Schifffahrt 2015-1 - Fachbereich Verkehr

Fachbereich Verkehr
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d e r v e r.d i - R e p o r t
01
AKTUELLES
Fusion schafft Arbeitsplätze
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FOTO: HAPAG LLOYD
01
SCHIFFFAHRT
Enttäuschung auf der ganzen Linie!
Gut Ding muss Weile haben? Am
19. Februar 2015 erhielt der ver.diVorsitzende Frank Bsirske die Antwort des Bundesverkehrsministers
auf einen Brief, den er am 25. November 2014 geschrieben hatte.
Bsirske hatte darin die schifffahrtspolitischen Forderungen der Gewerkschaft dargestellt. Angesichts
der langen Zeitspanne sollte man
meinen, dass sich Alexander Dobrindt (CSU) in seiner Replik intensiv
mit den ver.di-Positionen auseinandergesetzt hat. Aber weit gefehlt! Der Brief enthält eine Ansammlung nichtssagender Allgemeinplätze.
In der Vorbereitung des Bsirske-Briefes
hatten sich die Mitglieder der Bundesfachgruppe Schifffahrt intensiv Gedanken gemacht, welche Forderungen erhoben werden sollen und was politisch für die
Seeleute verantwortet werden kann. Herausgekommen ist ein umfangreiches Forderungspaket, dass wir in der letzten
SCHIFFFAHRT (3 | 2014) dargestellt haben.
Unsere Forderungen sind in Schifffahrtskreisen breit diskutiert worden und haben
weitere Diskussionen angestoßen, wie
endlich die Förderung der Schifffahrt auch
zur Förderung der Seeleute werden kann.
Umsteuern statt weitermachen heißt unser
Motto!
Und die Antwort des Ministers? Er
schreibt als erstes davon, dass ihm andere
Partner des maritimen Bündnisses auch
von ihren Sorgen um den maritimen Standort und den Erhalt des seemännischen
Know-hows berichten. Die strukturellen
Veränderungen in der Seeverkehrsbranche
sind nach Meinung des Bundesministers
Dobrindt noch nicht abgeschlossen. Auf
vertrauensvoller Basis sei nach seiner
Auffassung „eine positive Entwicklung
­
des Schifffahrtsstandorts Deutschland er-
reicht“ worden. Kein Wort davon, dass die
Anzahl deutscher Seeleute in den letzten
vier Jahren um 25 Prozent zurückgegangen
ist! Ein Bundesminister, der daraus eine
positive Entwicklung des Schifffahrtsstandorts abliest, will offensichtlich die Realität
nicht sehen!
Auch in schwierigen Zeiten solle im
­maritimen Bündnis der Dialog fortgeführt
werden, um Arbeitsplätze und Ausbildung
zu erhalten, heißt es weiter. In der Umbruchphase sollen alle Partner im maritimen Bündnis die Rahmenbedingungen
gestalten, um Ausbildung und Beschäftigung zu sichern. „Es gilt, ein Maßnahmepaket zu schnüren, in das jeder seinen
­Beitrag einbringt“, so der Minister. Hierbei
könne ver.di zum Beispiel mit der Fortsetzung des Dialogs über die Schiffsbesetzung
mit den Partnern des maritimen Bündnisses einen wichtigen Beitrag zur Wett­
bewerbsfähigkeit der Schifffahrt unter
deutscher Flagge leisten.
Der Minister fordert ver.di also auf,
mit denjenigen, die nur noch einen oder
maximal zwei deutsche Seeleute auf 370
deutschen Schiffen vorschreiben wollen,
über diesen Arbeitsplatzabbau zu verhandeln. Ein Ansinnen, das für Ausbildung
und Beschäftigung in der Schifffahrt keinen Sinn macht! Schade, dass der Bundes­
minister zweieinhalb Monate für diese
­völlig unzureichenden „Erkenntnisse“ gebraucht hat!
Wir müssen feststellen, dass es der
Verkehrsminister abgelehnt hat, zu den
­
Forderungen der Seeleute nach dauerhafter Beschäftigung und mehr Unterstützung
für sichere Arbeitsplätze Stellung zu nehmen – ein Armutszeugnis für den zustän­
digen Fachminister.
Aber wir werden den zuständigen
Minister und die Bundeskanzlerin nicht aus
der Pflicht nehmen: Spätestens bei der
­Maritimen Konferenz im O
­ ktober müssen
KS
sie Farbe bekennen.
Viking Cruises on a collision course
The rapidly expanding Viking River
Cruises called on its personnel in the
middle of January to accept future
salary payments in Euros – at the
­
December exchange rate of 1:1.21.
­
And now, without the consent of the
c. 2,000 employees, the company has
gone ahead and transferred the January pay at the rate that it had unilaterally decided on. The current rate is
1:05. This sort of coercion has been
accompanied by massive pressure on
the nautical crews who are currently
on board in the ships’ winter quarters.
The majority of the boatmen have
rejected the plans of the company,
­
formed their own network and involved Nautilus International. 65 of
them are organized by now!
Three alleged “ringleader” have already been fired, others have been threat-
ened with the same fate. All of this is hard
to understand as the company is currently
booming and the greater part of its income is in the form of US dollars and
pounds sterling. At the same time the
company of course wants to profit from
Switzerland’s lower company tax and social security contributions – all paid in
Swiss francs. We tried to get in touch with
the company several times without success. Meanwhile the management tries to
put more pressure on the staff to sign
new contracts with ­
conditions that are
worse than before.
The unions provides legal advice to
the crewmembers and information to the
public. Great media response was gained.
Nevertheless the company seems to be
willing to continue their policy of confrontation. This means no other choice to increase the pressure on Viking with every
means possible in the very near future.
RECHT
Laschen: Sache der
Hafenarbeiter
Das Laschen von Containerschiffen
ist gefährliche Schwerstarbeit, die
laut Dockerklausel den Hafenarbeitern vorbehalten ist. Immer wieder müssen jedoch Seeleute diese
Arbeit übernehmen, tragische Unfälle und schwere Verletzungen
sind die Folge. ver.di startet eine
Aktion, um diesen Regelverstößen
entgegenzuwirken. Seite 5
SOZIALES
Arbeitszeitregelung
Binnenschifffahrt
Nach vier zähen Jahren beschlossen die Sozialpartner auf EU-Ebene
einen Vertrag über die Regelung
der Arbeitszeitgestaltung in der
Binnenschifffahrt. Der Weg dahin
war steinig, nicht alle Mitgliedsstaaten wollten mitmachen. Bei
Nichtratifizierung des Abkommens
droht ihnen ein sogenanntes Nicht­
umsetzungsverfahren. Seite 6
INTERNATIONALES
Gelebte Solidarität
in Westafrika
FOTO: ITF
ETF forces an urgent call for solidarity
Die Fusion der Linienreederei
­Hapag-Lloyd mit der chilenischen
CSAV (Compañía Sud Americana
de Vapores) ließ die Hamburger zur
Nummer Vier in der weltweiten
Containerschifffahrt aufsteigen.
Hapag-Lloyd transportiert nun mit
mehr als 200 Schiffen jährlich
rund sieben Mio. Standardcontainer (TEU) auf den Weltmeeren. Die
durch die Fusion hinzugekommenen chilenischen Frachter sind kleiner, aber zahlreich. Synergien verspricht man sich nicht zuletzt in der
Hamburger Zentrale. Dort werden
in diesen Wochen 180 zusätzliche
Arbeitsplätze besetzt: Die Beschäftigten der zwei CSAV-Gesellschaften mit Sitz in Hamburg werden
„integriert“. Wir fragten beim Konzernbetriebsrat nach. Seite 3
FOTO: VIKING CRUISES
Campaign against Viking
Viking hired the Passenger Terminal
(PDA) in Amsterdam to celebrate 7 new
longships (each of them cost about 25
­Million Euros) on Wednesday 18th March
2015. The idea is to be present in front of
the entrance door(s) and to distribute our
leaflets to the guests.
All affiliates are kindly requested to send
a delegation to Amsterdam on Wednesday
18th March 2015 to support the ETF in
her struggle with Viking River Cruises.
At the beginning of the 2015 river cruise
season in April, ETF wants to “escort” a
Viking cruise ship on the Rhine and visit
them and distribute leaflets to the passengers at each port of call. All ETF affiliates
will be contacted in due time to ensure that
they can board the vessel when it calls
at their ports. More detailed information
will follow shortly. Affiliates are kindly
­requested to indicate their willingness to
ETF
participate in the Campaign.
Further information: www.etf-europe.org
Für den gesamten Kontinent Afrika
gibt es bisher nur fünf ITF-Inspektoren. Die gewerkschaftlichen Strukturen sind entsprechend schwach,
obwohl dort viele wichtige Häfen
liegen – etwa in Lagos, Lome, Abidjan, Mombasa oder Port Said. Das
soll sich jetzt ändern. Die ITF startete ein Projekt: Sogenannte ITF-Contacts wurden geknüpft, um Schiffe
zu kontrollieren und Seefahrern in
Not zu helfen. Speziell geschulte
Kontaktleute sind heute in Abidjan,
Lome, Bissau, Cotonou, Dakar und
San Pedro tätig. ver.di unterstützt
das Projekt aktiv. Seite 8
2
MEINUNG
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
EDITORIAL
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Ihr wisst wie ich, es geht im maritimen
­Sektor nicht um die bloße Existenz tonnenschwerer Stahlkolosse, die die Weltmeere
durchkreuzen, es geht um Arbeitsplätze.
Arbeit statt Eisen! war deshalb das Motto
unserer gewerkschaftlichen Bemühungen
der letzten Monate. Und es bleibt auch
weiter unser Ziel, Ausbildung, Beschäftigung und dauerhafte Arbeit in der Schifffahrt zu sichern. Die millionenschwere
­Unterstützung und Subventionierung der
deutschen Reeder durch den Staat und
damit uns Steuerzahlern muss an Aus­
­
bildung und Beschäftigung für deutsche/­
inländische Seeleute gebunden werden!
Auch wenn ich von den Entlassungen
bei NSB bei der letzten Ausgabe der
„Schifffahrt“ bereits gewusst habe, solche
bitteren Erfahrungen gehen nicht spurlos
an einem Gewerkschafter vorbei. Bei Treffen
mit Betriebsräten aus der Branche oder mit
unseren aktiven Funktionären wird immer
wieder über NSB gesprochen, und über
die Entlassungen, die Folge der Unternehmenspolitik sind. Und jeder Seemann von
NSB muss selbst entscheiden, ob er gegen
die wahrscheinlich unzulässige (Austausch-)
Kündigung vorgeht oder die Regelungen
des Sozialplans in Anspruch nimmt.
Und nach zweieinhalb Monaten hat der
Bundesverkehrsminister Dobrindt unserem
Vorsitzenden Frank Bsirske einen Brief geschrieben. Unser Bundesvorstandsmitglied
Christine Behle war dem CSU-Minister keine Nennung wert, eine besondere Form der
Ignoranz. Der Brief wiederholt verschiedene, längst bekannte Allgemeinplätze und
fordert zum Dialog auf. Gleichzeitig soll ein
Maßnahmepaket geschnürt werden, in das
jeder (also auch die Seeleute) einen Beitrag
einbringen möge. ver.di soll den Dialog zur
Schiffsbesetzung weiter­führen. Dies haben
wir ausdrücklich im Januar abgelehnt. Wir
hätten es damals auch nicht für möglich
Arbeit statt Eisen!
gehalten, dass uns knapp zwei Monate
später der Bundes­verkehrsminister einen
weiteren Dialog zur Verminderung der Beschäftigungsverpflichtung deutscher Seeleute nach der Schiffsbesetzungsverordnung empfiehlt.
Gleichzeitig werden wir mit Vorschlägen
der Arbeitgeberseite konfrontiert, überhaupt nur noch ca. 300 bis 400 deutsche
Seeleute auf den verbliebenen Schiffen unter deutscher Flagge vorzuschreiben. Nach
dem Szenario, das die Reeder in den l­ etzten
Jahren bereits erprobt haben, sind dann
weitere Entlassungen zu erwarten; es
­wären Tausende Seeleute betroffen. Wir als
Gewerkschaft haben uns dazu klar posi­
tioniert: Nicht mit uns!
Die schifffahrtspolitischen Forderungen
von ver.di sind an den Verkehrsminister,
die Ministerpräsidenten und Ersten Bürgermeister der Küstenländer gegangen, und
haben zumindest für Diskussionen gesorgt.
Damit ist ein Gegengewicht zu Auffassung
und Handeln der Arbeitgeberseite geschaffen. Wir haben eine gute Diskussionsgrundlage geliefert und Perspektiven gezeigt. Die Arbeit unserer Bundesfachgruppe
hat sich gelohnt. An unseren Forderungen
kommt in Diskussionen niemand vorbei.
Auch wichtig: Der Manteltarif See­
wurde erneuert, zumindest was die SFN-­
Stunden betrifft. Die weitere Anpassung
an das Seearbeitsgesetz ist geplant und
wird ­hoffentlich im ersten Halbjahr 2015
abgeschlossen werden können.
In den nächsten Monaten wird uns ein
weiteres großes Thema beschäftigen, das
wir gemeinsam mit den Hafenarbeitern
­bewältigen müssen: die Durchsetzung der
„Dockerklausel“. Die bestehenden Verträge dazu werden von den Unternehmen
bewusst nicht eingehalten, um die Kosten
für das „Entlaschen“ der Schiffe in den
­Häfen zu sparen – Ihr seht, viel zu tun.
KLAUS SCHROETER | FOTO: PRIVAT
Wir bleiben dran. Gemeinsam müssen
wir in Politik, Öffentlichkeit und Unternehmen deutlich machen, wie ernst es um
die Ausbildung und noch mehr um die
Beschäftigung deutscher Seeleute steht.
­
Wir sollten aber auch zeigen, welche guten
Chancen durch ein Umsteuern der Politik
für unsere Kolleginnen und Kollegen entstehen können!
Klaus Schroeter
INTERVIEW
Wir wollen den deutschen
maritimen Bereich pushen
Fragen an Sonja Steffen, MdB, „Lotsin“ der SPD-Küstengang
umhin, das anzuerkennen. In diesem Jahr
ist die Aufmerksamkeit größer, weil ja die
Nationale Maritime Konferenz vor der Tür
steht.
„KÜSTENKIND“ MIT DER WOHL GRÖSSTEN WASSERFLÄCHE IN IHREM WAHLKREIS
IN VORPOMMERN ZWISCHEN DARSS, RÜGEN UND GREIFSWALD:
SONJA STEFFEN LOTST SEIT 2013 DIE SPD-KÜSTENGANG | FOTO: PRIVAT
Frau Steffen, was ist die „Küstengang“
und wie wird man deren „Lotsin“?
Sonja Steffen | Die „Gang“ ist ein freiwilliger Zusammenschluss der SPD-Bundestagsabgeordneten aus den Ländern,
die im Norden unserer Republik liegen und
Küste zu Nord- und Ostsee haben: also
Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Wir treffen uns mindestens einmal
im Monat und sprechen über unterschied­
liche maritime Themen. Die Küstengang
wird sehr gut angenommen und hat eine
lange Tradition. Die beteiligten Parlamentarier kümmern sich auch in ihren Wahlkreisen um die maritime Wirtschaft und
ihre Verflechtungen. Als ich 2009 in den
Bundestag gewählt wurde, war Uwe Beckmeyer Lotse der Küstengang. Ich habe mich
sofort mit engagiert und Uwe Beckmeyer
hat mich sehr bald gefragt, ob ich „Fest­
macherin“, also seine Stellvertreterin, werden möchte. Das war eine Ehre für mich als
Neuling. Ich habe dann vier Jahre eng
mit dem Lotsen zusammengearbeitet. Als
Uwe Beckmeyer in dieser Legislaturperiode
Koordinator der Bundesregierung für die
maritime Wirtschaft wurde, bin ich für ihn
nachgerückt. Mit mir als Lotsin und zwei
Festmachern bilden wir den Vorstand und
halten die „Gang“ zusammen.
Nicht nur von Ihren Abgeordneten­
büros aus?
Sonja Steffen | Die Arbeit findet natürlich
in erster Linie in unseren Büros statt, aber
Höhepunkt ist jedes Jahr eine Sommer­
bereisung, bei der wir uns vor Ort mit Problemen und Entwicklungen im maritimen
Bereich beschäftigen. Letztes Jahr waren
wir in Bremerhaven und Cuxhaven. Davor
haben wir Stralsund besucht und uns den
Offshore-Windpark Baltic I angesehen. Im
Juli dieses Jahres führt uns die Sommer­
bereisung nach Hamburg. Dort wollen wir
uns unter anderem den Container Terminal
Altenwerder der HHLA, der Hamburger
­Hafen und Logistik AG, und das AirbusGelände in Finkenwerder ansehen.
Wie würden Sie die Ziele der
­„Küstengang“ beschreiben?
Sonja Steffen | Unser Ziel ist es, die
­maritime Wirtschaft in Deutschland weiter
nach vorne zu bringen. Wir wollen Knowhow bewahren und Perspektiven eröffnen.
Das deckt eine große Bandbreite ab –
angefangen bei der Beschäftigung für
­
deutsche Seeleute über die Entwicklung
maritimer Technologien bis hin zur ökologischen Energiegewinnung durch OffshoreAnlagen, aber auch zur Reform der Wasserund Schifffahrtsverwaltung.
Angesichts vieler großer außen- und
finanzpolitischer Baustellen oder der
allgegenwärtigen Mautproblematik
ist alles nicht so einfach ins Bewusstsein des gesamten Parlaments zu
­tragen, oder?
Sonja Steffen | Das stimmt. Das Maritime
findet neben Straße und Schiene leider viel
zu wenig Beachtung. Wir müssen immer
wieder Interesse wecken, immer wieder
­erklären, dass die maritime Wirtschaft auch
für Bayern und Baden-Württemberg von
Bedeutung ist. Wer weiß, wie viel unseres
Im- und Exports über den Seeweg abgewickelt wird, wie wichtig eine gute Hafen­
hinterlandanbindung ist, der kommt nicht
Kommen wir zu einigen Sachfragen:
Ganz wichtiges Thema für die Erhaltung des maritimen Know-hows und
zur Standortsicherung ist eine bedarfsgerechte Ausbildung von Fachpersonal.
Sonja Steffen | Ausbildungsfragen ordnen sich in den Komplex ein, wie die Politik
die deutschen Seeleute insgesamt unterstützen kann. Wir müssen es hinbekommen, dass die Unternehmen, die Reedereien wieder mehr deutsche Seeleute und
Schiffsmechaniker ausbilden. Das werden
sie aber nur tun, wenn sie davon ausgehen,
die Absolventen später auch weiterbeschäftigen zu können. Nur Ausbildungsplätze zu fördern, nützt wenig. Es geht
insgesamt um Beschäftigung. Und da kann
man der Wirtschaft – wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat – bei all den Schwierigkeiten, die die Krise für sie mit sich
bringt, das Feld nicht alleine überlassen.
Sind 12,87 Euro Stundenlohn für die
Arbeit eines fertig ausgebildeten
Schiffsmechanikers auf See zu teuer?
Sonja Steffen | Der Verband Deutscher
Reeder spricht von 6.900 Euro für 1,8 Stellen monatlich. Das hört sich schon anders
an. Aber natürlich ist das auch angesichts
von Zuschlägen nicht zu teuer für qualifizierte Arbeit im Schichtbetrieb. Im Gegenteil. Wir wissen insgesamt von 470 deutschen Schiffsmechanikern, so viele sind das
also gar nicht. Deren Beschäftigung und
Bezahlung wird von den Reedern eher zum
Problem gemacht. Ich wehre mich dagegen, solch eine spezialisierte Berufsrichtung womöglich aussterben zu lassen, weil
die Reeder sagen: Eigentlich brauchen wir
die nicht, die Arbeit können notfalls auch
andere an Bord erledigen; gegebenenfalls
auch keine deutschen Fachkräfte. Das ist
alles sehr kurz gesprungen.
Wie beurteilen Sie das Gesetz zur
­Änderung des Flaggenrechtsgesetzes
und der Schiffsregisterordnung vom
20. Dezember 2012? ver.di sieht in
dieser Änderung einen „Turbo“ für
die beschleunigte Ausflaggung deutscher Schiffe.
Sonja Steffen | Es ist unstrittig, dass die
deutschen Reeder aktuell ihre Zusagen zur
Anzahl der Schiffe unter deutscher Flagge
nicht mehr erfüllen. Ich habe zuletzt wie-
derholt das Argument gehört, dass es zur
Erfüllung der deutschen Exportverpflichtungen auch gar nicht darauf ankomme, ob
ein Schiff unter deutscher Flagge fahre
oder nicht. Das mache keinen Unterschied.
Folgt man dieser Argumentation, kann
man gleich sämtliche Besatzungen mit
Seeleuten aus Asien besetzen. Macht das
dann auch keinen Unterschied? Würden
künftig nur noch Schiffe unter ausländischer Flagge fahren, wirkt sich das natürlich auf unsere maritime Wirtschaft aus.
Deshalb wünsche ich mir, dass es mit dem
Flaggenrecht wieder bergauf geht. Schauen wir, ob im Zusammenhang mit der diesjährigen Maritimen Konferenz Änderungen
durchsetzbar sind. Das hängt natürlich
auch von unserem Koalitionspartner CDU/
CSU ab. Es kann auf Dauer jedenfalls nicht
sein, dass Förderungen für die Wirtschaft
nicht auch an bestimmte Bedingungen geknüpft werden.
Was sagt die Küstengang zum Vorschlag der Reeder, die Schiffsbesetzungsverordnung so zu ändern, dass
nur noch ein deutschsprechender
­Kapitän und über 8.000 BRZ ein weiterer Offizier vorgeschrieben sein
sollen?
Sonja Steffen | Dafür habe ich sehr w
­ enig
Verständnis. Die Unternehmen sind in
Schwierigkeiten, das wissen wir. Unterstützung ist nötig. Aber ein immer weiteres
Herunterschrauben von Standards ist nicht
sinnvoll. Wir verfolgen vielmehr das Ziel,
das Niveau zu halten oder weiter auszubauen.
ver.di fordert die Bindung der finanziellen Unterstützung für die Reeder
an nachhaltige Beschäftigung deutscher bzw. inländischer Seeleute. Wie
stehen Sie zu diesem Vorschlag?
Sonja Steffen | Ich unterstütze ihn unbedingt. Ich glaube auch, dass Bereitschaft
bei den Reedern dazu da ist. Man weiß
dort auch, dass weitere Erleichterungen an
eine verbindliche Zusage von deutschen
Arbeitsplätzen gebunden werden müssen.
Selbstverpflichtungen werden nicht reichen. Wahrscheinlich muss man Evaluierungen in kurzen Abständen vereinbaren,
auch gesetzgeberisch. Allerdings muss
man die Reeder auf diesem Weg auch mitnehmen.
Die Wirtschafts- und Verkehrsminister der Küstenländer fordern eine
Prüfung des hundertprozentigen
Lohnsteuereinbehalts bis zur Maritimen Konferenz. Will die Küstengang
dies mit der CDU/CSU-Fraktion bis
dahin im Bundestag durchsetzen?
Sonja Steffen | Vorstellbar wäre das.
­Allerdings weckt eine solch herausragende
Förderung natürlich auch Begehrlichkeiten
und Wünsche bei anderen Branchen. Wenn
der Staat 100 Prozent der Lohnneben­
kosten übernimmt, hat das schon einen
extremen Ausnahmecharakter. Ich sympathisiere damit, weil mir die deutsche Schifffahrt sehr am Herzen liegt. Aber letztlich ist
nicht jedes Mittel recht. Es müsste auch
hier gesichert sein, dass es Gegenleistungen gibt.
Und was meint der Koalitionspartner?
Sonja Steffen | Ich glaube nicht, dass das
aussichtslos ist. Das Problem ist auch bei
der Union erkannt.
Kommen wir nochmals direkt zur
­Maritimen Konferenz im Herbst. Die
Vorbereitungen laufen?
Sonja Steffen | Ja. Es wird sieben Branchenforen geben, die sämtlich wichtige
Themen behandeln. Dabei sind auch die
Cluster zu Maritimen Technologien und zu
Klima und Umwelt bedeutsam, weil es
um neue Perspektiven geht. Und die Förderung der deutschen Seeschifffahrt wird ein
ganz zentraler Punkt sein.
Sie bereiten einen Koalitionsantrag
vor?
Sonja Steffen | Ja, wir sind dabei, SPD
und CDU/CSU gemeinsam. Solche Anträge
haben ja bereits lange Tradition. Der Antrag
wird sich an den sieben Themenbereichen
der Branchenforen orientieren und soll
­natürlich möglichst konkrete Maßnahmen
vorschlagen.
Und was würden sie sich persönlich
von der Konferenz wünschen?
Sonja Steffen | Ich wünsche mir zuallererst eine Regelung für die deutsche Seeschifffahrt.
Vielen Dank! Wir wünschen Ihnen und
Ihren Kollegen alles Gute für die Vorhaben, die den Auszubildenden und
Seeleuten nutzen.
IMPRESSUM
Der ver.di-Report
Schifffahrt
Nr. 1, März 2015
Herausgeber:
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
Bundesvorstand:
V.i.S.d.P.: Frank Bsirske, Christine Behle
Koordination:
Klaus Schroeter
Redaktionelle Bearbeitung:
Ute Christina Bauer, Helma Nehrlich
(transit berlin.pro media)
www.pressebuero-transit.de
Redaktionsanschrift:
ver.di-Bundesverwaltung
Fachbereich Verkehr
Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin
Layout, Satzerstellung:
VH-7 Medienküche GmbH
Kreuznacher Straße 62, 70372 Stuttgart,
www.vh7-m.de
Titelfoto Seite 1:
Karikatur: Rainer Hofmann-Battiston
Druck:
apm AG Darmstadt,
Kleyerstraße 3, 65295 Darmstadt
www.alpha-print-medien.de
Der ver.di-Fachbereich Verkehr
ist auch im Internet zu finden:
www.verdi.de/verkehr
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
SCHIFFFAHRT
3
Eine Fusion, die Arbeitsplätze
sichert, nicht Stellen kostet
Hapag-Lloyd integriert die chilenische CSAV | Interessenausgleich und
­Sozialplan ausgehandelt | Fragen an Betriebsrat Oliver Bringe
Es war nicht gerade eine Elefantenhochzeit. Aber die Fusion der Linienreederei Hapag-Lloyd mit der chilenischen CSAV (Compañía Sud Americana
de Vapores) im vergangenen Jahr ließ
die Hamburger mit einem Schlag
zur Nummer Vier in der weltweiten
Containerschifffahrt aufsteigen. Nach
dem Wachstumsschub transportiert
Hapag-Lloyd mit mehr als 200 Schiffen jährlich rund sieben Millionen
Standardcontainer (TEU) voller Waren
auf den Weltmeeren. Die modernsten
Schiffe der Hamburg-Express-Klasse
können über 13.000 Container laden
und bringen es auf beachtliche 23,6
Knoten. Die durch die Fusion hinzugekommenen chilenischen Frachter sind
kleiner, aber zahlreich. Eine Menge
Synergien verspricht man sich nicht
zuletzt in der Hamburger Zentrale.
Dort werden in diesen Wochen auch
180 zusätzliche Arbeitsplätze besetzt:
Die Beschäftigten zweier CSAV-­
Gesellschaften mit Sitz in Hamburg
werden „integriert“. Der Gesamtbetriebsrat der Hapag-Lloyd AG und
der Betriebsrat des chilenischen Gemeinschaftsbetriebes haben mit den
Unternehmen gleich mehrere Ver­
­
einbarungen ausgehandelt. Arbeitsplatzzuwachs ist für sie nicht neu.
Wir sprachen mit Seebetriebsratsund Gesamtbetriebsratsvorsitzenden
Oliver Bringe.
lungsmandat. Hinzu kamen die Interessenvertreter des chilenischen Gemeinschaftsbetriebes – ein siebenköpfiger Betriebsrat
– und je ein Sachverständiger. Dann natürlich die beiden Geschäftsführungen. Es
­saßen jedenfalls regelmäßig bis zu 25 Personen am Tisch. Und verhandelt wurde an
zwei Tagen die Woche, von Ende Oktober
bis zum Abschluss von Interessenausgleich
und Sozialplan am 16. Januar.
Die Mühe hat sich gelohnt?
Oliver Bringe | Das finden wir schon. Wir
sind sogar sehr zufrieden. Es wurden ins­
gesamt vier wichtige Vereinbarungen ausgehandelt. In vernünftiger Atmosphäre, die
Schlichtungsstelle musste nicht angerufen
werden.
Und welche Vereinbarungen sind das?
Oliver Bringe | Zunächst ging es um
­einen „Teilinteressenausgleich zur Implementierung eines Jobportals“. Der wurde
am 3. Dezember 2014 verabschiedet und
regelt, dass bei der Hapag-Lloyd AG 180
neue Stellen geschaffen werden, um die
Beschäftigten der CSAV über individuelle
Bewerbungsverfahren zu integrieren. Ziel
ist eine einheitliche Organisationsstruktur.
Wir Betriebsräte haben in den Verhand­
lungen gesichert, dass es bis Ende 2016
keine betriebsbedingten Kündigungen geben darf. Dass gilt für die neu Hinzukommenden von CSAV, aber auch für 1.350
Hapag-Lloyd-Beschäftigte an Land und für
etwa 600 im Seebetrieb.
FOTOS (2): PRESSESTELLE HAPAG-LLYOYD
In welchem Zeitraum läuft diese
­„Implementierung“?
Oliver Bringe | Bereits zum 1. März soll
ein Gemeinschaftsbetrieb von Hapag-Lloyd
und CSAV in Hamburg gebildet werden.
Zum 1. Juli ist dann der komplette Betriebsübergang geplant.
OLIVER BRINGE | FOTO: PRIVAT
Fusionen sind oft gefürchtet, meist
bedeuten sie Arbeitsplatzabbau. In
Eurem Fall stand das nicht zu befürchten. Aber von einer Liebesheirat
mit dem chilenischen Partner kann
dennoch keine Rede sein?
Oliver Bringe | Nein. Vernunftehe trifft es
eher, wenn man Unternehmenswachstum
als Grund gelten lassen will. Fusionieren
gehört in der Containerschifffahrt und speziell bei Hapag-Lloyd zur Überlebensstrategie. Den letzten großen Zusammenschluss
gab es 2006 mit der kanadischen CP Ships.
Deshalb konnten wir auch als Interessenvertretung auf Erfahrungen mit der Übernahme von Beschäftigten zurückgreifen.
Zuletzt wurde von einer Fusion mit der
Hamburg-Süd Gruppe gemunkelt. Nun hat
es mit CSAV geklappt. Von Synergien und
­einer Gewinnmaximierung auf 300 Mio.
US-Dollar ist in einer Unternehmensmitteilung die Rede. Wir hatten jedenfalls auf
Arbeitnehmerseite ausreichend Zeit und
Know-how, die Fusion im Interesse der Beschäftigten zu begleiten.
Man hört, es gab einen regelrechten
Verhandlungsmarathon mit vielen
Beteiligten?
Oliver Bringe | Von unserer Seite hatte
der Gesamtbetriebsrat Inland das Verhand-
Das heißt, sämtlichen deutschen Beschäftigten von CSAV wird eine Stelle
bei Hapag-Lloyd angeboten?
Oliver Bringe | Exakt. Wir Betriebsräte
gehen im übrigen davon aus, dass das hinzukommende Personal perspektivisch nicht
einmal ausreichen wird, den wachsenden
Bedarf zu decken. Unternehmensüberzeugung ist, dass in der Containerbranche nur
noch mit Größe Geld zu verdienen ist. –
Aktuell ist es die freie Entscheidung jedes
Einzelnen, ob er den Übergang von CSAV
zu Hapag-Lloyd mitmachen will. Ich höre
bisher ganz mehrheitlich von Zustimmung.
Die Bedingungen sind im Interessenausgleich und Sozialplan geregelt.
Wie genau?
Oliver Bringe | Zum Beispiel ist fest­
geschrieben, dass alle neu Hinzukommenden Anspruch auf Einarbeitung und
­Qualifizierung haben, dass sie dafür üblicherweise sechs Monate Zeit bekommen
und dass die Kosten dafür der Arbeitgeber
trägt. Geregelt ist auch, dass niemandes
Arbeits­verhältnis durch den Betriebsübergang verschlechtert werden darf. Weder
hinsichtlich der Bezahlung noch der
Arbeitszeit. Bei der Arbeitszeit konnten
­
wir sogar sichern, dass für alle, die bei
CSAV bisher eine 40-Stunden-Woche hatten, jetzt die Hapag-­Lloyd-Regelung einer
38-Stunden-Woche gilt – ohne Entgelt­
verluste. Hinsichtlich der betrieblichen
­Altersversorgung gibt es eine Sonderregelung, aber im Prinzip werden auch die
Betriebszugehörig­
keiten bei der Fusion
anerkannt. Schließlich gibt es natürlich
eine Abfindungsregelung, falls jemand
den Betriebsübergang persönlich nicht
mitmachen will.
Das klingt alles gut …
Oliver Bringe | Klingt nicht nur gut, ist
es auch. Basis ist das Betriebsverfassungsgesetz.
Das für die Seebeschäftigten allerdings nicht bindend ist.
Oliver Bringe | Genau das hat der See­
betriebsrat auch gesehen. Wir wollten der
Gefahr einen Riegel vorschieben, dass
etwa im Zuge der Fusion weitere Schiffe
ausgeflaggt werden könnten. Auch in der
Hinsicht wurde mit einer extra Verein­
barung zwischen Hapag-Lloyd und dem
Seebetriebsrat eine Art Bestandsschutz
­gesichert.
Also tatsächlich an alles gedacht?
Oliver Bringe | Für den Moment wohl
schon. Ich gehe allerdings davon aus, dass
die praktische Umsetzung noch einiger­
maßen spannend wird. Es stellen sich Fragen wie: Was passiert mit dem Seebetrieb
der CSAV? Kommen die etwa 20 CSAV-­
eigenen Schiffe unter deutsches Management? Unter deutscher Flagge wäre uns
natürlich am liebsten. Unklar ist auch, wie
es mit dem Neubauprogramm weitergeht,
das die chilenische Gesellschaft geplant
hat. Genügt es deutschen Standards? Oder
fährt Hapag-Lloyd mit einem finanzstarken
Investor ein separates Neubauprogramm?
Außerdem: Bisher hat Hapag-Lloyd 41
Schiffe unter deutscher Flagge. Drei davon
sollen allerdings 2015 abgegeben werden.
Von Ersatz ist bisher keine Rede. Den
­fordern wir als Beschäftigtenvertreter aber
unbedingt, sonst müsste es früher oder
später den nächsten Interessenausgleich
und Sozialplan geben. Alles das muss sich
in den nächsten Monaten entscheiden.
Wir wünschen weiter gute Nerven
und viel Erfolg!
INTERVIEW: HELMA NEHRLICH
Internationale ­Zusammenarbeit
der Gewerkschaften gestärkt!
Der hier beschriebene Zusammenschluss macht eine veränderte Zusammenarbeit der ITF-Gewerkschaften nötig. Deshalb haben ver.di und
die drei chilenischen Brudergewerkschaften am 23. Januar 2015 eine
Vereinbarung getroffen. Damit wird
klargestellt, dass ver.di zwar grundsätzlich nach den ITF-Regeln Heuerverträge für die CSAV-Schiffe machen
müsste, aber zu Gunsten der chilenischen Kollegen darauf verzichtet. Die
chilenischen Gewerkschaften können
dadurch weiterhin die Arbeitsbedingungen für Ihre Mitglieder auf den
CSAV-Schiffen gestalten. In Chile
wird über diese Verträge auch die
­Sozialversicherung der Seeleute ge-
regelt. ver.di und die chilenischen
Kollegen haben außerdem im Agreement einen regelmäßigen Austausch
und gemeinsame Konsultationen zur
Situation im zusammengeschlossenen Unternehmen verabredet.
„Auf den ersten Blick hat ver.di
auf Verhandlungsrechte verzichtet.
Auf den zweiten Blick lassen wir
­unseren chilenischen ITF-Kollegen die
Möglichkeit, weiter für ihre ­Mitglieder
­tätig zu sein“, erklärte ver.di-Bundesfachgruppenleiter Klaus Schroeter.
„Ich habe mich sehr darüber gefreut,
dass wir im Geiste internationaler
­Solidarität eine beispielhafte Vereinbarung abgeschlossen haben. So werden wir weiter zusammenarbeiten!“
4
KÜSTENLÄNDER
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
Ein Lichtblick?
ver.di: Erleichterungen für deutsche
­Reeder nur bei Beschäftigungssicherung
Das Hoffnungspflänzchen ist zart:
Im Februar haben sich die Wirtschaftsund Verkehrsminister der deutschen
Küstenländer zu einer Erklärung
durchgerungen, in der sie die Partner
des Maritimen Bündnisses auffordern, sich zum Schifffahrtsstandort
Deutschland zu bekennen. Im Gegenzug haben die Politiker die Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts in Aussicht
gestellt. Damit sollen die deutschen
Reedereien, die unter starkem internationalen Wettbewerbsdruck stehen,
kurzfristig eine Kostenentlastung erfahren. ver.di begrüßt den ministeriellen Schritt, drängt jedoch darauf, dass
die Erleichterungen nur zugunsten unbefristeter Beschäftigung deutscher
bzw. inländischer Seeleute gewährt
werden. In einem an die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Ersten Bürgermeister der Stadtstaaten
gerichteten Brief hat die Gewerkschaft
Stellung zur Politikererklärung bezogen und ihre bekannten Forderungen
bekräftigt.
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Wilhelmshaven, den 9. Februa
Ein erster
Schritt, aber
noch kein
Durchbruch!
von Christine Behle,
zuständiges Mitglied
des ver.di-Bundes­
vorstandes
Auf einer Konferenz in Wilhelms­
haven am 9. Februar haben sich
die Wirtschafts- und Verkehrsmi­
nister der norddeutschen Küstenländer darauf geeinigt, eine gemeinsame Initiative zur Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts zu
„erwägen“. Wir begrüßen diese
Erklärung der Minister ausdrücklich! Allerdings reicht ein schlichtes „Erwägen“ natürlich nicht aus.
Den deutschen Seeleuten steht
das Wasser buchstäblich bis zum
Hals. Absolventen der Schifffahrtsschulen erhalten keine Plät­
ze, mit denen sie ihre Erfahrungsseezeit ausfahren können! Wir
fordern daher mit Nachdruck,
dass die Politik schnelle Lösungen
findet, die den See­leuten unbefristete und sichere Arbeitsplätze
garantieren.
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske
und ich haben gleichlautende Briefe
an Stephan Weil, Torsten Albig, Erwin
Sellering, Olaf Scholz und Jens
­Böhrnsen – Ministerpräsidenten und
Erste Bürgermeister der Küstenländer
– geschrieben. Darin wollten wir einerseits deutlich machen, wie sehr wir
die Überlegungen zum Lohnsteuer­
einbehalt begrüßen. Zum anderen
haben wir aber auch herausgestellt,
dass es aus ver.di-Sicht nur dann
richtig ist, die Unterstützungen für die
Reeder zu erhöhen, wenn Ausbildung
und Beschäftigung durch die Reeder
zuverlässig gesichert werden.
Mit den schifffahrtspolitischen
ver.di-­Forderungen, die wir im November 2014 an die Minister richteten,
haben wir der einseitigen Darstellung
des Verbands der Reeder (VDR) unsere
gewerkschaftlichen Positionen entgegengestellt. Vor allem haben wir darin
unsere alternativen Vorstellungen für
Beschäftigung und Ausbildung deutlich gemacht.
ver.di wird in dieser Sache nicht
lockerlassen! Die Maritime Konferenz
im Herbst bietet der Politik Gelegenheit, endlich praktische Lösungen
vorzulegen. Das Ziel muss immer
lauten: Ausbildung und Beschäftigung sichern. Sonst darf es zusätz­
liche Zahlungen und Erleichterungen
für die Reeder nicht geben.
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
RECHTLICHES
5
Hände weg von der
Schiffsbesetzungsverordnung
Erneuter unheilvoller VDR-Vorstoß
FOTO: U.C. BAUER
FOTO: ISTOCKPHOTO.COM
Laschen ist Hafenarbeit!
Und dabei bleibt es!
Internationale Kampagne gegen Laschen durch Seeleute
„Laschen“ – im allgemeinen Sprachgebrauch ist damit das Festmachen
mit Gummibändern und Einwickeln
mit Seilen gemeint. Auf Schiffen ist
Laschen jedoch gefährliche Schwerstarbeit. Wer Bilder von Containerschiffen sieht, auf denen die Container
sechs oder mehr Reihen hoch gestapelt sind, weiß, worum es geht. Wenn
die obersten Container zum Entladen
vor dem nächsten Hafen gelöst – entlascht – werden sollen, müssen Seeleute als Akrobaten mit schwerem
Werkzeug zig Meter über dem Deck
die Befestigungsstangen lösen. Dies
hat nichts mit einfacher Arbeit oder
leichter Tätigkeit zu tun, diese Arbeit
ist auf See viel gefährlicher, als wenn
dies im Hafen entsprechende Fachleuten bei festgemachtem Schiff tun.
Immer wieder wird von tragischen Unfällen beim Laschen von Containern berichtet,
immer wieder treffen unsere ITF-Inspektoren Seeleute, die sich beim Laschen Ver­
letzungen zugezogen haben oder gar Gliedmaßen, meist Finger, verloren haben. Der
MTV See wie auch unsere internationalen
Tarifverträge der ITF regeln eindeutig: „Ladungsarbeiten/Ladungssicherungsarbeiten
im Hafen sind grundsätzlich den Hafen­
arbeitern oder sonstigem qualifiziertem
Landpersonal vorbehalten. Ladungsarbeiten/Ladungssicherungsarbeiten auf See sind
nur dann zulässig, wenn die Schiffs- und/
oder Ladungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist“ (MTV See, § 10.4).
Der Verband der Reeder und seine Mitgliedsunternehmen und ver.di haben also
die Sicherheit der Seeleute und die Qualifi-
kation der Hafenarbeiter in den Vordergrund gestellt. Davon darf nur abgewichen
werden, wenn die Hafenarbeitergewerkschaft ver.di nicht widerspricht und entsprechende Sicherheitsausrüstung eingesetzt wird.
Diese sogenannte „Docker-Klausel“ gilt
auch sinngemäß auf den Schiffen, die
ver.di/ITF-Verträge haben und in Billigflaggenländern (FOC) registriert sind. Vereinfacht gesagt: Auf nahezu allen Schiffen, die
deutsche Häfen anlaufen, gilt das LaschVerbot für Seeleute. ver.di hat in keinem
einzigen Fall einer Abweichung von diesem
Verbot zugestimmt. In einer ersten Untersuchung hat ver.di jedoch festgestellt, dass
insbesondere auf Feeder-Schiffen das Laschen und weitere Hafenumschlagsarbeiten von Seeleuten gemacht werden. Ein
klarer Bruch bestehender Verträge!
Mit den Betriebsräten der Hafenarbeiter
startete ver.di jetzt Aktivitäten, um dieser
illegalen Praxis ein Ende zu bereiten! Ein
erstes Gespräch mit dem VDR als Tarif­
partei hat im Dezember stattgefunden, erste Verabredungen wurden getroffen. ver.di
hatte dafür Unterlagen vorbereitet, um
„Ross und Reiter“ nennen zu können – aus
den Häfen lagen der Gewerkschaft Meldungen über Schiffe vor, die auf See entlascht worden waren, ohne dass ihre Zustimmung eingeholt w
­orden wäre. Der
Arbeitgeberverband hat zugesichert, die
Einhaltung der Tarifverträge bei seinen Mitgliedern anzumahnen. Die ver.di-Vertreter
ließen keinen Zweifel daran, dass sie für
ein Ende dieses Rechtsbruchs und für die
Sicherheit der Seeleute, aber auch für die
Arbeitsplätze der Hafenarbeiter in den
deutschen Häfen sorgen werden.
Klaus Schroeter, Bundesfachgruppen­
leiter Schifffahrt, erläutert: „Die DockerKlausel ist das einigende Band zwischen
Seeleuten und Hafenarbeitern. Es sollte
von niemandem angetastet werden! Wir
werden alles dafür tun, dass die Klausel
konsequent umgesetzt wird und endlich
Schluss gemacht wird mit der Gefährdung
der Seeleute durch das Entlaschen auf
See. Wer nun glaubt, diese Gefährdung
durch vermeintlich großzügige Bezahlung
der Seeleute zu rechtfertigen, irrt sich.
­Unsere finnischen Kollegen haben bereits
begonnen, Schiffe, die entlascht ankommen, anders als üblich zu behandeln. Wir
werden entsprechende Antworten ebenfalls finden, falls sich die Arbeitgeber
nicht an ihre ­unterschriebenen Verträge
RED
halten!“
Am 17. November war die Katze
aus dem Sack: Bei einem Gespräch zur Schiffsbesetzungsverordnung legte der Verband der
Reeder (VDR) einen Veränderungsvorschlag vor, der den Vorstellungen der Gewerkschaft entgegensteht. Im Kern zielt er
darauf ab, auf deutsch geflaggten
Schiffen mit einer Bruttoraumzahl
(BRZ) bis 8.000 lediglich einen
­Kapitän mit deutlich verbesserten
Deutschkenntnissen vorzuschreiben! Auf Schiffen über 8.000 BRZ
soll nach Vorstellung des VDR ein
weiterer Schiffsoffizier mit gleicher Sprachqualität gesetzlich
vorgeschrieben werden. Die Absätze 2 und 3, die auf Schiffen mit
einer Bruttoraumzahl von über
1.600 einen Schiffsmechaniker
nach der See-Berufsausbildungsverordnung und ein wachbefähigtes Besatzungsmitglied aus der
EU vorschreiben, möchte der VDR
ersatzlos streichen. Begründet
hat der VDR seinen Vorschlag mit
zu hohen Kosten.
Die ver.di-Bundesfachgruppe hat
den Vorstoß des VDR intensiv diskutiert und sieht darin einen weiteren
Versuch, die Schiffsbesetzungsvorschriften zu deregulieren. Definitiv
dient er nicht dem Bestreben, die
Ausbildungs- und Beschäftigungs­
situation deutscher Seeleute zu verbessern und das maritime Know-how
zu sichern. Dabei hat das Bundes­
verfassungsgericht höchstrichterlich
festgestellt, dass die SchBesV Seeleuten mit Ausbildung nach deutschen
Standards qualifizierte Arbeitsplätze
sichert. Es sah dies als Voraussetzung
dafür an, dass die deutsche Ausbildung in seemännischen Berufen nicht
weiter zurückgeht.
Nach der heutigen Schiffsbesetzungsordnung eröffnet die Schiffsmechanikerausbildung den Zugang
zu einem qualifizierten seemännischen Beruf. Die Ausübung des Berufes ist zwingende Voraussetzung für
die Anerkennung als Facharbeiter;
nur darüber ist der Zugang zu weiterführenden Ausbildungsstätten möglich. Ein Wegfall dieser Ausbildung
würde die Grundlage seemännischer
Ausbildung zerstören. Das Absurde:
Selbst die Reeder sehen die Aus­
bildung zum Schiffsmechaniker als
Grundlage für die Weiterqualifikation
zum Schiffsoffizier an.
Die ver.di Fachgruppe Schifffahrt
hat im Januar ihre Ablehnung in
einem Brief an Hilde Kammerer,
­
Leiterin des Referates Seeschiff­
fahrtspolitik, Seewirtschaft, Seehäfen
im Bundesverkehrsministerium, übermittelt. ver.di erinnerte darin auch an
die Grundidee des Maritimen Bündnisses für Ausbildung und Beschäftigung: Demnach sollen die gern in
Anspruch genommenen Vergünstigungen für die Arbeitgeber – etwa
Tonnagesteuern oder Lohnsteuereinbehalt – gewährt werden, um Arbeits- und Ausbildungsplätze deutscher Seeleute zu sichern. Auch das
Kostenargument des VDR sei nicht
nachzuvollziehen, da voll subventionierte Auszubildende zum Schiffs­
mechaniker auf den vorgeschriebenen Positionen häufig mittels einer
Ausnahmeregelung fahren.
Wenn kein Schiffsmechaniker auf
deutschgeflaggten Schiffen mehr
vorgeschrieben sein sollte, wenn also
mit der Qualifikation keine Berufs­
tätigkeit mehr vorgeschrieben ist,
macht die Ausbildung keinen Sinn
mehr.
Eine Antwort aus dem Ministerium
UCB
steht noch aus.
Maritimes Bündnis am Scheideweg
Wird eine deutsche Handelsflotte mit
deutschen Seeleuten weiter existieren? Angesichts der aktuellen Situation muss diese Frage gestellt werden. In Diskussionsrunden zum Thema
„Zukunft einer deutschen Seeschifffahrt“ haben einige Politiker schon
zu erkennen gegeben, dass man
durchaus auch mit einer deutschen
Flotte ohne deutsche Seeleute klarkommen könnte. Eine katastrophale
Fehleinschätzung, so würde Deutschland in diesem Fall in einem innovativen Hochtechnologiebereich nicht
mehr mit am Ruder stehen und den
Kurs mit­bestimmen.
Einige Reeder stehen noch zum gut
­qualifizierten deutschen Seemann. Es stellt
sich jedoch die Frage, wie lange sie das bei
den derzeitigen Wettbewerbsbedingungen
noch umsetzen können. Aus diesem Grund
hat die EU Leitlinien für die europäische
Schifffahrt erlassen. Demnach können die
europäischen Staaten den Schifffahrtsbereich fördern, wenn sie es wollen. Zum Teil
hat die Bundesregierung auch schon etwas
getan, was jedoch nicht ausreicht. Über
Nachbesserungen wird nachgedacht, beispielsweise soll der Lohnsteuereinbehalt,
bei dem die Lohnsteuer beim Reeder
­verbleibt, von derzeit 40 auf 100 Prozent
erweitert werden. Nur ein kleiner Schritt in
die richtige Richtung (vgl. S. 4)!
Eine weitere Fördermöglichkeit wurde
mit der Stiftung „Schifffahrtsstandort
Deutschland“ geschaffen. Die Stiftung wurde im Rahmen des geänderten Flaggenrechtsgesetzes gegründet. Reedereien zahlen dahinein Ablösebeträge für Schiffe, die
ausgeflaggt werden und nicht ausbilden. Im
Durchschnitt kommen pro Jahr ca. 22 Millionen Euro in diesen Topf. Die Mittel werden
dann zur Förderung deutscher Seeleute
­eingesetzt und gehen an Reedereien, die
ausbilden und mit Nachwuchsoffizieren fah-
ren. Das hilft ein wenig, reicht aber auch
noch nicht aus. ver.di hatte vorgeschlagen,
die Ablösebeträge zu erhöhen, um so mehr
Mittel für den Erhalt von Seeleutearbeitsplätzen zur Verfügung zu haben.
Einer Erhöhung der Ablösebeträge hat
sich der VDR verweigert, weil er befürchtet,
dass Reedereien dann den Standort
Deutschland aufgeben könnten. Angesichts
der Höhe der Ablösebeträge (siehe Tabelle)
eine nicht nachvollziehbare Argumentation.
Was da gefordert wird, ist nicht viel, wenn
man etwa betrachtet, dass für Schiffe mit
einer Bruttoraumzahl zwischen 20.000 bis
80.000 derzeit „nur“ 10.363 Euro jährlich
als Ablösesumme gezahlt werden. Damit
kauft sich die Reederei von jeglicher Verpflichtung frei, auszubilden und deutsche
Seeleute zu beschäftigen. Ein moderner Ablasshandel! Auf diese Weise kann sie die
Heuerkosten um ca. 400.000 Euro verringern. Das Flaggenrechtsgesetz muss – so
wie es ver.di in ihrem schifffahrtspoliti-
schem Programm fordert – vorzeitig auf
seine Wirksamkeit überprüft werden. Alle
Partner müssen wieder an den Zielen des
Maritimen Bündnisses arbeiten: Sicherung
des maritimen Know-hows durch Erhalt
und Steigerung von Ausbildung und Beschäftigung. Wir fordern alle Auszubildenden und Seeleute auf, an die Bundesregierung zu schreiben, um uns bei unseren
Zielen zu unterstützen. PETER GEITMANN
Ablösebeträge pro Jahr der Ausflaggungsgenehmigung
für folgende acht Schiffsgrößenklassen
Bruttoraumzahl bis zu 500
2.000 Euro
Bruttoraumzahl von über 500 bis 1.600
2.888 Euro
Bruttoraumzahl von über 1.600 bis 3.000
3.438 Euro
Bruttoraumzahl von über 3.000 bis 8.000
5.512 Euro
Bruttoraumzahl von über 8.000 bis 14.000
6.758 Euro
Bruttoraumzahl von über 14.000 bis 20.000
8.609 Euro
Bruttoraumzahl von über 20.000 bis 80.000
10.363 Euro
Bruttoraumzahl von über 80.000
16.169 Euro
6
SOZIALES
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
Endlich
­beschlossen:
EU-Arbeitszeitrichtlinie für
die Binnenschifffahrt
Geschafft nach vier zähen Jahren: Am
5. Februar beschlossen die Sozialpartner des Sektors Binnenschifffahrt auf EU-Ebene – die europäische
Binnenschifffahrtsunion, die europäische Shipper Organisation und die
Europäische Transportarbeiterföderation (ETF) – einen Vertrag über die
Regelung bestimmter Aspekte der
Arbeitszeitgestaltung in der Binnenschifffahrt.
Die Einigung erfolgte im Binnenschifffahrts-Ausschuss des sektoralen Dialoges,
der in insgesamt 43 Ausschüsse unter­
gliedert ist. Der Vertrag war erforderlich
geworden, weil nach Auffassung der Sozialpartner die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/
EG nicht den Anforderungen des Sektors
Binnenschifffahrt entspricht. Die Vereinbarung macht nun den Weg frei, die Arbeitszeit der Binnenschifffahrt einheitlich für
ganz Europa in einer Richtlinie rechtlich zu
verankern. Die Vereinbarung enthielt einen
an die Kommission gerichteten gemeinsamen Antrag, die Vereinbarung durch einen
Beschluss des Europäischen Rates auf Vorschlag der EU-Kommission durchzuführen.
Letztlich stimmte der Rat am 19. Dezember
2014 diesem Vorschlag zu, woraufhin er
am 23. Dezember im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde. Nun müssen die Mitgliedsländer bis Ende 2016 diese Richtlinie
in nationales Recht umwandeln.
So eben und gleichmäßig, wie sich das
Zustandekommen dieser Richtlinie liest,
war der Weg bis dahin aber bei Weitem
nicht. Insbesondere bei der letzten Bera-
tung des Europäischen Rates formierte
sich erheblicher Widerstand von ca. zehn
EU-Mitgliedsstaaten. So monierte die Vertreterin Zyperns, so eine Richtlinie sei
nicht notwendig, da ihr Land keine Binnenwasserstraßen habe. Sie ließ wohl bewusst außer Acht, dass viele Beschäftigte
in der Binnenschifffahrt zypriotische Arbeitsverträge haben. Einige nationale Vertreter behaupteten sogar, ihnen wäre das
Abkommen gar nicht bekannt. Neben der
irischen Vertretung, in deren Land quasi
keine Binnenschifffahrt stattfindet, leistete
auch der Vertreter der konservativen un­
garischen Regierung erheblichen Widerstand.
Wegen dieses Gegenwinds diskutierten
die Sozialpartner auf ihrer Sitzung am
30. Januar 2015 über die Probleme bei der
Umsetzung. Sie formulierten den klaren
Willen, am Ball zu bleiben. Aber was passiert, wenn einzelne EU-Staaten die Richtlinie nicht ratifizieren? Laut der zuständigen Vertreterin der EU-Kommission wird
dann ein sogenanntes Nichtumsetzungsverfahren eingeleitet. An die Regierung des
betreffenden Landes ergeht in diesem Fall
ein Brief, der es auffordert, die Richtlinie
umzusetzen. Falls auch das nichts bewirkt,
kann in letzter Konsequenz ein Verfahren
vor dem Europäischen Gerichtshof angestrengt werden, welches mit erheblichen
Geldbußen verbunden sein kann.
So bleibt es spannend, welche Staaten
die Arbeit der Sozialpartner im sektoralen
sozialen Dialog mit der Ratifizierung der
Richtlinie anerkennen und welche nicht!
WERNER KIEPE
Hängepartie zu Ende:
SFN-Zuschläge gesichert!
Der MTV See enthielt seit 2002 eine
Regelung, die damals mit den Steuerbehörden im Einzelnen detailliert
abgesprochen worden war. Sie betraf die ­Zahlung von Zuschlägen für
Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (SFN), die steuerfrei waren,
s­ oweit in steuer­begünstigten Zeiten
gearbeitet wurde. Aufgrund von Vorgaben der Finanzbehörde Hamburg
musste diese ­Regelung grundlegend
überarbeitet werden. Verschiedene
Unternehmen haben diese Diskus­
sionen daraufhin genutzt, um in einzelnen Betrieben Stimmung gegen
ver.di zu machen.
FOTO: JÜRGEN HEINRICH
Im Dezember 2014 fanden nach einer
K­ lärung mit der Finanzbehörde Verhandlungen zwischen ver.di und dem Verband
Deutscher Reeder statt. Nach einer Einigung der Tarifparteien hat die Finanz­
behörde Hamburg den gefundenen Kompromiss akzeptiert.
Neu eingeführt wurde in den Tarif­vertrag
ein neuer Paragraf (§ 16). Darin wird
jetzt geregelt, dass die Differenz zwischen
den SFN-Zahlungen, die steuerfrei begünstigt gezahlt werden und dem tarifvertraglich
gesicherten Gesamtbetrag mit einem soge-
nannten „Grundlohnergänzungsanspruch“
ausgezahlt wird. Dieser Ergänzungsanspruch entspricht der Summe, die nicht
­steuerfrei begünstigt gezahlt werden kann:
Je nach Lage der gearbeiteten Arbeitszeit
wirkt dieser Betrag wie eine Art „ Luftpolster“ zwischen Steuerfreiheit und Gesamt­
betrag.
Diese Regelung musste natürlich durch
den gesamten Tarifvertrag formuliert werden. So konnten wir absichern, dass keine
Abstriche an den monatlichen Heuern
stattgefunden haben. Für die ver.di-Tarif-
kommission war dies das A und O, sie
hat der gefundenen Regelung einstimmig
zugestimmt. Die neue Regelung ist kompliziert, aber zulässig nach Meinung der
Hamburger Finanzbehörde.
Wir haben damit für die Beschäftigten
eine Sicherung der Einkommen erreicht.
Entsprechende Anpassungen sind auch in
den zugehörigen Tarifverträgen für diejenigen einzelnen Unternehmen festgeschrieben, für die in Anhängen zum MTV gesonderte Regelungen vereinbart wurden.
KLAUS SCHROETER
Aktuelles von Berufsgenossenschaft Verkehr, Knappschaft-Bahn-See und Seemannskasse
Arbeitsmedizinische Vorsorge für Träger
von schwerem Atemschutz an Bord von
Seeschiffen
Mit der Umsetzung des MLC (Seearbeitsübereinkommen) in Deutschland kommt für die deutsche Seeschifffahrt auch die Verordnung zur
arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) zur
­
Anwendung. Damit müssten Seeleute unter deutscher Flagge auch bestimmte arbeitsmedizinische
Untersuchungen durchführen lassen.
Nach umfassenden Beratungen zu diesem
­Thema im Präventionsfachausschuss See der BG
Verkehr und Verständigung mit dem zuständigen
Ministerium, wurde einvernehmlich vereinbart,
dass das Tragen von schwerem Atemschutz keine
Tätigkeit im Sinne der ArbMedVV ist und keine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge erfordert, wenn
der Atemschutz ausschließlich zur Gefahren­
abwehr an Bord getragen wird,
der Atemschutz ausschließlich zu Ausbildungszwecken nach dem STCW-Code an zugelassenen Ausbildungsstätten getragen wird und
wenn
die betroffenen Seeleute mindestens an einer
schriftlichen oder Online-Beratung teilgenommen haben, die ihnen die Möglichkeit eröffnet,
bei Bedarf von einem Betriebsarzt untersucht
zu werden.
Für Seeleute sind die erforderlichen Vorsorge­
untersuchungen mit dem Erwerb einer Seediensttauglichkeit entsprechend STCW-Vorgabe erfüllt.
Das gilt auch für die Seeleute, die Atemschutz­
geräte bei Notfällen und Übungen tragen müssen.
Neben der Seediensttauglichkeit muss noch ein
Zertifikat über eine erfolgreiche Teilnahme an
einem Sicherheitsgrundlehrgang (Basic Safety)
­
nach STCW vorliegen; außerdem muss der Seemann über die Möglichkeit einer Beratung bzw.
Untersuchung informiert worden sein, sofern er
eine solche wünscht.
Die Information des Beschäftigten erfolgt durch
den Arbeitgeber und muss beinhalten, dass der
Versicherte
a) Anspruch auf eine arbeitsmedizinische
Untersuchung hat, sofern er das möchte,
b) der Arbeitgeber die Kosten dafür trägt
und
c) der Versicherte über das Ergebnis
den Arbeitgeber nicht informieren muss.
Da Auszubildende einem besonderen gesundheitlichen Schutz unterliegen, gibt es eine wichtige
zusätzliche Anforderung: Auszubildende müssen
sich zu Beginn ihrer Seefahrtlaufbahn einmal
durch den Betriebsarzt oder Arbeitsmediziner beraten bzw. untersuchen lassen.
PETER GEITMANN
JUGEND
7
FOTO: ISTOCKPHOTO.COM
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
SIEGFFRIED LÜDKTE | FOTO:
PRIVAT
FOTO: © FLORIAN KORTHAU
S/PIXELIO.DE
Siegfried Lüdtke
Zur Person: Siegfried
suchte mit Ende Zwanzig nach neuen Herausforderungen und beruflichen Aufstiegsmög­
lichkeiten. Die Arbeit
an Bord hat ihn schnell
begeistert und so ist er
bis 2014 über 20 Jahre
lang aktiv zur See gefahren. Ein besonderes
Highlight in dieser Zeit
waren für ihn die Fahrten nach Südamerika.
„Das, was wir heute Globalisierung nennen, haben wir
praktisch schon vor 20 Jahren gelebt.“
Der Beruf auf hoher
See ist auch heute noch
für viele junge Menschen verlockend.
Allerdings
erschwert
der drastische Abbau
der Ausbildungsplätze
den Einstieg in dieses
Berufsfeld. Und auch
nach der Ausbildung
bzw. dem Studium ist es
(wie wir in der letzten
Ausgabe berichtet haben) für viele Berufsanfänger nahezu unmöglich, die erforderliche
Erfahrungsseefahrtszeit
zu erbringen.
Wir fordern
Politik und
Reedereien
auf, endlich
die notwendigen Schritte zu ergreifen, um die
Zukunft der
deutschen
Schifffahrt
zu sichern!
Vom Leben und
Arbeiten auf hoher See
FOTO: © ROLF HANDKE/PIXE
LIO.DE
Fragen nach Mythen und Wahrheiten rund
um die Arbeit auf Hochseeschiffen
Was passiert eigentlich, wenn man
mal die gängigen Vorurteile über
Seeleute auf ihren Wahrheitsgehalt
hin überprüft? Ist das Arbeiten auf
hoher See eher Traum- oder Albtraumjob? Für die Schifffahrt gab
Vera Visser, Gewerkschaftssekretärin im Bundesfachbereich, diese und
andere Fragen an einen Experten
weiter. Siegfried Lüdtke ist heute
Seebetriebsrat bei der Niederelbe
Schifffahrtsgesellschaft
(NSB).
Gleich zu Beginn macht Siegfried
Lüdtke deutlich, dass er wegen der
Kündigungen bei NSB anders über
seinen Traumjob reden muss, als
dies z. B. vor zwei Jahren der Fall
­gewesen wäre.
Vera Visser | Seeschifffahrt … Da
denkt man doch direkt daran, die
Welt zu entdecken, Land und Leute
kennenlernen und sich dort aufzuhalten, wo andere Menschen Urlaub
machen. Ist das so?
Siegfried Lüdtke | Ja, in diesem Beruf
kann man tatsächlich ständig den eigenen Horizont erweitern. Du erlebst, wie
Menschen in den Ländern dieser Welt in
völlig verschiedenen Verhältnissen leben.
Ich komme ursprünglich aus NordrheinWestfalen und meine Zeit auf See hat
meinen Blick auf die eigenen Lebens­
bedingungen und die
Lebensbe­
dingungen in
anderen Nationen stark
verändert. Ich
habe gesehen,
mit wie wenig
Geld oder Luxus Menschen
leben und trotz­
dem glücklich
sein können.
Oft sind gerade
die aus u­nserer
Sicht „armen“
FOTO: CANSTOCKPH
OTO.COM
Völker ­besonders
gastfreundlich gewesen. Trotzdem ist es
aber weiterhin wichtig für mich, genau zu
sehen, was wir in unseren eigenen Bereichen verbessern können. Auch wenn es
uns in vieler Hinsicht gut geht, muss sich
mit Blick auf die Zukunft noch einiges
verändern. Das gilt auch und gerade in
der Schifffahrt.
Wie viel Zeit bleibt denn bei großen
Fahrten, wirklich intensive Eindrücke vor Ort zu gewinnen? Was war
für Dich besonders interessant?
Siegfried Lüdtke | In den Häfen hat
man immer nur mal stundenweise Zeit
zum Erkunden gehabt, wenn die Arbeit
an Bord getan und noch Zeit bis zur
­Weiterfahrt war. Da sieht man weniger
von der Welt als die meisten denken.
Wenn Du vor allem etwas von der Welt
sehen möchtest, bist du bei Reiseveranstaltern besser aufgehoben. Glücklicherweise musste ich die sehr gefährlichen
Gebiete nicht bereisen. Besonders bewegend war für mich, dass ich in Südamerika
meine heutige Frau kennengelernt habe.
Das ist natürlich kaum zu überbieten.
Wenn man immer unterwegs ist,
wie verändert das den Blick auf die
Welt und auf das Zuhause?
Siegfried Lüdtke | Ich habe wirklich einen Großteil der Welt bereist. Nach über
zwanzig Jahren auf See wirkt die Welt
klein. Das, was wir heute Globalisierung
nennen, haben wir praktisch schon vor
zwanzig Jahren gelebt. Im Durchschnitt
war ich vier bis fünf Monate ­unterwegs,
dann zwei Monate zu Hause und dann
ging es wieder aufs Schiff. Mir hat der
Beruf und die damit verbundenen Erlebnisse Spaß gemacht und meine Erwartungen an diesen Job haben sich voll erfüllt.
Wie wichtig sind die ­
politischen
Entwicklungen im eigenen Land und
weltweit für das Leben an Bord?
Siegfried Lüdtke | Die politischen Entwicklungen sind von großer Bedeutung
für die Seefahrer. Sowohl an Bord als
auch in den Hafenstädten habe ich da
viel gesehen und viele politische Veränderungen hautnah erlebt.
Schon bei stunden- oder tageweisen
Hafenaufenthalten bekommst du einen
direkten Eindruck davon, was bestimmte
Nachrichten aus der Politik für das „echte
Leben“ und für die Bevölkerung bedeuten. Aufgrund meiner privaten Situation
habe beispielsweise die Geschichte Südamerikas nochmal besonders intensiv
­erlebt. Insgesamt waren in den zwanzig
Jahren viele bewegende Eindrücke in aller Welt dabei. Da bist du natürlich froh,
wenn du nach Hause kommst und dort
alles in Ordnung ist. Ich war schon immer
politisch interessiert und das hat sich
durch diesen Beruf nur noch verstärkt.
Lass uns mal über die Crew reden.
Dem Klischee nach sind ja nur Männer an Bord und ganz überwiegend
Singles. Stimmt das?
Siegfried Lüdtke | Genau das Gegenteil ist der Fall! Zwar sind immer noch
die meisten Crewmitglieder männlich,
aber die Mehrheit der Leute an Bord ist
ver­
heiratet. Nach meiner Erfahrung ist
man in der Zeit auf See mit dem Kopf
mehr zu Hause als andere Männer, die
täglich von acht bis 16 Uhr im Büro und
anschließend bei ihrer Familie sind.
Da muss man(n) aber auch eine Frau
finden, die so ein Leben mitmacht …
Siegfried Lüdtke | Ja, das ist zweifellos
die besondere Herausforderung an einen
Seemann, eine Frau zu finden, die das
durchsteht. Denn selbst wenn am Anfang
alles gut läuft, muss beiden bewusst sein,
dass Frauen den großen Teil der Erziehungs- und Familienarbeit leisten. Sie
können nicht mal eben ihren Mann anrufen, wenn sie Unterstützung brauchen
und sind faktisch auf sich allein gestellt.
Das ist harte Arbeit – vielleicht insgesamt
schwerer als die Arbeit des Mannes. Zudem hat ein Seemann es gut an Bord: der
Tisch ist gedeckt, alles Notwendige ist da
und es muss noch nicht mal ein Arbeitsweg zurückgelegt werden. Eine ganze
Reihe von „normalen“ Alltagsthemen ist
oft ausgeblendet. Dafür ist man an Bord
aber auch immer verfügbar und hat stark
eingeschränkte Freiheiten im Vergleich
zum Leben an Land. Dafür ist schon viel
Selbstdisziplin notwendig.
Wie sieht es denn mit dem Altersdurchschnitt aus? Sind nur junge
Menschen an Bord?
Siegfried Lüdtke | Nein, keineswegs.
Meist habe ich eine gute Durchmischung
der Altersstruktur – von etwa 20 bis
Ende 50 – erlebt. In der hierarchisch
­geprägten Struktur waren die Jungen in
der Regel deutlich weiter unten als die
Älteren angesiedelt.
Trotzdem gibt es aber dieses Bild,
dass an Bord alle an einem Strang
ziehen ...
Siegfried Lüdtke | Ja, das ist so. Es geht
nur mit Zusammenarbeit. Die ist auf See
noch viel wichtiger als in anderen Berufen. Man muss dabei immer das große
Ganze sehen und kann sich nicht mit
­irgendwelchem Kleinkram aufhalten.
Ist die Crew während der Zeit an
Bord so etwas wie Deine zweite
­Familie?
Siegfried Lüdtke | Nein, das wäre übertrieben. Ich nenne es eher Zwangs­
gemeinschaft auf Zeit. In dieser Gemeinschaft musst du dich unterordnen. Die
unterschiedlichen Kulturen bestehen an
Bord weiter und sind eine wesentliche
Herausforderung. Ähnlich ist es mit
den Sprachunterschieden. Offiziell ist die
Bordsprache meist Englisch, aber wenn
Crewmitglieder gleicher Nationalität zusammenarbeiten und leben, halten sich
viele nicht dran. Praktisch ist eine Trennung durch verschiedene Sprachen,
­Kulturen und Hierarchien die Folge.
Würdest Du Deinem Kind empfehlen, den Seefahrer-Beruf zu wählen?
Siegfried Lüdtke | Nein. Zum einen
würde ich meiner Tochter von diesem
männerdominierten Umfeld abraten. Zum
anderen kann ich heute aufgrund der
fehlenden Zukunftsperspektiven für Europäer in der Kauffahrteischifffahrt generell
nicht dazu raten. Das ist schade Jungs,
aber realistisch.
Vielen Dank!
FACHBEREICH VERKEHR 01 | 2015
Gelebte
Solidarität
PORT SAID
LOMÉ
LAGOS
PA N O R A M A
ABIDJAN
8
MOMBASA
FOTOS (3): ITF
HAFEN LOME | FOTO: ISTOCKPHOTO.COM
Gemeinsames Projekt von ITF und ver.di in westafrikanischen Häfen
Afrika ist weit, aber wichtig. Zumindest aus Sicht der Billigflaggenkampagne der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF), die sich
zum Ziel gesetzt hat, Seefahrern
überall auf der Welt zu helfen und sie
sozial und bei der Einhaltung von
­Arbeitsrechten zu unterstützen. Dafür verfügt die ITF weltweit über ein
Netz von mehr als 130 ITF-Inspek­
toren. Für den gesamten Kontinent
Afrika gibt es bisher leider nur fünf
solche ITF-Inspektoren – zwei arbeiten in Südafrika und jeweils einer in
Ostafrika, in Ägypten und Westafrika.
Die gewerkschaftlichen Strukturen
sind entsprechend schwach, obwohl
dort viele wichtige Häfen liegen –
etwa in Lagos, Lome, Abidjan, Mombasa oder Port Said.
ITF-Kontaktleute speziell
­ausgebildet
Die Lage soll sich jetzt ändern. 2010 hat
die ITF ein Projekt gestartet, um mehr Präsenz in einigen westafrikanischen Häfen zu
zeigen. So wurden sogenannte ITF-Kontakte (ITF-Contacts) geknüpft, um Schiffe zu
kontrollieren und Seefahrern in Not zu helfen. Speziell geschulte Kontaktleute sind
heute in Abidjan, Lome, Bissau, Cotonou,
Dakar und San Pedro tätig. Wegen der
­großen Anzahl von Häfen in Nigeria und
deren Bedeutung sind dort fünf ITF-Contacts ausgebildet worden, den einzigen
ITF-Inspektor zu unterstützen. ver.di hat
die große Bedeutung dieses Projektes erkannt und unterstützt es aktiv:
Zahlreiche deutsche Schiffe laufen afrikanischen Häfen an. Viele dieser Schiffe
fahren ohne ITF-Vertrag. Einige Reeder
kündigen sogar bestehende ITF-Verträge,
sobald sie einen Routenwechsel nach Afrika vornehmen. Daher ist es im ureigenen
gewerkschaftlichen Interesse, die afrikanischen Kollegen zu unterstützen. ver.di und
die ITF schickten im April 2014 einen ITFInspektor nach Lagos, um die dortigen
­ITF-Kontaktleute auszubilden. Im Oktober
2014 hat ver.di den ITF-Contact aus San
Pedro zum Training nach Rostock eingeladen. Ende November 2014 war ver.di Teil
einer ITF-Delegation, die zwei Wochen die
Cóte d‘ ivoire, die Elfenbeinküste, besucht
hat. Aufgabe der Delegierten war es, sich
über die Situation in den Häfen Abidjan
und San Pedro ein Bild zu machen. Bei Besuchen und Gesprächen in der SchifffahrtAkademie und der Seemannsmission in
Abidjan hat sich gezeigt, dass die dortigen
Seefahrer und Kadetten große Probleme
haben, Arbeit oder auch nur Praktikumsplätze auf Schiffen zu finden. Deshalb sind
Ideenreichtum und solidarische Partnerschaften gefragt.
Entlade-Boykott mit Erfolg
In den Häfen Abidjan und San Pedro arbeiten insgesamt etwa 9.000 Hafenarbeiter
– 7.500 in Abidjan und 1.500 in San Pedro.
Die Arbeitgeber haben sich im Verband der
Abfertigungsdienstleister SEMPA (Societé
des Employeurs de Manutention du Port
d’Abidjan) zusammengeschlossen. Docker
werden von ihnen auf Tagesbasis angeheuert und jeden 15. des Monats bezahlt. Um
ein Frachtschiff oder Bulker abzufertigen,
werden zwischen 186 und 246 Hafenarbeiter gebraucht. Für ein Containerschiff arbeiten 50 bis 70 Kollegen. In den Häfen sind
mehrere Gewerkschaften vertreten. Die
wichtigste Organisation ist die CNDD (Collectif national des dockers et dockers transit). Deren Kraft erwies sich etwa im Fall des
Frachters „MS Confidence I“. Dieses Schiff
gehört einem deutschen Reeder und fährt
unter liberianischer Flagge. Die CNDD rief
ihre Mitglieder Anfang Dezember 2014 auf,
die Entladungsarbeiten zu boykottieren,
denn die Seeleute der „Confidence I“ hatten seit vier, fünf Monaten keine Heuer erhalten. Die Hafenarbeiter folgten der gewerkschaftlichen Aufforderung und haben
das Schiff, das Reis geladen hatte, fünf Tage
lang nicht abgefertigt. Das Ergebnis: Vollständige Heuerzahlungen, Heimschaffung
der Seeleute und Abschluss eines ITF-Vertrages für die „MS Confidence I“. Das war
gelebte Solidarität und ist ein Beispiel für
die Stärke der CNDD in Abidjan. (Fotos)
Das Gewerkschaftsprojekt und seine
guten Ergebnisse führten dazu, dass ein
weiterer ITF-Inspektor für Afrika, konkret
für den Hafen Abidjan, gewonnen werden
konnte. Er befindet sich zurzeit in der Ausbildung und wird in nächster Zeit seine
Arbeit am Golf von Guinea aufnehmen.
The ITF flags of convenience campaign is increasingly focusing on
Africa: Of the 130 International
Transport Workers’ Federation inspectors who deal with the social
and working conditions of seafarers on the world's oceans, currently only five are in Africa: two
in South Africa and one respectively in East Africa, Egypt and
in West Africa. Important ports
such as ­
Lagos, Lomé, Abidjan,
Mombasa and Port Said have received far too little trade union
representation.
Now, that is all about to
change. Since 2010, there has
been an ITF project for West Africa
that includes training for local
contacts who support the ITF inspectors in the individual ports.
Furthermore, in November of last
year ver.di trade union representatives accompanied an international delegation and visited the Ivory
Coast for two weeks, where they
learned about the situation of seafarers and dockers. Shortly thereafter, the CNDD trade union made
a remarkable achievement in the
port of Abidjan. The union had
called on dock workers to boycott
the ship “Confidence I”. This German ship under the Liberian flag
was subsequently not loaded for
five days until outstanding wages
were paid to the seafarers and an
ITF contract was concluded for
the ship. Meanwhile, an additional
ITF inspector is receiving training
and will soon assume his duties
in the port of Abidjan.
HAMADI AMADOU
What has been achieved by the ITF inspectorate in the year 2014
During roughly 530 inspections, the
five inspectors and their coordinator
have been able to recover $22,885,608
in back wages for the crew on all
these vessels. The economic crisis in
shipping is like a wave at sea. At the
beginning of this crisis, many vessels
were still sailing and the banks were
still investing money in new vessels,
however, at the end of the economic
crisis, more and more shipowners
went bankrupt and ships were laid up.
The year 2014 hit all kinds of vessels –
cargo, container and passenger ships. Nevertheless, thanks to the enormous input by
the inspectors, the crews on the majority of
these vessels were financially protected by
applicable collective agreements.
In the ports of Bremen, Bremerhaven
and Hamburg, various shipowners have
been confronted with campaigns designed
to force them to sign collective agreements. Some shipowners gave in rather
rapidly to make sure that they would not
lose their time charters, while other shipowners were of the opinion that they could
win the battle with the ITF, who are supported by the ver.di trade union. Fortunately, the ITF has been highly successful in
winning court cases against shipowners.
Charter parties that are concluded between the owner/operator and the charterers do mention in nearly all cases that the
vessels should be ITF covered. However,
some owners take the risk and sail without
such an ITF-approved collective agreement, which covers the entire crew and
prevents them from being exploited by
their employer. In cases of noncompliance,
the owner is given a notice of warning.
When owners refuse to cooperate, they
face industrial action, which causes the
vessel to be delayed and eventually results
in the vessel being taken off hire. This forces the charterer to find another vessel to
take over the charter and the resulting financial loss is fully borne by the owner/
operator.
Some passenger vessels, like the ms
"Delphin", the ms "Astor" and the ms
"Deutschland", went bankrupt during the
sailing season and the crew members of
these vessels received their full wages, including the entitlement to severance pay,
as compensation for the unexpected termination of their contracts.
The need for these ITF inspectors in various ports – including in Bremen, Bremerhaven, Hamburg and the Rostock area – is
reflected by the extreme amount of pay
that has been recovered by this group of
people who are highly dedicated to their
mission. It is not always easy. Sometimes
they need to board vessels in the middle of
the night or on the open sea.
One of our inspectors also took part at
the River Cruise project, which is an area
that needs some education, because the
crews on board these vessels have no idea
what the union can do to protect their
rights. During two years that the inspector
was present, he has built up trust among the
workers on board these vessels and trust
has been placed in the unions' ability to protect their rights, proving that the owners are
not the only ones who are able to dictate
the rules of conduct in this booming indusRuud Towen, ITF-Koordinator Europa,
gibt einen Überblick über Aktionen
der IFT- Inspektoren im Jahr 2014. Er
berichtet, was für Auswirkungen die
Finanzkrise auf den Bereich hatte. Die
Inspektoren haben dennoch dafür
­gesorgt, dass die Rechte von Seeleu-
try. Many people on board have received
assistance to obtain their wages and to
make sure that they are not subjected to
slave-like living and working conditions.
In the future, the inspectorate will likely
be confronted with more cases of abandonment, unpaid crews, discrimination against
workers on board and, most important of
all, the bullying and harassment of workers
on board. The inspectors are working hard
and effectively to protect workers against
RUUD TOUWEN
such practices.
ten und Hafenarbeitern erfolgreich
ver­teidigt werden konnten. Bei 530
Inspektionen konnten die fünf gewerkschaftlichen Inspektoren im vergangenen Jahr für Schiffsbesatzungen
ausstehende Heuern von über 22 Mio.
US-Dollar eintreiben.