Autor: Heiner Barz, Holger Stutzke
Soziologische Theoriemodelle im Kontext der Jugendforschung
Im Basismodul haben wir als ein Charakteristikum der pädagogischen
Jugendforschung die fächerübergreifende Integration unterschiedlichster
Perspektiven festgehalten. Sicher sind im Kanon der Bezugswissenschaften
der Pädagogik die Psychologie, insbesondere die Entwicklungspsychologie
und die Soziologie die wichtigsten. Entsprechend haben wir auch die
entwicklungspsychologische Dimension bereits eingehender vorgestellt.
Gegenstand des aktuellen Moduls ist nun der Beitrag der Soziologie zum
Verständnis des Jugendalters.
Während sich psychologische Ansätze mehr mit der individuellen Seite der
Soziologie: Die Entwicklung, dem inneren Erleben, dem Erwachen neuer kognitiver
Frage nach den Fähigkeiten oder emotionaler Erlebnisräume beschäftigen, fragt die
sozialen
Jugendsoziologie eher nach der Stellung des Jugendlichen, bzw. der
Beziehungen
Jugendphase in der gesamten Gesellschaft. Schlägt man ein Lexikon oder
ein Lehrbuch der Soziologie auf, dann findet man darin Sätze wie:
"Soziologie ist die systematische und kontrollierte Beobachtung und
Erklärung von regelmäßig auftretenden sozialen Beziehungen, von ihren
Ursachen, Bedingungen und Folgen." Entsprechend thematisieren
soziologische Ansätze ganz grundsätzlich die Herausbildung der eigenen
Lebensphase, die wir heute so selbstverständlich Jugend nennen und
fragen nach den spezifischen Funktionen, die die Altersgruppe der
Jugendlichen für die Gesellschaft als Ganzes übernimmt.
Mit zwei Beispielen für die spezifisch soziologische Perspektive auf das
TOP
Schelsky und Jugendalter, mit Schelskys "Skeptischer Generation" und Eisenstadts "From
Eisenstadt Generation to Generation" wollen wir uns im Folgenden näher
junggebliebene auseinandersetzen. Diese Auswahl hat den Vorteil, dass damit erstens zwei
Klassiker
Autoren zu Wort kommen, deren Thesen die Jugendforschung der
vergangenen Jahrzehnte beeinflusst hat. Zweitens halten wir viele
Überlegungen noch immer für fruchtbar. Drittens ist die Kontroverse, die
sich aus den gegensätzlichen Positionen beider zu Notwendigkeit und
Berechtigung der Jugendphase als solcher ergibt, noch immer aktuell. Und
schließlich kann Eisenstadt vielleicht nicht als Entdecker der Peer-Group,
aber doch als derjenige gelten, der ihr den umfassendsten theoretischen
Rahmen gegeben und die Gleichaltrigengruppe damit zum festen
Bestandteil der Jugendforschung gemacht hat. Dass die Peer-Group
inzwischen nicht nur Thema jugendsoziologischer Universitätsseminare ist,
sondern sich auch pädagogische Konzepte der Jugendarbeit daran
orientieren, wollen wir in den abschließenden Abschnitten - am Beispiel
Peer-Involvement in der Sexualaufklärung und Peer-Mediation in der
Gewaltprävention - unter Beweis stellen.
Gliederung
Dieses Kapitel gliedert sich in folgende weitere Abschnitte, die Sie - wie
TOP
gewohnt - der Reihe nach oder auch unabhängig voneinander bearbeiten
können:
Einleitung
1. Schelsky und die Pädagogik: Ein streitbarer Soziologe attackiert die
Jugendpädagogik
2. Die Pädagogik antwortet Schelsky
3. Theorie und Geschichte der Peer-Group (Eisenstadt)
4. Peer Involvement-Ansätze in der Sexualpädagogik
5. Peer-Mediation als Gewaltprävention
6. Literatur
7. Aufgaben
Schelsky und die Pädagogik: Ein streitbarer Soziologe attackiert die
Jugendpädagogik
Schelskys berühmter soziologischer Klassiker über die "Skeptische
interner
Generation" von 1957 kann auch heute noch unter den
Link:
verschiedensten Perspektiven mit Gewinn gelesen werden. Man kann Biographie
das Hauptaugenmerk auf die Charakterisierung der Jugend der
Schelsky
Nachkriegszeit legen. Man kann das Werk als Prototyp jenes
spezifischen Verständnisses von Soziologie lesen, das Schelsky
propagierte, wenn er sich für eine phänomenologische
Gegenwartsanalyse als Verbindung von empirischen
Einzelergebnissen und philosophischer Interpretation aussprach.
Weiter lässt sich die "Skeptische Generation" als Beitrag zur Theorie
der Jugend auffassen, dessen Pointe überraschend darin liegt, dass
bereits Schelsky deutliche Auflösungserscheinungen des Phänomens
Jugend diagnostizierte. Und schließlich lieferte Schelsky nicht
weniger als einen Generalangriff auf den pädagogischen
Jugendbegriff - einen Generalangriff, der die damalige Pädagogik
zum Gegenangriff herausforderte. Die beiden letzten Lesarten vor
allem sind es, die wir im folgenden Abschnitt ins Zentrum des
Interesses rücken wollen.
Gleich zu Anfang seiner Betrachtungen wendet sich Schelsky gegen TOP
Soziologie: Die die pädagogische Perspektivenverengung, wie sie nicht zuletzt durch
Frage nach den die in der Pädagogik sehr einflussreiche "Psychologie des
sozialen
Jugendalters" von Eduard Spranger kanonisiert worden war. Wenn in
Beziehungen
der pädagogischen Fachliteratur von Jugend die Rede war, war damit
meist zuallererst und oft sogar ausschließlich der männliche
Jugendliche aus gutbürgerlichem Hause gemeint. Schelsky fordert
demgegenüber eine bewusste Blickwendung: Nicht die bürgerliche
Jugend in Schule und Universität, sondern "der junge Arbeiter und
Angestellte" soll für jugendtheoretische Reflexionen als
"strukturleitende und verhaltensprägende Figur" (1957, S. 8)
dienen.
In einer zweiten These sieht Schelsky Entwicklungen in Richtung der
Nivellierung
"relativen Aufhebung der Jugend als sozial eigenständiger
der
Verhaltensphase." Er bestreitet die Eigenständigkeit der Jugendwelt
Altersrollen
und diagnostiziert eine Nivellierung der sozialen Altersrollen. Hatte
Schelsky auch schon die Auflösung sozialer Schichtunterschiede
durch seine umstrittene These der "nivellierten
Mittelstandsgesellschaft" behauptet, so sieht er nun also auch die
Unterschiede zwischen den Altersgruppen schwinden: Soziale Rollen
würden mehr und mehr unabhängig vom Alter. Die moderne
industriell-bürokratische Gesellschaftsordnung ebne durch ihre
Eigengesetzmäßigkeit tendenziell sämtliche Unterschiede zwischen
den Individuen ein. In der Konsequenz könnten jugendhafte
Verhaltensformen prinzipiell auch von Erwachsenen unter
Umständen sogar von alten Menschen aufgegriffen werden.
Weiter wendet sich Schelsky gegen die Auffassung, dass
TOP
Kritik der
kleingruppenhafte Gemeinschaftsbildung die jugendgemäße
Gemeinschafts- Sozialform schlechthin sei. Mit anderen Sozialphilosophen (Helmuth
ideologie
Plessner, Theodor Geiger) kritisiert er die Gemeinschaftsideologie der
gealterten Jugendbewegungs-Generation, die Sentimentalität
fördere, wo intellektuelle Disziplin und nüchterner Realitätssinn
notwendig seien. Provokativ fordert er geradezu das Gegenteil
dessen, was den Anhängern der Jugendbewegung einst heilig war:
"Erziehung zur Intellektualität und Gefühlsaskese, zur rationalen,
zweckbewussten Kooperation anstatt zur ‚Gemeinschaft', zum
Rollen- und Attitüdenwechsel anstatt zur ‚Ganzheit' der Person, zur
Bejahung der unanschaulich abstrakten Großorganisation, zur
Abdrängung aller sozialen Gefühls- und Vertrautheitsbedürfnisse ins
Private " (S. 124).
Einleitung
Den Grund für das von ihm attackierte Jugendleitbild sieht er in der
Ablehnung der Vergangenheitsverklärung der Pädagogen und Jugendtheoretiker, die
Jugendsich selbst in der Jugendbewegung engagiert hatten und deren
bewegungsideologie
Die
vorindustrielle
Gesellschaft
"braucht"
keine
Jugendphase
Jugend in der
industriellen
Gesellschaft:
"Nicht mehr...
und noch
nicht..."
Schelsky
prophezeit
1957 die
"68er"
Idealen noch immer anhingen: "Hier interpretiert sich die alt
gewordene Jugendbewegungsgeneration als Norm für die
nachkommenden Geschlechter." (S. 101) Im Unterschied zu den
Idealen der Jugendbewegung (Wandern, Zelten, Hausmusik), die das
Transitorische und Rebellische des Jugendalters hervorhob und als
gesellschaftliches Leitbild verankern wollte, sei die Jugend der 50er
Jahre - so Schelsky - deutlich angepasster. Das Realverhalten der
deutschen Gegenwartsjugend zeige unübersehbare Tendenzen, sich
am Erwachsenenstatus zu orientieren. Das Leitbild "junge
Erwachsene" habe den Wunsch nach einer "Sonderrolle" der Jugend
abgelöst.
Seine Diagnose, für die er durchaus zahlreiche Belege auch aus
TOP
Schriften der von ihm kritisierten Jugendtheoretiker anführen kann,
untermauert Schelsky durch sozialhistorische Überlegungen. Als
wichtigsten Faktor für die Analyse der Jugend sieht er die epochale
Sozialstruktur an, die wirtschaftlich-gesellschaftliche Verfasstheit.
Während die Gegenwart als industrielle Gesellschaft zu kennzeichnen
sei, seien für die vorangegangene vorindustrielle Gesellschaft andere
Bedingungen für das Aufwachsen charakteristisch. Die vorindustrielle
Gesellschaft ist durch eine statische Sozialstruktur gekennzeichnet,
sie ist überschaubar, Tradition und Gewohnheit haben eine große
Bedeutung; auch die größeren gesellschaftlichen Gebilde und
Verhältnisse entsprechen dem Modell der Familie (face-to-faceBeziehungen). Familie und Gesamtgesellschaft sind also sehr ähnlich
strukturiert, folglich erfordert der Übergang aus der geschützten
Familie in die Erwachsenenrolle keine Anpassungsleistungen: Der
Übergang aus der Rolle des Kindes in die des Erwachsenen konnte
sich hier "im gleichen sozialen Strukturhorizont" vollziehen. Anders
in der industriellen Gesellschaft. Hier haben Anonymität,
Versachlichung, Rationalität, hohe Veränderungsdynamik und hohe
soziale Mobilität die soziale Sicherheit im öffentlichen Leben
weitgehend zerstört. Die Sicherheit und Intimität (face-to-faceBeziehungen) bietende Familie besteht daneben weiter. Folglich
stehen sich zwei sehr unterschiedlich strukturierte soziale Welten
gegenüber:
"Der Schritt aus der Rolle des Kindes in die des Erwachsenen in der
modernen Gesellschaft ist ein Übergang zwischen zwei sozialen
Verhaltenshorizonten, die weitgehend gegensätzlich strukturiert
sind" (1957, S. 39f.). Hier sieht Schelsky nun die spezifische
Grundlage für die Herausbildung dessen, was wir als Jugendalter
kennen. Die Jugendphase übernimmt die Aufgabe eines "Puffers"
und Verbindungsgliedes zwischen diesen beiden gegensätzlichen
Sphären: "'Jugend' im soziologischen Sinne ist die Verhaltensphase
des Menschen, in der er nicht mehr die Rolle des Kindes spielt
(dessen Leben sozial wesentlich innerhalb der Familie wurzelt oder
von Institutionen gehalten wird, die, wie Heime, Kindergarten,
Elementarschule, Spielplatz usw. primär Familienersatz oder
institutionell ausgeweiteter Familienraum sind) und in der er noch
nicht in die Rolle des Erwachsenen als vollgültigen Trägers der
sozialen Institutionen, also z.B. der Familie, der Öffentlichkeit und
politischen Ordnung, der Rechts- und Wirtschaftsordnung usw.
übernommen hat" (1957, S. 15f.).
Es ist geradezu verblüffend, wie oft das an Thesen reiche Werk
TOP
Schelskys auch aus heutiger Sicht noch zutrifft. Zunächst hatte er
mit seiner Erwartung einer "sezessionistischen Jugendgeneration"
Recht, die sich an die skeptische anschließen werde. Ein
"Aufbegehren gegen das Betreut- und Bevormundetsein", mit
"moralischem, ja religiösem Rigorismus" vorgetragen, schien ihm
angesichts der saturierten und wohlgeordneten industriellen
Gesellschaft unvermeidlich. Einzig - so räumte Schelsky in einem
neu geschriebenen Vorwort zur Taschenbuchsonderausgabe von
1975 ein - die Rückkehr zum politisch-ideologischen Heilsglauben
aufgrund des geringen Realitätskontakts der neuen Generation hatte
er nicht vorausgesehen. Dabei, so Schelsky maliziös, hätte das ja
durchaus nahe gelegen, insofern weltfremde Weltverbesserung "aus
Büchern" schon immer Kennzeichen der Pubertären und der reichen
Erben gewesen sei. Ansonsten aber hat die Entwicklung der seit der
"Skeptischen Generation" vergangenen 45 Jahre sich in vielen
Punkten strikt an Schelskys Prognosen gehalten. Um nur einige
Prognosen anzuführen, die bis heute in allen Umfragen und
Expertisen bestätigt werden:
Wo Schelsky
noch richtig lag
Große Bedeutung der "family values": Schelsky schrieb schon
1957, dass "der Familienzusammenhang als letzter
Stabilitätsrest und sozialer Halt in einer offenkundig sich
auflösenden Welt" (S. 128) eher wichtiger werde.
Abschied vom Beruf als Berufung: Der Beruf ist ein
Lebensbezirk neben anderen geworden und hat seine
universale, sinnerfüllende Bedeutung verloren (S. 265f.).
Politische Handlungsbereitschaft nur bei persönlicher
Betroffenheit: Politik werde aus der Zuschauerperspektive
betrachtet, aber "unter der pseudoerwachsenen Skepsis und
Politikfeindlichkeit steckt ein durchaus reges Sachinteresse an
den Vorgängen der Welt, insbesondere wenn sie irgendeinen
Bezug auf die eigene Lage haben" (S. 457).
Religiöse Offenheit: "Diese Jugend ist Religion und Kirche
gegenüber fragend offen […] ‚Offenheit gegenüber dem
Religiösen' heißt eben keineswegs, dass die Jugend fromm
wäre, dass sie ‚offen gegenüber Gott' oder auch nur religiös
bewegt und aufgerührt wäre. Es ist mehr das Verständnis
einer für diese Generation typischen Vorurteilslosigkeit, die da
fragt: Wir wollen doch sehen, was daran ist? Oder: Was
können wir davon brauchen?" (S. 480).
Realitätsbezogene Anpassung: Die skeptische Generation ist
nüchtern, distanziert und "den Strukturen und Anforderungen
der modernen Gesellschaft gegenüber in einem Maße
angepasst und ihnen gewachsen, wie keine Jugendgeneration
vorher, weshalb man vielleicht auch von einer ‚angepassten
Jugend' sprechen sollte" (S. 88).
Die Pädagogik antwortet Schelsky
Gruppenbildung
Der massive Angriff Schelskys auf "das Bild
als Reaktion auf soziale der Jugend und des Jugendgemäßen in
Isolierung
unserer Gesellschaft", wie er es durch die
Parteigänger der Jugendbewegung geprägt
fand, wurde bereits skizziert. Er richtete
sich, um es noch einmal
zusammenzufassen, erstens gegen die
Auffassung einer sozial eigenständigen
Jugendwelt als solche und zweitens gegen
die Auffassung, dass die "kleingruppenhafte
Gemeinschaftsbildung" die den Jugendlichen
einzig angemessene Sozialform sei.
Schelsky stellte demgegenüber die These,
dass die skeptische Generation gerade
dadurch gekennzeichnet sei, dass sie das
möglichst rasche Erwachsenseinwollen zu
ihrem Leitbild erkoren habe. Wenn junge
Menschen auch nach dem Durchlaufen der
"Vorpubertät" - bei Schelsky auf 12 bis 14
oder 15 Jahre taxiert -, in der die "Neigung
zur Gruppen- oder Hordenbildung" auch von
Schelsky nicht bestritten wird, noch immer
Tendenzen zur Schaffung einer Eigenwelt
hätten, dann nur als Reaktion auf "die
pädagogisch-künstliche Isolierung der
ganzen Altersstufe der Jugend" (S. 123).
TOP
Kritik der
fortschreitenden
Pädagogisierung
Soziologie
gegen Pädagogik
Sollte es noch eines Hinweises bedurft
TOP
haben, dass Schelskys Position im
Jugenddiskurs auch ganz praktische
pädagogische Konsequenzen umfaßte, so ist
an erster Stelle auf seine Kritik der
Schutzraum-Pädagogik zu verweisen. Die
von ihm geschmähte Pädagogenzunft habe
nicht nur ein falsches Jugendleitbild kreiert,
sie halte die jungen Menschen auch
künstlich in Unselbständigkeit und
Abhängigkeit mit dem Resultat, dass "nicht
der junge arbeitende Mensch, sondern der
in Schutzraum-Institutionen der JugendAutonomie Lernende mit gefiltertem, ja
gebremstem Wirklichkeitskontakt […] zum
politischen und sozialen Strukturmodell und
Anpassungsschema jugendlichen Verhaltens
erhoben" wird (Vorwort von 1975, S. XV).
Als Gegner dieser Pädagogisierung der
Jugend war Schelsky selbstverständlich
gegen "die einfache Fortschreibung der
‚Kindheits'-Institution Schule in ein 9. und
10. Volksschuljahr". Er hat sich
demgegenüber "für eine allgemeine
Vollberufsschule mit Lehrwerkstätten
ausgesprochen, also wohl ebenfalls für
einen erzieherisch abgeschirmten
‚Jugendraum' der Berufsausbildung, aber
eben einen, der schon klar auf die volle
Erwachsenentätigkeit gerichtet ist" (Vorwort
von 1975, S. XIV).
Natürlich ließ die Antwort der Pädagogik
nicht lange auf sich warten, die Pädagogen
standen "wie ein Mann gegen den
Totengräber Schelsky" (Zinnecker) auf. Wir
wollen hier stellvertretend Andreas Flitners
Argumente aufgreifen, der sich in einem
Zeitschriftenaufsatz ("Schelsky und die
Pädagogik", 1961) und in einer der
soziologischen Jugendforschung
gewidmeten Monographie (1963) eingehend
um die Zurückweisung von Schelskys
Schelsky aus
Thesen bemühte. Lassen wir die in
Zinneckers Sicht
wissenschaftlichen Streitigkeiten üblichen
polemischen Spitzen (der andere sei falsch
interner Link:
oder gar nicht informiert, es mangele ihm
Flitner, Andreas
an wissenschaftlichem Niveau, er
widerspreche sich immer wieder selbst, er TOP
ziele in erster Linie auf den Beifall des
Publikums etc.) einmal beiseite, so weist
Flitner Schelskys Argumentation zurück,
weil dieser in seiner ausschließlich
soziologischen Betrachtungsweise die
spezifisch pädagogischen Bemühungen der
Erzieher- und Lehrerschaft jenseits von
Klasse und Stand vollkommen
ausklammere. Nicht etwa berufsständische
Interessenspolitik sei der Grund, einen
Schonraum für die jugendliche Eigenwelt zu
befürworten, sondern die Überzeugung von
der Bildsamkeit des Menschen: "Es ist aber
nun einmal nicht pädagogisches Vorurteil,
sondern vielfach erwiesener Tatbestand,
dass für die geistige Differenzierung und
das Hineinwachsen in die geistige Welt eine
solche Schonzeit in den Reifejahren
notwendig ist, wenn die geistige
Entwicklung nicht unverhältnismäßig früh zu
Ende gehen soll. […] Schelskys Leugnung
der Notwendigkeit eines freien
Jugendraums, die in seinem Buch
‚Anpassung oder Widerstand' einigermaßen
absurde, der ganzen Schulentwicklung der
westlichen Welt widerstreitende
schulpolitische Folgerungen gezeitigt hat,
setzt sich über entwicklungspsychologisch
und pädagogisch erwiesene Tatbestände
hinweg, wie es in dieser Form wohl nicht
mehr diskutabel ist" (Flitner 1963, S. 88).
Aber nicht nur in den Folgerungen und
Forderungen widerspricht Flitner Schelsky
energisch. Auch das Bild der skeptischen
Generation selbst, wie Schelsky es zeichnet,
gehe an der Wirklichkeit vorbei. Bereits die
Wahl des Titels sei irreführend:
"Gemeint ist die wirklichkeitsnahe und
Skepsis oder Anpassung unpathetische, lebenspraktische, ja
pragmatische Einstellung der Jugend; nicht
also ein grundsätzlicher Zweifel an den
Werten und Ordnungen des Lebens, nicht
das vorsichtige Prüfen und Untersuchen von
allem und jedem, die Urteilsenthaltung, das
Infragestellen aller Geltungen, wie es das
Wort ‚Skepsis' nahelegt. Ganz im Gegenteil:
die Jugend, wie Schelsky sie darstellt, ist
auf eine bedrückende Weise unskeptisch,
vordergründig und angepaßt" (Flitner 1963,
S. 69).
Was die These Schelskys von der Auflösung TOP
und "Entstrukturierung" (Flitner 1963, 72)
der Altersstufe Jugend betrifft und das
Streben Jugendlicher, möglichst rasch den
Erwachsenenstatus zu erreichen, so sieht
Flitner hier die Wirklichkeit zwar richtig
beschrieben - aber falsch bewertet.
Während nämlich Schelsky die Pädagogen
kritisiert, die gegen die Evidenzen neuer
sozialstruktureller Entwicklungen künstlich
an einem retardierenden Schonraum
festhielten, formuliert Flitner ein fast
trotziges Dennoch: Gerade weil die realen
Entwicklungen den in den letzten eineinhalb
Jahrhunderten entstandenen Jugendraum
aufzulösen drohen, müsse er verteidigt
werden. Unüberhörbar ist dabei ein
kulturkritischer Unterton, wenn Flitner
anmerkt, dass das erstrebte schnelle
Erwachsenwerden "heute stark im Zeichen
des Autos, des Radios, der Industrieberufe"
(1963, S. 79f.) stehe.
Ein weiterer zentraler Vorwurf Flitners
Der Durchschnittsbetrifft die Verallgemeinerung von
jugendliche - ein statis- Befunden, die nur für eine spezifische
tisches Artefakt?
Gruppe Jugendlicher Geltung hätten und
überhaupt die Berechtigung jenseits aller
notwendigen Spezifikationen von der
Jugend im Singular zu sprechen. Damit
würde das künstliche Bild einer nivellierten
Jugend entstehen, der gestaltlose
Durchschnittsjugendliche als Artefakt
(Kunstprodukt) der Forschungsmethode
würde als Wirklichkeit ausgegeben.
Auflösung des Jugendraums - Chance oder
Drama?
Wissenschaftstheoretisch spricht man hier
von Reifikation - was Flitner meint, kann
man sich vielleicht aber auch an einem
bewährten Statistik-Kalauer klarmachen:
Wenn jemand eine Hand ins Feuer und die
andere ins Gefrierfach hält, dann hat er im
Durchschnitt ein angenehmes
Temperaturempfinden.
Alles, was seinem Gesamtbild widerspreche, interner Link:
Nivellierung der
werde von Schelsky als unwesentlicher
Arbeitsaufgabe
Geschlechterdifferenzen Restbestand abgewertet, so insbesondere
TOP
alle Befunde aus Teiluntersuchungen, z.B.
zur weiblichen, zur akademischen oder
ländlichen Jugend. Da gerade die
Streitfrage, ob es spezifisch weibliche
Verhaltensweisen und Einstellungen gebe,
und ob diese in Auflösung begriffen seien
oder als anthropologische Konstante
unverrückbar zum gesellschaftlichen Leben
gehören, auch heute im Zeitalter von
Quotenfrauen und Gender-Mainstream noch
nichts an Aktualität eingebüßt hat, möchten
wir einen Text-Auszug dazu als
Arbeitsaufgabe zur Diskussion stellen (siehe
Link rechts).
Theorie und Geschichte der Peer-Group (Eisenstadt)
From Generation to
Generation - ein
echter
Klassiker
Altersstufen eine fundamentale
soziologische
Kategorie
Eisenstadts Buch "From Generation to Generation" Interner Link:
mit dem Untertitel "Altersgruppen und
Biographie Eisenstadt
Sozialstruktur" erschien 1956 im Original und
1966 in deutscher Übersetzung. Es gilt als der
"geschlossenste theoretische Entwurf einer
Jugendsoziologie" und trotz - oder gerade wegen massiver Kritik aus den Reihen der
Jugendforschung kann festgehalten werden, dass
Eisenstadt "wie kein anderer Soziologe vor ihm
oder nach ihm die jugendtheoretische Diskussion
angeregt und vorangebracht hat" (Griese 1977, S.
115).
Das Hauptthema Eisenstadts ist die Funktion der Interner Link:
"Peer-Groups", d.h. die Erklärung der Funktion, die Übersicht
altershomogenen Gruppen für die Stabilität des
Handlungsalternativen
gesellschaftlichen Ganzen zukommt. Dabei
interessiert sich Eisenstadt sowohl für die Rolle der
Peers in der Sozialisation des Individuums als auch
für deren Funktion im Hinblick auf die
gesellschaftliche Kontinuität. Dabei geht er von der
grundlegenden Annahme aus, dass das
Lebensalter zu den fundamentalsten Aspekten des
menschlichen Lebens gehört und dass die
Zugehörigkeit zu verschiedenen, gesellschaftlich
definierten Altersstufen mit spezifischen Aufgaben,
Pflichten und Rechten, kurz: mit unterschiedlichen
Rollen einhergeht. Um die Argumentation
Eisenstadts nachzuvollziehen, ist ein kurzer Blick
auf das Modell der "pattern variables" unerlässlich,
das er von Talcott Parsons übernommen hat. Unter
der Prämisse, dass jedes Individuum (teilweise
gleichzeitig, teilweise nacheinander) eine Vielzahl
von Rollen in der Gesellschaft einnimmt - z.B. die
einer Tochter, eines Vaters, Arbeiters,
Vereinsmitgliedes usw. - kann man sagen, dass in
jeder Rolle mehrere Handlungsalternativen
enthalten sind. Das Modell der "pattern variables",
am besten als "Orientierungsalternativen"
übersetzt, besagt nun, dass es fünf grundlegende
Handlungsalternativen gibt.
"Die erste Alternative ist jene zwischen Affektivität TOP
Affektivität vs.
und affektiver Neutralität. Es gibt Rollen, in denen
affektive
der Einzelne eine unmittelbare Befriedigung in der
Neutralität
aktuellen sozialen Handlung suchen kann, mit der
er gerade beschäftigt ist. Hier wählt er Affektivität
oder unmittelbare, expressive Befriedigung. Auf
der anderen Seite gibt es Rollen, in denen das
Individuum mit seinem Handeln ein entferntes Ziel
verfolgt. Das sind die mehr instrumentalen Rollen,
bei denen affektive Neutralität gewählt wird.
Selbst- vs.
Die zweite Alternative ist die zwischen Selbst- und
Kollektivorientierung Kollektivorientierung. Es gibt Rollen, z.B. die eines
Geschäftsmannes, in denen man seine
persönlichen Ziele verfolgen darf. Andererseits
findet man aber auch Rollen, z.B. die des Arztes,
des Priesters usw., in denen das Verhalten an der
Gemeinschaft, ihrem Wohl und ihren Zielen
orientiert sein soll.
Die dritte Alternative ist die zwischen
TOP
Universalismus vs.
Universalismus und Partikularismus. Es gibt Rollen,
Partikularismus
von deren Träger man erwartet, dass er sich in
allgemeinen, unversalistischen Kategorien verhält,
die auch für seine Interaktionspartner zutreffen.
Ein Arzt muß alle seine Patienten gleich behandeln
und ein Beamter alle diejenigen, die in amtlichen
Angelegenheiten zu ihm kommen. Bei anderen
Rollen, z.B. im Verhältnis zwischen Verwandten, ist
es angebracht, sich gegenüber anderen
entsprechend deren partikularer Beziehung zu dem
Einzelnen zu verhalten.
Die vierte Alternative ist die zwischen
Leistung vs.
Einzelleistung (achievement) und Zuschreibung
Zuschreibung
(ascription). Wie beurteilt man den Träger einer
Rolle? Nach seiner Leistung, nach seiner
Tüchtigkeit, nach seinem Erfolg auf irgendeinem
Gebiet - oder nach dem, was er ist, nach seinen
Qualitäten - seien sie ästhetisch, ererbt oder auch
nur aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer
bestimmten Gruppe oder Kategorie von Menschen,
mit anderen Worten: nach seiner zugeschriebenen
Position?
Die letzte Alternative ist die zwischen Diffusität
TOP
Diffusität vs.
und Spezifität. Manchmal verlangt eine gegebene
Spezifität
Rolle einen diffusen Pflichtbereich wie etwa in
Mutter-Kind-Beziehungen oder allgemein in
Beziehungen zwischen Freunden, während in
anderen Situationen vor allem ein einzelner,
spezialisierter Dienst zu versehen ist, wie etwa als
Bankangestellter" (Eisenstadt 1966, S. 15f.).
Bruch zwischen
Familie
und Gesellschaft
Es ist für Eisenstadts Theorie des Jugendalters von
entscheidender Bedeutung, dass die ersten
Sozialisationserfahrungen des Individuums in der
Familie durch einen Pol der Alternativen
gekennzeichnet sind: Die Familienbeziehungen
sind altersheterogen, zugeschrieben,
partikularistisch und diffus organisiert. Im
Gegensatz dazu verlangen moderne Gesellschaften
schon in der Schule aber noch mehr in der
späteren Berufsrolle die Orientierung am
entgegengesetzten Pol. Es gibt also einen Bruch
zwischen den Prinzipien der primären Sozialisation
und den allgemein in der Gesellschaft gültigen
Orientierungen. Die damit notwendige verbindende
Sphäre stellen die Peer-Groups dar: Sie
ermöglichen den Mitgliedern Ablösung von der
Familie und gleichzeitig Vorbereitung auf die
Gesellschaft, weil sie Teile der Familienorientierung
übernehmen, aber doch auch erwachsenes
Rollenhandeln erfordern.
Altershomogenen Gruppen kommt somit große
TOP
Peers als
Bedeutung zu als Verbindungsglied zwischen
Verbindungsglied
der primären Rolle in der Familie, basierend
auf Blutsbanden, persönlichen Beziehungen,
Vertrauen, Emotionalität, Gemeinschaftssinn, auf
die ganze Person gerichtetes Interesse und den
sozialen Rollen der Gesellschaft, die sachliche
Beziehungen, affektive Neutralität, Statuserwerb
durch Leistung und Gleichbehandlung aller
(Universalismus) voraussetzen (nicht mehr: "Mein
Junge ist der Beste", sondern "vor dem NC sind
alle gleich").
Für diese Vermittlungsfunktion im Übergang der
Peers Orientierungsmuster gibt Eisenstadt ein Beispiel,
für ImmigrantInnen das auch für die heutige Problematik der
besonders wichtig
ausländischen Jugendlichen in Deutschland von
Interesse ist: "Die Bedeutung der ‚Peer-Gruppe'
bei Einwandererkindern ist ein sehr bekanntes
Phänomen, das gewöhnlich in der zweiten
Einwanderergeneration auftritt. Es ist vor allem
dem relativen ‚Zusammenbruch' oder besser der
Schrumpfung des Familienlebens von
Einwanderern in Wirtschaftsgesellschaften
zuzuschreiben. […] Der Erwerb einer vollen IchIdentität in dem neuen Land ist bei
Einwandererkindern entschieden mit einer
Loslösung aus dem Rahmen der
Orientierungsfamilie und mit einer stärkeren
Identifikation mit den universalistischen Mustern
des neuen Landes verbunden. Aus diesem Grunde
entwickeln manche von ihnen eine starke
Prädisposition, sich verschiedenen ‚Peer-Gruppen'
anzuschließen, die entweder ihren Übergang in die
absorbierende Gesellschaft erleichtern, indem sie
sowohl in ihrer Zusammensetzung als auch in
ihren Aktivitäten die mehr universalistischen
Muster - und Leistungsorientierungen - der neuen
Gesellschaft nachdrücklich betonen, oder aber ihre
Auflehnung gegen diese Gesellschaft ausdrücken.
In solchen Gruppen entwickelt sich eine besondere
Jugendideologie, die manchmal die Eigenart der
‚amerikanisierten' Jugend […] oder aber auf der
anderen Seite ihre Auflehnung gegen die neue
Gesellschaft und ihre ziemlich romantische
Bindung an ihre Kultur betont" (1966, S. 177f.).
Fassen wir die Kernthesen Eisenstadts noch einmal TOP
Peers zusammen:
Vorübung und Kokon Jugendliche drängen in universalistisch
organisierten Gesellschaftssystemen aus der
Primärgruppe der Familie hinaus, um generelle
Verhaltensmuster zu erlernen. Das gleichzeitig
weiter existierende Bedürfnis nach emotionaler
Nähe und stabilem Selbstverständnis befriedigen
sie über die Gruppe der Gleichaltrigen. Die
Beziehungen untereinander basieren hier zwar auf
zugeschriebenen Merkmalen (Alter), aber nicht
mehr auf Blutsverwandtschaft. Sie dienen zum Teil
der Abwehr gegen, zum Teil aber auch der
Orientierung an zukünftigen Rollen. Aus der
Vielzahl der ethnologischen Materialien, die
Eisenstadt in seiner Arbeit auswertet, leitet er
weiter ab, dass die Entstehung altershomogener
Gruppen dort begünstigt wird, wo:
a. die älteren Mitglieder den Zugang zu
Erwachsenen-Rechten versperren
b. sexuelle Beziehungen innerhalb der
Familieneinheit streng verboten sind.
Peers Motor der
Veränderung?
Eisenstadt gehört nicht nur zu den
TOP
einflussreichsten, er gehört auch zu den
umstrittensten Jugendtheoretikern. Die
Hauptkritikpunkte (vgl. Griese 1977) lauten:
Eisenstadt könne - wie im Übrigen der gesamte
Strukturfunktionalismus - wegen der
Grundannahme die Gesellschaft als statischstabiles Sozialsystem zu betrachten, sozialen
Wandel nicht erklären. Er könne nicht zwischen
systemgefährdendem, systemveränderndem und
systemstabilisierendem sozialen Wandel trennen.
Damit tendiere er zur Legitimation des jeweiligen
Status quo und versage angesichts von
revoltierenden Jugendbewegungen, wie sie in den
späten 60er und den 70er Jahren in allen
westlichen Gesellschaften zur Tagesordnung
gehörten. Eisenstadt argumentiere ausschließlich
biologisch und ahistorisch, wenn er das
Lebensalter als wichtigstes Kriterium der
Rollendisposition der Gesellschaftsmitglieder
annehme. Politische, ökonomische Dimensionen
und damit auch soziale Ungleichheiten blieben
ausgeklammert. Man merkt derartigen
Argumenten den Zeitgeist der Studentenbewegung
an. Heutzutage allerdings kann es längst als
Normalität angesehen werden, wenn etwa ein ExSponti Joschka Fischer als Außen- oder ein ExRAF-Anwalt Otto Schily als Innenminister hohe
Staatsämter bekleiden. So stellt sich die Frage, ob
und inwiefern nicht auch Protestbewegungen der
jungen Generation eine langfristig
systemstabilisierende Wirkung haben?
Voraussetzung ist freilich, dass sich die
Gesellschaft als offen gegenüber Veränderungen
erweist.
Peer-Group konkret
Was sind PeerGroups?
Der Begriff Peer wird häufig mit Gleichaltriger übersetzt und Peer-Group
entsprechend als Gleichaltrigen-Gruppe. Neben dem Merkmal der
Altershomogenität kommt allerdings ein weiteres wichtiges Kriterium
hinzu: Die einzelnen Mitglieder einer Peer-Group sind prinzipiell
gleichrangig. Diese prinzipielle Gleichheit im Rang der Gruppenmitglieder
darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass in Peer-Groups genauso
wie in anderen Gruppen Rollen ausgehandelt und unterschiedlich
festgelegt werden. So gibt es oft Group- oder Opinion-Leader, Clowns,
AngeberInnen, Schüchterne, MitläuferInnen etc. Peer-Groups haben im
Gegensatz zu anderen Gruppen eher informellen Charakter: Ihre
Gruppenmitglieder bilden die Gruppe freiwillig und spontan, sie bedürfen
keinerlei "vertraglichen" Bestimmungen und ein Ausstieg ist prinzipiell
jederzeit möglich. Dennoch entwickeln auch informelle Gruppen
bisweilen ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl und somit einen
enormen Zusammenhalt. Auch existieren zum Teil komplexe
Regelsysteme, deren Nicht-Beachtung durch Sanktionen bestraft wird
(denken Sie z.B. an die "Kleider- und Frisurvorschriften"). Gerade im
Jugendalter gewinnt die Peer-Group an Bedeutung, da sie zwischen der
Ablösung vom Elternhaus und der Integration in die Berufswelt das
soziale "Vakuum" füllt. Daher wird im Jugendalter die Peer-Group neben
der Familie bzw. den Eltern in der Regel zur wichtigsten
Sozialisationsinstanz.
Erinnerungen an
Ihre
eigenen PeerGroups
Bildungs von
Peer-Groups
Loslösungshilfe
von der Familie
TOP
Bitte überlegen Sie für sich zur besseren Bearbeitung des Themas
Antworten zu den folgenden Fragen:
Versuchen Sie sich an Ihre eigene Jugend zu erinnern. Sie waren
sicherlich auch in einer oder mehreren Gleichaltrigengruppen
eingebunden (z.B. in der Schulklasse, im Sportverein oder in der
Nachbarschaft).
Wie groß waren diese Gruppen?
Waren diese Gruppen reine Mädchen- bzw. Jungen-Gruppen?
Welche Veränderungen haben diese Gruppen durchlaufen (z.B.
Wechsel von gleichgeschlechtlicher zu gemischtgeschlechtlicher
Gruppe)?
Gehörten Ihre Gruppen einer bestimmten größeren jugendlichen
"Subkultur" an (z.B. Raver, Punks, Rapper, Sprayer etc.)? Haben Sie
besonders positive oder negative Erinnerungen an diese Gruppen?
Bestanden Ihre Gruppen über die Jugendphase hinaus bis hinein ins
Erwachsenenalter?
Peer-Groups entstehen in Abgrenzung zur bestehenden
TOP
Erwachsenenkultur. Diese Eigenschaft der Peer-Groups lässt sich dadurch
erklären, dass es für Jugendliche leichter ist, in einer gewohnten
Umgebung, in der sie sich relativ sicher fühlen und in der sie eine Rolle
(z.B. Kind, Schüler_in etc.) erfüllen, Kontakte zu knüpfen. Daraus ergibt
sich auch, "dass die Jugend in Bezug auf soziale Schichtzugehörigkeit
streng selektiv ist" (Baacke 1994, S. 12). Jugendliche, die verschiedenen
Gesellschaftsschichten angehören, treffen sich selten in einer PeerGroup. Man kann deshalb sagen, dass Peer-Groups in gewisser Weise
das gesellschaftliche Schichtsystem reflektieren. Das soziale Umfeld, in
dem sich die Peer-Groups formieren, ist auch ausschlaggebend für die
Wertvorstellungen der Jugendlichen. So scheinen Jugendlichen, die das
Gymnasium besuchen, andere Werte wichtig als Real- und
Hauptschüler_innen: Z.B. "Pünktlichkeit, Gepflegtheit, persönliche
Attraktivität, Respektierung der Individualität" gegenüber "Männlichkeit,
Mut, Stärke" (Baacke 1995, S. 13). Trotzdem haben weder die Schule,
noch die Familie direkten Einfluss auf die Gruppen. Auch ist es den
Jugendlichen manchmal gar nicht bewusst, dass sie die
Wertvorstellungen der Erwachsenen übernommen haben.
Die Struktur heutiger Familien unterscheidet sich von den
Familienstrukturen vergangener Generationen: Die Familie wird kleiner
(aus der Großfamilie mit drei oder mehr Generationen wird eine kleine
Kernfamilie mit oft nur drei Personen: Mutter, Vater und Kind), die
Generation der Großeltern hat weniger Einfluss auf die Kinder, beide
Elternteile sind berufstätig oder eine Mutter bzw. ein Vater ist
alleinerziehend.
Daraus folgt, dass der Einfluss der Familie heute geringer ist, als noch
TOP
vor 50 Jahren. Die Funktionen der Familie (Erziehung und Sozialisation)
müssen zum Teil von anderen Institutionen mitgetragen werden
(Kinderkrippe, Kindergarten, Schule, Jugendclubs). Gleichzeitig wird die
kulturelle Kluft durch die rapiden technischen und gesellschaftlichen
Veränderungen zwischen Elterngeneration und Kinder- bzw.
Jugendlichengeneration größer: Wenn ein/e Jugendliche/r
Computerprobleme hat, dann fragt er nicht seine Mutter, sondern
seine/ihre FreundInnen.
Autonomie und eigenständiges Handeln sind essentiell wichtig für ein
Bestehen in der heutigen Gesellschaft. Unabhängigkeit und
Selbständigkeit können so als wichtiges Sozialisationsziel definiert
werden. Während die Familie - je nach Struktur und "Erziehungsklima" nur bedingt die Autonomie fördern kann, wird diese in der Peer-Group
erlernt. Die Peer-Group bietet die Möglichkeit, auf gleicher Ebene zu
diskutieren und Meinungen zu vertreten und wird dadurch zur
Vermittlerin zwischen Familie und öffentlicher Sphäre.
In Familie und Schule gelten "Erwachsenengesetze", während in der
TOP
Freiraum zur
Peer-Group gruppenspezifische Gesetze ausgehandelt werden, die sich
Erprobung
zum Teil erheblich (besonders drastisch bei delinquenten
von
Jugendgruppierungen) von den Regeln und Gesetzen der
Handlungsweisen Erwachsenenwelt unterscheiden. Dadurch wird die Peer-Group zu einem
Freiraum sozialer Interaktion. Es können Verhaltensweisen ausprobiert
werden, die außerhalb der Gruppe nicht möglich wären.
Die Peer-Group bietet die Möglichkeit, Verhandlungen einzuüben,
Argumente auszutauschen, Koalitionen zu bilden, Mehrheiten zu
erlangen etc. Dies alles sind wichtige soziale Kompetenzen, die innerhalb
der Peer-Group erlernt werden können.
Eine Peer-Group bietet auch Identifikationsmöglichkeiten. Sei es durch
TOP
Aufbau von Ich- einen "coolen" Opinion-Leader oder einen Star bzw. eine Gruppierung
Identität
außerhalb der eigenen Peer-Group. Der/Die Jugendliche kann in der
Peer-Group relativ gefahrlos seine/ihre Identität entwickeln und
verschiedene Lebensstile ausprobieren. Gleichzeitig erfährt er/sie
Sicherheit in der Gruppe, die den/die Einzelne/n vor dem Pluralismus der
Gesellschaft schützt.
Die Peer-Group hilft die großen Veränderungen während der Pubertät zu TOP
verkraften und die "Einsamkeit" bedingt durch die einsetzende
Selbstreflexion und Erkenntnis der Einzigartigkeit durch ein Wir-Gefühl
zu überwinden.
Die Peer-Group ist nicht nur Vermittlerin zwischen Elternhaus und
Aufbau von
Gesellschaft im Allgemeinen, sondern bereitet Jugendliche auf die
Beziehungen zum Partnerschaft vor. Nicht selten entwickeln sich innerhalb der Peer-Group
anderen
erste sexuelle Erfahrungen, die in einem sozialen Schutzraum stattfinden
Geschlecht
können. In der Peer-Group können die Jugendlichen diejenigen ihrer
Eigenschaften und Fähigkeiten hervorheben, die ihnen persönlich als
wichtig erscheinen. Ohne den Leistungsdruck der Eltern oder
Lehrer_innen, wächst dadurch das Selbstbewusstsein der Jugendlichen
und gleichzeitig ihr Mut, sich auf erste sexuelle Beziehungen einzulassen.
Trotz aller positiven Funktionen und Einflüsse, die die Peer-Group
TOP
Peer-Pressure
übernimmt, gibt es auch negative Aspekte, die durch die
Gruppenstruktur entstehen können. Bei aller Freiheit, die die Peer-Group
bietet, ist es nicht zu verleugnen, dass sie für ihre Mitglieder manchmal
auch schädlich sein kann. Obwohl das vorrangige Interesse der
Jugendlichen der gemeinsame Zeitvertreib ist, bilden sich - gerade auch
durch die Identitätssuche - Machtstrukturen unter den Peers heraus. Ein
solches "Kräftemessen" ist ungefährlich, wenn beide Parteien
gleichgestellt sind. Besteht aber eine vertikale Abstufung, dann können
die Konsequenzen schwerwiegend sein. Solche Rangunterschiede
innerhalb der Gruppe können dadurch entstehen, dass Mitglieder einer
Gruppe unterschiedlich lang angehören, dass ein/e Jugendliche/r von
Hause aus eine untertänige Rolle gewohnt ist, die er/sie auch in der
Peer-Group nicht ablegen kann, oder dass ein/e Jugendliche/r in einer
Identitätskrise steckt und versucht, seine/ihre Probleme in der
Konfrontation mit anderen zu lösen etc. Wenn die restlichen
Gruppenmitglieder für eine Seite Partei ergreifen, wird auf den/die
Schwächere/n ein enormer Druck (Peer-Pressure) ausgeübt. PeerPressure kann erschreckende Folgen haben: Angefangen bei
Anstiftungen zu kleinen Stehlereien mit "Streich"-Charakter, über
Autodiebstahl für "joy rides", bis hin zu Vergewaltigung und Mord. PeerPressure funktioniert aber auch im Kleinen mit weniger drastischen
Folgen. So werden in der Gruppe bisweilen mehr Freiheiten eingebüsst
als gewonnen.
Exkurs zu Peer-Groups und Jugendkulturen
Jugendgruppen
im Dritten Reich
Hitlerjugend (Quelle:
http://www.tzl.de)
Die neue Freiheit
in den 1950er Jahren
Die 1960er und
1970er
Geschichte, Entdeckung und Erforschung
der Peer-Groups sind vergleichsweise
jüngeren Datums. Natürlich war die Gruppe
der Gleichaltrigen auch schon früher
Gegenstand von philosophischen
Überlegungen und wissenschaftlichen
Betrachtungen (z.B. in der Antike bei Platon
oder in der Aufklärung bei Locke). Die
eigentliche Entdeckung der Peer-Group
jedoch geht mit der Entdeckung des
Jugendalters einher.
In Deutschland war die Entwicklung von
Peer-Groups während der Zeit des
Nationalsozialismus und des Zweiten
Weltkrieges kaum möglich. Das
Erziehungssystem diente der Indoktrination
und freiwillig gebildete Jugendgruppen
wurden nicht geduldet. Absolute Kontrolle
der Kinder und Jugendlichen war Ziel des
"Erziehungs"-Systems des Dritten Reichs.
Organisiert und gefügig gemacht wurde die
damalige Jugend im Bund Deutscher Mädel
(BDM) und in der Hitlerjugend (HJ).
Nach dem Zusammenbruch des
Nationalsozialismus stellten die 50er Jahre
mit Petticoats, Coca-Cola und Rock'n'Roll
eine große Wende für das Leben junger
Menschen dar. In dieser Zeit der
"gesellschaftlichen Produktion des
'Teenagers'" (Baacke 1993, S. 11), erhielt
Musik eine große Bedeutung für junge
Menschen. Rock'n'Roll drückte nicht nur ein
völlig neues und unbeschwertes
Lebensgefühl aus, sondern brachte im Tanz
auch Jugendliche beider Geschlechter
zusammen. Als weiterer Katalysator in der
Entwicklung der Jugendkultur muss der
beginnende Wohlstand der damaligen
Bundesrepublik genannt werden (vgl.
Baacke 1993, S. 11). Nicht nur schlechte
Erinnerungen an organisierte
Jugendverbände während des Zweiten
Weltkrieges, sondern auch der Einfluss
gewandelter, speziell medienorientierter
Interessen spielte bei der Entstehung von
Peer-Groups eine Rolle. Jugendliche fanden
sich in Gruppen außerhalb der autoritären
Erziehung der Erwachsenen zusammen, um
diese neuen Interessen mit Gleichgesinnten
zu teilen. Nicht nur Musik und Kleidung,
sondern auch neue liberale und
hedonistische Verhaltensweisen
untereinander veränderten die Struktur der
Gruppen von Jugendlichen.
Die Hippies, deren Bewegung ihren
Höhepunkt in der zweiten Hälfte der 60er
Jahre mit dem Woodstock-Festival hatte,
war, wie auch ihr Beiname "Blumenkinder"
impliziert, eine friedliebende Gruppe. Sie
propagierten Liebe und Frieden und wollten
die Welt verändern. Daneben gab es die
politisch aktiven Jugendlichen, die in den
späten 1960er und in den 70er Jahren die
Schüler- und Studentenrevolte trugen. In
Bund Deutscher Mädel
(Quelle:
http://www.skalman.nu)
Halbstarker der 50er
(Quelle:
http://www.daf.unimainz.de)
Hippie
Punks
Die 1980er
Die 1990er
Trends und PeerGroup
Deutschland war diese Bewegung, obwohl Externer Link:
sie auf internationaler Ebene zu finden war, Dark-Wave bzw. Gothicbesonders erfolgreich und setzte
Szene
Veränderungen besonders im
Hochschulwesen durch. Ende der 1970er bis
Anfang der 80er Jahre war die Zeit der
Punks, die wiederum "Geburtshilfe" für die
Dark-Wave bzw. Gothic-Szene darstellte
und deren Gegenströmung die Popper
bildeten.
Die neue Freiheit der Jugendlichen, die in
den Jahrzehnten zuvor hart erkämpft
werden musste, wurde in den 1980er
Jahren weitgehend als selbstverständlich
angesehen und die zwischenmenschlichen
Beziehungen schienen zeitweise
uninteressanter als das Konsumbedürfnis zu
sein. Auf jeden Fall erhielten in dieser Zeit
das "Outfit", das "Styling" erstmals auch
außerhalb bestimmter jugendlicher
Subkulturen eine herausragende
Bedeutung. Entsprechend hat man die
Jugend der 80er Jahre auch als "LifestyleGeneration" bezeichnet.
Der Jugendliche Mainstream in den 1990er
Jahren wurde häufig mit der
Spaßgesellschaft gleichgesetzt: Ecstasy,
Love Parade, feiern statt engagieren. Dies
war das durch Medien geprägte Bild der
1990er Jahre. Aber auch das Internet und
der Computer beeinflussten die
ausgehenden 90er Jahre: Generation X
wurde durch die Generation @ abgelöst.
Die oben allerdings sehr verkürzt
dargestellten Trends in der Entwicklung der
Ziele und Werte der Jugend spiegeln nur
äußerst grob das wider, was die
Jugendlichen bewegte. Die Trends der
großen Jugendsubkulturen (Rocker, Hippies,
Punker, Grunge, Raver, Rapper...) wurden
von Peer-Groups kreiert, weitergetragen
und verändert.
Ein Blick auf die Erforschung der Peer-Group
Eine kurze Die Peer-Group-Forschung nährt sich aus verschiedenen Ansätzen. Zum einen
Geschichte entstand seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Interesse für die differenzierte Vielfalt
der Peer- von Kleingruppen und die zwischenmenschlichen Beziehungen in ihnen. Dies führte
Groupzu spezifischen Fragestellungen der Soziologie (z.B. die Frage nach der Struktur von
Forschung Kleingruppen) und der Sozialpsychologie (z.B. die Frage nach sozialen Bezügen des
Individuums). Im deutschsprachigen Raum gingen Anregungen vor allem von G.
Simmel (1858-1918) aus und im amerikanischen hat H. Cooley (1864-1929) bereits
1909 auf das Problem der Primärgruppen aufmerksam gemacht, zu denen er auch
die Peer-Group rechnete (neben der Famile, Nachbarschaft und der Gemeinde).
S.N. Eisenstadt fasste 1956 die Untersuchungen unter dem Blickwinkel des
funktionellen Zusammenhangs zwischen Peer-Group und Gesellschaft zusammen.
Neuere empirische Untersuchungen konnten das Wissen über die Peer-Groups
ausdifferenzieren.
In den folgenden Abschnitten haben wir einige interessante Ergebnisse der
Forschungen über Peer-Groups zusammengestellt. Dabei wird sowohl die
soziologische als auch die entwicklungspsychologische Dimension berücksichtigt.
Die Peer-Group als soziologische Kleingruppe
Aus dem Blickwinkel der Soziologie wird häufig über den Begriff
der "soziologischen Gruppe" gesprochen. Was ist darunter zu
verstehen?
Die Gruppe ist das häufigste soziale Gebilde; viele
Menschen gehören mehreren sozialen Gruppen an:
Familie, Spielgruppe, Arbeitsgruppe,
Freundesgruppe, Sportgruppe usw. Mit jeder der
genannten Gruppen ist jeweils eine Reihe von
Besonderheiten, aber auch von Gemeinsamkeiten
des Gruppenlebens verbunden. Von den Anfängen
der modernen Gesellschaftswissenschaft bis in die
20er Jahre wurde der Begriff Gruppe
undifferenziert auf die Vielfalt der sozialen Gebilde
und sozialen Beziehungen angewandt; er umfasst
sowohl die Kleingruppe wie die Gesellschaft oder
schließlich die ganze Menschheit als Gruppe. Erst
die seit Anfang dieses Jahrhunderts entwickelte
Primärgruppen-Theorie und die intensive
Erforschung kleiner Gruppen von etwa drei bis 25
Personen setzten in den Sozial- und
Humanwissenschaften ein eindeutiges
Gruppenverständnis durch: Gruppe ist ein soziales
Gebilde bestimmter Größenordnung, das nicht
zuletzt wegen dieser Größe andere
Handlungsmuster zeigt als Organisationen und
Institutionen, als Massen oder gar gesellschaftliche
Systeme (Schäfers 1994, S. 11).
Die in diesem Teilmodul von uns betrachtete Peer-Group ist
eine soziologische Kleingruppe, die drei bis 25 Personen
umfassen kann.
Denken Sie an Ihre Jugend zurück und überlegen Sie, wie
groß Ihre Peer-Group war? War es eine eingeschworene
Gruppe von nur drei Personen oder gar eine Clique von 25
Personen? Welche Auswirkungen auf die Beziehungen
können diese unterschiedlichen Gruppengrößen haben?
Versetzen Sie sich nochmals in Ihre Jugend zurück. Denken
Sie an verschiedene Gruppen (nicht nur an Ihre Peer-Group,
sondern vielleicht an den Sportverein, Schulklasse,
Pfadfinder etc.) und überlegen Sie, wie ausgeprägt das
angesprochene Wir-Gefühl dort war. Welche Gruppenziele
haben Ihre Gruppen in der Jugend gehabt? Gab es explizite
oder implizite Regeln, die eingehalten werden mussten?
Welche Rolle haben Sie innerhalb Ihrer Gruppen gespielt?
Die soziologische Gruppe wird in Theorie und Praxis von
anderen soziologischen Gebilden abgegrenzt. Klicken Sie hier,
um eine Übersicht über den Standort der soziologischen
Gruppe in der Gesamtheit anderer soziologischer Gebilde zu
sehen.
Die PeerDie oben genannten Kennzeichen einer soziologischen Gruppe
Group als
sind allen Gruppen gemein. Interessant dabei ist z.B. das
soziologische ausgeprägte Wir-Gefühl der Gruppe, das als wichtiges
Kleingruppe Kriterium, besonders auch der Peer-Group im Jugendalter,
anzusehen ist. Das Wir-Gefühl, gepaart mit einem großen meist
informellen Satz an Normen und Regeln und der Tendenz der
"Abspaltung" von der Erwachsenenwelt, führt zur Bildung von
so genannten jugendlichen Subkulturen. Diese Subkulturen
reichen in ihren Ausprägungen von latenten Tendenzen bis hin
zu delinquentem (abweichendem, kriminellem) Verhalten.
Dabei ist zu bemerken, dass die Subkultur nicht eigenständig,
unabhängig und neben der Kultur der Erwachsenen existiert
und sich entwickelt, sondern vielmehr im gegenseitigen
Austausch mit dieser steht. Denken Sie an die Entstehung von
Trends, die häufig in jugendlichen Subkulturen beginnen, von
Medien und Meinungsführer_innen und schließlich von der
Erwachsenenwelt adaptiert und dann wiederum von anderen
jugendlichen Gruppen aufgenommen und angepasst werden.
Der Einfluss der Medien als verbindender Überbau zwischen
verschiedenen Gruppen ist eindeutig. Ohne die Medien wäre
eine "weltweite" Jugendkultur undenkbar. Denken Sie z.B. an
die Love Parade, die ähnlich wie andere "Jugendbewegungen"
erst durch die große Medienberichterstattung für viele andere
Peer-Groups zum Identifikationsangebot werden konnte.
Einige gruppensoziologische Aspekte der Peer-Group fasst
interner Link:
Machwirth zusammen:
Konformitätsdruck
Gruppeninteressen dominieren und bestimmen Themen
der Gespräche, Ziele der Aktivitäten und das Verhalten
(Klicken Sie rechts zum Thema Konformitätsdruck in der
Peer-Group).
Die jeweilige soziale Umgebung übt modifizierenden
Einfluss aus und begrenzt die Verhaltensmöglichkeiten.
Die Altersgruppen sind vielfach milieu- und
geschlechtsspezifisch und spiegeln die sozialen
Zuordnungen der Gesellschaft, was wiederum vielfach zu
milieu- und geschlechtsspezifischer Selektivität der
Verhaltensstandards führt.
Die Erwartungen an die Gruppe sind unterschiedlich,
beziehen sich aber generell in gleicher Weise auf
Möglichkeiten zur Erprobung der eigenen Persönlichkeit
im solidarischen Verhalten ebenso wie im
Rivalitätsverhalten. Ein wichtiger Erwartungskomplex ist
der Erfahrungsbereich der Sexualität.
Das Suchen neuer Erfahrungen mit dem Ziel der
Identitätsbildung bedingt einerseits die Ablösung vom
Elternhaus, andererseits wirken die Erfahrungen des
familialen Sozialisationsraumes nach und setzen der
Identitätssuche Grenzen.
Die Peer-Beziehungen stabilisieren das Verhalten des
Jugendlichen in einer unstabilen Phase durch die
Erlebnis- und Erfahrungssolidarität mit Gleichaltrigen.
(Machwirth 1994, S. 265-266)
Die Peer-Group aus entwicklungspsychologischer Sicht
Entwicklungspsychologische Während die Soziologie aus dem Blickwinkel der Gruppe und
Sichtweise
der gesellschaftlichen Einbettung und Abhängigkeiten auf die
Peer-Group schaut, interessiert sich die
Entwicklungspsychologie für die Einflüsse der Peer-Group auf
das Individuum. Fragen, die gestellt werden, sind: Welche
Auswirkungen auf die individuelle Sozialisation und
Entwicklung der einzelnen Personen hat die Peer-Group?
In diesem Sinne interessiert sich die Entwicklungspsychologie
für den Prozess der Sozialisation: Die Ablösung der
Jugendlichen vom Elternhaus und der Aufbau von sexuellen
Beziehungen. Die Peer-Group wird als Vermittlerin zwischen
Elternhaus und Partnerschaft gesehen:
Die Peer-Group als Vermittlerin zwischen Eltern und
Partnerschaft
Peer-Group und Familie rivalisierend oder
komplementär?
Nach der "Entdeckung" der Peer-Group vertrat man die
Hypothese, dass sie die Familie als primäre
Sozialisationsinstanz ersetzen würde (Coleman 1960;
Tenbruck 1965). Diese Auffassung wich der
Situationshypothese von Brittain (1969), die davon ausgeht,
dass ein Kind oder ein/e Jugendliche/r je nach Situation
unterschiedliche Vorbilder (Eltern bzw. Familie oder PeerGroup) auswählt. Dieses System sollte zu einer
ausgewogenen Sozialisation führen und das System Eltern
(Familie) und Peer-Group als komplementär darstellen.
Weitere Untersuchungen stellten diese komplementäre
Wirkung von Peer-Group und Familie in Frage. Larsen (1972)
kam in seinen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass der
Einfluss der Eltern mit zunehmendem Alter des Kindes bzw.
des/der Jugendlichen abnimmt und dass der Einfluss der
Eltern um so größer war, desto besser die Qualität der ElternKind-Beziehung beurteilt wurde.
Familie und Peer-Group wirken in den meisten Fällen eher
harmonisch zusammen, "da sich entweder die beiden
Systeme komplementär ergänzen oder direkt wechselseitig
unterstützen, z.B. gleiche Werte wie Leistung, Anpassung an
die Hauptziele der Hauptkultur, Fortsetzung der elterlichen
Tradition aufweisen." (Oerter, Dreher 1998, S. 382)
Nach Steinberg (1989) erwiesen sich Kinder aus
"unvollständigen" Familien (alleinerziehendes Elternteil) oder
mit Stiefeltern wesentlich beeinflussbarer als Kinder aus
"vollständigen" Familien. Wie Bronfenbrenner und Ceci (1994)
zeigten, scheinen Stiefeltern häufig eine besonders
ungünstige Wirkung auf die Kinder und Jugendlichen zu
haben. Die Stiefeltern scheinen oft weniger als richtige
Bezugspersonen anerkannt zu werden. Dazu kommt die
Zurückhaltung, die Stiefeltern ihren Stiefkindern
möglicherweise entgegenbringen. Dies führt zu einem
Beziehungsvakuum, das den Einfluss der Peer-Group bei
Jugendlichen erhöht.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Einfluss der
Eltern in der Jugendphase sehr stark von der Eltern-KindBeziehung abhängt.
Peer-Group und
Partnerschaft
Dunphy (1963) hat in seinen Untersuchungen dargestellt, wie
der Übergang von der gleichgeschlechtlichen Peer-Group zur
Partnerschaft verläuft (Klicken Sie rechts für sein Modell). Die
gleichgeschlechtliche Peer-Group wird in ihrer Entwicklung
schnell durch eine beginnende Durchmischung geprägt, die
durch die Gruppenmitglieder mit hohem Status eingeleitet
werden. Auf der Stufe 4 entwickeln sich heterosexuelle
Cliquen, deren Mitglieder untereinander in Beziehung stehen.
Auf Stufe 5 beginnt die Desintegration der Mischgruppe und
lose, locker verbundene Paare bilden sich heraus, die
miteinander befreundet sind.
Peer-Involvement in der Sexualaufklärung
FlashAnimation:
Modell von
Dunphy
Sexualität
Sexualität ist ein wichtiges Thema im Jugendalter. Vor allem
im
unter dem Eindruck von AIDS hat damit auch die
Jugendalter Sexualaufklärung (Schwangerschaftsverhütung und der Schutz
durch Kondome) einen bedeutenden Stellenwert erhalten.
Denken Sie an Ihre eigene Jugendzeit zurück. Wer hat Sie
"aufgeklärt" und Sie über AIDS oder die Verwendung von
Kondomen informiert? Waren das Ihre Eltern, Lehrer_innen,
Freundinnen oder Freunde, "professionelle" Aufklärer_innen
aus anderen Institutionen oder ganz andere Personen?
Einige
Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Grafik:
Zahlen zur (2001) kommt zu folgenden Ergebnissen:
Veränderungen
Aufklärung 90% der befragten Mädchen und 81% der Jungen geben an,
Jugendlicher eine Bezugsperson zu haben, mit der sie über Sexualität reden seit 1980 Quelle:
BZgA 2006
können (Grafik der Veränderungen seit 1980). Die
Bezugspersonen sind meist Vater und Mutter. Trotzdem kommt
Grafik:
bei vielen Mädchen und Jungs den Gleichaltrigen eine wichtige
Vertrauensperson
Rolle zu. Gerade Jungens scheinen gerne ihre Peers um Rat zu
für sexuelle
fragen.
Mädchen fragen am häufigsten die Mutter (63%), dicht gefolgt Fragen Quelle:
BZgA 2006
von der besten Freundin (62%). Jungen kommen mit ihren
Fragen zur Sexualität am häufigsten zum besten Freund (54%),
am zweithäufigsten zur Mutter (42%). Danach kommt der Peer- PDF (extern) :
Group in der Sexualaufklärung neben den Eltern ein bedeutender Gesamte Studie
der BZgA 2010
Teil zu. LehrerInnen und ÄrztInnen rangieren auf untersten
Plätzen. Sie scheinen nicht sehr attraktiv für Fragen der
Jugendlichen zu sein.
Peer-Involvement in der Praxis
PeerAm Beispiel des Projekts des Österreichischen Roten Kreuzes soll
Involvement in hier stellvertretend für andere Projekte ein Peer-Education-Projekt
der Praxis
in der Sexualaufklärung vorgestellt werden:
Allgemeines:
Peergroup-Education ist ein modernes pädagogisches Modell, bei
dem Jugendliche in speziellen Seminaren ausgebildet werden.
Dabei werden sie von Medizinern sowie Referenten der AIDS-Hilfe
betreut.
Die Jugendlichen erhalten allgemeine Informationen zum Thema
AIDS. Sie lernen, wie sich die Krankheit ausbreitet und welche
Auswirkungen AIDS auf Jugendliche und Erwachsene haben kann.
AIDS-Prävention konzentriert sich nicht nur darauf, Jugendlichen
den sicheren Umgang mit Kondomen zu zeigen, sie werden
ebenfalls mit einem profunden medizinischen Wissen ausgestattet,
das die Grundlage für die Wissensweitergabe bildet.
Das in den Seminaren erhaltene Wissen geben die Jugendlichen an
Gleichaltrige weiter. Diese Wissensvermittlung kann in allen
Bereichen des täglichen Lebens stattfinden, z. B. im Rahmen von
Projekten, im Pausenhof, bei speziellen Veranstaltungen, in der
Freizeit oder im privaten Bereich.
Nach erfolgter Ausbildung starten die Peerleader die Arbeit an der
Schule. Gemeinsam setzen sie das Gelernte um und informieren
ihre Mitschüler_innen. Es gibt seitens der Landesleitung nur
Rahmenvorgaben. Innerhalb dieser Vorgaben können die
Peerleader sämtliche Ideen umsetzen.
Programmablauf: Der zweitägige Ausbildungslehrgang (kostenlos!) beinhaltet
folgende Themenbereiche:
Medizinische Aspekte
Im Rahmen des ersten Moduls werden den zukünftigen
Peerleadern folgende inhaltliche Schwerpunkte durch qualifiziertes
medizinisches Personal vermittelt:
geschichtliche Aspekte der HIV-Infektion (z. B. erstes
Auftreten der Krankheit ...)
medizinische Grundlagen über Viruserkrankungen und das
Immunsystem
Ansteckungsmöglichkeiten - Ausbreitung des HI-Virus im
menschlichen Körper
Möglichkeit der Feststellung einer Infektion (verschiedene
Tests)
Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit
andere Geschlechtskrankheiten
Möglichkeit für Diskussion und Fragestellungen der
TeilnehmerInnen
Methodische Aspekte
Grundlagen der Rhetorik (spezielle Probleme der
TeilnehmerInnen)
Präsentationstechniken (Einsatz div. Medien)
Grundlagen der Körpersprache
Psychosoziale Aspekte
In Gruppenarbeit (ca. 10 Personen/Gruppe) wird zu folgenden
Schwerpunkten gearbeitet:
Kennenlernen der Teilnehmer_innen
Schaffung einer offenen Gesprächsbasis
Enttabuisierung der Themen Sex und AIDS
Rollenspiele zum Thema AIDS
Einbringen persönlicher Erfahrungen in einer fremden
Gruppe
sensibler Umgang mit den Themen Sexualität und Krankheit
Ungefähr ein halbes Jahr nach absolvierter Ausbildung werden die
ausgebildeten AIDS-Peers zu einer Supervision und Nachbetreuung
eingeladen. Bei diesem Treffen werden Erfahrungen und Ideen
untereinander ausgetauscht, über die Arbeit an der Schule
berichtet und über Wünsche, Anregungen und Probleme
gesprochen.
Ansätze des
PeerInvolvement
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Webseite
des Österreichischen Roten Kreuzes (Stichwort: PeergroupEducation).
Das Peer-Involvement-Konzept greift Beratungsaspekte auf, dient
verschiedenen Formen der Sexualaufklärung und/oder unterstützt
Jugendliche in krisenhaften Situationen. In der Praxis des PeerInvolvement findet man Konzepte mit folgenden Bezeichnungen:
Peer-Counseling
Peer-Education
Peer-Projekte
Diese einzelnen Ansätze des Peer-Involvement unterscheiden sich
vor allem in der Anzahl der beteiligten Personen. Während im
Peer-Counseling eine Beratungssituation zwischen zwei Personen
herrscht, findet Peer-Education zwischen einem jugendlichen
Berater und einer Gruppe statt. In Peer-Projekten arbeiten
Gruppen von Peer-Educators mit gesamten Peer-Groups
zusammen.
Peer-Involvement-Ansätze (nach Bundeszentrale für gesundheitl.
Aufklärung 1995, S. 85)
Exkurs:
Evaluation von
PeerInvolvement
Exkurs: Funktioniert Peer-Involvement? Oder: Empirische Befunde
zur Wirksamkeit von Peer-Involvement. Die jugendlichen PeerCounselors oder Peer-Educators werden wie in dem oben
skizzierten Modellprojekt in der Regel nicht bezahlt, sondern
arbeiten auf freiwilliger und kostenloser Basis. Es wird häufig
versucht, solche Jugendlichen als Berater zu gewinnen, die einen
hohen Einfluss auf die Peer-Groups haben, denen sie angehören
(Peer-Leader).
Interner
Link:
Evaluation
von PeerInvolvement
Was halten Sie von Peer-Involvement-Ansätzen? Erinnern Sie
sich noch mal zurück an die Zeit, als Sie aufgeklärt wurden.
Hätten Sie eine "professionelle" Aufklärung durch
Freundinnen/Freunde als angenehm empfunden?
Peer-Mediation zur Gewaltprävention
Gewalt in
Eine Mutter erzählt, dass ihr Sohn Michael (11 Jahre) von zwei
der Schule - älteren Mädchen (13 Jahre) aus seiner Klasse massiv schikaniert
ein Beispiel wird: Sie zerstören seine Schulmaterialien, schlagen ihn und hetzen
andere gegen ihn auf. Das Mobbing hat sich auf die ganze Klasse
und sogar auf mehrere Schüler_innen aus der Parallelklasse
ausgeweitet. Die Täterinnen sind ehemalige Mitschülerinnen aus der
Grundschulzeit, in der Michael bereits Opfer ihres Mobbings war. Die
Schikanen haben in der Grundschule nach dem Überspringen einer
Klassenstufe angefangen. Michael hat schon öfter mit den
Täterinnen über das Mobbing geredet, aber nach einer kurzfristigen
Besserung hat sich die Situation drastisch verschlimmert. Die
Klassenlehrerin hat bisher nichts gemerkt und glaubt, dass Michael
gut in die Klasse integriert ist. Nach ihrer Meinung reagiert Michael
auf die "Späße" der Mädchen zu empfindlich. In diesem Moment tritt
Pia, eine Klassenkameradin der drei Beteiligten, auf den Plan. Sie
kennt die beiden Täterinnen sehr gut und ist auch mit Michael
befreundet ...
PeerPeer-Involvement-Ansätze gehen davon aus, dass Gleichaltrige ihre
Mediation
jugendlichen Peers im Bereich der Aufklärung und Beratung besser Externer
und
erreichen können als erwachsene Berater_innen. Auf dem gleichen Link:
Peertheoretischen Hintergrund fußen auch Ansätze der Peer-Mediation, Was ist
Mediation?
Involvement die vor allem in der Gewaltprävention angewandt werden. Anders
als beim Peer-Involvement steht allerdings nicht die Vermittlung von
Wissen im Vordergrund, sondern die aktive Unterstützung bei der
Lösung von Konflikten. Darüber hinaus sollen Peer-Mediator_innen
durch ihre soziale Einbettung schneller und sicherer (gerechter) auf
Konflikte reagieren können. Die gleichaltrigen
"Streitschlichter_innen" übernehmen dadurch Verantwortung für
Teile des sozialen Lebens (vor allem in der Schule, aber auch in
Jugendclubs etc.).
Kennzeichen eines Mediationsverfahrens sind laut Besemer (1993): Interner
Link:
die Anwesenheit der vermittelnden Mediator_innen,
Geschichtliche
die Einbeziehung aller Konfliktparteien, die in der Regel auch Hintergründe
anwesend sind,
der
Mediation
die informelle, außergerichtliche Ebene,
Interner
die Freiwilligkeit der Teilnahme am Mediationsverfahren und
Link:
die Selbstbestimmung bzgl. der Konfliktlösung: die
Argumente
Entscheidungsbefugnis wird nicht an Dritte abgegeben. Das
Verhandlungsergebnis ist erst bindend, wenn alle Beteiligten für
zugestimmt haben. Es muss also ein Konsens erzielt werden PeerMediation
(Besemer 1993, S. 14).
Praxis und Evaluation
Das
Das Training des
Schlichtungsgespräch Schlichtungsgesprächs ist neben dem
Aufbau von sozialer Kompetenz Drehund Angelpunkt bei der PeerMediator_innen-Ausbildung, da es die
zentrale Interventionsmöglichkeit bei
aufkeimenden Konflikten darstellt.
Nach Diez & Krabbe (1996) soll sich ein
Schlichtungsgespräch wie folgt
gliedern:
Einleitung, Vereinbarung der
Gesprächs- und
Schlichtungsregeln
Darstellung des Konflikts aus der
Sicht der beteiligten Parteien
Bearbeitung des Konflikts im
Gespräch
Problemlösung
Übereinkunft hinsichtlich der
späteren Umsetzung
Diese Schritte sind von PeerMediator_innen leicht erlernbar und
können - mit zunehmender
Verhaltenssicherheit der
Mediator_innen - ausgeweitet und
weiterentwickelt werden.
Neben der Ausbildung einzelner
Mediator_innen wird versucht, alle
Schüler_innen in den
Mediationsprozess einzubeziehen.
Daher soll es nicht nur Ziel sein,
Konflikte durch Mediator_innen zu
schlichten, sondern jedem einzelnen
Schüler und jeder einzelnen Schülerin
Konfliktfähigkeit zu vermitteln. Dies
kann z.B. durch Schlichter_innenAusbildungen für ganze Klassen
realisiert werden. Jefferys & Noack
haben für Schulen in Deutschland ein
Trainingsprogramm zur Förderung der
sozialen Kompetenz und der
Schlichtung im Gespräch entwickelt.
Externer Link:
Förderung sozialer Kompetenz
Wie wird man
Peer-MediatorIn?
Peer-Mediator_innen sind zwar Laien,
erhalten aber eine kurze "Ausbildung",
um sich adäquat in den
Konfliktsituationen verhalten zu
können. Die Schulung zum/r PeerMediator_in erfolgt nach verschiedenen
Konzepten. Als Beispiel wird die
Ausbildung der Aktion Jugendschutz
der Landesarbeitsstelle Bayern
vorgestellt:
Quelle: DRK-Berlin
Inhalte der Ausbildung sind u.a.:
Den Verlauf von Konflikten
analysieren und
Lösungsmöglichkeiten finden
Wahrnehmen und Thematisieren
von Vorurteilen
Gefühle wahrnehmen und IchBotschaften geben
Bedeutung von Vertraulichkeit
und Neutralität
Vorbereitung und Einleitung
eines Vermittlungsgespräches
Aktives Zuhören
Problemlösendes Denken
Konstruktive Gesprächsführung
Treffen von Abkommen und
Formulierung von Übereinkünften
Als Methoden stehen im Vordergrund:
Rollenspiel, Video-Feedback,
Wahrnehmungs- und
Interaktionsübungen, Körpersprache,
Gruppenarbeit, thematische Inputs.
Die Dauer der Ausbildung sollte ca. 30
Stunden nicht unter- und ca. 50
Stunden nicht überschreiten. Die
Teilnehmer_innenzahl liegt bei ca. 12 20 Teilnehmer_innen. Bewährt hat
sich, wenn die Trainer_innen ein
gemischt geschlechtliches,
mediationserfahrenes Zweier-Team
bilden; die Teilnahme von Lehrkräften
an der Ausbildung ist sinnvoll, damit
sie später die Coachrolle für die
Schüler_innen kompetent übernehmen
können.
Integration der
Einzelne Peer-Mediator_innen, die
Peer-Mediation in das vielleicht durch das Engagement von
Schulkonzept
wenigen Lehrer_innen getragen
werden, sind gut, können aber nur
begrenzten Nutzen verbuchen. Viel
wichtiger ist die Verankerung eines
Streit-Schlichtungs-Programms in der
Schulgemeinschaft. Lawrence Kohlberg
sprach in seinem Ansatz der
moralischen Urteilsentwicklung von der
"Just Community" (der gerechten
Gemeinschaft). Etwas Ähnliches steht
hinter der Auffassung der PeerMediation: Die Etablierung eines
gewaltfreien Bereichs, der durch
soziale Kompetenz und
Schlichtungsvermögen der einzelnen
Personen gekennzeichnet ist. Das Ziel
Quelle: DRK-Berlin
Evaluation von
Peer-Mediation
ist eine soziale Einheit, in der Gewalt
durch sozialverträgliche Interaktion
abgelöst wird. Aus diesen Gründen ist
es wichtig, dass Streitschlichtung im
Schulprogramm fest verankert und von
allen Beteiligten (Lehrer_innen,
Schüler_innen, Eltern, Hausmeister_in
etc.) getragen wird. Es ist notwendig,
Regelungen zu finden, die es
ermöglichen, Streitschlichtung nicht
nur auf dem Pausenhof, sondern auch
während des Unterrichts einzusetzen.
Auch sind eindeutige Grenzen in Bezug
auf folgende Fragestellungen zu
ziehen: Wann ist Peer-Mediation
notwendig und wichtig und wo hat sie
ihre Grenzen? Welches Verhalten kann
durch Peer-Mediation gepuffert werden
und welches Verhalten muss weitere
Konsequenzen nach sich ziehen?
Genauso wie das Peer-Involvement
sind die verschiedenen Formen der
Peer-Mediation aufgrund der geringen
Erfahrung noch wenig evaluiert
worden. Die Alltagserfahrungen sind
ermutigend, ein wissenschaftlicher
Beleg steht allerdings noch aus.
Folgende vorläufige Ergebnisse können
identifiziert werden:
Auf Klassenebene wird das
Zusammengehörigkeitsgefühl
gestärkt
Schülerinnen und Schüler der
unteren Klassen (Sek. 1) lassen
sich bereitwillig auf
Schlichtungsgespräche ein.
Die Streitenden sind tendenziell
meist Jungen und die Mädchen
meist Schlichterinnen.
Streitende, die erfolgreich an
Mediationsprozessen
teilgenommen haben, scheinen
in der Zukunft weniger häufig in
ernste Streitereien involviert zu
sein.
An Schulen, die Projekte der
Peer-Mediation tragen,
empfinden die Lehrer_innen eine
subjektive Verringerung der
Gewaltbereitschaft.
Die Ergebnisse müssen noch mit
Vorsicht aufgenommen werden.
Weitere, methodisch aufwendigere
Untersuchungen müssen folgen.
Links
www.schulleitung.de/konflikte (Im Internetarchiv).
Auf diesen Seiten finden Sie weitreichende Informationen zum Thema Gewaltprävention
und Peer-Mediation. Sowohl theoretische wie praktische Informationen sind dort
zusammengestellt. Darüber hinaus können Sie dort Erfahrungsberichte von verschiedenen
Schulen einsehen.
www.fokus-os.de/mediation/mediationlinks.htm (im Web-Archiv)
Eine Sammlung von Links zum Thema Peer-Mediation (spanisch, englisch, deutsch,
französisch).
Literatur
Zum Weiterlesen:
Abels, Heinz: Jugend vor der Moderne. Soziologische und psychologische Theorien des 20.
Jahrhunderts. Opladen 1993 (besonders Kapitel 14 [Schelsky], 15 [Flitner contra Schelsky], 18
[Eisenstadt])
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Learn to love. Dokumentation der 1.
Europäischen Fachtagung "Sexualaufklärung für Jugendliche" der BZgA. Köln 1995 (kostenlos zu
beziehen über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: http://www.bzga.de)
Gerdes, R.; Nuij-Brandt, I.; Wronska, L. u.a. (Hrsg.): Peer Education. Viele Wege führen nach
Rom. Dokumentation der Fachtagung Peer Education. Heft 1, Köln 1997 (kostenlos zu beziehen
über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: http://www.bzga.de)
Verwendete Literatur
Besemer, Ch.: Mediation. Vermittlung in Konflikten. Freiburg 1993
Böhm, Winfried: Wörterbuch Pädagogik. München 4. Aufl. 2000
Brittain, C.V.: A comparison of rual and urban adolescents with respect to parents vs. peer
compliance. Annual Review of Psychology. 34, 1969, S. 363-400
Bronfenbrenner, U. & Ceci, S.J.: Nature - nurture reconceptualized in developmental perspective:
A bioecological model. Psychological Review, 101, 1994, S. 568-586
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hrsg.): Jugendsexualität. Köln 2001 Übersichten zur Studie von 2001 hier (pdf):
http://www.bzga.de/bzga_stat/pdf/jugendsexualitaet.pdf (Stand: 08.10.2007)
Coleman, J.S.: The adolescent sub-culture and academic achievement. American Journal of
Sociology. 65, 1960, S. 337-347
Coleman, J.S.: The adolescent society. New York 1961
Costanzo, P.R.: Conformity development as a funtion of self-blame. Journal of Personality and
Social Psychology. 1970, 14, 366-374
Diez, H. & Krabbe, H.: Mediation. Ein Überblick über die neue Form der Konfliktlösung durch
Vermittlung. Report Psychologie 1996, 21 (1), S. 16.29
Eisenstadt, M.J.: Problem-solving ability of creative and non creative college students. Journal of
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Eisenstadt, Shmuel Noah: Von Generation zu Generation. Altersgruppen und Sozialstruktur.
München 1966 (amerik. Originalausgabe: 1956)
Flitner, Andreas: Soziologische Jugendforschung. Darstellung und Kritik aus pädagogischer Sicht.
Heidelberg 1963
Flitner, Andreas: Schelsky und die Pädagogik. In: Neue Sammlung, 1. JG. (1961) Heft 4. S. 278285
Griese, Hartmut M.: Sozialwissenschaftliche Jugendtheorien. Eine Einführung. Weinheim - Basel
1977 (besonders Kapitel VI [Schelsky], VII [Eisenstadt], VIII [Tenbruck])
Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie. 4. Aufl. Stuttgart 1994
Larsen, L.E.: The influence of parents and peers during adolescence: The situation hypothesis
revisited. Journal of Marriage and the family. 1972, S. 67-74
Oerter, R. & Dreher, E.: Jugendalter. In: Oerter, R. & Montada, L.: Entwicklungspsychologie. 4.
Aufl. Weinheim 1998
Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Gruppensoziologie. 2. Aufl. Heidelberg, Wiesbaden
1994
Schäfers, Bernhard: Jugendsoziologie. Einführung in Grundlagen und Theorien. 7. Aufl. Opladen
2001
Schelsky, Helmut: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. Düsseldorf
1957 (und Vorwort zur Taschenbuchausgabe 1975 Frankfurt a.M. 1975)
Schulze, Gerhard: Spontangruppen der Jugend. In: Markefka, Manfred / Nave-Herz, Rosemarie
(Hrsg.): Handbuch der Familien- und Jugendforschung. Band 2: Jugendforschung. Neuwied Frankfurt a.M. 1989. S. 553-570
Steinberg, L.: Pubertal maturation and parent-adolescent distance: An evolutionary perspective.
In Adams, G.R,; Montemayor, R.; Gullotta, T. (Hrsg.): Biology of adolescent behavior and
development. Newbury Park 1989
Tenbruck, F.: Jugend und Gesellschaft. Soziologische Perspektiven. 2. Aufl. Freiburg 1965
11. Kinder und Jugendbericht der Bundesregierung. Hrsg. vom Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend. Berlin 2002 (besonders: B.II.1.2 Informelle Netze als soziale
Nahräume. S. 127f.)
Anhang A: Referenzierte Bilder
Quelle: BZgA 2006
Quelle: BZgA 2006