Wie vom Bauernmarkt - Popai

Wie vom Bauernmarkt
Die US-amerikanische Biosupermarktkette Whole Foods Market ist seit 2007 in Großbritannien vertreten - bis jetzt mit Läden in London. Nun hat das Unternehmen den
Sprung in die Provinz gewagt und am Stadtrand von Cheltenham einen Markt in einem
Einkaufszentrum eröffnet. Wie gelang es dem Unternehmen, dort sein legendäres Bauernmarkt-Ambiente zu kreieren?
von John Ryan
Die Erwähnung des britischen Ortes Cheltenham weckt zumindest
bei den Briten selbst etwas zwiespältige Gefühle. Für die einen ist
es lediglich ein Kurort aus dem 18. Jahrhundert in den sogenannten Midlands, eine Stadt voller historischer Gebäude, die an die
vornehme Vergangenheit erinnern. Für die anderen hat der Name
einen düstereren Beiklang, weil sich hier der Sitz des GCHQ, des
Government Communications Headquarters befindet. Diese Regierungsbehörde ist ein Abhörposten des Geheimdienstes, hier laufen
die Informationen zusammen, die über das britische Spionage- und
Abhörnetzwerk in Übersee gewonnen werden.
Wofür Cheltenham bislang nicht bekannt ist, ist der Lebensmitteleinzelhandel. Und dennoch hat sich die Kette Whole Foods
Market gerade Cheltenham als Standort für eine nagelneue, topmoderne Filiale ausgesucht.
Whole Foods Market ist ein Bio-Einzelhandelsunternehmen
aus den USA, das aus dem Verkauf von Lebensmitteln eine große
Show macht und alle Register zieht, die Produkte f ü r sich selbst
sprechen zu lassen. Dafür wird in den Filialen eine Kulisse aufgebaut, die bei den Einkäufern die Assoziationen „ b i o " und „ g e s u n d "
weckt. Das Konzept hat sich als hoch profitabel erwiesen. Wer eine
der US-Filialen betritt, wird sie höchstwahrscheinlich erst wieder
verlassen, nachdem er eine Tomate für 5 Dollar gekauft hat. Inte¬
ressanterweise hält der Kunde den Preis zwar für hoch, bewertet
die Erfahrung insgesamt aber nicht als negativ.
Seine erste Filiale in Großbritannien hat Whole Foods 2007 eröffnet. Der gewaltige, knapp 7.500 qm große dreistöckige Lebensmittelpalast in Kensington im Herzen von London sorgte damals für viel
Aufsehen. Das Geschäft wurde in einem ehemaligen Kaufhaus eingerichtet und erinnert in gewisser Weise stark an ein Kaufhaus für Lebensmittel.
Whole Foods Market, Cheltenham
Adresse Gallagher Retall Park, Cheltenham
Eröffnung November 2012
Größe 2.500 qm
Design Inhouse
Web wholefoodsmarket.com
02 2013 störes t shops
An Parkplätze wurde jedoch nicht gedacht, daher bedient die Filiale
nach wie vor hauptsächlich Kunden, die eben noch einen oder zwei
Artikel auf dem Weg besorgen oder schnell etwas fürs Abendessen
mitnehmen m ö c h t e n . Aus diesem Grunde hat die Filiale offensichtlich die europäischen Unternehmensergebnisse nach unten gezogen.
Mittlerweile wurden weitere Geschäfte in anderen Teilen Londons
eröffnet, bei denen man wohl eher die richtige Größe getroffen hat.
Abgesehen von einem einsamen Außenposten im schottischen
Glasgow blieben die europäischen Filialen von Whole Foods bis
Ende 2012 auf das Stadtgebiet von London beschränkt, wo man
in bestimmten Vierteln der britischen Hauptstadt eine jeweils ganz
spezifische Klientel bedient.
Der 2.500 qm große Store in Cheltenham ist ein Neubau in einem Einkaufszentrum am Rande der Stadt. Schon das ist überraschend,
da die Kette Whole Foods bislang stets versucht hat, für ihre Filialen
Gebäude mit einem gewissen historischen Charme zu finden. In Chel¬
tenham befindet man sich nun umgeben von typischen Ansiedlern solcher Fachmarktzentren: Geschäften mit großen Logos in schuhkartonartigen Gebäuden.
Raus aus London
Doch dieser Whole Foods Market ist etwas anderes. Obwohl er zum
Einkaufszentrum gehört, steht er auf einem abgegrenzten Grundstück. Dort hat das Ladenbau- und Architekten-Team von Whole
Foods ein Geschäft entworfen, dessen Äußeres deutlich aus der
Umgebung herausragt.
Wenn der Kunde sein Auto auf dem dazugehörigen Parkplatz
abgestellt hat, steht er vor einem Gebäude, das an eine gewaltige
Blockhütte erinnert. Bereits die Holzverkleidung sorgt sofort für eine
gewisse Erwartungshaltung - schließlich handelt es sich ja um einen Biosupermarkt - , die von den Botschaften an den Schaufenstern der Front noch verstärkt wird: „Wir unterstützen die Landwirte", „Wir lieben frische Lebensmittel", „Bei uns gibt es nur beste
Qualität" und „Das Wohl der Menschen vor Ort und die Umwelt liegen uns am Herzen".
Bereits am Haupteingang wird der Käufer auf einer Tafel darüber informiert, wie viele lokale Erzeugnisse hier verkauft werden und
dass hier „180 begeisterte Teammitglieder" arbeiten. Whole Foods
mag zwar ein amerikanisches Unternehmen sein, es hat sich aber
ganz offensichtlich zum Ziel gesetzt, eine gute Beziehung zu Chel¬
tenham aufzubauen.
Auf seinem Weg durch den Markt stößt der Käufer als erstes auf
ein Café, das durch eine niedrige gelbe Kalksteinmauer vom Rest des
Ladens abgegrenzt ist. Die Steine sollen den Anschein erwecken, als
kämen sie aus den nahen Cotswold Hills. Das Café gibt einen ersten
Hinweis auf die restliche Inneneinrichtung, es verbindet Industriearchitektur mit einem rustikalen landwirtschaftlichen Ambiente. Die Tische und
Stühle erinnern an die längst vergangene Schulzeit; die von der Decke
02 2013
herabhängenden Pendelleuchten mit ihren glänzenden Metallschirmen
haben eher Industrie-Charme. Über dem Mäuerchen hängen weitere
Tafeln mit Botschaften über das Whole-Foods-Lebensgefühl. Dahinter beginnt nun endlich der eigentliche Laden.
Der weitläufige, einstöckige Markt ist nach dem Shop-in-ShopKonzept aufgebaut. Entlang der linken Seitenwand verläuft die ganz in
Grün gehaltene „Cotswold-Küche", in der „echte Speisen von echten Köchen" zubereitet werden. Daran schließt sich die Bäckerei an, in der die
Produkte „direkt im Laden frisch gebacken" werden, bevor man im
hinteren Teil zum Frischebereich mit den Milchprodukten gelangt.
Überall im Geschäft trifft der Kunde auf grafische Darstellungen, auf
denen deutlich gemacht wird, wo die Produkte herkommen, und die
außerdem Informationen zu den Produzenten enthalten.
Wie direkt vom Bauernhof
Im zentralen Bereich des Ladens leiten scheinbar handgemalte
Schilder die Kunden zwischen langen Holzregalen und Kühlelementen hindurch. Die gesamte Inneneinrichtung soll den Käufer ver¬
gessen lassen, dass er sich eigentlich in einem Einkaufszentrum
am Stadtrand befindet und ihm das Gefühl vermitteln, er stünde
mitten auf einer Art v o l k s t ü m l i c h e m „ B a u e r n m a r k t " , wo der Kaffee gerade frisch geröstet wird und das Fleisch direkt vom Bauernhof kommt.
Im hinteren Bereich befindet sich eine Kosmetikabteilung,
die sich einen b i o l o g i s c h - h o m ö o p a t h i s c h e n Anstrich gibt, obwohl
sie die überall erhältlichen, Produkte anbietet. Bemerkenswert ist
im Übrigen der Einsatz der in Säulen integrierten digitalen Bildschirme, an denen der Kunde auf seinem Weg durch den Laden
Rezepte und Menüvorschläge abrufen kann.
Hat der Kunde beim Verlassen des Geschäfts noch ein bisschen Zeit übrig, bietet sich ein Besuch im „ A c o r n Cook Centre"
an - einem zum Klassenzimmer umgebauten blau gestrichenen
Container, in dem Interessierte in die Geheimnisse des Kochens
und der Hauswirtschaft eingeweiht werden. Dieses Angebot gibt
stores+shops
WHOLE FOODS MARKET NEUERÖFFNUNGEN
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Bild links: Das Markt-Cafe: Tische und Stühle erinnern an die Schulzeit, über der
Mauer vermitteln viele Tafeln das Whole Foods-Lebensgefübl
Bild rechts: Ob das allen ökologisch korrekt ist? Aber es sieht auf jeden Fall sehr
lecker aus
es täglich. Ein Veranstaltungskalender informiert darüber, was hier
in den nächsten Wochen zubereitet werden soll.
Das „Cook Center" steht in einem kleinen, an das Geschäft
angrenzenden Park neben einem Airstream-Wohnwagen aus den
50er-Jahren, in dem nun Spießbraten-Sandwiches, Glühwein und
Kürbiskuchen zum Mitnehmen verkauft werden - ein Zugeständnis an die US-amerikanischen Unternehmenswurzeln. Beide Elemente, das „ C o o k Center" und der Airstream-Wohnwagen, sind
für die britischen Whole-Foods-Filialen ein Novum.
Whole Foods Cheltenham ist also ein Markt mitten in einem Einkaufszentrum, der jedoch den Eindruck erweckt, als sei
er Tausende Kilometer von dieser Umgebung entfernt. Das USUnternehmen setzt alles daran, die britischen Filialen zu einem
rentablen Teil seines Imperiums zu machen. Dank der günstigen
Betriebskosten hier am Stadtrand könnte der Kette hiermit tatsächlich ein neuer Aufbruch gelingen. Das Projekt ist auch eine
Vorlage für die weitere Expansion über die Großstädte hinaus und
könnte letztendlich den Weg aufzeigen, wie sich Whole Foods Market auf das restliche Europa ausweiten kann.
www.wholefoodsmarket.com
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