Wie Ökostrom haltbar wird - Rentzing

.........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
SONDERBEILAGE DER FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
DONNERSTAG, 14. JUNI 2012
B1
Energie
Strohfeuer
Warum Biogaserzeuger auf den
Rohstoff Stroh setzen Seite 2
www.ftd.de/ beilagen
Entwickler arbeiten bei Siemens an
neuen Elektrolyseuren. Die wandeln
Strom in Wasserstoff um. So lassen sich
große Mengen Energie speichern
Wie Ökostrom
haltbar wird
Solar- und Windenergie fallen oft zur Unzeit an.
Eine neue Anlage soll das jetzt ausgleichen
.............................................................................................................
Sascha Rentzing
........................................................................................................................
Der Erfolg der Energiewende ist an
zwei Bedingungen geknüpft. Der
Ökostrom braucht erstens neue Netze.
Und zweitens mehr Speicher, die ihn
kalkulierbar und wettbewerbsfähig
machen. In Stuttgart entsteht nun die
weltweit erste Anlage, in der Strom
speicherbares Methangas erzeugt.
Hinter dem Projekt stehen die
Firma Solarfuel und das Zentrum für
Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).
Mit 250 Kilowatt Leistung soll die Anlage ab diesem Sommer 300 Kubikmeter Methan pro Tag produzieren.
Das Gas soll in das vorhandene Erdgasnetz strömen, das Heizungen,
Kraftwerke und Tankstellen versorgt.
„Die Technik kann ein entscheidender Baustein künftiger Energieversorgung werden, denn mit ihr lassen sich riesige Speicherkapazitäten
erschließen“, sagt ZSW-Projektingenieur Andreas Brinner. In deutsche
Erdgasleitungen und unterirdische
Kavernen passt eine Gasmenge mit einem Energiegehalt von 200 Terawattstunden – das entspricht etwa einem
Drittel des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland.
Ohne Langzeitspeicher wird es
schwer, die erneuerbaren Quellen in
der Zukunft auszuschöpfen: Solarstrom und Windkraft hängen von
Witterung sowie Tages- und Jahreszeit ab. Je größer ihr Anteil an der
Stromproduktion ist, desto stärker
schwankt das Angebot. Speicher können Überschüsse aufnehmen und sie
bei Bedarf wieder abgeben.
Power-to-Gas-Anlagen könnten
daher zu einem wichtigen Eckpfeiler
der künftigen Energieversorgung
werden. Immer dann, wenn zum Beispiel Solarparks zu viel Elektrizität
produzieren, wird diese in Elektro-
„Mit der Technik
lassen sich riesige
Speicherkapazitäten
erschließen“
ANDREAS BRINNER,
Projektingenieur ZSW
lyseure umgeleitet. Dort spaltet der
Strom Wasser in Sauer- und Wasserstoff. In einem zweiten Schritt wird
der Wasserstoff in speziellen Reaktoren mit Kohlendioxid zusammengeführt, sodass daraus Methan entsteht,
der Hauptbestandteil von natürlichem
Erdgas.
Geplant sei, die Anlagen in zwei
bis drei Jahren als kleine Einheiten
mit zehn bis 20 Megawatt (MW) Leistung auf den Markt zu bringen, sagt
Solarfuel-Ingenieur Stefan Rieke. „So
können sie dezentral direkt an Solarund Windstandorten eingesetzt werden“, ergänzt er. Die Bundesregierung
setzt große Hoffnung in die Technik.
Spätestens in fünf bis sechs Jahren
müsse Power to Gas zu einem strategischen Anwendungsfaktor werden,
fordert der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU).
Damit hat auch die gebeutelte Fotovoltaikbranche in Deutschland eine
gute Perspektive. Nach ZSW-Schätzungen können sich die Solarstromkosten dank effizienterer Zellen und
besserer Produktionen bis 2020 halbieren. Dennoch ist ein Argument
gegen den weiteren kräftigen Ausbau
der Solarenergie, dass Sonnenkraftwerke nur um die Mittagszeit Strom
liefern. Power-to-Gas-Anlagen würden Solarenergie regelbar machen.
C02 aus der Flasche
.......................................................................................................
IMPRESSUM
.......................................................................................................
Financial Times Deutschland
Am Baumwall 11 · 20459 Hamburg · Tel. 040/37 03-0
www.ftd.de; E-Mail: [email protected]
Redaktion: Volker Bormann (verantw.), Barbara Domschky,
Johanna Hergt;
Gestaltung: Nicolai Gogoll, Merle Schröder
Bildredaktion: Christian Kollrich, Verena Berg
Infografik: Jens Storkan
Bildbearbeitung: EBV der G+J Wirtschaftsmedien
Chefin vom Dienst: Dr. Hiltrud Bontrup
Korrektorat: Stefanie Helbig
Verlag: G+J Wirtschaftsmedien AG & Co. KG
Verlagsgeschäftsführerin: Ingrid M. Haas
Postanschrift: Brieffach 02, 20444 Hamburg
Verlagsleiter: Jan Honsel, Albrecht von Arnswaldt
Gesamtanzeigenleiterin: Helma Spieker
Anzeigenleiter: Jens Kauerauf (FTD, htsi, enable),
Martina Hoss (Capital, impulse, BÖRSE ONLINE),
E-Mail: [email protected]
Syndication: Picture Press, E-Mail: [email protected]
Contentvermarktung: Brand, Products and Licensing
Siegel und Sonderdrucke, Koordination: Petra Martens
Anfragen: Isabella Kamauf, Tel. 040/37 03-25 90
E-Mail: [email protected]
„Financial Times“, „Financial Times Deutschland“ and „FTD“ are
registered trade marks of The Financial Times Limited and used
under licence.
Druck: Presse-Druck- und Verlags-GmbH, 86167 Augsburg; BZV
Berliner Zeitungsdruck GmbH, 10365 Berlin; Druck- und Verlagszentrum GmbH & Co. KG, 58099 Hagen; Mannheimer Morgen
Großdruckerei und Verlag GmbH, 68167 Mannheim
Allerdings ist die Technik noch zu
teuer. ZSW-Forscher Brinner schätzt,
dass sich die Anlagen erst mit steigenden Stückzahlen in zehn Jahren wirtschaftlich betreiben lassen. Augenscheinlich ist außerdem das Problem
mit der Effizienz, denn über die
Schritte des Power-to-Gas-Verfahrens
addieren sich die Einbußen.
Wenn der Ökostrom über das Gas
gespeichert und rückverstromt wird,
gehen insgesamt zwei Drittel der
Energie verloren. Zudem funktioniert
die Methanisierung nur mit Kohlendioxid. Bei dem Stuttgarter Projekt
wird es in Flaschen angeliefert. Für
künftige Vorhaben müssen aber wesentlich größere Mengen billig
verfügbar sein. Erwogen wird zum
Beispiel, Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken zu nutzen. Doch das
könnte dem grünen Image der Technik schaden.
Manche Experten halten daher andere Speicher wie zum Beispiel den
Wasserstoff, der selbst ein Energieträger ist, für sinnvoller. „Dadurch entfällt beim Power-to-Gas-Prozess die
aufwendige Methanisierung“, sagt
nieren. „In Deutschland haben wir die
geografischen Voraussetzungen nicht“,
sagt Brinner.
Forscher und Ingenieure treiben
die Entwicklung der Power-to-GasTechnik daher mit großem Einsatz voran. Schon im kommenden Jahr wollen Solarfuel und ZSW für Autobauer
Audi eine Anlage mit sechs MW Leistung bauen. Sie soll an eine Biogasanlage gekoppelt sein. Diese liefert den
Strom sowie Kohlendioxid, das für die
Methanisierung nötig ist.
Parallel verbessert die Industrie
die Anlagenkomponenten. Siemens
zum Beispiel entwickelt neuartige
Elektrolyseure, die besonders gut mit
erneuerbaren Energien harmonieren
sollen. Ihr Kernstück ist eine spezielle
Membran, wie sie auch in Brennstoffzellen eingesetzt wird. „Herkömmliche Elektrolyseure reagieren nur im
Minutenbereich auf ein veränderliches Stromangebot, die MembranVariante schafft das in Millisekunden“, erklärt der Ingenieur Manfred
Waidhas vom Siemens-Geschäftsbereich Wasserelektrolyseure.
Noch dieses Jahr sollen zwei Pilotanlagen starten. 2015 will Siemens mit
Zwei-MW-Anlagen auf den Markt
kommen, fünf Jahre später könnten bereits 250-MW-Systeme zur Verfügung
stehen. Die größten Anlagen sollen am
Ende den Strom von 100 großen Solaroder Windparks in Wasserstoff umwandeln. Die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist in Deutschland längst mehr als eine Vision.
Grüne Republik
geplante Ökostromkapazitäten in Gigawatt
161,0
Wasserkraft
Biomasse
Fotovoltaik
Windkraft
6,0
20,0
111,8
5,2
10,0
67,0
53,8
39,5
4,7
4,8
17,0
27,3
2010
57,1
2025
68,0
2040
FTD/jst; Quelle: BDEW, BnetzA, DB Research
Siemens AG
Christopher Hebling, Bereichsleiter
Energietechnik am Fraunhofer-Institut für Solare Energietechnik. Der
Wasserstoff könne ebenfalls im Erdgasnetz oder in Kavernen gespeichert
werden. Andere Speicheralternativen
wären große Batterieparks, Druckluftoder Pumpspeicherkraftwerke. Diese
pumpen Wasser in ein höhergelegenes Becken. Fließt es über Fallrohre
ab, erzeugen Turbinen Strom.
Die Verfechter der Technik sehen
darin aber keine KO-Kriterien. „Ohne
Speicher würde überschüssiger Ökostrom ungenutzt verloren gehen“,
argumentiert Brinner. Und das Kohlendioxid für die Methanisierung
ließe sich auch per Luftfilterung sauber und ökonomisch gewinnen.
Außerdem gebe es bei den anderen
Speichern ebenfalls Unwägbarkeiten.
So könne Wasserstoff dem Erdgas im
Netz nur in kleinen Mengen bis zu
fünf Prozent beigemischt werden – als
Speicher eignet es sich daher nur bedingt. Pumpspeicherkraftwerke wiederum hätten den Nachteil, dass sie
nur in gebirgigen Regionen funktio-
...............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
B2
Energie
DONNERSTAG, 14. JUNI 2012
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Blitzideen aus
der Provinz
Jörn Iken
........................................................................................................................
Keine Reisedokumentation über die
kanadische Provinz Ontario kommt
ohne die typischen Bilder einer kanadischen Idylle aus. Elche grasen,
Biber nagen, Lachse springen – dazwischen durchstreifen rotgewandete
Ranger die Wälder und befahren die
angeblich über 400 000 Gewässer. All
das ist wahr, Realität ist aber auch:
Ontario beherbergt 40 Prozent der
Einwohner Kanadas in großen Städten wie Toronto und ist die am stärksten industrialisierte Region des nordamerikanischen Staates. Eisen- und
Stahlverarbeitung, Petrochemie und
Elektronikindustrie sind die Stützen
der Wirtschaft. Mehr als ein Dutzend
Atomreaktoren
brummen
ihren
Grundlaststrom ins Netz.
Ontario ist Naturparadies und Industriemoloch gleichermaßen. Brad
Duguid kann noch einen weiteren
Aspekt draufsetzen – eine der wichtigsten in der Wirtschaftspolitik der
Provinz: „Ontario ist auf dem Weg von
nirgendwo zum Weltmarktführer der
Grünen Technologie.“ Duguid ist der
Minister für wirtschaftliche Entwicklung und nicht bescheiden.
Ontario soll ein ökologisches Musterland auf dem amerikanischen Kontinent werden – noch weit vor den anderen Provinzen und den USA sowieso. Eine der wichtigsten Requisiten ist
das intelligente Stromnetz, das Smart
Grid. Und in der Tat: Kein Land weltweit hat es in der Einführung der ers-
ten Komponenten bisher so weit gebracht wie die Provinz im Südosten
Kanadas. 2005 lieferte der Netzbetreiber Hydro One die ersten intelligenten Zähler, Smart Meter genannt, aus.
Bis jetzt sind es 1,2 von insgesamt 5,1
Millionen Stromkunden, die über einen SmartMeter verfügen. Das dürfte
momentan nicht zu toppen sein.
Ökologie wird in Ontario großgeschrieben, allerdings anders buchstabiert als in Europa. Kernkraft steht
zum Beispiel einer ökologisch fundierten Energiewende nicht entgegen, da sie CO2-frei ist. Schlecht sieht
es aber für die Kohle aus. Bis 2014 sollen alle Kraftwerke stillstehen. Eine
große Rolle sollen deshalb in Zukunft
die erneuerbaren Energien übernehmen. In einigen Jahren wird Ontario
dann vor dem Problem stehen, das alle
Stromnetze mit den Erneuerbaren haben: Die Einspeisung von Solar- und
Windstrom belastet das Netz.
Abhilfe soll ein Smart Grid schaffen. „Smart Grid ist ein Kommunikationssystem, das Netzkomponenten
zusammenbringt“, erklärt Geoff Salter das Grundprinzip des Netzgedankens. Er ist der Gründer und CEO des
mittelständischen Technologieunternehmens Aztech in Kingston, das Managementlösungen für genau diese
Aufgabe entwickelt. Der Verteilnetzbetreiber wäre damit in der Lage, mit
den Haushaltsgeräten zu kommunizieren und ihren Betrieb in angebotsschwache Zeiten zu legen.
Erste Voraussetzung dafür ist ein
gestaffeltes Tarifsystem, das den an-
Canadian Press Images/The Globe and Mail/Kevin Van Paassen
Elche und grüne Technik: Der kanadische Staat
Ontario ist Vorreiter beim schlauen Stromnetz
gebots- und nachfrageorientierten
Stromverbrauch belohnt. Zweite Voraussetzung: der „Intelligente Zähler“,
der den Kunden Auskunft über die aktuellen Strompreise und seinen eigenen Verbrauch gibt. Seine Haushaltsgeräte muss der Verbraucher aber
noch von Hand steuern. Ideal wäre es,
wenn die Geräte sich automatisch an
das Stromangebot anpassten, sagt Aztechs CEO Salter „Ich glaube, das wird
kommen. In erster Linie schaut man
aber auf die Tiefkühltruhen und hier
besonders auf den Auftauzyklus, der
nichts anderes als das Einschalten
einer Heizung ist.“
In einem Modellprojekt im Norden
der Provinz testet Hydro One seit 2010
das Verbraucherverhalten, neue Geräte und die neue Tarifstruktur.
25 000 Stromkunden nehmen teil.
Ziel des Projektes ist es, den schwankenden Solar- und Windstrom zu integrieren, das Energiemanagement für
neue Haushaltsgeräte auszuprobieren
sowie Speicherlösungen zu entwickeln. Längst haben auch die großen
Spieler das neue Geschäftsfeld entdeckt. IBM entwickelte IT-Lösungen
für das Energiemanagement. Ebenso
ist General Electric mit im Boot.
Badesspaß am Kernkraftwerk im kanadischen Pickering: Einheimische kühlen
sich im Lake Ontario ab
Ballon als Speicher
Auch rund ein Dutzend mittelständische Firmen haben sich in Toronto angesiedelt, wie etwa Carl Lewis mit seinem Unternehmen Hydrostar. Er speichert den überflüssigen Wind- und
Solarstrom in Form von Pressluft ab,
mit der eine Verdichterturbine große
Ballons füllt. Der Clou: Die Ballons
sind in einem See in 80 Meter Tiefe
verankert. Will Lewis aus der Pressluft wieder Strom machen, arbeitet die
Verdichterturbine in umgekehrter
Richtung als Generator. Der Wasserdruck auf die Ballons sorgt zusätzlich
für Leistung. Lewis nutzt sogar die
Wärme, die entsteht, wenn man Luft
komprimiert. „Der Gesamtwirkungsgrad des Systems beträgt dadurch 70
Prozent.“ Noch 2012 soll es einen ersten Prototypen geben.
Politik wie Industrie in Ontario haben das Smart Grid beschleunigt. Das
heißt nicht, dass im Rest der Welt
nichts geschieht. In Deutschland ist
das Projekt „Modellstadt Mannheim“
(moma) überregional bekannt. Knapp
3000 Haushalte machen mit. Es ist
also wesentlich kleiner als die Versuchsregion in Ontario, in technischer
.............................................................................................................
„Der finanzielle Anreiz
ist minimal“
THOMAS WOLSKI,
Sprecher Moma
Hinsicht aber genauso anspruchsvoll.
Zentrales Element in Mannheim ist
der sogenannte „Energiebutler“, der
nicht nur den Verbrauch, sondern
auch die Produktion steuert.
Denn im Gegensatz zu Ontario hat
die überwiegende Zahl der Haushalte
in Mannheim eine eigene Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach. Sie verbrauchen den Solarstrom entweder
selbst oder speisen bei attraktiven
Preisen in das Netz ein. Der Butler ist
also auch Organisator eines virtuellen
Strommarktes. Im Ergebnis vermied
moma die teuren Verbrauchsspitzen.
Unternehmenssprecher
Thomas
Wolski kommentiert: „Wir haben eine
Lastverlagerung von sechs bis acht erreicht. Damit sind wir sehr zufrieden.“
Einig ist sich Wolski mit seinen kanadischen Kollegen darüber, dass das
Smart Grid den Kunden langfristig einen Vorteil bringen muss. „Ein Smart
Grid, das nur die Aufgaben des Netzbetreibers vereinfacht, ist kein Smart
Grid“, sagt etwa John Mulrooney, Direktor Smart Grid beim Energieversorger Power Stream, Ontarios zweitgrößter Lieferant von Elektrizität.
„Am Ende muss immer der Benefit für
den Kunden stehen.“
Beide Projekte weisen in dieser
Hinsicht deutliche Lücken auf. Moma-Sprecher Molski gibt zu: „Der finanzielle Anreiz ist minimal.“ In Ontario mache die Einsparung, so auch
Mulrooney, ebenfalls nur wenige Dollar aus. Kritiker bemängeln das: Gerade der finanzielle Benefit, so zeige
der Boom der erneuerbaren Energien,
bewirke mehr als Appelle an das Klima- und Umweltbewusstsein.
Strom zu Gold
Biogasproduzenten entdecken den Rohstoff Stroh als neue Energiequelle
Thomas Gaul
........................................................................................................................
Im Märchen lässt sich Stroh zu Gold
spinnen. Ganz so weit sind Landwirte
und Ingenieure nicht, aber doch auf
dem Weg dorthin. Die gelben Halme,
die nach der Getreideernte auf dem
Feld übrig bleiben, sind wertvoll geworden. Der Ausbau der Biomassenutzung soll nachhaltig erfolgen, daher
wächst das Interesse für den einstigen
Reststoff. „Stroh hat das Potenzial, ein
wichtiger Energieträger zu sein“, sagt
Andreas Schütte, Geschäftsführer der
Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe. Sie ist Projektträger des Bundeslandwirtschaftsministeriums und
setzt bei der Energieversorgung ihrer
Gebäude in Mecklenburg selbst auf
Stroh.
Jährlich fallen in Deutschland rund
30 Millionen Tonnen Stroh an. Knapp
fünf Millionen Tonnen werden für die
Einstreu in Ställen benötigt. Ein weiterer Teil muss auf dem Acker bleiben,
um neuen Humus zu bilden. Nach Berechnungen der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft (TLL) bleiben
rund 11,3 Millionen Tonnen ungenutzten Getreidestrohs übrig, die zur
Energiegewinnung verwendet werden könnten. Damit ließe sich so viel
Energie gewinnen, dass die Hälfte der
bislang dafür eingesetzten Holzmenge ersetzt werden könnte.
Bisher wird Stroh jedoch nur in
verhältnismäßig geringem Umfang in
kleineren Heizungsanlagen verfeuert.
Die Nutzung von Stroh als Brennstoff
ist nicht ganz einfach und wird durch
gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen begrenzt, erläutert
Thomas Hering von der TLL. Das hat
zur Folge, dass die Investitionskosten
steigen und die Betriebskosten, vor allem für Emissionsüberwachung und
Wartung, höher sind als bei Holzfeuerungen oder Öl- und Gasheizungen.
Probleme bereitet vor allem der bei
der Verbrennung von Stroh entstehende Staub, der aus hohen Chlorgehalten durch die Düngung der Pflanze
resultiert. Deshalb sind in Deutschland auch nur schätzungsweise wenige hundert Anlagen in Betrieb.
Vorreiter bei der Energiegewinnung aus Stroh ist Dänemark. Hier
sind etwa 70 Prozent der europäischen Leistung aus Strohheizkraftwerken installiert. Möglich wurde das
durch Förderprogramme und moderate Emissionsbestimmungen. Rund
24 Prozent des Strohs werden hier zur
Energiegewinnung genutzt.
Das erste große Strohheizkraftwerk in Deutschland wird gerade in
einer Stärkefabrik in Emlichheim an
der niederländischen Grenze gebaut.
Die Fabrik verarbeitet jährlich eine
Million Tonnen Kartoffeln zu Stärke.
Das Verfahren zur Stärkegewinnung
ist sehr energieintensiv. 75 000 Tonnen Stroh im Jahr wird das Bioenergiekraftwerk im Jahr verbrauchen,
schätzt Geschäftsführer Rainer Knieper: „80 Prozent des Strohs sollen aus
einem Umkreis von 50 Kilometern
kommen.“ Die Landwirte als Strohlieferanten wurden im vergangenen Jahr
als Gesellschafter des Kraftwerks aufgenommen. Ein weiteres Strohheizkraftwerk ist in Nordrhein-Westfalen
in der Planung.
Stroh lässt sich jedoch nicht nur
verheizen, sondern auch in einer Biogasanlage vergären. Dabei können
ungefähr 70 Prozent der Biogasmenge erzeugt werden, die üblicherweise durch den Gärungsprozess der
sogenannten Maissilage erreicht
wird. Der Vorteil: Durch die Nutzung
von Stroh werden keine zusätzlichen
Flächen für den Anbau von Energiepflanzen wie Mais gebraucht. Im Gegenteil: Durch das Vergären von Stroh
könnten bis zu 400 000 Hektar zum
Anbau von Nahrungs- oder Futtermitteln genutzt werden. In einer Anlage
in Brandenburg wird seit Kurzem
Biogas aus Stroh produziert und als
Treibstoff für Fahrzeuge verwendet.
Bisher steckt der Einsatz von Stroh
für die Biokraftstoffe der zweiten Generation noch in den Kinderschuhen.
So gibt es europaweit erst wenige Pilotanlagen, die aus Stroh einen neuartigen Synthesekraftstoff produzieren.
.........................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
SONDERBEILAGE DER FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
DONNERSTAG, 14. JUNI 2012
B1
Energie
Strohfeuer
Warum Biogaserzeuger auf den
Rohstoff Stroh setzen Seite 2
www.ftd.de/ beilagen
Entwickler arbeiten bei Siemens an
neuen Elektrolyseuren. Die wandeln
Strom in Wasserstoff um. So lassen sich
große Mengen Energie speichern
Wie Ökostrom
haltbar wird
Solar- und Windenergie fallen oft zur Unzeit an.
Eine neue Anlage soll das jetzt ausgleichen
.............................................................................................................
Sascha Rentzing
........................................................................................................................
Der Erfolg der Energiewende ist an
zwei Bedingungen geknüpft. Der
Ökostrom braucht erstens neue Netze.
Und zweitens mehr Speicher, die ihn
kalkulierbar und wettbewerbsfähig
machen. In Stuttgart entsteht nun die
weltweit erste Anlage, in der Strom
speicherbares Methangas erzeugt.
Hinter dem Projekt stehen die
Firma Solarfuel und das Zentrum für
Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW).
Mit 250 Kilowatt Leistung soll die Anlage ab diesem Sommer 300 Kubikmeter Methan pro Tag produzieren.
Das Gas soll in das vorhandene Erdgasnetz strömen, das Heizungen,
Kraftwerke und Tankstellen versorgt.
„Die Technik kann ein entscheidender Baustein künftiger Energieversorgung werden, denn mit ihr lassen sich riesige Speicherkapazitäten
erschließen“, sagt ZSW-Projektingenieur Andreas Brinner. In deutsche
Erdgasleitungen und unterirdische
Kavernen passt eine Gasmenge mit einem Energiegehalt von 200 Terawattstunden – das entspricht etwa einem
Drittel des jährlichen Stromverbrauchs in Deutschland.
Ohne Langzeitspeicher wird es
schwer, die erneuerbaren Quellen in
der Zukunft auszuschöpfen: Solarstrom und Windkraft hängen von
Witterung sowie Tages- und Jahreszeit ab. Je größer ihr Anteil an der
Stromproduktion ist, desto stärker
schwankt das Angebot. Speicher können Überschüsse aufnehmen und sie
bei Bedarf wieder abgeben.
Power-to-Gas-Anlagen könnten
daher zu einem wichtigen Eckpfeiler
der künftigen Energieversorgung
werden. Immer dann, wenn zum Beispiel Solarparks zu viel Elektrizität
produzieren, wird diese in Elektro-
„Mit der Technik
lassen sich riesige
Speicherkapazitäten
erschließen“
ANDREAS BRINNER,
Projektingenieur ZSW
lyseure umgeleitet. Dort spaltet der
Strom Wasser in Sauer- und Wasserstoff. In einem zweiten Schritt wird
der Wasserstoff in speziellen Reaktoren mit Kohlendioxid zusammengeführt, sodass daraus Methan entsteht,
der Hauptbestandteil von natürlichem
Erdgas.
Geplant sei, die Anlagen in zwei
bis drei Jahren als kleine Einheiten
mit zehn bis 20 Megawatt (MW) Leistung auf den Markt zu bringen, sagt
Solarfuel-Ingenieur Stefan Rieke. „So
können sie dezentral direkt an Solarund Windstandorten eingesetzt werden“, ergänzt er. Die Bundesregierung
setzt große Hoffnung in die Technik.
Spätestens in fünf bis sechs Jahren
müsse Power to Gas zu einem strategischen Anwendungsfaktor werden,
fordert der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU).
Damit hat auch die gebeutelte Fotovoltaikbranche in Deutschland eine
gute Perspektive. Nach ZSW-Schätzungen können sich die Solarstromkosten dank effizienterer Zellen und
besserer Produktionen bis 2020 halbieren. Dennoch ist ein Argument
gegen den weiteren kräftigen Ausbau
der Solarenergie, dass Sonnenkraftwerke nur um die Mittagszeit Strom
liefern. Power-to-Gas-Anlagen würden Solarenergie regelbar machen.
C02 aus der Flasche
.......................................................................................................
IMPRESSUM
.......................................................................................................
Financial Times Deutschland
Am Baumwall 11 · 20459 Hamburg · Tel. 040/37 03-0
www.ftd.de; E-Mail: [email protected]
Redaktion: Volker Bormann (verantw.), Barbara Domschky,
Johanna Hergt;
Gestaltung: Nicolai Gogoll, Merle Schröder
Bildredaktion: Christian Kollrich, Verena Berg
Infografik: Jens Storkan
Bildbearbeitung: EBV der G+J Wirtschaftsmedien
Chefin vom Dienst: Dr. Hiltrud Bontrup
Korrektorat: Stefanie Helbig
Verlag: G+J Wirtschaftsmedien AG & Co. KG
Verlagsgeschäftsführerin: Ingrid M. Haas
Postanschrift: Brieffach 02, 20444 Hamburg
Verlagsleiter: Jan Honsel, Albrecht von Arnswaldt
Gesamtanzeigenleiterin: Helma Spieker
Anzeigenleiter: Jens Kauerauf (FTD, htsi, enable),
Martina Hoss (Capital, impulse, BÖRSE ONLINE),
E-Mail: [email protected]
Syndication: Picture Press, E-Mail: [email protected]
Contentvermarktung: Brand, Products and Licensing
Siegel und Sonderdrucke, Koordination: Petra Martens
Anfragen: Isabella Kamauf, Tel. 040/37 03-25 90
E-Mail: [email protected]
„Financial Times“, „Financial Times Deutschland“ and „FTD“ are
registered trade marks of The Financial Times Limited and used
under licence.
Druck: Presse-Druck- und Verlags-GmbH, 86167 Augsburg; BZV
Berliner Zeitungsdruck GmbH, 10365 Berlin; Druck- und Verlagszentrum GmbH & Co. KG, 58099 Hagen; Mannheimer Morgen
Großdruckerei und Verlag GmbH, 68167 Mannheim
Allerdings ist die Technik noch zu
teuer. ZSW-Forscher Brinner schätzt,
dass sich die Anlagen erst mit steigenden Stückzahlen in zehn Jahren wirtschaftlich betreiben lassen. Augenscheinlich ist außerdem das Problem
mit der Effizienz, denn über die
Schritte des Power-to-Gas-Verfahrens
addieren sich die Einbußen.
Wenn der Ökostrom über das Gas
gespeichert und rückverstromt wird,
gehen insgesamt zwei Drittel der
Energie verloren. Zudem funktioniert
die Methanisierung nur mit Kohlendioxid. Bei dem Stuttgarter Projekt
wird es in Flaschen angeliefert. Für
künftige Vorhaben müssen aber wesentlich größere Mengen billig
verfügbar sein. Erwogen wird zum
Beispiel, Kohlendioxid aus Kohlekraftwerken zu nutzen. Doch das
könnte dem grünen Image der Technik schaden.
Manche Experten halten daher andere Speicher wie zum Beispiel den
Wasserstoff, der selbst ein Energieträger ist, für sinnvoller. „Dadurch entfällt beim Power-to-Gas-Prozess die
aufwendige Methanisierung“, sagt
nieren. „In Deutschland haben wir die
geografischen Voraussetzungen nicht“,
sagt Brinner.
Forscher und Ingenieure treiben
die Entwicklung der Power-to-GasTechnik daher mit großem Einsatz voran. Schon im kommenden Jahr wollen Solarfuel und ZSW für Autobauer
Audi eine Anlage mit sechs MW Leistung bauen. Sie soll an eine Biogasanlage gekoppelt sein. Diese liefert den
Strom sowie Kohlendioxid, das für die
Methanisierung nötig ist.
Parallel verbessert die Industrie
die Anlagenkomponenten. Siemens
zum Beispiel entwickelt neuartige
Elektrolyseure, die besonders gut mit
erneuerbaren Energien harmonieren
sollen. Ihr Kernstück ist eine spezielle
Membran, wie sie auch in Brennstoffzellen eingesetzt wird. „Herkömmliche Elektrolyseure reagieren nur im
Minutenbereich auf ein veränderliches Stromangebot, die MembranVariante schafft das in Millisekunden“, erklärt der Ingenieur Manfred
Waidhas vom Siemens-Geschäftsbereich Wasserelektrolyseure.
Noch dieses Jahr sollen zwei Pilotanlagen starten. 2015 will Siemens mit
Zwei-MW-Anlagen auf den Markt
kommen, fünf Jahre später könnten bereits 250-MW-Systeme zur Verfügung
stehen. Die größten Anlagen sollen am
Ende den Strom von 100 großen Solaroder Windparks in Wasserstoff umwandeln. Die Vollversorgung mit erneuerbaren Energien ist in Deutschland längst mehr als eine Vision.
Grüne Republik
geplante Ökostromkapazitäten in Gigawatt
161,0
Wasserkraft
Biomasse
Fotovoltaik
Windkraft
6,0
20,0
111,8
5,2
10,0
67,0
53,8
39,5
4,7
4,8
17,0
27,3
2010
57,1
2025
68,0
2040
FTD/jst; Quelle: BDEW, BnetzA, DB Research
Siemens AG
Christopher Hebling, Bereichsleiter
Energietechnik am Fraunhofer-Institut für Solare Energietechnik. Der
Wasserstoff könne ebenfalls im Erdgasnetz oder in Kavernen gespeichert
werden. Andere Speicheralternativen
wären große Batterieparks, Druckluftoder Pumpspeicherkraftwerke. Diese
pumpen Wasser in ein höhergelegenes Becken. Fließt es über Fallrohre
ab, erzeugen Turbinen Strom.
Die Verfechter der Technik sehen
darin aber keine KO-Kriterien. „Ohne
Speicher würde überschüssiger Ökostrom ungenutzt verloren gehen“,
argumentiert Brinner. Und das Kohlendioxid für die Methanisierung
ließe sich auch per Luftfilterung sauber und ökonomisch gewinnen.
Außerdem gebe es bei den anderen
Speichern ebenfalls Unwägbarkeiten.
So könne Wasserstoff dem Erdgas im
Netz nur in kleinen Mengen bis zu
fünf Prozent beigemischt werden – als
Speicher eignet es sich daher nur bedingt. Pumpspeicherkraftwerke wiederum hätten den Nachteil, dass sie
nur in gebirgigen Regionen funktio-
...............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................
B2
Energie
DONNERSTAG, 14. JUNI 2012
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Blitzideen aus
der Provinz
Jörn Iken
........................................................................................................................
Keine Reisedokumentation über die
kanadische Provinz Ontario kommt
ohne die typischen Bilder einer kanadischen Idylle aus. Elche grasen,
Biber nagen, Lachse springen – dazwischen durchstreifen rotgewandete
Ranger die Wälder und befahren die
angeblich über 400 000 Gewässer. All
das ist wahr, Realität ist aber auch:
Ontario beherbergt 40 Prozent der
Einwohner Kanadas in großen Städten wie Toronto und ist die am stärksten industrialisierte Region des nordamerikanischen Staates. Eisen- und
Stahlverarbeitung, Petrochemie und
Elektronikindustrie sind die Stützen
der Wirtschaft. Mehr als ein Dutzend
Atomreaktoren
brummen
ihren
Grundlaststrom ins Netz.
Ontario ist Naturparadies und Industriemoloch gleichermaßen. Brad
Duguid kann noch einen weiteren
Aspekt draufsetzen – eine der wichtigsten in der Wirtschaftspolitik der
Provinz: „Ontario ist auf dem Weg von
nirgendwo zum Weltmarktführer der
Grünen Technologie.“ Duguid ist der
Minister für wirtschaftliche Entwicklung und nicht bescheiden.
Ontario soll ein ökologisches Musterland auf dem amerikanischen Kontinent werden – noch weit vor den anderen Provinzen und den USA sowieso. Eine der wichtigsten Requisiten ist
das intelligente Stromnetz, das Smart
Grid. Und in der Tat: Kein Land weltweit hat es in der Einführung der ers-
ten Komponenten bisher so weit gebracht wie die Provinz im Südosten
Kanadas. 2005 lieferte der Netzbetreiber Hydro One die ersten intelligenten Zähler, Smart Meter genannt, aus.
Bis jetzt sind es 1,2 von insgesamt 5,1
Millionen Stromkunden, die über einen SmartMeter verfügen. Das dürfte
momentan nicht zu toppen sein.
Ökologie wird in Ontario großgeschrieben, allerdings anders buchstabiert als in Europa. Kernkraft steht
zum Beispiel einer ökologisch fundierten Energiewende nicht entgegen, da sie CO2-frei ist. Schlecht sieht
es aber für die Kohle aus. Bis 2014 sollen alle Kraftwerke stillstehen. Eine
große Rolle sollen deshalb in Zukunft
die erneuerbaren Energien übernehmen. In einigen Jahren wird Ontario
dann vor dem Problem stehen, das alle
Stromnetze mit den Erneuerbaren haben: Die Einspeisung von Solar- und
Windstrom belastet das Netz.
Abhilfe soll ein Smart Grid schaffen. „Smart Grid ist ein Kommunikationssystem, das Netzkomponenten
zusammenbringt“, erklärt Geoff Salter das Grundprinzip des Netzgedankens. Er ist der Gründer und CEO des
mittelständischen Technologieunternehmens Aztech in Kingston, das Managementlösungen für genau diese
Aufgabe entwickelt. Der Verteilnetzbetreiber wäre damit in der Lage, mit
den Haushaltsgeräten zu kommunizieren und ihren Betrieb in angebotsschwache Zeiten zu legen.
Erste Voraussetzung dafür ist ein
gestaffeltes Tarifsystem, das den an-
Canadian Press Images/The Globe and Mail/Kevin Van Paassen
Elche und grüne Technik: Der kanadische Staat
Ontario ist Vorreiter beim schlauen Stromnetz
gebots- und nachfrageorientierten
Stromverbrauch belohnt. Zweite Voraussetzung: der „Intelligente Zähler“,
der den Kunden Auskunft über die aktuellen Strompreise und seinen eigenen Verbrauch gibt. Seine Haushaltsgeräte muss der Verbraucher aber
noch von Hand steuern. Ideal wäre es,
wenn die Geräte sich automatisch an
das Stromangebot anpassten, sagt Aztechs CEO Salter „Ich glaube, das wird
kommen. In erster Linie schaut man
aber auf die Tiefkühltruhen und hier
besonders auf den Auftauzyklus, der
nichts anderes als das Einschalten
einer Heizung ist.“
In einem Modellprojekt im Norden
der Provinz testet Hydro One seit 2010
das Verbraucherverhalten, neue Geräte und die neue Tarifstruktur.
25 000 Stromkunden nehmen teil.
Ziel des Projektes ist es, den schwankenden Solar- und Windstrom zu integrieren, das Energiemanagement für
neue Haushaltsgeräte auszuprobieren
sowie Speicherlösungen zu entwickeln. Längst haben auch die großen
Spieler das neue Geschäftsfeld entdeckt. IBM entwickelte IT-Lösungen
für das Energiemanagement. Ebenso
ist General Electric mit im Boot.
Badesspaß am Kernkraftwerk im kanadischen Pickering: Einheimische kühlen
sich im Lake Ontario ab
Ballon als Speicher
Auch rund ein Dutzend mittelständische Firmen haben sich in Toronto angesiedelt, wie etwa Carl Lewis mit seinem Unternehmen Hydrostar. Er speichert den überflüssigen Wind- und
Solarstrom in Form von Pressluft ab,
mit der eine Verdichterturbine große
Ballons füllt. Der Clou: Die Ballons
sind in einem See in 80 Meter Tiefe
verankert. Will Lewis aus der Pressluft wieder Strom machen, arbeitet die
Verdichterturbine in umgekehrter
Richtung als Generator. Der Wasserdruck auf die Ballons sorgt zusätzlich
für Leistung. Lewis nutzt sogar die
Wärme, die entsteht, wenn man Luft
komprimiert. „Der Gesamtwirkungsgrad des Systems beträgt dadurch 70
Prozent.“ Noch 2012 soll es einen ersten Prototypen geben.
Politik wie Industrie in Ontario haben das Smart Grid beschleunigt. Das
heißt nicht, dass im Rest der Welt
nichts geschieht. In Deutschland ist
das Projekt „Modellstadt Mannheim“
(moma) überregional bekannt. Knapp
3000 Haushalte machen mit. Es ist
also wesentlich kleiner als die Versuchsregion in Ontario, in technischer
.............................................................................................................
„Der finanzielle Anreiz
ist minimal“
THOMAS WOLSKI,
Sprecher Moma
Hinsicht aber genauso anspruchsvoll.
Zentrales Element in Mannheim ist
der sogenannte „Energiebutler“, der
nicht nur den Verbrauch, sondern
auch die Produktion steuert.
Denn im Gegensatz zu Ontario hat
die überwiegende Zahl der Haushalte
in Mannheim eine eigene Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach. Sie verbrauchen den Solarstrom entweder
selbst oder speisen bei attraktiven
Preisen in das Netz ein. Der Butler ist
also auch Organisator eines virtuellen
Strommarktes. Im Ergebnis vermied
moma die teuren Verbrauchsspitzen.
Unternehmenssprecher
Thomas
Wolski kommentiert: „Wir haben eine
Lastverlagerung von sechs bis acht erreicht. Damit sind wir sehr zufrieden.“
Einig ist sich Wolski mit seinen kanadischen Kollegen darüber, dass das
Smart Grid den Kunden langfristig einen Vorteil bringen muss. „Ein Smart
Grid, das nur die Aufgaben des Netzbetreibers vereinfacht, ist kein Smart
Grid“, sagt etwa John Mulrooney, Direktor Smart Grid beim Energieversorger Power Stream, Ontarios zweitgrößter Lieferant von Elektrizität.
„Am Ende muss immer der Benefit für
den Kunden stehen.“
Beide Projekte weisen in dieser
Hinsicht deutliche Lücken auf. Moma-Sprecher Molski gibt zu: „Der finanzielle Anreiz ist minimal.“ In Ontario mache die Einsparung, so auch
Mulrooney, ebenfalls nur wenige Dollar aus. Kritiker bemängeln das: Gerade der finanzielle Benefit, so zeige
der Boom der erneuerbaren Energien,
bewirke mehr als Appelle an das Klima- und Umweltbewusstsein.
Strom zu Gold
Biogasproduzenten entdecken den Rohstoff Stroh als neue Energiequelle
Thomas Gaul
........................................................................................................................
Im Märchen lässt sich Stroh zu Gold
spinnen. Ganz so weit sind Landwirte
und Ingenieure nicht, aber doch auf
dem Weg dorthin. Die gelben Halme,
die nach der Getreideernte auf dem
Feld übrig bleiben, sind wertvoll geworden. Der Ausbau der Biomassenutzung soll nachhaltig erfolgen, daher
wächst das Interesse für den einstigen
Reststoff. „Stroh hat das Potenzial, ein
wichtiger Energieträger zu sein“, sagt
Andreas Schütte, Geschäftsführer der
Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe. Sie ist Projektträger des Bundeslandwirtschaftsministeriums und
setzt bei der Energieversorgung ihrer
Gebäude in Mecklenburg selbst auf
Stroh.
Jährlich fallen in Deutschland rund
30 Millionen Tonnen Stroh an. Knapp
fünf Millionen Tonnen werden für die
Einstreu in Ställen benötigt. Ein weiterer Teil muss auf dem Acker bleiben,
um neuen Humus zu bilden. Nach Berechnungen der Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft (TLL) bleiben
rund 11,3 Millionen Tonnen ungenutzten Getreidestrohs übrig, die zur
Energiegewinnung verwendet werden könnten. Damit ließe sich so viel
Energie gewinnen, dass die Hälfte der
bislang dafür eingesetzten Holzmenge ersetzt werden könnte.
Bisher wird Stroh jedoch nur in
verhältnismäßig geringem Umfang in
kleineren Heizungsanlagen verfeuert.
Die Nutzung von Stroh als Brennstoff
ist nicht ganz einfach und wird durch
gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen begrenzt, erläutert
Thomas Hering von der TLL. Das hat
zur Folge, dass die Investitionskosten
steigen und die Betriebskosten, vor allem für Emissionsüberwachung und
Wartung, höher sind als bei Holzfeuerungen oder Öl- und Gasheizungen.
Probleme bereitet vor allem der bei
der Verbrennung von Stroh entstehende Staub, der aus hohen Chlorgehalten durch die Düngung der Pflanze
resultiert. Deshalb sind in Deutschland auch nur schätzungsweise wenige hundert Anlagen in Betrieb.
Vorreiter bei der Energiegewinnung aus Stroh ist Dänemark. Hier
sind etwa 70 Prozent der europäischen Leistung aus Strohheizkraftwerken installiert. Möglich wurde das
durch Förderprogramme und moderate Emissionsbestimmungen. Rund
24 Prozent des Strohs werden hier zur
Energiegewinnung genutzt.
Das erste große Strohheizkraftwerk in Deutschland wird gerade in
einer Stärkefabrik in Emlichheim an
der niederländischen Grenze gebaut.
Die Fabrik verarbeitet jährlich eine
Million Tonnen Kartoffeln zu Stärke.
Das Verfahren zur Stärkegewinnung
ist sehr energieintensiv. 75 000 Tonnen Stroh im Jahr wird das Bioenergiekraftwerk im Jahr verbrauchen,
schätzt Geschäftsführer Rainer Knieper: „80 Prozent des Strohs sollen aus
einem Umkreis von 50 Kilometern
kommen.“ Die Landwirte als Strohlieferanten wurden im vergangenen Jahr
als Gesellschafter des Kraftwerks aufgenommen. Ein weiteres Strohheizkraftwerk ist in Nordrhein-Westfalen
in der Planung.
Stroh lässt sich jedoch nicht nur
verheizen, sondern auch in einer Biogasanlage vergären. Dabei können
ungefähr 70 Prozent der Biogasmenge erzeugt werden, die üblicherweise durch den Gärungsprozess der
sogenannten Maissilage erreicht
wird. Der Vorteil: Durch die Nutzung
von Stroh werden keine zusätzlichen
Flächen für den Anbau von Energiepflanzen wie Mais gebraucht. Im Gegenteil: Durch das Vergären von Stroh
könnten bis zu 400 000 Hektar zum
Anbau von Nahrungs- oder Futtermitteln genutzt werden. In einer Anlage
in Brandenburg wird seit Kurzem
Biogas aus Stroh produziert und als
Treibstoff für Fahrzeuge verwendet.
Bisher steckt der Einsatz von Stroh
für die Biokraftstoffe der zweiten Generation noch in den Kinderschuhen.
So gibt es europaweit erst wenige Pilotanlagen, die aus Stroh einen neuartigen Synthesekraftstoff produzieren.