Rede Minister Jäger im Landtag zum Antrag Flüchtlinge - MIK NRW

Rede von
Minister Ralf Jäger MdL
TOP 3, Anträge von den Fraktionen der SPD/Grünen, FDP und
Piraten, zum Themenkomplex
"Flüchtlingspolitik"
Plenarsitzung am 5. November 2014
in Düsseldorf
— Es gilt das gesprochene Wort —
Anrede,
3 Anträge, von 4 Fraktionen gestellt - man
könnte
den
Flüchtlingsfrage
Eindruck
entwickle
gewinnen,
sich
zu
politischen Zankapfel.
Das ist - glücklicherweise - nicht der Fall.
die
einem
2
Denn wer den gemeinsamen Antrag von SPD
und Grünen, wer die Anträge von FDP und
Piraten genau liest, der erkennt schnell:
In der Sache, in der Zielrichtung sind wir uns
einig:
Wir brauchen eine neue Flüchtlingspolitik! Wir
brauchen sie in NRW, wir brauchen sie auch im
Bund und wir brauchen sie europaweit.
Herr Laschet, gedanklich zähle ich auch Sie
dazu, wenn ich von „uns“ und von „wir“ spreche.
Auf
dem
Flüchtlingsgipfel,
Ministerpräsidentin initiiert
den
die
hat und dessen
Ausgang von allen Seiten gelobt wurde, habe
3
ich
Sie
ebenfalls
als
einen
Teilnehmer
empfunden, der die Sache in den Vordergrund
stellt.
In der letzten Woche lese ich dann:
„Laschet kündigt Konsens zur Flüchtlingspolitik
auf“.
Man kann einer Opposition nicht vorwerfen,
gegen Pläne einer Regierung zu sein - das will
ich auch gar nicht.
Mich
hat
Ihre
180-Grad-Wende
dennoch
überrascht, Herr Laschet. In ihrem Tempo, aber
auch in ihrer Vehemenz.
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Ich hoffe darauf, dass Sie sich am konstruktiven
Dialog, den wir als Landesregierung ganz klar
anbieten, weiterhin beteiligen.
Anrede,
der Flüchtlingsgipfel in Essen war gleich in
mehrfacher Hinsicht ein Erfolg:
Zum einen, weil wir einen klaren, einen
eindeutigen
Paradigmenwechsel
vollzogen
haben:
Wir nehmen jetzt und in Zukunft die Situation
aus dem Blickwinkel der Flüchtlinge wahr.
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Wir unterstützen ein Mehr an menschlicher
Zuwendung, fördern die individuelle Betreuung
und Qualifizierung.
Wir stellen fest, dass wir es mit einem neuen
Typ Flüchtling zu tun haben:
Die
Menschen,
die
aus
den
Bürgerkriegsgebieten zu uns kommen, die
Schutz
vor
Verfolgung
suchen,
werden
voraussichtlich lange bei uns bleiben.
Das heißt, wir müssen in dieser Konsequenz
das System der
Erstaufnahme völlig
neu
denken, es an diese veränderte Situation
anpassen und dafür sorgen, dass es auf Dauer
funktioniert.
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Es geht darum, mit allen Entscheidungsträgern,
mit einem breiten Bündnis aus Politik und
Zivilgesellschaft,
dieses
neue
System
zu
entwickeln und es mit Leben zu füllen.
Alle Vertreter der Kirchen und Verbände waren
sich einig: Der gemeinsame Weg ist der richtige
Weg.
Das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft der
Flüchtlinge in NRW.
Und es unterstreicht unser Selbstverständnis als
ein Land, das niemanden ausschließt - dies ist
die Willkommenskultur in NRW.
Anrede,
7
der Flüchtlingsgipfel war auch in anderer
Hinsicht ein Erfolg.
Denn
anders,
als
von
vielen
im
Vorfeld
angenommen, haben wir uns auf sehr konkrete
Maßnahmen verständigt.
Die
grundlegendsten
betreffen
die
Rahmenbedingungen:
Wir werden noch in diesem Jahr 1.800 neue
Plätze schaffen. Für das nächste Jahr planen
wir 2.500 neue Plätze. Diese Aufstockung ist
dringend erforderlich, denn der Bedarf wird
stetig zunehmen.
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Daneben verstärken wir das Personal bei der
Bezirksregierung Arnsberg deutlich: Neben den
bereits vorgesehenen 23 Stellen packen wir
noch einmal 21 Stellen oben drauf.
Weitere wichtige Maßnahmen, die wir auf dem
Flüchtlingsgipfel
insbesondere
vereinbart
der
haben,
Entlastung
dienen
unserer
Kommunen:
Als Landesregierung sind wir uns einig, dass wir
unsere Kommunen bei der Aufnahme und
Betreuung von Flüchtlingen nicht allein lassen
dürfen.
Deshalb
ist
Landespauschale
die
um
entscheidender Schritt.
Erhöhung
40
Mio.
unserer
EUR
ein
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Denn diese hohe, zusätzliche Summe ist eine
große Hilfe für unsere Kommunen, um vor Ort
menschenwürdige Strukturen vorzuhalten.
Zusätzlich richten wir einen Härtefallfonds in
Höhe von 3 Mio. EUR ein. Damit unterstützen
wir diejenigen Städte und Gemeinden, die
besonders
hohe
Krankheitskosten
oder
Pflegeaufwendungen leisten müssen.
Weiterhin werden wir uns auf Bundesebene
dafür einsetzen, dass Asylbewerber in die
Systeme des SGB II bzw. XII sowie in die
Krankenversicherungspflicht
werden.
Auch
das
würde
einbezogen
zu
deutlichen
Entlastungen auf kommunaler Ebene führen.
10
Anrede,
ich habe es eingangs schon einmal gesagt:
Neben dem Schutz, neben menschenwürdigen
Unterkünften, muss es mehr geben:
Menschlichkeit, Zuwendung.
Ein
Dach
über
dem
Kopf
ist
die
Grundvoraussetzung - unsere Flüchtlingspolitik
darf an diesem Punkt aber nicht aufhören. Wir
brauchen mehr individuelle Betreuung, und
weniger kollektives Verwalten.
Deshalb war es uns wichtig, in diesem Bereich
anzusetzen:
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Indem wir die soziale Beratung für Flüchtlinge
deutlich ausbauen. Bisher haben wir dazu eine
Summe von 3,5 Mio. EUR zur Verfügung
gestellt - diese Summe werden wir verdoppeln.
Diese soziale Beratung vor Ort ist immens
wichtig - die Kirchen und Verbände leisten hier
bereits wertvolle Arbeit, treten in den direkten
Dialog mit den Flüchtlingen.
Diese Arbeit können wir ihnen nicht hoch genug
anrechnen. Wir als Landesregierung wollen
dieses Engagement fördern.
Zur sozialen Beratung zählt auch ein neues,
strukturiertes
und
Beschwerdemanagement.
dezentrales
12
Mit
diesem
Instrument
sowie
mithilfe
der
eingesetzten Task-Force stellen wir sicher, dass
wir zukünftig schneller und umfassender über
Missstände informiert sind. Denn nur so können
wir mögliche Missstände auch beheben.
Anrede,
neben diesen Maßnahmen setzen wir einen
weiteren Schwerpunkt im Bereich Integration.
Wie ich bereits sagte:
Diese Menschen werden tendenziell länger bei
uns bleiben. Das heißt, wir müssen eine
Integration in unsere Gesellschaft ermöglichen,
sie fördern und erleichtern.
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Der Schlüssel dazu ist Bildung - das gilt vor
allem im schulischen Bereich. Wir setzen als
erste schulische Maßnahme ganz auf den
Erwerb der deutschen Sprache. Das kann nur
die
Basis
sein,
denn
ein
erfolgreicher
Schulbesuch setzt Sprachkenntnisse voraus.
Wir setzen uns aktiv dafür ein, Kinder von
Asylbewerberinnen und -bewerbern auch in den
schulischen Ganztag aufzunehmen.
Daneben müssen wir auch dafür sorgen, dass
ein Übergang von der Schule in den Beruf
gelingt. D.h., wir müssen Fördern, Fördern und
nochmal Fördern.
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Was den Zugang zum Arbeitsmarkt angeht,
sehe ich die Entwicklung auf Bundesebene als
positiven Ansatz:
Der
vom
Bundeskabinett
beschlossene
Gesetzentwurf soll einen schnelleren Zugang
ermöglichen,
Kräfte.
insbesondere
Wir
für
qualifizierte
werden
dieses
Gesetzgebungsverfahren im Bund interessiert
verfolgen und - wenn nötig - auch kritisch
begleiten.
Anrede,
ich betone es an dieser Stelle nochmals: Diese
Maßnahmen wurden von allen Seiten - von den
Kirchen, von den Verbänden und auch den
Fraktionen - ausdrücklich begrüßt.
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Und,
Herr
Stamp,
Ministerpräsidentin
auch
und
das
ich
haben
gesagt:
die
Der
Flüchtlingsgipfel war der Auftakt.
Sie sagen es in Ihrem Antrag ja selbst: Die
Ergebnisse sind ein erster wichtiger Schritt.
Jetzt geht es darum, aus diesen Ergebnissen
den nächsten Schritt zu wagen: Nämlich Taten
folgen zu lassen.
Vor der tatsächlichen Umsetzung steht dabei auch darin waren wir uns einig - der fachliche
Dialog mit den Kirchen und Verbänden.
Diesen
Dialog
wollen
wir
sachlich
und
konstruktiv führen - vor allem aber müssen wir
ein neues Konzept mit Sorgfalt, und nicht mit
der heißen Nadel stricken.
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Ich habe es eingangs bereits betont:
Aus den Anträgen von FDP und Piraten erkenne
ich,
dass
wir
in
der
Zielrichtung
nahe
beisammen sind, und es nur wenige Bereiche
gibt, in denen wir unterschiedlicher Meinung
sind. Das ist schon mal ein guter Anfang.
Und
auch,
wenn
in
Gesetzgebungsverfahren
den
kommenden
natürlich
auch
die
Anträge von FDP und Piraten berücksichtigt
werden, will ich an dieser Stelle ein paar Worte
zu Ihren Vorschlägen sagen:
Ein
Notfallkonzept,
das
die
FDP
fordert,
erarbeiten wir bereits, und zwar in enger
Abstimmung mit den betroffenen Akteuren.
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Wir
haben
uns
Landesregierung
bereits
auf
innerhalb
ein
der
Impfkonzept
verständigt, das die eindeutige Pflicht eines
Impfangebotes in den Einrichtungen vorsieht.
Ich gehe davon aus, dass dieses Konzept dazu
beitragen wird, die vorrübergehende Schließung
von Einrichtungen im Einzelfall zu verhindern.
Was die Forderung der Piraten nach dezentraler
Unterbringung betrifft:
Herr Hermann, wenn ich das richtig im Sinn
habe, ist diese Forderung bereits Gegenstand
eines
Antrags,
der
sich
aktuell
parlamentarischen Beratung befindet.
in
der
18
Ich will aber gerne erneut darauf hinweisen,
dass wir unseren Kommunen nicht vorschreiben
wollen, wie sie die Unterbringung vor Ort
organisieren müssen.
Damit
würden
wir
die
kommunale
Selbstverwaltung aushebeln, die in diesem
Punkt besonders wichtig ist:
Denn die örtlichen Gegebenheiten unserer
Kommunen sind in vielen Regionen nicht
einheitlich, sondern teils sehr unterschiedlich.
Anrede,
zum
Schluss
möchte
ich
einen
Bereich
ansprechen, der bisher nur teilweise anklang:
Nämlich die Unterstützung des Bundes.
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Ich denke, dass wir uns hier einig sind, dass
auch der Bund seiner Verantwortung gerecht
werden
muss,
damit
eine
moderne
Flüchtlingspolitik auch tatsächlich gelingt.
Im Rahmen einer Sonder-IMK Ende Oktober
haben wir uns mit dem Bundesinnenminister
bereits auf zwei wesentliche Punkte geeinigt:
Zum einen wird der Bund eine gesetzliche
Lösung erarbeiten, um die Verfahren zu straffen.
Zum
anderen
wird
das
Personal
des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) personell verstärkt.
Beide Maßnahmen sind wichtige, erste Schritte nicht weniger, aber auch nicht mehr.
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Zusätzlich dazu brauchen sowohl die Länder und damit meine ich auch, aber nicht nur NRW als auch die Kommunen bei der Unterbringung
und Versorgung der Flüchtlinge finanzielle
Unterstützung.
Es reicht nicht aus, die Kommunen - wie wir das
tun - zu unterstützen. Auch der Bund muss an
seine Schmerzgrenze gehen, um Länder und
Kommunen
zu
unterstützen.
Finanzieller
Spielraum muss, wenn er vorhanden ist, hier
ausgeschöpft werden.
Auf Bundesebene setzen wir uns weiterhin für
die vollständige Integration der Asylbewerber in
die sozialen Sicherungssysteme [des SGB II
und
SGB
XII
und
die
gesetzliche
Krankenversicherungspflicht nach SGB V] ein.
21
Ich
setze
auf
die
fraktionsübergreifende
Unterstützung im Bundesrat, denn das würde
unsere Kommunen finanziell deutlich entlasten.
Unser gemeinsames Ziel ist eine humanitäre,
eine
menschenwürdige
Versorgung
von
Flüchtlingen.
Nordrhein-Westfalen,
und
Nordrhein-Westfalen ein.
Herzlichen Dank.
Betreuung
dafür
Dafür
setzt
und
steht
sich
22
23
Weitere Bausteine des MSW:
Alle Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und
alleinstehende Kinder und Jugendliche unterliegen der Schulpflicht,
sobald sie einer Gemeinde zugewiesen sind, und haben daher ein
Recht auf Beschulung. Alle diese Kinder und Jugendlichen werden
als sogenannte Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger in
Vorbereitungs- und Auffangklassen beschult.
Die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Vorbereitungs- und
Auffangklassen liegt im laufenden Schuljahr 2014/15 bei 7.970
(zum Vergleich: 2010/11 lag sie bei 2.746 und 2012/13 bei 3.925).
Nach
ASD
2014
Jahrgangsstufen
1
steigt
bis
7
der
im
„Ausländeranteil“
Gegensatz
zum
in
Trend
den
der
vergangenen Jahre im laufenden Schuljahr von 76.449 auf 82.888
Schülerinnen und Schüler. Ergänzt man um die Klassen 8 und
höher, kann derzeit von einer durch Zuwanderung bedingten
zusätzlichen Schülerzahl von 10.000 Schülerinnen und Schüler
ausgegangen werden.
Weitere Aufwüchse ab Oktober 2014 sind darin noch nicht
eingerechnet. Schwerpunkte sind zurzeit in folgenden 17 Orten
feststellbar:
Aachen,
Bielefeld,
Bochum,
Bonn,
Dortmund,
Duisburg, Düsseldorf, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm,
Kempen (Kreis Viersen), Köln, Münster, Oberhausen, Kreis
24
Paderborn, Wuppertal.
Für Integration und Sprachbildung stehen im Haushaltsentwurf der
Landesregierung für 2015 insgesamt 3.528 Stellen zur Verfügung.
Erste schulische Maßnahme nach Zuweisung der Kinder und
Jugendlichen
an
Bildungssprache
Kommunen
Deutsch.
ist
In
die
den
Förderung
in
Vorbereitungs-
der
und
Auffangklassen lernen in der Regel 15-18 Schülerinnen und
Schüler. Für eine Klasse werden 0,5 Stellen benötigt. Dies ergibt
angesichts der o.g. Zahl von 10.000 Schülerinnen und Schülern
einen
zusätzlichen
Bedarf
von
300
Lehrerstellen
(Integrationsstellen). Die dauerhafte Integration der Schülerinnen
und
Schüler
führt
anschließend
zu
einem
erhöhten
Grundstellenbedarf, der bisher in der Bedarfsplanung nicht
berücksichtigt ist.
Für die Beratung der Familien mit schulpflichtigen Kindern und
Jugendlichen bzw. den ausbildungssuchenden Jugendlichen in den
Kommunalen
Integrationszentren
besteht
in
den
Gebietskörperschaften für die Zeit, in denen die Zuwanderung
besonders
stark
anhält,
ein
zusätzlicher
Bedarf
von
10
Lehrerstellen (= 1 Lehrerstelle pro KI).
Die Landesregierung wirbt aktiv gegenüber Schulen, Kommunen
25
und
Trägern
des
Ganztags,
die
Kinder
in
den
Ganztag
aufzunehmen. Unter der Annahme, dass 30 % der neu
zugewanderten Kinder am Ganztag teilnehmen, entsteht ein
zusätzlicher Bedarf von 6 Mio. EUR pro Jahr. Der Bedarf einer
Ganztagsbeschulung
besteht
grundsätzlich
für
die
gesamte
Schullaufbahn.
Im Rahmen des Übergangs von der Schule in den Beruf ermöglicht
das Landesprogramm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ in derzeit
rd.
1.700
grundsätzlich
weiterführenden
allen
allgemeinbildenden
Schülerinnen
und
Schülern
Schulen
an
der
systematischen Berufs- und Studienorientierung ab Klasse 8
teilzunehmen. Der dafür entstehende Bedarf an Sprachförderung
wird - wie für den Unterricht insgesamt – berücksichtigt, um eine
erfolgreiche Teilhabe an diesen Maßnahmen zu gewährleisten.“