Was macht die Stadt attraktiv?

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„Außerdem war uns immer klar: Wir wollen nicht
nach Berlin“, betont Man. Dort gebe es viel zu viele schnelle Gründungen. „Hier sind wir Jungunternehmer, dort nur
ein weiteres Start-up. Das ist in der öffentlichen Wahrnehmung ein großer Unterschied.“
Obwohl das Chronext-Team aktuell „hoffnungslos unterbesetzt“ sei, stehe der Service-Gedanke stets an erster Stelle. „God
save the customers“ prangt in großen Lettern über den Schreibtischen, an denen
die Mitarbeiter mit Käufern und Verkäufern telefonieren.
Das Geschäftskonzept ist simpel: Im Gegensatz zu anderen Online-Händlern schließen die Käufer und Verkäufer
einen Vertrag mit der Chronext AG. Zum Kauf angebotene Uhren werden von eigenen Sachverständigen geprüft
und geschätzt. Zudem bleibt Chronext für beide Seiten der
erste und einzige Ansprechpartner bei der Abwicklung.
Die Zielgruppe ist überwiegend männlich, allerdings
seien Frauen die besseren Kunden, da sie im Schnitt
mehr investieren, weniger skeptisch sind und öfter
wiederkommen, sagt Man.
Um die Kundenzufriedenheit zu gewährleisten, wählen
die Jungunternehmer ihre Mitarbeiter heute sorgfältiger
aus als früher. Anfangs hätten sie recht wahllos eingestellt
und ebenso schnell wieder gefeuert, sagt Man. „Wir hatten
schlichtweg keine Ahnung, worauf es ankommt.“ Mit der
gleichen Naivität seien sie anfangs auch auf Investoren zugegangen – und haben nach eigener Aussage so ziemlich
alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. „Wir
sind damals betont arrogant aufgetreten, weil wir dachten,
das wäre der richtige Weg. Aber das war er definitiv nicht“,
betont Man. „Als wir dann endlich gecheckt haben, wie es
funktioniert, war es fast zu spät.“
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Demut laute die wichtigste Regel bei der Investorenansprache, erklärt der 23-Jährige. Zudem sei es besser, bereits vor
der Gründung Kontakte aufzubauen – und nicht erst, wenn
Geld gebraucht werde. Bis zum ersten Referenzinvestor
sei es schließlich ein langer Weg mit etlichen Klinken, die
geputzt werden müssten. Doch sobald der erste im Boot
war, ging es laut Man leichter. Inzwischen verzeichnet die
Chronext AG rund 15 Investoren auf privater und institutioneller Ebene, die dem Unternehmen insgesamt eine siebenstellige Summe zur Verfügung gestellt haben. Dass sich
die Gründer anfangs selbst kein Gehalt gezahlt haben, sei
sehr gut angekommen, sagt Man. „Bei einer Gründung
muss man entweder auf Profit oder auf Wachstum
setzen, beides funktioniert nicht.“ Nun will Chronext
den nächsten Schritt machen: „Wenn wir weiterhin in diesem Tempo wachsen, sollten wir bis zum Jahresende unter
den Top Drei der größten Uhrenverkäufer in Deutschland
sein“, prognostiziert Man. Was ihn antreibe, sei aber nach
wie vor nicht der Profit, mit dem die Firma in Zukunft
rechne: „Mir geht es darum, etwas Großes und Bleibendes
zu schaffen. Für mich ist es ein Wettkampf, bei dem ich der
Beste sein möchte.“
Bild: Anna Schwartz
Wahllos eingestellt –
schnell wieder gefeuert
Was macht die
Stadt attraktiv?
Andreas Grosz und Klaus Burmeister haben Entscheider zur Zukunft
des urbanen Raums befragt – Ein Gespräch über Herausforderungen
Wie entwickeln sich unsere Städte? Und welchen Herausforderungen stehen Sie gegenüber? Den Antworten auf diese Fragen will
das neu gegründete KAP_LAB, eine Kooperation des KAP Forums
von Andreas Grosz und dem ForesightLab von Klaus Burmeister,
näherkommen. Im Rahmen eines Expertenpanels wurden jetzt rund
2.500 Menschen befragt, die sich mit dem Thema Stadt und Stadtentwicklung professionell beschäftigen – darunter Planer, Architekten, Projektentwickler, Immobilienmanager, Mobilitätsexperten und
Zukunftsforscher. Die Ergebnisse haben das Design einer Studie gegliedert, die zur Tagung „Stadt im Umbruch – Stadt neu denken“ am
16. Juni 2015 im Rotonda Business-Club einfließen.
Andreas Grosz: Das ist wirklich ein überraschendes Ergebnis. Und
es spricht dafür, die Diskussion über die Zukunft der Stadt nicht auf
ökonomische Themen zu begrenzen. Über allem, das zeigt die Umfrage deutlich, steht die Sorge, dass die Stadt zerfällt. Die Vermeidung sozialer Spaltung ist eine der zentralen Herausforderungen.
Klaus Burmeister: Um das zu verhindern, muss man die Stadt als
System begreifen, als Organismus, der in den Zustand versetzt werden muss, zukunftsfähig und lebenswert zu bleiben. Sie bringt das,
was wir als Menschen tun, komprimiert zusammen: Wir arbeiten,
wir leben, wir tauschen uns aus. Die Integrationskraft der Stadt hat
also eine immense Bedeutung, die gefördert werden muss.
Herr Grosz, Herr Burmeister, die Ergebnisse Ihrer Umfrage überraschen auf
den ersten Blick. Wirtschaftliche Aspekte – etwa die Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft – spielen nach Ansicht der Befragten eine untergeordnete Rolle bei der Stadtentwicklung.
Was angesichts der hohen Mietpreise kaum möglich scheint.
Grosz: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist tatsächlich
eines der zentralen Probleme in unseren Städten. Es ist
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Bild: Anna Schwartz
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tive. Die Menschen müssen Stadt wieder für sich erfahrbar machen,
sich einbringen und Verantwortung übernehmen. Wir brauchen
einen sogenannten Cross-Innovation-Ansatz, einen praxisübergreifenden Dialog, eine Beteiligung verschiedener Akteure – auch der
Bürger. Lösungen und Ideen können nicht nur in der Verantwortung
der Stadtverwaltung oder der Unternehmerschaft liegen.
Aber die Fäden liegen nun einmal in städtischer Hand.
Andreas Grosz (l.) und Klaus Burmeister wollen Zukunft gestalten.
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schon erstaunlich: Die europäische Stadt galt vor Jahren
für viele als eine gelaufene Sache. Sie war gebaut. Alle schauten nur
noch auf die Megastädte in Asien oder Süd-Amerika. Wenn ich vor
fünf Jahren eine Veranstaltung zum Thema „Wohnungsbau“ gemacht hätte, hätte ich alleine dagesessen. Damals prognostizierten
viele Leerstände. Und heute wissen nicht nur die Studenten nicht
mehr, wo sie unterkommen sollen. Die Preise sind enorm gestiegen,
der Wohnraum ist knapp – und wir bauen immer noch Wohnungen
wie vor 50 Jahren, obwohl sich die Lebensverhältnisse gravierend
verändert haben.
Burmeister: Es gibt für die Entwicklungen keinen Masterplan. Und
viele der Dinge sind auch nicht von „oben“ planbar. Jede Stadt muss
ihren eigenen Weg gehen, um die Zukunftsherausforderungen zu
lösen. Berlin ist ein Beispiel. Dort haben sich viele Wohnungsbaugenossenschaften und Baugruppen gegründet. Es gibt viel Eigeninitia-
Auf den Punkt
Die Ergebnisse Ihrer Befragung sollen in eine Studie fließen.
Grosz: Die am Ende gute Beispiele der Stadtentwicklung aufzeigt
und Impulse setzen kann. Am 16. Juni werden wir im Rotonda Business-Club eine Stadtkonferenz, ein Seminar, veranstalten. Wir sehen
als Teilnehmer die Immobilienwirtschaft, Architekten, Designer,
Stadtgestalter und Planer. Wenn sich dann aus dem Seminar eine
Situation ergibt, dass jemand die Hand hebt und sagt: „Wir würden
so etwas gerne einmal umsetzen,“ dann wären wir bereit, so einen
Prozess zu moderieren und mitzugestalten. Gerade die Immobilienwirtschaft ist – durchaus im eigenen Interesse – gefordert, innovativer und zukunftsweisender zu handeln und zu investieren. Es geht
schließlich um Häuser für Menschen.
Zehn Ziele für die Stadt
Wie könnte so ein Projekt aussehen?
1. Schaffung von bezahlbarem Wohnraum
Grosz: Spannend und herausfordernd wäre es, ein ganzes Quartier
so umzugestalten, dass dort mehr und intensiveres Leben möglich
ist. Ein Projekt, das zum Beispiel den Verkehr und die örtliche Mobilität anders gestaltet. Stellen Sie sich doch einmal ein Quartier vor,
ohne die Blechlawinen. Die Freiheit der Straße wieder entdecken. In
Seoul hat man so etwas schon getan, mit einem großartigen Erfolg.
Das, was wir heute in Köln als Mobilität erleben, kann ja nicht die Zukunft sein. Wir müssen uns die Frage stellen: Was macht die Stadt attraktiv? Kopenhagen war einmal der Inbegriff der Langeweile. Heute
gehört es zu den attraktivsten Städten der Welt. Man kann durch
keine andere Stadt so gut mit dem Fahrrad fahren. Das Leben hat
sich auf die Straße verlagert. Junge Menschen machen dort Urlaub.
Ein Ergebnis jahrzehntelanger hartnäckiger Arbeit. Solche Visionen
können Städte unglaublich bewegen.
2. Neugestaltung städtischer Mobilität
3. Förderung der Bildungsinfrastruktur
4. Vermeidung sozialer Spaltungsprozesse
5. Bewältigung von Migrationsproblemen
6. Erneuerung von Infrastrukturen
7. Reduktion der CO2-Emissionen
8. Entwicklung der Arbeitsplatzsituation
9. Entwicklung von Standortqualitäten
10. Vermeidung ökologischer und gesund- heitlicher Belastungen
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Burmeister: Deshalb muss sich die Verwaltung als Ermöglicher begreifen. Da kommt zum Beispiel jemand und sagt: „Wir haben eine Idee
aber keine Räume.“ Also muss man es hinbekommen, dass die Stadt
sagt: „Wir haben da ein leeres Gebäude. Das können wir jetzt nicht
nutzen. Also macht mal!“ Sich als Stadt ins Gerede bringen, über kleine
Beispiele, aber dauerhaft. Dann schauen auch andere darauf – und denken: „Dort passiert etwas. Die haben einfach mal eine andere Denke.“
Grosz: Es gibt heute die Möglichkeit, das gesamte Leben zurück
ins Quartier zu bringen. Vorne wohnen, hinten arbeiten: Selbst die
Rückkehr der Industrie ist im digitalen Zeitalter möglich. Wir sehen
aber immer noch die funktionale Stadt. Dort das Einkaufszentrum,
da die Fabrik, dort das Wohnquartier. Alle fahren nur hin und her.
Hinzu kommt noch die Trabantensiedlung, in der Familien wohnen,
die das in der Stadt nicht mehr können. Das sorgt für diesen immensen Verkehr. Das sind alles geronnene, funktionalistische Konzepte. Die moderne Stadt kann das wieder zusammenfassen und
neu gestalten.
Die sicherlich – ortsunabhängig – Interessenkonflikte bergen.
„Es geht nur über
gute Argumente
und gegenseitiges Verstehen.
Der Druck ist da.“
Burmeister: Es kann nur funktionieren, wenn man die Logik der
Akteure versteht – deshalb auch
die Befragung. Man muss die
Menschen mitnehmen. Und dann
können alle an neuen Lösungen
mitarbeiten, die immer ein Kompromiss sein werden. Es geht nur über gute
Argumente und gegenseitiges Verstehen.
Der Druck ist schließlich da.
Das zeigt sich vor allem im Einzelhandel.
Grosz: Das ist ein weiteres Ergebnis unserer Befragung. Mehr als
die Hälfte der Teilnehmer rechnen mit einer Verschlechterung
der Lage und sehen die Zukunft des städtischen Einzelhandels
besonders kritisch.
Burmeister: Wir müssen uns fragen, ob es bei der aktuellen Entwicklung ökonomisch sinnvoll ist, die hundertste Einkaufsmall zu
bauen, nur, weil sie günstig und schon so oder so ähnlich gebaut
wurde. Wir müssen etwas Neues probieren. Es ist schon möglich –
und wird künftig von den Kunden, die sich unterscheiden wollen,
erwartet –, dass sie ihre Waren mitkreieren können. Dann können
Einzelhändler nicht mehr in ihrer Schachtel sitzen. Ich möchte als
Verbraucher zum Beispiel wissen: Wie kann ich meine Wohnung gestalten? Von der Einrichtung über das Licht bis zum Ton. Das muss
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alles zusammenfließen. Aber wo ist das Angebot dazu? Die Malls
schaffen keine Vernetzung der Kompetenzen, sie liefern nur Raum.
Das betrifft aber sicherlich auch andere Branchen.
Burmeister: Richtig. Zum Beispiel die Automobilindustrie.
In Berlin wird jetzt „Local Motors“ einen Sitz aufmachen. Das ist
eine Firma aus den USA, die Autos einfach komplett ausdruckt.
Hier ist eine Revolution im Gange, die auf eine Shopping-Welt
trifft, die im 19. Jahrhundert stehen geblieben ist. Nach der Gründung des Kaufhauses „Le Bon Marché“ Mitte des 19. Jahrhunderts in
Paris hat der Handel keine Innovationen mehr geleistet. Es ist kein
Wunder, das hat unsere Expertenbefragung deutlich gezeigt, dass
eine tiefe Krise des Einzelhandels erwartet wird. Wir müssen lernen,
in komplexen Zusammenhängen zu denken, und dafür neue Produkt- und Angebotswelten schaffen, die auf der Höhe der Zeit sind.
Wie optimistisch sind Sie?
Burmeister: Sehr optimistisch, trotz der Komplexität. Die Umfrage
ist ganz gut, um zu zeigen: Wir wissen eigentlich um die Probleme,
aber was fehlt, ist gemeinsam weiterzudenken sowie Lösungen zu
entwerfen und vor allem zu erproben.
Grosz: Deshalb muss man die Menschen zusammenbringen. So
funktioniert Planung. Das ist die neue Wirklichkeit. Und wo, wenn
nicht in der Stadt, hat man dazu die Möglichkeiten. Kommunikation
ist die wichtigste Voraussetzung für jede nachhaltige Innovation.
Das Gespräch führte Björn Larsen
Grosz empfiehlt ...
Fünf Bücher, die Impulse für eine zukunftsfähige und lebenswerte Stadt geben
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Auf dem Weg zur
Stadt als Campus
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Sally Below, Reiner Schmidt, Jovis-Verlag 2014
Auf dem Weg zur Stadt als Campus entstehen innovative Gestaltungsmöglichkeiten und kooperative Verantwortungsgemeinschaften. Dieses Handbuch verknüpft
den konzeptionellen Ansatz mit Beispielen
aus ganz unterschiedlichen Städten.
>> Architektur
im Kontext
>> Das Urbane
Christopher Dell, Jovis-Verlag 2014
Leben
zwischen Häusern
Jan Gehl, Jovis-Verlag 2012
Architekt und Stadtplaner Jan Gehl erläutert das Zusammenspiel der physischen
Umgebung mit Aktivitäten im öffentlichen
Raum. Dabei macht er deutlich, dass
Stadtplanung Verantwortung für die Lebensqualität in unseren Städten trägt.
>> Die Welt als Stadt
Kai Vöckerl, vice versa Verlag 2014
Kay von Keitz, Sabine Voggenreiter (Hg.), Jovis-Verlag 2014
International arbeitende Architekten,
Planer und Kulturtheoretiker beschreiben und analysieren alternative Strategien des Städtebaus.
Vergangene Epochen glaubten zu
wissen, was Stadt ist. Diese Sicherheit ist weg. Doch dieser Verlust
könnte sich als Gewinn herausstellen.
Ein Buch, das die Trance der Stadt
neutralisiert. Es vergegenwärtigt die
kreative Triebkraft dieses Gebildes,
das Traumfabrik und Moloch ist.