabfolge der Kapellen ermöglichte. Die Ergebnisse der vielschichtigen Analyse verschiedener Gebäudeteile haben die Erkenntnisse zur Baugeschichte der Kirche grundlegend verändert. Es konnte gezeigt werden, dass die Kirche ein sehr komplexes und in vielen Phasen errichtetes Bauwerk ist. Der ursprüngliche Plan wurde mehrfach grundlegend modifiziert. Thorn, St. Jakobi, Dachwerk über dem Chor, Längsschnitt mit Blick nach Süden. Rot gekennzeichnet sind die in situ erhaltenen Windlatten und Anker (Zeichnung: A. Konieczny 2004) Thorn, St. Jakobi, Rekonstruktion der Choransicht von Nordwesten, Zustand um 1320 (Zeichnung: A. Konieczny 2012) 176 | NEUE FORSCHUN GE N ZUR B ACKSTE INARCHITE KTUR NEUE FORSCHUNGEN ZUR BACKSTEINARCHITEKTUR | 177
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