Wie geht es uns denn heute so, Herr Kolleritsch? - HLW

Die Türe öffnet sich und eine weibliche Gestalt betritt den Raum.
„Wie geht es uns denn heute so, Herr Kolleritsch?”
Der alte Mann dreht sich langsam und verwirrt um. In seinen Augen Nebel.
Es dauert einige Sekunden, bis sich die Ungewissheit in seinem Gesicht legt und er
einen halb klaren Gedanken findet.
„Ist’s schon Zeit? Ich meine Zeit zum Essen?”
„Nein, Herr Kolleritsch, es ist erst halb drei. Zeit zum Kartenspielen!”
„Kartenspielen …?”
„Ja, Kartenspielen! Was halten’s vom Schnapsen? Spiel ma a Runde?”
Der alte Mann scheint nun in der Wirklichkeit angekommen.
„Ja, eine kleine Runde. Aber nur so lang, bis mei Frau kommt!”
„Is’ scho recht, Herr Kolleritsch!”
Die Krankenschwester setzt sich ans Bett und beginnt die Karten zu mischen.
Der alte Mann folgt den Karten wie ein Adler mit den Augen.
„Wissen’s, mei Frau. Mei Frau, die mischt die Karten auch immer so flott. Nur fallen
ihr halt immer ein paar runter.”
Der alte Mann lächelt.
„Ja, Herr Kolleritsch, das kann manchmal passieren.”
Die Stunden vereilen, obwohl der alte Mann sehr langsam ist und sich in Erzählungen
verirrt. Langsam wird es finster.
„So, Herr Kolleritsch. Schön war es. Ich werde jetzt gehen!”
„Gön’s, mich hat’s auch gfreut, ich wunder mich nur, wo mei Frau bleibt. Ich werds
suchen gehen.”
Der alte Mann erhebt sich und versucht sich aus dem Bett zu hieven.
„Ach, wissen Sie was, Herr Kolleritsch. Bleiben Sie doch noch ein wenig liegen!”
Die Frau eilt zum Schrank und holt eine Kerze aus der ersten Schublade. Sie
entzündet sie und stellt sie auf den kleinen Betttisch neben ein Bild. Das Bild zeigt
eine Frau, die verschmitzt lächelt und trotz mütterlicher Wärme in ihren Augen frisch
und unverbraucht wirkt.
„Warum zündn’s jetzt a Kerzal an, Fräulein?”
„Ach, nur so, damit es ein bisschen gemütlicher ist!”
„Ah, versteh’ scho. I und mein Frau, wir habens auch gern a bisserl gemütlich. Aber i
werd sie jetzt trotzdem suchen geh’n, wissen‘s, mei Frau …”
Der Alte stockt und sein Blick verliert sich in der Flamme der Kerze.
Tausend Gedanken durchfahren den Körper des alten Mannes.
Kinderlachen, Autohupen und die Stimme seiner Frau erschüttern sein Trommelfell.
Tausend Stiche durchbohren sein Herz.
Sein Blick wird leer.
Nebel zieht auf …
Seine Worte wiederholen sich „Mei Frau, mei Frau …”
„Ja, die kommt net mehr, Herr Kolleritsch!”
Maritta Gösseringer, 3HLS