1 Was bedeutet Dropout? Dropout ist das - Kultur & Arbeit eV

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Was bedeutet Dropout?
Dropout ist das englische Wort für Schulabbrecher: Zu hohe Raten von Schulabbrüchen stellen heute in vielen europäischen
Ländern ein Problem dar.
Das gilt auch (und leider immer noch) in
Deutschland, wo das Problem seit vielen
Jahren bekannt ist und von den zuständigen Ministerien der Bundesländer bereits
mit unterschiedlichen Maßnahmen – und
zum Teil durchaus erfolgreich – angegangen wird.
Rund 15% der Jugendlichen verlassen unser Schul- und Berufsbildungssystem ohne
Berufsabschluss und sind auch danach für
berufliche und allgemeine Bildungsangebote kaum noch erreichbar. Häufige Folgen
sind Armut, soziale Ausgrenzung, erhöhtes
Kriminalitätsrisiko und lebenslange Abhängigkeit von Sozialfürsorge.
Die Auswirkungen von Schulabbrüchen
sind in mehrfacher Hinsicht schädlich:
Wie kann „Stop Dropout!“ helfen?
¾ Psychisch: Die persönliche Erfahrungen von Misserfolg, besonders am Ende
der Schullaufbahn, frustriert den Betroffenen und begünstigt eine langfristige
negative Grundeinstellung zu Bildung
und Weiterbildung. Doch auch Eltern,
Lehrer und Ausbilder empfinden Schulabbrüche häufig als Indikatoren eines
eigenen Misserfolges und somit als berufliche Belastung.
Stop Dropout! ist ein europäisches Projekt
zur Reduzierung der Abbrecherraten mit
Schwerpunkt im berufsbildenden System.
Das Projekt soll Lehrkräfte und Betreuer
dabei unterstützen,
¾ Sozial: Fehlende Abschlüsse und zeitliche Lücken in der Biographie erschweren den Einstieg in den Ausbildungsund Arbeitsmarkt. Schulabbrecher sind
daher in vielfacher Weise gefährdete
Jugendliche.
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¾ Finanziell: Die für Schulabbrecher aufgewendeten öffentlichen und privaten
Mittel summieren sich zu riesigen Beträgen, die in anderer Weise für Bildungsaufgaben sinnvoller genutzt werden könnten.
Das Projekt „Stop Dropout!“ will die aktuellen Bemühungen der Länder unterstützen, indem es neue Instrumente erprobt,
die auf verschiedenen Ebenen Hilfestellungen anbieten.
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Individuelle Risikofaktoren für Schulabbrüche frühzeitig aufzudecken,
individuelle Strategien zur Vermeidung
von Schulabbrüchen zu entwickeln und
damit letztlich
die Erfolgsquote des berufsbildenden
Systems zu verbessern.
Ausgewählte berufliche Schulen der teilnehmenden Staaten erhalten durch dieses
Projekt die Möglichkeit, Hilfen zu erproben,
die sich in anderen europäischen Ländern
bereits empirisch bewährt haben. Im Jargon der EU spricht man daher von einem
Transfer-Projekt.
Zunächst werden dazu die praktischen Ergebnisse eines sehr erfolgreichen Vorgängerprojektes aus dem Leonardo da Vinci
Programm (Projektname “PPS Personal
Profile & Support for Learners”, www.p-ps.org) in die Amtssprachen der teilnehmenden Staaten übersetzt und anschließend
als Unterstützungsinstrumente für Lehrkräfte praktisch erprobt und einer interessierten
Fachöffentlichkeit bekannt gemacht.
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Was bietet Stop Dropout! an?
Das Projekt setzt auf Früherkennung der
Risikofaktoren und die Etablierung von
Unterstützungssystemen, wie zum Beispiel die systematische Selbstbeobachtung
und die Vernetzung des Umfeldes. Im Einzelnen gehören die folgenden Instrumente
dazu:
Aus diesen sehr sensiblen und gezielt ausgewählten Rohdaten werden, basierend auf
den Methoden der multivariaten Statistik,
bestimmte Indikatoren berechnet, die das
Risiko der individuellen Schulsituation im
Sinne einer Prognose wiedergeben. Dieses
Analyseverfahren ist mit wissenschaftlichen
Methoden entwickelt und getestet worden
und hat sich in mehreren Ländern in der
Praxis bewehrt.
Analyse: Die Risiken einschätzen
Der so genannte Risk Detector (RisikoDetektor) ist das zentrale Instrument zur
frühzeitigen Erkennung von individuellen Risiken bei Schuleintritt. Dabei handelt
es sich um ein computergestütztes System
auf der Basis von Fragebögen, welches
speziell auf den Bedarf beim Übergang in
die berufsbildenden Schulen zugeschnitten
ist. Mit Hilfe des Risiko-Detektors werden
die Risikofaktoren von Jugendlichen individuell erfasst.
Gefragt wird neben der bisherigen Schullaufbahn und schulischen Leistungen zum
Beispiel nach den familiären Lebensumständen, nach Bildungsnähe bzw. –ferne
des Elternhauses, nach individuellem Lerntyp und nach außerschulischen Aktivitäten.
Die berechneten Indikatoren zeigen, in
welchem Lernumfeld sich der/die Jugendliche befindet und legen zum Teil bereits
nahe, welche Art von Unterstützung sie/er
benötigt, um erfolgreicher am Schulsystem
teilzunehmen. Ziel ist, mit Hilfe des RisikoDetektors möglichst frühzeitig Jugendliche
zu erkennen, die einen Unterstützungsbedarf haben, denn auch hier gilt: Frühe, gezielte Hilfe ist die beste Investition.
Der Aspekt „Vertrauen“ erscheint uns dabei zentral: Durch die Art der Erfassung
und Auswertung kann und sollte das Verfahren von den Unterrichtenden losgelöst
betrieben werden. Der Schüler wird dann
nicht genötigt, sich einer Person zu offenbaren, zu der er ein Abhängigkeitsverhältnis hat.
Dazu sei erwähnt: In den nordeuropäischen
Ländern, in denen das Verfahren Erfolg
hat, gibt es in den Schulen in aller Regel
einen hauptamtlichen Betreuer (Student
Counsellor), der für die Beratung der Schüler in schulischen Dingen zuständig ist und
der auch die schulische Kontaktperson für
externe Partner (Polizei, Jugendfürsorge,
Betriebe) ist. Nur solche speziell geschulten
Vertrauenspersonen dürfen die Antworten
auf den Fragebögen der Schüler einsehen.
Dazu spekulativ: In Deutschland könnte
diese Rolle den Vertrauenslehrern und/oder
den Sozialpädagogen zukommen, denen
damit ein neues Verständnis und eine stärkere Verantwortung zukäme.
Prävention: Das eigene Profil erkennen
Erste Erkenntnisse aus der Risiko-Analyse
gewinnen erst dann praktischen Wert,
wenn sie zu Aktivitäten führen. Und die
wichtigste Hilfe, quasi die Voraussetzung
für alle weiteren Maßnahmen, ist die Einsicht des Individuums in seine Situation.
Deswegen werden mit jenen Schülern mit
hohen Risiko-Indikatoren strukturierte Interviews geführt, die den Schüler zu einer Erkenntnis seiner individuellen Situation bringen. Dieses System nennt sich Persönliches Profil (Personal Profile System).
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Im Gespräch mit einer schulischen Vertrauensperson betrachtet der Schüler bestimmte Bereiche (cluster) seines Lebens
und formuliert charakteristische Aussagen:
Beispiel solcher Bereiche sind: Die Schule,
meine Familie, mein Freundeskreis, meine
Lebensweise, Meine Stärken und Schwächen, meine Hobbies. Durch die Visualisierung dieser Aussagen in einem ClusterDiagramm entsteht ein differenziertes und
merkbares Bild der eigenen Situation.
Tatsache ist, dass derzeit zahlreiche Jugendliche auf dem Weg zwischen allgemeinbildender und beruflicher Schule verloren gehen. Zwischen „abgebender“ und
„annehmender“ Schule bestehen in der
Regel kaum institutionalisierte Wege der
Koordination und Zusammenarbeit, um sicher zu stellen, dass Jugendliche tatsächlich dort ankommen, wo sie hin sollen. Der
„dropout“, das Herausfallen aus dem Bildungssystem, ist damit vorprogrammiert.
Ansätze für gezielte Selbstbeobachtung
oder für notwendige Veränderungen im
Umfeld oder in den eigenen Zielsetzungen
werden daraufhin selbst erkannt, als Ziele
formuliert und mit geplanten Aktivitäten
versehen; es entsteht quasi ein „Vertrag mit
sich selbst“, dessen Vollzug überprüfbar ist.
Es geht aber auch anders, dazu ein Beispiel aus der bundesdeutschen Praxis: An
der Schule im Erlich im rheinlandpfälzischen Speyer, einer Schule mit dem
Förderschwerpunkt Lernen, bereitet die
„Malerwerkstatt“ Jugendliche zwischen 13 –
17 Jahren systematisch und koordiniert auf
die
berufliche
Schullaufbahn
vor
(http://www.malerwerkstatt-erlichschule.de/)
. Konkret: In der „Malerwerkstatt“ bekommen die Jugendlichen Schlüsselqualifikationen für Handwerksberufe vermittelt:
Pünktlichkeit, Sauberkeit, Verlässlichkeit,
Durchhaltevermögen und Körperbewusstsein. Über die „Werkstatt“ werden zudem
Praktika und Lehrplätze vermittelt. Unabhängig davon, ob die Jugendlichen anschließend ins Berufsvorbereitungsjahr
Unterstützung: Netze enger knüpfen
Ein flexibles, präventives UnterstützungsSystem bildet das stärkste, anspruchvollste
und effektivste Instrument in Stop Dropout!
Der stützende Effekt beruht auf der systematischen Vernetzung des Umfeldes gefährdeter Jugendlicher.
oder in eine Lehre wechseln: die Betreuer
der „Malerwerkstatt“ begleiten sie im Übergang zum beruflichen Schulsystem und
stellen sicher, dass sie dort ankommen –
und bleiben.
Dort wird mit hohem personellen Einsatz
und Engagement erreicht, was StopDropout! mit ausgefeilten Unterstützungsinstrumenten und einer eigenen Methodik erreicht: Die Lebensaspekte von Familie,
Freunden, Freizeit, Schule, Arbeit und Gesundheit werden in einem ganzheitlichen
Ansatz betrachtet. Die relevanten Akteure
der einzelnen Bereiche versammeln sich
beispielsweise regelmäßig, um über die
Entwicklung des Jugendlichen zu sprechen
und bleiben auch sonst für den Bedarfsfall
in Kontakt.
Hierzu gehören zumindest: die Eltern, die
schulische Vertrauensperson, die Jugendbehörde, die örtliche Polizei und ggf. der
Ausbildungsbetrieb. Je nach Fall können
weitere Personen hinzukommen, zum Beispiel Ärzte, Psychologen, Jugendbetreuer
oder Trainer.
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Die persönlichen Kontakte in diesem Umfeld sorgen auch für funktionierende Kontakte bei besonderen Vorkommnissen. Zum
Beispiel kennt die Polizei das Umfeld von
Jugendlichen, die mit Drogen oder bei Gewaltdelikten erwischt werden und kann angemessen reagieren. Die Jugendlichen fühlen sich dadurch zwar mehr beobachtet,
aber auch behütet und mit ihren Problemen
ernst genommen. Der Staat kümmert sich
um sie, anstatt sie auszusondern, zu bestrafen.
Der Ansatz der Erlichschule ist vergleichbar
der StopDropout!-Methodik.Tatsächlich hat
die Einführung der StopDropout!-Methodik
in Teilen von Norwegen den Rückgang von
jugendlichem Drogenkonsum auf weniger
als 10% des ursprünglichen Wertes zur
Folge gehabt.
Der anfängliche Mehraufwand für die Gesprächsrunden rechnet sich übrigens auch
für den Staat: Weniger Einsätze entlasten
die Polizei, weniger Wiederholer und Schulabbrecher nutzen der Schule, weniger
häusliche Gewalt entlastet das Jugendamt.
Könnte dies auch für unser Land ein Modell
für den Umgang mit „schwierigen“ Jugendlichen werden? Wir meinen: Es ist einen
Versuch wert!
Die europäische Dimension – nicht unser Problem?
Obwohl Österreich, Deutschland, Slowenien und die Tschechische Republik schulformübergreifend den europäischen Richtwert von weniger als 10% Schulabbrüchen
an allgemeinbildenden Schulen erreichen,
liegen im berufsbildenden Bereich die Abbrecherquoten deutlich höher. Beispiel Österreich: Hier gibt es bei den berufsbildenden Schulen Abbrecherquoten von bis zu
42%. Folge: Jede/r dritte Schüler/in schließt
seine/ihre Berufsausbildung nicht erfolgreich ab. Die Probleme scheinen also in
verschiedenen Staaten recht ähnlich zu
sein.
Und noch ein Aspekt fällt auf: Statistisch
gesehen sind junge Erwachsene mit Migrationshintergrund von Schulabbrüchen und
fehlendem Berufsabschluss besonders bedroht: Das Risiko, eine Ausbildung nicht
abzuschließen, ist bei dieser Gruppe in allen am Projekt beteiligten Ländern mindestens doppelt so hoch wie der Durchschnittswert. In Europa sind also Kinder
von Einwanderern – und das keineswegs
nur in Deutschland – strukturell benachteiligt, was sowohl der viel gepriesenen europäischen Integration als auch dem Gebot
der gleichen Bildungschancen eklatant zuwider läuft.
Das Konsortium
Das Projekt wird gefördert von der Europäischen Union im Rahmen des "Lifelong
Learning Programms - Teilprogramm LEONARDO" und ko-finanziert aus Mitteln der
beteiligten Partner. Diese 10 Partner aus 6
Ländern arbeiten zunächst 18 Monate (Dezember 2009 - Mai 2011) an ihrem gemeinsamen Ziel:
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Blickpunkt Identität
http://www.blickpunkt-identitaet.eu
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Bundeshandelsakademie und Bundeshandelsschule Wien 10
http://www.bhakwien10.at
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Learning for Life - ucici (se) organizace
http://learning4life.eu
•
Soukroma Stredni odborna skola a
Soukrome odborne uciliste BEAN
s.r.o.
http://www.bean.cz
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Arbeit und Kultur e.V.
http://www.kultur-und-arbeit.de
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Listahaskoli Islands
http://Lhi.is
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University of Iceland, Faculty of social and human sciences
http://www.hi.is
Ansprechpartner: Susanne Linde & Mag.
Klaus Linde-Leimer
•
Vennesla videregaende skole
http://www.waf.no
•
INTEGRA, Drustvo za razvoj
cloveskih virov
http://www.eu-integra.eu
In den Ländern Deutschland, Tschechische
Republik, Slowenien, Norwegen und Island
stehen die Projektpartner gerne mit Projektinformationen zur Einbindung in Tests zur
Verfügung. In einem ersten Umsetzungsschritt werden Tests an folgenden europäischen Schulen durchgeführt:
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Javni zavod Korosko visje in visokosolsko sredisce
http://www.ko-vivis.si
Österreich: Bundeshandelsakademie und
Bundeshandelsschule Wien 10
Deutschland: Berufliche Schulen 1, Mainz,
Kontakt
Informationen bietet der Projektkoordinator:
Blickpunkt Identität
Badgasse 41/3
A-2105 Unterrohrbach
Österreich
Tel. +43 681 10 43 45 03
E-Mail: [email protected]
Web: http://www.blickpunkt-identitaet.eu
Norwegen: Vennesla videregaende skole,
Vennesla
Die Testschulen in der Tschechische Republik, Slowenien und Island sind über den
Koordinator zu erfragen.
Gefördert durch: