Vo l k e r B r a u n WAS WOLLT IHR DENN 1 © henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2005 Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Das Vervielfältigen, Ausschreiben der Rollen sowie die Weitergabe der Bücher ist untersagt. Eine Verletzung dieser Verpflichtungen verstößt gegen das Urheberrecht und zieht zivil- und strafrechtliche Folgen nach sich. Die Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Marienburger Straße 28 10405 Berlin Wird das Stück nicht zur Aufführung oder Sendung angenommen, so ist dieses Ansichtsexemplar unverzüglich an den Verlag zurückzusenden. F1 2 PERSONEN Der Zeitgeist Maurice, Floris, Geschäftsleute Roos, Polizeiagent Krüger, Dauercamper Zwei Penner Houria, Kabile, Flüchtlinge Ein Inder Vadim, Schlepper Marianne, Krügers Frau Ein Polizist Flüchtlinge. Touristen 3 Krüger Wo ist dein Feind? (Der Penner glotzt.) Wo ist dein Feind? (Der Penner schüttelt den Kopf.) Wir haben keinen Feind. Darum können wir nicht gewinnen. 5 1 Der Zeitgeist (Hochaufgeschossen, lax.) All my friends, ich muß mich nicht vorstellen: man sieht mich jeden Tag oder hört von mir, ich bin der Geist, der die Zeit bejaht und zu dem sie selber Ja sagt. Mein beliebiger Aufzug: ist nur zeitgemäß, meine beliebten Worte sind die euren. Man weiß, ich war lange gefangen in engen Gefängnissen; nun bin ich befreit und muß dankbar sein den Verhältnissen, denen ich folgen darf. (Er wiederholt sich.) Man erkennt mich, nicht wahr? O ich rede viel und dumm und schlau und süß, wie es die Verhältnisse verlangen. Man nennt mich angepaßt, das ist wahr, und wie denn nicht: paßt sich nicht alles auch mir an? Ich singe, und ihr seid verzaubert, verwildert. Ich herrsche, alright, man applaudiert. (Musik; sie endet.) Aber ich kann mich verwandeln „von Zeit zu Zeit“, wenn man will. (Verbeugt sich: er ist jetzt dicklich, genial, und hat etwas von Sloterdijk.) Ich, der Zeitgeist, Telefax, zu Diensten. (Raschelnd.) Die logische Fabrik des Wirklichen hat Bankrott gemacht. Man hat keinen Bedarf mehr an den gewohnten Antithesen. Arm und reich, das sind ausgekaute Begriffe. Wir kosten die Unterschiede, und sie mischen sich zu einem Brei auf dem Bildschirm. OBEN UNTEN DRIN UND DRAUSSEN – das Theater, gegessen. Eine neutrale Welt im Friedenskrieg, Bomben Regen, Winter Kirschen. (Er zitiert sich.) Die Liebhaber klarer Verhältnisse sehn eine unrettbare Welt, wie vom Pilz befallen, der die Konturen tilgt. Selbst die erhabensten Gegensätze sind amorph geworden, das Böse greift dem Guten unter dem Tisch ans Bein und das Gute hält still, die Seele flirtet mit der Maschine, die Materie fickt den Geist, die mächtigsten Dichotomien schwimmen verwässert dahin. Überall steht – ah weht – ein Dunst von großer Koalition. Alles vibriert vom Schütteln der Hände, die abgehackt wurden. Alles macht Urlaub beim Gegner, Flüchtlinge Touristen in einer Strandburg. – Still. Das Theater: mein Feind. Was wollt ihr denn? (Das Rascheln geht in Wind über, der Wind in tosende Brandung. Er geht rasch ab.) Maurice. Roos. Maurice Ich weiß nicht, warum ich vergnügt bin, wirklich, es kotzt mich an. Dich kotzt es auch an. Ich steh kichernd auf und grinse, wenn der Tag herum ist, ich bin vergnügt ohne Sinn. Roos Das ist ein verzweifelter Tatbestand, Moritz. Maurice Maurice. Von Taten rede ich nicht, es ist ein Zustand, nicht mal daß ich denke, eine Anlage, ohne Lust. 6 Roos Sie haben eine gesunde Rendite, Maurice. Maurice Man sagt, ich sei aufgedreht, aber es ist Normalnull, ich rechne noch gar nicht, warum ich Grund hab, froh zu sein. Sag, daß es dich ankotzt. Roos Ich gestehe, ich find es nicht richtig, so verkehrt fröhlich zu sein, Mauritz. Maurice Ich lache nicht einmal, ich lächle kalt, ich investiere nichts in meine Stimmung, sie ist kein Geschäft. Maurice. Roos Es kostet Sie ein Grinsen, Moritz. Maurice (Grinst.) Was zahl ich dir, Roos, daß du mir den Grund sagst? Roos (Sieht das Geld.) – Die Welt geht zugrunde. Maurice Sie ist obenauf. Roos Wie Sie. Aus Angst. Aus Wut, Maurice. Maurice Freilich, das triffts. Roos Scheißwut, Scheißangst. Maurice Mit Scheiße ist es was. Roos Wir entscheiden … wir scheiden das nicht aus. (Nimmt das Geld.) Maurice Ruf Floris. Aus seinem … deinem Bett. Sag, ich bin angstvergnügt! Roos Scheißfroh. – Ihr seht ihn. (Floris.) Maurice Floris. Bist du wohlauf. Bist du erhalten. Roos Wohlbehalten. Floris Unversehrt. Roos Die süßen Knochen. Unverzehrt. Floris Piranhas in der Themse. Maurice Ich weiß schon alles. Rede. (Umarmt ihn.) Floris. 7 Floris Ich fuhr zehn Meter vor dem Strand, das Wasser hüfthoch, und das Scheißboot schoß vorbei und riß dem Kerl das Bein weg (Armbewegung.) wie ein Hai. Die Brühe war rot von Blut. Maurice Die Brühe … rot von Blut. Floris Gewiß. Roos Sie bluten, Herr. Maurice Was, was. (Sieht seine Hände an.) Was schwimmt der Kerl im Meer. In Kleidern, wie. Ein Schwarzer, Weißer? Floris Ich weiß nicht, er war blaß. Maurice Du wärst verblutet, Floris! Roos O Gott, Floris. Maurice Mit deinem Blut, bis man es beschafft hat. Floris Wohl wahr. (Armbewegung.) Ein schöner Hai. Roos Mit seinem, was. Was schön. Floris Ich weiß, was schön ist. (Umarmt ihn.) Roos. Roos (Zieht ihm das Messer, an dem sich Maurice schnitt, hinten aus dem Gürtel.) In der Karibik gibt es Haie. Maurice In der Karibik, wo er surft. (Erstaunt.) Es gibt dort Haie? Floris Wo sonst. Im Meer. Maurice Wo sonst. Roos Er sieht sie doch, Maurice. Maurice – Du lebst mir zu riskant, was, Roos. Roos O ja mein Gott. – Was denn für ein Scheißblut? Floris Ich liebe Haie. Die Flossen, Roos. Ein schönes, freies Tier. Roos Die Haifischflossensuppe. 8 Maurice Suppe. (Beschmiert sich.) Die Jagd auf diese … Delikatesse ist besonders grausam. Man schneidet dem Hai nur … die Flosse ab, und noch lebend wirft man ihn … wieder ins Wasser, wo er verblutet oder von anderen Haien zerfleischt wird. Floris Was grinst du. Maurice Ich habe bezahlt dafür. (Zu Roos.) Ist es bezahlt. Roos Gekauft. Ein Grinsen. Maurice So schnell verdient er Geld. Wie wir. Roos Mit einer flüchtigen Ware. Maurice (Greift sich ins Gesicht: ist ernst.) Ja. Floris Wenn man nichts verkauft, muß man das Nichts verkaufen. Roos Nichts. Den Sand? Das Meer? Floris Den Strand. Maurice Er lebt gefährlich, dein Floris. Floris Das ist der Kick … Ich lebe. Ich liebe das. Maurice Ich lieb es nicht! Roos Und ich nicht. Maurice Ist es dein Leben, oder mein Geschäft. Was mach ich, wenn du draufgehst? (Leckt sich die Hände ab.) Floris Dann sind wir ruiniert. Maurice Ich bin es, Freund. Du wirst dich vorsehn. Floris Er kann kein Blut sehn. Roos Nicht deins. Floris (Ritzt Roos mit dem Messer.) Nicht deins. Roos – Scheiße. Du wirst dich vorsehn. 9 Maurice Vorsorgen – daß er flüssig ist. Roos (Beschmiert sich auch.) Blut, was. Maurice Sein seltenes Blut! Floris An dem das … das an dem Geschäft hängt. Maurice Sein Herzblut. – Such einen Mann, ders hat. Roos (Halb ernst.) Ders übrig hat. Floris Oder die Frau. Wie wärs mit einer Frau. Maurice Jetzt hat er Blut geleckt. (Kalt.) Ich kauf den Mann. Krüger in seiner Strandburg. Zwei jugendliche Penner stehen ihm bei in der Hofhaltung. Hinten ein Container. Krüger – Hier vor meine Aussicht auf die Nordsee stellt man einen Container. Das steht morgen in der Zeitung. Ich liege nichtsahnend in meinen vier Wänden, sagt Manfred Krüger, und erblicke den rostigen Container. Jetzt ist er Nachbar von einem abgestellten miesen Behälter und blickt auf einen Schrottplatz. Ich will nicht wissen, was in dem Container ist, Müll, aber ich wette, daß jetzt keiner weiß, wie der hergekommen ist. Jetzt betrachtet er schon fünf Minuten diesen verdammten Container, an dem die Flut frißt. (Zu einem Penner.) Gib mir ein Bier. Ist das kalt? (Die Penner schlagen an den Container. Einige abgerissene Passanten bleiben stehen.) Oder diese Meldung. Asylanten eingereist als Chor. Eine Gruppe Asylsuchender ist in Schiphol eingereist, als Chor. Den will ich hören, sagt Manfred, und mustert mißtrauisch die Fremden, die aus den Auffanglagern brechen und am Strand spazieren. Die Kunst geht nach Fladenbrot, wie. Mit ihren Hautfarben sind sie vermutlich ein gemischter Chor. In Holland singt man nicht, aber bezahlt jedes Hallodri. (Hebt die Büchse.) Skoll for kunsten. Ein Penner (Laut.) Holla dri. (Die Passanten, Flüchtlinge offensichtlich, verziehen sich. Die Penner nehmen Krügers Wäsche ab, sichten die Bierkästen und dürfen sich eine Büchse genehmigen. Krüger genießt die Besinnlichkeit.) 10
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