Dr. Stefan Hördler - Gedenkstätte Buchenwald

70. Jahrestag der Befreiung des KZ Mittelbau-Dora
Gedenkveranstaltung am 13. April 2015
Begrüßung:
Dr. Stefan Hördler, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora
(Es gilt das gesprochene Wort!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
sehr geehrte Überlebende der KZ Mittelbau-Dora und Buchenwald,
sehr geehrter Herr van Hoey [Vorsitzender des Häftlingsbeirates],
sehr geehrter Herr Konstein,
sehr geehrter Herr Lorge,
sehr geehrter Herr Dr. Pahor,
sehr geehrter Herr Herz [Vorsitzender Intern. Komitee Buchenwald-Dora],
sehr geehrter Herr Prof. Hoff,
sehr geehrte Frau Taubert, [Thüringer Finanzministerin]
sehr geehrter Herr Prof. Knigge,
sehr geehrter Herr Botschafter [Herr Giro, Weißrussland],
sehr geehrte Herren Generalkonsuln [Dr. Ballai, Ungarn, Herr Seitimov, Rep.
Kasachstan],
sehr geehrte Vertreter des diplomatischen und konsularischen Corps,
sehr geehrter Herr Dainow [Vizepräsident Zentralrat der Juden]
sehr geehrter Herr Peritore [Stellv. Vorsitzender des Zentralrats Sinti und Roma],
sehr geehrter Frau Krauth [amtierende Landrätin des LK Nordhausen]
sehr geehrter Herr Dr. Zeh [Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen]
sehr geehrte Mitglieder des Bundestages, des Landrates, des Kreistages und des
Stadtrates
sehr geehrte Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften
verehrte Gäste
70 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora darf ich hier und
heute in ihre Gesichter schauen. In die Gesichter von
Albert van Hoey aus Stekene/Belgien,
Oto Konstein aus Zagreb/Kroatien
Jean M. Lorge aus Saint-Claude/Frankreich
Dr. Boris Pahor aus Triest/Italien,
und
die sie weite Wege in Kauf genommen haben, um zur heutigen Gedenkveranstaltung 70
Jahre nach der Befreiung das Wort zu nehmen und um Menschen zu begegnen, die mit
im KZ-Komplex Mittelbau-Dora zur Zwangsarbeit für einen zum Wahnsinn getriebenen
Krieg eingesetzt und damit zum Tode verurteilt waren. Zu viele ihrer Kameraden haben
diese das Leben verdammenden Bedingungen nicht überlebt. Sie, Herr van Hoey, Herr
Konstein, Herr Lorge, Herr Dr. Pahor haben hier überlebt. Sie können heute zusammen
mit ihren ehemaligen Mithäftlingen in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora bei einer
besonderen Begegnung dabei sein. Diese Gedenkveranstaltungen, die nach 30, 50, 60
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oder 70 Jahren an die Befreiung durch US-amerikanische Truppen erinnern, sind
Erinnerungen und Begegnungen geworden.
Zugleich bedeutet der 70. Jahrestag der Befreiung ein Abschiednehmen. Ein
Abschiednehmen von Freunden und Angehörigen sowie die Trauer um jene, die in den
vergangenen Wochen und Monaten von uns gegangen sind. Dazu gehören Général
Bernard d’Astorg, Leo Fonteijn, Général Louis Garnier, Jozef Huybreghts, Erich Kary,
Wladimir Koschan, André Sellier, Othmar Wundsam oder ganz kürzlich erst Mieczysław
Kowalski, um nur einige zu nennen.
Dennoch habe ich die große Freude, heute zu dieser Erinnerung und Begegnung nicht
nur in ihre Gesichter zu schauen. Ich habe die Freude, als junger Historiker, dem am 1.
Februar dieses Jahres die Leitung der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora übertragen
wurde, Sie, die Überlebenden des Konzentrationslagers mit ihren Angehörigen und
Begleitern sehr herzlich und außerordentlich bewegt begrüßen zu dürfen. Welch‘ ein
Geschenk für meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie mich selbst, an diesem Ort
mit ihnen zu sein. In einer Gedenkstätte, deren Entstehung ein bisweilen schwieriger
Prozess war, ist heute ein engagiertes Team tätig, das seine Aufgabe darin sieht, den
wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu den Verbrechen und Geschehnissen an diesem
Ort, aber auch die Erinnerungen an Solidarität, Widerstehen und Überlebensstrategien
zu mehren und den nachfolgenden Generationen dieses Wissen zu vermitteln. Doch das
Interesse und das menschliche Wollen schaffen es nicht allein. Sie bedürfen der
konzeptionellen und finanziellen Unterstützung jener Gremien und Personen, die
politische Verantwortung tragen. So bin ich dankbar für das bisher für die KZGedenkstätte Mittelbau-Dora Geleistete, für das sichtbare Werk meines Vorgängers, Dr.
Jens-Christian Wagner, wie für die verständnisvolle Unterstützung durch die
Bundesregierung und die thüringische Landesregierung. Deshalb weiß ich es zu
schätzen, dass Sie, Herr Professor Hoff, zu uns sprechen werden, den ich als Thüringer
Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei
herzlich begrüße; Herr Professor Hoff ist darüber hinaus Vorsitzender des Stiftungsrates
der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora. Wir haben eine
konstruktive Zusammenarbeit begonnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie sind alle zusammen, die Sie politische
und gesellschaftliche Verantwortung tragen, Sie alle, die Sie sich diesem Ort und seiner
Gedenkstätte verbunden fühlen, hier an diesem 13. April des Jahres 2015 sehr herzlich
willkommen – an einem Ort unvorstellbarer nationalsozialistischer
Menschheitsverbrechen, deutscher Menschheitsverbrechen.
Mittelbau-Dora war nicht nur ein Ort der KZ-Zwangsarbeit. Er steht für die
Untertageverlagerungen von Kriegsproduktionen im 2. Weltkrieg. Er steht für die
menschenverachtende Ausbeutung und Ermordung vieler Tausender. Er steht
symbolisch für den Wahnsinn des totalen Krieges von 1943 bis 1945. Mehr als 60.000
Menschen aus fast allen Ländern Europas, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und
Frankreich, mussten zwischen 1943 und 1945 im KZ Mittelbau-Dora Zwangsarbeit
leisten. Jeder dritte von ihnen überlebte die KZ-Haft nicht, wurde durch die
unerträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen ermordet, wurde exekutiert oder zu
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Tode gefoltert.
„Dora“ wurde als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald im Sommer 1943
gegründet. Nach den britischen Luftangriffen auf die Raketenproduktion in
Peenemünde auf der Insel Usedom schien die Fortsetzung der Produktion in den
Stollenanlagen von Nordhausen für die NS- und SS-Führung eine sichere Alternative, die
keine Rücksicht auf das Leben der Gefangenen nahm. Der Harz wurde zu einem
Zentrum der KZ-Zwangsarbeit. Der Fertigungsort Dora war das Zentrum von den schnell
geschaffenen 39 KZ-Außenlagern, darunter Ellrich-Juliushütte (Mittelbau II), Harzungen
(Mittelbau III) oder Rottleberode, die im Herbst 1944 zum nunmehr eigenständigen
Konzentrationslager Mittelbau zusammengefasst wurden.
Heute vertreten wir mit der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora deren Geschichte, die aber
auch an den einzelnen Orten der Zwangsarbeit präsent ist. Relikte hier und dort
bezeugen wie die Erinnerungen der Überlebenden diese Geschichte. Der vorgestern
eröffnete Informations- und Gedenkort Außenlager an der ehemaligen Bahnhofsrampe
erinnert an das dichte Netz der Mittelbau-Lager im Südharz und geht in seiner
Einrichtung auf einen expliziten Wunsch der Überlebenden zurück.
Am 11. April 2015 jährte sich zum 70. Mal die Befreiung des Konzentrationslagers
Mittelbau durch US-amerikanische Truppen. Die alliierten Soldaten fanden nur wenige
Hundert Häftlinge vor, als sie am 11. April 1945 das Lagergelände Dora und das
Außenlager Boelcke-Kaserne am Standrand von Nordhausen betraten.
Die Mehrzahl der Insassen – etwa 40.000 Häftlinge – schob die SS ab März 1945 in
andere Lager ab, räumte die Außenlager und das Hauptlager und deportierte die letzten
marschfähigen Gefangenen im April 1945 mehrheitlich in die norddeutschen
Konzentrationslager Bergen-Belsen, Neuengamme und Ravensbrück. Für zahlreiche
Häftlinge war der Leidensweg damit nicht beendet. Sie starben entweder in diesen
Lagern an Erschöpfung, wurden auf ziellosen „Todesmärschen“ weitergetrieben, am
Wegesrand von den Wachmannschaften erschossen oder erschlagen. In diesen letzten
Kriegswochen im April 1945 kamen zur Beaufsichtigung der Häftlinge nun auch
Angehörige von Wehrmacht, Polizei, Feuerwehr, Volkssturm, SA und Reichsarbeitsdienst
zum Einsatz sowie Parteifunktionäre und Mitglieder der Hitlerjugend. Sie massakrierten
nicht selten – teils unter Beteiligung der Zivilbevölkerung – aus Furcht oder niederen
Beweggründen vermeintlich gefährliche oder flüchtende Gefangene.
Die mörderischen Räumungstransporte und „Todesmärsche“ liegen 70 Jahre zurück. Sie
bilden das inhaltliche Leitthema des Jahrestages, damit der Erinnerung und des
Gedenkens. So werden wir heute um 13.00 Uhr die neue Ausstellung „Zwischen Harz
und Heide. Todesmärsche und Räumungstransporte im April 1945“ eröffnen.
Für die Erforschung, die Auseinandersetzung mit diesen Themen und für ein kritisches
Geschichtsbewusstsein, damit für die Erinnerung daran in der Zukunft, möchten wir
tätig sein, haben wir als jüngere Generationen ein Erbe angetreten. Alle, die Sie heute in
die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora gekommen sind, helfen Sie uns bitte, dieses Erbe
wissenschaftlich und pädagogisch, vor allem aber menschlich zu vertreten.
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In den vergangenen Wochen ist in Auschwitz, im Deutschen Bundestag, in Israel und
mancherorts auf der Welt der Befreiung der nationalsozialistischen Konzentrations- und
Vernichtungslager gedacht worden. Das Unvorstellbare hatte einen zeitlichen und
örtlichen Rahmen bekommen. Wir haben hier in der Gedenkstätte einen zeitlichen und
örtlichen Rahmen gesetzt. Die Trauer über die Toten wie die Freude über die Begegnung
soll Ihnen, den Überlebenden, einen Raum geben. Hier dürfen wir Ihnen, Herr van Hoey,
Herr Konstein, Herr Lorge, Herr Dr. Pahor, und Ihnen, den Überlebenden der KZ
Mittelbau-Dora und Buchenwald, die Sie heute aus Australien, Belarus, Belgien,
Dänemark, Deutschland, Frankreich, Israel, Italien, Kanada, Kroatien, Österreich, Polen,
Rumänien, Russland, Schweden, der Ukraine, Ungarn und den USA zu uns gekommen
sind, zuhören, ihre Botschaft hören.
Ich danke Ihnen sehr, und ich verneige mich vor Ihnen als hier anwesende Überlebende
der Konzentrationslager zwischen 1933 und 1945.
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