PLAY: Death [I] SPIEL MIR DAS SPIEL VOM TOD Text: Ruth Fend – Business Punk — 112 112-113 FOTO: PAUL PACITTI Beerdigungen könnten so viel schöner sein, wenn die Leute vorher über ihr Ableben gesprochen hätten. RE.DESIGNING DEATH will mit diesem Tabu brechen. Den Auftakt macht: ein Gesellschaftsspiel m großen Auditorium der Innovationskonferenz Lift turnen wieder irgendwelche Gründer über die Bühne. Zwei oder drei Typen in den immer gleichen Hoodies, dazu die immer gleichen Konferenz-Introbeats, irgendeine neue App, absolut „Aaaaaaawesome“ natürlich. Nur einen Raum weiter, eine andere Welt: Hier geht es nicht um Bumbumhey, sondern um Begräbnismusik. Oder vielmehr die Frage, welchen Song Yoshiko Kurisaki für die Gäste ihrer Beerdigung wohl aussuchen wird. „Japanische Folklore“, da ist sich die Runde einig. Kurisaki schüttelt den Kopf und wundert sich. Das Japanische könne ihr gestohlen bleiben. Lediglich „serene“, also ruhig, heiter, soll es zugehen, wenn sie in die Erde abgesenkt wird. Und da kein Mitspieler richtiglag, kriegt eben niemand ihre Karte. Gespannt beobachten Virginie Gailing und Lea Gscheidel, wie fünf einander vor wenigen Minuten noch unbekannte Menschen Fragen nach dem passenden Beerdigungssoundtrack erörtern. Oder was einem im Alltag die eigene Sterblichkeit deutlicher vor Augen führt – Fotos verstorbener Verwandter oder Medikamentenbeipackzettel? Es entbrennen teils wilde, teils humorvolle, teils nachdenkliche, dabei ziemlich intime Diskussionen. Und das um ein Thema, über das sonst selbst enge Freunde und Familien kaum sprechen: wie man es eigentlich mit dem Tod und allem drumherum hält. Genau das ist Bube, Dame, Sarg der Sinn des Spiels, Per Kartenspiel das die beiden Mittwollen Innovations dreißigerinnen entdesignerin Virginie wickelt haben: GaiGailing (l.) und ling und Gscheidel Bestatterin Lea Gscheidel, hier in wollen das Tabutheihrer Pop-up-Kabine, ma Sterben aufknaden Tod enttabu cken, das Trauern isieren. Sie bilden neu erfinden – und die Speerspitze der nebenbei eine der Re.Designing-Deatherstarrtesten BranBewegung (#redeath) chen überhaupt aufmischen: die Bestattungsindustrie. „Es ist ein Abenteuer“, frohlockt Gailing. Am Anfang des Abenteuers stand für die Pariserin ein Schock: die Beerdigung ihrer Patentante 2007: „Sie war eine kultivierte Frau, hatte Geld, mit der Kirche nichts am Hut – und dann war das eine Zeremonie wie im 19. Jahrhundert!“, empört sich Gailing noch heute. Sterbenslangweilig, steif, unpersönlich. Gailing arbeitet für die Marketingberatung Point-Blank International in Berlin. Darin hat sie The Cookery gegründet, eine Brutstätte für unkonventionelle Ideen. Findet sie etwas spannend, kritzelt sie das Gehörte gleich in Form kleiner Cartoons mit einem Digitalstift in ihr Tablet – darunter diverse Konzepte rund um den Tod. Und doch schwant ihr: „Die Bestattungsindustrie wird sich nie ändern.“ Weil Angehörige schnell handeln müssen, überfordert sind – und deshalb immer wieder beim Standardpaket landen. „Für Designer ist das abstoßend“, wettert Gailing. „ BESTATTER WERDEN SICH NIE ÄNDERN “ Also reift in ihr ein Plan. Schon länger möchte sie einmal selbst etwas neu erfinden, statt immer nur Probleme der Kunden zu lösen. „How to successfully launch a product in the face of cultural taboos?“ lautete beispielsweise einmal der Auftrag der Käsestangenmarke Cheestrings. Gailing entwickelt die Fragestellung weiter: Was, wenn das Produkt Tod heißt? Point-Blank-Mitgründerin und Ethnologin Dörte Töllner, Gailing zufolge ein „empathischer Wissensfreak“ und selbst „sehr am Sterbeprozess interessiert“, springt sofort darauf an. Das Projekt bekommt einen Namen: Re.Designing Death. Eine Kooperation mit der schottischen Universität Dundee wird angeschoben. Designethnografie-Studenten führen Interviews zum Thema – und halten Ausschau nach Geschäftschancen. „Wir sagten uns: Wir wollen diesen Wandel herbeiführen, aber möglichst nicht gratis.“ Lea Gscheidel treiben zur gleichen Zeit ähnliche Fragen um. Die 33-jährige Fränkin ist Tochter eines Bestatters. In früheren Leben war der Vater schon Sozialpädagoge, Astrologe und Magazinverleger. Ins Trauergeschäft stieg er erst ein, als Gscheidel 18 Jahre alt war. Vorausgegangen war der Tod ihres Großvaters. Da lief das nämlich so ab: Besuch beim Bestatter, Gespräch, zwei Stunden später kommt der Vater mit gedruckten Einladungen in frankierten Umschlägen raus. „Von einem Servicegedanken her war es richtig geil organisiert. Ein gut designtes Produkt. Aber das ist nicht das, was dir in dem Moment hilft“, so Gscheidel. Das habe „null“ mit ihrem Opa zu tun gehabt. Bei Charon, dem Bestattungsgeschäft, das ihr Vater aus dieser Erfahrung heraus gründete und in das die Tochter eingestiegen ist, läuft es anders ab. Die meisten der Charon-Kunden überlassen die Feier nicht einfach einem Priester, sondern sprechen bei der Zeremonie selbst über den Verstorbenen. Überproportional viele von denen sind jung. Im Trauer-Biz heißt das: unter 50. STERBEN GEHT NICHT PER APP Wie Gailing hat sich auch Gscheidel Gedanken gemacht, wie man dafür sorgen könne, dass der letzte Weg mehr nach dem eigenen Geschmack ausfällt. Als Erstes denkt sie, natürlich, an eine App. Ein Programm, in dem Leute ihre Vorstellungen und Wünsche festhalten können. Aber die digitale Lösung, stellt sie rasch fest, ist in dieser existenziellen Frage eben keine. Erstens: Selbst mit der besten App würde sich der Prozess anfühlen wie Arbeit, wie das Ausfüllen von Formularen. Zweitens: „Man kann seine Wünsche registrieren, hat aber keinen Machbarkeitscheck“, sagt Gscheidel. Nicht alle Beerdigungsformen sind legal, ein Gesetz oder die eigene Situation könne sich ändern. Drittens: Wenn man nicht vorher darüber spricht, stehen die Angehörigen beim Auffinden der Wünsche einer wahren Informationsexplosion gegenüber. „Sie haben keine Chance mehr, darauf zu reagieren und den Verstorbenen zu fragen, warum er etwas will oder ob es nicht vielleicht einen dritten Business Punk — 113 15.04.15 18:16 PLAY: Death „ICH FINDE DEN TOD SO CREEPY WIE ALLE ANDEREN“ Grabstein? Baum! Jetzt, Dann, Jenseits, Dazwischen Die vier Karten kategorien von „Death – A Con versation Game“ legen nahe, dass das Leben nur ein Stadium von vielen ist Business Punk — 114 114-115 Vom Tod lernen Als Designerin ist Virginie Gailing gewohnt, sämtliche Infos zu visualisieren. Mit Anthro pologin Inga Treitler hat sie die Ergebnisse der Studenten recherchen zum Umgang mit dem Tod in die Comic-Reihe „Learnings from Death“ (u. l. und o. r.) verarbeitet FOTOS: PAUL PACITTI , INFOCAPSULA Weg gibt, mit dem sich alle wohlfühlen.“ Ihr Fazit: „Eine App würde das eigentliche Problem nicht angehen: dass wir eben nicht darüber reden.“ Gscheidel und Gailing reden sehr viel darüber, als sie sich auf der Berlin Design Week 2014 das erste Mal treffen. Irgendwann kommen sie zum Schluss: Die Sprachlosigkeit lässt sich am besten mit einem ganz analogen Gesellschaftsspiel überwinden. Sie taufen es „Death – A Conversation Game“. Dafür braucht es nur einen Tisch, um den sich Familie oder Freunde versammeln. Und 64 blau-weiße Karten mit Fragen aus vier Kategorien: „Then“ (die Zeit nach der Beerdigung), „Now“ (das Leben vor dem Tod), „In Between“ (zwischen Tod und Beerdigung) und „Beyond“ (die Metaebene, Fragen wie „Was ist der Sinn des Lebens?“ eingeschlossen). Die Regeln sind simpel: Spieler A zieht eine Karte, etwa: „Was am Tod macht mir am meisten Angst?“ Jeder Einzelne muss raten, wie A wohl darüber denkt, und notiert die Antwort. Dann werden alle Antworten vorgelesen. Wer am nächsten an As Vorstellung lag, gewinnt die Karte, und der Nächste ist dran. Eine denkbar schlichte Mechanik, aber eine effektive: Nach jedem Kärtchen haben alle sehr schnell sehr viel über den anderen gelernt. Oder sich selbst zum ersten Mal Gedanken über die Frage gemacht. „Jede Gruppe hat eine ganz besondere Dynamik“, sagt Gailing. Ein Architekt habe plötzlich unvermittelt gerufen, er müsse jetzt seine Mutter anrufen. Hier, bei der Lift-Konferenz in Genf, geht es an einem ausschließlich mit Franzosen und Westschweizern besetzten Tisch bierernst und philosophisch zu. Die Mitspieler der Japanerin Yoshiko Kurisaki hingegen witzeln und wetteifern, wer die meisten Karten einheimst – mit eigenartigen Nebenwirkungen: „Oh Mann, irgendwie mag ich euch plötzlich alle so!“, platzt es aus einer Mitspielerin nach zwei Runden heraus. Alle lachen, als die Deutsche die Frage auflöst, was mit ihren Social-Media-Profilen nach dem Tod passieren soll: „I don’t care.“ Mit rund 100 Leuten haben Gailing und Gscheidel ihren Spielprototyp nun getestet. Für die Konferenz wurde dazu extra eine Installation aufgebaut: eine Pop-up-Kabine, die wie ein großmütterliches Wohnzimmer eingerichtet ist. Immer wieder tapsen Neugierige hinein. Viele erst scheu – und können dann kaum aufhören, weitere Karten zu ziehen und sich mit Wildfremden über ihr Innerstes auszutauschen, als wäre nichts dabei. „Als wir nach provokanten Vokabeln für das Thema gesucht haben“, sagt Gscheidel, „meinte jemand: ‚normal‘.“ Ihr Spiel setzt darum nicht auf morbide Faszination. Damit könne sie ohnehin nichts anfangen. Sterben finde sie „so creepy wie alle anderen“. Aber dass sie sich permanent damit beschäftigt, habe ihr Verhältnis zum Leben verändert. „Es hat eine klärende Wirkung und hilft mir, bessere Entscheidungen zu treffen“, sagt Gscheidel. „Damit Neues entstehen kann, muss etwas Altes verschwinden“, sagt sie lachend. Die Ewigkeit ist der größte Innovationskiller. DER TOD UND DER RATENKREDIT Aus Gesprächen mit Kunden weiß Gailing, dass ein entkrampfter Umgang mit dem Thema Tod auch für Unternehmen verheißungsvoll ist. Denn es kriecht ja doch immer wieder in den Berufsalltag – aber niemand traut sich, es anzufassen. Nicht einmal Lebensversicherern fällt es leicht, den Ernstfall klar mit Kunden durchzudeklinieren. Von Bankern, die eine Hypothek aufs Eigenheim vermitteln („Und was passiert im Todesfall?“) ganz zu schweigen. Deshalb fragt Gailing sich auch: „Wie können wir Bankern helfen, über den Tod zu sprechen?“ Denn Point-Blank will mit Re.Designing Death ja auch irgendwann Geld verdienen. „Wenn sie erst einmal untereinander in Workshops spielen, würden sie sich mit dem Thema schon wohler fühlen“, sagt Gscheidel. „Das könnte sich dann auf den Kunden übertragen.“ Die Bestatterin hat neben Anregungen für den Fragenkatalog des Spiels auch noch jede Menge Infos über den Die italienischen Designer Anna Citelli und Raoul Bretzel haben als Sargersatz die Capsula Mundi entwickelt: eine eiförmige, biologisch abbaubare Schale, über die ein Baum gepflanzt wird. Die Leiche liegt wie ein Embryo und dient als Nährstoffquelle. Aus Friedhöfen voll toter Steine sollen lebendige Wälder werden – wenn eines Tages die italienischen Gesetzgeber mitspielen Ablauf des Bestattungsprozederes geliefert. Für Re.death zeichnete Gailing daraus eine riesige Cartoon-Infografik – und erkennt, dass eine Feuerbestattung doch nicht die von ihr angestrebte ökologisch verträglichste Option ist. „Na ja, das setzt halt sehr viele CO2-Emissionen frei“, sagt Gscheidel. „Vielleicht wäre alkalische Hydrolyse was für dich.“ Alkalische was? Gscheidel: „Der Körper wird in einer starken Lauge aufgelöst – das ist in Deutschland allerdings noch nicht erlaubt.“ „Hm, ich mag auch die Vorstellung von Urban Gardening. Dass die Kräuter noch was von meinem Körper haben. Aber dafür muss man sehr flach verbuddelt sein, oder nicht?“, überlegt Gailing weiter. „Tiefer unten haben immerhin Bäume was davon“, doziert Gscheidel. „Dann dauert nur die Verwesung länger.“ Für die Gestaltung einer Trauerfeier rät Gscheidel übrigens, sich zu überlegen, wie eine Geburtstagsfeier für den Verstorbenen aussehen würde – ein stinknormales Familienfest. Das trifft sich für Gailing: Auf ihrer To-do-Liste steht immer noch, endlich einmal „Death“ mit der Familie zu spielen. „Morgen hat meine Schwester Geburtstag, da kommen alle zusammen.“ Dass der Vorschlag, ausgerechnet am Geburtstag die Beerdigung durchzuspielen, die Verwandten irritieren könnte, fürchtet Gailing nicht: Ihre Schwester ist schließlich die Architektin der Pop-up-Kabine. Business Punk — 115 15.04.15 18:16
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