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EXPERTEN
Er hat eine Formel für nachhaltiges Wirtschaften
entwickelt. HOLGER ROGALL erklärt im Gespräch,
wie sie wirkt
INTERVIEW Sabine Hölper
FOTOS Georg Moritz
HOLGER ROGALL lehrt
seit 1996 Nachhaltige
Ökonomie an der Hochschule für Wirtschaft und
Recht (HWR) in Berlin.
Der Professor ist ferner
Initiator des Netzwerks
Nachhaltige Ökonomie,
Vorsitzender der Gesellschaft für Nachhaltigkeit
und Herausgeber des
»Jahrbuch Nachhaltige
Ökonomie«.
Was bedeutet Nachhaltige Ökonomie?
Nachhaltige Ökonomie ist eine Wirtschaftslehre,
die für alle Menschen, die jetzt leben und noch
geboren werden, ausreichend hohe Standards in
puncto Ökologie und Ökonomie sowie im Sozialkulturellen anstrebt. Wohlgemerkt nur in den
Grenzen der natürlichen Tragfähigkeit.
Wo genau verlaufen diese Grenzen?
Vorweg: Natürliche Grenzen können nur festgelegt werden, wenn die Menschheit bereit ist,
ethische Grundwerte zu akzeptieren. Der ethische Grundwert ist: Künftige Generationen sind
genauso wertvoll wie die gegenwärtige. Damit
haben Gegenwärtige nicht das Recht, etwas zu
verbrauchen, was die Künftigen ebenso benötigen wie wir. Bei den erneuerbaren Ressourcen wie Wäldern, Wasser oder Fischen ist
die Grenzziehung damit ganz einfach:
Wir müssen die Regenerationsrate einhalten. Anders ist es bei fossilen Energieträgern und metallischen Rohstoffen. Die gibt es nur einmal auf der
Erde. Also muss der Ressourcenverbrauch Jahr für Jahr gesenkt werden,
und zwar so weit, dass der Stoff niemals ausgehen wird.
Ist das Wachstumsparadigma, das in
der Wirtschaft vorherrscht, obsolet?
Das Wachstumsparadigma, wie es heute angestrebt wird – also ein ewiges, stetiges Wachstum – ist obsolet. Denn auf
einer begrenzten Welt kann der materielle Ressourcenverbrauch nicht unendlich
wachsen. Andererseits ist die Forderung
nach einer Schrumpfung auch problematisch. Das sieht man an Griechenland, Portugal oder Spanien. In einer Demokratie
gibt es für bewusstes Schrumpfen keine
Akzeptanz. Wenn aber beides nicht geht,
24 | TAGESSPIEGEL KÖPFE
FOTOS Georg Moritz (2)
» DER MENSCH
IST KEIN HOMO
OECONOMICUS «
Herr Rogall, was ist in der Ökonomie State of the
Art und was daran gefällt Ihnen nicht?
Die heutigen wirtschaftsliberalen Schulen beruhen auf Modellen, die in der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts entstanden sind. Diese Modelle
besagen, dass der Mensch ein Homo oeconomicus ist, der immer nur an seinen eigenen Nutzen denkt und rational handelt. Aber so ist der
Mensch bewiesenermaßen nicht. Der Mensch
reagiert unterschiedlich. Er ist ein Homo heterogenus. Die Nachhaltige Ökonomie baut auf diesem Menschenbild auf und fordert ein nachhaltiges Wirtschaften.
wo ist dann der Weg? Als ich bei dieser Frage
angelangt war, habe ich die ökologische Formel
für nachhaltiges Wirtschaften entwickelt.
Wie lautet sie?
Sie lautet: Delta BIP muss kleiner Delta Ressourcenproduktivität sein.
Können Sie das bitte erläutern?
Die Formel besagt, dass man Jahr für Jahr weniger Ressourcen verbraucht und trotzdem mehr
produziert, allerdings begrenzt und nur in ausgewählten Bereichen. Ein Beispiel verdeutlicht
das: Angenommen, man kann 100 Paar Schuhe
mit 100 Einheiten Energie herstellen. Bei einer
Ressourcenproduktivitätssteigerung von zehn
Prozent kann man 105 Paar Schuhe mit 95 Einheiten Energie herstellen. Ein Jahr später 110 zu
90 und so fort. Entscheidend ist, dass die Ressourcenproduktivität schneller wächst als das
Bruttoinlandsprodukt.
Und das funktioniert?
Ja. In Deutschland wurde die – ironisch formuliert – Rogallsche Weltformel in den letzten 20
Jahren im Durchschnitt eingehalten. Allerdings
nur, weil Deutschland im Schnitt gut zwei Prozent Ressourcenproduktivitätssteigerung pro
Jahr erreichte und die Wachstumsrate darunter
lag. Bei einer Wachstumsrate von vier Prozent
– und diese Größenordnung fordern die meisten
Ökonomen – kann die Formel nicht eingehalten werden. Daraus folgt die erste Bedingung:
Wir müssen ein moderates Wachstum anstreben, kein maximales. Zweite Bedingung: Es muss
ein selektives Wachstum sein. Da, wo der Ressourcenverbrauch hoch ist, etwa bei Aluminium oder Stahl, muss das Wachstum sehr niedrig
sein. Wo der Verbrauch gering ist, zum Beispiel
bei Dienstleistungen, kann es höher sein.
Das schreit geradezu nach Regulierung ...
Kein schönes Wort, aber damit die Senkung
des Resourcenverbrauchs gelingt, empfehle ich
zum Beispiel, dass das statistische Bundesamt
den Ressourcenverbrauch misst und alle Ressourcenkategorien, bei denen die Formel nicht
eingehalten wird, mit einer Abgabe belegt.
Was muss die Politik tun?
Die Regierung muss sozial-ökologische Leitplanken verabschieden, die dafür sorgen, dass Produzenten und Konsumenten umweltschonende
Produkte herstellen beziehungsweise kaufen.
Sie könnte, wie in Großbritannien, Treibhaus-
gase mit einer Schadstoffsteuer belegen, so dass
Kohlestrom teurer wird und so die Emissionen
zurückgehen. Ferner müsste die Politik die Hersteller verpflichten, ihre Produkte zurückzunehmen und zu verwerten. Für die Nutzung neuer
Ressourcen müssten die Unternehmen eine Abgabe zahlen, für recycelte Materialien keine. Ich
kann mir auch einen globalen Zertifikatehandel
vorstellen, etwa so: Pro Jahr dürfen weltweit x
Tonnen Kupfer verarbeitet werden, und jedes
Jahr wird die Menge nach unten korrigiert. Wer
Kupfer nutzen will, muss Zertifikate erwerben
– die immer knapper und damit teurer werden.
» WIR
MÜSSEN EIN
MODERATES
WACHSTUM
ANSTREBEN,
KEIN
MAXIMALES «
HOLGER ROGALL
Wann wird Ihre Utopie Realität sein?
Derartige Fortschritte benötigen Jahrzehnte,
müssen aber jetzt begonnen werden. Unternehmen und Politiker müssen begreifen, dass sie in
50 Jahren nur noch wirtschaften können, wenn
sie heute verantwortlich handeln und die Wirtschaft nachhaltig umbauen.
Da müssen aber dicke Bretter gebohrt werden.
Schon deshalb, weil Aktiengesellschaften dem
Shareholder Value verpflichtet sind. Es müsste
also auch das Aktiengesetz geändert werden.
Es gibt schon heute vielversprechende Ansätze in
der Wirtschaft. Shareconomy zum Beispiel. Ist
die Wirtschaftsform des Teilens nicht nachhaltig?
Shareconomy ist ein positives Beispiel dafür,
dass Höher, Schneller, Weiter nicht glücklich
macht. Aber als Lösung aller Probleme dient
der Tausch natürlich nicht. Wichtiger ist, die
gesamte Wirtschaft nachhaltig umzubauen.
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