Der Ermittler - Schweizer Versicherung

MANAGEMENT & BILDUNG Serie Berufsporträts
Der
Ermittler
SACHA TRUFFER Während 13 Jahren
spürte er Wirtschaftsbetrügern nach, fünf
Jahre davon bei der Basler Versicherung.
In dieser Zeit ist ihm so manch haarsträubender Betrugsfall auf dem Pult gelandet. Seit Kurzem hat der 43-Jährige aber
eine neue Berufung gefunden: Als Leiter
der Abteilung Kundenzufriedenheit.
VON SANDRA ESCHER CLAUSS,
FOTO: PETER FROMMENWILER
Weiss, wie man Versicherungsbetrügern auf die
Schliche kommt: Sacha Truffer.
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JANUAR 2015 | SCHWEIZER VERSICHERUNG
G
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elegenheit macht Diebe – aber
nicht nur. «Damit jemand zum
Betrüger wird, sind neben der
Gelegenheit auch die Motivation
sowie die Rechtfertigung, die er
sich konstruiert, zentrale Auslösefaktoren»,
erklärt Sacha Truffer, Leiter Fachstelle Bekämpfung Versicherungsmissbrauch bei der
Basler Versicherung. Das ist nicht etwa seine
eigene Theorie, die er sich in den 13 Jahren,
in denen er Wirtschaftsdelinquenten aufgespürt hat, zurechtgelegt hat. Die Definition
geht zurück auf den Pionier der Wirtschaftskriminologie, Donald R. Cressey. Seine Forschungsergebnisse sind zwar bereits über ein
halbes Jahrhundert alt, bilden aber noch
immer den Ausgangspunkt für die Erklärung
wirtschaftskriminellen Verhaltens.
Die meisten Wirtschaftsdelinquenten, so
Truffer, sehen sich nicht als Kriminelle, sondern als Menschen, die unverschuldet in eine
unglückliche Situation geraten sind. «Betrug
hat eben viel mit Emotionen zu tun. Nicht
nur auf der Seite des Betrügers, sondern auch
auf der Seite des Betrogenen», erklärt er.
Genau diese menschlichen Emotionen sowie die Psychologie
hinter den Betrugsfällen sind einer der
Hauptgründe dafür,
dass Sacha Truffer seit
seinem Jura-Studium
im Bereich Wirtschaftskriminalistik
gearbeitet hat. «Nach dem Studium an der
Universität Basel nahm ich das auf neun Monate befristete Angebot des besonderen Untersuchungsrichteramtes Basellandschaft in
Liestal an, weil ich in die Welt der Wirtschaftsdelikte reinschnuppern wollte.» Aus den neun
Monaten wurden fünf Jahre, in denen Truffer
vor allem Ermittlungen rund um Anlagengeschäfte tätigte.
schlechter Aktenwälzer geworden», schmunzelt er über das Klischee des Paragraphen studierenden Anwaltes.
Nachdem er seinen Master-Abschluss in der
Tasche hatte, nahm Sacha Truffer 2006 ein Jobangebot des Beratungsunternehmens Deloitte
in Zürich an. Dort begann man damals mit
dem Aufbau der Forensic and Dispute Services. «Der damalige Leiter der Abteilung hatte
das Pendant bereits in Deutschland aufgebaut
und verfügte über eine grosse Erfahrung, die er
gerne mit mir und meinen beiden Kollegen
teilte», blickt Truffer zurück. Als Senior Manager unterstützte der Basler Kunden in China,
Südamerika, den USA, Asien und in ganz Europa. Auch bei dieser Tätigkeit kamen sein Interesse an den Menschen sowie seine ausgeprägte Kundenorientierung zum Tragen. Nicht
nur in der Akquise, sondern auch in der Abwicklung der Mandate.
Unverhofft in die Assekuranz
Sehr dynamisch, äusserst spannend und prestigeträchtig sei dieser Job gewesen. «Vor allem
Letzteres war sehr verführerisch», sinniert
Sacha Truffer. «Ich
hatte spannende Stories auf Lager, die ich
Kollegen
erzählen
konnte, flog die ganze
Zeit um den Globus,
logierte in tollen Hotels…» Bis ihn eines
Nachts, als er in einem
dieser Hotels in Griechenland über den Akten eines aktuellen Falles brütete, kurz vor 23 Uhr seine Frau anrief.
«Unsere wenige Wochen alte Tochter schrie
seit Stunden und meine Frau war fix und fertig
mit den Nerven.» In diesem Moment realisierte Truffer, dass er mehr wollte als einfach
einen angesehenen Job. «Schliesslich hatte
auch ich mich für eine Familie entschieden.»
Der Zufall wollte es, dass ihm kurze Zeit
später zugetragen wurde, die Basler Versicherung plane die seit 1996 bestehende Fachstelle
zur Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs (BVM) zu professionalisieren. «Bis zu
diesem Zeitpunkt war ein Schadenjurist neben seinem normalen Job noch zu 30 Prozent
als Leiter der Fachstelle zuständig», erinnert
sich Truffer. Weil dieser pensioniert wurde
und die Betrugsfälle wie in allen anderen Gesellschaften laufend zunahmen, entschied
sich die Geschäftsleitung, in Basel eine Hundert-Prozentstelle zu schaffen.
Die Wahl für die Leitung der Fachstelle fiel
auf Sacha Truffer. Eine absolute Win-win-Situation. Truffers strafrechtlicher Hinter- →
«Je mehr Stellen zur
Betrugsbekämpfung
geschaffen werden,
desto mehr Fälle werden
entdeckt.»
Grosses Interesse am Menschen
Weil er merkte, dass er mit seinem Einstieg ins
Berufsleben ins Schwarze getroffen hatte, absolvierte er berufsbegleitend den Master of
Economic Crime Investigation (MAS ECI) an
der Hochschule Luzern, um sein praktisches
Rüstzeug auch mit Theorie zu untermauern.
«Der Lehrgang ist interdisziplinär aufgebaut
und mir wurde bewusst, wie wichtig es bei den
Ermittlungen ist, dass verschiedene Spezialisten aus Finanz, Recht oder Informatik zusammenarbeiten.» Auch in dieser Aussage spielt
sie wieder mit, Truffers Vorliebe für Menschen
und das Miteinander. «Aus mir wäre wohl ein
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grund sowie sein Flair für Kunden erwiesensichfürdasVersicherungsunter­n­ehmen
als ideal und für den passionierten Familienmenschen verkürzte sich nicht nur der Arbeitsweg, sondern er konnte auch wieder sesshafter werden. Zudem reizte ihn die Aufgabe,
für ein Team verantwortlich zu sein und seine
bei Deloitte gemachten Erfahrungen in der
Neuausrichtung einer Abteilung anzuwenden
und umzusetzen.
Eines seiner Hauptziele nach dem Start bei
der Basler Versicherung war es, die Personen
aus der Schadensabteilung mit direktem Kundenkontakt zu sensibilisieren und seine Abteilung positiv in deren Gedächtnis zu verankern.
«In der Hektik des Alltags kommt es immer
wieder vor, dass die Leute eher wegschauen,
wenn sie das Gefühl haben, ein Fall könnte
kompliziert sein oder werden», weiss Truffer.
Daher musste intern das Bewusstsein dafür geschaffen werden, die Fachstelle zu kontaktieren und den Fall den Spezialistinnen und Spezialisten zu übergeben. Dies, so Truffer, sei ihm
und seinen Mitarbeitenden in den vergangenen fünf Jahren sehr gut gelungen. «Zum Glück
besteht unsere Schadenabteilung zudem aus
vielen langjährigen Mitarbeitenden, die über
ein sehr gutes ‹Gschpüüri› für Unregelmässigkeiten verfügen», lobt er seine Kollegen.
Ein zentraler Erfolgsfaktor dürfte erneut
auch Truffers Vorliebe für Menschen und die
Kommunikation gewesen sein. So sass er am
Anfang seiner Tätigkeit mit allen Teamleitern
zusammen und erfragte deren Bedürfnisse
und Erwartungen an die Fachstelle für Versicherungsmissbrauch. Danach etablierte er mit
den Donnerstagsrunden eine Art offizielle
Sprechstunde und alle drei Wochen führte er
mit seinem Team Fallbesprechungen durch.
Erfahrene Truppe
Dass er als Fachstellen-Leiter primär Management-Aufgaben erledigt und nicht mehr ermittelt hat, störte den 43-Jährigen nicht. «Ich
konnte meine Erfahrungen ja als Ideenbringer
weitergeben und so auch meine Sichtweise
einbringen.» Gekonnt kommunizierte er intern auch die Erfolge seiner Truppe. Diese bestand mittlerweile aus acht Ermittlerinnen
und Ermittlern. Sieben davon mit kriminalpolizeilichem Hintergrund und ein Mitarbeiter
als ehemaliger Schadeninspektor. «Als Besonderheit in der Schweizer Assekuranz», sagt
Sacha Truffer, «arbeitet unsere BVM-Fachstelle nicht integral. Das heisst, die Dossiers
werden nicht von der BVM-Fachstelle übernommen und reguliert, sondern der Sachbearbeiter in der Branche behält die Dossierverantwortung und wir geben ihm durch unsere
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Ermittlungsmöglichkeiten Informationen, die
er für die Regulierung verwenden kann. Wir
sind also ein reiner Dienstleister.» Zudem sei
die Fachstelle nicht nach Fachgebieten organisiert, sondern nach Regionen: «Meine Leute
können alles, weil sie Erfahrung in verschiedenen Fachgebieten der Missbrauchsbekämpfung mitbringen.» Dadurch würden Scheuklappen verhindert und die Kommunikation
gefördert. «Von meinem Vorgänger konnte ich
bereits sehr gute Leute übernehmen», betont
Truffer. «Durch die neue Struktur konnten sie
ihre Fähigkeiten einfach noch besser zum Tragen bringen.»
Steigende Betrugsraten
In den vergangenen fünf Jahren haben sich die
Betrugsfälle bei der Basler verdreifacht. Das sei
nicht nur bei seinem Arbeitgeber so, sondern
generell in der europäischen Versicherungsbranche. Warum dem so ist, kann Experte
Truffer nicht abschliessend begründen. «Eine
wichtige Rolle spielt unter anderem die Tatsa-
«Betrug hat viel mit
Emotionen zu tun. Nicht
nur seitens des
Betrügers, sondern auch
des Betrogenen.»
aber nicht sind. «So rief ein Kunde wegen eines
Einbruchs in sein Haus via Terrassentüre an.
Er meldete den Schulthek der Tochter sowie
Bleistifte, Radiergummis, Rasierwasser, Eau de
Toilette und ein Kindervelo als gestohlen.»
Weil er derart aufgeregt gewirkt und viel Druck
auf den Schadensbearbeiter gemacht habe,
hätten in seiner Abteilung die Alarmglocken
geläutet. «Allerdings fanden wir keine weiteren Indizien für einen Betrug und bezahlten
den Schaden anstandslos.» Einige Tage nach
erfolgter Zahlung wurde an der schweizerischitalienischen Grenze ein Rumäne mit Einbruchswerkzeug im Auto gefasst. «Dieser gestand verschiedene Delikte, unter anderem
den Einbruch in besagtem Einfamilienhaus.»
Zum Glück erweisen sich nur etwa die
Hälfte aller Fälle, denen die BVM-Fachstelle
nachgeht, auch als betrügerisch. Den dreistesten Betrugsversuch der vergangenen Jahre lieferte ein Unternehmer, der angab, ihm seien in
China 156 Gascontainer gestohlen worden.
«Ein solcher Container ist tonnenschwer und
kann nicht einfach abtransportiert werden.
Zudem lag die Schadenssumme im Millionenbereich. Also begannen wir, nachzuforschen
und weitere Dokumente zu verlangen», erinnert sich Sacha Truffer. Es stellte sich heraus,
dass die Dokumente alle veraltet waren und
die betroffene Vertragsfirma in China gar nicht
mehr existierte. Der Fall war klar.
Neue Rolle
che, dass immer mehr Stellen zur Betrugsbekämpfung geschaffen werden. Und je mehr
Leute in diesem Bereich arbeiten, desto mehr
Fälle werden entdeckt.»
Rund die Hälfte der Fälle bei der Basler
Versicherung stammt aus dem Bereich NichtPersonenschaden. «Allerdings sind die Einsparungen im Bereich Personenschaden um ein
Vielfaches höher», erzählt Truffer. Betrügereien im Bereich Personenschaden seien aber
viel schwieriger aufzudecken. Dies, weil es sich
sehr oft um nicht exakt nachweisbare Diagnosen handle. «War es früher das Schleudertrauma, das uns regelmässig auf Trab hielt, sind
es heute unter anderem die Burn-out-Fälle.»
Wie erkennt man überhaupt die Anzeichen
für einen Betrug oder anders gefragt, wie definiert man das bereits erwähnte «Gschpüüri»?
«Indizien können zum Beispiel ein intensives
Ärztehopping bei Arbeitsunfähigkeit sein.
Oder aber ein Schadenfall kurz nach Abschluss einer neuen Police, die nun genau
diese Schäden deckt.» Allerdings, so Truffer,
gebe es auch Situationen, die vermeintlich
eindeutig wie ein Betrug aussehen würden, es
Genauso wenig, wie es eine betrugsanfällige
Branche gibt, existiert auch keine durchschnittliche Bearbeitungszeit. «Jeder Fall ist
einzigartig», sagt Truffer. Dies mache den Job
ja auch so spannend und abwechslungsreich.
Und obwohl er die Begeisterung für die Aufgabe als Bekämpfer von Versicherungsbetrug
noch immer glaubwürdig ausstrahlt, hat er
sich im vergangenen Sommer auf die intern
neu geschaffene Stelle «Leiter Kundenzufriedenheit» beworben und sie bekommen. Seit
Anfang 2015 kann er seine hohe Kundenorientierung nun auch wieder extern leben. Sein
erstes Ziel: Die internen Prozesse auf die Kunden auslegen. «Um uns zu differenzieren,
müssen wir bei allem, was wir tun, die Kundenoptik einnehmen», ist Sacha Truffer überzeugt. Auch in seiner neuen Funktion ist es
ihm wichtig, keine Veränderungen auf Biegen
und Brechen herbeizuführen. «Ich möchte
Evolution und keine Revolution.»
Einen kleinen Teil seiner Zeit wird er aber
weiterhin der Disziplin Wirschaftskriminalistik widmen. Und zwar als Fachdozent im Rahmen des DAS Compliance Management sowie
des MAS ECI an der Hochschule Luzern.