Nummer 04 _ Mai 2015 Bremer Arbeitnehmer Magazin Informationen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Bremen und Bremerhaven Ulrich Fader, Vormann bei der DGzRS Seite 4 100 Tage Mindestlohn: Die Schlupflöcher der Arbeitgeber Seite 17 Gesundheit: Kuren für Mütter, Väter und pflegende Angehörige Inhalt 02 // Inhalt Editorial // 03 Themen Schwerpunkt: : 100 Tage Mindestlohn – Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern 04 – 07 // Politik 08 – 09 // 12 // 13 15 // // : Betriebsräte im Interview – ›Branchengespräche wären ein Anfang‹ : Bundesweit erster Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis : Veranstaltung zur Reform der Pflegeberufe : TTIP: Abkommen mit Risiken und Nebenwirkungen Aus der Arbeitnehmerkammer 10 – 11 // 16 Editorial : Arbeitsplatz Antarktis: day by day – eine audiovisuelle Installation : Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹ // wisoak 14 // : Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie und Physiotherapie startet Liebe Kolleginnen und Kollegen, Service die Zahl der Jugendlichen und jungen Menschen ohne Berufsabschluss bleibt im Land Bremen bedrückend hoch. Allein bei der Agentur für Arbeit waren Ende September fast 860 Bewerberinnen und Bewerber registriert, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Die Versorgungsengpässe auf dem Ausbildungsmarkt bleiben dramatisch, weil die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze nicht ausreicht und sogar weiter zurückgeht. Vielleicht haben Sie es gelesen: Im Land Bremen wird jetzt eine Jugendberufsagentur eingerichtet. Junge Menschen unter 25 Jahren sollen zu einem vollqualifizierenden Berufsabschluss geführt werden – durch eine passgenaue und individuelle Beratung unter einem Dach. Jeder junge Mensch soll das für ihn passende Angebot erhalten. Wir unterstützen die Jugendberufsagentur als Kooperationspartner und werden uns mit unseren Angeboten engagieren. 87 / G a l e r i e d e r A r b e i t s w e l t Ulrich Fader, 52 Jahre, ist erster Vormann bei der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) auf dem Seenotkreuzer Hermann Rudolf Meyer in Bremerhaven. Der Rang des Vormanns ist vergleichbar Gesundheit mit dem des Kapitäns. 17 // : Gesundheitsmaßnahmen für Mütter, Väter und pflegende Angehörige – Akku leer? Ulrich Fader arbeitet seit 32 Jahren bei der DGzRS und ist seit elf Jahren Vormann. Seine dreijährige Ausbildung hat der gebürtige Schwabe als Matrose bei der Reederei Hamburg Süd auf großer Fahrt absolviert, zuerst auf Mehrzweckfrachtern wie der Cap San Diego, dann auf Containerfrach- Aus der Beratung tern der Columbus Line. 18 // : Probearbeiten kann teuer werden Nach der Ausbildung hatte er Glück: Einem Freund wurde eine Stelle bei der DGzRS angeboten, dieser konnte aber nicht. Ulrich Fader ging für ihn zum Vorstellungsgespräch und bekam den Job. ›14 Jahre arbeitete ich als Rettungsmann, das war aber auf Dauer nicht genug, ich wollte das Alles, was Recht ist 19 // : Kinderbetreuung – absetzbar auch bei Barzahlung? : Befristung eines Vertrags wegen Vertretung muss überprüfbar sein : Werbung mit eigenen Mitarbeitern Patent machen.‹ Sechs Monate Ausbildung zum A-National Patent folgten, nach einem Jahr war Ulrich Fader ›Fahrender Dritter‹. Eine Fortbildung zur Erstversorgung auf See war obligatorisch, dazu kamen drei Wochen pro Jahr Weiterbildungen. In über 80 Einsätzen im vergangenen Jahr haben die Seenotretter in Bremerhaven über 120 Menschen gerettet. Zu den außergewöhnlichen Rettungsleistungen gehört auch immer wieder das Retten von Heulern, 20 // Veranstaltungen den Seehundjungtieren, und der Muttertiere. ›Vor einigen Jahren mussten wir auch mal einen Walfisch einschleppen, der Kadaver drohte ins Hauptfahrwasser einzutreiben, nun hängt das Skelett im Schifffahrtsmuseum.‹ Impressum Herausgeber_ Arbeitnehmerkammer Bremen Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen / Telefon 04 21· 363 01- 0 / Fax 04 21·363 01- 89 Internet_ www.arbeitnehmerkammer.de E-Mail_ [email protected] Autoren/Autorinnen_ Janet Binder (bin) / Carola Bury / Jörg Hendrik Hein (hei) / Elke Heyduck / Philipp Flunkert / Claudius Kaminiarz / Hanna Mollenhauer (mol) / Dagmar Pletz / Vera Wanetschka / Martina Werlich Redaktion_ Nathalie Sander (san) (V.i.S.d.P.) Hanna Mollenhauer (mol) Lektorat_ Martina Kedenburg Fotos_ Kay Michalak (Titel), Kay Michalak, Kay Herschelmann, Michael Bahlo, Müttergenesungswerk, istockphoto.com Layout_ Designbüro Möhlenkamp & Schuldt Druck_ Müller Ditzen AG, Bremerhaven Erscheint zu Beginn und in der Mitte eines Quartals. Einzelverkaufspreis 2 Euro, Jahresabonnement 15 Euro, für Kammerzugehörige im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1614-5747, Postvertriebs-Nummer H 43672 Ein großes Problem bleibt aber der Ausbau des Ausbildungsangebots, denn auch die Jugendberufsagentur kann keine Ausbildungsplätze schaffen. Vor allem die Betriebe müssen deshalb ihr Engagement bei der Ausbildung erhöhen und eine ausreichende Zahl an Ausbildungsplätzen zur Verfügung stellen. Ihr Peter Kruse Präsident der Arbeitnehmerkammer Bremen 04 // Schwerpunkt: Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern // 05 Wird die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwartet der Arbeitgeber oftmals trotzdem die bisherige Arbeitsleistung – nur unbezahlt. 100 Tage Mindestlohn Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern Seit dem 1. Januar 2015 gilt das Mindestlohngesetz: Betriebe müssen ihren Beschäftigten mindestens 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Doch es gibt immer wieder Versuche von Arbeitgebern, dies zu umgehen, wie eine erste Bilanz unserer Rechtsberatung zeigt. tung ließen sich in diesen drei Monaten insgesamt 1.800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beraten. Das waren 7,4 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das deutliche Plus sei auch durch die Einführung des Mindestlohns zu erklären, sagt Kaminiarz. Die junge Frau, die sich an die Arbeitnehmerkammer Bremen Arbeitszeit muss dokumentiert werden Den größten Beratungsbedarf zum Mindestlohn hatten Beschäftigwandte, hatte schon das Gefühl, dass mit ihrem Vertrag etwas te aus der Gastronomie und dem Einzelhandel. ›Es gab Fälle, bei nicht stimmte: Sie machte ein mehrmonatiges Praktikum in der denen das Trinkgeld auf den Lohn angerechnet wurde, um so den Tourismusbranche und bekam dafür kein Geld. ›Die klassische Mindestlohn zu erzielen.‹ Dabei handelt es sich um eindeutige Generation Praktikum‹, sagt der Leiter der Rechtsberatung, Rechtsverstöße, wie Kaminiarz betont. Bei anderen fiel der bisher Claudius Kaminiarz. Laut Mindestlohngesetz ist ein freiwilliges gezahlte Sonn- und Feiertagszuschlag plötzlich weg. Oder ArbeitPraktikum nach Studium oder Berufsausbildung ab dem ersten geber reduzierten formell die Arbeitszeit, um so bei gleichbleiTag der Beschäftigung mit mindestens 8,50 Euro pro Stunde bendem Monatsentgelt auf mindestens 8,50 Euro pro Stunde zu zu vergüten. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte Pflicht- oder kommen. Doch auch das ist nicht erlaubt. Orientierungspraktika. Für die Rat suchende Frau ›Ein Arbeitgeber kann nicht einseitig trafen die Ausnahmeregelungen nicht zu. eine Stundenreduzierung anordnen. Einer ›Wir haben ihr geraten, ihren Lohn geltend zu ›Es gab Fälle, bei denen Vertragsänderung müssen beide Seiten machen‹, sagt Kaminiarz. das Trinkgeld auf den Lohn zustimmen‹, so Kaminiarz. Die junge Praktikantin war eine von rund Rechtlich möglich sei dagegen eine 90 Beschäftigten, die sich vom 1. Januar bis angerechnet wurde, um so Änderungskündigung. ›Dann kann der 31. März 2015 in einer der drei Geschäftsstellen den Mindestlohn zu erzielen.‹ Arbeitnehmer entscheiden: Nehme ich die der Arbeitnehmerkammer über das neue Mindestneuen Arbeitsbedingungen an oder nicht?‹ lohngesetz informiert haben. Zum Thema Vergü- Er rät betroffenen Beschäftigten, den Vertrag in der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer vor dem Unterschreiben überprüfen zu lassen. Wer mit dem neuen Arbeitsvertrag nicht einverstanden ist, kann gegen die Kündigung des alten klagen. Wird die Arbeitszeit wegen des Mindestlohns einseitig reduziert, erwartet der Arbeitgeber oftmals trotzdem die bisherige Arbeitsleistung – nur unbezahlt. ›Deshalb sind die Dokumentationspflicht über die Arbeitszeit und die Kontrolle auch besonders wichtig‹, betont Kaminiarz. Die Dokumentationspflicht stand von Anfang an bei Arbeitgebern wegen des angeblich großen Aufwands in der Kritik – von einem ›Bürokratie-Monster‹ ist die Rede. Fakt ist: Seit Jahresanfang müssen die Arbeitszeiten von allen geringfügig Beschäftigten unabhängig von der Branche dokumentiert werden. Eine Ausnahme gibt es nur bei Minijobbern in Privathaushalten. Zudem gilt die Dokumentationspflicht in allen Branchen, in denen die Schwarzarbeit am größten ist – etwa im Baugewerbe und in der Gastronomie. Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände fordern von der Politik, das Mindestlohngesetz zu überarbeiten und die Dokumentationspflicht zu lockern. 200 Überstunden ohne Belege ›Die Kritik der Arbeitgeber ist unseriös‹, sagt Rainer Kuhn, Geschäftsführer der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in Bremen. Schließlich habe es auch schon vor dem Mindestlohn eine Dokumentationspflicht gegeben. Diese sei nun nur verschärft worden. Es sei zu befürchten, dass hinter der Forderung der Wunsch steht, den Mindestlohn zu umgehen. Auch Dieter Nickel, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Bremen, kann die Kritik der Arbeitgeber am Bürokratieaufwand nicht nachvollziehen. Über soziale Medien verbreitete die Gewerkschaft ein Formular, das auf ironische Weise zeigen sollte, wie einfach die Arbeitszeiterfassung erledigt werden könnte. Auch er glaubt, dass manche Arbeitgeber die Arbeitszeit gar nicht dokumentieren wollen. ›Es kommen Leute zu uns, die sagen, sie bekommen ihre 200 Überstunden nicht bezahlt. Wenn wir dann nach den Belegen fragen, gibt es die nicht‹, sagt Nickel. ›Das ist ein gängiges Problem.‹ Dabei könnte es so einfach sein, wie ein Fall aus der Rechtsberatung der Arbeitnehmerkammer zeigt: ›Zu uns kam ein Mitarbeiter eines Schlachthofs, dessen Arbeitgeber ihn dazu aufgefordert hatte, selbst seine Arbeitszeiten aufzuschreiben‹, berichtet Kaminiarz. Der Arbeitgeber halte sich so an das Gesetz, entlaste sich selbst und zeige Vertrauen zum Arbeitnehmer. ›Das ist zu begrüßen‹, betont der Leiter der Rechtsberatung. Holprige Umsetzung des Mindestlohns Andere Unternehmen machten sich dagegen nicht einmal die Mühe, die Nichteinhaltung des Mindestlohns zu vertuschen. ›Es gibt tatsächlich Firmen, die sich weigern, den Mindestlohn zu zahlen‹, musste Kaminiarz feststellen. Sein bisheriges Fazit lautet deshalb: ›Die Umsetzung des Mindestlohns erfolgt holprig.‹ Deshalb bleibt die Arbeitnehmerkammer am Ball; auch weiterhin soll die Rechtsberatung zum Mindestlohn ausgewertet werden. ›Erst nach einem Jahr kann man genaue Aussagen dazu treffen, wie sich das Thema und die Fallzahlen entwickeln.‹ Auch die zentrale Hotline des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zum Mindestlohn wird weitergeführt – und nicht wie geplant nach drei Monaten beendet. ›Der Informationsbedarf war so hoch, dass wir verlängert haben‹, sagt eine DGB-Sprecherin in Berlin. Viele Minijobber und Praktikanten, aber auch Arbeitgeber hätten sich bisher über den Mindestlohn anonym informiert. Zahlreiche Beschäftigte berichteten von Versuchen des Arbeitgebers, den Mindestlohn zu umgehen. ›Das geht über Einzelfälle hinaus‹, betont die Sprecherin. Das bestätigt auch eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der Gewerkschaft: Mit 18 Prozent gab fast jeder fünfte Befragte an, bereits Erfahrungen mit solchen Tricks gemacht zu haben – entweder, weil er selbst davon betroffen war oder aber betroffene Beschäftigte kennt. ›› 06 // Schwerpunkt: Arbeitgeber suchen nach Schlupflöchern Sauna-Gutscheine statt Entgelt und dadurch überhaupt erst Schlupflöcher ermögliche, sagt sie. So gilt für Zeitungszusteller vorerst nur ein reduzierter Mindestlohn von 6,37 Euro. ›Diese Ausnahme ist schon ärgerlich genug und diskriminiert eine ganze Gruppe von Beschäftigten‹, meint Geraedts. Tatsächlich dürften die meisten Austräger dennoch Anspruch auf die vollen 8,50 Euro haben, weil sie mit den Zeitungen auch Werbeprospekte in die Briefkästen steckten. ›Aber welcher Zeitungszusteller wird das wissen?‹, fragt die Referentin. Die Einfälle der Arbeitgeber kennen offenbar keine Grenzen, wie die Anrufe bei der DGB-Hotline zeigen: Als Teil des zustehenden Lohns wurden Mitarbeitern im Sonnenstudio Solarium-Gutscheine und Beschäftigten in einer Sauna Sauna-Gutscheine überreicht. Eine Arbeitnehmerin in einem Nagelstudio wurde nur für die Zeit bezahlt, in der sie auch Kunden betreute. Manche Gastronomen oder Friseure lassen ihre Mitarbeiter gar als Selbstständige für sich arbeiten. ›Früher oder später werden sich die Arbeitsgerichte mit dem Thema beschäftigen‹, ist sich die Sprecherin sicher. Der Zoll kontrolliert Von ähnlichen Fällen kann auch Dieter Nickel berichten: ›Ein Kontrolliert wird die Einhaltung des Mindestlohns von der FinanzFrührentner, der als Busfahrer Schüler fährt, sollte nur dann kontrolle Schwarzarbeit des Hauptzollamts Bremen. Die derzeit bezahlt werden, wenn der Bus auch besetzt ist.‹ Ähnliche Proble92 Fahnder überprüfen vor allem in Branchen, die auch bisher me habe es aber auch schon vor der Einführung des Mindestschon im Fokus standen, weil sie besonders von Schwarzarbeit lohngesetzes gegeben. ›In Bäckereien wird und Missbrauch betroffen sind: Bau, Gebäugerne die Vorbereitungszeit vor der Geschäftsdereinigung, Sicherheitsdienstleistungen und ›Vor Ort befragen die Kollegen Pflege, aber auch Gaststätten und Personenöffnung unter den Tisch fallen gelassen.‹ Die zunehmenden Probleme mit der Arbeitszeit spiebeförderung. ›Vor Ort befragen die Kollegen die Arbeitnehmer und übergeln sich auch in der Rechtsberatung der Arbeitdie Arbeitnehmer und überprüfen anschlieprüfen anschließend diese nehmerkammer wider. Zu dem Thema informierßend diese Aussagen anhand der Geschäftsten sich im ersten Quartal 2015 461 Beschäftigunterlagen des Arbeitgebers‹, sagt der Aussagen anhand der Sprecher des Hauptzollamtes, Volker von te. Das waren 14,4 Prozent mehr als im gleiGeschäftsunterlagen des Maurich. Zahlen dazu, wie viele Verstöße der chen Zeitraum ein Jahr zuvor. Der Grund dafür Arbeitgebers.‹ Zoll bereits aufdeckte, gibt es noch nicht. sei indirekt auch auf den Mindestlohn zurückzuMit Bußgeldern müssen die betroffenen führen, sagt Kaminiarz. Denn durch die DiskusBetriebe zunächst noch nicht rechnen: sionen darüber sei vielen Beschäftigten erst klar ›Aufklärung geht vor Ahndung‹ heißt die Devise des Zolls. In der geworden, dass sie oftmals gar nicht ihre volle Arbeitszeit Einführungsphase des Mindestlohns gebe es noch viel Unsichervergütet bekommen. ›Die Handhabung der Arbeitszeit entspricht heit mit den neuen Vorschriften, begründet von Maurich. Doch nicht immer den geltenden Gesetzen‹, betont Kaminiarz. jede Schonfrist ist irgendwann einmal vorbei: Bis 2019 werden Ähnliches gilt für den Mindestlohn. Regine Geraedts, Referentin für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, ist sich sicher, bundesweit 1.600 zusätzliche Kontrolleure berufen, um Zuwiderdass Juristen in der nächsten Zeit in vielfältiger Weise mit der handlungen konsequent zu ahnden. Wie viele davon im HauptKreativität von einigen Arbeitgebern konfrontiert werden. Dazu zollamt Bremen eingesetzt werden, war zunächst noch nicht komme, dass das Gesetz an manchen Stellen unklar bleibe bekannt. // 07 Regine Geraedts befürchtet allerdings, dass es auch mit der Aufstockung nicht genügend Fahnder geben wird, um eine gute Kontrolldichte zu erreichen. ›Am Ende wird es vor allem von der individuellen Durchsetzungskraft der Einzelnen abhängen, ob sie ihr Recht auf einen Mindestlohn wahren können‹, ist sich Geraedts sicher. ›Und das ausgerechnet in Bereichen, in denen die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ohnehin oft einen schweren Stand haben.‹ Sie fordert deshalb, einen kollektiven Rechtsschutz ins Arbeitsrecht einzuführen. Die meisten europäischen Rechtsordnungen hätten neben einem gesetzlichen Mindestlohn auch längst Verbandsklagerechte der Gewerkschaften. Das helfe, gesetzlich verbriefte Schutzrechte durchzusetzen, ohne dass Einzelne dafür Nachteile in Kauf nehmen müssten. 30 Cent mehr: Der Landesmindestlohn Der jüngste Bericht der Sonderkommission Mindestlohn zeigt: Vor allem im Baugewerbe gibt es schwarze Schafe, die bei öffentlichen Aufträgen den Landesmindestlohn nicht zahlen, obwohl sie dazu verpflichtet sind. Als erstes Bundesland hat Bremen 2012 den Landesmindestlohn eingeführt. Seitdem gilt: Bei öffentlichen Aufträgen für Bauarbeiten oder Dienstleistungen müssen private Unternehmen wie Baufirmen, Gebäudereiniger, Fahrdienste oder Grünflächenpfleger ihren Beschäftigten den Landesmindestlohn zahlen. Der liegt nach einer Erhöhung seit November 2014 bei 8,80 Euro – also 30 Cent höher als der allgemeingültige Mindestlohn. Ob diese Auflage von den Firmen auch eingehalten wird, überprüft eine beim Wirtschaftssenator eingerichtete Sonderkommission in Stichproben. Wie wichtig die Kontrolle ist, zeigt der jüngste Bericht der Soko: Von März 2013 bis Ende Februar 2015 konnte sie bei 116 abgeschlossenen Überprüfungen 19 Vertragsverletzungen nachweisen. Die von der Soko empfohlenen Sanktionen wurden in 16 Fällen umgesetzt. Alle Mindestlohnverstöße betrafen das Baugewerbe. Die Soko kündigte daher an, auch künftig auf diese Branche einen besonderen Schwerpunkt ihrer Kontrollen zu legen. Einen der größten Verstöße deckte die Soko beim Teilersatzneubau des Klinikums Bremen-Mitte auf: Dort wurden von einem Nachunternehmer eines anderen Auftragnehmers zwölf Mitarbeiter eingesetzt, die den Baumindestlohn nicht erhielten. Die Folge war eine Vertragsstrafe von 465.000 Euro sowie eine Vergabesperre von 15 Monaten. Bei der Grundsanierung des Bürgerhauses Vegesack Beratung Mindestlohn-Check Nutzen Sie unseren Mindestlohn-Check: In unserer Rechtsberatung prüfen wir gerne, ob die für Sie geltenden Mindestlohnbestimmungen eingehalten sind. Neben Ihrer Gehaltsabrechnung benötigen wir Ihre Arbeitsvertragsunterlagen, sofern nicht ein mündlicher Arbeitsvertrag vorliegt. Persönliche Beratung (ohne Termin) ❙ Bremen-Stadt und Bremerhaven Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag: Montag und Mittwoch: ❙ Bremen-Nord Montag, Dienstag, Donnerstag, Freitag: Montag und Donnerstag: ❙ Weitere Termine nach Vereinbarung: Bremen: Telefon 0421 36301-29 Bremerhaven: Telefon 0471 92235-40 Bremen-Nord: Telefon 0421 66950-0 9 bis 12 Uhr 14 bis 18 Uhr 9 bis 12 Uhr 14 bis 18 Uhr wurde von einem Auftragnehmer ein Beschäftigter eingesetzt, der ebenfalls den Baumindestlohn nicht erhielt. Zudem wurden fünf Einzelunternehmer angetroffen, die nach der Überzeugung der Soko nicht selbstständig, sondern als Arbeitnehmer tätig waren. Es wurden eine Vertragsstrafe von 31.500 Euro und eine Vergabesperre von neun Monaten verhängt. Auch der Neubau der Arbeitnehmerkammer in Bremerhaven zog eine Vertragsstrafe für einen Bauunternehmer nach sich. Die Firma hatte zwar – wie üblich bei öffentlichen Aufträgen – die Mindestlohnerklärung für sich und die von ihr beauftragen Subunternehmer unterschrieben. Aber auch nach wiederholter Aufforderung legte sie keine prüffähigen Unterlagen für zwei eigene Beschäftigte und für einen Mitarbeiter eines Subunternehmers vor. Auf Empfehlung der Soko Mindestlohn verhängte die Arbeitnehmerkammer daraufhin eine Vertragsstrafe über 4.400 Euro. Zudem wurde eine Vergabesperre von einem halben Jahr ausgesprochen. Der Mindestlohn gilt für alle Beschäftigten Ob Minijobber, Saisonkräfte oder Teilzeitbeschäftigte – der bundesweite Mindestlohn von derzeit 8,50 Euro gilt für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer. Ausnahmen gelten für Minderjährige, Auszubildende, Ehrenamtliche sowie bestimmte Langzeitarbeitslose und Praktikanten. Für einen Übergangszeitraum von maximal zwei Jahren sind noch weitere Ausnahmen vom Mindestlohn möglich – etwa dort, wo Branchenmindestlöhne gezahlt werden. In mehreren Niedriglohn-Branchen werden deshalb auch jetzt noch weniger als 8,50 Euro gezahlt: etwa in der Land- und Forstwirtschaft mit dem Gartenbau, in der Fleischindustrie, im Friseurhandwerk sowie bei den Zeitungszustellern und Zeitarbeitern. Spätestens ab dem 1.1.2018 gilt dann aber für alle Branchen der gesetzliche Mindestlohn, wenn er denn höher ist als der Branchenmindestlohn. Der Mindestlohn wird dann voraussichtlich auch schon mehr als 8,50 Euro betragen, weil er alle zwei Jahre überprüft und angepasst wird. (bin) 08 // Politik: Betriebsräte im Interview // 09 im Gespräch (v.l.n.r.) Daniel Müller (Betriebsratsvorsitzender der Lloyd Werft in Bremerhaven), Elke Heyduck (Geschäftsführerin Arbeitnehmerkammer), Petra Coordes (Betriebsrätin bei Karstadt Bremerhaven). chendialog mit dem Einzelhandel zu Tarifflucht oder zur Zunahme von Minijobs und Werkverträgen aus eurer Sicht sinnvoll? Coordes: Branchendialoge finde ich sinnvoll, weil hier die Probleme benannt werden und sozusagen erstmals ›das Tageslicht‹ erblicken. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sitzen sich ja sonst nur in Tarifrunden gegenüber und können über problematische Entwicklungen sprechen, aber hier sind dann auch nur die tarifgebundenen Betriebe beteiligt. Es muss ja gerade gelingen, mit denen ins Gespräch zu kommen, die Tariflucht begehen. Allerdings sollten solche Dialoge immer auch mit Beteiligung der Betriebsräte geführt werden. Politik sollte in Zusammenarbeit mit den Verbänden zu solchen Dialogen einladen, das wäre immerhin ein erster Schritt. Interview mit Daniel Müller Interview mit Petra Coordes Betriebsräte im Interview ›› BAM: Petra Coordes, wie sieht es aus mit Karstadt in Bremer- ›Branchengespräche wären ein Anfang‹ Unsere zweite Veranstaltung zu Guter Arbeit zeigt, was Bundesländer tun können. Gute Arbeit – welche Spielräume haben die Bundesländer bei diesem Thema eigentlich? Das war die Frage, die wir im Rahmen zweier Veranstaltungen gestellt haben. Auch wenn der Bund in vielen Fragen die Weichen stellt: Die Bundesländer können vieles tun, um schlecht bezahlte und prekäre Arbeit zurückzudrängen. Ging es in der ersten Veranstaltung mit Wirtschaftsminister Olaf Lies um die Zusammenarbeit zwischen Bremen und Niedersachsen, so stand in der zweiten Veranstaltung das Land Nordrhein-Westfalen im Zentrum. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft berichtete von der Initiative ›Nordrhein-Westfalen – Land der fairen Arbeit‹, in dem zahlreiche Projekte gestartet, Unterstützungsangebote geschaffen und Initiativen für faire Arbeit ergriffen wurden. Weitere Veranstaltungen mit Vertretern aus Thüringen und dem Saarland sind geplant. Wir nutzten die Veranstaltung, an der auch Bürgermeister Jens Böhrnsen teilnahm, um verschiedene ›Problemzonen‹ des Bremer Arbeitsmarktes anzusprechen. Dazu gehört zum Beispiel der Einzelhandel, der sich zu einer reinen Niedriglohnbranche zu entwickeln droht. Was passieren muss, schildert Petra Coordes, Betriebsrätin bei Karstadt Bremerhaven, im Interview. Hauptsächlich Männer arbeiten auf der Lloyd Werft in Bremerhaven. Das Instrument der Werkverträge, eigentlich ein ›ganz normales‹ Alltagsinstrument für spezialisierte Aufgaben, wird mehr und mehr eingesetzt, um auch bisherige Kernaufgaben von Unternehmen billiger erledigen zu lassen. Bislang haben Betriebsräte beim Einsatz von Werkvertragsunternehmen nichts mitzuentscheiden. Daniel Müller, Betriebsratsvorsitzender der Lloyd Werft in Bremerhaven schildert im Interview die Situation auf der Werft. haven? Der Konzern plant große Veränderungen und auch Personalabbau. Einzelne Standorte sollen ganz geschlossen werden. Petra Coordes: Es ist uns zwar gelungen, den Personalabbau auf Konzernebene und auch in der Filiale zu reduzieren, dennoch gibt es Kollegen, die sowohl vom Abbau als auch von veränderten Arbeitsbedingungen betroffen sind. Das ist für die, die ja viele Jahre auf Urlaubsgeld, Sonderzahlungen und sonstige tarifliche Leistungen verzichtet haben, sehr bitter. Für uns bleibt eine Frage offen. Was hat unser Eigentümer mit dem Konzern eigentlich vor? Im Rahmen der Tarifverhandlungen hat die Unternehmensleitung gerade bekannt gegeben, dass sie für keines der 81 Warenhäuser eine Standortsicherung gibt. Im Gegenteil: 28 Häuser sind für sie sogenannte Fokusfilialen und könnten in den nächsten Monaten geschlossen werden. BAM: Vor welche Probleme stellt euch das als Betriebsrat? Coordes: Betriebsräte können betriebsbedingte Kündigungen nicht verhindern, das Betriebsverfassungsgesetz eröffnet diese Möglichkeit nicht. Wir können, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, widersprechen und so den Kollegen die Chance auf Klage und Weiterbeschäftigung eröffnen. Dies muss, denke ich, einmal deutlich gemacht werden, weil natürlich der Erwartungsdruck vieler Kollegen auf die Betriebsräte sehr groß ist. Wir haben versucht, den Personalabbau so sozialverträglich wie möglich zu gestalten und Widersprüche gegen anstehende Kündigungen formuliert. Kämpfen muss man immer. Die Arbeit als Betriebsrat bei Karstadt zerrt an den Nerven. BAM: Welche Möglichkeiten siehst du seitens der Politik, euch zu unterstützen? Coordes: Die Politik sollte die Entwicklung im Bereich Einzelhandel sehr genau betrachten – er ist für Bremen so bedeutend wie für den Bund und: Er beschäftigte sehr sehr viele Frauen! Wir brauchen vernünftige Einzelhandelsentwicklungskonzepte, die Ansiedelungen gezielt steuern und wir brauchen faire Wettbewerbsbedingungen für die Unternehmen am Markt. Es kann nicht sein, dass immer mehr Betriebe Tarifflucht begehen, sich damit Wettbewerbsvorteile sichern und das Ganze dann auf dem Rücken der Beschäftigten austragen. Die Politik muss einfach hinschauen und hinschauen wollen. BAM: Die Arbeitnehmerkammer hat vorgeschlagen, Branchendialoge zu führen zwischen Politik und Unternehmen, in denen bestimmte Probleme überhandnehmen. Wäre ein solcher Bran- ›› BAM: Daniel Müller, wie viele Beschäftigte gibt es auf der Werft und wie viele Menschen arbeiten dort als Werkvertragsnehmer beziehungsweise Subunternehmen? Daniel Müller: Wir sind aktuell 403 Kolleginnen und Kollegen auf der Werft, davon 36 Auszubildende. Die Anzahl der Beschäftigten in Werkverträgen schwankt je nach Auftragslage sehr stark. Aktuell haben wir 260 Beschäftigte in Werkverträgen auf der Werft, letztes Jahr hatten wir durchschnittlich über 500, in den Spitzenmonaten bis zu 1.000 Beschäftigte in Werkverträgen. BAM: Vor welche Probleme stellt euch das als Betriebsrat? Müller: Es gibt verschiedene Probleme. Es existiert leider eine Drei-Klassen-Einteilung, Stammbelegschaft, Leiharbeitnehmer und dann die Beschäftigten in Werkverträgen in einer Art Grauzone. Die Informations- und Mitbestimmungsrechte sind begrenzt. Es besteht die Gefahr von Lohndumping, Arbeitsausbeutung und Umgehung von Arbeitnehmerrechten und sozialen Mindeststandards, wie Mindestlohn etc. Die Beschäftigten in Werkverträgen sind auch mobile Beschäftigte zumeist aus osteuropäischen Ländern, die keine Sprach- und Rechtskenntnisse haben. Dadurch wird ein möglicher Missbrauch von Werkverträgen zusätzlich begünstigt. BAM: Welche Möglichkeiten siehst du seitens der Politik, euch zu unterstützen? Müller: Die Betriebsräte benötigen unbedingt mehr Informationsund Mitbestimmungsrechte bei der Vergabe und Kontrolle der Werkverträge. Wir müssen von der Unternehmensleitung unterrichtet werden über das gesamte Personal im Betrieb, über Verträge, die Einsatzdauer und so weiter. Wir brauchen auch die Mitbestimmung im Arbeits- und Gesundheitsschutz für Werkvertragsnehmer. Das Betriebsverfassungsgesetz sollte dahin gehend geändert werden, dass wir als Betriebsrat für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der Werft zuständig sind. Werkverträge sollten stärker reguliert werden. Kontrollen vom Zoll (Finanzkontrolle Schwarzarbeit) und Gewerbeaufsichtsamt müssen ausgeweitet werden, dazu ist sicherlich eine deutliche Personalaufstockung notwendig. Die Auftraggeberhaftung sollte ausgeweitet werden, ähnlich wie beim Mindestlohn. Es ist notwendig, eine mehrsprachige Beratungsstelle für mobile Beschäftigte einzurichten, um arbeits- und sozialrechtlich zu unterstützen. Zusammen mit einer Beratungsstelle könnte der Betriebsrat Missbräuche aufdecken und angehen. Ich denke, das Thema Werkverträge ist in der Politik angekommen. Jetzt müssen Verbesserungen und Lösungen für die bekannten Problematiken gefunden und umgesetzt werden. BAM: Die Arbeitnehmerkammer hat vorgeschlagen, Branchendialoge zu führen zwischen Politik und Unternehmen, in denen bestimmte Probleme überhandnehmen. Wäre ein solcher Branchendialog mit den Werften zum Thema Werkverträge aus eurer Sicht sinnvoll? Müller: Ein Branchendialog wäre sehr sinnvoll. Das Thema Werkverträge muss weiter fokussiert werden. Ich vermisse manchmal die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit der Unternehmer bei dem Thema. Der Branchendialog muss um Betriebsräte und Gewerkschaft erweitert werden. Fragen: Elke Heyduck n Geschäftsführerin und Leitung Politikberatung Die Arbeitnehmerkammer im Gepräch mit der Politik Im Rahmen der Fraktionsvorsitzendenkonferenz von DIE LINKE in Bremen im April stand auch ein Austausch mit der Arbeitnehmerkammer zum Thema Armut auf dem Programm. Die Vorsitzenden der Bundestags- und Landtagsfraktionen waren an einer Einschätzung der Kammer interessiert, wie der zunehmenden Armutsgefährdung entgegengewirkt werden kann (v.l.n.r.): Ingo Schierenbeck (Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer), Gregor Gysi (Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag), Kristina Vogt (Vorsitzende der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft), Peter Kruse (Präsident der Arbeitnehmerkammer). Fotos: Michael Bahlo Bei unserer Veranstaltung ›Gute Arbeit – faire Arbeit‹ Im April hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles die Arbeitnehmerkammer besucht und sich über die Arbeitsschwerpunkte der Arbeitnehmerkammer informiert. In einem Gespräch mit dem Vorstand standen die Themen Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit sowie Handlungsnotwendigkeiten bei Leiharbeit und Werkverträgen im Mittelpunkt (v.l.n.r.): Ingo Schierenbeck (Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer), Peter Kruse (Präsident der Arbeitnehmerkammer), Andrea Nahles (Bundesministerin für Arbeit und Soziales, SPD), Carsten Sieling (Bundestagsabgeordneter, SPD). 10 // Aus der Arbeitnehmerkammmer: Rolf Giegold: day by day – eine audiovisuelle Installation // 11 Arbeitsplatz Antarktis Rolf Giegold: day by day – eine audiovisuelle Installation Den kältesten Arbeitsplatz haben vermutlich unsere Mitglieder in der Antarktis – Bremer Wissenschaftler auf Forschungsreise im Eis sind zudem wohl noch am weitesten von der Heimat entfernt. Der Berliner Konzeptkünstler Rolf Giegold nahm im Dezember 2013 an einer Expedition auf den südlichsten aller Kontinente teil. Aus der Reise ist eine Videoinstallation hervorgegangen, die bis zum 29. Mai in der Bremerhavener Geschäftsstelle der Arbeitnehmerkammer gezeigt wird. Mit dem Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polarund Meeresforschung (AWI) besuchte Giegold die deutsche Forschungsstation ›Neumayer-Station III‹ auf dem antarktischen Ekström-Schelfeis. Wir sprachen mit dem Künstler über seine Arbeit. BAM: Was war der Ausgangspunkt für Ihr Projekt? Rolf Giegold: Mich hat interessiert, wie sich Menschen, die mehr als ein Jahr dort in der Antarktis sind und nicht wegkönnen, ihren Arbeits- und Lebensraum gestalten beziehungsweise wie dieser schon vorab gestaltet ist. Zunächst bin ich von der vielleicht naiven Frage ausgegangen: ›Was würde ich mir mitnehmen auf diese einsame Insel?‹ Ich habe mit Menschen gesprochen, die vor zwei Jahren überwintert haben und Menschen, die bereits vor 20 Jahren dort waren. Da ist ein riesiger Wandel festzustellen hinsichtlich der Bedingungen, die mit Kommunikation und Komfort zusammenhängen. Wir definieren heute sehr viel in Bezug auf Komfort über unsere Möglichkeit, zu kommunizieren. Die Frage von vor 20 Jahren, welche Bücher ich mitnehme, stellt sich heute nicht mehr in dieser Form. Ich habe die Möglichkeit, mir auf einem E-Book-Reader 150 Titel draufzuladen, von denen ich noch nicht einmal die Hälfte schaffen würde. Für Musik und Filme gilt das genauso. Die Frage der Verfügbarkeit von Dingen, die dort zur Lebensqualität gehört, hat sich kolossal geändert. Natürlich bringt die Überwinterung Entbehrungen mit sich, die Parameter haben sich aber verändert. BAM: Wenn wir Fotos der Neumayer-Station III betrachten, so erscheint sie fast wie auf einem anderen Stern gelegen. Wie würden Sie als Künstler Ihren ersten Eindruck schildern? Giegold: Die Station lässt sich der Form nach als ein modernes, durchaus formschönes Objekt beschreiben. Wenn wir vom visuellen Aspekt ausgehen, teilen Sie vielleicht den Eindruck, es könne sich auf den Fotos um ein Modell handeln. Anders gesagt: Realistische, gezeichnete Modelle der Station ähneln den Fotos von der realen Station sehr. Und wenn man davor steht, könnte es sich um eine zweidimensionale Kulisse handeln, die nur eine Räumlichkeit vorgibt – wie im Film. Wir klettern durch eine Tür und finden dahinter nur die abstützenden Gerüstbauten, die die Videostill der Arbeit ›day by day‹ (2014), Foto: Rolf Giegold Der Künstler Rolf Giegold macht in der Antarktis Aufnahmen für seine Installation ›day by day‹, Foto: Volker Ortmann Kulisse halten. Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass so gut wie keine Witterungsspuren entstehen. Wir haben keinen Regen, der äußeres Material korrodieren lässt oder einfärbt, wie bei uns Hausfassaden. BAM: In der Video-Installation blicken wir aus dem Wohnzimmerfenster der Station auf zwei Container in einer unwirtlichen Eislandschaft. Zu sehen ist außerdem ein Seil, an dem entlang drei Überwinterer ins scheinbare Nichts laufen und später zurückkehren. Giegold: Es kam mir bei der Aufnahme eine Wettersituation zupass, die dieses für den Betrachter fast schon unwirkliche Bild hervorgerufen hat. Ein Schneetreiben, das eine Unterscheidung ein fotografisches Musterbuch. In Bremerhaven wird daraus eine von Horizontlinie und Eis und Himmel unmöglich macht. Am Ende Auswahl von Bodenstücken auf Sockeln in unterschiedlicher dieses Handlaufs, ungefähr eineinhalb Kilometer entfernt, steht Höhe als Aufsichten präsentiert. Sie schaffen einen Bezug zu der ein Spurenstoff-Observatorium, wo ein Luftchemiker Messergebgestalteten Farbigkeit und Oberflächenstruktur der Station. nisse abliest und weiterleitet. Bei noch schlechterem Wetter BAM: Die umgebende Natur erscheint möglicherweise wie ein muss sich der Wissenschaftler entlang des Handlaufs vorarbeiten, riesiges weißes Blatt. Ist man geneigt, dadurch jedem Farbtupfer um nicht verloren zu gehen. Bei gutem Wetter ist die Sicht viel besondere Aufmerksamkeit zu schenken? besser, man hat ein Landschaftspanorama wie in einem schönen Giegold: Mir ging das teilweise schon so. Sie haben einerseits Gemälde und kann das Observatorium erkennen. Die im Video recht, dass die Umgebung, wenn man so will, monochrom ist. zu sehende Situation wirkte auf mich fast so, als ob es irgendwo Aber sie ist es dann andererseits eben doch nicht, weil da wieam Rechner generiert worden wäre. Menschen werden in eine derum die Eisflächen auch eine Struktur und Furchen haben. In weite Fläche hinein montiert und scheinen später fast in den der nahegelegenen Bucht schwimmen kleine Eisberge. Und es Fensterrahmen hineinzuklettern. Die Tiefe des Raumes ist im ist keine spiegelglatte gefrorene Fläche ohne Erhebungen. NatürVideo durch den Handlauf nur angedeutet. lich haben Sie nicht die Dramatik eines BergmasSie lässt sich aber nicht logisch auflösen, sivs oder von Gletschern. Aber ohne Detail ist dafür benötige ich einen Horizont, welcher die Landschaft wiederum auch nicht. ›Machen Sie sich darauf aber nicht erkennbar ist. BAM: Können Sie die Begeisterung nachvollBAM: Wie wird, neben dem Blick nach außen, gefasst, dass Sie von einem ziehen, die viele Überder Innenraum der Station in der Installation Virus befallen werden, winterer nach ihrer einbezogen? Rückkehr äußern? Giegold: Hinzugegeben ist eine akustische den Sie so leicht nicht Komponente aus fertigem Material, das ich Giegold: Absolut. Ich wieder loswerden.‹ in der Station aufgenommen habe. Leise kann mich an das eintäZur Person: Betriebsgeräusche, eine gewisse Vibration, gige Pflichtseminar zu Rolf Giegold studierte quasi ein Grundton, der immer zu hören ist. Umweltthemen und Verzunächst Archäologie und Dazu kommen Lautsprecherdurchsagen, Schritte, Stimmen im haltensregelungen in der Antarktis erinspäter Freie Kunst an der Hochschule der Bildenden Hintergrund. Eine andere Komponente ist ein E-Piano, auf der nern, das jeder Wissenschaftler, der Künste in Saarbrücken und eine Person, obwohl sie allein war, stumm mit Kopfhörern spielte. erstmalig in die Antarktis geht, vor seider Ecole Nationale des Man hört das Klackern der Tasten, woraus sich eine monotone ner Reise absolvieren muss. Einer der Beaux-Arts in Dijon. Seit 1995 ist sein Werk in zahlRhythmik ergibt. Die Musik ist natürlich nicht entschlüsselbar Referenten sagte: ›Machen Sie sich reichen internationalen Einoder nur in Ansätzen. Den Tango hört man vielleicht aufgrund darauf gefasst, dass Sie von einem zel- und Gruppenausstellunder Rhythmik heraus, bei der Mozart-Sonate lassen sich mögVirus befallen werden, den Sie so leicht gen sowie Projekten im öffentlichen Raum zu sehen licherweise Läufe erahnen. Diese Komponente hat einen fast nicht wieder loswerden.‹ Ich gehe in viegewesen. Für seine konschon poetischen Aspekt ergeben. len Fällen sehr rational mit solchen Dinzeptuellen Arbeiten wurde gen um. Aber ich habe selber gemerkt, BAM: In der Ausstellung gibt es darüber hinaus auch noch eine er mehrfach mit Stipendien und Preisen ausgezeichnet. dass es zu 100 Prozent wahr ist. Es ist Foto-Installation. So konnte Rolf Giegold ein großer Zauber! (hei) Giegold: Hier komme ich wieder zurück auf die Frage der festim Rahmen eines sechsgelegten, innenarchitektonisch vorgegebenen Gestaltung der monatigen Fellowships am Hanse-Wissenschaftskolleg Station. Ähnlich wie ich die Interviews als einen Teil der Recher❙ ›day by day‹ ist ein Beitrag des AWI in in Delmenhorst in Koopechen führte, so habe ich vor Ort auch Oberflächen, Böden, WandKooperation mit der Arbeitnehmerkammer ration mit dem AWI zur stücke und -übergänge fotografiert. Sie tragen zur atmosphäriBremen zum Jubiläum ›10 Jahre Stadt der deutschen Forschungsstation ›Neumayer-Station III‹ schen Wahrnehmung der Räume bei und beeinflussen die MenWissenschaft‹. reisen. schen, die dort leben. Das ist zunächst einmal eine Sammlung, Foto: Ioni Laibaroes < Politik: Veranstaltung zur Reform der Pflegeberufe // 13 12 // Politik: Bundesweit erster Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis Bundesweit erster Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis ›Junge Menschen bringt man nicht mit der Aussicht auf einen Mindestlohn in die Pflege, sondern mit dem Versprechen auf gute und faire Entlohnung schon in der Ausbildung‹ – so kommentiert Uwe Schmid von ver.di den bundesweit ersten Tarifvertrag für Auszubildende in der Altenpflege in Niedersachsen und Bremen. In Bremen gilt er bislang aber nur für die rund 234 Auszubildenden der ›Tarifgemeinschaft Pflege Bremen‹. Ihr gehören 15 Pflegeanbieter aus Bremen und Bremerhaven an, unter anderem Pflegeeinrichtungen der Arbeiterwohlfahrt, des Caritasverbandes, des Deutschen Roten Kreuzes, der Bremer Schwesternschaft vom Roten Kreuz, der Diakonie sowie des Paritätischen. Die Bremer Heimstiftung schließt sich den Regelungen über den kommunalen Arbeitgeberverband an. Vereinbart wurden einheitliche und höhere Vergütungen, verbindliche Arbeitszeiten und eine neue Urlaubsregelung. ›Mit diesem Tarifvertrag verbessern wir die Ausbildungsbedingungen Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik Der Tarifvertrag für Altenpflege-Azubis ab 1. August 2015 Ausbildungsjahr Ausbildungsentgelt 1. 2. 3. 975,69 € 1.037,07 € 1.138,38 € n 39 Stunden Wochenarbeitszeit n 29 Tage Urlaubsanspruch Damit liegen Azubis in der Altenpflege gleichauf mit Schülern in der Krankenpflege und werden teilweise besser entlohnt als in vielen anderen Ausbildungen. ›Gepflegte Ausbildung‹ Veranstaltung zur Reform der Pflegeberufe Die Bundesregierung will noch in dieser Legislaturperiode eine Ausbildungsreform in den Pflegeberufen umsetzen. In unserer Veranstaltung am 21. Mai diskutieren wir über Reformen aus der Sicht von Auszubildenden und Beschäftigten. In Deutschland werden die Gesundheits- und Pflegeberufe außerhalb des (dualen) Berufsbildungssystems ausgebildet. ›Heiteres Berufebasteln‹, nennt Gerd Dielmann dies. Er wird am 21. Mai in der Arbeitnehmerkammer darüber berichten, wie die Pflegeausbildung zeitgemäß reformiert werden kann – im Interesse einer adäquaten Gesundheitsversorgung und im Interesse der Beschäftigten. Wir haben ihm vorab ein paar Fragen gestellt. BAM: Die Ausbildung der Krankenpflegeberufe soll grundlegend reformiert werden. Was muss aus Ihrer Sicht passieren? Gerd Dielmann: Der Reformbedarf bezieht sich aus gewerk- schaftlicher Sicht hauptsächlich auf die praktische Ausbildung und eine bessere Integration in das System der beruflichen Bildung. Von der Diskussion um eine generalistische Ausbildung ist die Ausbildung in der Altenpflege stärker betroffen. Die Krankenpflegeausbildung ist entsprechend der EU-Vorgaben bereits heute generalistisch angelegt. BAM: Generalistische Ausbildung heißt, dass Alten-, Krankenund Kinderkrankenpflege gemeinsam ausgebildet werden. Ist das sinnvoll? Dielmann: Aus Sicht des Arbeitsmarkts ergibt eine so breit angelegte Ausbildung, wie sie im Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorgestellt wurde, wenig Sinn. Insbesondere in der Akutversorgung sind eher Spezialisten gefragt. Die Krankenhäuser helfen sich schon selber, indem sie ungeordnet eigene Assistenzberufe kreieren. Für die Arbeit in der stationären Altenhilfe sind die speziell ausgebildeten Altenpflegerinnen und Altenpfleger gut qualifiziert. Allenfalls in der ambulanten Pflege erscheint eine breitere Ausbildung sinnvoll. Auch die Kinderkrankenpflege hat über Jahrzehnte ein Profil entwickelt, das nicht leichtfertig über Bord geworfen werden sollte. Die Ausbildung in den Pflegeberufen sollte breit angelegt sein, muss sich aber zugleich hinreichend spezialisieren, um in den doch sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern qualifiziert arbeiten zu können. BAM: Welche Probleme beziehungsweise Aufgaben sehen Sie bei der anstehenden Reform? Dielmann: Zentrale Fragen sind noch nicht geklärt, etwa zur Gestaltung des Ausbildungsverhältnisses und zur Finanzierung der Ausbildung. Wenn auch Schulen als alleinige Träger der Ausbildung infrage kommen, droht die Verschulung der Ausbildung. Wie sollen die Schulen den ausbildungsrechtlichen Verpflichtun- gen eines Arbeitgebers, zum Beispiel zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung nachkommen, wie die Einhaltung von Ausbildungszeiten im Betrieb überwachen und eine qualifizierte Praxisanleitung garantieren? Sollen Ausbildungstarifverträge mit Schulen verhandelt werden oder gleich mit den Kranken- und Pflegekassen? Durch die noch größere Zahl von Kurzeinsätzen in verschiedenen Einrichtungen droht die betriebliche Bindung verloren zu gehen und die Mitbestimmung bleibt auf der Strecke. Am Ende ist auch die Berufsfähigkeit der Ausbildung gefährdet, weil nicht genügend Zeit ist, Routine in den Arbeitsabläufen zu entwickeln und Verantwortung zu übernehmen. BAM: Was muss sich aus Sicht der Gewerkschaften ändern, damit eine Ausbildung in der Pflege für junge Menschen attraktiv ist? Dielmann: Sie muss ohne zusätzliche Hürden – wie dem Abitur als Voraussetzung und Schulgeldern – zugänglich sein und Karrierewege eröffnen. Wichtig ist auch eine angemessene Ausbildungsvergütung, die tarifvertraglich festgelegt werden kann, eigene Beiträge zur Sozialversicherung und betriebliche Mitbestimmung. Auch einheitliche Qualitätsstandards für die Qualifizierung der Lehrkräfte und die praktische Ausbildung sind erforderlich. Dazu gehören unter anderem Ausbildungspläne für die Praxiseinsätze und freigestellte, berufspädagogisch qualifizierte Ausbilderinnen und Ausbilder für die Anleitung. Und dafür wiederum brauZur Person: chen wir eine Personalausstattung in Gerd Dielmann den Gesundheits- und Pflegeeinrichtunist Diplom-Pädagoge und gen, die Pflegearbeit nach den gelernten Krankenpfleger. Er war als Bereichsleiter BerufsStandards ermöglicht sowie eine angepolitik der Gewerkschaft messene Bezahlung. Fragen: Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik ver.di in Berlin unter anderem zuständig für Pflegeberufe. Pflegekräfte für morgen. Zur Ausbildungsreform in den Pflegeberufen ❙ Diskussion mit Gerd Dielmann (ver.di) Donnerstag, 21. Mai 2015, 18–20 Uhr, im Kultursaal der Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Foto: Kay Herschelmann Meilenstein in der Pflegeausbildung für den Pflegenachwuchs. Die Ausbildungsvergütungen steigen durchschnittlich um 20 Prozent‹, sagt Gewerkschaftssekretär Uwe Schmid, der zusammen mit seinem Kollegen David Matrai aus Hannover den Tarifvertrag verhandelt hat. ›Bislang wird der harte Wettbewerb unter den Pflegeanbietern auf dem Rücken der Auszubildenden und der Beschäftigten ausgetragen‹, so Uwe Schmid. ›Unser Ziel ist, diesen Tarifvertrag für die Ausbildung im Land Bremen für allgemein verbindlich erklären zu lassen.‹ Das würde dazu führen, dass auch Arbeitgeber, die nicht Mitglied des tarifabschließenden Arbeitgeberverbandes sind, sich an den Tarif halten müssen. Auch die in der Tarifgemeinschaft zusammengeschlossenen Arbeitgeber sehen einen Vorteil in dem abgeschlossenen Tarifvertrag: ›Wir hoffen, dass die Altenpflegeausbildung dadurch attraktiver wird und die Altenpflege damit Anschluss an die Standards der Krankenpflege gewinnt‹, so Vorstandsmitglied Martin Böckmann, der die Tarifgemeinschaft Pflege auf Arbeitgeberseite mit vertritt. Auch sie wollen die Allgemeinverbindlichkeit, damit ihnen keine Nachteile entstehen, wenn sie Tariflohn zahlen. Und sie hoffen, dass weitere Arbeitgeber der Tarifgemeinschaft beitreten. Der Tarifvertrag für die Auszubildenden soll der erste Schritt sein. Gewerkschaft und Tarifgemeinschaft verhandeln aktuell über ein Tarifwerk für die Regelung der Entgelte und wesentlicher Arbeitsbedingungen (Zuschläge, Urlaub, Jahressonderzahlung) für die Beschäftigten in der ambulanten und stationären Pflege in Bremen. Auch hier ist Ziel, durch Allgemeinverbindlichkeit einheitliche Bedingungen zu schaffen, damit der Wettbewerb über die Qualität und nicht zulasten der Arbeitskräfte stattfindet. Doch einen Tarifvertrag bekommt man ›nicht geschenkt‹, er wird nur über eine starke Gewerkschaft mit vielen Mitgliedern erreicht werden können. ›Eine gute Ausbildung beginnt mit einer tarifgerechten Vergütung und Tarifverträge sind ein erster Schritt gegen Lohndumping‹, so schätzt auch Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, den Abschluss ein. Sein Fazit: ›Die Sozialpartner haben hier einen ersten Meilenstein erreicht. Nur auf Basis eines Tarifvertrags wird auch eine volle Refinanzierung der Ausbildungskosten durch die Kostenträger möglich sein. Wir hoffen zudem, dass das Land Bremen die Allgemeinverbindlichkeit erklärt und damit den Prozess unterstützt.‹ 14 // wisoak: Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium Politik: TTIP: Abkommen mit Risiken und Nebenwirkungen // 15 Steffen Gabriel Referent für Wirtschaftspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Arbeitnehmerrechte als Handelshemmnis? TTIP: Abkommen mit Risiken und Nebenwirkungen Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie und Physiotherapie startet Durchlässigkeit zwischen Ausbildung und Studium Qualifizierte Gesundheitstherapeuten sind aufgrund des demografischen Wandels und der sich abzeichnenden Anpassungen in der Gesundheitsversorgung – hin zu mehr Verantwortung außerhalb ärztlicher Leistungen – schon jetzt Mangelware. Die Süddeutsche Zeitung titelte im April, dass Gesundheitstherapeuten wie Physiotherapeuten und Logopäden auf Initiative von Gesundheitspolitikern mehr Verantwortung in der Gesundheitsversorgung übernehmen und dafür auch besser vergütet werden sollen. Ab Wintersemester 2015/16 startet an der Hochschule Bremen der Studiengang Therapiewissenschaften Logopädie und Physiotherapie. Voraussetzung für das Bachelorstudium ist die Grundausbildung in den Bereichen Logopädie und Physiotherapie. Absolventen können dann innerhalb von drei Semestern an der Hochschule Bremen den ersten akademischen Grad absolvieren und ihre therapeutischen Fähigkeiten weiter wissenschaftlich untermauern. Mehr Verantwortung für die Therapeuten im Sinne der Gesundheitspolitik heißt etwa, die Diagnose und Verordnung für eine Therapie selbstständig aufzustellen, die Therapie und ihre Überprüfung eigenverantwortlich durchzuführen. Die Therapeuten werden in die Lage versetzt, medizinische Diagnostik in ihrer Behandlungsplanung mit zu berücksichtigen. Die Gesundheitspolitiker legen dar, dass dadurch sowohl eine Qualitätsverbesserung der Behandlungen als auch Einsparungen für das Gesundheitswesen zu erwarten seien. Die Verantwortlichkeiten für die Therapeuten steigen in dem Maße, wie ärztliche Leistungen entlastet werden können. Die Bremer Heimstiftung und die Wirtschafts- und Sozialakademie als Träger der Schulen für Logopädie und Physiotherapie kooperieren mit der Hochschule Bremen, ein gemeinsames Curriculum steht zur Verfügung. So sollen neue Wege in der Verbindung von schulischer Berufsqualifikation und hochschulischer Berufsbefähigung beschritten werden. In den Schulen sind in die angepassten Curricula zum Beispiel Elemente wissenschaftlicher Vorgehensweisen für die Praxis einbezogen. Die Hochschule entwickelt Projekte zum interdisziplinären forschenden Lernen in der Therapie. So werden die Therapeutinnen und Therapeuten im Gesundheitsbereich auf ihre schon jetzt anspruchsvolle Tätigkeit nachhaltiger vorbereitet, um dann mit dem Mehr an Verantwortung kompetent umgehen zu können. Ein Schwerpunkt im Studium in Bremen soll das interdisziplinäre Handeln der genannten Berufsgruppen unterstützen. Projekte sollen ermöglichen, therapeutische Schwerpunktsetzungen professionsübergreifend zu diskutieren, umzusetzen und zu überprüfen. Dies allein schon wird sicher ein Gewinn für die Gesundheitsversorgung im Land Bremen darstellen. Das beschriebene Modell zwischen den Partnern Hochschule und Berufsfachschulen in Bremen im Rahmen der ›Offenen Hochschule‹ füllt somit eine Lücke in der Qualifizierung der Gesundheitsfachberufe aus. Vera Wanetschka n Fachschule für Logopädie (Wirtschafts- und Sozialakademie) ❙ Informationen bei der Hochschule Bremen, Bereich Therapiewissenschaften (www.hs-bremen.de) oder bei der Schule für Logopädie (www.schule-fuer-logopaedie.de). So weitreichend und umfassend das transatlantische Freihandelsabkommen ist, so vielstimmig ist auch der Chor der Kritiker. Verhandlungen im Geheimen, der Umgang mit Umwelt- und Nahrungsmittelstandards oder auch der angedachte Investorenschutz sorgen für Diskussionsstoff. Doch was bedeutet TTIP eigentlich für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer? Vier Fragen an Steffen Gabriel, Referent für Wirtschaftspolitik bei der Arbeitnehmerkammer. BAM: Mit dem Abkommen verbindet sich die Hoffnung, mehr Waren und Dienstleistungen auf beiden Seiten absetzen zu können. Von steigendem Wachstum und mehr Beschäftigung haben wir doch alle etwas? Steffen Gabriel: Das wäre schön, blendet aber aus, dass wir auch neue Wettbewerber und nicht nur neue Märkte bekommen. Es wird eine neue Konkurrenzsituation entstehen und somit Gewinner und Verlierer geben. Im Freihandelsabkommen wird eine Vielzahl von Regelungen getroffen, es deckt unzählige Branchen und Bereiche ab. Auswirkungen sind daher schwer abzuschätzen. Die klassische Denkrichtung lautet: Der Handel steigt und damit der Warenabsatz; auf diese Weise entsteht Wohlstand. Jedoch nicht ohne Nebenwirkungen! Wenn wir bei steigendem Wettbewerbsdruck nicht auch die Arbeitnehmerrechte stärken, kommen wir schnell in eine Spirale, in der Standards gesenkt werden, um konkurrenzfähig bleiben zu können. Diesbezüglich ist im TTIP bisher gar kein Konzept erkennbar. Wie sichern wir unsere sozialen Errungenschaften gegenüber einem solchen Wettbewerb? BAM: Von welchen Wachstumseffekten gehen die TTIP-Befürworter aus? Gabriel: Wir sprechen über verschiedene Handelshemmnisse, die abgebaut werden sollen. Es gibt unterschiedlichste Vorschriften, Importquoten, Sicherheitstests oder Umweltstandards. Das heißt, in ganz vielen verschiedenen Bereichen wird sich etwas ändern. Daraus abzuleiten, welchen Effekt das auf den Handel hat, halte ich für schwierig. Das, was bisher genannt wird, sind knapp 550 Euro mehr für jeden Haushalt in Deutschland und 4,5 Prozent mehr Wirtschaftswachstum. Meiner Ansicht nach ist das viel zu hoch gegriffen. Dass da etwas nicht stimmen kann, sieht man auch daran, dass die EU-Kommission diese Zahlen wieder von ihrer Internetseite gestrichen hat. BAM: Und wovon geht man in Bezug auf die Beschäftigung aus? Gabriel: Solche Prognosen sind ebenfalls schwierig. Beschäftigung würde immer dann entstehen, wenn Unternehmen mehr Waren verkaufen, dafür die Produktion ausweiten und mehr Leute einstellen. Nur tun sie das? Profitieren werden in der Regel größere Unternehmen, die exportieren und daher neue Märkte erschließen können. Diese müssen aber nicht zwingend Beschäftigung aufbauen. Sie setzen in der Regel mehr Maschinen ein und haben weniger Personalbedarf als kleinere Unternehmen. Schließlich ist die Frage, welche Branche gewinnt, welche verliert. Ist es eine personalintensive Branche, die gewinnt? Dann würden wir Beschäftigung aufbauen. Gewinnt eine sehr automatisierte Branche, bauen wir auch keine Beschäftigung auf. Eine realistische Rechnung geht deutschlandweit von circa 2.000 Beschäftigten pro Jahr aus. BAM: Schwierige Prognosen, schwer abschätzbare Risiken. Ist das der Preis, der für TTIP zu zahlen ist? Gabriel: Die sogenannten Handelshemmnisse sind nicht ohne Grund eingerichtet worden. Man muss trennen zwischen technischen Normen und demokratisch ausgehandelten Rechten aus den Bereichen Umweltschutz, Verbraucherschutz, Arbeitnehmerrechte und vielem mehr. Fasst man beispielsweise Arbeitsschutz oder betriebliche Mitbestimmung nur als Handelshemmnisse auf, die abgesenkt oder abgeschafft werden sollen, berührt das Kernbereiche unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Was werten wir höher? Wollen wir die Zunahme von Handel und wenn wir sie wollen, zu welchem Preis? (hei) ❙ Ausführliche Informationen finden Sie in unserem ›Kammer-Info‹ zu TTIP: www.arbeitnehmerkammer.de/ttip 16 // Medientipps und Reihe ›Rechtsirrtümer‹ Foto: Foto: Müttergenesungswerk Gesundheit // 17 Medientipps Service > Gesundheit Für KammerCard-Inhaber ist die BibCard ermäßigt! Gesundheitsmaßnahmen für Mütter, Väter und pflegende Angehörige Akku leer? Haupt, Peter n Mach sie fertig! Wie Sie endlich Ihre Arbeit schaffen – anstatt Ihren Bürokram zu managen Linde, 2014, 150 Seiten ›Bürokram‹ nennt der Autor all die zeitraubenden Tätigkeiten, die nur dazu dienen, die eigentliche Arbeit zu verwalten. Wie man innerhalb von fünf Tagen seine persönlichen Zeitfresser in den Griff bekommt, Probleme an der Wurzel packt und eine Arbeit abschließend ›fertig macht‹, zeigt der Organisationsexperte Peter Haupt in diesem leicht und locker zu lesenden Motivationsratgeber. Dabei gibt der Autor nur wenige konkrete Tipps und geht davon aus, dass weder Seminare noch aufwendige Aktionen nötig sind, um seine Zeitfresser zu eliminieren – Konsequenz und Zielstrebigkeit reichen seiner Erfahrung nach völlig aus. Czichoschewski, Heiko n Fit at work Die besten Übungen für alle Berufe Bruckmann, 2014, 141 Seiten Der Rücken schmerzt, Schultern und Nacken sind nach einem langen Arbeitstag verspannt? Der Ratgeber des Fitness-Experten Heiko Czichoschewski stellt praxiserprobte und einfach durchzuführende Übungen am Arbeitsplatz, für zwischendurch und für zu Hause vor. Die Übungen sind überwiegend ohne Geräte durchzuführen und gliedern sich in die Bereiche Lockerung und Mobilisation, Kräftigung, Stabilität und Balance sowie Dehnung und Entspannung. Hilfreiche Tipps helfen, die Übungen korrekt durchzuführen, ›Coaching-Tipps‹ geben zusätzliche Informationen. Mit ergänzenden Übungen für einzelne Berufsgruppen und vier Trainingsplänen. Diese Medien können Sie in Ihrer Stadtbibliothek ausleihen. 9 x in Bremen: Zentralbibliothek Am Wall • Huchting • Lesum • Osterholz Vahr • Vegesack • West • Busbibliothek • Hemelingen w w w . s t a d t b i b l i o t h e k - b r e m e n . d e -Reihe ›Rechtsirrtümer‹ ›Ich kann auch nach zwei Monaten noch gegen die Kündigung durch meinen Arbeitgeber vorgehen‹ Das stimmt nicht. Grundsätzlich haben Beschäftigte und Arbeitgeber das Recht, einen Arbeitsvertrag zu kündigen. Es gibt zwei Arten der Kündigung: die außerordentliche aus wichtigem Grund ohne Frist und die ordentliche unter Fristeinhaltung. Eine Kündigung muss immer schriftlich mit eigenhändiger Unterschrift erfolgen. Eine Kündigung per E-Mail gilt nicht. Sie muss persönlich übergeben oder per Post zugestellt werden. Wenn Sie Ihre Kündigung für nicht gerechtfertigt halten und nicht hinnehmen wollen, müssen Sie eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Hier gilt die Dreiwochenfrist – nach Zugang der Kündigung. Nach Verstreichen der Frist ist die Kündigung in der Regel wirksam. Die Kündigungsschutzklage können Sie über eine Gewerkschaft, einen Rechtsanwalt oder persönlich bei der Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts einreichen. Wenn Sie eine Kündigung erhalten haben und Sie diese für nicht gerechtfertigt halten, kommen Sie schnellstmöglich in unsere Arbeitsrechtsberatung. Wir prüfen, ob eine Klage Erfolg verspricht. Bei einer Klage vor dem Arbeitsgericht in erster Instanz zahlen Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils die Anwaltshonorare selbst, egal wer gewinnt. Man kann sich allerdings auch selbst vertreten, bei Arbeitsrechtsprozessen gibt es keinen Anwaltszwang. Außerdem werden Gerichtskosten fällig, wenn ein Urteil ergeht, die der Verlierer trägt. Bei einem Vergleich zahlen beide Parteien jeweils die Hälfte. Ab der zweiten Instanz trägt der Prozessverlierer alle Kosten. Die Gerichts- und Anwaltskosten richten sich nach dem Streitwert, der vom Arbeitsgericht bestimmt wird. (mol) ❙ Mitglieder der Arbeitnehmerkammer Bremen können sich kostenlos zu arbeitsrechtlichen Fragen beraten lassen. Kontakt: 0421·36301-11 (Bremen) / 0471·92235-11 (Bremerhaven) Sorgearbeit in Familien ist zwar auch heute noch hauptsächlich die Arbeit von Müttern. Doch zunehmend erziehen und versorgen auch Väter ihre Kinder alleine. Zur Sorgearbeit gehört auch die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen. Rund 70 Prozent von 2,5 Millionen werden zu Hause versorgt. Mütter, Väter, Angehörige und Freunde tragen oft über viele Jahre die hohen Belastungen – solange, bis sie vor Erschöpfung selbst krank werden. Wenn die Kraftreserven aufgebraucht sind, können Krankheiten entstehen. Häufige Infekte, Rücken- und Muskelerkrankungen, aber auch Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Erschöpfungszustände können Zeichen sein, dass die eigene Gesundheit in den Mittelpunkt gestellt werden muss. Daher hat das Müttergenesungswerk spezielle Maßnahmen für Pflegende und Väter entwickelt, die auf den Erfahrungen der medizinischen Angebote für Mütter aufbauen. Kuren für Vater und Kind Nach Angaben des Müttergenesungswerks sind rund 235.000 Väter kurbedürftig, das sind mehr als zehn Prozent der Väter, die in ihrer Familie Haushalt- und Familienarbeit hauptverantwortlich tragen. Auch Vater-Kind-Kuren sind inzwischen Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, wenn die psychischen und physischen Belastungen im Zusammenhang mit der Sorgearbeit stehen. Bei Mutter-/Vater-Kind-Kuren muss ein Antrag bei der Krankenkasse gestellt werden. Durchgeführt werden diese Maßnahmen in eigens darauf spezialisierten Häusern. Sie bieten für Väter zum Beispiel physikalische Anwendungen, Sport- und Bewegungsangebote und andere therapeutische Maßnahmen. Individuell erarbeitete Lösungsstrategien sollen helfen, Gesundheit, Kraft und Energie auf Dauer zu behalten. Während der ärztlich verordneten Anwendungen werden die Kinder qualifiziert betreut. Die Freizeit verbringen Väter und Kinder gemeinsam. Kurmaßnahmen für pflegende Frauen Auch pflegende Frauen, die nicht Mütter sind, haben seit Inkrafttreten des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes die Möglichkeit, eine Kurmaßnahme zu machen. Sie profitieren von der langjährigen Erfahrung in den Mütterkliniken. Denn die Belastungen, die während der Pflege eines Angehörigen entstehen, sind ähnlich und können ebenso ähnliche Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Erschwerend kommt für pflegende Angehörige oft hinzu, dass nicht nur die eigene Rehamaßnahme beantragt werden muss, sondern zugleich die häusliche Pflegesituation für die Zeit der Kur gelöst wird. Neben organisatorischen Fragen zur Versorgung sind die Kosten oft eine besondere Hürde. Wenn Sie sich die Frage stellen, ob eine Kurmaßnahme die richtige Hilfe bei Ihren gesundheitlichen Problemen ist, wenden Sie sich an eine Beratungsstelle. Diese helfen Ihnen wohnortnah bei der Klärung und einem möglichen Antrag. Wir wünschen gute Gesundheit! Carola Bury n Referentin für Gesundheitspolitik Service ❙ Um die Arbeit des Müttergenesungswerkes zu sichern und die Maßnahmen auch für Väter und pflegende Angehörige zu erweitern, wirbt das Müttergenesungswerk um Spenden für die ›Zustiftung Sorgearbeit‹. Informationen zu Kuren für Mütter und Väter und für pflegende Angehörige finden Sie unter www.muettergenesungswerk.de. ❙ Spezielle Maßnahmen für Familien bietet auch der Deutsche Arbeitskreis für Familienhilfe e.V. (www.ak-familienhilfe.de). Hinweise zur Beantragung: Pflegende Frauen können, wenn sie Mütter sind, eine Kurmaßnahme nach §§ 24 und 41 SGB V beantragen. Kurmaßnahmen für pflegende Frauen, die nicht Mütter sind, sind nach §§ 23 und 40 SGB V geregelt. ❙ Eine Übersicht über die in Bremen und Bremerhaven tätigen Beratungsstellen finden Sie in unserem Info zu Mutter-/Vater-Kind-Kuren, das Sie in deutscher oder russischer Sprache in allen Geschäftsstellen der Arbeitnehmerkammer erhalten oder kostenlos herunterladen können: www.arbeitnehmerkammer.de/publikationen unter ›Infoblätter Gesundheit‹ 18 // Aus der Beratung Alles, was Recht ist // 19 Philipp Flunkert Recht > Beratung Service > Steuer Aus der Beratung Probearbeiten kann teuer werden Das jedenfalls gilt für Bezieher von Arbeitslosengeld I, die diese Probearbeit der Agentur für Arbeit nicht rechtzeitig mitteilen. Im November vergangenen Jahres kam Wilhelm Keller* zu mir in die Beratung. Die Agentur für Arbeit hatte ihn aufgefordert, Arbeitslosengeld für einen Zeitraum von fünf Wochen, also rund 1.350 Euro, zurückzuzahlen. Herr Keller wollte, dass ich gegen diesen Bescheid vorgehe. Ich musste ihm jedoch mitteilen, dass die Forderung der Agentur für Arbeit berechtigt war. Was war passiert? Herr Keller hatte im Juli 2014 seine Arbeitsstelle verloren und bezog seitdem Arbeitslosengeld I von der Agentur für Arbeit. Im September 2014 erhielt er über einen Bekannten das Angebot, bei einem Garten- und Landschaftsbauunternehmen zunächst befristet für eine Woche probeweise gegen Bezahlung zu arbeiten. So könne Herr Keller vielleicht wieder in eine dauerhafte Beschäftigung gelangen. Herr Keller vermutete zuerst, dass ›Schwarzarbeit‹ gemeint war, was er auf keinen Fall wollte. Er bestand darauf, dass das Unternehmen ihn anmeldet. Das geschah auch. Herr Keller arbeitete eine Woche in Vollzeit ( 40 Stunden), erhielt dort aber trotzdem keinen weitergehenden Arbeitsvertrag. Im Rahmen eines turnusmäßigen Gesprächs über seine Arbeitsbemühungen mit seinem Sachbearbeiter bei der Agentur für Arbeit im Oktober 2014 erwähnte Herr Keller stolz, dass er es sogar schon zu dem auf eine Woche befristeten Arbeiten für den Garten- und Landschaftsbauer geschafft habe. Zwei Wochen später erhielt Herr Keller den besagten Bescheid über die Rückforderung von rund 1.350 Euro Arbeitslosengeld. Dieser Bescheid war rechtmäßig. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld I setzt unter anderem voraus, dass man beschäftigungslos ist und sich persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hat. Eine Beschäftigungslosigkeit in diesem Sinne liegt nicht (mehr) vor, wenn man 15 Wochenstunden oder mehr gegen Bezahlung arbeitet. Die Um Betreuungskosten für unter 14-jährige Kinder steuerlich geltend machen zu können, müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein. Eine davon ist, dass eine entsprechende Rechnung vorliegen muss, die unbar bezahlt worden ist, also etwa per Überweisung. Diese Vorschrift führt aber immer dann zu Problemen, wenn das Kind durch Au-pairs oder Minijobberinnen oder -jobber betreut wird. Bisher hat sich lediglich das Finanzgericht Niedersachsen* damit beschäftigt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in diesen Fällen auch eine Barzahlung anerkannt werden muss, da die ordnungsgemäße Durchführung des Arbeitsverhältnisses Wirkung einer einmal vorgenommenen persönlichen Arbeitslosmeldung erlischt, wenn man eine Beschäftigung aufnimmt. In dem Augenblick also, in dem Herr Keller 15 Stunden für das Garten- und Landschaftsbauunternehmen gearbeitet hatte, war er nicht mehr beschäftigungslos und die Wirkung seiner persönlichen Arbeitslosmeldung war erloschen. Das Erlöschen dieser Wirkung kann nur dadurch verhindert werden, dass man die Arbeitsaufnahme der Agentur unverzüglich mitteilt. Das jedoch hatte Herr Keller nicht getan. Er hatte geglaubt, dass ihm nichts passieren könne, weil er ja offiziell angemeldet war. Dieser ›Irrtum‹ konnte ihn jedoch nicht schützen. Die Folge war nun, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld trotz der kurzen Beschäftigung von einer Woche solange nicht bestand, bis Herr Keller sich wieder persönlich bei der Agentur arbeitslos gemeldet hatte. Diese persönliche Arbeitslosmeldung erfolgte erst mit dem Gespräch bei dem Sachbearbeiter fünf Wochen später. Daher muss Herr Keller das Arbeitslosengeld für die fünf Wochen erstatten. *Name von der Redaktion geändert Philipp Flunker t n Rechtsberater in Bremen-Nord ❙ Guter Rat ist teuer? Nicht für Sie als Kammer-Mitglied. Die Beratung der Arbeitnehmerkammer informiert Sie in Fragen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts, in Rechtsfragen der Arbeitslosigkeit sowie bei Fragen des Insolvenz- und Steuerrechts. Wir beraten Sie persönlich, telefonisch, schriftlich oder per E-Mail. Kontakt: 0421·36301-11 (Bremen) / 0471·92235-11 (Bremerhaven) Service > Recht § Foto: iStock ©diego cervo Kinderbetreuung – absetzbar auch bei Barzahlung? bereits durch entsprechende Arbeitsverträge nachgewiesen wurde. Nun wird auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs gewartet. Um allen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, sollten Eltern stets die unbare Zahlungsweise wählen. * Urteil vom 20.03.2013 – 3 K 12356/12 Dagmar Pletz n Beraterin Steuerrecht in Bremerhaven Service > Recht Befristung eines Vertrags wegen Vertretung muss überprüfbar sein Werbung mit eigenen Mitarbeitern Wird ein Arbeitsvertrag wegen der Vertretung eines Mitarbeiters zeitlich befristet, muss die Vertretungskraft gerade wegen der Verhinderung des anderen Mitarbeiters eingestellt sein. Dies gilt auch, wenn einer oder mehrere andere Mitarbeiter den verhinderten Kollegen vertreten (›Kettenvertretung‹) und entsprechend für den oder die Vertreter ein neuer Mitarbeiter befristet eingestellt wird. Dies hat das Bundesarbeitsgericht* entschieden: Auch bei einer mittelbaren Vertretung müssen die Beschäftigten, die die Kette bilden, die Arbeitsaufgaben des jeweils in der Kette ›voranstehenden‹ Kollegen übernommen haben. Fehlt hierbei auch nur an einer Stelle der nachvollziehbare Zusammenhang, kann der Arbeitsvertrag des neu eingestellten Mitarbeiters entfristet werden. * Urteil vom 06.11.2013 – 7 AZR 96/12 Die immer stärker werdende Präsenz von Unternehmen in den sozialen Medien erfordert eine vermehrte fotografische Darstellung von Mitarbeitern. Zusätzlich werden Mitarbeiterfotos immer häufiger für interne Zwecke benutzt. Doch nicht immer sind die Abgebildeten damit einverstanden. Hier gilt, dass der Abgebildete grundsätzlich ein Recht am eigenen Bild hat und für die Veröffentlichung seiner Fotos oder etwaiger Videoaufnahmen seine schriftliche Einwilligung erklären muss. Die schriftliche Einwilligungserklärung sollte von vornherein auf die Dauer des Arbeitsverhältnisses begrenzt werden. Anderenfalls muss im Falle eines Widerrufs durch den Mitarbeiter dieser regelmäßig einen plausiblen Grund angeben.* *Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1011/13 § Claudius Kaminiarz n Leiter Rechtsberatung und -politik Mar tina Werlich n Rechtsberaterin in Bremen-Nord Arbeitnehmerkammer Bremen / Bürgerstraße 1 / 28 195 Bremen / // Veranstaltungen Postvertriebsstück, DPAG, Entgelt bezahlt Programm Kontakt: Telefon 0421·36301-0 / Fax 0421·36301-89 [email protected] Weitere Infos zu den Veranstaltungen unter: www.arbeitnehmerkammer.de/veranstaltungen Arbeit und Politik 12 M a i Endlich Urlaub! Oder doch nicht? Aus der Reihe ›Ihr Recht – einfach erklärt‹. 18 bis 19.30 Uhr | Forum der Geschäftsstelle Bremerhaven, Barkhausenstraße 16, 27568 Bremerhaven 19 Mai 18 bis 19.30 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 21 Mai Pflegekräfte für morgen Zur Ausbildungsreform in den Pflegeberufen. 18 bis 20 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Kultur 15. April – 31. Mai 2015 20 Quartiersbezogene Strategien für mehr Teilhabe und Armutsprävention Schlussfolgerungen aus dem 2. Armuts- und Reichtumsbericht des Bremer Senats. 16 bis 19 Uhr | Arbeitnehmer- ›... alles andere können wir uns kaufen.‹ – Der Maidan im Frühjahr 2014 Fotografien von Sonja Och. Eintritt frei. Öffnungszeiten: Mo und Do 8–18.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr Gespräche mit dem Teufel Szenische Lesung und Konzert mit dem Schauspieler Thomas Sarbacher und dem Barockensemble Parnassi musici. 20 Uhr | Arbeitnehmerkammer, kammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen | Galerie im Foyer, Arbeitnehmer- 03 04 Juni Juni Die Bremer Pflegeinitiative gegen den Fachkräftemangel Monitoringveranstaltung: Die Bremer Pflegeinitiative stellt ihre Ergebnisse zur Diskussion. 13 bis 17 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Juni Bürgerstraße 1, 28195 Bremen kammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen 29. April – 29. Mai 2015 ›day by day‹ 09 M a i von Rolf Giegold Kültür-Heimatabend Audiovisuelle Installation über Anatolische Musik, die Wortden Lebens- und Arbeitsraum schatzräuber-Geschichte auf einer Forschungsstation in und gut aufgelegter Orient-Pop. der Antarktis. 20 Uhr | Arbeitnehmerkammer, Eintritt frei. Öffnungszeiten: Bürgerstraße 1, Mo und Mi 8–18.30 Uhr, Di und 28195 Bremen Do 8–16.30 Uhr, Fr 8–13 Uhr aus: ›... alles andere können wir uns kaufen.‹ Der Maidan im Frühjahr 2014 – Fotografien von Sonja Och
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