Wir kochen Hagebuttenmarmelade I

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Wir kochen Hagebuttenmarmelade – über das fragliche
Verhältnis von Laien und Experten
Vortrag für die Leipzig Mai 2015
Ein guten Tag zusammen!
Wir haben uns vor einiger Zeit eine neue Heizung
gekauft. Die alte Ölheizung war 36 Jahre alt und hatte
einen enorm hohen Verbrauch. Also mussten wir eine neue
Heizung kaufen und ich habe angefangen darüber
nachzudenken, was es denn für eine Heizung sein sollte.
Ich hatte auf die Suche gemacht. Ich selber bin kein
Heizungsbauer und habe von Heizungsanlagen keine
Ahnung. Aber es gibt ja Experten, von denen man sich
Rat holen kann. Das habe ich etwas treu dumm gemacht,
weil ich nicht wusste wie das sonst gehen sollte. Was
ich dann anschließend erlebt, habe kann ich gar nicht
vollständig erzählen, nicht nur, weil das alles sehr
lange dauern würde und weil die Zusammenhänge sehr
kompliziert sind, sondern weil ab einem bestimmten Maß
der Verwirrung das Interesse an einer solchen
Geschichte verschwinden würde. Und die Verwirrung, auf
die ich mich eingelassen hatte, war ziemlich groß.
Kurz zusammengefasst war meine Erfahrung die, dass
nichts so aussichtslos ist wie von Experten, die etwas
von ihrem Fach verstehen, eine klare und verlässliche
Auskunft zu bekommen. Dabei gilt folgende Regel: fragt
man nur einen Experten um Rat, bekommt man immer eine
sehr kompetente Auskunft. Das ändert sich, sobald man
einen zweiten, dritten oder vierten Experten ebenfalls
um Rat fragt. Man wird dann die Erfahrung machen, dass
zwar jeder einzelne Experte natürlich ganz genau weiß,
was richtig und was falsch ist, aber jeder Experte weiß
etwas anderes.
Außerdem hatte ich die Erfahrung gemacht, dass man
einen Experten niemals auf seine Widersprüche
aufmerksam machen sollte. Denn in dem Fall erhielt ich
jedesmal zur Auskunft, dass es am Ende immer darauf
ankäme, was der Kunde will. Wenn ich dann aber gesagt
hatte, was ich will, hatte der Experte Einwände
dagegen. Und ich hab die Erfahrung gemacht, dass die
Experten, wenn sie mit ihrem Latein am Ende waren, mir
empfohlen hatten, mich im Internet zu erkundigen. Und
hatte ich das dann gemacht hatte, und dem nächsten
Experten meine Kenntnisse vorgetragen, dann bekam ich
prompt zur Antwort, dass im Internet viel Mist zu lesen
ist.
Auf diese Weise habe ich praktisch 3 Jahre lang im
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Kreis bewegt ohne eine Entscheidung treffen zu können.
Immer wieder hatte ich einen Neuversuch gewagt und
immer wieder wurde ich in ein Labyrinth von völlig
widersprüchlichen und verworrenen Ratschlägen
verwickelt.
Daraus hatte ich dann den Schluss gezogen: entweder
muss ich selbst eine Ausbildung zum Experten machen
oder es ist einfach alles egal. Deshalb hatte ich mich
einfach an den nächsten Heizungsbauer im Ort gewendet
und eine neue Ölheizung bestellt. Auf andere Weise wäre
ich nie zu einem Ergebnis gekommen.
Die Lehre aus dieser Geschichte scheint relativ
einleuchtend zu sein: Fragt man einen Experten um Rat,
dann kommt es nicht darauf an, was richtig und was
falsch ist, sondern es kommt darauf an, was er zu
verkaufen hat. Und da jeder etwas anderes zu verkaufen
hat, ist der Laie der Dumme und hat einfach nur Pech
gehabt. Und der unabhängige Experte kann einem auch
nicht weiter helfen, weil dieser Experte nur seine
Unabhängigkeit zu verkaufen hat. Aber damit kann man
nichts anfangen.
Nun mag diese Geschichte noch ziemlich drollig sein.
Aber spätestens, wenn man es mit Ärzten zu tun hat, mit
einer schweren Krankheit und mit einer riskanten
Therapie, dann macht so was keinen Spaß mehr. Außerdem
gibt es im Leben mehr als nur eine Angelegenheit, bei
denen es um Dinge geht, die für das weitere Leben von
entscheidender Bedeutung sind. Zum Beispiel
Kindererziehung, die Sorge um die alt gewordenen
Eltern, die Berufswahl, Fragen der gesunden Ernährung
oder auch Angelegenheiten des Datenschutzes. Für all
diese Angelegenheiten gibt es sehr viele Fachexperten,
die sich sehr gut auskennen. Und in fast allen Fällen
ist die Verwirrungssituation sehr ähnlich.
Wollte man sich die Mühe machen, ein Maß für
gesellschaftliche Ordnung zu definieren, könnte man auf
die Idee kommen, dass die Ordnung einer Gesellschaft
umso stabiler ist, je mehr Fachexperten es gibt, die
mit ihren verschiedenen Meinungen die Verwirrung
steigern. Denn: die Verwirrung selbst ist das
Ordnungsmuster der Gesellschaft. Nichts ist so
wahrscheinlich wie die Fortsetzung der Verwirrung, wenn
Fachexperten ihre klare und eindeutige Meinung äußern.
Das heißt: stabil bleibt immer nur die Ordnung der
Verwirrung. Wenn die moderne Gesellschaft auch sonst
nur wenig Sicherheiten und Gewissheiten erzeugt, auf
die Vergrößerung der Verwirrung ist immer Verlass, wenn
man es mit Experten zu tun hat.
Neulich habe ich im Radio eine Sendung über die
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ökologische Energiewende gehört. Es wurden nacheinander
verschiedene Experten dazu befragt, was denn in dieser
Hinsicht alles falsch läuft und welche
energiepolitischen Maßnahmen die richtigen wären. Das
Ergebnis nach einer halben Stunde war ein komplettes
Durcheinander von Meinungen, das an keiner Stelle die
Beantwortung der Frage zuließ, was das Richtige wäre.
Aber trotzdem wurde mit punktgenauer Zuverlässigkeit
weiter gefragt, was richtig und was falsch ist. Das
heißt, dass diese Frage nie beantwortet wurde, aber
gestellt wurde sie trotzdem und zwar fortlaufend, so
dass am Ende der Sendung eigentlich alles egal war. Die
ganze Informationssituation war völlig konsequenzenlos.
Man hätte die Sendung auch genauso unterlassen können.
Diese Art der Berichterstattung nennt man
Qualitätsjournalimsus. Das hängt damit zusammen, dass
Journalisten längst begriffen haben, dass sie nicht
objektiv über Sachverhalte berichten können.
Stattdessen berichten sie so, dass jeder Hörer
anschließend einen guten Grund hat anderer Meinung zu
sein. Denn dass jeder ohnehin eine andere Meinung hat,
lässt sich nämlich objektiv vorher sehen. Und genau das
wird dann im Laufe einer Sendung bestätigt und so
entsteht dann die objektive Tatsache, dass jeder eine
andere Meinung hat. Das wird dann Kenntnis genommen und
dann kommt die nächste Sendung.
Was genau sind eigentlich Experten? Ich unterlasse es
natürlich, einen Experten danach zu befragen. Das würde
nicht weiter helfen.
Experten sind irgendwelche Fachleute, die über
bestimmte Sachverhalte, Themen, Probleme oder
Gegenstände aller Art besser informiert sind als alle
anderen und die, wenn sie feststellen, dass andere
Experten über die selben Angelegenheiten ganz anders
informiert sind, immer nur ihre Meinung wiederholen.
Und für den Fall, dass sie bemerken, dass sich andere
Experten genauso verhalten, greifen sie zu
verschiedenen Mitteln, um ihre Position dennoch zu
retten. Diese Mittel sind: Appelle, wahlweise gerichtet
an Politiker, oder an eine imaginäre Mehrheit des
Publikums. Ein anderes Mittel ist Protest. Ein weiteres
Mittel ist der Versuch, irgendwelche Dinge zu
skandalisieren, Alarm zu schlagen oder, was auch sehr
häufig zu bemerken ist: Experten fangen gerne an
ethische Diskussionen zu führen. Und vor allen Dingen
warnen sie gerne vor Gefahren und verbreiten Angst.
Experten haben in der Regel viele Bedenken, aber
niemals ethische Bedenken, Weltuntergangängste zu
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verbreiten.
Das gewöhnlichste Mittel von Fachexperten besteht
darin, massenmediale Stimmungsmache zu betreiben.
Bevor ich mich gleich mit Datenschützern befasse,
möchte ich noch ganz kurz etwas über ökologische
Expertendiskurse sagen.
Ich möchte daran erinnern, welche Art von
Stimmungsmache in den letzten 30 Jahren von
Umweltschutz-Experten betrieben wurde.
In den 80er Jahren wurde das Szenario des Waldsterbens,
das angeblich durch sauren Regen verursacht würde,
verbreitet. Es hieß damals, dass es in 30 Jahren, also
in unserer Gegenwart, keinen Wald mehr geben würde und
es wurde in allen Einzelheiten ganz genau erklärt, wie
es dazu kommt und welche Folgewirkungen dieser saure
Regen hat. Dieses Szenario ging damals jahrelang durch
die Medien und zwar so lange bis es jeder geglaubt
hatte. Dann stellt man fest, dass das alles gar nicht
stimmte.
In den 90er Jahren kam das Ozonloch auf. Es gäbe ein
Riesenloch in der Atmosphäre und der größte Teil der
Menschen würde krank werden und alle möglichen Gefahren
würde sich dadurch ergeben. Vom Ozonloch redet heute
keiner mehr. Kurz danach, schon Ende der 90er Jahre,
kam das Szenario des Klimawandels auf. Seitdem gilt: es
ist alles klar, die Experten haben das eindeutig
bewiesen und nur noch eine richtige Politik kann uns
jetzt noch retten. Es ist schon absehbar, dass in den
nächsten 10 oder 20 Jahren vom Klimawandel keiner mehr
reden wird und gewiss werden dann irgendwelche Experten
einen passenden Ersatz gefunden haben. Vielleicht gibt
es dann Gefahren aus dem Weltraum, irgendwelche
Meteoriten oder sonst was ganz Furchterregendes.
Diese Angstszenarien werden seit der Industrialisierung
und seit es Massenmedien gibt, mit jeder Generation
aktualisiert. Das erste ökologische Angstszenario, das
es gab, war übrigens die Angst vor dem Untergang der
sog. arischen Rasse. Am Beginn des 20. Jahrhunderts
hatte man in Europa und Amerika damit begonnen, eine
Rassenkunde wissenschaftlich zu betreiben. Man hatte
verschiedene Rassen klassifiziert, ihre Eigenschaft
definiert und festgestellt, dass ausgerechnet die beste
und edelste dieser Rassen, also die nordische Rasse,
vom Aussterben bedroht sei. Diese Rassenkunde und der
massenmediale Expertendiskurs, den es damals gab, war
aber nicht unwissenschaftlich, wie manche gerne glauben
möchten, sondern war genauso wissenschaftlich wie alle
anderen Forschungen auch. Denn auch die Rassenforscher
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hatten die selben wissenschaftlichen Methoden und die
selbe wissenschaftliche Urteils- und Bewertungslogik
angewendet wie alle anderen Forscher das auch tun. Dass
man diese Rassenforschung gern als unwissenschaftlich
disqualifizieren möchte, hängt mit einer starken
kollektiven Traumatisierung infolge dieser furchtbaren
Massenmorde zusammen. Diese Traumatisierung bewirkt,
dass die Wissenschaft als unschuldige Institution
gerettet wird. Dass die Wissenschaft auch deshalb als
unschuldig gelten muss hängt damit zusammen, weil man
ja auch die Aufklärung dieser Massenmorde mit
wissenschaftlichen Methoden betreibt. Folglich bleibt
nur übrig, diesen Rassenforschern eine fragwürdige
Gesinnung zu unterstellen.
Aber die Wahl wissenschaftlicher Methoden und die
Anwendung einer wissenschaftlichen Urteils- und
Bewertungslogik ist keine Frage der Gesinnung. Denn
gerade weil die Wissenschaft sich nicht aus Gesinnung
ergibt, kann sie alles und jedes erforschen, ergründen,
beweisen und natürlich auch widerlegen. Denn sowohl
Beweis als auch Gegenbeweis liegen in den selben
gesellschaftlichen Funktionszusammenhängen der
Wissensproduktion begründet. Es ist also nicht so, dass
eine richtige oder falsche Auffassung von den Dingen
der Wissenschaft voraus geht. Sondern die Wissenschaft
wählt Methoden und Verfahrensweisen um dieses oder
jenes zu erforschen und wissbar zu machen. Und
bestenfalls kommt sie zu Ergebnissen, denen man keinen
Widerstand entgegen bringen kann, weil die durch
Wissenschaft entstandene Wissensordnung sehr stabil ist
und deshalb sehr plausibel wirkt. Aber das ist eher
selten der Fall. In den allermeisten Fällen produziert
die Wissenschaft nur bestreitbares Wissen. Und es ist
dann nur eine Frage der Machtverhältnisse, die dafür
sorgen, dass der eine oder andere Fachexperte seine
Meinungen überzeugender präsentieren kann als andere.
Auch hier ein kurzes Beispiel: im 19. Jahrhundert
konnte man mit wissenschaftlichen Methoden nachweisen,
dass Frauen nicht bildungsfähig sind. Man hatte damals
von einem natürlichen Schwachsinn des Weibes
gesprochen. Der Sinn dieses Nachweises bestand darin,
die zivilisatorische Unzuverlässigkeit von Frauen zu
beweisen. Hier ging es also darum die Zivilisation zu
retten, von der man dann meinte, dass dazu nur Männer
befähigt wären.
Mit den gleichen wissenschaftlichen Methoden kann nun
heute die zivilisatorische Unzuverlässigkeit von
Männern bewiesen werden. Ein feministische
Wissenschaftlerin hat kürzlich behauptet, dass Männer
eher als Frauen dazu neigen, Massenmorde durch
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Amokläufe zu begehen und das wiederum liege an der
Natur der Männlichkeit selbst begründet. Sowas ist zwar
nicht sehr nett, aber das ist kein Quatsch. Das ist
Wissenschaft, denn Wissenschaft produziert
normalerweise nur bestreitbares Wissen.
Man sieht: es sind gar nicht die Methoden, aus denen
irgendeine Wahrheit hervorgeht, sondern Wahrheiten
gehen aus den Machtverhältnissen hervor und der Art und
Weise wie sich Wissenschaftler im Gefüge der
massenmedialen Aufmerksamkeit Gehör verschaffen können.
Nun gibt es aber nicht nur wissenschaftliche
Fachexperten, sondern auch ökonomische und juristische.
Einige ökonomische Fachexperten sind gerade damit
beschäftigt, den Euro zu retten, denn wie immer drohen
große Gefahren, sollte der Euro scheitern. Und der
Verdacht liegt nahe, dass die größte Gefahr darin
besteht, dass sich die Fachexperten lächerlich machen,
wenn sich hinter her heraus stellt, dass das alles gar
nicht so schlimm ist.
Außer ökonomischen Fachexperten gibt es auch noch eine
spezielle Gruppe von juristischen Experten. Gemeint
sind Datenschützer.
Der Expertendiskurs um Datenschutz ist nicht ganz so
alt wie der ökologische Diskurs, aber er funktioniert
nach dem selben Muster wie alle anderen
Expertendiskurse auch.
Die erste Datenschutzdebatte, die ich als Schüler
bewusst mitbekommen habe, war im Jahre 1984.
Ich kann mich noch an die Angstszenarien, die damals
verbreitet wurden, erinnern. Es waren die gleichen wie
heute. Der Anlass damals war eine dieser turnusmäßigen
Verlagskampagnen zu denkwürdigen Personen, Ereignisse
oder, wie in diesem Fall, ein denkwürdiges Buch: 1984
von George Orwell. Die Diskussionen waren damals exakt
die selben wie heute.
Wenn man sich mit der Entwicklung des Datenschutzes
befasst wird man feststellen, dass die Probleme des
Datenschutzes in den letzten 100 Jahren niemals gelöst
wurden, sondern im Gegenteil: das Problem wurde immer
nur größer. Und heute hat das Problem um Datenschutz
ein Ausmaß erreicht, dass man nun wirklich sagen kann,
dass ein Datenschutz überhaupt nicht funktioniert,
zumindest nicht so, wie er nach Maßgabe von
Datenschützern funktionieren sollte.
Und wenn das so ist, dann könnte man vermuten, dass mit
der ständigen Ausweitung von Datenschutzskandalen, also
mit der Vergrößerung des Problems eigentlich auch die
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Angst- und Bedrohungsszenarien immer radikaler werden
müssten. Denn darin besteht eigentlich die
konventionelle Strategie von Experten. Immer, wenn sie
feststellen, dass ihr Fachwissen, ihre Fachmeinung und
ihre Fachkompetenzen nicht ausreichen um die Probleme
zu lösen, wird das Ausmaß einer Gefährdung verstärkt.
Denn auf diese Weise kann sich, wenn allen die Not zu
groß wird, der Fachexperte als ein großzügiger
Problemlöser anbieten. Denn der Fachexperte weiß immer
sehr genau was falsch läuft und weiß daher auch ganz
genau, was andere zu machen haben, damit alles richtig
läuft.
Interessanterweise kann man das gegenwärtig gar nicht
fest stellen. Jedenfalls kann ich nicht erkennen, dass
das Bedrohungspotenzial durch einen mangelnden
Datenschutz signifikant größer erscheint als vor etwa
30 Jahren – und das obwohl heute noch alle
Vorstellungen, die man vor 30 Jahren hatte, bei weitem
übertroffen wurden. Denn hatte man vor 30 Jahren zwar
vor einem „Großen Bruder“, vor einem gigantischen
Überwachungsstaat und dem gläseren Kunden und Bürger
gewarnt, so waren die Warnungen bekanntermaßen nur eine
Imagination, die sich symbolhaft auf diesen Roman
bezogen hatten. Diese Warnungen damals hatten sich nur
auf Mögliches bezogen, nicht auf Reales.
Dass eine Komplettüberwachung im Bereich des real
möglichen erscheint, war damals nicht erkennbar, schon
deshalb nicht, weil niemand hätte erklären können, wie
das ganze praktisch-technisch gehen sollte. Das
Internet gab es zu diesem Zeitpunkt nicht in der Weise
wie es das heute gibt und hatte längst nicht diese
Bedeutung.
Tatsächlich ist heute eine Komplettüberwachung möglich
und manches spricht dafür, dass sie geschieht,
jedenfalls ist das keineswegs eine paranoide Fiktion.
Aber das hätte man sich vor nicht allzu langer Zeit
noch nicht vorstellen können.
Das ist wirklich bemerkenswert.
Müsste das nicht heißen, dass wir alle vor Angst kaum
noch aus dem Haus gehen könnten?
Das ist nicht der Fall und manchmal habe ich den
Eindruck, dass Datenschützer selbst nicht mehr an ein
gesteigertes Bedrohungspotenzial glauben wollen. Das
meine ich daran zu erkennen, dass die Datenschützer
ihre Geschäft wie immer betreiben – business as usual:
sie tragen alle naselang bekannte Bedenken vor, sie
äußeren ganz normalen Protest und schlagen ganz normal
Alarm und außer ganz gewöhnlichen Initiativen zum
Verbot dieser oder jener Softwarekomponente ist
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nirgendwo zu lesen, dass der Weltuntergang unmittelbar
bevor stünde. Vielleicht irre ich mich, aber ich habe
den Eindruck, dass von Angst und Gefahr so viel gar
nicht zu lesen ist, jedenfalls nicht mehr als vor 30
Jahren. Natürlich werden die Diskussionen gegenwärtig
nicht ohne Angst geführt, aber eine weitergehende
Übertreibung der Angst kann ich nicht erkennen.
Das könnte einen zu dem Gedanken verführen, dass
vielleicht alles gar nicht so schlimm ist wie es
scheint. Aber dazu sollte man sich nicht so einfach
verführen lassen, denn wer das öffentlich behaupten
wollte, wird sehr schnell bemerken, dass man das nicht
gut beweisen kann.
Also hat sich, so vermute ich, in den letzten 30 Jahren
irgendetwas geändert. Aber was?
Ich kann mir vorstellen, dass die gigantische Größe des
Problems und die Aussichtslosigkeit, es nach bekannten
Verfahren zu lösen, gleichsam eine Versachlichung
erzwingt, dass also der Verweis auf Gefahren und
Bedrohung, Stimmungsmache allgemein nicht mehr sehr
überzeugend wirkt. Oder, wenn es dennoch versucht wird,
zerfallen die Betrachtungen sehr schnell in Ironie und
Sarkasmus. Den Eindruck hab ich jedenfalls, wenn ich
die Kommentare von Markus Beckedahl lese oder höre. Ich
höre da immer so einen ironischen und kichernden
Unterton heraus. Und das heißt, dass sich Beckedahl
trotz aller Missstände den Spaß nicht verderben lassen
möchte. Und dann kann seine Angst so groß nicht sein.
Und dann wirken seine Befürchtungen, die er vorträgt,
nicht sehr überzeugend.
Was könnte sich geändert haben? Meine Vermutung ist
folgende:
Anders als vor 30 Jahren gibt es gegenwärtig Leute, die
nicht nur nicht die Bereitschaft haben, sich von dieser
Angst anstecken zu lassen, sondern, die an dem Verlust
eines Datenschutzes sogar eine Hoffnung knüpfen. Ich
meine damit diese post-privacy-Leute. Diese Leute
glauben ja, dass durch eine ungehinderte Freigabe von
Daten aller Art die Gesellschaft besser und
fortschrittlicher wird. Diese Leute begründen das
damit, dass jeder Datenschutz nur ein Angstphänomen
sei, das durch Intoleranz entsteht. Würde ein
Datenschutz wegfallen, so würde auch die kollektive
Toleranz steigen und wir alle würden ein besseres Leben
führen.
Interessanterweise kann man nun bei diesen postprivacy-Leuten das selbe Muster wie bei Datenschützern
erkennen. Wenn die Experten mit ihren Argumenten nicht
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durch kommen, wiederholen sie ihre Meinung und nachdem
sie ihre Meinung wiederholt haben und feststellen, dass
das nichts bringt, drehen sie den Verstärker auf, sie
betreiben Stimmungsmache, um ihre unhaltbare Position
zu retten. Das selbe machen diese post-privay-Leute
auch. Sie verbreiten Optimismus und rufen auf zur
Utopie. Während Datenschützer Angst verbreiten,
verbreiten diese Leute Hoffnung. Und man kann auch in
diesem Fall erkennen, dass sie die Hoffnung nicht gut
steigern können. Denn wenn ein Datenschutz nicht
funktioniert, dann müssten wir ja kurz davor stehen,
alle in den Himmel zu kommen. Und ist dummes Zeug. Und
das wiederum bemerken diese post-privacy-Leute auch,
weshalb die auch sehr schnell ironisch werden womit ja
immer auch gesagt sein soll: so ist das alles nicht
gemeint.
Sowohl diese Datenschützer als auch dieses Datenhippies
stehen auf dem Schlauch. Sie wissen nicht weiter. Und
sie kommen nicht weiter, weil sie gefangen sind in den
Routinen ihrer Expertendiskurse. Und da hilft es auch
nichts, wenn man diesen Datenhippies nur vorwirft,
nur selbsternannte Experten zu sein. Denn die
Diskreditierung des anderen Experten ist ebenfalls ein
gewöhnliches Mittel von Experten, um ihre eigene
unhaltbare Position zu retten.
Interessant ist allerdings, dass sich Datenschützer und
Datenhippies nicht vollständig symmetrisch gegenüber
stehen. Denn Datenschützer möchten ja, dass sich an den
Verfahrensweisen eines Datenschutzs nichts ändert,
weshalb es logisch ist, dass die Datenschützer sich
selbst nicht ändern wollen. Egal was auch immer
passiert, Datenschützer machen einfach immer weiter mit
dem was sie in den letzten Jahrzehnten auch schon
gemacht haben.
Diese Datenhippies allerdings möchten, dass sich etwas
ändert, aber sie können sich selbst nicht ändern, weil
sie ja behaupten, sie seien in Angelegenheiten der
Toleranz die zuständigen Experten und seien darüber
besser informiert als alle anderen, weshalb diese Leute
sich als eine aufgeklärte Minderheit beschreiben, als
eine Avantgarde, deren heilige Mission darin besteht,
die Mehrheit der Gesellschaft aufzuklären. Und eben
dies ist ein altes Spiel, das seit 200 Jahren gespielt
wird. Und diese Datenhippies machen damit weiter ganz
unverdrossen weiter, gleich so als gäbe es keinen
Grund, sich über die geänderten Verhältnisse zu
wundern.
Und sofern nun alle anderen, die sich tatsächlich über
die Dinge wundern und versuchen daraus klug zu werden,
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sich in ihren Urteilsbildungsversuchen an den Routinen
dieser Experten orientieren, können sie eigentlich
nichts anderes tun als ihren Mangel an Lernbereitschaft
zu rechtfertigen. Das heißt, keiner kommt weiter, wenn
hartnäckig geglaubt wird, am Anfang aller
Urteilsbildung stünden irgendwelche Klarheiten,
Gewissheiten, Eindeutigkeiten, Wahrheiten, Sicherheiten
oder Verlässlichkeiten. Das Gegenteil davon kann man
tagtäglich beobachten, wenn man eine Vielzahl von
Experten beobachtet.
Die Verwirrung, das Informationschaos, das
Durcheinander, der Dauerirrtum ist der erste und
normale Fall, den man findet, wenn man versucht, die
Dinge zu begreifen. Ein jeder Experte wird das immer
leugnen, weil jeder Experte ja behaupten muss, seinen
Stall in Ordnung zu haben, denn andernfalls müssten
diese Experten erst einmal ins Schweigen verfallen.
Aber das haben sie nicht geübt.
Was bleibt den hilfsbedürftigen Laien also übrig, wenn
sie bekanntermaßen es auch nicht besser wissen als
diese vielen Experten?
Ich möchte eine paradoxe Abschlussantwort geben, die
lauten könnte: vielleicht kämen die Laien weiter, wenn
sie ihr Laientum professionalisieren. Das heißt, dass
sie ihre mangelnde Kompetenz nicht dadurch beseitigen,
dass sie sich bei Experten erkundigen, oder dass sie
sich an Experten orientieren. Stattdessen könnte die
Laien ihre Inkompetenz zugestehen, also eine Art
Offenbarungseid leisten. Das heißt zu sagen: ich als
Laie bin schlecht informiert und kann meine
Informationssituation nicht so einfach verbessern, weil
es zu viele Experten gibt, die das Durcheinander
steigern, indem sie die Notwendigkeit des Gegenteils
mit großer Gewissheit verkünden.
Und auf dieser Basis könnte man mal fragen, was die
vielen Daten eigentlich genau besagen, die von BigdataExperten ausgewertet werden?
Wenn wir glauben wollen, dass diese Experten
tatsächlich den Durchblick haben, dann können wir uns
immer nur fürchten oder Hoffnung haben. Aber beides ist
eher eine Sache Laune, die sich jeden Tag ändern kann
und hat nicht viel mit Intelligenz zu tun.
Vielen Dank!
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