Linthal 2015

 Linthal 2015
Newsletter der Kraftwerke Linth-Limmern AG | Mai 2015
Wo einst Lastwagen für den Materialtransport im Einsatz standen, wird mit der Nassinbetriebnahme nur noch Wasser durch die Unterwasserstollen fliessen.
Die Maschinengruppe 1 vor ihrer Wassertaufe
Nach beendeter Montage und ausgiebigen Trockentests wird die Maschinengruppe 1 in den nächsten Monaten
zum ersten Mal nass.
Wie ein Badewannenstöpsel hindert
heute noch das verschlossene Ein-/Auslaufbauwerk im Muttsee das Wasser
am Abfliessen in das Druckstollensystem. Bald schon aber wird dieser Schutz
entfernt. Während die zweite Druckleitung noch geschlossen bleibt – deren
Auskleidung ist noch in vollem Gange –
wird sich die für die Maschinengruppen
1 und 2 vorgesehene Druckleitung zum ersten Mal bis vor den 700 Meter tiefer gelegenen Kugelschieber füllen.
Der Kugelschieber agiert dabei quasi
als «Türsteher» der Maschinengruppe,
durch den das Wasser später auf das Laufrad
fliessen wird. Vorab jedoch wird die mit
Wasser gefüllte Druckleitung noch intensiven Dichtigkeits- und Standproben unterzogen. Schon jetzt steht das Wasser im
Zu- und Abflussbereich des Limmernsees
direkt vor den Unterwasserschützen der
Transformatorenkaverne. Dafür wurden
der Limmernsee Ende 2014 eigens abge-
senkt und die beiden Betonzapfen im Unterwasserdruckstollen im Januar/Februar
2015 mit mehreren Sprengungen entfernt
(siehe Bericht auf S. 3).
Noch steht also das Laufrad der ersten Maschinengruppe still und wartet
auf seine Wassertaufe. Ein spezialisiertes
Inbetriebsetzungsteam um Emil Bieri
(siehe Interview auf S. 3) prüft in der Vorbereitungssphase der Trockentests jedes
einzelne Puzzle-Teil der ersten Maschinengruppe auf Herz und Nieren und überwacht die Installation der Schutz- und Steuersysteme. Parallel dazu werden die Montagearbeiten an den Maschinengruppen 2,
3 und 4 fortgesetzt und die zweite Druckleitung wird fertiggestellt.
Neue Technologie sorgt für mehr Netzstabilität
Bis zu den ersten Nasstests steigt die
Spannung im Inbetriebsetzungsteam stetig. Auch beim Gesamtprojektleiter Emil
Bieri: «Die Tests mit Wasser sind bei unserer grossen und starken Maschine herausfordernd, zumal wir technologisch Neuland betreten.» So ist der Motorgenerator
drehzahlvariabel, was schweizweit in dieser Leistungsklasse ein Novum ist. Er kann
beim Pumpen, wenn beispielsweise überschüssiger Strom ans Netz abgeführt werden soll, seine Leistung regeln und damit
das Stromnetz stabilisieren. Bislang löste
man die Leistungsregelung im Pumpbetrieb, indem man zum Ausgleich gleichzeitig eine Turbine in Betrieb nahm. Diese Flexibilität der neuen Anlage dürfte gemäss
Bieri im zukünftigen Strommarkt marktfähige Chancen im Bereich der Netzstabilisierung und Systemdienstleistungen eröffnen.
Die neuen, effizienten Motorgeneratoren
scheinen wegweisend. Denn im ebenfalls im
Bau befindlichen Pumpspeicherwerk Nant
de Drance in den Walliser Alpen setzt man
auf die gleiche Technologie.
mengen berechnet und das Wiederauffüllen des Muttsees minutiös plant.
Ein weiteres Highlight der Inbetriebsetzungsphase wird die erste Synchronisation
mit dem elektrischen Netz sein, damit kurz
darauf der erste Pumpbetrieb aufgenommen werden kann. Ab diesem Zeitpunkt
wird die Maschinengruppe 1 Strom aus
dem Netz beziehen oder an dieses abgeben.
Um die gewaltigen Energiemengen für die
Tests zur Verfügung zu haben, planen die
Spezialisten der Axpo diese ein und disponieren entsprechend.
Die einzelnen Schritte der Trockeninbetriebnahme werden vom Fachpersonal laufend besprochen.
In der Testphase Wasser sparen
Um die Maschinengruppe 1 mit ihrer
Leistung von 250 Megawatt anzutreiben,
braucht es Wasser. Viel Wasser. Auch schon
in der Testphase. Den Inbetriebsetzern
steht für ihre Tests jedoch nur das aktuelle
Wasservolumen des Muttsees von rund
6 Mio. Kubikmetern zur Verfügung. Grund
dafür sind einerseits geringe natürliche Zuflüsse des Muttsees. Andererseits verlangt
das Bundesamt für Energie bis zur Freigabe
der neuen Staumauer eine Reihe von Prüfschritten. Darum wird die rund ein Kilometer lange Staumauer erst im Sommer 2016
mit Wasser in Berührung kommen und der
See danach schrittweise angestaut werden.
«Wir organisieren die Tests so, dass die Maschinengruppe 1 möglichst umgehend den
Pumpbetrieb aufnehmen kann», so Bieri,
der die für die Tests notwendigen Wasser-
Erster Rotor wird eingefahren und fest verankert
Mit je rund 330 Tonnen Gewicht sind
die vier Motorgeneratoren selbst für die
mächtige Standseilbahn zu schwer und
müssen in der Maschinenkaverne zusammengebaut werden. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt. In Millimeterarbeit verantwortet eine hoch spezialisierte Crew des Lieferanten Alstom zeitaufwändige Montagearbeiten. Denn
möglichst klein sollte der Abstand zwischen dem sich drehenden Rotor und
seiner Ummantelung, dem Stator, sein,
um eine optimale Umwandlung der Rotationsenergie in elektrische Energie zu
erreichen. Rotor und Stator zusammen
bilden den Motorgenerator. Dieser wandelt Bewegungsenergie oder mechani-
sche Energie in elektrische Energie um.
Im Frühjahr 2015 erfolgt der Abschluss
der Montagearbeiten am Rotor der Maschinengruppe 1. Nachdem der Rotor in
den Stator eingefahren ist, wird er mit
dem rotierenden Teil der Maschine gekuppelt. Dieser Schritt erlaubt den Übergang in die Trockentest-Phase der ersten
Maschinengruppe. Danach arbeiten die
Rotor-Spezialisten an der Montage und
Abstimmung der Maschinengruppen 2,
3 und 4. Im Betrieb wird sich jeder Rotor ungefähr acht Mal in der Sekunde
im Stator drehen und dabei jeweils eine
Leistung von etwa 3000 Personenwagen
entwickeln können.
Kommerzieller Betrieb der Maschinengruppe 1
Nach erfolgreichem Abschluss der Nasstests nimmt die Maschinengruppe 1 einen
zweimonatigen Probebetrieb auf, während
dessen die Zuverlässigkeit der Anlage im
Betrieb überprüft wird. In dieser Phase setzt
Axpo die Maschinengruppe 1 am Markt
ein. Nach erfolgreich absolviertem Probebetrieb geht die erste von vier Maschinengruppen in das Eigentum der Kraftwerke
Linth-Limmern AG über.
Ein Zurücklehnen gibt es aber für Emil
Bieri und sein Team nicht. Sie werden die
Inbetriebnahme im Jahr 2016 noch drei
Mal wiederholen – bei den Maschinengruppen 2, 3 und 4.
«Die neuen Maschinen bieten wichtige Flexibilität für den künftigen Markt»
Seit 2013 arbeiten Emil Bieri und ein ganzes Team von Spezialisten auf die Inbetriebsetzungsphase der vier Maschinengruppen im Pumpspeicherwerk Limmern hin. Die Umsetzung der Planungsarbeiten ist in vollem Gang.
Emil Bieri, Sie sind der Gesamtprojektleiter Inbetriebsetzung beim Projekt Linthal
2015. Wie ist es, wenn aus Plänen Wirklichkeit wird?
Es ist faszinierend, den ganzen Weg von
der Projektierung bis zur Inbetriebnahme
zu begleiten. Was wir lange auf Papier planten, nimmt jetzt Form an. So ein grosses
und herausforderndes Projekt mitten in
der Schweiz zu betreuen ist für mich als
Ingenieur ein absolutes Highlight.
Welches ist die grösste Herausforderung
in der Inbetriebsetzungsphase?
Mit den vier Maschinengruppen betreten
wir technologisch Neuland. Die Motorgeneratoren sind drehzahlreguliert. Das gibt
es in der Schweiz so noch nicht. Erst in Japan stehen ähnliche Anlagen sowie ein Vorgängermodell in Goldisthal (DE). Diese Motorgeneratoren können im Pumpbetrieb die
Leistung variieren. Axpo erhält damit die
notwendige Flexibilität für den zukünftigen
Strommarkt. Mit passenden Systemdienstleistungen können wir die Bedürfnisse der
Netzbetreiberin Swissgrid besser abdecken
und helfen, das Netz zu stabilisieren.
In welcher Phase der Inbetriebsetzung
wird Ihr persönlicher Puls steigen?
Wenn – nach allen Trockentests – zum ersten Mal Wasser durch das Laufrad strömen
wird und die Maschine sich dreht. Dann wissen wir, dass wir in der «heissen» Phase sind,
wo sich alle Puzzle-Teile zu einem Ganzen
zusammenfügen müssen. Und dann natürlich auch bei der ersten Synchronisation
mit dem elektrischen Netz. Da werde ich
bestimmt unter Strom stehen.
Emil Bieri, der Gesamtprojektleiter Inbetriebsetzung Linthal 2015.
Was ist denn bei den Tests mit Wasser
speziell zu berücksichtigen?
Uns stehen für die ersten Tests rund 6 Millionen Kubikmeter Wasser zur Verfügung.
Denn der Muttsee wird erst im Verlaufe
des Jahres 2016 schrittweise auf sein neues
Volumen von 25 Millionen Kubikmetern
gefüllt. Mit der uns am Anfang zur Verfügung stehenden Wassermenge werden wir
den Fokus auf die Pumptests legen, sodass
wir danach den See für weitere Tests immer
wieder füllen können.
Für die Inbetriebsetzung leiten Sie ein
ganzes Team von externen und internen
Spezialisten – auch direkt vor Ort?
Für die Umsetzung und Inbetriebnahme
verschiebt sich mein Arbeitsort von Baden
nach Tierfehd und ins Felsinnere, in die Maschinenkaverne. An den Trockentests der
vergangenen Wochen war ich bereits mehrheitlich präsent. Für die kommende Phase
der «nassen» Inbetriebnahme werde ich für
längere Zeit Quartier in Tierfehd beziehen.
Zur Person
Emil Bieri, Elektro-Ing. ETH mit Executive MBA, ist seit 2008 bei Axpo und
seit 2013 als Gesamtprojektleiter Inbetriebsetzung Linthal 2015 tätig. Zuvor
war er bei ABB/Alstom als Planer und
Teamleiter elektrische Ausrüstung für
Gas- und Kombikraftwerke zuständig
und zuletzt bei einem KMU Bereichsleiter Leistungselektronik und Mitglied
der GL. Emil Bieri ist 42 Jahre alt, verheiratet und Vater von vier Kindern.
Unterwasserstollen sind «entkorkt»
Nach dem Bau des Ein- und Auslaufbauwerks und der beiden Unterwasserstollen
vom Limmernsee in die neuen Kavernen
wurde der Zugang 2013 mit zwei Betonzapfen von je rund 10 Meter Länge und 5 bis
6 Meter Durchmesser temporär verschlos-
sen. 600 Kubikmeter Beton waren dafür nötig. Ziel war ein umgehender Wiederaufstau des Limmernsees, um dessen Wasser
trotz weitergehender Bauarbeiten für die
Stromproduktion zu nutzen. Gleichzeitig
erlaubten die Betonzapfen den Innenaus-
bau der beiden je 500 Meter langen und 17,6
Prozent steilen Unterwasserstollen.
Inzwischen sind die Arbeiten im Bereich der Unterwasserstollen abgeschlossen. So erhielten die beiden Stollen ihre
«Fullround»-Schalung, der Bereich vor den
Unterwasserschützen wurde mit Stahlrohren gepanzert und das Verteilbauwerk zwischen den beiden Unterwasserstollen mit
rund 35 Tonnen Armierungseisen verstärkt.
Die Zeit war reif, die Betonzapfen wieder
zu entfernen. Dafür senkten die Kraftwerke
Linth-Limmern Anfang 2015 den Limmernsee erneut ab und legten den Zugang zum
Ein- und Auslaufbauwerk frei. Für das fachgerechte «Entkorken» der gewichtigen Betonzapfen waren 15 Sprengungen pro Zapfen in Abschlägen von einem Meter nötig.
Dabei wurden rund 200 Kilo Sprengstoff
verbraucht. Der gesprengte Beton wurde
zerkleinert aus dem Stollen abtransportiert.
Er wird für die Wiederherstellung von Betonkies aufbereitet, später für die Betonherstellung wiederaufbereitet und im Baubetrieb weiterverwertet.
Nach den Abschlussarbeiten an der Staumauer und dem Wärterhaus startet in den
Sommermonaten 2015 der Rückbau der
Baustelle. Schritt für Schritt macht dann
die ARGE Kraftwerk Limmern das Gelände um den Muttsee wieder frei. Bereits
im vergangenen Herbst wurden die vier
Dreh- und zwei Raupenkrane abtransportiert. Ebenfalls bereits im Tal ist ein erster
Block des Muttseecamps. Das Containerdorf mit Kantine und Werkstatt hatte drei
Sommer lang auf 2500 m ü.M. Schlafplatz
für 150 Bauarbeiter geboten. Die Container
kommen grösstenteils auf anderen Baustellen der Bauunternehmung Marti AG wieder
zum Einsatz.
Alles, was auf der Hochgebirgsbaustelle
Muttsee nicht mehr benötigt wird, findet
seinen Weg über die beiden Bauseilbahnen
hinunter ins Tal. Neben Kleinmaterial werden fortlaufend auch der Fahrzeug- und Maschinenpark abtransportiert. Das höchst-
Freileitung Tierfehd-Sool
am Netz
Die neue, doppelsträngige 380-kV-Freileitung ist fertiggestellt und führt über
eine Strecke von 17,25 Kilometern von
Tierfehd nach Sool bei Schwanden.
Vorangegangen war von 2006 bis
2011 eine fünf Jahre dauernde Planungsphase mit verschiedenen Bewilligungsverfahren. Baustart am neuen Trassee war
2012. In einer ersten Bauphase erschloss
Axpo neue Zugangsstrassen und betonierte 65 Mastfundamente. In den Jahren 2013 und 2014 wurden die je fast 40
Tonnen schweren und bis zu 89 Meter
hohen Gittermasten montiert und die
Leiterseile eingezogen. Gleichzeitig wurden auf einer Gesamtlänge von 18,4 Kilo-
metern bestehende 110-kV-Leitungen in
die Erde verlegt und das Unterwerk Linthal gebaut. Darüber hinaus wurde vor
allem zum Schutz der Landschaft und
zugunsten der Anwohner die bestehende 220-kV-Leitung Tierfehd-Grynau zwischen Rüti und Diesbach auf einer Länge
von 4,75 Kilometern verlegt. Die Inbetriebnahme erfolgt im Juni 2015 und der
Rückbau des Freileitungsabschnitts bis
Ende Jahr. Die Leitung wird nicht mehr
durch das Siedlungsgebiet, sondern über
die Diesbachfälle führen. Noch bis Ende
2015 dauern die letzten Instandstellungsarbeiten. Bis dahin wird ein Teil der
Strassen repariert respektive rückgebaut.
gelegene Betonwerk der Schweiz, das aus
einer Dualanlage besteht, wird auf zwei andere Einsatzorte in den Kantonen Aargau
und Tessin aufgeteilt. Sobald diese Baustellen bereit sind, wird das Werk in seine Einzelteile zerlegt und an die neuen Plätze gebracht. Erst wenn das letzte Gerät abtransportiert ist, startet ab Mitte 2016 der Rückbau der beiden Bauseilbahnen. Daneben
werden die Installationsplätze renaturiert.
Der Wanderweg über das Kalktrittli zur
SAC-Hütte am Muttsee ist auch während
der Rückbauarbeiten im Sommer 2015 geöffnet. Weiterhin gesperrt bleibt noch die
Route durch den Verbindungstunnel zum
Limmernstausee und von dort hoch zur
Muttseehütte.
Der neue Film zum Thema Technikeinbau gibt eine Übersicht über die in
den vergangenen Monaten erfolgten
sowie noch folgenden Arbeitsschritte.
Weitere Auskünfte zu «Linthal 2015»: [email protected] | Tel. +41 (0)55 285 29 11 | www.axpo.com/linthal2015
Herausgeber: Kraftwerke Linth-Limmern AG | Druck: Fridolin Druck und Medien | Bilder: Axpo
Redaktion: Axpo Holding AG
Rückbau der Hochgebirgsbaustelle Muttsee