Zum Programmheft - Vocalensemble Darmstadt

BESETZUNG
Vocalensemble Darmstadt
Sopran:
Victoria Braum (Soli), Kristin Bruch, Dörthe Glogner,
Petra Hauptmann, Stefanie Nattler, Sylvia Richter,
Christina Schank, Christine Suszka, Claudia Unterleider
Alt:
Eva Dreizler, Christine Gronau, Kristin Günzl,
Ulrike Heitkämper, Barbara Keil,
Franziska Klügl-Frohnmayer, Anne Müller,
Claudia Neumann, Katharina Roß (Soli), Marianne Wilhelm
Tenor:
Udo Auer, Malte Brandy, Thomas Frohnmayer,
Peter Heitkämper, Ronny Rickfelder (Soli), Peter Rottländer,
Michael Schmidt
Bass:
Peter Degenhardt, Kurt Glogner, Reinhard Hund,
Felix Kanter (Soli), Patrick Kathage, David Meffert,
Julian Mohr, Julian Nockemann, Martin Wahlers (Soli)
Maximilian Schnaus, Orgel
Jorin Sandau, Leitung
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PROGRAMM
Rudolf Mauersberger
1889-1971
„Wie liegt die Stadt so wüst“
RMWV 4/1
Maximilian Schnaus
*1986
Rhapsodie
Felix Mendelssohn Bartholdy
1809-1847
Psalm 22
op. 87/2
Johann Sebatian Bach
1685-1750
Präludium und Fuge h-Moll
BWV 544
Heinrich Schütz
1585-1672
Aus „Geistliche Chormusik 1648“:
„Verleih uns Frieden“
„Gib unsern Fürsten“
William Byrd
1543-1623
Agnus Dei
(aus Messe für 5 Stimmen)
Knut Nystedt
1915-2014
„Peace I leave with you“
Jehan Alain
1911-1940
Litanies
JA 119
Johann Sebastian Bach
1685-1750
Motette „Fürchte dich nicht“
BWV 228
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EINFÜHRUNG UND TEXTE
Der 70. Jahrestag des Kriegsendes ist wohl darum ein besonderer, weil er
möglicherweise das letzte runde Jubiläum ist, zu dem noch zahlreiche
Zeitzeugen am Leben sind, die abseits aller wissenschaftlich-historischen
Aufarbeitung von ihren persönlichen Erlebnissen berichten können. Vor
Kurzem bot sich mir die Gelegenheit, einer älteren Dame vorsichtig und etwas
unbeholfen eine Frage zu stellen, die mich angesichts des heutigen Konzertes
bewegt, nämlich ob und wie man das Lebensgefühl im Mai 1945 beschreiben
könne. Ihre Antwort: „Vor allem Freude darüber, dass es vorbei war!“
Bewundernd höre ich den Bericht des damals sechsjährigen Mädchens, wie es
lebensmutig gemeinsam mit den verbliebenen Familienmitgliedern zwischen
Trümmern umherging und kann dabei nicht anders, als mir auch große Trauer
und Hilflosigkeit angesichts verlorener Angehöriger und einer scheinbar
endgültig zerstörten Heimat vorzustellen.
Der kürzlich verstorbene ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker
formuliert jenes Gefühl des Verlustes in seiner bis dahin beispiellosen Rede
am 8. Mai 1985:
Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die gute Sache des eigenen
Landes zu kämpfen und zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das
alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, sondern es hatte den
unmenschlichen Zielen einer verbrecherischen Führung gedient.
Erschöpfung, Ratlosigkeit und neue Sorgen kennzeichneten die Gefühle
der meisten. Würde man noch eigene Angehörige finden? Hatte ein
Neuaufbau in diesen Ruinen überhaupt Sinn?
Im Spannungsfeld zwischen Zerstörung und Neuanfang, Verlassenheit und
Hoffnung auf Frieden bewegt sich das heutige Konzertprogramm, das
Vertonungen biblischer und liturgischer Texte versammelt. Die Motette
Rudolf Mauersbergers ist dabei tatsächlich eine Art klingendes Zeitzeugnis,
alle anderen Stücke sind mit dem durch den zeitlichen Abstand
verschwommenen Blick des 21. Jahrhunderts ausgewählt in der Hoffnung,
dem Thema über große zeitliche Distanzen zu entsprechen. Die Texte
alttestamentarischer Propheten und Psalmisten dürfen natürlich oft nicht
wörtlich auf die historische Situation der Völker nach dem zweiten Weltkrieg
übertragen werden. Aber vielleicht vermag ihre sprachliche Schönheit im
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Verbund mit der Musik, die bekanntlich anfängt, „wo die Sprache aufhört“
(E.T.A. Hoffmann) dennoch etwas in uns anzusprechen, was Menschen zur
Zeit des babylonischen Exils ebenso bewegt hat wie im 20. und 21.
Jahrhundert.
Die Grafik auf dem Deckblatt ist eine Luftaufnahme des im Krieg zerstörten
Darmstadt. Dieses Bild berührt uns wahrscheinlich deshalb besonders, weil
wir uns in dieser Stadt zu Hause fühlen. Als „klingendes Denkmal“ ist die
Stückauswahl des heutigen Konzertes jedoch natürlich von dem Wunsch
getragen, allen Völkern, die ihre Heimat durch Krieg und Terror verloren
haben, anteilnehmend gegenüberzustehen und, wenn wir es können, irdischer
Resonator zu sein für das göttliche „ich stärke dich, ich helfe dir“.
Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war. Alle ihre Tore stehen
öde. Wie liegen die Steine des Heiligtums vorn auf allen Gassen zerstreut.
Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und es lassen
walten.
Ist das die Stadt, von der man sagt, sie sei die allerschönste, der sich das
ganze Land freuet.
Sie hätte nicht gedacht, daß es ihr zuletzt so gehen würde; sie ist ja zu
greulich heruntergestoßen und hat dazu niemand, der sie tröstet.
Darum ist unser Herz betrübt und unsere Augen sind finster geworden:
Warum willst du unser so gar vergessen und uns lebenslang so gar
verlassen!
Bringe uns, Herr, wieder zu dir, daß wir wieder heimkommen!
Erneue unsre Tage wie vor alters. Herr, siehe an mein Elend!
Aus den Klageliedern Jeremiae
Die Klagelieder des Propheten Jeremia, aus denen Rudolf Mauersberger den
Text seiner Motette im Jahr 1945 zusammenstellte, beklagen die Zerstörung
der Stadt Jerusalem und des Tempels im Jahre 586 vor Christus. Angesichts
der Trümmerhaufen, in die der Krieg viele Dresdner Kirchen verwandelt hatte
und deren Anblick Mauersberger zu seiner Komposition veranlasste, gewin-5-
nen die Worte von den „zerstreuten Steinen des Heiligtums“ und dem „Feuer
aus der Höhe“ eine bestürzende Unmittelbarkeit. Mauersbergers musikalischer
Satz ist stilistisch von einer gemäßigt modernen Tonsprache mit kantabler
Stimmführung und klangvollen, leicht dissonanten Akkorden geprägt. Neben
Textausdeutung durch Rhythmik und Dynamik, wie beispielsweise die Zunahme von Lautstärke und Geschwindigkeit bei „er hat ein Feuer...“ spielt vor
allem die Verwendung verschiedener Tonarten eine sinntragende Rolle: Die
düstere Grundtonart f-Moll, in der das Werk beginnt und in die es vor allem
resigniert zurückkehrt, schafft eine Atmosphäre der Trauer und Hoffnungslosigkeit. Diese wird tagtraumartig durch wärmeres Des-Dur unterbrochen,
wenn von der Erinnerung an Friedenszeiten oder die Hoffnung auf die erneute
Zuwendung Gottes die Rede ist. Auch die Verwendung von Zahlensymbolik
kann bei einem Komponisten, der sich als Dirigent intensiv mit dem Werk Johann Sebastian Bachs auseinandergesetzt hat, zumindest nicht ausgeschlossen
werden. So weitet sich der Satz zum ersten Mal zur Siebenstimmigkeit, wenn
vom „Heiligtum“ die Rede ist: das geweihte Gebäude ist zerstört, das Heilige
selbst aber bleibt in der Erinnerung der Menschen genauso bestehen wie in
Form der heiligen Zahl 7 im musikalischen Satz, der in der zerstörten Dresdner Kreuzkirche am 4. August 1945 zum ersten Mal aufgeführt wurde.
Zerstörte Dresdner Kreuzkirche
1945
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Seiner 2007 entstandenen Rhapsodie stellt Maximilian Schnaus Verse aus
der gleichen biblischen Sammlung in einer ähnlichen Auswahl voran
Wie liegt die Stadt so wüst, die voll Volks war! Sie ist wie eine Witwe, die
Fürstin unter den Völkern, und die Königin in den Ländern war, muss nun
dienen.
(Klagelieder 1,1)
Der Herr hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und es lassen walten. Er hat meinen Füßen ein Netz gestellt und mich zurückgeprellt;
er hat mich zur Wüste gemacht, daß ich für immer siech bin.
(Klagelieder 1,13)
Die Güte des Herrn ist’s, daß wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit e
Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich
auf ihn hoffen.
(Klagelieder 3, 22-24)
Im Begleittext zur Ersteinspielung durch Martin Lücker beschreibt Björn Hadem das Werk mit den folgenden Worten:
Mit gestischer Radikalität greift [der Komponist] Verse aus den Klageliedern Jeremias auf, um sie in verschiedenen klanglichen Ebenen zu schichten und in einen neuen semantischen Kontext zu stellen. Der emotional
aufwühlende Umgang mit den biblischen Versen […] gemahnt – so die Intention des Komponisten – an die Zerstörung der hessischen Stadt Hanau
am 19. März 1945. Hierfür erhielt Maximilian Schnaus den 2. Preis beim
Hanauer Kompositionswettbewerb 2008.
Das „Zurückkehren“ scheint auch für dieses ca. zwölfminütige Stück von Bedeutung zu sein: Es endet in einer Art Reprise, in der es musikalische Gedanken des Anfanges aufgreift. Dies kann als ein Zurückfallen in die Schreckensstarre gehört werden (wie es bei Mauersberger ja recht eindeutig gemeint zu
sein scheint). Der aufgewühlte Mittelpart des Stückes, klangliches Abbild der
Zerstörung der Stadt, scheint das Motiv jedoch im Rezipienten zu verändern
und gemäß der Jeremia-Worte „seine Barmherzigeit hat noch kein Ende“ mag
auch eine erste Hoffnung auf ein mögliches Weiterleben nach der Katastrophe
gehört werden sowie das Gottvertrauen, dessen es bedurfte (und das uns in
Zeiten des Wohlstands Geborenen große Bewunderung abnötigt) um sich der
neuen Situation zu stellen.
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Psalm 22
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich heule, aber meine Hülfe ist fern. Mein Gott, des Tages rufe ich, so antwortest du nicht; und des Nachts schweige ich auch nicht.
Aber du bist heilig, der du wohnest unter dem Lobe Israels.
Unsre Väter hofften auf dich; und da sie hofften, halfest du ihnen aus. Zu
dir schrieen sie, und wurden errettet; sie hofften auf dich, und wurden nicht
zu Schanden.
Ich aber bin ein Wurm, und kein Mensch, ein Spott der Leute, und Verachtung des Volks. Alle, die mich sehen, spotten meiner, sperren das Maul auf,
und schütteln den Kopf: Er klage es dem Herrn, der helfe ihm aus, und errette ihn, hat er Lust zu ihm.
Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Gebeine haben sich getrennt.
Mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.
Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, und meine Zunge klebt
am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.
Denn Hunde haben mich umgeben, und der Bösen Rotte hat sich um mich
gemacht; Sie haben meine Hände und Füße durchgraben. Sie teilen meine
Kleider unter sich, und werfen das Loos um mein Gewand.
Aber du, Herr, sei nicht ferne. Meine Stärke, eile mir zu helfen. Errette
meine Seele vom Schwert, meine Einsame von den Hunden. Hilf mir aus
dem Rachen der Löwen, und errette mich von den Einhörnern.
Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen. Rühmet den Herrn, die ihr ihn fürchtet! Es ehre ihn in aller
Same Jacobs, und vor ihm scheue sich aller Same Israels, denn er hat nicht
verachtet noch verschmäht das Elend des Armen, und sein Antlitz nicht vor
ihm verborgen, und da er zu ihm schrie, hörte er es.
Dich will ich preisen in der großen Gemeinde; ich will meine Gelübde bezahlen vor denen, die ihn fürchten. Die Elenden sollen essen, dass sie satt
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werden; und die nach dem Herrn fragen, werden ihn preisen; Euer Herz
soll ewiglich leben.
Es werde gedacht aller Welt Ende, dass sie sich zum Herrn bekehren, und
vor ihm anbeten alle Geschlechter der Heiden. Denn der Herr hat ein
Reich, und er herrscht unter den Heiden.
Psalm 22
Gottvertrauen, zunächst aber sprichwörtlich gewordene Gottverlassenheit sind
die Themen des 22. Psalms. Christen ist der Text vor allem aus der Passionsgeschichte als Gebet Christi am Kreuz bekannt. Seine Entstehung und seine
sprachlichen Bilder sind aber natürlich im Kontext des jüdischen Volkes der
Zeit des Alten Testamentes zu untersuchen. Vor diesem Hintergrund ist auch
die Rede von den den Beter offenbar seiner Würde beraubenden „Feinden“ zu
lesen und das Wort „Heiden“ wird in neueren Bibelausgaben häufig weniger
diskreditierend mit „Völkern“ übersetzt. Weniger brisant, aber interessant ist
das offenbare Vorhandensein von Einhörnern, die in anderen Übersetzungen
aber als „Büffel“ oder auch „Nashörner“ wiedergegeben werden. Der Text ist
mit großer Wahrscheinlichkeit aus mehreren Abschnitten verschiedenen zeitlichen Ursprungs zusammengefügt. Selten, aber im Alten Testament nicht ohne
Beispiel ist die Beschreibung eines „ewigen Lebens“. Über die Struktur des
Klagepsalmes schreibt der Bibelwissenschaftler Erich Zenger:
Die Klagepsalmen sind ein Gebetsweg in der Spannung zwischen empfundener Gottverlassenheit und gesuchter Gottesnähe, der die Verwandlung
des Beters bewirken will, die darin besteht, dass er sich in die innere Gewissheit hineinbetet, dass Gott – trotz allem – auf seiner Seite steht und ihn
retten wird. Und dieser im Gebet vollzogene Perspektivenwechsel ist bereits der Beginn der Rettung, so dass die Klagepsalmen mit dem Dankversprechen enden, das die erflehte Rettung als bereits geschehene Rettung
vorwegnimmt.
Orientiert an seinem großflächigen Verlauf und ohne die vielen sprachlichen
Bilder im Einzelnen auszudeuten, geht Felix Mendelssohns Vertonung diesen
Gebetsweg mit. Die „Einsamkeit“ des Vorbeters geht in der Achtstimmigkeit
des Doppelchores auf, klagendes e-Moll wendet sich zunächst nach G-Dur
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(„Aber Du bist heilig“) um bei der nächsten Klage („Ich aber bin ein Wurm“)
reprisenartig wiederzukehren. Die körperliche und seelische Bedrängnis des
Mittelteils wird in mühevoller chromatischer Aufwärtsbewegung und durch
zahlreiche Leittöne stark gespannter Harmonik hörbar. Am Schluss wendet
sich das Geschick endgültig, das Dankversprechen steht in strahlendem E-Dur,
der Satz verläuft harmonisch konfliktarm in freudigem „Assai Animato“.
Den Weg von der Klage zur Hoffnung scheint auch Johann Sebastian Bachs
wahrscheinlich zwischen 1727 und 1731 Präludium und Fuge h-Moll zurückzulegen. Durch die Tonart h-Moll (von Johann Mattheson 1713 als „BIZARRE, unlustig und MELANCHOLIsch“ beschrieben) und die durch Zweiunddreißigstelnoten geprägte 6/8-Bewegung steht das Präludium der klagenden „Erbarme dich“-Arie aus Bachs Matthäuspassion nahe. Die anfängliche
Linie der Oberstimme erzeugt das Bild des Abstürzens, der Orgelpunkt im Pedal das des Gebundenseins. Das Fugenthema besteht in einer kreisenden Aufwärtsbewegung, und obwohl die Tonart bis zum Schlussakkord (den Bach fast
immer picardisch nach Dur aufhellt) erhalten bleibt, entsteht doch das Gefühl
eines triumphierenden Schlusses.
Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten.
Es ist doch ja kein andrer nicht,
der für uns könnte streiten,
denn du, unser Gott, alleine.
Martin Luther
Gib unsern Fürsten und aller Obrigkeit Fried und gut Regiment, dass
wir unter ihnen ein geruhig und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Amen.
Gebetsstrophe nach 1. Timotheus 2,2
Am Ende eines anderen großen, nämlich des Dreißigjährigen Krieges, brachte
Heinrich Schütz seine „Geistliche Chormusik 1648“ heraus. In dieser Sammlung von 29 Motetten kehrt Schütz, der zuvor in Venedig den vom Generalbass und der Mehrchörigkeit geprägten „Stile moderno“ kennengelernt und
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vielfach verwendet hatte, zum unbegleiteten kontrapunktischen Satz der alten
Meister zurück. Gründe dafür sind wohl in den in Folge des Krieges schlechteren Aufführungsbedingungen (Mehrchörigkeit und Generalbasspraxis verlangten einen großen Aufführungsapparat) sowie in einer didaktischen Absicht
Schütz' zu sehen, der meinte, dass auch jeder moderne Komponist den „Stylo
ohne Basso continuum“ beherrschen müsse. Wie die meisten seiner Werke ist
Verleih uns Frieden von differenzierter Textausdeutung geprägt. Besonders
ohrenfällig ist die aus schnellen Tonwiederholungen bestehende und so
Kriegsgeräusche nachahmende Battaglia-Figur bei der Textzeile "der für uns
könnte streiten". Ebenso aktuell wie die Bitte um Frieden scheint die Hoffnung auf besonnenes Handeln einer Regierung, wie sie in der folgenden
Motette Gib unsern Fürsten zum Ausdruck kommt. Der Text geht auf einen
Brief des Apostels Paulus zurück. Die Vorstellung, dass Gott direkt durch eine
Obrigkeit wirkt, die zur Zeit des Absolutismus als durch seine Gnade eingesetzt galt, ist heute freilich wohl vielen Menschen fremd.
Agnus Dei, qui tollis peccata
mundi, miserere nobis.
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, erbarme dich
unser.
Agnus Dei, qui tollis peccata
mundi, miserere nobis.
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, erbarme dich
unser.
Agnus Dei, qui tollis peccata
mundi, dona nobis pacem
Lamm Gottes, du nimmst hinweg
die Sünde der Welt, gib uns deinen
Frieden.
Die Bitte um Frieden erklingt in jeder katholischen Messe im Agnus Dei, dem
Gesang zur Brotbrechung. Das Bild von Jesus Christus (der in der zur Brotbrechung bereits konsekrierten Hostie gegenwärtig ist) als Lamm Gottes geht
auf den Ausruf Johannes des Täufers zurück: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das
der Welt Sünde trägt!“ Das den Gesang abschließende „Dona nobis Pacem“
wurde im Mittelalter ergänzt. William Byrd konnte seine lateinische Kir- 11 -
chenmusik wohl nur im Rahmen heimlicher Messfeiern aufführen, da der Katholizismus im England des ausgehenden 16. Jahrhunderts unter Elisabeth I.
verboten war. Inwieweit Byrd während der englichen durchaus auch gewalttätigen Katholikenverfolgung um sein Wohlergehen zu fürchten hatte oder doch
durch einflussreiche Gönner beschützt wurde, kann hier nicht im Einzelnen
dargelegt werden. Jedenfalls blieb er auch ohne Konversion ein erfolgreicher
und geachteter Komponist. Seine Friedensbitte scheint indes unter der glatten
Oberfläche des Kontrapunktes Palestrinascher Prägung eine dringliche gewesen zu sein.
Peace I leave with you.
My peace I give unto you:
Not as the world giveth,
Give I unto you,
Let not your heart be troubled,
Neither let it be afraid.
Den Frieden lasse ich euch,
Meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch,
Wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht
Und fürchte sich nicht.
Joh. 14,27
"Meinen Frieden gebe ich euch": Jesu Antwort und Zusage auf unsere Friedensbitten entstammt den sogenannten Abschiedsreden aus dem Johannesevangelium, die Christus kurz vor seiner Verhaftung seinen Jüngern tröstend
zuspricht. Peace I leave with you ist die zweite von drei Motetten aus dem
Jahr 1957 des vor 100 Jahren geborenen und im letzten Jahr verstorbenen
norwegischen Komponisten Knut Nystedt. Er gilt als einer der wichtigsten
Chorkomponisten des 20. Jahrhunderts. Mit der Auswahl seiner vertonten
Texte setzte er sich immer wieder bewusst gegen Krieg und Unterdrückung
ein. Als praktizierender Chorleiter verstand er es, in seinen Vokalkompositionen kompositorische Mittel der Moderne einzusetzen, ohne dabei die Ausführbarkeit zu gefährden. Sein Stil darf vielleicht als harmonisch gemäßigt
und traditionsverbunden beschrieben werden, die Ökonomie der Mittel und
die sorgsam ausgehörten Harmonien lassen seine Werke dabei jedoch weder
spröde noch sentimental klingen.
„Ein Gebet ist keine Klage, sondern ein Tornado, der alles, was sich ihm in
den Weg stellt, hinwegfegt…Wenn man am Ende nicht völlig erschöpft ist,
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hat man das Stück weder richtig verstanden, noch so gespielt, wie ich es mir
vorstelle.“ Dies schrieb Jehan Alain in einem Brief über seine Litanies, die
ihre Uraufführung im Jahr 1938 erlebten. Alain musste zu dieser Zeit eine
Fehlgeburt seiner Frau und den Tod seiner Schwester Marie-Odile bei einem
Bergunfall verarbeiten. Über den Noten steht folgender Text, der weiteren
Aufschluss über die emotionale Intention der Musik gibt.
Wenn die christliche Seele in ihrer Verzweiflung keine Worte mehr findet,
um die Barmherzigkeit Gottes zu erflehen, so wiederholt sie in ungestümem Glauben unaufhörlich das gleiche Bittgebet. Die Vernunft erreicht ihre Grenze. Der Glaube, ganz allein, setzt seinen Aufstieg weiter fort.
Jehan Alain fiel als Soldat am 20. Juni 1940 in einer Schlacht bei Saumur.
Fürchte dich nicht, ich bin bei dir;
weiche nicht, denn ich bin dein Gott!
Ich stärke dich, ich helfe dir auch,
ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset;
ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!
Jesaja 41,10 / 43,1
Choral:
Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,
du bist mein,
ich bin dein
niemand kann uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
und dein Blut
mir zu gut
den Tod gegeben.
Du bist mein, weil ich dich fasse
und dich nicht,
o mein Licht,
aus dem Herzen lasse!
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Laß mich hingelangen,
da du mich
und ich dich
lieblich werd umfangen
Paul Gerhardt
Die durch vielfache Wiederholung so insistierend wirkende Bitte in Alains Litanies erhält ihre Antwort und Entsprechung in den Wiederholungen des
„Fürchte dich nicht“ in Johann Sebastian Bachs Motette. Entstanden ist sie
für eine Trauerfeier unbekannten Anlasses möglicherweise in den 1720er Jahren. Textliche Grundlage sind Verse aus dem zweiten Teil des Jesajabuches,
hinter dem wahrscheinlich ein anonymer Prophet (Deuterojesaja) als Urheber
steht. Diese Texte sind wie die Klagelieder Jeremiae mit dem Babylonischen
Exil in Verbindung zu bringen. Der erste Teil der Komposition, der mit 77
Takten genau gleich lang ist wie der zweite, ist von doppelchöriger Satzstruktur geprägt. Es entsteht der Eindruck, die beiden Chöre riefen sich das „Fürchte dich nicht“ zu wie im Versuch, einander zu übertrumpfen, oder, an achtstimmigen, also gleichzeitig deklamierten Stellen, eilten einander (ganz im
Sinne des Textes) zu Hilfe. Der zweite Teil der Motette ist nunmehr vierstimmig, wobei die drei Unterstimmen in einer komplizierten polyphonen und von
chromatischen Linien geprägten Struktur den Jesaja-Text fortsetzen. Dazu treten im Sopran zwei Strophen des Paul-Gerhardt-Liedes „Warum sollt ich mich
denn grämen“, deren Choralzeilen durch längere Pausen unterbrochen werden,
in denen sich der Kontrapunkt der Unterstimmen fortsetzt. Diese Form der
Choralbearbeitung geht auf die sogenannte Thüringische Bibelspruchmotette
zurück. Bindeglied der beiden Texte ist das „du bist mein!“, das von Bach folgerichtig auch kompositorisch gegenübergestellt wird. Den Beschluss der
Motette bildet eine musikalische und textliche Reprise des Anfangs, die
dadurch besonders sinnfällig wird, dass sich auch im Jesaja-Text das „Fürchte
dich nicht“ an verschiedenen Stellen wiederholt. In den letzten vier Takten ist
dem Bass des ersten Chores die Tonfolge G-Fis-A-Gis anvertraut, die um eine
kleine Terz höher transponiert die Töne B-A-C-H ergibt und so als musikalische Signatur angesehen werden kann.
Jorin Sandau
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INTERPRETEN
Der Organist und Komponist Maximilian
Schnaus wurde 1986 im fränkischen Bad
Neustadt geboren. Nach erstem Orgelund Kompositionsunterricht bei Friedemann Haeßler und Stephan Adam studierte er Kirchenmusik und Orgel in Hannover und Amsterdam, u.a. bei Pier Damiano Peretti und Jacques von Oortmerssen,
und erhielt Stipendien der YehudiMenuhin-Stiftung und der Studienstiftung des deutschen Volkes. Im Februar
2014 legte er in der Klasse von Leo van Doeselaar an der UdK Berlin sein
Konzertexamen mit Auszeichnung ab. Verschiedene Werke von ihm wurden
von namhaften Künstlern und Ensembles uraufgeführt, und bei Kompositionswettbewerben im In- und Ausland ausgezeichnet, u.a. erhielt er 2013 den
Paul-Hindemith-Preis des Schleswig-Holstein-Musikfestivals. Seit 2013 ist er
Organist der Sophienkirche in Berlin-Mitte.
Das Vocalensemble Darmstadt wurde 1995 von Andreas Boltz gegründet.
Seit November 2011 liegt die Leitung in den Händen von Jorin Sandau. Die
Sängerinnen und Sänger kommen zwei- bis dreimal im Jahr aus der ganzen
Region zu Probenphasen zusammen. Außer der A-cappella-Musik des 16. bis
20. Jahrhunderts widmet sich der Chor auch größeren Werken wie

Duruflés "Requiem"

Bachs "Johannes-/Matthäuspassion" und "Messe h-Moll" (2000)

Brahms' "Ein deutsches Requiem"

Monteverdis "Marienvesper"

Händels „Messiah“, "Israel in Egypt" und "Belshazzar"

Mozarts „Requiem“

Bruckners "Messe e-Moll"

Charpentiers "Messe de Minuit" und "Te Deum"

Mendelssohns "Elias"
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Besondere Aufmerksamkeit erfährt das Vocalensemble Darmstadt mit
Programmkonzepten, die ausgewählte A-cappella-Werke einer bestimmten
Thematik oder Stilistik miteinander vereinen.
Dies waren zum Beispiel:

"Crucifixus" - Passionsmusik

"Canticum canticorum" - Vertonungen des Hohelieds der Liebe

"Ecce“ – Werke zu Verkündigung und Passion
Die CD-Einspielungen "Creator Spiritus", "Swinging Christmas", "Heiligste
Nacht" und die Produktion der "Messe op. 4" von Camille Saint-Saëns für den
Motette-Verlag Düsseldorf, sowie Aufnahmen für den Hessischen und
Bayerischen Rundfunk und den Südwestrundfunk haben den Chor auch
überregional bekannt gemacht.
- 16 -
Jorin Sandau schloss die Studiengänge Kirchenmusik
A, Historische Interpretationspraxis und Künstlerisches
Orgelspiel an der HfMDK Frankfurt ab. Er erzielte
Bestnoten in allen Hauptfächern und eine Auszeichnung
im Fach Orgelimprovisation. Seine Lehrer waren Martin
Lücker (Orgel), Harald Hoeren (Cembalo), Winfried
Toll und Uwe Sandner (Dirigieren), Gerd Wachowski
und Peter Reulein (Improvisation) sowie Christoph
Spendel
(Jazzpiano).
Ein
Erasmus-Stipendium
ermöglichte ihm einen Auslandsaufenthalt in der
Orgelklasse von Jacques van Oortmerssen am
Conservatorium von Amsterdam. Weiteren Unterricht und Kurse besuchte er
u.a. bei Harald Vogel, Jean-Claude Zehnder, Ludger Lohmann und Wolfgang
Seifen (Orgel und Improvisation) sowie Petra Müllejans, Michael Schneider
und Barthold Kuijken (Kammermusik).
Jorin Sandau war Stipendiat des Fördervereins Bad Homburger Schloss. Beim
Orgelwettbewerb des Fugato-Festivals 2010 gewann er den zweiten Preis.
Solokonzerte führten ihn in die Katharinenkirche Frankfurt, zum Wetzlarer
Bachfest und auf das Festival Praia a Mare (Italien). Gemeinsam mit dem
Main-Kammerorchester und der Kurpfalzphilharmonie interpretierte er
Orgelkonzerte von Händel, Haydn, Poulenc und Guilmant.
2010/2011 war Jorin Sandau Assistent des Regionalkantors Gregor Knop an
der Kirche St. Georg und der Kindersingschule in Bensheim. Seit 2011 ist er
als Regionalkantor für die Dekanate Darmstadt, Dieburg und Erbach mit
Dienstsitz an der Innenstadtkirche St. Ludwig Darmstadt tätig. Dort
konzertiert er regelmäßig an der Winterhalter-Orgel und führt mit dem
Vocalensemble Darmstadt anspruchsvolle A-cappella-Programme und
Oratorien auf.
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FÖRDERER
Um weiterhin Konzerte mit erstklassigen Musikern durchführen zu können, ist
dem Vocalensemble Darmstadt ein Förderverein angeschlossen, der die Projekte organisatorisch und finanziell unterstützt.
Außerdem freuen wir uns über das Interesse erfahrener Sänger mit Lust am
eigenverantwortlichen Ensemblesingen.
Machen Sie mit! Informationen zur Fördermitgliedschaft oder zur aktiven
Teilnahme an unseren Projekten erhalten Sie auf den ausliegenden separaten
Flyern. Natürlich können Sie uns für alle Fragen auch ansprechen.
Förderverein Vocalensemble Darmstadt e.V.
Wilhelminenplatz 9
64283 Darmstadt
06151-996816
[email protected]
www.vocalensemble-darmstadt.de
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VORSCHAU
Konzerte 2015 in der Innenstadtkirche St. Ludwig
Darmstadt (Auswahl)
Freitag 22. Mai 2015 | 19.00 Uhr
„Solang noch Morgenwinde wehn…“
Orgelsoirée mit Stefan Mann (Eberstadt)
Werke von Widor und Improvisationen
Freitag 18. September | 20.00 Uhr
Orgelnacht "10 Jahre Winterhalter-Orgel"
Andreas Boltz, Wolfgang Seifen & Jorin Sandau, Orgel
Franz Stüber, Saxophon
Samstag 28. November 2015 | 18.00 Uhr
Adventskonzert
Johann Sebastian Bach:
3. Orchestersuite - Magnificat – Sanctus & Benedictus aus der h-MollMesse – Kantate „Nun komm der Heiden Heiland"
Simone Schwark | Katharina Roß
Christian Dietz | Stefan Grunwald
Vocalensemble Darmstadt
Churpfälzische Hofcapelle
Jorin Sandau, Leitung
Nächstes Konzert in St. Bonifaz Mainz
Montag 25. Mai 2015 | 19.00 Uhr
mainzer orgel komplet
Werke der französischen Orgelromantik
Geraldine Groenendijk (Frankfurt)
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