Ein Blick über die Grenzen

OFFENER
BRIEF
Ein Blick über die Grenzen
U
ntenstehenden Offenen Brief erhielt die Österreichische
Ärztekammer Ende März. Auch die Antwort der ÖÄK wollen wir Ihnen nicht vorenthalten (siehe nächste Seite).
Die Antwort von Präsident Reisner auf diesen Brief wäre wesentlich kürzer und klarer ausgefallen:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Die angespannte Situation der Wiener Spitalsärzte ist eine Folge des
Versagens der Politik, die ein seit 2003 bestehendes
EU-Gesetz nicht umgesetzt hat. Wien hat meine volle Unterstützung.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. Christoph Reisner
Offener Brief – Verantwortungsvolle Gesundheitspolitik im Interesse der Patientinnen und Patienten
Sehr geehrter Herr Präsident Dr. Wechselberger!
Das österreichische Gesundheitssystem zeichnet sich durch eine umfassende Gesundheitsversorgung auf höchstem Niveau aus – mit einer sehr guten Verfügbarkeit und Zugänglichkeit zu medizinischen Leistungen und hohen Qualitätsstandards. Darauf kann Österreich zu Recht stolz sein.
Als Verantwortungsträger sind wir einer nachhaltigen Absicherung unseres solidarischen Gesundheitssystems trotz steigendem Kostendruck verpflichtet. Mit der Gesundheitsreform haben wir daher Schritte gesetzt, um die Leistungen für die
Menschen auszubauen und das System finanzierbar zu halten. Beispielsweise seien hier erste Pilotprojekte auf Basis des
beschlossenen Konzepts zur Stärkung der Primärversorgung, eine österreichweite Gesundheitsförderungsstrategie inklusive der dafür notwendigen Finanzierung, die Gratiszahnspange für Kinder und Jugendliche bei Behandlungsbedürftigkeit
sowie die Vereinbarung zum Ausbau der Kinderrehabilitation genannt.
Die gegenwärtigen Aussagen von einigen Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft rund um die aktuellen Auseinandersetzungen zu Arbeitsbedingungen von Spitalsärztinnen und Spitalsärzten, zu drohenden Leistungseinschränkungen und
Versorgungsengpässen tragen dazu bei, den Menschen das Gefühl zu geben, dass dieses sehr gute Gesundheitssystem in
Gefahr sei. Das entspricht nicht den Tatsachen.
Als Verantwortungsträger in der österreichischen Gesundheitspolitik weisen wir Verhaltensweisen, die geeignet sind, das
Vertrauen der Patientinnen und Patienten in das Gesundheitssystem zu schwächen und den eingeschlagenen Reformkurs
zu gefährden, entschieden zurück!
Verantwortungsvolle Gesundheitspolitik bedeutet, sich im Sinne der Patientinnen und Patienten für die nachhaltige Absicherung des Gesundheitssystems und den Ausbau der Gesundheitsversorgung einzusetzen. Als Partner der Gesundheitsreform
werden wir daher auch weiterhin zum Wohle der Patientinnen und Patienten engagiert an der Umsetzung der Gesundheitsreform arbeiten.
Wir appellieren eindringlich an Sie als Präsident aller Ärztinnen und Ärzte Österreichs, die konstruktiven Kräfte zu stärken,
gemeinsam mit uns jenseits von Berufs- und Standesinteressen an diesem gesundheitspolitischen Ziel zu arbeiten und
die Interessen der Ärzteschaft verantwortungsvoll einzubringen – zum Wohle der Patientinnen und Patienten und auch im
Interesse der vielen tausenden Ärztinnen und Ärzte, die täglich um das Wohl und die Gesundheit der Menschen kämpfen.
Bundesministerin Dr.in Sabine Oberhauser Bundesminister Dr. Hans-Jörg Schelling Bundesminister Rudolf Hundstorfer
Landeshauptmann Dr. Josef Pühringer
Stadträtin Mag.a Sonja Wehsely
Landesrat Dr. Christian Bernhard
Landesrat Dr. Peter Rezar
Mag. Peter McDonald, Vorsitzender HVB Mag.a Ingrid Reischl, Obfrau WGKK
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CONSILIUM 04/15
OFFENER
BRIEF
Sehr geehrte Frau Bundesministerin!
Sehr geehrte Herren Bundesminister!
Sehr geehrter Herr Landeshauptmann!
Sehr geehrte Damen und Herren! Wien, 25.3.2015
Den an mich gerichteten offenen Brief beantworte ich aufgrund der Betroffenheit der gesamten österreichischen Ärzteschaft gemeinsam mit den Präsidenten aller Landesärztekammern und den beiden Bundeskurienobmännern der Österreichischen Ärztekammer.
Völlig zu Recht stellen Sie die besondere Qualität der österreichischen Gesundheitsversorgung in den Mittelpunkt lhres
Schreibens. Dies ist auch unser höchstes Ziel, waren es doch in erster Linie die Angehörigen der Gesundheitsberufe, insbesondere die Ärztinnen und Ärzte, die in den letzten Jahrzehnten ganz wesentlich am Aufbau und an der Entwicklung dieses
international führenden Versorgungssystems mitgearbeitet haben.
Wie verletzbar dieses System allerdings mittlerweile geworden ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass bereits die seit
mehr als 10 Jahre überfällige Umsetzung von europäischen Standards des Arbeitnehmerlnnenschutzes im Bereich der
Spitalsärztinnen und -ärzte in Österreich zu spürbaren Engpässen führt. Lediglich beispielshaft seien eine dünne Personaldecke, reformbedürftige Arbeitsbedingungen, die laufende Arbeitsverdichtung sowie zunehmende Wartezeiten für Patientinnen und Patienten genannt.
Gleichzeitig rächt sich jetzt der jahrelang verschleppte Ausbau des niedergelassenen Bereichs. Die versäumte Anpassung
der Kassenarztstellen an die demografischen Verhältnisse bringt es mit sich, dass die niedergelassenen Vertragsärztinnen
und -ärzte die Betreuung der aus den Ambulanzen ausgelagerten Patientinnen und Patienten nicht zusätzlich übernehmen
können.
Die Versorgungssituation insgesamt wird dadurch verschärft, dass gleichzeitig zusätzliche Herausforderungen zu bewältigen sind: Die Alterung der Bevölkerung, eine zu erwartende Pensionierungswelle in der Ärzteschaft, die Feminisierung des
Arztberufes und die Emigration von Jungärztinnen und -ärzten ins Ausland seien als Beispiele angeführt.
Angesichts dieser Aufgabenfülle ist es nicht hilfreich, Ärztinnen und Ärzten, die auf nachweisbare Fakten hinweisen, Verunsicherung der Bevölkerung vorzuwerfen. lnsbesondere dann nicht, wenn es sich um Persönlichkeiten handelt, die sich aus
ihrer beruflichen Erfahrung und ihrer Verantwortung für die Versorgung der Bevölkerung zu Wort melden. Wir verwehren
uns gegen Ermahnungen und Schuldzuweisungen öffentlicher Verantwortungsträger, die Frustrationen bei den ohnedies bis
an die Grenzen des Möglichen arbeitenden Ärztinnen und Ärzten auslösen.
Vielmehr sollte es unsere gemeinsame Aufgabe sein, messbare Fakten objektiv zu bewerten und konstruktive Lösungen
zu erarbeiten. Es ist nicht nur das Recht, sondern die Pflicht einer ärztlichen Standesvertretung, auf drohende Leistungseinschränkungen und auf eine potentielle Verschlechterung in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung rechtzeitig
hinzuweisen.
Für diesen Weg stand und steht die österreichische Ärzteschaft. Das setzt aber voraus, der Realität ins Auge zu sehen,
kritikfähig zu sein und offen liegende Probleme nicht schön zu reden. Wir sehen uns im Einklang mit der österreichischen
Bevölkerung und wollen in deren Interesse auch in Zukunft an der Sicherung des hohen Standards der Versorgung konstruktiv mitarbeiten.
Hochachtungsvoll
Präsident Dr. Karl Forstner, Ärztekammer Salzburg Präsident Dr. Josef Huber, Ärztekammer Kärnten
Präsident Dr. Michael Jonas, Ärztekammer Vorarlberg Präsident Dr. Michael Lang, Ärztekammer Burgenland
Präsident Dr. Herwig Lindner, Ärztekammer Steiermark Präsident Dr. Peter Niedermoser, Ärztekammer OÖ
Präsident Dr. Christoph Reisner, MSc, Ärztekammer NÖ
Präsident Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres,
Ärztekammer Wien
Dr. Harald Mayer, BKO der angestellten Ärzte und Vizepräsident der ÖÄK
Dr. Johannes Steinhart, BKO der niedergelassenen Arzte und Vizepräsident der ÖÄK
Dr. Artur Wechselberger, Präsident der Ärztekammer Tirol und der ÖÄK
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