KU LT U R M o n t a g , 1 0 . S e p t e m b e r 2 0 1 2 – N r. 2 0 9 Der Zapper-Philipp SWT WUES - Seite 12 Das Wohltemperierte Klavier als Breakdance-Show beim Nachsommer Schweinfurt Fernsehen in der Unterwelt ................................................................................... [email protected] ................................................................................... D as haben wir nun von unserer Ellenbogengesellschaft. Der Schwache wird ausgesiebt, weggefegt, liegen gelassen. Der Starke wird für seinen Egoismus auch noch belohnt, bekommt Geld, Aufmerksamkeit, Ruhm. In unzähligen Casting-, Quiz- und Spieleshows wird dieses Prinzip des „Überlebens des Stärksten“ verbreitet. Im „Dschungelcamp“ geht man sogar auf evolutionäre Anfänge zurück: Wer die meisten Maden isst, gewinnt. Sat. 1 war immerhin schon im Mittelalter angekommen. Bei „Das schnellste Quiz der Welt“ landeten die gescheiterten Kandidaten in Falltüren wie einst im Burgverlies. Ich will gar nicht wissen, was ihnen in der Unterwelt dann drohte. Vielleicht landeten sie direkt in der nächsten Show. Beim „Dschungelcamp“ oder – noch schlimmer – beim „Sommerfest der Volksmusik“. Ein überlebtes Zapperlott! ANZEIGE 0931/ 60016000 Mediengruppe Main-Post Film aus Korea siegt in Venedig Zwei Preise in die USA VENEDIG (dpa) Das gesellschaftskri- tische Drama „Piet`a“ des südkoreanischen Regisseurs Kim Ki-duk hat bei den 69. Internationalen Filmfestspielen Venedig den Goldenen Löwen gewonnen. Zwei Auszeichnungen gingen an das Sektendrama „The Master“ von US-Regisseur Paul Thomas Anderson. Der Österreicher Ulrich Seidl wurde für „Paradies: Glaube“ mit dem Spezialpreis der Jury geehrt. Die Preise wurden am Samstagabend von der neunköpfigen Jury unter Vorsitz von US-Regisseur Michael Mann vergeben. Im Wettbewerb des ältesten Filmfestivals der Welt hatten 18 Filme konkurriert (wir berichteten). Werteverlust „Piet`a“ erzählt von einem brutalen Geldeintreiber in Seoul. Eines Tages dann taucht seine angebliche Mutter auf und verändert sein Leben grundlegend. Kim Ki-duk thematisiert die Gier nach Geld und stellt Fragen nach Moral und Werteverlust moderner Gesellschaften. Der 51-jährige Regisseur hatte 2004 für sein Liebesdrama „Bin-jip“ bereits einen Silbernen Löwen erhalten. Das Sektendrama „The Master“ gewann den Preis für die beste Regie. Außerdem wurden die beiden Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix ausgezeichnet. Sie teilen sich den Löwen für die beste schauspielerische Leistung. Als beste Schauspielerin wurde Hadas Yaron geehrt, Hauptdarstellerin in dem israelischen Beitrag „Fill the Void“. Die deutsche Koproduktion „Paradies: Glaube“ von Seidl handelt von einer strenggläubigen Katholikin, die mit ihrem muslimischen Ehemann einen privaten Glaubenskrieg führt. Es ist der zweite Teil von Seidls Trilogie über drei Frauen auf der Suche nach ihrem Glück. SCHWEINFURT (maw) Die ersten zwölf Präludien und Fugen aus Bachs Wohltemperiertem Klavier, Teil 1, umgesetzt, kommentiert, interpretiert mit Breakdance: Mit der Show „Red Bull Flying Bach“ hat am Freitag und Samstag im Konferenzzentrum der 13. Schweinfurter Nachsommer begonnen. Wie Bach, der unter Einhaltung der strengen Regeln, denen mehrstim- mige Musik unterliegt, Stücke von grenzenloser Freiheit geschaffen hat, nutzt die Berliner Truppe Flying Steps mit einer Tänzerin und sieben Tänzern das klar umrissene Breakdance-Repertoire mit seinen kategorisierten Moves zu unendlich vielfältigen Aussagen. Da wird gekämpft und geprotzt, gelitten und gejubelt, geflogen und gerutscht, gebeten und gefordert, gelacht und geweint. Pirouetten auf dem Kopf, auf dem Unterarm oder nur auf einer Hand, Salti, Sprünge, die auf der Schulter landen und sofort in eine andere, physikalisch ebenfalls unmögliche Bewegung übergehen, und das alles in perfektem Einklang der Gruppe und mit der Musik. Ständig gibt es etwas zu staunen und zu bewundern, ständig passiert etwas Überraschendes. Zum Bei- spiel die Umsetzung einer Fuge nur mit einer überaus witzigen Armchoreografie (Bild, entstanden bei der Generalprobe) oder ein herzhaftes Schnäuzen. Christoph Hagel und der Choreograf Vartan Bassil verzichten darauf, die Musik sozusagen wörtlich zu übersetzen, sondern sie stellen die beiden Kunstformen einander gleichberechtigt gegenüber. Und so wird aus Bachs Vielfalt und der des Tanzes mehr als die Summe dieser Teile. Bis 28. September finden in Schweinfurt sieben weitere Veranstaltungen unter dem Motto „Grenzüberschreitungen“ statt, vom Percussionkonzert über die Lesung bis hin zur A-Cappella-Comedy. Programm und Karten unter www.nachsommer.de. Hotline: ü (09 31) 60 01 60 00. FOTO: WALTRAUD FUCHS-MAUDER Was die neue Mozartfest-Chefin vorhat Die designierte Intendantin Evelyn Meining über Eventkultur und die Zukunft des Würzburger Festivals ................................................................................... Evelyn Meining Das Gespräch führte RALPH HERINGLEHNER ................................................................................... Geboren 1966 in Rostock. Studierte Gesang an der Musikhochschule Dresden und Kulturmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Die Kulturmanagerin Evelyn Meining wird ab 2014 das Würzburger Mozartfest leiten (wir berichteten). Der Vertrag des derzeitigen künstlerischen Leiters, Christian Kabitz, endet 2013. Seit 1999 ist Evelyn Meining Programmdirektorin und Prokuristin beim Rheingau Musik Festival, das zu den größten Festivals in Deutschland zählt. Mit 154 Veranstaltungen und 112 000 Besucher (2012) ist das Festival drei- bis viermal so groß wie das Mozartfest Würzburg. FRAGE; Besteht Bedarf, das Image des Mozartfestes aufzupolieren? EVELYN MEINING: Ich habe den An- spruch, ein griffigeres Image zu entwickeln: ein Profil, das man wirklich fassen kann. Wie haben Sie – vor Ihrer Kür zur neuen Intendantin – das Mozartfest wahrgenommen? MEINING: Ich kannte das Mozartfest als themenbezogenes Festival, das berühmt ist durch seine große Tradition und seine prächtigen Spielstätten. Der Bayerische Rundfunk hat viele Sternstunden festgehalten. Von den Zeiten Rafael Kubeliks bis heute waren und sind viele Weltklassekünstler zu Gast. Das klingt auch ein bisschen so, als habe das Festival ein altbackenes Image. MEINING: Es gibt Leute, die sagen, der gutbürgerliche Klassik- und Festivalbetrieb sei in die Jahre gekommen. Mit dieser Kritik ist meist gemeint: Er sei unverbindlich, auch automatisiert und gehe uns nichts mehr an. Wenn und wo das so wahrgenommen wird, hat es an Kommunikation gefehlt. Eine Sinfonie oder ein Streichquartett von Mozart ist ja nicht altbacken, sondern frisch wie am ersten Tag. Es kommt nur darauf an, wie wir heute mental damit umgehen. Das Thema Mozart bedeutet nicht nur eine Beschäftigung mit der Geschichte, sondern – viel wichtiger – eine Beschäftigung mit der Gegenwart. Darin sehe ich meine Aufgabe. Was bedeutet das konkret? MEINING: Wenn wir bekannte und unbekannte, alte und neue Werke nebeneinander stellen und sich gegenseitig beleuchten lassen, dann Neue Mozartfest-Chefin: Evelyn Meining. geht es neben den historischen vor allem um inhaltliche Bezüge. Entscheidend ist, dass Musik konkret wird, also geistig und sinnlich erfahrbar – und eben nicht in einem Kanon gefangen bleibt, mag er nun gutbürgerlich sein oder anders definiert. Dann wird sie auch verbindlich, dann geht sie uns an. Dazu kann die Programmgestaltung viel beitragen. Auch das Verhältnis von Raum und Stückauswahl spielt herein. Und natürlich die Auswahl der Künstler, die bei der Kreation der Programme mitdenken. Mit dem Kissinger Sommer haben Sie ein attraktives Festival direkt vor der Haustüre. Wie gehen Sie damit um, wo Sie durch das Motto „Mozart“ doch eingeschränkt sind? MEINING: Eingeschränkt – und auch wieder nicht. Es ist ja eben der Reiz, dass Mozart die Möglichkeit bietet, sich thematisch zu konzentrieren und gleichzeitig eine breite Spannweite zu entwickeln. Der KlassikMarkt ist voll von Beliebigkeit. Da gegenzusteuern ist eine reizvolle Aufgabe. Übrigens gibt sich der Kissinger Sommer ja auch Themen, nämlich alljährlich wechselnde Länderschwerpunkte. FOTO: TANJA NITZKE Sehen Sie eine direkte Konkurrenzsituation zu Kissingen? MEINING: Ich bin zunächst einmal sehr offen und sage: Wir haben kulturelle Vielfalt in der Region. Das ist gut so und macht Franken zu einer lebendigen und aufgeschlossenen Kulturlandschaft. Natürlich werde ich mit Bad Kissingen Kontakt aufnehmen. Denn dass die Stadt für ein potenzielles Mozartfest-Publikum erreichbar ist, ist auch Ansporn. Wir werden sehen, wo die Gemeinsamkeiten liegen und wo es gerade auf die Unterschiede ankommt. Wettstreit und auch Kooperation können befeuern, wenn sie inhaltlich Sinn machen. Vielleicht können wir unseren Festivalbesuchern etwas Besonderes bieten, indem wir herausfinden: Wo sind Synergieeffekte möglich? Wo können wir gemeinsam Ereignisse schaffen, die das einzelne Festival nicht stemmen kann? Der Kissinger Sommer klotzt meist mit großen Namen . . . MEINING: Große Namen – das habe ich auch beim Rheingau Musik Festival immer gesagt – sind keine Frage der Kreativität, sondern nur eine Frage des Geldes. Insofern besteht der Anreiz in Würzburg darin, die Quali- Intendantin des Würzburger Mozartfestes ist Meining ab 2014. Der Vertrag läuft fünf Jahre. tät im Besonderen zu finden, im Exklusiven. Und es gibt durchaus große Künstler, die große Kunsterlebnisse schaffen, ohne sich über Höchstgagen zu definieren. Das Mozartfest hat eine Auslastung von über 90 Prozent. Trotzdem muss man sicherlich was tun, um es zukunftsfähig zu machen. Wie nahezu alle KlassikFestivals ist der Altersdurchschnitt beim Publikum hoch. MEINING: Es ist die Aufgabe jedes Festivalleiters, etwas zu tun, um ein Festival zukunftsfähig zu machen. Dazu gehören ein klares Profil und ein Programm, das verschiedene Generationen anspricht. Es sollte ein Angebot für jede Altersgruppe geben. Im Idealfall könnte das heißen: Die Eltern besuchen in der Residenz ein Konzert; die Jugendlichen finden im selben Festival ebenfalls ein tolles Angebot – und tauschen sich zu Hause mit den Eltern darüber aus. Geht das dann womöglich in Richtung „Event“? MEINING: Nein. Muss es auch nicht. Es geht in ganz andere, nämlich tiefere Schichten von Originalität und Fantasiereichtum. Ich möchte die Neugier der Zuhörer schüren, ihren Hunger nach Erfahrungen steigern. Das hat nichts mit Events zu tun. Im Gegenteil: Es gibt eine Event-Müdigkeit. Es „eventet“ überall. Der Leiter der Festspiele von Mecklenburg-Vorpommern, Matthias von Hülsen, hat das kürzlich so gesagt: Jeder, der eine grüne Wiese hat, meint, er müsse da ein Klassik-Festival stattfinden lassen. Überhaupt: Was ist ein Event? Ein Event hat wenig Herz und Seele, es schielt nach Geld und Zahlen. Das ist nicht unser Anspruch, ist es in Würzburg nie gewesen. Gott sei Dank. Kennen Sie Würzburg? MEINING: Nicht wie meine Westentasche, aber ich finde die Stadt mit ihrer über tausendjährigen Geschichte anziehend. Ich liebe das Frankenland und die Mentalität seiner Menschen. Mein Mann ist gebürtiger Franke, und wir waren oft hier. Es ist eine Fluss- und Weinlandschaft. Das sind liebliche Landschaften. Wo Wein angebaut und getrunken wird, gibt es gesellige, zugängliche und fröhliche Menschen. Und musikalische! Und natürlich ist Würzburg eine bedeutende Stadt. Eine Stadt des Geistes, mit der ältesten Universität Bayerns, mit einem Mozartforscher von Weltrang – Professor Ulrich Konrad –, mit einer Musikhochschule und einer dichten Kirchenmusiklandschaft, nicht zu vergessen das Theater der Stadt. Mit der preisgekrönten Stadtbibliothek und natürlich mit der barocken Residenz als Weltkulturerbe. Wunderbare Voraussetzungen für ein Festival. Sie fangen als Intendantin im Jahr 2014 an. Wird das Mozartfest da schon Ihre Handschrift tragen? MEINING: Das ist jetzt die große Herausforderung: Meine Ideen, mein Konzept, das ich in der Tasche habe, schon für übernächstes Jahr umzusetzen. Da geht es in erster Linie um Terminfragen. Aber ich bin guter Dinge. Ich bin jetzt damit beschäftigt, Weichen zu stellen und die richtigen Partner für das neue Mozartfest zu begeistern.
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