Ausgabe 4/2015 - bei der Arbeitnehmerkammer

Nummer 04 _ Mai 2015
Bremer
Arbeitnehmer
Magazin
Informationen für Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven
Ulrich Fader,
Vormann bei der DGzRS
Seite
4
100 Tage Mindestlohn:
Die Schlupflöcher der
Arbeitgeber
Seite
17
Gesundheit:
Kuren für Mütter, Väter und
pflegende Angehörige
Inhalt
02 // Inhalt
Editorial // 03
Themen
Schwerpunkt:
: 100 Tage Mindestlohn –
Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern
04 – 07 //
Politik
08 – 09 //
12
//
13
15
//
//
: Betriebsräte im Interview – ›Branchengespräche
wären ein Anfang‹
: Bundesweit erster Tarifvertrag für
Altenpflege-Azubis
: Veranstaltung zur Reform der Pflegeberufe
: TTIP: Abkommen mit Risiken und Nebenwirkungen
Aus der Arbeitnehmerkammer
10 – 11 //
16
Editorial
: Arbeitsplatz Antarktis:
day by day – eine audiovisuelle Installation
: Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹
//
wisoak
14
//
: Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie
und Physiotherapie startet
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Service
die Zahl der Jugendlichen und jungen Menschen ohne Berufsabschluss bleibt im Land Bremen bedrückend hoch. Allein bei der
Agentur für Arbeit waren Ende September fast 860 Bewerberinnen und Bewerber registriert, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Die Versorgungsengpässe auf dem Ausbildungsmarkt
bleiben dramatisch, weil die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze nicht ausreicht und sogar weiter zurückgeht.
Vielleicht haben Sie es gelesen: Im Land Bremen
wird jetzt eine Jugendberufsagentur eingerichtet.
Junge Menschen unter 25 Jahren sollen zu einem
vollqualifizierenden Berufsabschluss geführt werden
– durch eine passgenaue und individuelle Beratung
unter einem Dach. Jeder junge Mensch soll das für
ihn passende Angebot erhalten. Wir unterstützen die
Jugendberufsagentur als Kooperationspartner und
werden uns mit unseren Angeboten engagieren.
87 / G a l e r i e d e r A r b e i t s w e l t
Ulrich Fader, 52 Jahre, ist erster Vormann bei der Deutschen Gesellschaft
zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) auf dem Seenotkreuzer Hermann
Rudolf Meyer in Bremerhaven. Der Rang des Vormanns ist vergleichbar
Gesundheit
mit dem des Kapitäns.
17
//
: Gesundheitsmaßnahmen für Mütter, Väter und
pflegende Angehörige – Akku leer?
Ulrich Fader arbeitet seit 32 Jahren bei der DGzRS und ist seit elf Jahren Vormann. Seine dreijährige Ausbildung hat der gebürtige Schwabe als
Matrose bei der Reederei Hamburg Süd auf großer Fahrt absolviert, zuerst
auf Mehrzweckfrachtern wie der Cap San Diego, dann auf Containerfrach-
Aus der Beratung
tern der Columbus Line.
18
//
: Probearbeiten kann teuer werden
Nach der Ausbildung hatte er Glück: Einem Freund wurde eine Stelle
bei der DGzRS angeboten, dieser konnte aber nicht. Ulrich Fader ging
für ihn zum Vorstellungsgespräch und bekam den Job. ›14 Jahre arbeitete
ich als Rettungsmann, das war aber auf Dauer nicht genug, ich wollte das
Alles, was Recht ist
19
//
: Kinderbetreuung – absetzbar auch
bei Barzahlung?
: Befristung eines Vertrags wegen Vertretung
muss überprüfbar sein
: Werbung mit eigenen Mitarbeitern
Patent machen.‹ Sechs Monate Ausbildung zum A-National Patent folgten,
nach einem Jahr war Ulrich Fader ›Fahrender Dritter‹. Eine Fortbildung zur
Erstversorgung auf See war obligatorisch, dazu kamen drei Wochen pro
Jahr Weiterbildungen.
In über 80 Einsätzen im vergangenen Jahr haben die Seenotretter in
Bremerhaven über 120 Menschen gerettet. Zu den außergewöhnlichen
Rettungsleistungen gehört auch immer wieder das Retten von Heulern,
20
//
Veranstaltungen
den Seehundjungtieren, und der Muttertiere. ›Vor einigen Jahren mussten
wir auch mal einen Walfisch einschleppen, der Kadaver drohte ins Hauptfahrwasser einzutreiben, nun hängt das Skelett im Schifffahrtsmuseum.‹
Impressum
Herausgeber_ Arbeitnehmerkammer Bremen
Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen /
Telefon 04 21· 363 01- 0 / Fax 04 21·363 01- 89
Internet_ www.arbeitnehmerkammer.de
E-Mail_ [email protected]
Autoren/Autorinnen_ Janet Binder (bin) / Carola Bury / Jörg Hendrik Hein (hei) /
Elke Heyduck / Philipp Flunkert / Claudius Kaminiarz /
Hanna Mollenhauer (mol) / Dagmar Pletz /
Vera Wanetschka / Martina Werlich
Redaktion_ Nathalie Sander (san) (V.i.S.d.P.)
Hanna Mollenhauer (mol)
Lektorat_ Martina Kedenburg
Fotos_ Kay Michalak (Titel), Kay Michalak,
Kay Herschelmann, Michael Bahlo,
Müttergenesungswerk, istockphoto.com
Layout_ Designbüro Möhlenkamp & Schuldt
Druck_ Müller Ditzen AG, Bremerhaven
Erscheint zu Beginn und in der Mitte eines Quartals.
Einzelverkaufspreis 2 Euro, Jahresabonnement 15 Euro,
für Kammerzugehörige im Mitgliedsbeitrag enthalten.
ISSN 1614-5747, Postvertriebs-Nummer H 43672
Ein großes Problem bleibt aber der Ausbau des Ausbildungsangebots, denn auch die Jugendberufsagentur
kann keine Ausbildungsplätze schaffen. Vor allem die
Betriebe müssen deshalb ihr Engagement bei der Ausbildung erhöhen und eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen zur Verfügung stellen.
Ihr Peter Kruse
Präsident der
Arbeitnehmerkammer
Bremen
04 // Schwerpunkt: Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern
// 05
Wird die Arbeitszeit wegen
des Mindestlohns einseitig
reduziert, erwartet der Arbeitgeber oftmals trotzdem die
bisherige Arbeitsleistung –
nur unbezahlt.
100 Tage Mindestlohn
Arbeitgeber suchen
nach Schlupflöchern
Seit dem 1. Januar 2015 gilt das Mindestlohngesetz:
Betriebe müssen ihren Beschäftigten mindestens 8,50 Euro
pro Stunde zahlen. Doch es gibt immer wieder Versuche
von Arbeitgebern, dies zu umgehen, wie eine erste Bilanz
unserer Rechtsberatung zeigt.
tung ließen sich in diesen drei Monaten insgesamt 1.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beraten. Das waren 7,4 Prozent
mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das deutliche
Plus sei auch durch die Einführung des Mindestlohns zu erklären,
sagt Kaminiarz.
Die junge Frau, die sich an die Arbeitnehmerkammer Bremen
Arbeitszeit muss dokumentiert werden
Den größten Beratungsbedarf zum Mindestlohn hatten Beschäftigwandte, hatte schon das Gefühl, dass mit ihrem Vertrag etwas
te aus der Gastronomie und dem Einzelhandel. ›Es gab Fälle, bei
nicht stimmte: Sie machte ein mehrmonatiges Praktikum in der
denen das Trinkgeld auf den Lohn angerechnet wurde, um so den
Tourismusbranche und bekam dafür kein Geld. ›Die klassische
Mindestlohn zu erzielen.‹ Dabei handelt es sich um eindeutige
Generation Praktikum‹, sagt der Leiter der Rechtsberatung,
Rechtsverstöße, wie Kaminiarz betont. Bei anderen fiel der bisher
Claudius Kaminiarz. Laut Mindestlohngesetz ist ein freiwilliges
gezahlte Sonn- und Feiertagszuschlag plötzlich weg. Oder ArbeitPraktikum nach Studium oder Berufsausbildung ab dem ersten
geber reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleiTag der Beschäftigung mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde
bendem Monatsentgelt auf mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu
zu vergüten. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte Pflicht- oder
kommen. Doch auch das ist nicht erlaubt.
Orientierungspraktika. Für die Rat suchende Frau
›Ein Arbeitgeber kann nicht einseitig
trafen die Ausnahmeregelungen nicht zu.
eine Stundenreduzierung anordnen. Einer
›Wir haben ihr geraten, ihren Lohn geltend zu
›Es gab Fälle, bei denen
Vertragsänderung müssen beide Seiten
machen‹, sagt Kaminiarz.
das Trinkgeld auf den Lohn
zustimmen‹, so Kaminiarz.
Die junge Praktikantin war eine von rund
Rechtlich möglich sei dagegen eine
90 Beschäftigten, die sich vom 1. Januar bis
angerechnet wurde, um so
Änderungskündigung. ›Dann kann der
31. März 2015 in einer der drei Geschäftsstellen
den Mindestlohn zu erzielen.‹
Arbeitnehmer entscheiden: Nehme ich die
der Arbeitnehmerkammer über das neue Mindestneuen Arbeitsbedingungen an oder nicht?‹
lohngesetz informiert haben. Zum Thema Vergü-
Er rät betroffenen Beschäftigten, den Vertrag in der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer vor dem Unterschreiben überprüfen zu lassen. Wer mit dem neuen Arbeitsvertrag nicht einverstanden ist, kann gegen die Kündigung des alten klagen.
Wird die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwartet der Arbeitgeber oftmals trotzdem die bisherige
Arbeitsleistung – nur unbezahlt. ›Deshalb sind die Dokumentationspflicht über die Arbeitszeit und die Kontrolle auch besonders
wichtig‹, betont Kaminiarz. Die Dokumentationspflicht stand von
Anfang an bei Arbeitgebern wegen des angeblich großen Aufwands in der Kritik – von einem ›Bürokratie-Monster‹ ist die Rede.
Fakt ist: Seit Jahresanfang müssen die Arbeitszeiten von allen
geringfügig Beschäftigten unabhängig von der Branche dokumentiert werden. Eine Ausnahme gibt es nur bei Minijobbern in Privathaushalten. Zudem gilt die Dokumentationspflicht in allen Branchen, in denen die Schwarzarbeit am größten ist – etwa im
Baugewerbe und in der Gastronomie. Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände fordern von der Politik, das Mindestlohngesetz
zu überarbeiten und die Dokumentationspflicht zu lockern.
200 Überstunden ohne Belege
›Die Kritik der Arbeitgeber ist unseriös‹, sagt Rainer Kuhn,
Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in
Bremen. Schließlich habe es auch schon vor dem Mindestlohn
eine Dokumentationspflicht gegeben. Diese sei nun nur verschärft worden. Es sei zu befürchten, dass hinter der Forderung
der Wunsch steht, den Mindestlohn zu umgehen.
Auch Dieter Nickel, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Bremen, kann die Kritik der
Arbeitgeber am Bürokratieaufwand nicht nachvollziehen. Über
soziale Medien verbreitete die Gewerkschaft ein Formular, das
auf ironische Weise zeigen sollte, wie einfach die Arbeitszeiterfassung erledigt werden könnte. Auch er glaubt, dass manche
Arbeitgeber die Arbeitszeit gar
nicht dokumentieren wollen.
›Es kommen Leute zu uns, die
sagen, sie bekommen ihre 200
Überstunden nicht bezahlt. Wenn
wir dann nach den Belegen fragen,
gibt es die nicht‹, sagt Nickel.
›Das ist ein gängiges Problem.‹ Dabei könnte es so einfach sein,
wie ein Fall aus der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer
zeigt: ›Zu uns kam ein Mitarbeiter eines Schlachthofs, dessen
Arbeitgeber ihn dazu aufgefordert hatte, selbst seine Arbeitszeiten aufzuschreiben‹, berichtet Kaminiarz. Der Arbeitgeber halte
sich so an das Gesetz, entlaste sich selbst und zeige Vertrauen
zum Arbeitnehmer. ›Das ist zu begrüßen‹, betont der Leiter der
Rechtsberatung.
Holprige Umsetzung des Mindestlohns
Andere Unternehmen machten sich dagegen nicht einmal die
Mühe, die Nichteinhaltung des Mindestlohns zu vertuschen. ›Es
gibt tatsächlich Firmen, die sich weigern, den Mindestlohn zu
zahlen‹, musste Kaminiarz feststellen. Sein bisheriges Fazit lautet deshalb: ›Die Umsetzung des Mindestlohns erfolgt holprig.‹
Deshalb bleibt die Arbeitnehmerkammer am Ball; auch weiterhin
soll die Rechtsberatung zum Mindestlohn ausgewertet werden.
›Erst nach einem Jahr kann man genaue Aussagen dazu treffen,
wie sich das Thema und die Fallzahlen entwickeln.‹
Auch die zentrale Hotline des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Mindestlohn wird weitergeführt – und nicht wie
geplant nach drei Monaten beendet. ›Der Informationsbedarf war
so hoch, dass wir verlängert haben‹, sagt eine DGB-Sprecherin
in Berlin. Viele Minijobber und Praktikanten, aber auch Arbeitgeber hätten sich bisher über den Mindestlohn anonym informiert.
Zahlreiche Beschäftigte berichteten von Versuchen des Arbeitgebers, den Mindestlohn zu umgehen. ›Das geht über Einzelfälle
hinaus‹, betont die Sprecherin. Das bestätigt auch eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Gewerkschaft:
Mit 18 Prozent gab fast jeder fünfte Befragte an, bereits Erfahrungen mit solchen Tricks gemacht zu haben – entweder, weil
er selbst davon betroffen war oder aber betroffene Beschäftigte
kennt.
››
06 // Schwerpunkt: Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern
Sauna-Gutscheine statt Entgelt
und dadurch überhaupt erst Schlupflöcher ermögliche, sagt sie.
So gilt für Zeitungszusteller vorerst nur ein reduzierter Mindestlohn von 6,37 Euro. ›Diese Ausnahme ist schon ärgerlich genug
und diskriminiert eine ganze Gruppe von Beschäftigten‹, meint
Geraedts. Tatsächlich dürften die meisten Austräger dennoch
Anspruch auf die vollen 8,50 Euro haben, weil sie mit den Zeitungen auch Werbeprospekte in die Briefkästen steckten. ›Aber
welcher Zeitungszusteller wird das wissen?‹, fragt die Referentin.
Die Einfälle der Arbeitgeber kennen offenbar keine Grenzen, wie
die Anrufe bei der DGB-Hotline zeigen: Als Teil des zustehenden
Lohns wurden Mitarbeitern im Sonnenstudio Solarium-Gutscheine
und Beschäftigten in einer Sauna Sauna-Gutscheine überreicht.
Eine Arbeitnehmerin in einem Nagelstudio wurde nur für die Zeit
bezahlt, in der sie auch Kunden betreute. Manche Gastronomen
oder Friseure lassen ihre Mitarbeiter gar als Selbstständige für
sich arbeiten. ›Früher oder später werden sich die Arbeitsgerichte mit dem Thema beschäftigen‹, ist sich die Sprecherin sicher.
Der Zoll kontrolliert
Von ähnlichen Fällen kann auch Dieter Nickel berichten: ›Ein
Kontrolliert wird die Einhaltung des Mindestlohns von der FinanzFrührentner, der als Busfahrer Schüler fährt, sollte nur dann
kontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Bremen. Die derzeit
bezahlt werden, wenn der Bus auch besetzt ist.‹ Ähnliche Proble92 Fahnder überprüfen vor allem in Branchen, die auch bisher
me habe es aber auch schon vor der Einführung des Mindestschon im Fokus standen, weil sie besonders von Schwarzarbeit
lohngesetzes gegeben. ›In Bäckereien wird
und Missbrauch betroffen sind: Bau, Gebäugerne die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsdereinigung, Sicherheitsdienstleistungen und
›Vor Ort befragen die Kollegen Pflege, aber auch Gaststätten und Personenöffnung unter den Tisch fallen gelassen.‹ Die
zunehmenden Probleme mit der Arbeitszeit spiebeförderung. ›Vor Ort befragen die Kollegen
die Arbeitnehmer und übergeln sich auch in der Rechtsberatung der Arbeitdie Arbeitnehmer und überprüfen anschlieprüfen anschließend diese
nehmerkammer wider. Zu dem Thema informierßend diese Aussagen anhand der Geschäftsten sich im ersten Quartal 2015 461 Beschäftigunterlagen des Arbeitgebers‹, sagt der
Aussagen anhand der
Sprecher des Hauptzollamtes, Volker von
te. Das waren 14,4 Prozent mehr als im gleiGeschäftsunterlagen des
Maurich. Zahlen dazu, wie viele Verstöße der
chen Zeitraum ein Jahr zuvor. Der Grund dafür
Arbeitgebers.‹
Zoll bereits aufdeckte, gibt es noch nicht.
sei indirekt auch auf den Mindestlohn zurückzuMit Bußgeldern müssen die betroffenen
führen, sagt Kaminiarz. Denn durch die DiskusBetriebe zunächst noch nicht rechnen:
sionen darüber sei vielen Beschäftigten erst klar
›Aufklärung geht vor Ahndung‹ heißt die Devise des Zolls. In der
geworden, dass sie oftmals gar nicht ihre volle Arbeitszeit
Einführungsphase des Mindestlohns gebe es noch viel Unsichervergütet bekommen. ›Die Handhabung der Arbeitszeit entspricht
heit mit den neuen Vorschriften, begründet von Maurich. Doch
nicht immer den geltenden Gesetzen‹, betont Kaminiarz.
jede Schonfrist ist irgendwann einmal vorbei: Bis 2019 werden
Ähnliches gilt für den Mindestlohn. Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, ist sich sicher,
bundesweit 1.600 zusätzliche Kontrolleure berufen, um Zuwiderdass Juristen in der nächsten Zeit in vielfältiger Weise mit der
handlungen konsequent zu ahnden. Wie viele davon im HauptKreativität von einigen Arbeitgebern konfrontiert werden. Dazu
zollamt Bremen eingesetzt werden, war zunächst noch nicht
komme, dass das Gesetz an manchen Stellen unklar bleibe
bekannt.
// 07
Regine Geraedts befürchtet allerdings, dass es auch mit der
Aufstockung nicht genügend Fahnder geben wird, um eine gute
Kontrolldichte zu erreichen. ›Am Ende wird es vor allem von
der individuellen Durchsetzungskraft der Einzelnen abhängen, ob
sie ihr Recht auf einen Mindestlohn wahren können‹, ist sich
Geraedts sicher. ›Und das ausgerechnet in Bereichen, in denen
die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohnehin oft
einen schweren Stand haben.‹ Sie fordert deshalb, einen kollektiven Rechtsschutz ins Arbeitsrecht einzuführen. Die meisten
europäischen Rechtsordnungen hätten neben einem gesetzlichen
Mindestlohn auch längst Verbandsklagerechte der Gewerkschaften. Das helfe, gesetzlich verbriefte Schutzrechte durchzusetzen,
ohne dass Einzelne dafür Nachteile in Kauf nehmen müssten.
30 Cent mehr: Der Landesmindestlohn
Der jüngste Bericht der Sonderkommission Mindestlohn zeigt:
Vor allem im Baugewerbe gibt es schwarze Schafe, die bei
öffentlichen Aufträgen den Landesmindestlohn nicht zahlen,
obwohl sie dazu verpflichtet sind.
Als erstes Bundesland hat Bremen 2012 den Landesmindestlohn eingeführt. Seitdem gilt: Bei öffentlichen Aufträgen für Bauarbeiten oder Dienstleistungen müssen private Unternehmen wie
Baufirmen, Gebäudereiniger, Fahrdienste oder Grünflächenpfleger
ihren Beschäftigten den Landesmindestlohn zahlen. Der liegt
nach einer Erhöhung seit November 2014 bei 8,80 Euro – also
30 Cent höher als der allgemeingültige Mindestlohn.
Ob diese Auflage von den Firmen auch eingehalten wird, überprüft eine beim Wirtschaftssenator eingerichtete Sonderkommission in Stichproben. Wie wichtig die Kontrolle ist, zeigt der
jüngste Bericht der Soko: Von März 2013 bis Ende Februar 2015
konnte sie bei 116 abgeschlossenen Überprüfungen 19 Vertragsverletzungen nachweisen. Die von der Soko empfohlenen Sanktionen wurden in 16 Fällen umgesetzt. Alle Mindestlohnverstöße
betrafen das Baugewerbe. Die Soko kündigte daher an, auch
künftig auf diese
Branche einen besonderen Schwerpunkt
ihrer Kontrollen zu
legen.
Einen der größten
Verstöße deckte die
Soko beim Teilersatzneubau des Klinikums
Bremen-Mitte auf:
Dort wurden von
einem Nachunternehmer eines anderen
Auftragnehmers zwölf
Mitarbeiter eingesetzt,
die den Baumindestlohn nicht erhielten.
Die Folge war eine
Vertragsstrafe von
465.000 Euro sowie
eine Vergabesperre
von 15 Monaten.
Bei der Grundsanierung des Bürgerhauses Vegesack
Beratung
Mindestlohn-Check
Nutzen Sie unseren Mindestlohn-Check: In unserer Rechtsberatung prüfen wir gerne, ob die für Sie geltenden Mindestlohnbestimmungen eingehalten sind. Neben Ihrer Gehaltsabrechnung benötigen wir Ihre Arbeitsvertragsunterlagen,
sofern nicht ein mündlicher Arbeitsvertrag vorliegt.
Persönliche Beratung (ohne Termin)
❙ Bremen-Stadt und Bremerhaven
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag:
Montag und Mittwoch:
❙ Bremen-Nord
Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag:
Montag und Donnerstag:
❙ Weitere Termine nach Vereinbarung:
Bremen: Telefon 0421 36301-29
Bremerhaven: Telefon 0471 92235-40
Bremen-Nord: Telefon 0421 66950-0
9 bis 12 Uhr
14 bis 18 Uhr
9 bis 12 Uhr
14 bis 18 Uhr
wurde von einem Auftragnehmer ein Beschäftigter eingesetzt, der
ebenfalls den Baumindestlohn nicht erhielt. Zudem wurden fünf
Einzelunternehmer angetroffen, die nach der Überzeugung der
Soko nicht selbstständig, sondern als Arbeitnehmer tätig waren.
Es wurden eine Vertragsstrafe von 31.500 Euro und eine Vergabesperre von neun Monaten verhängt.
Auch der Neubau der Arbeitnehmerkammer in Bremerhaven
zog eine Vertragsstrafe für einen Bauunternehmer nach sich. Die
Firma hatte zwar – wie üblich bei öffentlichen Aufträgen – die
Mindestlohnerklärung für sich und die von ihr beauftragen Subunternehmer unterschrieben. Aber auch nach wiederholter Aufforderung legte sie keine prüffähigen Unterlagen für zwei eigene
Beschäftigte und für einen Mitarbeiter eines Subunternehmers vor.
Auf Empfehlung der Soko Mindestlohn verhängte die Arbeitnehmerkammer daraufhin eine Vertragsstrafe über 4.400 Euro.
Zudem wurde eine Vergabesperre von einem halben Jahr ausgesprochen.
Der Mindestlohn gilt für alle Beschäftigten
Ob Minijobber, Saisonkräfte oder Teilzeitbeschäftigte – der bundesweite Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro gilt für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer. Ausnahmen gelten für Minderjährige, Auszubildende, Ehrenamtliche sowie bestimmte Langzeitarbeitslose und Praktikanten.
Für einen Übergangszeitraum von maximal zwei Jahren sind
noch weitere Ausnahmen vom Mindestlohn möglich – etwa dort,
wo Branchenmindestlöhne gezahlt werden. In mehreren Niedriglohn-Branchen werden deshalb auch jetzt noch weniger als 8,50
Euro gezahlt: etwa in der Land- und Forstwirtschaft mit dem
Gartenbau, in der Fleischindustrie, im Friseurhandwerk sowie bei
den Zeitungszustellern und Zeitarbeitern.
Spätestens ab dem 1.1.2018 gilt dann aber für alle Branchen
der gesetzliche Mindestlohn, wenn er denn höher ist als der
Branchenmindestlohn. Der Mindestlohn wird dann voraussichtlich
auch schon mehr als 8,50 Euro betragen, weil er alle zwei Jahre
überprüft und angepasst wird.
(bin)
08 // Politik: Betriebsräte im Interview
// 09
im Gespräch (v.l.n.r.)
Daniel Müller (Betriebsratsvorsitzender der Lloyd Werft
in Bremerhaven), Elke Heyduck
(Geschäftsführerin Arbeitnehmerkammer), Petra Coordes
(Betriebsrätin bei Karstadt
Bremerhaven).
chendialog mit dem Einzelhandel zu Tarifflucht oder zur Zunahme
von Minijobs und Werkverträgen aus eurer Sicht sinnvoll?
Coordes: Branchendialoge finde ich sinnvoll, weil hier die Probleme benannt werden und sozusagen erstmals ›das Tageslicht‹
erblicken. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen sich ja sonst nur in
Tarifrunden gegenüber und können über problematische Entwicklungen sprechen, aber hier sind dann auch nur die tarifgebundenen
Betriebe beteiligt. Es muss ja gerade gelingen, mit denen ins
Gespräch zu kommen, die Tariflucht begehen. Allerdings sollten
solche Dialoge immer auch mit Beteiligung der Betriebsräte geführt
werden. Politik sollte in Zusammenarbeit mit den Verbänden zu
solchen Dialogen einladen, das wäre immerhin ein erster Schritt.
Interview mit Daniel Müller
Interview mit Petra Coordes
Betriebsräte im Interview
››
BAM: Petra Coordes, wie sieht es aus mit Karstadt in Bremer-
›Branchengespräche wären
ein Anfang‹
Unsere zweite Veranstaltung zu Guter Arbeit zeigt,
was Bundesländer tun können. Gute Arbeit – welche Spielräume haben die Bundesländer bei diesem Thema
eigentlich? Das war die Frage, die wir im Rahmen zweier
Veranstaltungen gestellt haben.
Auch wenn der Bund in vielen Fragen die Weichen stellt: Die Bundesländer können vieles tun, um schlecht bezahlte und prekäre
Arbeit zurückzudrängen. Ging es in der ersten Veranstaltung mit
Wirtschaftsminister Olaf Lies um die Zusammenarbeit zwischen
Bremen und Niedersachsen, so stand in der zweiten Veranstaltung das Land Nordrhein-Westfalen im Zentrum. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft berichtete von der Initiative ›Nordrhein-Westfalen – Land der fairen Arbeit‹, in dem zahlreiche Projekte gestartet, Unterstützungsangebote geschaffen und Initiativen für faire
Arbeit ergriffen wurden. Weitere Veranstaltungen mit Vertretern
aus Thüringen und dem Saarland sind geplant.
Wir nutzten die Veranstaltung, an der auch Bürgermeister Jens
Böhrnsen teilnahm, um verschiedene ›Problemzonen‹ des Bremer
Arbeitsmarktes anzusprechen. Dazu gehört zum Beispiel der
Einzelhandel, der sich zu einer reinen Niedriglohnbranche zu
entwickeln droht. Was passieren muss, schildert Petra Coordes,
Betriebsrätin bei Karstadt Bremerhaven, im Interview.
Hauptsächlich Männer arbeiten auf der Lloyd Werft in Bremerhaven. Das Instrument der Werkverträge, eigentlich ein ›ganz normales‹ Alltagsinstrument für spezialisierte Aufgaben, wird mehr
und mehr eingesetzt, um auch bisherige Kernaufgaben von Unternehmen billiger erledigen zu lassen. Bislang haben Betriebsräte
beim Einsatz von Werkvertragsunternehmen nichts mitzuentscheiden. Daniel Müller, Betriebsratsvorsitzender der Lloyd Werft in
Bremerhaven schildert im Interview die Situation auf der Werft.
haven? Der Konzern plant große Veränderungen und auch Personalabbau. Einzelne Standorte sollen ganz geschlossen werden.
Petra Coordes: Es ist uns zwar gelungen, den Personalabbau
auf Konzernebene und auch in der Filiale zu reduzieren, dennoch
gibt es Kollegen, die sowohl vom Abbau als auch von veränderten Arbeitsbedingungen betroffen sind. Das ist für die, die ja viele
Jahre auf Urlaubsgeld, Sonderzahlungen und sonstige tarifliche
Leistungen verzichtet haben, sehr bitter. Für uns bleibt eine
Frage offen. Was hat unser Eigentümer mit dem Konzern eigentlich vor? Im Rahmen der Tarifverhandlungen hat die Unternehmensleitung gerade bekannt gegeben, dass sie für keines der
81 Warenhäuser eine Standortsicherung gibt. Im Gegenteil:
28 Häuser sind für sie sogenannte Fokusfilialen und könnten in
den nächsten Monaten geschlossen werden.
BAM: Vor welche Probleme stellt euch das als Betriebsrat?
Coordes: Betriebsräte können betriebsbedingte Kündigungen
nicht verhindern, das Betriebsverfassungsgesetz eröffnet diese
Möglichkeit nicht. Wir können, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, widersprechen und so den Kollegen die Chance auf
Klage und Weiterbeschäftigung eröffnen. Dies muss, denke ich,
einmal deutlich gemacht werden, weil natürlich der Erwartungsdruck vieler Kollegen auf die Betriebsräte sehr groß ist. Wir
haben versucht, den Personalabbau so sozialverträglich wie
möglich zu gestalten und Widersprüche gegen anstehende
Kündigungen formuliert. Kämpfen muss man immer. Die Arbeit
als Betriebsrat bei Karstadt zerrt an den Nerven.
BAM: Welche Möglichkeiten siehst du seitens der Politik, euch
zu unterstützen?
Coordes: Die Politik sollte die Entwicklung im Bereich Einzelhandel sehr genau betrachten – er ist für Bremen so bedeutend
wie für den Bund und: Er beschäftigte sehr sehr viele Frauen! Wir
brauchen vernünftige Einzelhandelsentwicklungskonzepte, die
Ansiedelungen gezielt steuern und wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen am Markt. Es kann nicht
sein, dass immer mehr Betriebe Tarifflucht begehen, sich damit
Wettbewerbsvorteile sichern und das Ganze dann auf dem
Rücken der Beschäftigten austragen. Die Politik muss einfach
hinschauen und hinschauen wollen.
BAM: Die Arbeitnehmerkammer hat vorgeschlagen, Branchendialoge zu führen zwischen Politik und Unternehmen, in denen
bestimmte Probleme überhandnehmen. Wäre ein solcher Bran-
››
BAM: Daniel Müller, wie viele Beschäftigte gibt es auf der Werft
und wie viele Menschen arbeiten dort als Werkvertragsnehmer
beziehungsweise Subunternehmen?
Daniel Müller: Wir sind aktuell 403 Kolleginnen und Kollegen
auf der Werft, davon 36 Auszubildende. Die Anzahl der Beschäftigten in Werkverträgen schwankt je nach Auftragslage sehr
stark. Aktuell haben wir 260 Beschäftigte in Werkverträgen auf
der Werft, letztes Jahr hatten wir durchschnittlich über 500, in
den Spitzenmonaten bis zu 1.000 Beschäftigte in Werkverträgen.
BAM: Vor welche Probleme stellt euch das als Betriebsrat?
Müller: Es gibt verschiedene Probleme. Es existiert leider eine
Drei-Klassen-Einteilung, Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmer und
dann die Beschäftigten in Werkverträgen in einer Art Grauzone. Die
Informations- und Mitbestimmungsrechte sind begrenzt. Es besteht
die Gefahr von Lohndumping, Arbeitsausbeutung und Umgehung
von Arbeitnehmerrechten und sozialen Mindeststandards, wie Mindestlohn etc. Die Beschäftigten in Werkverträgen sind auch mobile
Beschäftigte zumeist aus osteuropäischen Ländern, die keine
Sprach- und Rechtskenntnisse haben. Dadurch wird ein möglicher
Missbrauch von Werkverträgen zusätzlich begünstigt.
BAM: Welche Möglichkeiten siehst du seitens der Politik, euch
zu unterstützen?
Müller: Die Betriebsräte benötigen unbedingt mehr Informationsund Mitbestimmungsrechte bei der Vergabe und Kontrolle der
Werkverträge. Wir müssen von der Unternehmensleitung unterrichtet werden über das gesamte Personal im Betrieb, über Verträge, die Einsatzdauer und so weiter. Wir brauchen auch die
Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz für Werkvertragsnehmer. Das Betriebsverfassungsgesetz sollte dahin gehend
geändert werden, dass wir als Betriebsrat für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Werft zuständig sind. Werkverträge
sollten stärker reguliert werden. Kontrollen vom Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) und Gewerbeaufsichtsamt müssen ausgeweitet werden, dazu ist sicherlich eine deutliche Personalaufstockung notwendig. Die Auftraggeberhaftung sollte ausgeweitet
werden, ähnlich wie beim Mindestlohn. Es ist notwendig, eine
mehrsprachige Beratungsstelle für mobile Beschäftigte einzurichten, um arbeits- und sozialrechtlich zu unterstützen. Zusammen
mit einer Beratungsstelle könnte der Betriebsrat Missbräuche
aufdecken und angehen.
Ich denke, das Thema Werkverträge ist in der Politik angekommen. Jetzt müssen Verbesserungen und Lösungen für die bekannten Problematiken gefunden und umgesetzt werden.
BAM: Die Arbeitnehmerkammer hat vorgeschlagen, Branchendialoge zu führen zwischen Politik und Unternehmen, in denen
bestimmte Probleme überhandnehmen. Wäre ein solcher Branchendialog mit den Werften zum Thema Werkverträge aus eurer
Sicht sinnvoll?
Müller: Ein Branchendialog wäre sehr sinnvoll. Das Thema Werkverträge muss weiter fokussiert werden. Ich vermisse manchmal
die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Unternehmer bei dem
Thema. Der Branchendialog muss um Betriebsräte und Gewerkschaft erweitert werden.
Fragen: Elke Heyduck
n Geschäftsführerin und Leitung Politikberatung
Die Arbeitnehmerkammer
im Gepräch mit der Politik
Im Rahmen der Fraktionsvorsitzendenkonferenz von DIE LINKE in Bremen
im April stand auch ein Austausch mit der Arbeitnehmerkammer zum
Thema Armut auf dem Programm. Die Vorsitzenden der Bundestags- und
Landtagsfraktionen waren an einer Einschätzung der Kammer interessiert,
wie der zunehmenden Armutsgefährdung entgegengewirkt werden kann
(v.l.n.r.): Ingo Schierenbeck (Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer), Gregor Gysi (Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag), Kristina
Vogt (Vorsitzende der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft),
Peter Kruse (Präsident der Arbeitnehmerkammer).
Fotos: Michael Bahlo
Bei unserer Veranstaltung
›Gute Arbeit – faire Arbeit‹
Im April hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Arbeitnehmerkammer besucht und sich über die Arbeitsschwerpunkte der Arbeitnehmerkammer informiert. In einem Gespräch mit dem Vorstand standen die
Themen Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sowie Handlungsnotwendigkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen im Mittelpunkt (v.l.n.r.):
Ingo Schierenbeck (Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer),
Peter Kruse (Präsident der Arbeitnehmerkammer), Andrea Nahles
(Bundesministerin für Arbeit und Soziales, SPD), Carsten Sieling
(Bundestagsabgeordneter, SPD).
10 // Aus der Arbeitnehmerkammmer: Rolf Giegold: day by day – eine audiovisuelle Installation
// 11
Arbeitsplatz Antarktis
Rolf Giegold: day by day –
eine audiovisuelle Installation
Den kältesten Arbeitsplatz haben vermutlich unsere Mitglieder in der Antarktis – Bremer Wissenschaftler auf Forschungsreise im Eis sind zudem wohl noch am weitesten von
der Heimat entfernt. Der Berliner Konzeptkünstler Rolf
Giegold nahm im Dezember 2013 an einer Expedition auf
den südlichsten aller Kontinente teil. Aus der Reise ist eine
Videoinstallation hervorgegangen, die bis zum 29. Mai in der
Bremerhavener Geschäftsstelle der Arbeitnehmerkammer
gezeigt wird.
Mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polarund Meeresforschung (AWI) besuchte Giegold die deutsche
Forschungsstation ›Neumayer-Station III‹ auf dem antarktischen
Ekström-Schelfeis. Wir sprachen mit dem Künstler über seine
Arbeit.
BAM: Was war der Ausgangspunkt für Ihr Projekt?
Rolf Giegold: Mich hat interessiert, wie sich Menschen, die
mehr als ein Jahr dort in der Antarktis sind und nicht wegkönnen,
ihren Arbeits- und Lebensraum gestalten beziehungsweise wie
dieser schon vorab gestaltet ist. Zunächst bin ich von der vielleicht naiven Frage ausgegangen: ›Was würde ich mir mitnehmen
auf diese einsame Insel?‹ Ich habe mit Menschen gesprochen, die
vor zwei Jahren überwintert haben und Menschen, die bereits vor
20 Jahren dort waren. Da ist ein riesiger Wandel festzustellen hinsichtlich der Bedingungen, die mit Kommunikation und Komfort
zusammenhängen. Wir definieren heute sehr viel in Bezug auf
Komfort über unsere Möglichkeit, zu kommunizieren. Die Frage
von vor 20 Jahren, welche Bücher ich mitnehme, stellt sich heute
nicht mehr in dieser Form. Ich habe die Möglichkeit, mir auf
einem E-Book-Reader 150 Titel draufzuladen, von denen ich noch
nicht einmal die Hälfte schaffen würde. Für Musik und Filme gilt
das genauso. Die Frage der Verfügbarkeit von Dingen, die dort
zur Lebensqualität gehört, hat sich kolossal geändert. Natürlich
bringt die Überwinterung Entbehrungen mit sich, die Parameter
haben sich aber verändert.
BAM: Wenn wir Fotos der Neumayer-Station III betrachten, so
erscheint sie fast wie auf einem anderen Stern gelegen. Wie
würden Sie als Künstler Ihren ersten Eindruck schildern?
Giegold: Die Station lässt sich der Form nach als ein modernes,
durchaus formschönes Objekt beschreiben. Wenn wir vom visuellen Aspekt ausgehen, teilen Sie vielleicht den Eindruck, es könne
sich auf den Fotos um ein Modell handeln. Anders gesagt: Realistische, gezeichnete Modelle der Station ähneln den Fotos von
der realen Station sehr. Und wenn man davor steht, könnte es
sich um eine zweidimensionale Kulisse handeln, die nur eine
Räumlichkeit vorgibt – wie im Film. Wir klettern durch eine Tür
und finden dahinter nur die abstützenden Gerüstbauten, die die
Videostill der Arbeit
›day by day‹ (2014),
Foto: Rolf Giegold
Der Künstler Rolf
Giegold macht in der
Antarktis Aufnahmen
für seine Installation
›day by day‹,
Foto: Volker Ortmann
Kulisse halten. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass so
gut wie keine Witterungsspuren entstehen. Wir haben keinen
Regen, der äußeres Material korrodieren lässt oder einfärbt, wie
bei uns Hausfassaden.
BAM: In der Video-Installation blicken wir aus dem Wohnzimmerfenster der Station auf zwei Container in einer unwirtlichen
Eislandschaft. Zu sehen ist außerdem ein Seil, an dem entlang
drei Überwinterer ins scheinbare Nichts laufen und später
zurückkehren.
Giegold: Es kam mir bei der Aufnahme eine Wettersituation
zupass, die dieses für den Betrachter fast schon unwirkliche Bild
hervorgerufen hat. Ein Schneetreiben, das eine Unterscheidung
ein fotografisches Musterbuch. In Bremerhaven wird daraus eine
von Horizontlinie und Eis und Himmel unmöglich macht. Am Ende
Auswahl von Bodenstücken auf Sockeln in unterschiedlicher
dieses Handlaufs, ungefähr eineinhalb Kilometer entfernt, steht
Höhe als Aufsichten präsentiert. Sie schaffen einen Bezug zu der
ein Spurenstoff-Observatorium, wo ein Luftchemiker Messergebgestalteten Farbigkeit und Oberflächenstruktur der Station.
nisse abliest und weiterleitet. Bei noch schlechterem Wetter
BAM: Die umgebende Natur erscheint möglicherweise wie ein
muss sich der Wissenschaftler entlang des Handlaufs vorarbeiten, riesiges weißes Blatt. Ist man geneigt, dadurch jedem Farbtupfer
um nicht verloren zu gehen. Bei gutem Wetter ist die Sicht viel
besondere Aufmerksamkeit zu schenken?
besser, man hat ein Landschaftspanorama wie in einem schönen
Giegold: Mir ging das teilweise schon so. Sie haben einerseits
Gemälde und kann das Observatorium erkennen. Die im Video
recht, dass die Umgebung, wenn man so will, monochrom ist.
zu sehende Situation wirkte auf mich fast so, als ob es irgendwo
Aber sie ist es dann andererseits eben doch nicht, weil da wieam Rechner generiert worden wäre. Menschen werden in eine
derum die Eisflächen auch eine Struktur und Furchen haben. In
weite Fläche hinein montiert und scheinen später fast in den
der nahegelegenen Bucht schwimmen kleine Eisberge. Und es
Fensterrahmen hineinzuklettern. Die Tiefe des Raumes ist im
ist keine spiegelglatte gefrorene Fläche ohne Erhebungen. NatürVideo durch den Handlauf nur angedeutet.
lich haben Sie nicht die Dramatik eines BergmasSie lässt sich aber nicht logisch auflösen,
sivs oder von Gletschern. Aber ohne Detail ist
dafür benötige ich einen Horizont, welcher
die Landschaft wiederum auch nicht.
›Machen Sie sich darauf
aber nicht erkennbar ist.
BAM: Können Sie die
Begeisterung nachvollBAM: Wie wird, neben dem Blick nach außen,
gefasst, dass Sie von einem
ziehen, die viele Überder Innenraum der Station in der Installation
Virus befallen werden,
winterer nach ihrer
einbezogen?
Rückkehr äußern?
Giegold: Hinzugegeben ist eine akustische
den Sie so leicht nicht
Komponente aus fertigem Material, das ich
Giegold: Absolut. Ich
wieder loswerden.‹
in der Station aufgenommen habe. Leise
kann mich an das eintäZur Person:
Betriebsgeräusche, eine gewisse Vibration,
gige Pflichtseminar zu
Rolf Giegold studierte
quasi ein Grundton, der immer zu hören ist.
Umweltthemen und Verzunächst Archäologie und
Dazu kommen Lautsprecherdurchsagen, Schritte, Stimmen im
haltensregelungen in der Antarktis erinspäter Freie Kunst an der
Hochschule der Bildenden
Hintergrund. Eine andere Komponente ist ein E-Piano, auf der
nern, das jeder Wissenschaftler, der
Künste in Saarbrücken und
eine Person, obwohl sie allein war, stumm mit Kopfhörern spielte.
erstmalig in die Antarktis geht, vor seider Ecole Nationale des
Man hört das Klackern der Tasten, woraus sich eine monotone
ner Reise absolvieren muss. Einer der
Beaux-Arts in Dijon. Seit
1995 ist sein Werk in zahlRhythmik ergibt. Die Musik ist natürlich nicht entschlüsselbar
Referenten sagte: ›Machen Sie sich
reichen internationalen Einoder nur in Ansätzen. Den Tango hört man vielleicht aufgrund
darauf gefasst, dass Sie von einem
zel- und Gruppenausstellunder Rhythmik heraus, bei der Mozart-Sonate lassen sich mögVirus befallen werden, den Sie so leicht
gen sowie Projekten im
öffentlichen Raum zu sehen
licherweise Läufe erahnen. Diese Komponente hat einen fast
nicht wieder loswerden.‹ Ich gehe in viegewesen. Für seine konschon poetischen Aspekt ergeben.
len Fällen sehr rational mit solchen Dinzeptuellen Arbeiten wurde
gen um. Aber ich habe selber gemerkt,
BAM: In der Ausstellung gibt es darüber hinaus auch noch eine
er mehrfach mit Stipendien
und Preisen ausgezeichnet.
dass es zu 100 Prozent wahr ist. Es ist
Foto-Installation.
So konnte Rolf Giegold
ein großer Zauber!
(hei)
Giegold: Hier komme ich wieder zurück auf die Frage der festim Rahmen eines sechsgelegten, innenarchitektonisch vorgegebenen Gestaltung der
monatigen Fellowships am
Hanse-Wissenschaftskolleg
Station. Ähnlich wie ich die Interviews als einen Teil der Recher❙ ›day by day‹ ist ein Beitrag des AWI in
in Delmenhorst in Koopechen führte, so habe ich vor Ort auch Oberflächen, Böden, WandKooperation mit der Arbeitnehmerkammer
ration mit dem AWI zur
stücke und -übergänge fotografiert. Sie tragen zur atmosphäriBremen zum Jubiläum ›10 Jahre Stadt der
deutschen Forschungsstation ›Neumayer-Station III‹
schen Wahrnehmung der Räume bei und beeinflussen die MenWissenschaft‹.
reisen.
schen, die dort leben. Das ist zunächst einmal eine Sammlung,
Foto: Ioni Laibaroes
<
Politik: Veranstaltung zur Reform der Pflegeberufe // 13
12 // Politik: Bundesweit erster Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis
Bundesweit erster
Tarifvertrag für
Altenpflege-Azubis
›Junge Menschen bringt man nicht mit der Aussicht auf einen
Mindestlohn in die Pflege, sondern mit dem Versprechen
auf gute und faire Entlohnung schon in der Ausbildung‹ – so
kommentiert Uwe Schmid von ver.di den bundesweit ersten
Tarifvertrag für Auszubildende in der Altenpflege in Niedersachsen und Bremen.
In Bremen gilt er bislang aber nur für die rund 234 Auszubildenden der ›Tarifgemeinschaft Pflege Bremen‹. Ihr gehören 15 Pflegeanbieter aus Bremen und Bremerhaven an, unter anderem
Pflegeeinrichtungen der Arbeiterwohlfahrt, des Caritasverbandes,
des Deutschen Roten Kreuzes, der Bremer Schwesternschaft
vom Roten Kreuz, der Diakonie sowie des Paritätischen. Die
Bremer Heimstiftung schließt sich den Regelungen über den
kommunalen Arbeitgeberverband an.
Vereinbart wurden einheitliche und höhere Vergütungen, verbindliche Arbeitszeiten und eine neue Urlaubsregelung. ›Mit
diesem Tarifvertrag verbessern wir die Ausbildungsbedingungen
Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik
Der Tarifvertrag für
Altenpflege-Azubis ab 1. August 2015
Ausbildungsjahr
Ausbildungsentgelt
1.
2.
3.
975,69 €
1.037,07 €
1.138,38 €
n
39 Stunden Wochenarbeitszeit
n
29 Tage Urlaubsanspruch
Damit liegen Azubis in der Altenpflege gleichauf mit Schülern
in der Krankenpflege und werden teilweise besser entlohnt
als in vielen anderen Ausbildungen.
›Gepflegte Ausbildung‹
Veranstaltung
zur Reform der
Pflegeberufe
Die Bundesregierung will noch in dieser Legislaturperiode
eine Ausbildungsreform in den Pflegeberufen umsetzen. In
unserer Veranstaltung am 21. Mai diskutieren wir über Reformen aus der Sicht von Auszubildenden und Beschäftigten.
In Deutschland werden die Gesundheits- und Pflegeberufe außerhalb des (dualen) Berufsbildungssystems ausgebildet. ›Heiteres
Berufebasteln‹, nennt Gerd Dielmann dies. Er wird am 21. Mai in
der Arbeitnehmerkammer darüber berichten, wie die Pflegeausbildung zeitgemäß reformiert werden kann – im Interesse einer
adäquaten Gesundheitsversorgung und im Interesse der Beschäftigten. Wir haben ihm vorab ein paar Fragen gestellt.
BAM: Die Ausbildung der Krankenpflegeberufe soll grundlegend
reformiert werden. Was muss aus Ihrer Sicht passieren?
Gerd Dielmann: Der Reformbedarf bezieht sich aus gewerk-
schaftlicher Sicht hauptsächlich auf die praktische Ausbildung
und eine bessere Integration in das System der beruflichen Bildung. Von der Diskussion um eine generalistische Ausbildung ist
die Ausbildung in der Altenpflege stärker betroffen. Die Krankenpflegeausbildung ist entsprechend der EU-Vorgaben bereits
heute generalistisch angelegt.
BAM: Generalistische Ausbildung heißt, dass Alten-, Krankenund Kinderkrankenpflege gemeinsam ausgebildet werden. Ist das
sinnvoll?
Dielmann: Aus Sicht des Arbeitsmarkts ergibt eine so breit
angelegte Ausbildung, wie sie im Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgestellt wurde, wenig Sinn. Insbesondere
in der Akutversorgung sind eher Spezialisten gefragt. Die Krankenhäuser helfen sich schon selber, indem sie ungeordnet eigene
Assistenzberufe kreieren. Für die Arbeit in der stationären
Altenhilfe sind die speziell ausgebildeten Altenpflegerinnen und
Altenpfleger gut qualifiziert. Allenfalls in der ambulanten Pflege
erscheint eine breitere Ausbildung sinnvoll. Auch die Kinderkrankenpflege hat über Jahrzehnte ein Profil entwickelt, das nicht
leichtfertig über Bord geworfen werden sollte. Die Ausbildung in
den Pflegeberufen sollte breit angelegt sein, muss sich aber
zugleich hinreichend spezialisieren, um in den doch sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern qualifiziert arbeiten zu können.
BAM: Welche Probleme beziehungsweise Aufgaben sehen Sie
bei der anstehenden Reform?
Dielmann: Zentrale Fragen sind noch nicht geklärt, etwa zur
Gestaltung des Ausbildungsverhältnisses und zur Finanzierung
der Ausbildung. Wenn auch Schulen als alleinige Träger der Ausbildung infrage kommen, droht die Verschulung der Ausbildung.
Wie sollen die Schulen den ausbildungsrechtlichen Verpflichtun-
gen eines Arbeitgebers, zum Beispiel zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung nachkommen, wie die Einhaltung von Ausbildungszeiten im Betrieb überwachen und eine qualifizierte Praxisanleitung garantieren? Sollen Ausbildungstarifverträge mit Schulen verhandelt werden oder gleich mit den Kranken- und Pflegekassen? Durch die noch größere Zahl von Kurzeinsätzen in verschiedenen Einrichtungen droht die betriebliche Bindung verloren
zu gehen und die Mitbestimmung bleibt auf der Strecke. Am Ende
ist auch die Berufsfähigkeit der Ausbildung gefährdet, weil nicht
genügend Zeit ist, Routine in den Arbeitsabläufen zu entwickeln
und Verantwortung zu übernehmen.
BAM: Was muss sich aus Sicht der Gewerkschaften ändern, damit
eine Ausbildung in der Pflege für junge Menschen attraktiv ist?
Dielmann: Sie muss ohne zusätzliche Hürden – wie dem Abitur
als Voraussetzung und Schulgeldern – zugänglich sein und
Karrierewege eröffnen. Wichtig ist auch eine angemessene Ausbildungsvergütung, die tarifvertraglich festgelegt werden kann,
eigene Beiträge zur Sozialversicherung
und betriebliche Mitbestimmung. Auch
einheitliche Qualitätsstandards für die
Qualifizierung der Lehrkräfte und die
praktische Ausbildung sind erforderlich.
Dazu gehören unter anderem Ausbildungspläne für die Praxiseinsätze und
freigestellte, berufspädagogisch qualifizierte Ausbilderinnen und Ausbilder für
die Anleitung. Und dafür wiederum brauZur Person:
chen wir eine Personalausstattung in
Gerd Dielmann
den Gesundheits- und Pflegeeinrichtunist Diplom-Pädagoge und
gen, die Pflegearbeit nach den gelernten
Krankenpfleger. Er war
als Bereichsleiter BerufsStandards ermöglicht sowie eine angepolitik der Gewerkschaft
messene Bezahlung.
Fragen: Carola Bury
n Referentin für Gesundheitspolitik
ver.di in Berlin unter
anderem zuständig für
Pflegeberufe.
Pflegekräfte für morgen.
Zur Ausbildungsreform in den Pflegeberufen
❙ Diskussion mit Gerd Dielmann (ver.di)
Donnerstag, 21. Mai 2015, 18–20 Uhr,
im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen,
Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
Foto: Kay Herschelmann
Meilenstein in der Pflegeausbildung
für den Pflegenachwuchs. Die Ausbildungsvergütungen
steigen durchschnittlich um 20 Prozent‹, sagt Gewerkschaftssekretär Uwe Schmid, der zusammen mit seinem Kollegen David Matrai aus Hannover den Tarifvertrag verhandelt hat. ›Bislang wird der harte Wettbewerb unter den Pflegeanbietern auf dem Rücken der
Auszubildenden und der Beschäftigten ausgetragen‹,
so Uwe Schmid. ›Unser Ziel ist, diesen Tarifvertrag
für die Ausbildung im Land Bremen für allgemein verbindlich erklären zu lassen.‹ Das würde dazu führen,
dass auch Arbeitgeber, die nicht Mitglied des tarifabschließenden Arbeitgeberverbandes sind, sich an
den Tarif halten müssen.
Auch die in der Tarifgemeinschaft zusammengeschlossenen Arbeitgeber sehen einen Vorteil in dem
abgeschlossenen Tarifvertrag: ›Wir hoffen, dass die
Altenpflegeausbildung dadurch attraktiver wird und
die Altenpflege damit Anschluss an die Standards der
Krankenpflege gewinnt‹, so Vorstandsmitglied Martin
Böckmann, der die Tarifgemeinschaft Pflege auf
Arbeitgeberseite mit vertritt. Auch sie wollen die
Allgemeinverbindlichkeit, damit ihnen keine Nachteile
entstehen, wenn sie Tariflohn zahlen. Und sie hoffen,
dass weitere Arbeitgeber der Tarifgemeinschaft
beitreten.
Der Tarifvertrag für die Auszubildenden soll der
erste Schritt sein. Gewerkschaft und Tarifgemeinschaft verhandeln aktuell über ein Tarifwerk für die
Regelung der Entgelte und wesentlicher Arbeitsbedingungen
(Zuschläge, Urlaub, Jahressonderzahlung) für die Beschäftigten
in der ambulanten und stationären Pflege in Bremen. Auch hier
ist Ziel, durch Allgemeinverbindlichkeit einheitliche Bedingungen
zu schaffen, damit der Wettbewerb über die Qualität und nicht
zulasten der Arbeitskräfte stattfindet. Doch einen Tarifvertrag
bekommt man ›nicht geschenkt‹, er wird nur über eine starke
Gewerkschaft mit vielen Mitgliedern erreicht werden können.
›Eine gute Ausbildung beginnt mit einer tarifgerechten Vergütung und Tarifverträge sind ein erster Schritt gegen Lohndumping‹, so schätzt auch Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer
der Arbeitnehmerkammer Bremen, den Abschluss ein. Sein Fazit:
›Die Sozialpartner haben hier einen ersten Meilenstein erreicht.
Nur auf Basis eines Tarifvertrags wird auch eine volle Refinanzierung der Ausbildungskosten durch die Kostenträger möglich sein.
Wir hoffen zudem, dass das Land Bremen die Allgemeinverbindlichkeit erklärt und damit den Prozess unterstützt.‹
14 // wisoak: Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium
Politik: TTIP: Abkommen mit Risiken und Nebenwirkungen // 15
Steffen Gabriel
Referent für Wirtschaftspolitik bei der
Arbeitnehmerkammer
Arbeitnehmerrechte als Handelshemmnis?
TTIP: Abkommen mit Risiken
und Nebenwirkungen
Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie
und Physiotherapie startet
Durchlässigkeit zwischen
Ausbildung und Studium
Qualifizierte Gesundheitstherapeuten sind aufgrund des
demografischen Wandels und der sich abzeichnenden
Anpassungen in der Gesundheitsversorgung – hin zu mehr
Verantwortung außerhalb ärztlicher Leistungen – schon jetzt
Mangelware. Die Süddeutsche Zeitung titelte im April, dass
Gesundheitstherapeuten wie Physiotherapeuten und Logopäden auf Initiative von Gesundheitspolitikern mehr Verantwortung in der Gesundheitsversorgung übernehmen und
dafür auch besser vergütet werden sollen.
Ab Wintersemester 2015/16 startet an der Hochschule Bremen
der Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie und Physiotherapie. Voraussetzung für das Bachelorstudium ist die Grundausbildung in den Bereichen Logopädie und Physiotherapie.
Absolventen können dann innerhalb von drei Semestern an der
Hochschule Bremen den ersten akademischen Grad absolvieren
und ihre therapeutischen Fähigkeiten weiter wissenschaftlich
untermauern.
Mehr Verantwortung für die Therapeuten im Sinne der Gesundheitspolitik heißt etwa, die Diagnose und Verordnung für eine
Therapie selbstständig aufzustellen, die Therapie und ihre Überprüfung eigenverantwortlich durchzuführen. Die Therapeuten
werden in die Lage versetzt, medizinische Diagnostik in ihrer
Behandlungsplanung mit zu berücksichtigen. Die Gesundheitspolitiker legen dar, dass dadurch sowohl eine Qualitätsverbesserung
der Behandlungen als auch Einsparungen für das Gesundheitswesen zu erwarten seien. Die Verantwortlichkeiten für die Therapeuten steigen in dem Maße, wie ärztliche Leistungen entlastet
werden können.
Die Bremer Heimstiftung und die Wirtschafts- und Sozialakademie
als Träger der Schulen für Logopädie und Physiotherapie kooperieren mit der Hochschule Bremen, ein gemeinsames Curriculum
steht zur Verfügung. So sollen neue Wege in der Verbindung
von schulischer Berufsqualifikation und hochschulischer Berufsbefähigung beschritten werden. In den Schulen sind in die angepassten Curricula zum Beispiel Elemente wissenschaftlicher
Vorgehensweisen für die Praxis einbezogen. Die Hochschule entwickelt Projekte zum interdisziplinären forschenden Lernen in
der Therapie. So werden die Therapeutinnen und Therapeuten im
Gesundheitsbereich auf ihre schon jetzt anspruchsvolle Tätigkeit
nachhaltiger vorbereitet, um dann mit dem Mehr an Verantwortung kompetent umgehen zu können.
Ein Schwerpunkt im Studium in Bremen soll das interdisziplinäre Handeln der genannten Berufsgruppen unterstützen. Projekte
sollen ermöglichen, therapeutische Schwerpunktsetzungen professionsübergreifend zu diskutieren, umzusetzen und zu überprüfen. Dies allein schon wird sicher ein Gewinn für die Gesundheitsversorgung im Land Bremen darstellen. Das beschriebene Modell
zwischen den Partnern Hochschule und Berufsfachschulen in
Bremen im Rahmen der ›Offenen Hochschule‹ füllt somit eine
Lücke in der Qualifizierung der Gesundheitsfachberufe aus.
Vera Wanetschka
n Fachschule für Logopädie (Wirtschafts- und Sozialakademie)
❙ Informationen bei der Hochschule Bremen, Bereich Therapiewissenschaften (www.hs-bremen.de) oder bei der Schule für
Logopädie (www.schule-fuer-logopaedie.de).
So weitreichend und umfassend das transatlantische Freihandelsabkommen ist, so vielstimmig ist auch der Chor
der Kritiker. Verhandlungen im Geheimen, der Umgang mit
Umwelt- und Nahrungsmittelstandards oder auch der angedachte Investorenschutz sorgen für Diskussionsstoff. Doch
was bedeutet TTIP eigentlich für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer? Vier Fragen an Steffen Gabriel, Referent für
Wirtschaftspolitik bei der Arbeitnehmerkammer.
BAM: Mit dem Abkommen verbindet sich die Hoffnung, mehr
Waren und Dienstleistungen auf beiden Seiten absetzen zu können. Von steigendem Wachstum und mehr Beschäftigung haben
wir doch alle etwas?
Steffen Gabriel: Das wäre schön, blendet aber aus, dass wir
auch neue Wettbewerber und nicht nur neue Märkte bekommen.
Es wird eine neue Konkurrenzsituation entstehen und somit
Gewinner und Verlierer geben. Im Freihandelsabkommen wird eine
Vielzahl von Regelungen getroffen, es deckt unzählige Branchen
und Bereiche ab. Auswirkungen sind daher schwer abzuschätzen.
Die klassische Denkrichtung lautet: Der Handel steigt und damit
der Warenabsatz; auf diese Weise entsteht Wohlstand. Jedoch
nicht ohne Nebenwirkungen! Wenn wir bei steigendem Wettbewerbsdruck nicht auch die Arbeitnehmerrechte stärken, kommen
wir schnell in eine Spirale, in der Standards gesenkt werden, um
konkurrenzfähig bleiben zu können. Diesbezüglich ist im TTIP
bisher gar kein Konzept erkennbar. Wie sichern wir unsere sozialen Errungenschaften gegenüber einem solchen Wettbewerb?
BAM: Von welchen Wachstumseffekten gehen die TTIP-Befürworter aus?
Gabriel: Wir sprechen über verschiedene Handelshemmnisse,
die abgebaut werden sollen. Es gibt unterschiedlichste Vorschriften, Importquoten, Sicherheitstests oder Umweltstandards. Das
heißt, in ganz vielen verschiedenen Bereichen wird sich etwas
ändern. Daraus abzuleiten, welchen Effekt das auf den Handel
hat, halte ich für schwierig. Das, was bisher genannt wird, sind
knapp 550 Euro mehr für jeden Haushalt in Deutschland und
4,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum. Meiner Ansicht nach ist
das viel zu hoch gegriffen. Dass da etwas nicht stimmen kann,
sieht man auch daran, dass die EU-Kommission diese Zahlen
wieder von ihrer Internetseite gestrichen hat.
BAM: Und wovon geht man in Bezug auf die Beschäftigung aus?
Gabriel: Solche Prognosen sind ebenfalls schwierig. Beschäftigung würde immer dann entstehen, wenn Unternehmen mehr
Waren verkaufen, dafür die Produktion ausweiten und mehr Leute
einstellen. Nur tun sie das? Profitieren werden in der Regel größere Unternehmen, die exportieren und daher neue Märkte erschließen können. Diese müssen aber nicht zwingend Beschäftigung
aufbauen. Sie setzen in der Regel mehr Maschinen ein und haben
weniger Personalbedarf als kleinere Unternehmen. Schließlich
ist die Frage, welche Branche gewinnt, welche verliert. Ist es
eine personalintensive Branche, die gewinnt? Dann würden wir
Beschäftigung aufbauen. Gewinnt eine sehr automatisierte Branche, bauen wir auch keine Beschäftigung auf. Eine realistische
Rechnung geht deutschlandweit von circa 2.000 Beschäftigten
pro Jahr aus.
BAM: Schwierige Prognosen, schwer abschätzbare Risiken.
Ist das der Preis, der für TTIP zu zahlen ist?
Gabriel: Die sogenannten Handelshemmnisse sind nicht ohne
Grund eingerichtet worden. Man muss trennen zwischen technischen Normen und demokratisch ausgehandelten Rechten aus
den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte und vielem mehr. Fasst man beispielsweise Arbeitsschutz
oder betriebliche Mitbestimmung nur als Handelshemmnisse
auf, die abgesenkt oder abgeschafft werden sollen, berührt das
Kernbereiche unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses.
Was werten wir höher? Wollen wir die Zunahme von Handel und
wenn wir sie wollen, zu welchem Preis?
(hei)
❙ Ausführliche Informationen finden Sie in unserem ›Kammer-Info‹
zu TTIP: www.arbeitnehmerkammer.de/ttip
16 // Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹
Foto: Foto: Müttergenesungswerk
Gesundheit // 17
Medientipps
Service > Gesundheit
Für KammerCard-Inhaber ist
die BibCard ermäßigt!
Gesundheitsmaßnahmen für Mütter,
Väter und pflegende Angehörige
Akku leer?
Haupt, Peter n
Mach sie fertig!
Wie Sie endlich Ihre Arbeit
schaffen – anstatt Ihren Bürokram
zu managen
Linde, 2014, 150 Seiten
›Bürokram‹ nennt der Autor all die zeitraubenden Tätigkeiten, die nur dazu dienen, die eigentliche Arbeit zu verwalten. Wie man innerhalb von fünf Tagen seine persönlichen
Zeitfresser in den Griff bekommt, Probleme an der Wurzel
packt und eine Arbeit abschließend ›fertig macht‹, zeigt
der Organisationsexperte Peter Haupt in diesem leicht und
locker zu lesenden Motivationsratgeber. Dabei gibt der
Autor nur wenige konkrete Tipps und geht davon aus, dass
weder Seminare noch aufwendige Aktionen nötig sind,
um seine Zeitfresser zu eliminieren – Konsequenz und Zielstrebigkeit reichen seiner Erfahrung nach völlig aus.
Czichoschewski, Heiko n
Fit at work
Die besten Übungen für alle Berufe
Bruckmann, 2014, 141 Seiten
Der Rücken schmerzt, Schultern und Nacken sind nach
einem langen Arbeitstag verspannt? Der Ratgeber des Fitness-Experten Heiko Czichoschewski stellt praxiserprobte
und einfach durchzuführende Übungen am Arbeitsplatz,
für zwischendurch und für zu Hause vor. Die Übungen sind
überwiegend ohne Geräte durchzuführen und gliedern sich
in die Bereiche Lockerung und Mobilisation, Kräftigung,
Stabilität und Balance sowie Dehnung und Entspannung.
Hilfreiche Tipps helfen, die Übungen korrekt durchzuführen,
›Coaching-Tipps‹ geben zusätzliche Informationen.
Mit ergänzenden Übungen für einzelne Berufsgruppen
und vier Trainingsplänen.
Diese Medien können Sie in Ihrer Stadtbibliothek ausleihen.
9 x in Bremen:
Zentralbibliothek Am Wall • Huchting • Lesum • Osterholz
Vahr • Vegesack • West • Busbibliothek • Hemelingen
w w w . s t a d t b i b l i o t h e k - b r e m e n . d e
-Reihe ›Rechtsirrtümer‹
›Ich kann auch nach zwei Monaten
noch gegen die Kündigung durch
meinen Arbeitgeber vorgehen‹
Das stimmt nicht. Grundsätzlich haben Beschäftigte und Arbeitgeber das Recht, einen Arbeitsvertrag zu kündigen. Es gibt zwei
Arten der Kündigung: die außerordentliche aus wichtigem Grund
ohne Frist und die ordentliche unter Fristeinhaltung. Eine Kündigung muss immer schriftlich mit eigenhändiger Unterschrift erfolgen. Eine Kündigung per E-Mail gilt nicht. Sie muss persönlich
übergeben oder per Post zugestellt werden.
Wenn Sie Ihre Kündigung für nicht gerechtfertigt halten und
nicht hinnehmen wollen, müssen Sie eine Kündigungsschutzklage
beim Arbeitsgericht erheben. Hier gilt die Dreiwochenfrist – nach
Zugang der Kündigung. Nach Verstreichen der Frist ist die Kündigung in der Regel wirksam. Die Kündigungsschutzklage können
Sie über eine Gewerkschaft, einen Rechtsanwalt oder persönlich
bei der Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts einreichen.
Wenn Sie eine Kündigung erhalten haben und Sie diese für
nicht gerechtfertigt halten, kommen Sie schnellstmöglich in unsere Arbeitsrechtsberatung. Wir prüfen, ob eine Klage Erfolg verspricht.
Bei einer Klage vor dem Arbeitsgericht in erster Instanz zahlen
Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die
Anwaltshonorare selbst, egal wer gewinnt. Man kann sich allerdings auch selbst vertreten, bei Arbeitsrechtsprozessen gibt es
keinen Anwaltszwang. Außerdem werden Gerichtskosten fällig,
wenn ein Urteil ergeht, die der Verlierer trägt. Bei einem Vergleich zahlen beide Parteien jeweils die Hälfte. Ab der zweiten
Instanz trägt der Prozessverlierer alle Kosten. Die Gerichts- und
Anwaltskosten richten sich nach dem Streitwert, der vom Arbeitsgericht bestimmt wird.
(mol)
❙ Mitglieder der Arbeitnehmerkammer Bremen können sich
kostenlos zu arbeitsrechtlichen Fragen beraten lassen. Kontakt:
0421·36301-11 (Bremen) / 0471·92235-11 (Bremerhaven)
Sorgearbeit in Familien ist zwar auch heute noch hauptsächlich die Arbeit von Müttern. Doch zunehmend erziehen
und versorgen auch Väter ihre Kinder alleine. Zur Sorgearbeit gehört auch die Versorgung von pflegebedürftigen
Menschen.
Rund 70 Prozent von 2,5 Millionen werden zu Hause versorgt.
Mütter, Väter, Angehörige und Freunde tragen oft über viele Jahre
die hohen Belastungen – solange, bis sie vor Erschöpfung selbst
krank werden. Wenn die Kraftreserven aufgebraucht sind, können
Krankheiten entstehen. Häufige Infekte, Rücken- und Muskelerkrankungen, aber auch Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Erschöpfungszustände können Zeichen sein, dass die eigene Gesundheit
in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Daher hat das Müttergenesungswerk spezielle Maßnahmen für Pflegende und Väter
entwickelt, die auf den Erfahrungen der medizinischen Angebote
für Mütter aufbauen.
Kuren für Vater und Kind
Nach Angaben des Müttergenesungswerks sind rund 235.000
Väter kurbedürftig, das sind mehr als zehn Prozent der Väter,
die in ihrer Familie Haushalt- und Familienarbeit hauptverantwortlich tragen. Auch Vater-Kind-Kuren sind inzwischen Leistungen
der gesetzlichen Krankenkassen, wenn die psychischen und
physischen Belastungen im Zusammenhang mit der Sorgearbeit
stehen.
Bei Mutter-/Vater-Kind-Kuren muss ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden. Durchgeführt werden diese Maßnahmen in
eigens darauf spezialisierten Häusern. Sie bieten für Väter zum
Beispiel physikalische Anwendungen, Sport- und Bewegungsangebote und andere therapeutische Maßnahmen. Individuell erarbeitete Lösungsstrategien sollen helfen, Gesundheit, Kraft und Energie
auf Dauer zu behalten. Während der ärztlich verordneten Anwendungen werden die Kinder qualifiziert betreut. Die Freizeit verbringen Väter und Kinder gemeinsam.
Kurmaßnahmen für pflegende Frauen
Auch pflegende Frauen, die nicht Mütter sind, haben seit Inkrafttreten des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes die Möglichkeit, eine
Kurmaßnahme zu machen. Sie profitieren von der langjährigen
Erfahrung in den Mütterkliniken. Denn die Belastungen, die
während der Pflege eines Angehörigen entstehen, sind ähnlich
und können ebenso ähnliche Auswirkungen auf die Gesundheit
haben.
Erschwerend kommt für pflegende Angehörige oft hinzu, dass
nicht nur die eigene Rehamaßnahme beantragt werden muss,
sondern zugleich die häusliche Pflegesituation für die Zeit der Kur
gelöst wird. Neben organisatorischen Fragen zur Versorgung
sind die Kosten oft eine besondere Hürde.
Wenn Sie sich die Frage stellen, ob eine Kurmaßnahme die
richtige Hilfe bei Ihren gesundheitlichen Problemen ist, wenden
Sie sich an eine Beratungsstelle. Diese helfen Ihnen wohnortnah
bei der Klärung und einem möglichen Antrag.
Wir wünschen gute Gesundheit!
Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik
Service
❙ Um die Arbeit des Müttergenesungswerkes zu sichern und die Maßnahmen auch für Väter und pflegende Angehörige zu erweitern, wirbt das
Müttergenesungswerk um Spenden für die ›Zustiftung Sorgearbeit‹.
Informationen zu Kuren für Mütter und Väter und für pflegende Angehörige finden Sie unter www.muettergenesungswerk.de.
❙ Spezielle Maßnahmen für Familien bietet auch der Deutsche Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. (www.ak-familienhilfe.de).
Hinweise zur Beantragung:
Pflegende Frauen können, wenn sie Mütter sind, eine Kurmaßnahme
nach §§ 24 und 41 SGB V beantragen. Kurmaßnahmen für pflegende
Frauen, die nicht Mütter sind, sind nach §§ 23 und 40 SGB V geregelt.
❙ Eine Übersicht über die in Bremen und Bremerhaven tätigen Beratungsstellen finden Sie in unserem Info zu Mutter-/Vater-Kind-Kuren,
das Sie in deutscher oder russischer Sprache in allen Geschäftsstellen der Arbeitnehmerkammer erhalten oder kostenlos herunterladen können: www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen unter
›Infoblätter Gesundheit‹
18 // Aus der Beratung
Alles, was Recht ist // 19
Philipp Flunkert
Recht > Beratung
Service > Steuer
Aus der Beratung
Probearbeiten
kann teuer werden
Das jedenfalls gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld I, die
diese Probearbeit der Agentur für Arbeit nicht rechtzeitig
mitteilen. Im November vergangenen Jahres kam Wilhelm
Keller* zu mir in die Beratung. Die Agentur für Arbeit hatte
ihn aufgefordert, Arbeitslosengeld für einen Zeitraum
von fünf Wochen, also rund 1.350 Euro, zurückzuzahlen.
Herr Keller wollte, dass ich gegen diesen Bescheid vorgehe.
Ich musste ihm jedoch mitteilen, dass die Forderung der
Agentur für Arbeit berechtigt war. Was war passiert?
Herr Keller hatte im Juli 2014 seine Arbeitsstelle verloren und
bezog seitdem Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit. Im
September 2014 erhielt er über einen Bekannten das Angebot,
bei einem Garten- und Landschaftsbauunternehmen zunächst
befristet für eine Woche probeweise gegen Bezahlung zu arbeiten. So könne Herr Keller vielleicht wieder in eine dauerhafte
Beschäftigung gelangen. Herr Keller vermutete zuerst, dass
›Schwarzarbeit‹ gemeint war, was er auf keinen Fall wollte.
Er bestand darauf, dass das Unternehmen ihn anmeldet. Das
geschah auch. Herr Keller arbeitete eine Woche in Vollzeit
( 40 Stunden), erhielt dort aber trotzdem keinen weitergehenden
Arbeitsvertrag.
Im Rahmen eines turnusmäßigen Gesprächs über seine
Arbeitsbemühungen mit seinem Sachbearbeiter bei der Agentur
für Arbeit im Oktober 2014 erwähnte Herr Keller stolz, dass
er es sogar schon zu dem auf eine Woche befristeten Arbeiten
für den Garten- und Landschaftsbauer geschafft habe. Zwei
Wochen später erhielt Herr Keller den besagten Bescheid über
die Rückforderung von rund 1.350 Euro Arbeitslosengeld.
Dieser Bescheid war rechtmäßig.
Der Anspruch auf Arbeitslosengeld I setzt unter anderem
voraus, dass man beschäftigungslos ist und sich persönlich bei
der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Eine Beschäftigungslosigkeit in diesem Sinne liegt nicht (mehr) vor, wenn man
15 Wochenstunden oder mehr gegen Bezahlung arbeitet. Die
Um Betreuungskosten für unter 14-jährige Kinder steuerlich
geltend machen zu können, müssen verschiedene Bedingungen
erfüllt sein. Eine davon ist, dass eine entsprechende Rechnung
vorliegen muss, die unbar bezahlt worden ist, also etwa per
Überweisung.
Diese Vorschrift führt aber immer dann zu Problemen, wenn
das Kind durch Au-pairs oder Minijobberinnen oder -jobber betreut
wird.
Bisher hat sich lediglich das Finanzgericht Niedersachsen*
damit beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in
diesen Fällen auch eine Barzahlung anerkannt werden muss,
da die ordnungsgemäße Durchführung des Arbeitsverhältnisses
Wirkung einer einmal vorgenommenen persönlichen Arbeitslosmeldung erlischt, wenn man eine Beschäftigung aufnimmt.
In dem Augenblick also, in dem Herr Keller 15 Stunden für das
Garten- und Landschaftsbauunternehmen gearbeitet hatte, war
er nicht mehr beschäftigungslos und die Wirkung seiner persönlichen Arbeitslosmeldung war erloschen. Das Erlöschen dieser
Wirkung kann nur dadurch verhindert werden, dass man die
Arbeitsaufnahme der Agentur unverzüglich mitteilt. Das jedoch
hatte Herr Keller nicht getan. Er hatte geglaubt, dass ihm nichts
passieren könne, weil er ja offiziell angemeldet war. Dieser
›Irrtum‹ konnte ihn jedoch nicht schützen.
Die Folge war nun, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld
trotz der kurzen Beschäftigung von einer Woche solange nicht
bestand, bis Herr Keller sich wieder persönlich bei der Agentur
arbeitslos gemeldet hatte. Diese persönliche Arbeitslosmeldung
erfolgte erst mit dem Gespräch bei dem Sachbearbeiter fünf
Wochen später. Daher muss Herr Keller das Arbeitslosengeld für
die fünf Wochen erstatten.
*Name von der Redaktion geändert
Philipp Flunker t n Rechtsberater in Bremen-Nord
❙ Guter Rat ist teuer? Nicht für Sie als Kammer-Mitglied.
Die Beratung der Arbeitnehmerkammer informiert Sie in Fragen
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der Arbeitslosigkeit sowie bei Fragen des Insolvenz- und Steuerrechts. Wir beraten Sie persönlich, telefonisch, schriftlich
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Service > Recht
§
Foto: iStock ©diego cervo
Kinderbetreuung –
absetzbar auch
bei Barzahlung?
bereits durch entsprechende Arbeitsverträge nachgewiesen
wurde. Nun wird auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs
gewartet.
Um allen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollten
Eltern stets die unbare Zahlungsweise wählen.
* Urteil vom 20.03.2013 – 3 K 12356/12
Dagmar Pletz n Beraterin Steuerrecht in Bremerhaven
Service > Recht
Befristung eines Vertrags
wegen Vertretung muss
überprüfbar sein
Werbung mit eigenen
Mitarbeitern
Wird ein Arbeitsvertrag wegen der Vertretung eines Mitarbeiters
zeitlich befristet, muss die Vertretungskraft gerade wegen der
Verhinderung des anderen Mitarbeiters eingestellt sein. Dies gilt
auch, wenn einer oder mehrere andere Mitarbeiter den verhinderten Kollegen vertreten (›Kettenvertretung‹) und entsprechend für
den oder die Vertreter ein neuer Mitarbeiter befristet eingestellt
wird.
Dies hat das Bundesarbeitsgericht* entschieden: Auch bei
einer mittelbaren Vertretung müssen die Beschäftigten, die
die Kette bilden, die Arbeitsaufgaben des jeweils in der Kette
›voranstehenden‹ Kollegen übernommen haben. Fehlt hierbei auch
nur an einer Stelle der nachvollziehbare Zusammenhang, kann
der Arbeitsvertrag des neu eingestellten Mitarbeiters entfristet
werden.
* Urteil vom 06.11.2013 – 7 AZR 96/12
Die immer stärker werdende Präsenz von Unternehmen in den
sozialen Medien erfordert eine vermehrte fotografische Darstellung von Mitarbeitern. Zusätzlich werden Mitarbeiterfotos immer
häufiger für interne Zwecke benutzt. Doch nicht immer sind die
Abgebildeten damit einverstanden. Hier gilt, dass der Abgebildete
grundsätzlich ein Recht am eigenen Bild hat und für die Veröffentlichung seiner Fotos oder etwaiger Videoaufnahmen seine schriftliche Einwilligung erklären muss. Die schriftliche Einwilligungserklärung sollte von vornherein auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses begrenzt werden. Anderenfalls muss im Falle eines Widerrufs
durch den Mitarbeiter dieser regelmäßig einen plausiblen Grund
angeben.*
*Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2015 –
8 AZR 1011/13
§
Claudius Kaminiarz n Leiter Rechtsberatung und -politik
Mar tina Werlich n Rechtsberaterin in Bremen-Nord
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Arbeit und Politik
12 M a i
Endlich Urlaub!
Oder doch nicht?
Aus der Reihe ›Ihr Recht –
einfach erklärt‹.
18 bis 19.30 Uhr | Forum der
Geschäftsstelle Bremerhaven,
Barkhausenstraße 16,
27568 Bremerhaven
19
Mai
18 bis 19.30 Uhr |
Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen
21
Mai
Pflegekräfte für morgen
Zur Ausbildungsreform in den
Pflegeberufen.
18 bis 20 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
Kultur
15. April – 31. Mai 2015
20
Quartiersbezogene
Strategien für mehr Teilhabe
und Armutsprävention
Schlussfolgerungen aus dem
2. Armuts- und Reichtumsbericht
des Bremer Senats.
16 bis 19 Uhr | Arbeitnehmer-
›... alles andere können wir
uns kaufen.‹ – Der Maidan im
Frühjahr 2014
Fotografien von Sonja Och.
Eintritt frei. Öffnungszeiten:
Mo und Do 8–18.30 Uhr,
Fr 8–13 Uhr
Gespräche mit dem Teufel
Szenische Lesung und Konzert
mit dem Schauspieler Thomas
Sarbacher und dem Barockensemble Parnassi musici.
20 Uhr | Arbeitnehmerkammer,
kammer, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
| Galerie im Foyer, Arbeitnehmer-
03
04
Juni
Juni
Die Bremer Pflegeinitiative
gegen den Fachkräftemangel
Monitoringveranstaltung: Die
Bremer Pflegeinitiative stellt ihre
Ergebnisse zur Diskussion.
13 bis 17 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
Juni
Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
kammer Bremen, Bürgerstraße 1,
28195 Bremen
29. April – 29. Mai 2015
›day by day‹
09 M a i
von Rolf Giegold
Kültür-Heimatabend
Audiovisuelle Installation über
Anatolische Musik, die Wortden Lebens- und Arbeitsraum
schatzräuber-Geschichte
auf einer Forschungsstation in
und gut aufgelegter Orient-Pop.
der Antarktis.
20 Uhr | Arbeitnehmerkammer,
Eintritt frei. Öffnungszeiten:
Bürgerstraße 1,
Mo und Mi 8–18.30 Uhr, Di und
28195 Bremen
Do 8–16.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr
aus: ›... alles
andere können
wir uns kaufen.‹
Der Maidan im
Frühjahr 2014 –
Fotografien von
Sonja Och