Aus dem Inhalt

Ausgabe April 2015
Aus dem Inhalt
Endlich eine Kita für alle
Pariser Zeit
Mittendrin statt nur dabei
Nicht nur geträumt
Inhalt
Vorwort
4
5
Verzinstes Vertrauen
Als Diplom Bankbetriebswirt begleitet Harald Imig die GiB im Verwaltungsrat
6
Wirkliche Lebenshilfe
Jeder Cent hilft, anderen Menschen zu helfen
7
„Unsere Türen öffnen wir gerne“
8
Hubbes Cartoon
Aktuelles
Das Thema: Herzenswünsche - erfüllte und unerfüllte
Nicht nur geträumt
Selbstgemachter Krach
Eine Herausforderung für den guten Zweck 9
10
11
Impressum
Herausgeber: GiB gemeinnützige Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit mbH
V.i.S.d.P.: Dipl.-Kfm. Markus Kriegel, Geschäftsführer
Redaktionelle Mitarbeit:
Markus Kriegel (mk), Christine Voigt (cv), Anja Reuper (reu), Nadine König (nk)
Fotos: Anja Reuper, Volker Bremmer (S. 12f), Janet Buhts (S. 16), Willi Sawatzki (S. 10)
Die namentlich gekennzeichneten Beiträge geben nicht in jedem Falle die Meinung der Redaktion wieder. Die
Redaktion behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen und Manuskripte redaktionell zu bearbeiten.
Anschrift:
GiB gemeinnützige Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit mbH,
Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover
Tel. (0511) 67 67 59-0, Fax: (0511) 67 67 59 59
E-Mail: [email protected]
Web: www.gib-hannover.de
Kontoverbindung: Evangelische Bank, IBAN DE98 5206 0410 0100 6015 00, BIC GENODEF1EK1
Druck: Print Media Schaumburg
Seite 2 • Ausgabe 1/2015
Inhalt
Pariser Zeit
12
Hier wollen wir hin
14
Endlich eine Kita für Alle! 15
Es ist normal, dabei zu sein
18
Mittendrin statt nur dabei
Die Krippe kann kommen
Sara Weichelt macht eine Ausbildung zur Krippenfachkraft
19
20
Die Türen sind jetzt offen 20
Und was denken die Eltern?
22
Kita-Mitarbeiterinnen erzählen vom Zusammenwachsen ihrer Einrichtungen
Sie will immer mittendrin sein
23
Spender sehen Fortschritte
24
Helfen macht Spaß
25
Es war ein langer Weg aufeinander zu
Und hier wollten wir überall hin 26
26
Alle haben ihren Platz bei uns Leben wir unseren Traum...
27
30
31
Kontakt Die nächste Ausgabe der
erscheint im August 2015 mit
dem Thema: Wohn- und Lebensräume die GiB im Wandel.
Ausgabe 1/2015 • Seite 3
Vorwort
Liebe Leserinnen und Leser,
das neue Jahr 2015 wird uns wieder neue große Aufgaben stellen:
der Startschuss für unsere „Kita für Alle“ ist gefallen! Die Planungen dafür sowie die Verhandlungen haben begonnen. Daneben
wird das Werben um Unterstützung und um Spenden nun richtig
losgehen. Bereits jetzt haben viele, die wir bislang angesprochen
haben, große Bereitschaft signalisiert, sich zu engagieren. Darüber
freuen wir uns sehr! Seien Sie also nicht überrascht, wenn wir bald
mit einer konkreten Anfrage auf Sie zukommen! Unser Ziel ist,
den Betrag von 300.000,- EURO zusammenzubekommen!
Das Thema „Kita für Alle“ zieht sich auch durch die gesamte
Ausgabe dieser GiB Zeit mit dem Motto „Herzenswünsche“. Aus
verschiedenen Blickwinkeln wird das Vorhaben beschrieben und
dabei wird klar: diese neue Kita ist die Antwort auf viele Fragen!
Aber es gibt noch viele andere schöne Geschichten. Lesen Sie, wie
sich Thorsten Föllner und Willi Sawatzki auf die Erfüllung eines gemeinsamen Traums vorbereiten:
die Teilnahme am Hannover Marathon! Dieses Vorhaben wird von GiB-Mitarbeitenden tatkräftig
unterstützt. Auf einem Aktionsstand, zusammen mit dem Vitalcentrum Brandes & Diesing wird
am Tag des HAJ Hannover Marathons, dem 19. April ab 9 Uhr, an der Hildesheimer Straße/Ecke
Geibelstraße richtig Lärm gemacht, um die Läuferinnen und Läufer lautstark zu unterstützen und
um für unsere Vorhaben in der GiB zu werben. Kommen Sie da hin, feiern Sie mit uns!
Ein anderer Herzenswunsch ist schon in Erfüllung gegangen. Unsere langjährige Bewohnerin Ute
Kling feierte ihren 70. Geburtstag auf dem Eiffelturm. Lesen Sie diese wirklich schöne Geschichte
und lassen Sie sie wirken.
Nach den dunklen Monaten wünsche ich Ihnen allen einen wunderbaren Frühling! Viel Freude bei
der Lektüre dieser neuen GiB Zeit! Bitte bleiben Sie uns gewogen!
Herzlichst,
Ihr Markus Kriegel
Seite 4 • Ausgabe 1/2015
Hubbes Cartoon
Phil Hubbe traut sich etwas
und er weiß, worüber er zeichnet. Seit 1999/2000 zeichnet der
Karikaturist mit spitzer Feder
„Behinderten Cartoons“. Menschen mit Behinderung oder
Behinderte, die Bezeichnung ist
ihm letztlich egal – der Umgang
mit den Menschen nicht – und
das ist das Thema des 45-Jährigen, der selbst behindert ist.
Seit 1988 lebt er mit der Diagnose Multiple Sklerose. Mit seinen
Cartoons, Pressekarikaturen, Illustrationen und Zeichnungen
zum Thema Behinderte und Behinderung hat er einen eigenen
scharfen Blick auf Krankheit,
Handicap und den Umgang
der Umwelt mit diesem Thema.
Damit verarbeitet er auch das
eigene Handicap.
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Aktuelles
Verzinstes Vertrauen
Als Diplom Bankbetriebswirt begleitet Harald Imig die GiB im Verwaltungsrat
Er kennt die GiB schon sehr lange, lange bevor er
das Amt als Verwaltungsrats- und Kuratoriumsmitglied vor zwei Jahren annahm. Auf privater Ebene
lernte Harald Imig die gemeinnützige Gesellschaft
vor vielen Jahren kennen, weil er als Betreuer für
den autistischen Sohn seines besten Freundes
immer wieder den Kontakt zum Therapiezentrum
für autistische Kinder und Jugendliche (THZ) sowie zur GiB suchte. Auf beruflicher Ebene lernte
er sie intensiv kennen, weil er die GiB als Kunde
der Evangelischen Kreditgenossenschaft über viele
Jahre betreute.
„Ich erinnere mich noch genau an das erste Treffen
mit Herrn Kriegel, als wir uns bei der Verabschiedung
meines Vorgängers kennenlernten. Es folgten viele
gute Gespräche“, sagt der Diplom Bankbetriebswirt,
der heute als zertifizierter Fachberater für nachhaltiges
Investment institutionelle Kunden der Pax-Bank berät.
Über diese langjährige Verbindung entstand bei ihm
der Wunsch, bei der GiB mitzuwirken, wenn diese sei-
Diplom Bankbetriebswirt Harald Imig. Foto: Privat
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nen betriebswirtschaftlichen Rat wünscht. Der Wunsch
wurde Wirklichkeit in dem Moment, als er vor zwei Jahren seinen Arbeitgeber wechselte und nach Berlin ging.
Dieser Wechsel machte es ihm leichter, die ehrenamtliche Arbeit in dem GiB-Gremium „als ganz unbefangener Fachkundiger“ anzutreten.
Seitdem beleuchtet und berät er die Arbeit der
GiB unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten,
immer, wenn dieses gewünscht ist. Einmal im Jahr
beurteilt er den Jahresabschluss innerhalb der Gesellschafterversammlung, und erstellt dafür eine Ausarbeitung des Prüfungsberichtes. „Das Interessante:
Das wird immer aktiv aufgenommen, es wird nachgefragt und der Geschäftsführer wird um das Wort gebeten. Das ist eine sehr agile Truppe, die sich sehr für
das interessiert, was in ihrem Unternehmen passiert“,
beschreibt er die Zusammenarbeit zwischen Gesellschaftern und Verwaltungsrat und Geschäftsführung.
Als ein Mann der Zahlen weiß Harald Imig die wirtschaftliche Entwicklung und die Rahmenbedingungen,
unter denen die GiB arbeitet, genau einzuordnen. Umso
mehr teilt er die Enttäuschung bezüglich des auf Eis gelegten Tafö-Neubaus. „Die Arbeit der GiB auf diesem
Gebiet ist hochanerkannt, der Bedarf an neuen Plätzen
ist gegeben und dann kommt man nicht dazu, diesen
zu decken, das ist für alle Beteiligten deprimierend“,
beschreibt er das Gefühl, was er aktuell mit vielen Menschen in der GiB und ihrem Umfeld teilt.
Auch im Kuratorium der Stiftung für integrative Behindertenarbeit steht Harald Imig mit seinen Kuratoriumskollegen vor großen Herausforderungen angesichts
des niedrigen Zinsniveaus. Wie kann man die Stiftung
stärken, damit das Kapital wächst? Gute Ideen sind jetzt
gefragt. Die Lösung dieser Fragen macht viel Arbeit,
Arbeit, die Harald Imig ehrenamtlich auf sich nimmt.
Kein Cent fließt in die Tasche des Bankers. Sein Engagement hat einen Grund: „Ich unterstütze gerne Menschen
mit Behinderung, und ich bin gern und uneigennützig
mit dabei, eine Einrichtung wie die GiB, die Menschen
mit Behinderung fördert und begleitet, zu unterstützen,
damit sie diesen Menschen mit Behinderung ein klein
bisschen mehr geben kann.“ reu
Stiftung
Wirkliche Lebenshilfe
Jeder Cent hilft, anderen Menschen zu helfen
„Sie sind drin und alles ist gut!“
Lydia Pruß, Gruppenleiterin der
Wohngruppe für Menschen mit
Autismus, ist die Erleichterung
anzumerken, nachdem Britta
Wagners (Name geändert) Zähne im Oberkiefer bombenfest
sitzen.
Wer nun in ihr Gesicht sieht,
blickt nicht mehr als erstes auf das
große schwarze Loch in ihrem Gebiss. Für den fehlenden Zahn gab
es die entsprechende Brücke. Doch
bevor Britta auf dem Zahnarztstuhl
Platz nehmen konnte, mussten ihre
Angehörigen eine Odyssee durch
die hannoversche Zahnarztlandschaft hinter sich bringen – schwierig und langwierig war bereits die
Suche nach einem Zahnarzt, der
sich die Behandlung einer Patientin mit Autismus zutraut und der
es auch wagt, nach Lösungen für
die komplexen Probleme in ihrem
Gebiss zu suchen.
diese sofort aus dem Mund reißen?
Diese große Sorge hat sich im Nachhinein als unbegründet erwiesen.
„Britta akzeptierte den Zahnersatz
noch am selben Tag“, erklärt Lydia
Pruß, die die Behandlung komplett
begleitete. Offen war aber auch die
ebenso wichtige Frage nach der
Finanzierung. Britta Wagner lebt
in der Wohngruppe für Menschen
mit Autismus und ist in der Tagesförderstätte beschäftigt. Monatlich
stehen ihr rund 100 Euro Taschengeld zur Verfügung - davon bezahlt
sie den Kaffee beim Ausflug ebenso
wie das Deo oder den Friseur. Es
ist für Menschen wie Britta nahezu
ausgeschlossen, ihren Eigenanteil
in Höhe von 650 Euro auf einen
Schlag aufzubringen. Sparen wäre
eine Möglichkeit gewesen, doch
das hätte für Britta bedeutet, dass
sie über fast sieben Monate keinen
einzigen Cent Taschengeld gehabt
hätte. Kein Deo, kein Kaffee, kein
Friseur…
Der Zahnersatz war in zweierlei Hinsicht eine große Herausforderung für alle Beteiligten. Zum
einen war die Frage offen, wird sie
die neuen Zähne in ihrem Mund
akzeptieren? Oder wird sie sich
Möglich wurde diese Aktion für
mehr Lebensqualität und Gesundheit, weil die Stiftung für integrative
Behindertenarbeit den kompletten
Eigenanteil übernahm. Für Dr. Annette von Stieglitz, Vorsitzende des
Kuratoriums der Stiftung für integrative Behindertenarbeit, hat diese
Fördermaßnahme Beispielcharakter
und sie ist gleichzeitig Appell an alle,
die Stiftung mit Zuwendungen zu
unterstützen. „Diese Aktion symbolisiert den Grundgedanken der Stiftung für integrative Behindertenarbeit: schnell und unbürokratisch
Hilfe zu leisten, wenn jemand zwischen die Ritzen gefallen ist und kein
Geldgeber im Hintergrund steht,
der die Kosten für Behandlungen
und Anschaffungen übernehmen
kann. Hier geht es um einen spürbaren Gewinn an Lebensqualität,
der mit Würde und nicht mit Luxus
zu tun hat“, sagt die Vorsitzende
der Stiftung. „Damit wir in Zukunft
derartige Projekte wie die von Brittas Zähnen unterstützen können,
benötigt die Stiftung Zuwendungen. Das müssen keine Millionen
sein; jeder kann etwas dazu beitragen, um ganz konkrete Projekte zu
unterstützen, die da helfen, wo andere Strukturen nicht mehr greifen.
Die Stiftung hat eine herausragende
Bedeutung für die Arbeit der GiB.
Sie kann das, was die GiB in ihrem
Alltagsgeschäft an Segensreichem
vollbringt, hervorragend ergänzen“,
erklärt Dr. Annette von Stieglitz. reu
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Aktuelles
Tagesförderstätte
„Unsere Türen öffnen wir gerne“
Regelmäßig sah Michael Achnitz die Gruppe von Beschäftigten der Tagesförderstätte
Vahrenwald an dem Gelände des
SV Borussia von 1895 e.V. Hannover vorbeifahren - manche
im Rollstuhl, manche ohne. Sie
waren unterwegs, um ein bisschen Bewegung zu haben und
frische Luft zu schnappen.
Michael Achnitz ist als Greenkeeper des SV Borussia täglich auf dem
Gelände, er kümmert sich um die
56 000 Quadratmeter große Anlage
des hannoverschen Traditionsvereins. Das brachte ihn auf den Gedanken: „Ich sah sie immer wieder
vorbeigehen und dachte, das darf
doch nicht wahr sein. Warum laufen
die Menschen an der lauten, tristen
Straße, wenn sie es hier auf dem Gelände viel besser haben könnten?“
Eine Bouleanlage, ein Aschenplatz,
drei Rasenplätze, vier Tennisplätze,
eine Sauna, ein Sportclubheim mit
Jugendraum und Gaststättenraum –
der SV Borussia hat viel zu bieten,
und warum sollen diese Menschen
es nicht nutzen? Die Bundestagsabgeordnete Kerstin Tack (SPD) stellte den Kontakt zur GiB her.
Der Idee folgten die ersten Gespräche zwischen dem SV Borussia-Präsidenten Dieter Schwulera,
Christine Voigt, Pädagogische Leitung der GiB sowie der Einrichtungsleiterin der Tagesförderstätte,
Andrea Sewing. Das Ergebnis: der
Beginn einer Kooperation zwischen dem SV Borussia und der
GiB-Tafö im Stadtteil. Start war
im Dezember mit dem ersten Fußballtraining der Tafö-Beschäftigten.
Seitdem trainieren sie jeden Mittwoch gemeinsam mit den Therapeuten Benjamin Varwig, Kai
Westerburg und Heike Wömpner,
trotzen dabei Regen, Wolken und
Kälte.
Für die Pädagogische Leitung
Christine Voigt ist dies ein wichtiger
Schritt in Richtung gelebter Inklusion: „Wir sind unterwegs im Stadtteil, wie gehen raus und zeigen uns.
Gleichzeitig haben unsere Beschäftigten die Möglichkeit, sich auf dem
Gelände des SV Borussia sportlich
zu betätigen. Für diese neuen Chancen sind wir dem Verein sehr dankbar und freuen uns auf das, was sich
aus dieser Kooperation noch ergeben kann.“
Dieter Schwulera, Andrea Sewing und
Michael Achnitz stehen für die neue
Kooperation. Auch für den SV Borussia-Präsidenten Dieter Schwulera ist das
regelmäßige Fußballspiel auf dem
Vereinsgelände erst der Anfang.
„Unsere Türen machen wir gerne
auf“, erklärt der ehemalige Integrationsreferent des Landes Niedersach-
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sen, und freut sich, dass das kleine
Paradies mitten im Stadtgebiet von
den Nachbarn gern und regelmäßig
genutzt wird. „Wir wollen versuchen, aus der Nachbarschaft heraus
von den ausgetretenen Pfaden abzuweichen.“ Damit war der Verein
schon in der Vergangenheit erfolgreich. Der 400 Mitglieder starke
Verein hat sich auf dem Gebiet der
Integration bundesweit einen Namen gemacht. Sein vom DFB ausgezeichnetes Modellprojekt „Soziale Integration von Mädchen durch
Fußball“ fand bereits über hundert
Mal landauf, landab Nachahmer
und wurde regional und überregional mit Preisen ausgezeichnet.
In der Begegnung mit der GiB
sieht er zahlreiche, weitere Möglichkeiten. Gegenseitige Partnerschaft,
Austausch, ein Miteinander auf Augenhöhe ist das, was sich der Verein
von seinem Gegenüber wünscht,
eben ein gegenseitiges Geben und
Nehmen.
Nächstes gemeinsames Ziel ist
ein Sommerfest der GiB auf dem
Borussia-Gelände am 12. September – mit Spielmobil, Bouleturnier und Fußballabzeichen und
vielem mehr. Der traditionsreiche
Sportverein im Norden Hannovers
möchte helfen, wo er kann, aber er
hat auch schon selbst seinen neuen
Partner um Hilfe bitten müssen,
damals als die Gymnastikhalle mit
Flüchtlingen besetzt werden musste und kurzfristig Ersatz gesucht
wurde. „Sofort und problemlos
hat die GiB ihre Bewegungsräume
angeboten. Nutzen brauchten wir
diese nicht, weil sich andernorts eine
Halle auftat, aber wir sind sofort ins
Gespräch gekommen, und das war
gut“, sagt Dieter Schwulera. reu
Herzenswünsche
Tagesförderstätte
Nicht nur geträumt
Zuerst haben Willi Sawatzki und Thorsten Föllner nur geträumt, erst jeder für sich und dann
gemeinsam. Doch nun wird ihr Traum Wirklichkeit.
Gemeinsam nehmen die beiden am 19. April an
dem HAJ Hannover Marathon teil. 21 Kilometer
haben sich die beiden vorgenommen, 21 Kilometer
quer durch das Stadtgebiet Hannovers, vorbei an
hunderttausenden, sportbegeisterten und jubelnden Zuschauern.
Für beide wird es ein Vollbad in der Menschenmenge, in der sie sofort auffallen, denn Willi schiebt Thorsten in seinem Sportrollstuhl
im Marathontempo über die
Distanz. Das maßgefertigte Gefährt ist allein schon ein wahrer
Blickfang, beide zusammen eine
kleine Demo für die Botschaft:
„Zusammen schaffen wir das
und deshalb gehören wir dazu!“
Ihren Anfang nahm die Geschichte des außergewöhnlichen Laufduos beim letzten TUI-Marathon. Der sportbegeisterte Thorsten beobachtete das Geschehen am
Fernsehschirm, Willi lief aktiv mit. Das sah Thorsten,
und Willi sah Anna. Anna ist eine Beschäftigte aus der
Tagesförderstätte, die mit ihrer Mutter am Streckenrand
stand. Willi hat als Heilerziehungspfleger und Mitarbei-
ter der GiB-Tagesförderstätte Anna sechs Jahre lang begleitet und hielt sofort an, um die beiden zu begrüßen.
Die kurze Begrüßung ging dahin über, dass Mutter und
Willi danach des Öfteren telefonierten und sich über
Möglichkeiten austauschten, um Anna in einem Buggy
mitzunehmen. Da es ein langjähriger Traum der Mutter
war, selbst mit ihrer Tochter Anna am Marathon teilzunehmen, war für Willi das Thema Marathon zu zweit
zunächst erledigt, solange bis sie die Frage stellte: „Willi, kannst du Anna nicht im Buggy mitnehmen, Willi,
das ist mein Traum.“ Willi wollte und konnte. Jedoch
scheiterte der Laufversuch mit Anna, die wenig Spaß
am Sitzen im Sportrolli hatte.
Damit war für Willi erneut
das Thema Marathon zu
zweit erst einmal erledigt, solange bis Thorsten ins Spiel
kam, erklärt Willi Sawatzki,
der Thorsten in der GalaxisGruppe der Tagesförderstätte Vahrenwald begleitet.
Thorsten, bislang nur Zuschauer, signalisierte Willi Interesse, tauschte sich mit ihm aus und liebäugelte erst
mit einem Platz an der Strecke, bis Willi ihm einen Platz
auf der Strecke in Aussicht stellte. Man könnte doch,
wenn man wollte? Ob er sich dies und das vorstellen
könnte? Ein Halbmarathon zu zweit – das wäre es doch,
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Tagesförderstätte
Herzenswünsche
träumen ist schließlich erlaubt. Es war ein langes Herantasten für beide, denn bislang hatte Thorsten Sport
nur als Zuschauer am Fernsehen verfolgt, oder hatte
Hannover 96 im Stadion angefeuert. „Für Thorsten ist
das ein riesiger Sprung, denn jetzt ist Thorsten selbst
aktiv dabei, ist mittendrin in dem Läufer- und Zuschauerpulk. „Wie wird das sein, was für ein Gefühl werden
wir dabei haben, jeder erlebt sie so aus einer anderen
Perspektive. Diese Fragen haben wir uns sehr bewusst
gestellt, haben lange Zeit alles genau überlegt, diskutiert und reflektiert“, erklärt der GiB-Mitarbeiter den
Entstehungsprozess.
Das Ergebnis dieses Prozesses: Wir wollen unseren
Traum leben. Und damit stand die nächste Frage im
Raum: Was brauchen wir, damit unser Traum Wirklichkeit wird? Offene Türen und Unterstützung – und die
gab es von allen Seiten. Kollegen, Leitung, Freunde –
wer es hörte, war begeistert und machte, was er konnte,
damit die beiden auf die Strecke kommen. Jetzt musste alles organisiert werden. Mit Ole Oest von Brandes
& Diesing fanden sie einen begeisterten Tüftler, der
in monatelanger Maßarbeit den Spezialrollstuhl konzipierte und baute. „Träumen ist erlaubt, aber wir haben
hoch gepokert und schon jetzt gewonnen“, sagt Willi
Sawatzki, denn in wenigen Tagen geht es für die beiden
auf die Strecke, und dafür trainieren sie schon seit Monaten – jeder auf seine Weise und beide zusammen. Die
Distanz ist für den laufbegeisterten Willi Sawatzki kein
Problem, bereits im vergangenen Jahr ging er für den
Selbstgemachter
Krach
Über Monate haben die beiden trainiert, um fit und aufeinander
abgestimmt für die Halbmarathon-Distanz zu werden. Halbmarathon an den Start. Jetzt ist aber alles anders.
Zu den Kilometern hat er nun auch noch einige zusätzliche Kilos zu bewältigen, die er vor sich herschieben
muss. Auch Thorsten musste trainieren, denn die Sprache ist für den 44-Jährigen eine gewisse Hürde. Mit seiner Logopädin trainiert er die Kommandos, um sich mit
Willi Sawatzki verständigen zu können, der hinter ihm
läuft und ihn schiebt. Ja, Nein, Halt....u.a., die Kommandos sollen sitzen und die Verständigung soll stimmen,
schließlich wollen sie gemeinsam ins Ziel kommen und
ihre Botschaft transportieren: „Zusammen schaffen wir
das, und deshalb gehören wir dazu! Wir wollen dabei
sein, wir gehören mit dazu und haben Spaß am Sport,
wir machen das zusammen, und gemeinsam können wir
das schaffen.“ reu
Wir machen richtig Lärm.
Wir, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
GiB-Tagesförderstätten, der
Kitas Regenbogen und „Elfriede Westphal“, gemeinsam
mit unserem Kooperationspartner Brandes & Diesing
Vitalcentrum.
Bunte Schellen, Trommeln,
Rasseln, Trillerpfeifen - dabei
ist alles, was ordentlich Krach
macht und die Läuferinnen
und Läufer des HAJ Hannover
Marathons anfeuern soll. In
Bewegung und in eine andere
Perspektive kommen Besucher
auf unserem Rollstuhlparcours. Mitmachen kann jeder,
und kreativ werden darf auch
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jeder. Mitarbeitende der GiBKitas stellen Null-Cent-Materialien an dem Aktionspunkt zur
Verfügung, mit denen sich Besucher im Handumdrehen das
individuelle
Lärminstrument
basteln können. Selbstgebackene
Kekse aus der Tagesförderstätte
und Gummibärchen von Brandes
& Diesing sorgen für die kleine
Stärkung zwischendurch; und
ganz nebenbei erfahren unsere
Besucher viel Spannendes aus der
Einrichtung und von Brandes &
Diesing Vitalcentrum. Sie sind
herzlich eingeladen, uns ab 9 Uhr
an der Hildesheimer Straße/Ecke
Geibelstraße zu besuchen, sich zu
informieren und mitzumachen.
reu
Herzenswünsche
Tagesförderstätte
Eine Herausforderung für den
guten Zweck
In monatelanger Zusammenarbeit hat Ole Oest,
Orthopädietechnikermeister von Brandes & Diesing Vitalcentrum den Rollstuhl, mit dem Thorsten
Föllner und Willi Sawatzki unterwegs sind, konzipiert, hat immer wieder nachjustiert, solange bis
alles für die beiden passte. Wir haben nachgefragt,
warum sich das Unternehmen in so besonderem
Maße engagierte.
Warum unterstützen Sie die Tafö-Läufer?
Weil wir uns gern regional engagieren, wir sind als
Familienunternehmen seit fast 100 Jahren durch Werte
geprägt, die uns dazu veranlassen.
Wie entstand der Kontakt?
Der Kontakt zur GiB besteht seit längerer Zeit schon
durch einige Patienten, die durch Brandes & Diesing
mit Hilfsmitteln versorgt wurden. Der erste Gedanke
tauchte letzten Herbst auf, als ich (Ole Oest) gefragt
wurde, ob es möglich wäre,ein Hilfsmittel zu erstellen,
mit dem ein Marathonlauf inklusive eines behinderten
Menschen möglich sei. Eine Herausforderung für einen guten Zweck!! Nach mehreren Überlegungen und
Besprechungen innerhalb des Teams wurde Herrn
Sawatzki eine positive Antwort übermittelt.
Wie war ihre Vorgehensweise bezüglich Konstruktion und Anpassung?
Die Konstruktion richtet sich in erster Linie nach dem
Bedarf. Durch gezielte Planung mittels eines Anforderungskatalogs wurden Materialien und die Technik zu-
sammengestellt. Im Folgenden wurden die einzelnen
Komponenten zusammengefügt und durch Anproben
und Testläufe an die beiden Teilnehmer immer weiter
angepasst. Die Erprobungsphasen selbst stellen hierbei
einen sehr wichtigen Aspekt der Akzeptanz vor
allem bei Thorsten dar, spricht man nämlich bei einem
Marathon von einer Fahrzeit, die gerne mal über Stunden reichen kann.
Was ist das Besondere an dem Gefährt? Stichwort:
Technische Raffinessen?
Besonders ist es eigentlich nicht. Die Konstruktion
basiert auf bekannten physikalischen Werten und der
Erfahrung eines gewachsenen Teams der letzten Jahre.
Schwierig war, eine steife aber doch so flexible Beschaffenheit des Hilfsmittels herzustellen, dass maximaler
Komfort bei geringem Gewicht erzielt wurde. Nicht
zuletzt eine für die Anwender sichere Lösung zu finden.
Was geschieht mit dem Rolli nach dem Marathon?
Das Hilfsmittel selber bleibt Eigentum von Brandes
und Diesing, wird aber den beiden so lange zur Verfügung gestellt, wie es benötigt wird.
Warum engagiert sich Brandes & Diesing in diesem Kontext? Was ist Ihre Motivation, die GiB an
dieser Stelle zu unterstützen?
Es geht vorrangig nicht um die GiB, sondern um Menschen mit Handicap, die Unterstützung benötigen.
Wenn es uns möglich ist, Unterstützung zu leisten, dann
tun wir es! Ziel ist, einen hilfreichen Nutzen zu bieten Bereitschaft dürfen Sie in diesem Kontext voraussetzen!
Ausgabe 1/2015 • Seite 11
Wohngruppen für Menschen
mit Körper- und Mehrfachbehinderung
Pariser Zeit
Wenn man zu seinem 70. Geburtstag Schampus auf dem
Eiffelturm trinken möchte, im
Rollstuhl sitzt und auf die Unterstützung anderer angewiesen ist,
dann muss man kämpfen, dann
muss man dranbleiben, dann
darf man nicht aufgeben und
sein Ziel aus den Augen verlieren. Ute Kling, Bewohnerin der
Wohngruppen für Menschen mit
Körper- und Mehrfachbehinderung, ist drangeblieben und
hat zu ihrem 70. Geburtstag bei
strahlendem Sonnenschein auf
dem Pariser Wahrzeichen mit
Volker Bremmer angestoßen.
Paris sehen war ihr Traum.
Ute Klings verstorbener Ehemann
hatte Paris besucht und davon geschwärmt. Weshalb er ins Schwärmen geriet, das wollte sie selbst
herausfinden. Und damit war ihr
Wunsch nach einer Parisreise geboren. Vor drei Jahren erzählte sie dem
Gruppenleiter der Wohngruppe für
Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung, Volker Bremmer, das erste Mal davon. Zu diesem Zeitpunkt war das für ihn ein
unvorstellbares Abenteuer.
Hindernisse über Hindernisse bauten sich vor seinem geistigen Auge
auf, schließlich sitzt Ute Kling im
Elektrorollstuhl und braucht für
Reisen eine Eins-zu-Eins-Begleitung. Wie sollen wir uns in der Stadt
bewegen, wenn die Metro aus dem
19. Jahrhundert stammt und alles
andere als rollstuhlgerecht ist? Wie
sollen wir nach Paris kommen, bei
neun Stunden Fahrt? Fragen über
Fragen, und keine guten Antworten. Der Heilpädagoge war voller
Zweifel. Doch Ute Kling ließ nicht
locker, Jahr um Jahr fragte sie im-
mer wieder, wie es um eine
Parisreise bestellt sei. Und jedes
Jahr bauten sich neue Hindernisse vor Volker Bremmers geistigem
Auge auf und seine Zweifel blieben.
Doch Ute Kling blieb dran, im vergangenen Jahr kam sie wieder, dieses Mal mit der Aussage: „Ich habe
gehört, dass da auch Rollstuhlfahrer
hin können.“ Und: Ihr runder Geburtstag rückte immer näher, Ute
Kling wollte ihn nicht mit vielen
Gästen feiern, sondern an diesem
Tag etwas für sich tun.
Volker Bremmer wurde hellhörig, griff zum Telefon und recherchierte beim Französischen Fremdenverkehrsamt in Frankfurt, hörte
dort, dass es ein barrierefreies Busnetz parallel zur Pariser Metro gibt.
Busse mit ausfahrbaren Rampen
ermöglichen es dort Menschen im
Rollstuhl, die Stadt zu erkunden.
Damit war Paris so gut wie gebucht.
Seite 12 • Ausgabe 1/2015
Herzenswünsche
Doch neue Hindernisse taten sich auf.
Die erste Idee, nach
Paris zu fliegen,
mussten die beiden
wieder verwerfen.
1200 Euro Flugund Hotelkosten
überstiegen deutlich ihr Budget.
Kriegen wir irgendwoher Geld?
Plötzlich
war
auch die Bundesbahn eine Alternative – und
eine gute, wie
sich schnell herausstellte. Die
beiden bekamen ein Ticket
für zusammen
198 Euro - hin
und
zurück
plus
Mobilitätsser vice.
„Eine sympathische Mitarbeiterin
der Bahn organisierte uns den Mobilitätsservice, fand auch heraus,
dass nicht nur in Deutschland sondern auch in Frankreich die Begleitperson kostenlos mitfahren darf,
dort sogar Erster Klasse“, erinnert
sich Volker Bremmer. Und schließlich öffnete auch noch Ute Klings
Schwester Herz und Portemonnaie
und gab einen Reisekostenzuschuss.
So waren sämtliche Hindernisse
beseitigt und Paris gebucht, erzählt
Volker Bremmer. Sein alter Tramperrucksack kam zu neuen Ehren,
denn das Gepäck beider transportierte er damit, um die Hände frei
zu haben für den Schieberollstuhl
von Ute Kling. Schiebe- statt Elektrorollstuhl, die Wahl stellte sich
schnell als die goldrichtige heraus.
Am 21. August 2014 konnte es
dann losgehen – Paris von Montag
bis Freitag. In sechseinhalb Stunden
Herzenswünsche Wohngruppen für Menschen
mit Körper- und Mehrfachbehinderung
und mit 320 Stundenkilometern im
TGV kamen die beiden pünktlich
um 17 Uhr im Hotel am Place de
Bastille an. Auch das Hotel erwies
sich als ein totaler Glücksfall, denn
vor ihrer Haustür befand sich ein
zentraler Busknotenpunkt – perfekt
für die Stadterkundungen der kommenden Tage. Mit denen begannen
sie sofort. Kaum angekommen und
frisch gemacht, ging es los mit einem Stadtspaziergang, dem Besuch
von Notre Dame. Stufen waren
keine Hindernisse mehr, freundliche Franzosen packten mit an,
wenn Volker Bremmer sie um Hilfe
bat. Immer wieder halfen in diesen
Tagen freundliche Menschen und
hoben das Geburtstagskind in ihrem Rollstuhl über lästige Stufen.
Nur einmal in fünf Tagen musste
Ute Kling draußen bleiben. Sacre
Coeur mit ihren zahlreichen Stufen
erwies sich als nicht zu überwindende
Hürde.
waren in 20 Minuten oben“, erklärt
der Heilpädagoge. „Das war phantastisch“, sagt Ute Kling und ihre
Augen glänzen dabei. Ein Spaziergang über den Champs-Élysées, der
Triumphbogen, Louvre, Place de
la Concorde und viele andere Sehenswürdigkeiten der französischen
Hauptstadt machten diesen Tag
rund für die beiden Reisenden.
Am zweiten Tag ging es gleich
zum Eiffelturm. „Der Eiffelturm
ist ein Muss, sonst war man nicht
in Paris“, erinnern sich die beiden.
Hin und rauf, war das erste Ziel der
beiden. „Ohne Voranmeldung muss
man dort gut drei Stunden warten,
wir konnten den Aufgang für Rollstühle nutzen, bekamen auch gleich
eine Hostess zur Seite gestellt und
Der vierte Tag war auch gleichzeitig Ute Klings großer Tag. Erstes
und wichtigstes Ziel an diesem Tag:
Der Eiffelturm. Hin- und rauffahren, um dort mit einem Gläschen
anzustoßen. Für Ute Kling ist das
unvergesslich. Eine Armbanduhr
mit dem Wahrzeichen nahm sie sich
als Souvenir mit. Das erinnert sie
jetzt mehrmals täglich an die Pariser
Unzählige Freundlichkeiten und
freundliche Menschen fallen den
beiden für ihren dritten Pariser Tag
ein. „Wir haben nur nette Menschen getroffen, die Busfahrer
waren ausgesprochen serviceorientiert, sind auch mal näher an den
Bordstein herangefahren, damit die
Rampe besser aufliegen kann. Das
Hotelpersonal hat uns geholfen,
die Seine-Fahrt zu organisieren.“
Perfekt, denn so konnte Ute Kling
den Eiffelturm aus der Flussperspektive genießen.
Zeit. Ihren letzten Abend genossen
die beiden mit einem Restaurantbesuch – etwas, was in den Tagen
aufgrund der Preise Seltenheitswert
hatte.
Volker Bremmer und Ute Kling
haben nicht nur Paris entdeckt, sie
haben auch neue Erfahrungen für
sich machen können. Ute weiß:
Hartnäckigkeit wird belohnt. „Ute
musste uns erst weichklopfen, damit wir es ausprobieren“, erinnert
sich Volker Bremmer. Er weiß jetzt:
„Hindernisse müssen beseitigt werden. Man muss alles erst anpacken,
und dranbleiben lohnt sich.“ Und
beide wissen: „Es war eine Mutprobe für uns beide, es macht Mut, die
ausgetretenen Pfade zu verlassen
und den Sprung ins kalte Wasser zu
wagen. Wir mussten immer wieder
Wege finden, wir mussten uns das
richtig erarbeiten, von der Planung
über die Umsetzung bis zur Finanzierung, mussten wir immer einen
eigenen Weg finden, mussten uns
bemühen, aber das Bemühen hat
sich gelohnt“, erklären die beiden.
Mit Paris ist Ute Klings Traum
in Erfüllung gegangen, den zweiten hat sie begonnen zu träumen:
In fünf Jahren, wenn sie Fünfundsiebzig wird, möchte sie in die USA
reisen. reu
Mit dem Bus mobil in der französischen Metropole: Ute Kling auf Entdeckungstour, nur vor der Sacre Coeur blieb sie außen vor.
Ausgabe 1/2015 • Seite 13
Seit mehreren Jahren versucht
die GiB, zukunftsfähige Lösungen für unsere beiden Kindertagesstätten in Hannover-Misburg und Hannover-Anderten
zu entwickeln. Zukunftsfähige
Lösungen heißt: ein für Kinder
und Eltern attraktives Angebot
für alle Kinder mit und ohne
Behinderungen unter sechs Jahren zu schaffen! Das umfasst
das Thema Inklusion genauso,
wie Krippenplätze und räumliche Lösungen vor allem für die
heilpädagogischen Plätze in
Anderten.
Per Zufall fiel uns eine Zeitschrift der Kreissiedlungsgesellschaft (KSG) in die Hände, in der
über Kindergärten in Reihenhausbauweise berichtet wurde. Dieses
Modell fanden wir sehr interessant
und sprachen die KSG an, ob es
vorstellbar wäre, für die GiB eine
Kita zu bauen, in der Krippen-, integrative und heilpädagogische Plätze Platz finden sollten. Die KSG
war dafür gleich sehr aufgeschlossen. Gemeinsam gingen wir zum
Jugendamt der Stadt Hannover und
zum Stadtplanungsamt, um geeignete Grundstücke im Stadtbezirk
Misburg/Anderten zu suchen.
Die Stadt bot das Grundstück
„Am Forstkamp“ an, wo wir gerade
das o.a. Foto gemacht haben. Neben
der neuen Kita ist auf dem Grundstück auch Platz für den Bau von
neuen Wohnungen, die in Hannover
auch Mangelware sind. Mit diesem
Ansatz würden benötigte Krippenplätze, Kitaplätze und bezahlbarer
Wohnraum geschaffen werden können. Erste Pläne wurden erstellt, ein
Architekt machte Entwürfe, Kalkulationen wurden angestellt, was eine
solche Kita kosten würde und wie
hoch die Miete ungefähr sein müs-
Seite 14 • Ausgabe 1/2015
Herzenswünsche
ste. Als dieses Ergebnis vorlag, war
die Ernüchterung groß: die Miete
wäre so hoch, dass die GiB sie mit
den laufenden Zuschüssen der Stadt
nicht bezahlen könnte. Dann baten
wir die KSG, einmal zu rechnen,
wie hoch ein einmaliger Zuschuss
zu den Baukosten ausfallen müsste,
damit hinterher eine kostendeckende und finanzierbare Miete herauskommt. Das Ergebnis war: wenn
einmalig ein Betrag von 300.000
Euro eingebracht wird, dann würde die Miete mit den Zuschüssen
der Stadt zu leisten sein! Deshalb
werben wir jetzt um Unterstützung,
weil die GiB diese Summe allein
nicht aufbringen kann. Sprechen
Sie uns an, wenn Sie sich einbringen
und uns unterstützen wollen! Gerne stehen wir für weitere Auskünfte
zur Verfügung! Über den Fortgang
der Dinge werden wir in der GiB
Zeit nun regelmäßig weiterberichten. Markus Kriegel
Herzenswünsche
Endlich eine Kita für Alle!
Ein Wunschtraum vieler Pädagogen in der GiB könnte bald
in Erfüllung gehen: Die Arbeit
der beiden Kindertagesstätten
– integrative Kindertagesstätte
„Elfriede Westphal“ und heilpädagogische Kindertagesstätte Regenbogen – unter „einem
Dach“ zu vereinen!
Seit über 20 Jahren arbeiten wir
in der Kita „Elfriede Westphal“
nach einem integrativen und seit
über 30 Jahren in der Kita Regenbogen mit einem heilpädagogischen
Konzept. Auf diese Weise haben
wir eine geballte Kompetenz auf
diesen Arbeitsgebieten entwickelt.
Diese wollen wir im Zeitalter der
Inklusion dringend zu einer Kita für
ALLE weiterentwickeln.
Bis 2011 haben wir in unserer
Kindertagesstätte Regenbogen 36
Kinder mit komplexen Behinderungen aus Stadt und Region Hannover gefördert und betreut. Seitdem bekommen wir immer weniger
Anmeldungen. In diesem Sommer
werden wir voraussichtlich noch für
zwölf Kinder ein Angebot machen
können. Wir gehen davon aus, dass
viele Kinder mit Körperbehinderungen inzwischen in Hannover ein
integratives Angebot bekommen
und dieses der heilpädagogischen
Arbeit in Kleingruppen vorziehen.
fach überfordert. Andere Kinder
mit komplexen Behinderungen
brauchten eine enge Begleitung
unserer Mitarbeiterinnen, wenn sie
mit anderen Kindern in Kontakt
treten, kommunizieren oder lernen
wollten. Diese enge Begleitung können wir in einer heilpädagogischen
Kleingruppe anbieten, da der Personalschlüssel mit einer Fachkraft für
drei Kinder die individuelle Begleitung öfter zulässt.
Momentan kommen 18 Kinder
mit komplexen Behinderungen zu
uns in die Kita Regenbogen. Im Sinne der Integration legen wir auch in
der heilpädagogischen Kita großen
Wert darauf, dass Kinder von und
mit Kindern lernen. Deshalb stehen
die Türen unserer Gruppenräume
offen. Kinder können sich selbstständig oder mit Begleitung der Mitarbeiter in der gesamten Kita ihre
Spielpartner suchen. Wer heute in
die Kita kommt, erlebt ein buntes
Treiben auf unserem großen Flur.
Kinder üben sich auf verschiedenen
Fahrzeugen, andere treiben jauchzend einen Ball durch die Luft, wie-
der andere sitzen vergnügt mit einer
Mitarbeiterin auf einer Drehscheibe
und genießen die menschliche Nähe
sowie die vorbeiziehende Umwelt.
Dazwischen arbeiten die Therapeuten im Spiel integriert mit den Kindern. Aus der Küche zieht der wunderbare Duft von frisch gekochtem
Möhreneintopf.
In einer Kita für ALLE können
wir die übersichtlichen und individuellen Fördersituationen für Kinder mit komplexen Behinderungen
anbieten und darüber hinaus eine
für alle Kinder förderliche Lernsituation in der Kita herstellen. Zum
Beispiel stellen wir für ein Kind
mit Asperger-Syndrom mittels Zeichen und Symbolen eine sichtbare
Tagesstrukturierung her, um ihm
Orientierung und Sicherheit für seinen Tagesablauf anzubieten. Andere Kinder lernen diese Zeichen zu
erkennen und erhalten damit eine
sehr gute Vorbereitung für den Erwerb der späteren Schriftsprache.
Unser professionelles Ziel bleibt es
natürlich, dass Extralösungen nicht
mehr nötig sind, sondern dass wir
Das verstehen wir sehr gut, da
wir in der Kita „Elfriede Westphal“
beobachten, wie förderlich das integrative Angebot für die Kinder
ist. Trotzdem haben wir auch immer wieder Kinder kennengelernt,
für die das pädagogische Angebot
in einer Kleingruppe sehr förderlich war. Manche Kinder waren in
einer Gruppe mit 18 Kindern ein-
Ausgabe 1/2015 Seite 15
Herzenswünsche
für jedes Kind die notwendigen
Rahmenbedingungen in inklusiven
Zusammenhängen herstellen können. Solange jedoch diese Rahmenbedingungen noch nicht hergestellt
sind, brauchen manche Kinder mit
komplexen Behinderungen noch
heilpädagogische
Kindergartengruppen. Gudrun Wansing sagt
dazu: „Inklusion führt nicht automatisch zu voller wirksamer Teilhabe; im Vollzug von Inklusion kann
Teilhabe, aber auch Behinderung
und Ausgrenzung, erzeugt werden.
In welche Richtung Inklusion wirkt,
hängt von der Qualität realer gesellschaftlicher Bedingungen ab.“ (Inklusion in einer exklusiven Gesellschaft 2012).
In unserer integrativen Kindertagesstätte „Elfriede Westphal“ haben
wir über die vielen Jahre unser pädagogisches Konzept soweit entwickelt, dass wir heute sagen können,
dass unsere Kita inklusiv arbeitet.
Es gibt zwei Kindergartengruppen
mit jeweils 15 Plätzen, maximal vier
davon stehen für Kinder mit Behinderungen offen. „Wo sind denn
hier die behinderten Kinder?“ Diese
Frage wird oft von Besuchern unserer Einrichtung gestellt. Für unsere
Mitarbeiterinnen und vor allem für
unsere Kinder ist das ein Kompliment. Genauso wollen wir sein!
Eine Gruppe von Menschen, in der
jeder einzelne mit seinen individuellen Begabungen und Kompetenzen
dazu beiträgt, dass ALLE Freude haben und lernen können. Hier kann
der Beobachter erleben, wie aus einer vermeintlichen Schwäche eine
Stärke wird und umgekehrt. Wenn
ein Kind, welches mit nur einem
Arm zur Welt gekommen ist, damit
höchst geschickt auf einen Baum
klettert und ein anderes Kind seinen
Arm in den Ärmel stopft und versucht, es seinem Spielpartner gleich
zu tun – wer ist dann stark?
Und da es in diesem Heft um
Wünsche geht, möchten wir aus
dem Erfahrungsschatz mit der Kita
„Elfriede Westphal“ unsere Wünsche formulieren. Wir wünschen
uns, dass es irgendwann möglich
sein wird, die Gruppenzusammenstellung am Bedarf der Kinder zu
orientieren und Gruppen mit unterschiedlicher Platzzahl zu führen. Die Anteile der Kinder mit
und ohne Behinderung sollten keine Rolle spielen. Es ist auch unser
Wunsch, dass der Personaleinsatz
flexibel, nämlich abhängig vom Bedarf der Kinder in der Gruppe, er-
Die Kitas beim gemeinsamen Ausflug im Tiergarten. Wo sind hier die Kinder mit
Behinderung? Seite 16 • Ausgabe 1/2015
folgen kann. Im Vordergrund sollte
immer die pädagogische Frage
stehen: Wie stellen wir eine Kindergruppe zusammen, in der Kinder
sich mit anderen Kindern möglichst
optimal entwickeln können?
Natürlich gehört heutzutage zu
einer Kita für ALLE auch ein Bildungs- und Betreuungsangebot für
Kinder unter drei Jahren. Der Bedarf an Krippenplätzen in Deutschland ist stetig steigend. Immer
mehr Familien wollen Berufs- und
Erziehungstätigkeit
miteinander
verbinden. Bundesweit befinden
sich 32,2 Prozent der unter Dreijährigen in Kindertagesbetreuung
(2014). In Hannover beträgt die Betreuungsquote 55,7 Prozent (2015)
und Hannover plant, mit dem Ausbauprogramm „Hannover bleibt
am Ball“ bis 2017 weitere 900 Betreuungsplätze für unter Dreijährige
zu schaffen. Wir wollen als GiB an
dieser Entwicklung teilhaben und
planen deshalb auch Krippenplätze
in einer Kita für ALLE ein.
Um die Grundsätze des Leitbildes der GiB zu erfüllen, wird das
Krippenangebot natürlich Kindern
mit Behinderung offen stehen.
Vorausschauend nimmt heute
schon eine erste Mitarbeiterin an
einer Fortbildung zur Krippenfachkraft teil. Eine Teamfortbildung mit
den Mitarbeiterinnen beider Kitas,
um die Konzeption für eine Kita
für ALLE zu entwickeln, ist für dieses Jahr geplant. Integration besagt,
dass Menschen mit Behinderung
einbezogen werden. Bei der Inklusion gehören Menschen mit Behinderung ganz automatisch dazu. Der
Pädagoge Tony Booth, Professor
für inklusive und internationale Bildung an der Universität Canterbury
in Großbritannien sagt: „Bei der Inklusion geht es darum, alle Barrieren
für Spiel, Lernen und Partizipation
Herzenswünsche
für alle Kinder auf ein Minimum zu
reduzieren. Jedes Kind soll um seiner selbst Willen wahrgenommen,
akzeptiert und wertgeschätzt werden. Es soll mitsprechen können,
an dem, was es tut.“ Die inklusive
Pädagogik nimmt sowohl die Unterschiede, als auch die Gemeinsamkeiten der Kinder in den Blick. Sie ist
die konsequente Weiterentwicklung
der Integration.
Der von Tony Booth entwickelte „Index für Inklusion“ wird der
Fahrplan für die Konzeption unserer Kita für ALLE sein. Gleichzeitig werden wir die UN-Behindertenrechtskonvention in den
Blick nehmen. Eine kindgerechte
Bildung, Erziehung und Betreuung hat dabei oberste Priorität. Die
Kinder sollen sich nicht nur wohlfühlen, sondern in ihrer individuellen Entwicklung gefördert werden.
Inklusive Lebensverhältnisse von
Anfang an. Das Kindertagesstättengesetz wird in Niedersachsen voraussichtlich 2016 reformiert. Wir
sind sehr gespannt darauf, welche
Für jedes Kind eine Lösung - hier ein Zeichenbild, was die Orientierung und Sicherheit eines Kindes mit Asperger-Syndrom fördert. Möglichkeiten für Bildung und Betreuung sich darin für Kinder mit
komplexen Behinderungen ergeben.
Die Entwicklung und der Bedarf an
inklusiven Kindertagesstättenplätzen gehen stetig weiter. Deshalb beabsichtigen wir in unserer Kita für
ALLE die Strukturen entsprechend
der Nachfrage anzupassen.
Die Zukunft sollte sein, dass wir
ausschließlich inklusive Gruppen
„Jeder Mensch von uns hat seine
Stärken und Schwächen und es
gilt, diese Stärken bei allen herauszuarbeiten und zu fördern.
Schwächere Kinder wachsen in
der Gruppe einer integrativen
Einrichtung, in dem sie sich an
den Starken orientieren.
Dr. med. Thomas Buck, Vorstand
der Kinder- und Jugendärzte im Bezirk
Hannover und Vorstand der Ärztekammer
Niedersachsen. Foto: Privat
Doch es geht nicht allein darum, dass die Schwächeren ihre
Defizite ausgleichen, sondern es
geht auch darum, bei den Starken
etwas herauszuarbeiten, ihnen die
Möglichkeit zu geben, Toleranz zu
entwickeln, die Selbstverständlichkeit Menschen beizustehen, sich
solidarisch zu erklären und Hilfs-
anbieten, vor allem auch, um dem
Anspruch der niedersächsischen
Sozialministerin Cornelia Rundt gerecht zu werden: Inklusion … nicht
eine Lösung für alle, sondern für jeden Menschen die richtige Lösung
(SozMinRundt 2013, WfbM-Fachtag Hannover). Wir können nicht
versprechen, dass wir für jedes Kind
eine Lösung finden, aber wir werden es in jedem Fall mit aller Kraft
versuchen. Christine Voigt
bereitschaft zu zeigen. Der Starke
lernt in der integrativen Gruppe
ganz klar, dass es Menschen gibt,
die ihre Defizite haben.
Eine integrative Einrichtung
bietet allen Kindern die Chance davon zu profitieren, weil sie pädagogisch wertvoll begleitet werden und
es kann einer Gesellschaft nichts
Besseres passieren, wenn Kinder
diese Kompetenzen so früh wie
möglich erlernen, deshalb kann
ich als Vorstand der Kinder- und
Jugendärzte im Bezirk Hannover
und als Vorstand der Ärztekammer
Niedersachsen eine Einrichtung
wie die von der GiB geplante Kita
für alle nur begrüßen.“
Ausgabe 1/2015 • Seite 17
Herzenswünsche
Es ist normal, dabei zu sein
Vor mehr als 25 Jahren startete
die GiB-Vorgängergesellschaft
im Rathaus mit der integrativen
Kita - damals ein revolutionäres
Modell. Ein Vierteljahrhundert
später geht die GiB mit ihrem
vollen Erfahrungsschatz den
nächsten Schritt von der Integration zur Inklusion und plant
wieder etwas Neues im Stadtgebiet Misburg-Anderten. Wir
haben
Bezirksbürgermeister
Klaus Dickneite (SPD) gebeten,
den Bedarf aus Sicht des Stadtgebiets Misburg-Anderten zu
beschreiben.
Die gemeinnützige Gesellschaft
möchte eine „Kita für Alle“ mit
78 Plätzen schaffen. Im Zuge
dessen entstehen bis zu 30 neue
Krippenplätze. Wie beschreiben
Sie den langfristigen Bedarf an
Kita- und Krippenplätzen für Ihren
Stadtbezirk?
Klaus Dickneite: Der Stadtbezirk
Misburg-Anderten ist einer der
wenigen Stadtbezirke, die ein Bevölkerungswachstum zu erwarten
haben, weil wir die entsprechenden
Grundstücke besitzen. Daraus resultiert ein zunehmendes Bevölkerungswachstum, das auch Familien
mit Kindern einschließt. Schon jetzt
haben wir nicht ausreichend KitaPlätze, besonders im Bereich der
Null- bis Dreijährigen. Aus dem
Grunde wollten wir eine zusätzliche
Gruppe für Null- bis Dreijährige in
der St. Martinsgemeinde bei anderen Trägern aufmachen. Der Bedarf
ist hier bei weitem noch nicht gedeckt. Von daher würden wir es sehr
begrüßen, wenn sich ein Träger findet, der diese Versorgung anbietet.
Die neue „Kita für Alle“ plant mit
einem neuen, inklusiven Konzept
zu arbeiten. Welche Vorteile sehen
Sie für den Stadtbezirk durch die
Schaffung einer „Kita für Alle“?
Klaus Dickneite: Sie sind dabei,
sie fallen auf, sie sind Mitglieder des
Gemeinwesens. Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn diese
Bevölkerungsgruppe stärker als bisher in der Öffentlichkeit zu sehen
ist. Nur so erreichen wir ein Stück
Normalität. Die Bevölkerung muss
wissen, dass ist ein Personenkreis,
der ist unter uns und er nimmt an
unserem kulturellen Leben teil. Ein
Vorteil wäre, dass dadurch ein Stück
Normalität zwischen Menschen mit
und ohne Behinderung im alltäglichen Leben entstehen könnte. Dies
kann durch vielfältige Aktivitäten,
wie zum Beispiel Patenschaften
oder die gemeinsame Nutzung von
Räumen, geschehen, so könnte beispielsweise eine Gruppe Menschen
mit besonders schweren Behinderungen im Geschehen begleiten, gemeinsame Räume nutzen usw.
Wichtig ist es, nicht nur in den
eigenen Räumen etwas zu unternehmen, sondern raus zu gehen,
Sport- und Kulturveranstaltungen
im Stadtbezirk zu besuchen, einfach
dabei zu sein. Hier geht es nicht
darum, aktiv sportliche Höchstleistungen im Verein zu erbringen,
sondern es kommt darauf an, sich
zu beteiligen im Rahmen der Mög-
Seite 18 • Ausgabe 1/2015
lichkeiten, das kann auch sein, als
willkommener Zuschauer, als gerne
gesehenes und gewünschtes Publikum. Aus solchen Begegnungen
ergeben sich möglicherweise individuelle Kontakte.
Viele Einrichtungen empfinden sich als Belastung, nicht als
Bereicherung für das Gemeinwesen. Doch sie sind die Gebenden,
denn sie erweitern den Erfahrungsschatz innerhalb der Bevölkerung
durch die Lebenssituationen der
Menschen mit Behinderung unterschiedlichster Art. Durch ihre Präsenz können sie zu einem besseren
Inklusionsverständnis
beitragen,
Erfahrungsmöglichkeiten für sich
und andere schaffen sowie Aktionsmöglichkeiten entwickeln. Es gilt
ein Bewusstsein zu entwickeln, „Ich
habe etwas zu geben, gleich welcher
Behinderung“. Wenn wir Inklusion
realisieren wollen, dann haben die
Einrichtungen den größeren Part
der Verantwortung, denn sie sind
diejenigen, die die Ängste nehmen
können und beweisen können, was
Normalität ist.
Die geplante „Kita für Alle“ soll
auch ein flexibles, bedarfsorientiertes, heilpädagogisches Angebot
umfassen. Kinder mit Schwerstmehrfachbehinderung werden hier
gefördert. Wie steht es hier um
die Umsetzung der Teilhabe zum
Beispiel an Sport- und Kulturveranstaltungen?
Klaus Dickneite: Inklusion ist
nicht abhängig von der Schwere der
Behinderung, Inklusion ist für jeden
möglich, wenn wir bereit sind, die
dafür nötigen Voraussetzungen zu
schaffen. Dann ist Inklusion möglich. Sie muss nicht außerhalb des
Stadtbezirks stattfinden, Inklusion
beginnt im Stadtteil. reu
Herzenswünsche
Mittendrin statt
nur dabei
Es war ihr erster Tag als richtige
Vertretungskraft in der Kita „Elfriede Westphal“. Im September
vergangenen Jahres beobachtete
Sara Weichelt, Sozialassistentin
aus der Kita Regenbogen, die
Misburger Kinder beim Spielen.
Das machten sie eine ganze Zeit
lang, und plötzlich war die Schminke im Spiel, ruckzuck hatten die
Kinder den Tisch in einen Schminktisch verwandelt und malten sich
gegenseitig an. Auch Sara Weichelt
und ihre Kollegin bekamen viel Farbe und ein neues Make up ab. „Ich
dachte, ach ist das schön, jedes Kind
spielt mit jedem, es gib keinen Neid
und ich bin mittendrin, obwohl die
Kinder mich gar nicht kennen“,
erinnert sich die junge GiB-Mitarbeiterin. „Zum Feierabend kam der
fünfjährige Ilja auf mich zu und sagte: Sara, du bist ja noch ganz bunt,
so willst du doch nicht nach Hause
gehen, ich würde mich noch mal
sauber machen.“
Das hat sie berührt. „Ich war
mittendrin statt nur dabei.“ Dabei
war sich die Mitarbeiterin aus An-
derten zunächst unsicher, ob die
Kinder in der Misburger Kita sie
auch im Arbeitsalltag akzeptieren.
Heute ist es für sie selbstverständlich, zwischen Misburg und Anderten hin und her zu pendeln und in
Misburg einzuspringen, wenn eine
Vertretungskraft benötigt wird.
„Switchen“ nennen sie und ihre
Kolleginnen das, und sie freuen sich
darauf, wenn sie switchen dürfen.
Die beiden Kitas aus dem Stadtgebiet haben sich konsequent
aufeinanderzubewegt, damit das
„Switchen“ und die erhoffte spätere gemeinsame Arbeit unter einem
Dach funktioniert und die Kinder
und Kollegen davon profitieren
können. Der Startschuss fiel nach
einer großen Dienstbesprechung, in
der Heike Plinke die „Kita für alle“
als neues großes Ziel ankündigte.
„Wir waren Anderten und das war
Misburg. Heike Plinke als Einrichtungsleitung war der gemeinsame
Nenner. In den Gruppen besprachen wir die neue Entwicklung und
dachten uns, es wäre doch toll, wenn
wir - die Kollegen und Kinder – uns
gegenseitig kennenlernen“, erinnert
sich die Sozialassistentin und angehende Krippenfachkraft. Erste Idee
und Auftrag für alle: Eine Hospitation in der jeweils anderen Einrichtung. Seitdem war jeder schon mal
„drüben“. An ihren ersten Hospitationstag in der Kita „Elfriede
Westphal“ kann sich Sara Weichelt
noch detailliert erinnern. „Es war
alles aufregend und neu, und es war
furchtbar komisch. Ich hatte viel zu
beobachten, und musste mich bemühen, mich sehr zurückzuhalten,
nicht gleich aufzuspringen, wenn
ich glaubte, ein Kind braucht Unterstützung. Misburg, das ist eine andere Welt, das ist Big Bamboo, das
sind 15 quietschfröhliche Kinder,
die toben, spielen, das ist beschleunigt, hier in Anderten wirkt alles
sehr entschleunigt. Eben angepasst
an die Bedürfnisse der Kinder mit
schwersten Behinderungen.“
Doch das bunte Misburger Treiben hat abgefärbt. Heute gibt es
in der Kita Regenbogen zwei Eulen- und eine Fische-Gruppe, die
Gruppentüren sind offen, und der
große Flur wird von den Gruppen
genutzt, um Bobby Car oder Fahrrad zu fahren. „Den Flur nutzen,
um Kind zu sein“, so nennt Sara
Weichelt das. Selbst die einzelnen
Therapien finden auf dem Flur oder
in der Gruppe statt. Dennoch ist
Misburg immer noch eine andere
Welt für sie, aber eine interessante, in die sie gerne immer wieder
„switcht“. Auch die Kinder haben
mitgespielt, haben das neue Gesicht
aus Anderten sofort akzeptiert ohne Wenn und Aber.
„Switchen macht Spaß. Spaß,
auch was anderes zu sehen und mit
anderen Kindern zu arbeiten.“ Sara
Weichelt genießt das. Und das zeigen ihr auch die Kinder in Misburg:
Die freuen sich lautstark, wenn sie
Sara am Tor sehen. reu
Ausgabe 1/2015 • Seite 19
Herzenswünsche
Die Krippe kann kommen
Sara Weichelt macht eine Ausbildung zur Krippenfachkraft
Sie geht wieder zur Schule, zwar
nur zwischendurch, aber sie hat
eine richtige Klasse, eine richtige Lehrerin, einen richtigen
Lehrplan und ein richtiges Ziel:
Krippenfachkraft. Die entsprechende Ausbildung dazu macht
Sara Weichelt zurzeit an der
Volkshochschule Hannover, wo
sie parallel zu ihrer Tätigkeit
als Sozialassistentin in der Kita
Regenbogen die Volkshochschulbank drückt.
Sprachentwicklung, Bewegungsentwicklung, sensorische Integration, Störungsbilder, und, und, und
– in ihrem Kopf herrscht Gewühl,
aber auch Begeisterung für Krippen,
für die Arbeit mit den Kleinsten.
Seit Anfang Dezember saugt sie
alles Wissen rund um die Krippe auf,
setzt sich auch mit scheinbar trockenem Stoff wie den gesetzlichen
Rahmenbedingungen auseinander.
Als spätere Fachfrau für Krippen-
fragen in der „Kita für Alle“ möchte
sie profundes Wissen parat haben,
um Antworten geben zu können
auf Fragen wie: Welche Kriterien
muss eine Krippe bezüglich ihrer
Einrichtung und ihres Außengeländes erfüllen? Welche Geräte dürfen
auf einem Spielplatz stehen? Wie
hoch müssen Toiletten und Waschbecken sein? Welche Größe muss
das Badezimmer haben? Vom Thema Krippe und Krippenkindern ist
die junge Frau infiziert. Es fasziniere sie, wie Kinder in so kurzer Zeit
so viel lernen können, es fasziniere
sie auch, zu beobachten, wann in
der Entwicklung eines Kindes etwas
passiert, wann welches Kind wie zu
fördern ist.
Sara Weichelt saugt das neue
Wissen wie einen Schwamm in sich
auf, obwohl sie nicht mit Krippenkindern arbeiten kann, weil es in
ihrer Einrichtung noch keine gibt.
In ihrer Volkshochschulklasse ist sie
die Einzige, die im Moment noch
nicht mit den Null- bis Dreijährigen
arbeiten kann. Doch das wird sich
ändern, davon ist die 25-Jährige felsenfest überzeugt: „Die „Kita für
Alle“ wird kommen und die Krippe
wird kommen, daran glaube ich ganz
fest.“ Trotzdem sei es ein komisches
Gefühl, etwas zu lernen, ohne es sofort anwenden zu können, komisch,
weil sie noch nichts in der Hand
habe. Dennoch ist die Ausbildung
für sie ein Must-have, ohne dieses
Wissen sei sie aufgeschmissen, denn
in den kleinen Menschen stecke so
viel Potenzial, doch dazu müsse
man genau wissen, wie ihnen dieses
Potenzial entlockt werden könne.
Von Saras Weichelts Weiterbildung profitieren ihre Kolleginnen
und Kollegen schon heute, frisch
erworbenes Wissen, neue Erkenntnisse und Denkanstöße gibt sie in
den Dienstbesprechungen der Kita
weiter. „Ich habe das Bedürfnis, alle
Mitarbeiter an dem teilhaben zu lassen, was ich einmal gelernt habe.“reu
Die Türen sind jetzt offen
Kita-Mitarbeiterinnen erzählen vom Zusammenwachsen ihrer Einrichtungen
Die „Kita für Alle“ soll Wirklichkeit werden, was bedeutet das für
Sie als Mitarbeiterinnen der Kita
Regenbogen und Kita „Elfriede
Westphal“?
Mareike Abel: Es ist klasse, weil es
genau das ist, worauf wir hingearbeitet haben und es freut uns riesig,
dass der Wunsch jetzt in Erfüllung
geht. Das macht uns einzigartig in
Hannover, es wird eine Einrichtung,
in der der gemeinschaftliche Gedanke gelebt wird.
Katharina Franz: Es war unser Ziel
und wir freuen uns, dass wir es erreichen. Endlich ist die Ungewissheit
weg, was passiert mit den Kollegen,
was passiert mit den Kindern? Wir
haben Lösungen, und ich persönlich
freue mich besonders auf das Krippenangebot. Ich kenne bislang keine
Krippe, die jedes Kind aufnimmt.
Seite 20 • Ausgabe 1/2015
In unserer Krippe soll jedes Kind
seinen Platz finden. Das Kind mit
oder ohne Beeinträchtigung muss
sich hier nicht an seine Umgebung
anpassen, sondern die Umgebung
wird an das Kind angepasst.
Leonie Sube: In der „Kita für Alle“
wird der optimale pädagogische Gedanke in Politik und Gesellschaft
ausgelebt und umgesetzt. Das
macht mich glücklich.
Herzenswünsche
Wie haben Sie den Prozess des
Zusammenwachsens der beiden
Einrichtungen erlebt – welche
guten und welche weniger guten Erfahrungen haben Sie dabei
sammeln können?
Mareike Abel: Ich konnte schon
zum Ende meines Praktikums nach
Anderten blicken und konnte sowohl in Misburg als auch in Anderten arbeiten. Das Wechseln stellt
für mich auch kein Problem dar,
wenn Not am Mann ist, im
Gegenteil: es ist für mich
ein Zugewinn, die Kinder
in Misburg kennen mich
und fühlen sich gleich wohl.
Zudem ist der Wechsel
zwischen Misburg und Anderten auch eine Abwechslung für mich, es ist kein
eingefahrenes Arbeiten.
an die Arbeit gehen, geht das alles.
Leonie Sube: Ich habe das Zusammenwachsen als spannend empfunden. Das Schöne ist: Ich muss mich
nicht in ein bestehendes Konzept
einfügen, sondern habe Mitsprachemöglichkeiten und kann mich bei
Entscheidungen mit einbringen. Die
Auseinandersetzung mit dem Thema Inklusion war Teil unserer Ausbildung, deshalb sind wir auch offen
Mareike Abel: Nichts findet hinter
verschlossenen Türen statt, alles ist
lebendig mit viel Aktivität, es ist offen und fröhlich bei uns.
Katharina Franz: Das Ganze war
ein Prozess, in dem es ganz wichtig
war, dass man miteinander redet.
Man darf dabei nicht vergessen,
dass innerhalb von zwei Jahren ganz
viel passiert ist. Es ist hier ein anderes Leben entstanden. Früher hatten wir in Anderten sechs
Gruppen und einen Tag,
an dem die Kinder auf dem
Flur spielen konnten. Früher war alles sehr strukturiert, es war einfach so und
keiner hat es hinterfragt. Es
war eine andere gute Arbeit,
bei der die Kinder von der
heilpädagogischen Kita in
eine Förderschule übergeKatharina Franz: Ich habe
leitet wurden. Man muss
schon alles durch, habe in
jetzt bedenken, dass heute
Anderten als FSJ angefandie Kinder die Möglichkeit
gen, war zwischendurch in
haben, inklusiv beschult
Misburg und im vergangezu werden. Heute sind die
nen Jahr habe ich im Januar
Gruppentüren offen und
und Februar in der anderen
der Flur wird täglich von
Einrichtung ausgeholfen
allen genutzt. Es ist jetzt in
und im Sommer ebenfalls
der Kita wesentlich mehr
für eine Woche. Seit Januar
los, was aber auch gut ist
2015 bin ich ganz in Misfür die Kinder als eine Vorburg. Der stetige Wechsel
Sie freuen sich auf die Kita für Alle: Leonie Sube, Katha- bereitung auf die Schule, in
ist für mich kein Problem. Je rina Franz, Sara Weichelt und Mareike Abel - Mitarbeite- der ein reges Leben herrscht.
besser ich die Kollegen kenne, rinnen beider Kitas.
Da hilft es nicht, die Kinder
desto besser kann ich aushelhier abzuschotten.
fen. Morgens telefonieren wir mit für alles, haben Spaß mitzuwirken
den Kollegen in Anderten, wollen und mitzuschaffen. Für mich sind Leonie Sube: Spaß und Freude bei
wissen, wie die Lage dort ist, wo beide Kitas ein Team, man denkt im der Arbeit stehen ganz weit oben.
krankheitsbedingt die Not am größ- Gesamten, fragt sich, brauchen die Inklusion hat uns in unserer geten ist, wir schieben das so, dass es Hilfe oder brauchen wir Hilfe? Das samten Ausbildung begleitet, es ist
für alle passt. Wenn wir mal etwas Ganze ist jetzt ein System und wir für uns eine Einstellung, eine innefür die Kollegen aus Anderten nicht versuchen, das im Blick zu behalten. re Haltung. Wir haben es genauso
leisten können, weil es einfach nicht
gelernt, wie wir es jetzt entwickeln
passt, ist keiner sofort beleidigt, wir Hat das Zusammenwachsen werden. Mit dieser Grundhaltung
helfen uns, ohne es gegenseitig auf- einen Einfluss auf die Atmo- bin ich in den Beruf gegangen. Für
zurechnen.
sphäre in den Einrichtungen dienstältere Kollegen ist das eine anMareike Abel: Dadurch, dass gehabt und wie hat sich das kol- dere Situation, sie müssen sich diewir alle mit positiven Gedanken legiale Miteinander entwickelt?
ses Wissen neu aneignen. reu
Ausgabe 1/2015 • Seite 21
Herzenswünsche
Und was denken die Eltern?
Eine neue „Kita für Alle“ in Misburg? Wie bewerten Eltern von
Kindern mit und ohne Behinderung die Entscheidung, das ambitionierte Projekt im Stadtteil
Misburg umzusetzen?
Welche Vorteile versprechen
sie sich für die Entwicklung ihrer und der anderen Kinder aus
den beiden Einrichtungen? Warum muss es aus ihrer Sicht eine
Einrichtung im Stadtgebiet mit
einem inklusiven Konzept geben? Wir haben dazu die Vertreter des Elternbeirates der Kita
„Elfriede Westphal“ um ihre
Gedanken zu diesem Thema
gebeten.
Martin Berger, Vater von Justus, 5 Jahre
„Es ist gut, dass es jetzt losgehen kann, obwohl im Geldsäckel noch
ein großer Betrag fehlt. Die beiden Einrichtungen gehören schon jetzt zusammen, nicht nur, weil sie eine gemeinsame Einrichtungsleitung haben,
sondern weil sie inhaltlich zusammenarbeiten. Inklusion ist einfach wichtig
und sie haben hier im Stadtteil eine Vorreiterrolle. Ich würde mir wünschen, dass sie aktiv in den Stadtteil gehen und dort sichtbar sind, damit
das Bewusstsein entsteht: Das ist normal, und nicht: Die inklusiven Kinder sind etwas Besonderes. Es war eine gute Entscheidung, unsere beiden
Kinder in eine integrative Einrichtung zu geben, denn es hat ihnen gut
getan. Für meine Kinder ist es heute ganz normal, ein Kind im Rollstuhl zu
sehen, das ist für sie nichts Besonderes. Umso besser ist es, dass es mit der
neuen Kita mehr Plätze geben wird, wo Kinder diese Erfahrung machen
können.“
Konrad Baselt, Vater von Yenelle, 4 Jahre
„Die neue Kita wird eine unheimliche Bereicherung für den Stadtteil
sein. Wir haben zuvor zehn Jahre in Spanien gelebt, meine Tochter ist in
der Kita Misburg im Umgang mit anderen Kindern richtig aufgeblüht und
sie geht mit behinderten Kindern toll um, sie fragt uns zu Hause, was das
eine oder andere zu bedeuten hat, wenn sie etwas nicht versteht, und sie
beschäftigt sich mit den Beeinträchtigungen der Kinder.“
Karsten Heddenhausen, Vater von Niklas, 4 Jahre
„Ich hätte mich gefreut, wenn es früher solche Einrichtungen gegeben
hätte. Zu meiner Kinderzeit konnte keiner damit umgehen, dass ich keine
Haare habe. Ich wurde ganz schnell in die völlig verkehrte Schublade gesteckt und das geschieht manchmal auch heute noch. Da bin ich jetzt froh,
dass Kinder gleich lernen, wie man mit Kindern mit Behinderung umgeht,
nämlich ganz normal. Sie sollen von Anfang an Kinder mit Behinderung
einfach akzeptieren. Ich finde es gut, die Kinder mit schweren Behinderungen zu konfrontieren, ihnen die Möglichkeit zu geben, nicht nur Kinder
mit leichten Behinderungen kennenzulernen.“
Seite 22 • Ausgabe 1/2015
Herzenswünsche
Felix Kuzminski, Vater von Philipp, 4 Jahre
„Es stimmt mich traurig zu hören, dass dies im Stadtgebiet die erste
Einrichtung dieser Art sein wird. Wir schreiben 2015 und stecken immer
noch in den Anfängen der Inklusion, obwohl die UN-Konvention 2009
beschlossen wurde. Es ist wichtig, dass die Kinder sich so früh wie möglich
mit dem Thema Behinderung auseinandersetzen, vor allem mit Blick auf
die Schule und das Mobbingproblem. Dazu kommt: Kinder lernen von
den anderen, Eltern, die ihre Kinder in eine integrative Kita geben, wissen,
worauf sie sich einlassen.“
Sie will immer mittendrin sein
Ida in einer heilpädagogischen
Einrichtung anmelden? Das
kam für Antje Wedemeier zunächst überhaupt nicht in Frage.
Ihre Tochter umgeben von ausschließlich behinderten Kindern,
die still vor sich hinsitzen? Das
schien Idas Mutter vollkommen
undenkbar. Doch seit August
vergangenen Jahres besucht die
jetzt vierjährige Ida die Kita Regenbogen, und sie ist dort sehr
zufrieden. „Ich würde das merken, wenn das anders wäre“,
sagt sie. Täglich fährt Ida ohne
zu weinen mit dem Bus zur Kita,
und auch die Eingewöhnung in
der Kita scheint abgeschlossen.
Von geflossenen Tränen hört
Idas Mutter nichts mehr.
Idas Kita-Karriere begann in einer integrativen Krabbelgruppe in
ihrem Stadtteil. Gerne hätte ihre
Mutter Ida in der angeschlossenen
integrativen Kita angemeldet, doch
die dort tätige Heilpädagogin sah
sich mit der Situation überfordert,
denn Ida braucht viel Aufmerksamkeit. Etwas, das sie auch von
zu Hause gewohnt ist. Ansprache
und Teilhabe sind ihr wichtig. „Ida
ist am liebsten mittendrin, möchte
alles mitmachen, was alle anderen
auch machen. Sie möchte bloß nicht
allein zurück bleiben“, beschreibt
sie die Bedürfnisse ihrer Tochter.
Viel Aufmerksamkeit erfordert auch
ihre Neugier. Alles, was neu ist,
weckt ihr Interesse. Bewegung und
Geschwindigkeit begeistern das
Mädchen, das von sich aus so gut wie
nichts machen kann, und auf Menschen angewiesen ist, die sich mit ihr
beschäftigen oder die sie beobachten kann. Ida braucht Ansprache.
Weil es im Stadtteil mit einem
Kita-Platz für Ida nicht klappte,
mussten sich die Eltern nach einer
Alternative umsehen. Durch Mundzu-Mund–Propaganda kamen sie
auf die Kita Regenbogen. Eltern,
deren Kinder die Anderter Kita besuchen, erzählten Antje Wedemeier
viel Gutes von der heilpädagogischen Einrichtung.
Das machte sie so neugierig, dass
sie sich zu einem Besuch entschloss
und der gab den Ausschlag für ihre
Entscheidung, ihr Kind hier anzumelden. „Die Köchin mit ihrem
Haarnetz spielte mit den Kindern
auf dem großen Flur Verstecken,
draußen gab es ein großes Außengelände und die Menschen machten
einen fröhlichen Eindruck. Es war
meine Sorge, dass dort nur Kinder
in Rollis sitzen und keinen Pieps sagen. Doch das war anders und das
war ganz schön“, erinnert sich Antje
Wedemeier an ihren ersten Besuch
in Anderten.
Seitdem hat sich viel getan. Ida
fährt Bus ohne zu weinen – früher
war das undenkbar. Selbst Autofahrten, die über 30 oder 40 Kilometer
gehen, sind heute möglich, ohne
dass das Kind schreit und weint.
Und auch Antje Wedemeier profitiert selbst von der Entscheidung,
denn das heilpädagogische Konzept
der Einrichtung sieht vor, Therapien in den Kitaalltag einzubauen.
Für Antje Wedemeier hat das
alltagspraktische Vorteile. Früher
musste sie den Kinderspielplatz
verlassen, um mit Ida zu den Therapeuten zu gehen. Heute finden
diese während der Betreuungszeit
statt. Das spart Zeit und Nerven,
„denn Ida ist kein Freund von Therapien und weint, wenn die anstehen“, erzählt Antje Wedemeier. Die
rein heilpädagogische Ausrichtung
ermöglicht Ida eine weitere wichtige Erfahrung: „Sie weiß jetzt, dass
es ganz viele Kinder mit schweren Beeinträchtigungen gibt.“ Und
auch ihre Eltern sind nicht allein
- sie können sich mit ebenfalls Betroffenen austauschen. „Wir hätten
Ida nicht in eine Einrichtung gegeben, wo sie das einzige Kind mit
Beeinträchtigung gewesen wäre.“
Ausgabe 1/2015 • Seite 23
Herzenswünsche
Die Mutter schätzt den herzlichen
und fröhlichen Umgang der Mitarbeiter in der Eulen-Gruppe mit
ihrer Tochter. „Es ist nicht unser
vorderstes Ziel, das Kind den ganzen Tag zu fördern. Wir möchten
zunächst, dass sie in der Familie
glücklich ist, und „wir leben jeden
Tag unser Leben.
Und: Antje Wedemeier mag es
nicht, wenn die Menschen beim Anblick ihrer Tochter traurig sind. „Ida
ist fröhlich, wir sind fröhlich und
die Mitarbeiter in der Kita gehen
fröhlich mit Ida um. Wir müssen
nicht traurig sein.“ Trotz aller Herzlichkeit im Umgang mit Ida und der
Fortschritte, die ihre kleine Tochter
macht, fehlt Antje Wedemeier etwas
ganz Entscheidendes in der Kita:
Der Umgang mit nichtbehinderten
Kindern. „Wenn ich auf dem Flur
stehe, dann denke ich, jetzt müsste
hier eine Gruppe von zehn Kindern
ohne Beeinträchtigung sein, dann
wäre Ida glücklich, denn das kennt
sie von zu Hause und aus der Krab-
belgruppe. Kinder ohne Behinderung, die Ida schon lange kennen,
nehmen sie auf den Schoß, spielen
mit ihr. Kinder ohne Beeinträchtigung, die keine Erfahrung mit Ida
oder anderen Kindern mit Beeinträchtigung haben, reagieren oft mit
Befremden. Je mehr Kinder Erfahrungen im Umgang mit beeinträchtigten Kindern sammeln können,
desto mehr Kinder wird es geben,
die keine Berührungsängste haben.
Eine Kita für alle ist eine Idee, die
total super ist!“ reu
Spender sehen Fortschritte
Felix* läuft über den Flur, Jonas* geht inzwischen
in die Schule und Jan* besucht heute Mittag die
Kita in Misburg. Ein Jahr ist es her, dass die beiden Schützendamen Brigitte Hübner und Angelika
Pluskota zuletzt in der Kita Regenbogen zu Gast
waren, und die drei Jungs sind ihnen gut bekannt.
Seit ihrem letzten Besuch hat sich viel getan. Damals
saß Felix noch im Rollstuhl, heute geht er selbstständig
zu den Besucherinnen an den Kaffeetisch, um Kekse
zu naschen. „Wenn man die Erfolge sieht, dann ist das
einfach toll“, freut sich Brigitte Hübner, Vorsitzende
Geld für einen guten Zweck. Brigitte Hübner und Angelika
Pluskota übergaben Einrichtungsleitung Heike Plinke die
Spende der Schützengesellschaft Anderten.
Seite 24 • Ausgabe 1/2015
der Schützengesellschaft Anderten, bei der Übergabe
des Spendenschecks in der Halle der Kita Regenbogen
in Anderten. Seit 2010 besuchen die beiden Schützendamen die Kindertagesstätte einmal im Jahr, um ihre
Weihnachtsspende persönlich zu überreichen. 2009 trat
Brigitte Hübner ihr Amt als Vorsitzende der Damenabteilung an. Was machen wir mit der Weihnachtsspende?
Das war eine der Fragen, auf die sie eine neue Antwort suchte und unter dem Regenbogen in Anderten
fand. „Wir haben uns gefragt, ob es bei uns im Dorf
eine Einrichtung gibt, die wir unterstützen und wo wir
unsere Spende auch direkt abgeben können, ohne dass
Geld in die Verwaltung fließt. Und schließlich möchten wir Menschen unterstützen, die am Anfang ihres
Lebens stehen“, erklärt Brigitte Hübner. Mit der Kita
im Eisteichweg war schnell der passende Partner gefunden. „Im Laufe der Jahre haben wir die Erfolge ihrer
Arbeit gesehen, sahen zum Beispiel, dass Kinder, die
verschlossen waren, einem offener entgegenkamen. Wir
haben auch gesehen, wie wertvoll ihre Arbeit ist, mit
welcher Aufmerksamkeit sie sich den einzelnen Kindern widmen, und wir sehen die Fortschritte, die diese
Kinder machen.“
Inzwischen spenden nicht nur die Damen der Schützengesellschaft Anderten. Zu dem Anlass öffnen auch
der Schießklub Niedersachsen und einige Privatpersonen ihre Geldbörsen, weil sie wissen, dass ihr Geld
einem sinnvollen Zweck zugeführt wird. „Die Einrichtung einer Kita kostet viel Geld“, stellte Brigitte Hübner
fest. (* Name geändert) reu
Herzenswünsche
Helfen macht Spaß
Inzwischen ist es Tradition für Daniela Wilke-Döpke und ihren Mann,
die GiB zu unterstützen. Neu ist,
dass die beiden ihr Engagement
auf die großen und kleinen Menschen in der GiB verteilen. Statt
Weihnachtspräsente für die Kunden
spendet die Firma Döpke Gebäudereinigung für einen guten Zweck.
In diesem Jahr erstmalig für die
Tagesförderstätte Vahrenwald, die
sich über eine neue Kaffeemüh-
le freuen durfte. Eine Wassersäule
für den Snoezelraum und eine pentagonische Trommel konnten die
Kita „Elfriede Westphal“ und Kita
Regenbogen Dank der Spende anschaffen. Als Mutter einer neunjährigen Tochter begrüßt Daniela Wilke-Döpke den Plan, eine „Kita für
Alle“ zu bauen. „Zum einen, weil es
gut ist, wenn Kinder ohne Behinderung mit Kindern mit Behinderung
aufwachsen. Sie lernen früh, nor-
Yvonne Racek, Psychologischer Dienst der GiB und des
Autismus Zentrum Hannover (AZH)
„Ich habe die Entwicklungen der vergangenen
Jahre mit beobachten und sehen können, wie die
Zusammenführung im Kleinen von der heutigen
Einrichtungsleitung Heike Plinke forciert wurde,
wie die Kinder und Teams beider Einrichtungen
schrittweise zusammengebracht wurden.
Kinder mit schweren Behinderungen können in
jedem Fall davon partizipieren, sie lernen am Modell
von Bandura, weil sie sehen, beobachten und Möglichkeiten haben, sich weiterzuentwickeln. Gleichzeitig sehen Kinder ohne Behinderung, dass es Kinder
mit schweren Behinderungen gibt. In der Interaktion,
im Miteinander lernen alle Kinder voneinander, erleben kindliche Freude, Neugierde, wenn das Spiel stattfindet. Im Idealfall sieht man die behinderten Kinder
gar nicht. Dennoch sollte man sich nicht von dem Inklusionsfieber anstecken lassen, es gibt auch Kinder,
mal mit dem Thema umzugehen.
Zum anderen entlastet eine Einrichtung, die bis 17 Uhr Betreuung
bietet, Mütter und Väter ungemein.
Ich kann normal arbeiten gehen,
und weiß, dass mein Kind optimal
versorgt ist, und ich muss mir keine Gedanken machen, wer wann
wie mein Kind von der Kita abholt“, erklärt die Geschäftsführerin von Döpke Gebäudereinigung
in Hannover. reu
die zum Beispiel schwerwiegende Wahrnehmungsund Informationsstörungen haben und die ihre Kontinuität im Alltag brauchen. Inklusion heißt für mich,
es muss individuell bei jedem Kind geprüft werden,
welche Bedürfnisse es hat, und dort wird es abgeholt.
Das kann auch bedeuten, dass es Kinder gibt, die in
einem Extraraum ein ruhigeres Angebot bekommen.“
Ausgabe 1/2015 • Seite 25
Herzenswünsche
Es war ein langer Weg aufeinander zu
Es war ein langer und manchmal auch steiniger
Weg, den die beiden GiB-Einrichtungen gegangen
sind. Das Ergebnis: Zwei, die zusammengehören,
aber noch kein gemeinsames Dach über dem Kopf
haben. Doch das soll sich jetzt ändern.
August 2011: Drastischer Belegungsrückgang von 36
auf 24 Kinder in der Kita Regenbogen in Anderten
Bewerbung um die Trägerschaft einer Kita im
Ausschreibungsverfahren der Stadt – erfolglos.
•
Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz ab dem
ersten Lebensjahr.
Die Inklusion wird zum gemeinsamen Hauptthema. Erste Fortbildung beider Teams mit Ilka
Lemke im November 2012 zum Thema Inklusion.
Ab März 2013 leitet Heike Plinke beide Kitas und entwickelt Konzepte, wie die Zusammenarbeit auch mit
dem räumlichen Abstand gefördert werden kann.
• Jeder Mitarbeitende hospitiert in der anderen
Einrichtung.
• Einmal im Monat gemeinsame Dienstbesprechung, gemeinsame Feste, Fallbesprechungen,
Austausch, Kennenlernen.
• Gegenseitige
Krankheitsund
Urlaubsvertretung.
• Kinder aus den Kitas besuchen sich gegenseitig.
• Ein Kind aus Anderten ist regelmäßig einen
ganzen Tag in Misburg (zur Schulvorbereitung).
• Eltern kennen beide Einrichtungen.
•
•
•
•
Gemeinsamer Ausflug in den Tiergarten.
Projektarbeit Kita Misburg „Feuerwehr“,
Kindergruppe aus Anderten nimmt teil und besucht auch mit den Misburger Kindern die Feuerwehr.
25 Jahre Kita Misburg – Hilfe und Unterstützung durch das Anderter Kita-Team.
Erstes gemeinsames Laternenfest im November
in Anderten.
2014: Gemeinsame Faschingsfeier
• Projektierung einer Kita für ALLE am Forstkamp in Misburg mit der Kreissiedlungsgesellschaft (KSG) Hannover.
• Erstes gemeinsames Sommerfest im Juli 2014
„Am blauen See“ in Misburg, Thema: viele
verschiedene Nationen feiern gemeinsam.
• Gemeinsame Fortbildung „Erste Hilfe am
Kind“, Sondenernährung. Gemeinsame Teilnahme an der Kita-Kultur-Woche.
• Gemeinsamer Stand beim GiB-Jubiläum.
• Zweites
gemeinsames
Laternenfest
im
November 2014 in Misburg.
2015: Gemeinsame Faschingsfeier in Anderten
• ab August 2015 besuchen voraussichtlich nur
noch zwölf Kinder die heilpädagogische Kita in
Anderten.
• Zum August 2015 gibt es eine lange Warteliste für Integrationsplätze in der Kita „Elfriede
Westphal“.
Christine Voigt
Und hier wollten wir überall hin...
Ab 2011 Bewerbung um ein Gelände der Johannisgemeinde in Misburg zur Errichtung von Krippenplätzen – erfolglos.
•
•
Objekt in der Schierholzstraße – wird vom
Kultusministerium als nicht geeignet empfunden.
Objekt Alte Post – anderweitig verkauft.
Seite 26 • Ausgabe 1/2015
•
•
Objekt Leinhausen - erfolglos.
Wir bewerben uns für die Räumlichkeiten der
Außenstelle der Herschelschule – erfolglos.
Seit vielen Jahren gab es immer wieder neue
Bemühungen unsererseits, um eine Erweiterung
der Räumlichkeiten im Rathaus Misburg – immer
wieder waren diese erfolglos. Christine Voigt
Herzenswünsche
Alle haben ihren Platz bei uns
I have a dream …sagte einst
Martin Luther King. Auch die
GiB hat einen Traum: Eine Kindertagesstätte für alle Kinder.
Nun scheint sich dieser Traum
zu erfüllen…alle Menschen sind
gleich erschaffen… Es macht
mich unendlich glücklich, an
diesem Traum mitzuarbeiten!
Zwei Jahre voller Höhen und
Tiefen liegen hinter mir. Seit zwei
Jahren leite ich die integrative und
die heilpädagogische Kita. Seit zwei
Jahren wünsche ich mir ein Haus
für alle Kinder. Und alles schien
perfekt; es gab ein Grundstück
und einen Bauträger, und die Stadt
Hannover braucht dringend weitere
Krippenplätze. Doch nun kommt
das Geld ins Spiel. Eine neue Kita
kostet weitaus mehr Geld, als die
GiB ursprünglich investieren konnte und wollte, und das sie jetzt im
Vorfeld aufbringen muss. Rund
300 000 Euro müssen wir durch
Spenden und Zuwendungen im
Nachhinein wieder einwerben.
Trotzdem: Nach allen Höhen und
vor allem Tiefen geht es nun voran
und ich kann Sie einladen, mit mir
zu träumen. Ich möchte Ihnen eine
Vorstellung davon geben, wofür
wir kämpfen. Träumen Sie mit mir
von einem Haus voller Leben und
Fröhlichkeit, in dem jeder mit seiner
Individualität ein Teil des Ganzen
ist und jeder - mit und ohne Behinderung - etwas dazu beitragen kann.
Es ist der 27. April 2017, zwei
Minuten nach sieben, als ich unser
neues Haus „Am Forstkamp“ betrete.
Einige Kinder und Mitarbeiter sind
bereits da, wir öffnen um sieben
Uhr. Für berufstätige Mütter und
Väter ist das ein Segen! Die kleine
Anna verabschiedet sich gerade von
ihrer Mutter und winkt vom Arm ihrer Betreuerin. Ich muss lächeln. Es
war ein langer Weg, bis Anna ohne
Tränen in der Kita bleiben konnte.
Sara Weichelt, Krippenfachkraft,
hat dabei eine unendliche Geduld
und sehr viel Einfühlungsvermögen
bewiesen.
Anna ist zwei Jahre alt und stark
entwicklungsverzögert. Heute ist sie
auf dem Stand eines neun Monate
alten Kindes. Mit neun Monaten
ist ein Kind in der Fremdelphase und möchte nur bei Mama und
Papa sein. Ein denkbar ungünstiger
Zeitpunkt. Annas Mutter blieb in
den ersten Wochen einfach mit in
der Gruppe. Anfangs blieben beide nur einige wenige Stunden. In
dieser Zeit begann die Kontaktaufnahme; Stück für Stück mit kleinen
Fortschritten. Wie oft dachten wir,
jetzt, jetzt ist es geschafft, dann kam
wieder ein Rückschritt. Annas Mutter, die bereits für zwei Stunden die
Gruppe verlassen konnte, musste
Ausgabe 1/2015 • Seite 27
wieder im Gruppenraum bleiben.
Mittlerweile ist das Vergangenheit.
Durch die einfühlsame Begleitung
und offene Haltung aller Mitarbeiter gelingt es allen Familien, sich gut
einzugewöhnen. Auch Anna kommt
jetzt täglich fröhlich in die KäferGruppe. Noch bevor ich meinen
morgendlichen
Rundgang starte
und alle Mitarbeiter begrüßen kann,
läuft Paul auf mich
zu. Paul kommt
im Sommer zur
Schule und er
hat ein Faible für
Naturwissenschaften. Er nimmt
meine Hand und
zieht mich in die
Fo r s c h e r w e r k statt. Hier bietet
Katharina Franz,
Fachkraft für Inklusion, seit einigen Tagen immer
wieder kleine Einheiten zum Thema Experimente mit Pflanzen an.
Alle Kinder, ob groß, ob klein, ob
beeinträchtigt oder nicht, können in
Kleingruppen daran teilnehmen.
Doch zurück zu Paul. Stolz zeigt
er mir eine Narzisse, die er mit blauem Wasser gefärbt hat. Paul gehört
zur Katzengruppe, eine der beiden
Integrationsgruppen mit 18 Kindern, und hat den Umzug in das
neue Gebäude mitgemacht. Gerne
zeigt er Gästen seine neue Kita.
Schön ist sie geworden, unsere
neue Kita. Bodentiefe Fenster überall ermöglichen es den Kindern,
auch den Krabbelkindern, immer
nach draußen zu schauen. Alle fünf
Gruppen haben einen großen Raum
und einen kleineren Nebenraum.
Die Kleinen nutzen den Neben-
Herzenswünsche
raum zum Schlafen; kleine, weiche
Körbchen stehen dort, mit Kuscheldecken und Stofftieren.
tet ein Angebot für unsere großen
Jungs vor. Die Jungen, die im Sommer eingeschult werden, messen
momentan ständig ihre Kräfte und
suchen Herausforderungen. Hier
hat es sich bewährt, den Kindern
Ton anzubieten, den sie zunächst
weichklopfen und kneten müssen, es
erfordert eine
Menge Kraft
und Energie.
Auch dieses
Angebot findet gruppenüberg reifend
statt. Nun bin
ich
endlich
angekommen
in der Küche,
wie überall das
Herz der Kita.
Ute
Schiemann, unsere
Köchin, bereitet das Frühstücksbuffet
vor. Das Frühstück für die
Kinder wird
von uns angeboten. Bis etwa zehn
Uhr kommen die Mitarbeiter mit
einer Kleingruppe in die Cafeteria
und frühstücken gemeinsam mit
den Kindern. Gesund und lecker
muss es sein. Alle Kinder essen in
der Kita am Morgen und auch zu
Mittag. Für Kinder mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten, für Kinder, die nur püriert essen können,
wird individuell gekocht.
Die Nebenräume laden zum
Entspannen ein. Es gibt hier Rückzugsmöglichkeiten für die Kinder,
um ein wenig Ruhe zu haben. Ent-
spannungsmusik, weiche warme
Decken, gedämpftes Licht und poetische Bilderbücher sorgen für einen
Ausgleich zum manchmal doch lauten und bewegten Kita-Alltag. Warme, bunte Farben sorgen für eine
Stimmung, in der sich jeder willkommen fühlt. Und das soll auch
jeder. Unsere Tür steht offen für
Besucher und interessierte Fachkollegen, wir wollen Konsultationskita
werden und unser Wissen und unser
einzigartiges Konzept an Fachkollegen weitergeben. Wir wollen keine
Insel sein, jedes Kind soll an seinem
Wohnort ein optimales Betreuungsangebot bekommen.
Auf dem Weg zur Küche komme
ich an der Kreativwerkstatt vorbei.
Hans Gruschka, ausgebildete Fachkraft für ästhetische Bildung, berei-
Seite 28 • Ausgabe 1/2015
Ich hole mir meinen Kaffee und
mache mich auf den Weg in den großen Bewegungsraum. Mittlerweile sind alle Kinder da und wir alle,
Kinder, Mitarbeiter, Praktikanten,
Gäste, Therapeuten, beginnen den
Tag gemeinsam mit einem großen
Singkreis, Antje Habich begleitet
ihn mit der Gitarre. Für mich einer
der schönsten Augenblicke: alle sind
Herzenswünsche
da, alle haben ihren Platz bei uns.
Anschließend treffe ich mich mit
einigen Kollegen. Heute steht die
Organisationsbesprechung auf dem
Programm. Wir planen das erste
Laternenfest der Kita für Alle. Ein
Laternenfest für 78 Kinder mit ihren
Familien.
Danach lerne ich eine neue
Familie kennen. Nico, ein Junge
mit einer schweren körperlichen
Behinderung, soll ab nächster
Woche die Eulengruppe besuchen. In der Eulengruppe liegt der
Schwerpunkt auf der heilpädagogischen Förderung. Erfahrene Fachkräfte begleiten die Kinder und ihre
Eltern durch die Kindergartenzeit.
Und gestalten einen guten Übergang in die Schule mit allen Beteiligten. Ich zeige den Eltern die Kita
und mache sie mit Janet Buths und
Natascha Günther, Mitarbeiterinnen der Eulengruppe, bekannt.
Auf dem Flur treffe ich unsere
Psychologin Yvonne Racek. Sie ist
auf dem Weg in die Igelgruppe, um
dort gemeinsam mit der Mitarbeiterin Leonie Sube Strukturen für
ein Kind mit Autismus, das in der
Gruppe betreut wird, zu entwickeln.
In der Igelgruppe gibt es momentan einen großen Baubereich.
Ein großer Teil der IntegrationsGruppe, die 18 Kinder umfasst,
zeigt außerordentlich viel Interesse am Konstruieren und Bauen.
Mannshohe Türme werden dort
aus unterschiedlichen Materialien
gebaut. Alle Kunstwerke werden
fotografisch festgehalten, und
später, wie die Kinder es bei einer
Kinderkonferenz beschlossen haben, in einer kleinen Ausstellung
präsentiert. Ich sehe den dreijährigen Jan. Er steht auf einem Stuhl
und legt weitere Bausteine auf
den mittlerweile 1,50 Meter hohen
Turm. Dabei ist er hochkonzentriert
und lässt sich durch nichts ablenken.
Nebenan im kleinen Gruppenraum
bietet Silke Jerofke, Fachkraft für
alltagsintegrierte Sprachförderung,
den Kindern verschiedene Pustespiele an.
Drei Kleine aus der Mäusegruppe (Krippengruppe) sehen interessiert zu und dürfen mitmachen.
Die anderen Kinder der Mäusegruppe ziehen sich an, bzw. werden
angezogen, um einen Spaziergang
zu machen. Die Kleinen, die noch
nicht oder nur wenig laufen können,
bekommen ihren Platz im Krippenwagen, eine überdimensional große
Karre, in der sechs Kinder bequem
sitzen können.
Auf geht’s in Richtung Misburger Wald, Herbstblätter sammeln. Auch das Außengelände wird
mittlerweile von einigen Kindern
genutzt. Wunderschön gestaltet mit
einem gepflasterten Weg zum Fahren mit Bobby-Cars oder Fahrrädern, einem Wasserlauf zum Matschen, einem kleinen Kräutergarten,
einigen Spielgeräten und zwei Tipis
aus Weide gefertigt. Ich sehe Heike
Sawade, die mit einigen Kindern
neue Pflanzen aussät. Nach dem
Mittagessen wird es ein wenig ruhiger. Ein großer Teil der Krippenkinder schläft und alle anderen nutzen
ruhigere Angebote.
kleidungskiste und Schminktisch. Im
Besprechungsraum sitzt Melanie
Wolter mit ihrer Praktikantin. Beide
besprechen die morgige praktische
Prüfung der jungen Frau.
Langsam neigt sich unser Kitatag
dem Ende zu. Erste Eltern kommen, um ihre Kinder zu holen. Ihr
Blick fällt dabei auf die Tafel im
Eingangsbereich. Hier stellen alle
Kollegen täglich ihre Arbeit mit
Fotos, Bildern und kurzen Texten
vor. Der eine oder andere Elternteil
geht noch kurz in den Elternbereich
der Cafeteria und tauscht sich mit
anderen Vätern und Müttern aus.
Gespräche gibt es auch zwischen
Tür und Angel - die Mitarbeiter
geben den Eltern eine kurze Rückmeldung zu ihrem Kind.
Dann ist es 17 Uhr und wir schließen. Auf einmal ist es um mich
herum ganz ruhig, viel zu ruhig! Ich
freue mich in diesem Moment auf
morgen in unserer neuen „Kita für
Alle!“ Heike Plinke, Einrichtungsleitung der
Kita Regenbogen und Kita „Elfriede
Westphal“
In der Kinderbibliothek hat
es sich die Erzieherin Mareike
Abel mit acht Kindern gemütlich
gemacht und liest die Geschichte
von Findus vor.
Im Mitarbeiterraum planen
zwei Mitarbeiter die Gestaltung
des Flures, damit dieser auch
von den Kindern genutzt werden kann. Momentan gibt es dort
einen Rollenspielbereich mit Ver-
Ausgabe 1/2015 • Seite 29
Herzenswünsche
Leben wir unseren Traum...
Ein Song auf einer meiner alten CD‘s heißt: „I believe, I can fly.“ Vielleicht kennen Sie den Song noch. Ja,
fliegen können, den Himmel berühren... Eine schöne
Metapher für: Träume wahr werden zu lassen, unbelastet, ungebunden, mutig zu sein. Sich nicht von Ängsten
und Zweifeln bremsen lassen, sich etwas trauen. Den
Boden des Normalen für einen Moment verlassen und
sich frei fühlen. Kurz: einmal das Unmögliche wagen,
um das Mögliche zu erreichen! Der Traum einer „Kita
für Alle“ ist ein solcher Traum. Nüchtern gerechnet,
müssten wir uns eigentlich davon verabschieden. Die
Kosten und die Einnahmen durch spätere Pflegesätze
kommen nicht zur Deckung: 300.000 Euro fehlen!
Also die Idee und das Projekt begraben? All den Eltern, die sich Hoffnung auf einen dieser Plätze machen, sagen, dass leider nichts daraus wird? Den Kindern klarmachen, dass sie nicht da hin
können, wo sie hin möchten. Den Mitarbeitern, die sich auf die neue Aufgabe freuen, mitteilen,
dass diese Aufgabe nicht auf sie zukommen wird und dass wir eventuell, weil wir das Projekt nicht
realisieren können, sogar Personal abbauen müssen?
Nein, wir haben den Herzenswunsch unserer kleinen Kunden verstanden! Wir haben ihre Bitten,
doch alles zu versuchen, ob es nicht doch klappen könnte, gehört.
Und nun fragen wir uns, ob es nicht auch selbst nüchtern und sorgsam kalkulierenden Kaufleuten
gelingen könnte zu fliegen...? Warum nicht? Wenn sie Mut haben und Vertrauen fassen in die Hilfsbereitschaft von Freunden, Partnern, Angehörigen und Spendern. Und wenn es gelingen sollte,
mit einer entsprechenden Anschubhilfe die Kaufleute vom Fehlbetrag, der heute wie Blei an ihren
Füßen hängt, zu befreien und ihnen Mut zu machen, den Plan, den so viele gern realisiert sehen
möchten, auch zu realisieren.
Deshalb bitten wir Sie, liebe Leser der GiB-Zeit, liebe Angehörige, Geschäftspartner, Freunde: Helfen Sie mit, gemeinsam mit uns etwas eigentlich Unmögliches zu schaffen. Etwas wirklich Nachhaltiges, etwas absolut Notwendiges. Etwas, was vielen Kindern und deren Familien ein großer
Herzenswunsch ist. Helfen Sie mit, diese „Kita für Alle“ auf die Beine zu stellen. Noch steht sie
auf wackeligen Füssen. Aber mit jeder Spende von Ihnen – mag sie auch noch so klein sein – wird
sie ein Fundament bekommen und fester stehen!
„Wir wollen dahin“ rufen unsere Kinder. Wenn die Großen jetzt den Kleinen helfen, dann könnte
es klappen. Wir hoffen auf Sie! Und viele Kinderherzen mit uns. Vielleicht können wir ja alle einmal gemeinsam mit den Kindern singen: „We believe, we can fly…”
Wie sagte doch schon Ben Gurion: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Also seien wir
Realisten und glauben wir daran!
Hans Georg Schneider
Gesellschafter
Seite 30 • Ausgabe 1/2015
Kontakt
Geschäftsstelle und
Verwaltung
Geschäftsführer: Markus Kriegel
Pädagogische Leitung: Christine Voigt
Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover,
Tel. (0511) 67 67 59 0 , Fax: (0511) 67 67 59 59
E-Mail: [email protected]
Web: www.gib-hannover.de
Kindertagesstätte
„Elfriede Westphal“
Ansprechpartnerin: Heike Plinke
Waldstraße 9, 30629 Hannover
Tel. (0511) 58 40 12, Fax: (0511) 5 86 69 21
E-Mail: [email protected]
Kindertagesstätte Spunk
Ansprechpartnerin: Saskia de Kock
Kleine Redder 8, 29227 Celle
Tel. (05141) 88 16 52, Fax (05141) 88 03 08
E-Mail: [email protected]
Kindertagesstätte
Regenbogen
Ansprechpartnerin: Heike Plinke
Eisteichweg 7, 30559 Hannover
Tel. (0511) 51 31 66, Fax: (0511) 5 17 90 76
E-Mail: [email protected]
Heilpädagogische
Frühförderung
Ansprechpartnerin: Barbara Fox
Alte Döhrener Straße 51, 30173 Hannover
Tel. (0511) 3 37 77 02, Fax: (0511) 2 03 08 54
E-Mail: [email protected]
Wohngruppen für
Menschen mit Autismus
Ansprechpartnerin: Christine Schaaf
Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover
Tel. 0163 67 67 59 5 Fax: (0511) 67 67 59 59
E-Mail: [email protected]
Ansprechpartnerin: Jutta Blume
Wohngruppen für Menschen mit
Körper- und Mehrfachbehinderung Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover
Tel. (0511) 67 67 59 38, Fax: (0511) 67 67 59 59
E-Mail: [email protected]
Tagesförderstätte
Vahrenwald und Bothfeld
Ansprechpartnerin: Andrea Sewing
Vahrenwald
Vahrenwalder Straße 190-192, 30165 Hannover
Tel. (0511) 20 30 897 0, Fax: (0511) 20 30 89 749
E-Mail: [email protected]
Bothfeld
Prinz-Albrecht-Ring 63, 30657 Hannover
Tel. (0511) 90 88 06 10, Fax: (0511) 90 88 06 23
E-Mail: [email protected]
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