Mitteilungsblatt des Evangelischen Pfarrvereins in Baden e. V. www.pfarrverein-baden.de 2015 März/April August | 3-4/2017 Aus dem Inhalt: Die Kirche und das Geld Jesus und das Geld Kirche und Geld – Aus Sicht der Bibel und Heute Die Kirche und das Geld – Frequently Asked Questions Zur Diskussion Aus dem Pfarrverein Aus der Pfarrvertretung Buchbesprechungen In memoriam Editorial „W Liebe Leserin, lieber Leser! as Sie uns anvertrauen“ – unter diesem Titel erschien eine Broschüre unserer Landeskirche, die darstellt, wofür das Geld, in diesem Fall Kirchensteuer und Spenden, verwendet werden und was diese in den vielfältigen Aufgabenbereichen von Kirche bewirken. Eine wichtige Broschüre, wie ich finde. Denn sie fördert das Bewusstsein für die Solidargemeinschaft, die Kirche war und ist. Sie ist eine gute Gesprächsgrundlage und zeugt vom Willen zur Transparenz – auch wenn ich fürchte, dass diejenigen, die wegen der Kirchensteuer aus der Kirche ausgetreten sind, nichts mehr mit dieser Information anfangen werden. Immerhin wird die Kirchensteuer mehrheitlich als Grund für den Austritt auf dem Fragebogen genannt, die ich versende und ab und an zurückgeschickt bekomme. Da ist es angeraten, die Broschüre großflächig unter die Menschen zu bringen. Denn dass wir heute in Gemeinde und Kirche mit Geld umgehen, ist Alltag. Wir erhalten Spenden zu treuen Händen, sammeln Kollekten für die eigene Gemeinde und stemmen auf diese Weise Projekte in der Gemeinde, übernehmen auch gesellschaftliche Verantwortung besonders im Bereich der Diakonie. Wir planen mit dem Geld, verabschieden durchdachte – und hoffentlich ausgeglichene – Haushaltspläne und kontrollieren diese. Und wissen dabei doch, dass Jesu Haltung zum Geld radikal anders war. In dieser Ausgabe zum Thema „Die Kirche und das Geld“ können Sie das nachlesen, zusammen mit Ausblicken für einen verantwortlichen Umgang damit, sowie Antwor102 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 ten zu den häufigsten Fragen rund um die Finanzen. Unter der Rubrik „Zur Diskussion“ finden Sie dann nochmals Beiträge zum Beschluss der Landeskirche zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. Und wie immer haben uns freundliche Menschen Buchbesprechungen zugesandt, die wir gerne an Sie weitergeben. Vielleicht ist ja etwas für die Osterferien dabei? In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine Sie im Innern be-reich-ernde gesegnete Passions- und Osterzeit und Freude beim Lesen dieser Ausgabe! Für das Tandem in der Schriftleitung Ihre Hinweis auf die übernächste Ausgabe Die übernächste Ausgabe 6/2017 widmet sich dem Thema „ Im Mittelpunkt: das Kind – Über die Gegenwart und Zukunft kirchlicher Kindertagesstätten“ Bitte senden Sie Ihre Beiträge am besten als Word-Datei bis spätestens zum 4. Mai 2017 an die Schriftleitung. Die kommende Ausgabe 5/2017 zum Thema „Amt und W(B)ürde – Von der Suche nach dem Nachwuchs im Pfarrberuf“ befindet sich bereits in Vorbereitung. Thema Jesus und das Geld ❚ Das Reden von Geld ist eine zutiefst religiöse Frage. Altes und Neues Testament als Dokumente von sozialen Minderheiten spiegeln die Auseinandersetzung um die Bedeutung des Geldes und um die Bedeutung der Frage: „Was ist das Wichtigste im Leben?“ wider. So auch die frühe Christenheit mit der Jesusbewegung und möglicherweise Jesus selbst. Allerdings gilt dabei eine wichtige Einschränkung: Wir wissen faktisch wenig über Jesus selbst, wir wissen sicher nur, wie der jeweilige Evangelist die Rolle Jesu zu den wirtschaftlichen Gegebenheiten seiner Welt interpretiert, gesehen, gelesen hat. Darum ist immer auch dann, wenn im Text steht: Jesus tat, machte, sagte, mitzuhören, der Evangelist Markus, bzw. Matthäus, Lukas sieht Jesus tun, machen, sagen.1 Die folgenden Beobachtungen von Dr. Jürgen Kegler, Kirchenrat i. R. im Evangelischen Oberkirchenrat Karlsruhe und Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät Heidelberg, beginnen mit dem ältesten Evangelium, dem des Markus. Reise ohne jede materielle Absicherung. Nur einen Stock dürfen sie mitnehmen, keinen Proviant, keine Tasche mit Sachen, keine Münzen – nur ein Gewand und nur Sandalen an den Füßen. Dabei gibt es interessante Varianten: Matthäus ist radikaler: er streicht auch die Sandalen und den Stock; Lukas erwähnt die Sandalen nicht. Bei den genannten Geldformen ist zu beobachten, das bei Markus nur Kupfermünzen erwähnt werden, bei Matthäus tauchen alle drei Formen des römischen Münzsystems auf: Gold, Silber, Kupfer, bei Lukas ist nur Silber im Blick. Hier spiegeln sich möglicherweise veränderte Besitzverhältnisse in den Gemeinden. Dass Markus nur das Mitnehmen von Kupfermünzen im Blick hat, zeigt, dass seine Perspektive die von unten ist: Die Massen Palästinas kennen kein Silber oder Gold in ihren Geldbeuteln. Von Gerd Theißen haben wir gelernt, dass sich hier die Praxis der ganz frühen Jesusbewegung widerspiegelt. Sie sind Wanderradikale, die mittellos sind und bleiben wollen, die von Ort zu Ort ziehen. Ernährt und versorgt werden sie von Sympathisanten, die sie in ihre Häuser einladen und ernähren. Das Modell funktioniert also nur auf as erste Mal von Geld redet das dem Hintergrund einer gleichzeitig besteMarkusevangelium henden ökonomischen InDie Jünger werden auf (Mk 6,7-12 // Mt 10,7-14 // frastruktur, die so viel Mittel eine Reise ohne jede Lk 9,1-6) im Zusammenund Ressourcen bereitmaterielle Absicherung hang mit der Aussendung hält, dass auch unprodukgeschickt. der Jünger durch Jesus. tive religiöse Gruppen mitSie erhalten Vollmacht ernährt werden können. über die unreinen Geister und werden Nach dem Selbstverständnis dieser dann auf die Reise geschickt. Auf eine Wanderradikalen ist Besitz, vor allem Be- D Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 103 sitz von Geld, und Arbeit für das Reich Gottes, nicht miteinander vereinbar. gen kann, der darf stattdessen Tauben opfern. Wenn hier nur die Taubenhändler genannt werden, dann heißt dies, dass sie Ihre Dienste der Verkündigung und Heibesonders zahlreich waren. Und das lung, der Geisteraustreibung, werden daheißt, dass die meisten Tempelbesucher durch vergolten, dass arm waren. Indirekt erNach dem Selbstverständnis sie ernährt werden – fahren wir hier etwas der Wanderradikalen ist Besitz, mehr bedürfen sie über die weit verbreitevor allem Besitz von Geld, nicht. Diese Haltung te Armut in Palästina und Arbeit für das Reich Gottes, zur Zeit Jesu. Und die hat auch ein Element nicht miteinander vereinbar. der Verweigerung: sie Händler machen mit lassen sich nicht einder Armut noch Gebinden in den Alltag der ökonomischen schäfte. Wenn Jesus sagt: Mein Haus soll Prozesse, nehmen sozusagen nur verein Bethaus sein – dann legt er damit die mittelt an ihnen teil. Aber sie verstehen Axt an den Opferkult. Denn er sagt: die Arsich offenbar als Arbeiter („Denn der Armen müssen nicht Tauben kaufen, sondern beiter ist würdig seiner Nahrung“, Mt sollen ohne Geld beten können. 10,9). Die kritische Haltung zum Besitz von Geld, die die Wanderradikalen u.a. Und die Geldwechsler? Was tun Geldcharakterisiert, ist nach ihrem Selbstverwechsler im Tempel? Das sind nicht die, ständnis Umsetzung des Willens Jesu. die die hundert Dollar-Scheine in Schekel Sie berufen sich auf einen an sie von ihm tauschen, sondern die, die römischen und ergangenen Auftrag. Damit sagen sie: griechischen Münzen, also die Münzen der Das entspricht der Praxis Jesu. Bei Jesu Herren, in „kultisch reines Geld“, also altEinzug in Jerusalem, begleitet von einer hebräische bzw. tyrische Münzen tauMenschenmenge, die ihm zujubelt, wirft schen, die als koscher galten. Und bei dieer die Verkäufer und Käufer, die Geldsem Tauschen nehmen sie einen Aufwechsler und Taubenhändler aus dem schlag. D.h., sie machen die Armen zu dopTempel. Die Käufer und Verkäufer bezeupelten Opfern: sie dürfen das mühsam abgen, dass der Tempel durch die Herrgesparte Geld nicht in den Tempel bringen, schenden zu einem Zentrum des Komweil es unrein ist, müssen es tauschen, merzes geworden war. verlieren dabei bereits Dass daneben Taubenvon ihrem Geld, und dürDie Armen sollen ohne Geld händler und Geldwechsfen es dann als Tempelbeten können. ler besonders genannt steuer errichten bzw. als werden, hat eine tiefe Bedeutung. Die Tempelopfer in die Geldkästen werfen. Und Taube ist das Schuld- und Sühneopfertier der Wechsler verdient daran – und die der Armen. Nach den Bestimmungen des Tempelherrn, die Priester, verdienen darBuches Levitikus müssen bei der Ausloan: Ihr habt eine Räuberhöhle aus dem sung der Erstgeburt Schafe oder Ziegen Tempel gemacht! Jesus trifft mit seiner Akgeopfert werden. Wer das nicht aufbrintion also das raffinierte System der Tempe104 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 lorganisation an seinem empfindlichsten wortungslos, die Gemeinde in einen ausNerv, am Geld und am Profit. Noch einen sichtslosen Kampf gegen die römische anderen Nerv trifft Jesus. In Mk 12,14ff. Übermacht zu schicken. Die Grenze der geht es um die zentrale Frage der Steuern. Loyalität gegenüber dem römischen Staat An der Steuerfrage entbrannte einer der liegt dort, wo er religiöse Forderungen Streitpunkte der galiläistellt. Wo er verlangt, schen Widerständler was nur Gott zusteht: Die Steuerfrage war einer gegen die römische der Streitpunkte der galiläischen z.B. Teilnahme am KaiHerrschaft. Soll man zu serkult. Das, was allein Widerständler gegen die einem Steuerboykott Gott zusteht, darf allein römische Herrschaft. aufrufen? Zeigt sich jüihm gegeben werden. dische Identität nicht gerade daran, zeigt Darum lässt Jesus sich einen Denar zeisich kollektiver Widerstand nicht am besten gen – er selbst besitzt offenbar keinen –, darin, dass man dem Kaiser keine Abgaauf dem, als gängige römische Silbermünben mehr errichtet? Dann trifft man das röze, ein Kaiserkopf eingraviert war. Dies mische Imperium an hat der Kaiser ausDie Haltung Jesu ist eine seinem Lebensnerv: weislich seines Kopfs Gratwanderung zwischen realer ausgegeben, das kann dem Geldfluss aus den Einschätzung der politischen Provinzen in die Metroman ihm wieder zuSituation und der Konsequenz pole. Auch für Jesus rückgeben. Aber was in der eigenen Haltung. und seine Bewegung der Kaiser an religiöser stellte sich offenbar die Unterwerfung verlangt, Frage, wie man sich hier verhalten sollte. dass darf kein Christ mitmachen: Gebt Daraus bauen die Pharisäer und die AnGott, was Gott gehört! Man muss das zuhänger des Herodes, des Kaisergünstgleich so lesen: gebt das, was Gott gehört, lings, eine Falle. Sie fragen Jesus direkt: „ nicht dem Kaiser. Verweigert euch bei jeIst’s recht, dass man dem Kaiser Steuern der Form der Teilhabe an den religiösen zahlt oder nicht? SolForderungen dieses Eine interessante Spannung zieht len wir sie zahlen oder heidnischen Macht sich durch die Jesusüberlieferung, habers – da ist die nicht zahlen?“ (Mk wenn es um den ganz privaten 12,14) Das ist die Bruchstelle! Begebt Umgang mit Geld geht. Gretchenfrage. Die euch aber nicht in eiHaltung Jesu ist, das nen aussichtslosen habe ich bei Luise Schottroff gelernt, eine Kampf um die Machtfrage auf ökonomiGratwanderung. Gratwanderung zwischen schem Gebiet; sie ist aussichtslos. Trotz realer Einschätzung der politischen Situader Radikalität, mit der die frühen Wantion und der Konsequenz in der eigenen derchristen das Ideal der Geldlosigkeit Haltung. Jesus markiert sehr präzise das praktiziert haben, zieht sich eine interesÄußerste an Loyalität, das einem Christen sante Spannung durch die Jesusüberliegegenüber dem Staat möglich ist. Seiferung, wenn es um den ganz privaten ne Haltung besagt: Es wäre verantUmgang mit Geld geht. Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 105 Auf der einen Seite zeigt Jesus dem reiEr würde ihr damit genau so begegnen, chen jungen Mann, der ihn nach dem wie ihr die Männer bisher begegnet sind: rechten Weg, der Halacha, fragt, dass es mit Ablehnung. Das aber durchbricht Jenicht allein genügt, die 10 Worte des Wilsus, macht damit zugleich deutlich, dass lens Gottes zu praktizieren, sondern dass ökonomisches Denken nicht in die Bezieentscheidend ist, auf Besitz zu verzichhungsebene eindringen darf. ten, diesen zu verteilen unter die Armen, um so ein deutliches Zeichen der SolidaInteressant ist, dass Johannes den Prorität mit den Armen zu setzen und eine Altest von Judas gesprochen sein lässt und ternative zu gehen zum Weg der real ihn zugleich als Dieb charakterisiert, der waltenden Ökonomie an einer vollen Armenund der hinter ihr stekasse interessiert ist – Ökonomisches Denken darf henden Interessen. zum eigenen Vorteil. nicht in die Beziehungsebene Andererseits aber erAls Jesus von einer eindringen. greift er Partei für die 5000köpfigen MenFrau, die ihn mit kostbarem Salböl salbt schenmenge begleitet wird, die am Abend (Mk 14,3-9). Dreihundert Denare hätte hungrig wird, sorgen sich die Jünger, wie man statt für den Luxuskonsum für die sich die Menge versorgen kann. Sie stelArmen geben können, argumentieren die len Jesus die Frage, jedenfalls in der FasJünger, ganz auf der Linie der Argumensung bei Markus und Johannes: „Sollen tation Jesu gegenüber dem reichen junwir fortgehen, für zweihundert Denare gen Mann! Das würde reichen, wenn man Brote kaufen und ihnen zu essen geben?“ von einem Denar als Existenzminimum Ich lese das entweder so, dass die Jünger ausgeht, dass ein Bettler fast ein Jahr, insgesamt über 200 Denare verfügen – 300 Tage, davon leben konnte, oder drei das würde dann für 200 Leute für eine TaLeute hundert Tage oder 100 Leute einen gesration reichen, oder so, dass 5000 Tag. Ich verstehe Brotfladen 200 Die Jünger denken in Geldkategorien, Jesus so, dass er Denare kosten. Jesus denkt in der Kategorie des Teilens. kein moralisti200/5000, das Damit wird die Grundstruktur der damaligen wären dann 0,04 scher Purist ist, gesellschaftlich vermittelten Realität durch sondern ein senDenar pro Flaeine neue Realität ersetzt. sibles Einfühden, bzw. zwei lungsvermögen Assaria pro Flain spezifische Situationen besitzt. Für die den. Diese ökonomische Ebene dient hier Frau ist es eine Form, in der sie ihre dem Kontrast: die Jünger denken in GeldDankbarkeit und Liebe zeigt. Das ist ihre kategorien, Jesus denkt in der Kategorie Sprache. Ihre Möglichkeit auszudrücken, des Teilens. Das Wunder besteht darin, was sie zeigen möchte. Diese Beziedass die Menge real erfährt, dass für alle hungsebene ignoriert der Moralismus. Er genug da ist, wenn alles solidarisch geteilt setzt an die Stelle des Nachfühlens deswird. Ja, dass dann sogar ein Überschuss sen, was die Frau bewegt, die Ablehnung. entsteht. Damit wird die Grundstruktur der 106 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 damaligen gesellschaftlich vermittelten Realität: du musst für dich sorgen; wenn du etwas abgibst, verlierst du; wenn du teilst, wirst du nicht satt, durchbrochen und durch eine neue Realität ersetzt. In Mt 10, 28-31 29 par Lk 12,6-10 stellt Jesus stellt einen Kontrast her zwischen dem Marktwert von Spatzen und dem Wert von Menschen. Ganz nebenbei spiegelt sich ein Preisverfall im Palästina im 1.Jh. in den Evangelien wider: Bei Mt kosten 2 Spatzen 1 Assarion, bei Lk 5 Spatzen 2 Assaria. Die Botschaft ist: Ihr seid mehr wert als viele Spatzen. Damit wird die weltliche ökonomische Wertskala mit einer göttlichen ökonomischen Wertskala kontrastiert: Gottes Ökonomie kennt andere Berechnungskategorien als ökonomische! Dem bisher Gesagten scheint das Gleichnis von dem anvertrauten Geldvermögen zu widersprechen (Mt 25,14-30 par. Lk 19,11-27). Die beiden Fassungen variieren. Nach Mt bekommen die Knechte des Mannes 5, 2, 1 Talent. (5 Talente ca. 12.500 Euro; 2 Talente ca. 5.000 Euro; 1 Talent ca. 2.500 Euro). Nach Mt liefert der, der 5 Talente bekam 10, der, der 2 bekam, 4, aber der, der 1 bekam gibt eben dies wieder zurück. Nach Lk bekamen alle eine Mine Silber (=150 Drachmen), der eine liefert das 10fache, der andere das 5fache, der dritte die eine Mine wieder ab. Aber das sind nur Varianten. Beide Fassungen jedoch zeigen denselben Mechanismus: Der Kapitalist verlangt, dass sich sein Geld vermehrt. Und er will den Mehrwert haben. So ganz nebenbei erfahren wir, dass die Geldwechsler auch wie eine Bank fungieren, Lk erwähnt sogar explizit eine Bank. Wie ist das Gleichnis zu verstehen? Als Aufforderung Jesu, sein Geld gewinnbringend anzulegen? So liest man es ja gern im Mittelstand: Jesus als Anlagenberater, wobei der erfolgreichste Banker auch im Himmel das Lob Gottes erfährt? Wer dieses Gleichnis bisher so gelesen hat – oder mit Bauchschmerzen verdrängt –, der lese das Buch von Tim Schramm und Kathrin Löwenstein: Unmoralische Helden, Anstößige Gleichnisse Jesu, Göttingen 1986. Die beiden zeigen überzeugend, dass Jesus häufig mit dem Mittel des Anstößigen arbeitet. Er wählt negative Helden, ja sogar Kriminelle, um seine Zuhörer aufzurütteln. Auf diesem Hintergrund muss man dieses Gleichnis lesen: Seht, so laufen die Mechanismen in der Welt ab. Kapitalgeber wollen Profit. Und da sind sie harte Herren. Schaut man genau in den Zusammenhang, in dem das Gleichnis steht, dann geht es um das Kommen des Reiches Gottes. Es geht um das Thema „Wachsamkeit“. Es geht darum, dass bis zum Eintreffen des Reiches Gottes die Zeit intensiv genutzt wird. Dabei kontrastiert Jesus weltliche und himmlische Ökonomie. Die Gesetze des Börsenmarktes, die alle Menschen unhinterfragt zu akzeptieren bereit sind, zwingen jeden Anleger, Rechenschaft abzulegen. Die Gesetze der himmlischen Ökonomie, die kein Mensch unhinterfragt zu akzeptieren bereit sind, nötigen, Rechenschaft abzulegen. Die weltliche Ökonomie fragt nach dem Profit, dem Gewinn, dem Shareholder Value. Die himmlische Ökonomie fragt nach dem Profit an Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 107 ze« zu sammeln. Dieses Leben darf man Solidarität an Taten der Nächstenliebe, nach Meinung der Jesusboten nicht fühan Teilen und an Gerechtigkeit. Das ren. Die Ablehnung des macht ja die Qualität Die weltliche Ökonomie fragt Reichseins ist scharf. des Reiches Gottes nach dem Profit, dem Gewinn, ... Beide Logien ... foraus. Und es gilt, die dem Shareholder Value. mulieren eine GrundZeit dahin schon zu Die himmlische Ökonomie fragt satzerklärung, nach nutzen, sich auf diese nach dem Profit an Solidarität der die Reichen, solanneue Qualität vorzubean Taten der Nächstenliebe, ge sie reich sind, auf reiten mit der eigenen an Teilen und an Gerechtigkeit. der falschen Seite stePraxis. Die erfolgreihen. Dass damit der chen Manager, die sich Sinn dieser Logien getroffen ist, zeigen um den irdischen Profit kümmern werden die Begründungen. Zunächst die pragmaso zu „negativen Helden“, die uns wachtische Begründung: Die Schätze sind gerütteln sollen, damit wir einst Rechenfährdet. Damit wird die sprichwörtliche schaft ablegen vor unserem himmlischen Sorge der Reichen ins Spiel gebracht. Vater. In Mk 12,41f. geht es um das TheDoch hier mit der Konsequenz, vom ma Kollekte bzw. Opfer. Unsere KirchenReichtum solle man die Finger lassen. leitungen starren auf das KirchensteuerDiese Konsequenz ist nicht zu verwechaufkommen; unsere Gemeinden starren seln mit einer inneren Distanz zum Reichauf die Höhe der sonntäglichen Kollekte; tum. Wichtiger aber ist die zweite BegrünBrot für die Welt starrt auf die jährlichen dung ... Reichtum ist ein Herr über die ReiSpenden – Jesus blickt nicht auf die Höhe chen, wie ein »kyrios« über einen Sklader Spende, sondern auf die soziale Reaven. Der Mensch ist vom Besitz abhängig, lität hinter der Spende. Sein Blick geht auf total abhängig. ... Die Abhängigkeit vom die Armut der Frau, und er lenkt den Blick Besitz ist die einer Bindung des Herzens der Jünger auf die Armut der Frau. Und ... (dabei) muss die soziale Bindung mit kann dann ihre kleine Gabe umso höher der emotionalen Bindung zusammen geschätzen. sehen werden. Darum sind Gott und Besitz eine unüberbrückbare Alternative. Der Mt 6,24-26 // Lk 16,13 Der Mammon. „Der Besitz ist wie ein Gott. ... Hier steht die »Mammon«, aram. Wort für Besitz, VerHerrschaft des Besitzes über den Menmögen (an Geld, Grundbesitz, Sklaven), schen im Mittelpunkt. Entsprechend wird wie die »Schätze« bezeichnen Reichtum. nicht die eschatologische Konsequenz, Die Tätigkeit der Reichen stellt man sich sondern die Entfernung der Reichen von vor als Schätze sammeln und dem MamGott sehr dezidiert herausgestellt ... Gott mon dienen. Lk 12,16-21, die Geschichte herrscht – oder der Mammon. Damit wird vom reichen Kornbauer, ist zweifellos eine die Situation der Reichen theologisch sachgerechte Illustration dafür. Getreide schärfer durchdacht. Man sollte sich den horten oder auch Kästen mit Gold, Silber Zugang zu diesem Denken nicht verbauund feinen Kleidern füllen, ist in der Tat en, indem man sagt: Die Reichen müssen ein Weg der Reichen dieser Zeit, »Schät108 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 doch auch Gotteskinder sein dürfen. Wenn ein Reicher die Wahrheit dieser Logien akzeptiert hätte und daraus Konsequenzen gezogen hätte, wäre er eben auch nicht mehr reich gewesen.“ (L.Schottroff / W.Stegemann, Jesus von Nazareth, Hoffnung der Armen, Stuttgart – Berlin – Köln – Mainz, 1978, 71-72) nicht vorbei, ehe du zahlst. Wir benutzen deinen Wunsch, beten zu wollen, um abzukassieren. Umsonst kannst du es nicht. So funktioniert die Tempelrealität. Nein, sie ist noch perverser. Könige nehmen Tribute von Fremden, Unterworfenen, die Tempelherren von uns. Sie behandeln uns wie Fremde. Unterworfene. Das ist Jesu Analyse. „Aber wir wollen sie nicht unnötig verärgern.“ Und dann muss Petrus die Angel auswerfen, der Fisch, den er fängt, hat ein Geldstück im Bauch. Damit bezahlt er die Tempelsteuer. Hier wieder die Strategie Jesu: die Jünger nicht in einen aussichtslosen Machtkampf zu treiben, aber ihr Bewusstsein schärfen. Sie sollen die wahren Strukturen durchschauen. Zu Mt 17,24-27. Der Konflikt: In Kapernaum taucht der Kassierer der Tempelsteuer auf. Er fragt Petrus: „Zahlt euer Rabbi keine Tempelsteuer?“ „Doch“, sagt Petrus. Als Petrus ins Haus kommt, fragt ihn Jesus: „Was meinst du, Simon? Von wem nehmen die Könige dieser Erde Tribut oder Zoll? Von ihren eigenen Leuten oder von den Fremden?“ Jesus vergleicht hier Zum Schluss noch einige Thesen: die Tempelsteuer mit der Kaisersteuer, den zu Mt 20 (Gleichnis von den Arbeitern): Staatssteuern. Natürlich zahlt kein Römer Das Anstößige liegt daran, dass hier nicht Steuern. Das müssen die Provinzen aufnach dem Prinzip: gleicher Lohn für gleibringen! Wenn Jesus Tempelsteuer und che Arbeit verfahren wird, sondern nach Kaisersteuer nebeneinander stellt, dann der realen Bedürftigkeit: Jeder erhält so sagt er damit: das Tempelsteuersystem ist viel, dass er den Tag genauso wie das Kaiüberleben kann. 1 Desersteuersystem. Es Wenn Jesus Tempelsteuer und nar ist das, was ein beutet die klein (geKaisersteuer nebeneinander Mensch braucht, um macht)en Leute aus. stellt, dann sagt er damit: zu überleben. das Tempelsteuersystem ist „Von den Fremden“ genauso wie das Kaisersteuerzu Lk 12: Für Lukas genehmen die Könige Trisystem. Es beutet die klein hört der völlige Besitzbut oder Zoll, sagt Pe(gemacht)en Leute aus. verzicht konstitutiv zur trus. Darauf antwortet Nachfolge Jesu. „Verkauft eure Habe und Jesus: „Das heißt also, dass die eigenen gebt Almosen!“ Das ist die Aufforderung Leute nichts zu zahlen brauchen.“ Die eides lukanischen Jesus an die lukanische genen Leute - das sind die Juden PalästiGemeinde, in der es auch Reiche gibt. nas. Jesus weist auf die ungeheure Inkonsequenz hin: der Tempel funktioniert zu Lk 15,8-10 dem Gleichnis von der verbei uns wie der Staat. Er holt sich Geld. lorenen Drachme zeigt die Perspektive Tribut. Zoll. Zoll zum Betreten des Heiligder Armen. Für sie ist der Verlust einer tums. Da ist eine Schranke. Du kommst Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 109 Drachme (Gegenwert ca. 0,5 Euro) eine Katastrophe: Wie soll man dann den Tag überleben? zu Lk 16,1-15 (Gleichnis vom Verwalter der Ungerechtigkeit): Dieser Text will sagen, „dass es für die Jünger einen legitimen Umgang mit Geld gibt, der deswegen noch lange kein Mammonsdienst ist. Nämlich: Sich Freunde zu schaffen mit dem ungerechten Mammon (V.9) und dabei mit fremdem Geld (V.12) gewissenhaft umgehen (V.10f.). Auch wenn nicht explizit deutlich wird, was Lk mit dem »Freunde schaffen« konkret meint, so wird hier zweifellos an christliche Liebestätigkeit gedacht, an das, was Lk sonst Gutes tun nennt. Denn Lk greift hier ein Topos der hellenistischen Ethik auf, den er in einer für ihn typischen Weise abwandelt. ... Mit dem vergänglichen Mammon schafft man sich einen unvergänglichen Schatz im Himmel.“ (Schottroff/Stegemann, 123). zu Lk 22,35-38 (Aufforderung zum Schwertkauf, damit er „unter die Verbrecher“ gerechnet werden kann). Dieser Text ist oft gegen die Friedensbewegung verwandt worden. Doch man muss hier genau lesen. Schlüssel ist das Zitat aus dem AT: „unter Gesetzlose wurde er gerechnet“ (Jes 53,12). Unter outlaws, Verbrecher, Kriminelle. Das ist ja der Vorwurf, der gegen Jesus erhoben wird. Seine Praxis aber ist völlig anders. Jetzt fordert er seine Jünger ironisch auf, Schwerter zu kaufen. Denn dann hat ja der Vorwurf einen Anlass. Dann gehört er wirklich zu den bewaffneten Guerilleros, die im galiläischen Untergrund ihre Anschläge planen wie Juda ben Hiskija aus Gamala in der Gaulanitis, der gegen den 110 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Zensus des Quirinius kämpft und der ein Sohn des von Herodes hingerichteten Widerständlers Hiskija war, wie Jakob ben Juda und Simeon ben Juda, die gegen Tiberius Alexander revoltierten und getötet wurden, wie Menahem, der hingerichtet wird, wie Eleasar ben Jair, der sich in Massada verschanzt, wie Johannes ben Levi aus Gischala, wie Simeon bar Giora, dem Rivalen des Johannes ben Levi, dem Anführer der Unterschicht, der die Sklavenbefreiung proklamierte und sich als König verehren ließ, wie der ehemalige Sklave Simeon, der die Königsverehrung anstrebte, wie der Schafhirt Athronges, der sich auch als König verehren ließ oder wie die gemäßigteren Truppenführer wie Josef ben Mattatias, der von den Römern gefangen wurde, Niger aus Transjordanien, Johannes der Essener oder die radikalen Jerusalemer, die für die Abschaffung des Kaiseropfers eintraten, mehr noch, mutig kämpften: Zadok, Eleasar ben Hanaja, Eleasar ben Simeon, Sacharja ben Abkulus. Ja, wenn die Jünger Schwerter kaufen, dann bereiten sie den bewaffneten Kampf vor, werden Teil des militärischen Arms der Befreiungsfront Galiläas. Zwei haben sie schon. „Genug!“ ruft Jesus. Damit wird deutlich, dass er die militärische Option ablehnt – die Aufforderung ist wirklich Ironie – um die Verlogenheit derer zu entlarven, die ihn als Verbrecher hinrichten. Abgesang: Er, der weder zum Staatssteuerboykott noch zum Tempelsteuerboykott aufgerufen hat, der aber die Legitimation von Steuern und Tempelsteuern kritisch hinterfragt, wird vor Pilatus angeklagt, er habe zum Steuerboykott aufgerufen (Lk 23,1-4). Indem er die Gesellschaft analysiert – und ihre Mechanismen durchschaut – wird er von den Herrschenden als Gefahr für die Gesellschaft verstanden. Wie dünn muss die Legitimation der Herren gewesen sein, dass schon die kritische Frage eines Rabbis das ganze Gebäude ins Wanken brachte, die Herren in Angst und Schrecken versetzte! Wie viel Angst müssen sie gehabt haben, dass sie nicht anders reagieren konnten als mit Ausrottung des kritischen Unruhestifters. Aber gerade diesen Unruhestifter hat Gott als seinen Sohn aus dem Reich des Todes zum Leben auferweckt – damit wir wissen, wie die himmlische Ökonomie funktioniert und damit wir hingehen und unser Herz nicht an gefährdete und vergängliche Güter hängen, sondern unser Vertrauen allein dem schenken, der uns das Leben schenkt. ❚ Jürgen Kegler, Plankstadt 1 Ich zähle folgende Belegstellen, in denen direkt Jesus und Geld im Zusammenhang auftauchen: In drei Evangelien: ▪ Mk 6,7-12 // Mt 10,7-14 //Lk 9,1-6 Aussendung der Jünger ohne Geld ▪ Mk 11,15-17 // Mt 21,12-13 // Joh 2,13-21 Jesus stößt die Tische der Geldwechsler und Taubenhändler um ▪ Mk 12,13-17 // Mt 22,15-22 // Lk 20,20-26 Die Steuerfrage: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist ▪ Mk 14,3-9 // Mt 26,6-13 //(Lk 7,35-50)// Joh 12,1-8 Jesus wird durch eine Frau gesalbt; die Jünger protestieren gegen die Verschwendung; das Geld wäre besser für die Armen angelegt ▪ Mt 10,28-31 // Lk 12,6-10 Selbst Sperlinge sind Geld wert – wie viel mehr seid ihr wert ▪ Mt 25,14-30 // Lk 19,11-27 Gleichnis von dem anvertrauten Geldvermögen Jeweils nur in einem Evangelium ▪ Mk 12,41-44 Das Pfennigopfer der armen Frau ▪ Mt 17,24-27 Die Kinder (Gottes) sind frei von der Tempelsteuer ▪ Mt 18,23-35 Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger, der selbst Schuldner war und dem alles erlassen wurde ▪ Mt 20,1-16 Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, wo jeder so viel bekommt, dass er für den Tag leben kann ▪ Mt 27,3-10 Judas bringt die 30 Silberstücke an seine Auftraggeber zurück ▪ Mt 28,11-15 Die Soldaten erhalten Geld, damit sie sagen, der Leichnam Jesu sei gestohlen worden ▪ Lk 7,35-50 Jesus wird von einer Sünderin gesalbt; er erzählt das Gleichnis von der erlassenen Schuld ▪ Lk 10,1-12 Aussendung der 72 Jünger ohne Geld ▪ Lk 10,25-37 Gleichnis vom barmherzigen Samariter; er wendet 2 Silbergroschen auf für die Heilung des Überfallenen ▪ Lk 12,33-34 Himmlische Geldbeutel ▪ Lk 15,8-10 Gleichnis vom verlorenen und wieder gefundenen Silbergroschen ▪ Lk 16,1-15 Gleichnis vom ungerechten Verwalter, der sich Freunde mit dem Mammon macht ▪ Lk 22,1-6 Judas lässt sich kaufen ▪ Lk 22,35-38 Aufforderung zum Schwertkauf, damit Jesus „unter die Übeltäter“ gerechnet werden kann ▪ Lk 23,1-4 Anklage vor Pilatus, Jesus habe zum Steuerboykott aufgerufen. In zwei Evangelien: ▪ Mt 6,24-26 // Lk 16,13 Gottesdienst gegen Mammonsdienst ▪ Mk 6,30-44 // Joh 6,2-15 Speisung der 5000 Verpflegungskosten 200 Silbergroschen Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 111 Thema Kirche und Geld – Aus Sicht der Bibel und heute ❚ Die Ökonomisierung hält in den Kirchen Einzug, zugleich wächst in Deutschland die mediale Wachsamkeit für luxuriöse Auswüchse, wie zuletzt am Fall von Bischof Tebartz-van Elst deutlich wurde. Angesichts der öffentlichen Sensibilität des Themas „Kirche und Geld“, ist es indes für die Kirchen ratsam, ihren Umgang mit Geld an der Bibel zu prüfen. Der folgende Artikel von Dr. Vincenzo Petracca, Pfarrer im Gruppenpfarramt der Heidelberger Altstadtgemeinde Heiliggeist-Providenz, der über das Thema „Gott oder das Geld. Die Besitzethik des Lukas“ promoviert hat, möchte einen Beitrag dazu leisten. doch war die Verachtung des Geldes nur ein philosophischer Lehrsatz, den man propagierte, ohne ihm auch Taten folgen zu lassen. Seneca entfaltete den Mythos, dass das Privateigentum im Urfall entstanden sei 2. Dennoch betrieb er zugleich Wuchergeschäfte und soll bei seinem Tod 300 Millionen Sesterzen hinterlassen haben. Im Alten Testament gibt es eine ausgeprägte Reichtumskritik. Die Prophetenbücher Amos, Jesaja und Micha werfen den Reichen soziale Unterdrückung und Entrechtung der Armen vor, wobei ihre Sozialkritik häufig mit Kultkritik vermischt ist 3. Theologisch begründet die prophetische Kritik am Geld in der Bibel Tradition ihre Option für die Armen damit, In der kynischen Tradition wurde vor dass Gott in seiner Gerechtigkeit die Geldgier gewarnt, denn nach Diogenes Schreie der Unterdrückten hört und für die von Sinope ist die Habgier „die MutterArmen Partei ergreift 4. Die Tora kennt eine Sozialgesetzgebung mit ausgeprägten stadt alles Übels“ 1. Das Geld wurde als versklavende Macht verstanden. Hinter Schutzbestimmungen, die ein Lebensdieser Kritik verbirgt sich ein Freiheitsstrerecht der Armen sicherstellen sollen. Es ben, das Freiheit in der Unabhängigkeit wird verboten, Zinsen zu nehmen, die von irdischen Dingen sucht. In der hellePfändung wird eingeschränkt, und periodinistisch-römischen Kultur stand man in sche Schuldenerlasse verbunden mit eigebildeten Kreisen dem Geld meist grundner Freilassung der Schuldsklaven wersätzlich distanziert gegenüber. In der den angeordnet 5. Notleidende sollen durch Almosen in Form strengen Richtung des Kyvon Naturalien oder durch Die Tora kennt eine nismus führte die AblehDarlehen unterstützt werSozialgesetzgebung mit nung des Geldes dazu, den 6. Das Neue Testaausgeprägten Schutzdass man nach dem Vorment greift an vielen Stelbestimmungen, die ein bild des Diogenes als betlen auf die soziale TradiLebensrecht der Armen telnder Philosoph durch tion der Tora und der Prosicherstellen sollen. die Gegend zog und äupheten zurück, nur ein ßerste Bedürfnislosigkeit Beispiel sei genannt: Lk 16,19-31. Die predigte. Genügsamkeit war das Ideal der Weisheit indes entwickelte eine ambivaherrschenden Philosophenschulen. Oft je112 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 lente Sicht des Reichtums. Zum einen kri(Lk 12,15). Um diesen Satz zu verantisiert sie Habgier und mahnt zu Almoschaulichen, schließt Lukas die Beispiesen 7. Auf der anderen Seite versteht sie lerzählung vom reichen Kornbauern an 14: Armut als Unheil und Reichtum als AusEin Reicher glaubt, im Horten von Gütern druck von göttlichem Segen und Frömbestehe der Lebensinhalt, doch im Tod migkeit 8. Letzteres wurde von rabbinihaben seine Güter keinen Bestand und er schen Schriften stark rezipiert 9, vom Neusteht vor dem Nichts. Weder der Wert en Testament indes noch die Länge des an keiner einzigen Lebens hängen am Die kynische Abscheu vor Geldgier Stelle. Hier gibt es Eigentum. Um jeden wirkte nicht nur auf andere einen deutlichen Preis will der Reiche philosophische Schulen, sondern Bruch zwischen Alsich selbst bewahüber das hellenistische Judentum tem und Neuem ren, aber der Tod auch auf das Neue Testament. Testament. Die kynimacht ihm zum Narsche Abscheu vor Geldgier wirkte nicht ren, denn Geld ist zwar ein Mittel zur Wernur auf andere philosophische Schulen, taufbewahrung, aber nicht zur Selbstbesondern über das hellenistische Judenwahrung. Dieser törichten Lebenseinsteltum 10 auch auf das Neue Testament. lung stellt das dritte Evangelium das Vorbild der Raben entgegen, die, statt zu horIn den Deuteropaulinen werden Habgier ten und sich zu sorgen, vom himmlischen als Götzendienst gebrandmarkt 11. GeldVater versorgt werden 15. Während der Figier ist eine gefährliche Versuchung, die nanzkrise hatten Banker gern das Wort im den Menschen ins Verderben stürzen will, Mund: „Geld ist scheu wie ein Reh“. Sie denn sie ist die „Wurzel alles Bösen“ (1 meinten damit, Geld braucht Vertrauen, Tim 6,10). Die Kritik an Geld- und Habgier um seinen Wert zu behalten. Franz Josef findet sich auch in den echten PaulusbrieStrauß verwendete eine erweiterte Form fen und war im gesamten Urchristentum dieses Wortes: „Geld ist geil wie ein Bock verbreitet 12. Synoptisch warnt besonders und scheu wie ein Reh“. Das Geld hat eidas Lukasevangelium vor mane zerbrechliche und zugleich Geld hat großes terieller Gier. Die Reaktion der eine dunkle, auf hemmungsloSuchtpotential. Pharisäer auf die Worte Jesu se Vermehrung drängende über den Mammon ist Spott, Seite. Die dunkle Seite des denn die Pharisäer sind geldgierig 13. GeldGeldes nennt das Neue Testament „Mamgier führt hier zur Verstockung und zur Abmon“ und warnt eindrücklich davor: Dem lehnung der Botschaft Jesu. Positiv setzt Geld wohnt eine starke Kraft zur AnhäuLukas dem Streben nach Besitz das Strefung inne. Es hat ein großes Suchtpotenben nach einem gesegnetem Leben enttial. Das Schätzesammeln täuscht Sichergegen: „Seht zu und hütet euch vor jegheit vor und ruft die Illusion der Unbelicher Habgier, denn selbst wenn einer grenztheit hervor. Doch Geld betrügt mit Überfluss hat, hängt der Wert seines Leder Verheißung gelingenden Lebens. Es bens nicht von seinen Gütern ab” kann das Leben weder um eine Spanne Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 113 verlängern noch den Lebenshunger stilerfüllen die ersten Jünger: In der Nachfollen, den die Liebe zum Geld steht im unge Jesu verlassen sie alles und leben wie überbrückbaren Gegensatz zur Liebe zu Jesus arm 20. Besonders in den Aussendungsreden wird die Funktion dieser ArGott 16. Dem setzen Lukas und Matthäus die Annahme der eigenen Verletzlichkeit mut deutlich: Um der Glaubwürdigkeit der und Vergänglichkeit entgegen und motiVerkündigung willen soll auf Geld und Vorvieren, in Solidarität zu leben und der Fürräte verzichtet werden. Die Zwölf sollen sorge des Schöpfergottes zu vertrauen 17. die kynischen Bettelphilosophen an Armut Der Evangelist Lukas versteht Eigentum übertreffen, indem sie deren Minimalausals göttliche Bewährungsprobe und Leihstattung unterbieten: eine Tasche, ein gabe, die im Endgericht rechenschaftsWanderstab und ein Mantel 21. Die Synop18 tiker hielten dempflichtig ist , und entfaltet seine eknach an den ihnen Die Jünger sollen die kynischen klesiologische UtoBettelphilosophen an Armut übertreffen, überlieferten radipie zum Umgang kalen Traditionen indem sie deren Minimalausstattung mit Eigentum in der fest oder verschärfunterbieten: eine Tasche, Apostelgeschichte: ten sie sogar. In ein Wanderstab und ein Mantel. Die Gemeinden Blick nahmen sie sollen sich dem Idealbild der Jerusalemer das Verkündigungsamt ihrer Zeit und Urgemeinde soweit wie möglich annäschärften ihm, im Gegensatz zum Multimilhern. Dort verkauften Besitzer von Grundlionär Seneca, die Einheit von Reden und stücken und Häusern diese freiwillig zuTun ein. Das Zeugnis von Jesus, der arm gunsten von Bedürftigen. Lukas versteht unter Armen lebte, und von der Unvereineine Gemeinde als solidarische Gemeinbarkeit von Gottesreich und Mammonliebe schaft, wobei er nicht ein Streben nach sollte glaubhaft sein. Hierzu war nötig, Gütergleichheit propagiert, sondern eine dass die Verkündiger selbst vorlebten, woBeseitigung von materieller Not 19. von sie Zeugnis ablegten. Konsens ist daher im Neuen Testament die Forderung eiGeld und Verkündigung im nes Eigentumsverzichts um der VerkündiNeuen Testament und gung willen, die Höhe des Verzichts hingein der Alten Kirche gen variiert und scheint im Urchristentum Eine eigene Betrachtung verlangt die freiwillig gewesen und flexibel gehandhabt Thematik „Geld und Verkündigung”. In der worden zu sein: Petrus und die ersten synoptischen Tradition gibt es eine Reihe Jünger verließen um Jesu willen alles und von Texten, die über die Armut um der Verließen sich später von den Gemeinden kündigung willen handeln. In der Erzähunterhalten. Dagegen verzichteten Paulus lung vom reichen Jüngling steht der Reichund Barnabas aus freien Stücken auf tum dem Reich Gottes antagonistisch dieses apostolische Unterhaltsrecht 22. Paulus arbeitete mit eigenen Händen für gegenüber: Eher geht ein Kamel durch ein seinen Unterhalt, zuweilen nahm er aber Nadelöhr als ein Reicher in das Reich Gotauch finanzielle Unterstützung von der tes. Was der reiche Jüngling verweigert, 114 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Gemeinde in Philippi an 23. Galt zunächst grüßen, wenn Kirchenleitungen ihr Geld in in der Alten Kirche der Grundsatz, ethische Anlagefonds investieren. Den Missionare und Propheten durch NaturaMarktregeln der größtmöglichen Geldverlien und Untermehrung muss eikunft zu unterstütne Ethik des VerDie neutestamentlichen Schriften zen, scheinen die zichts um einer sosind sich einig, dass die Glaubwürdigkeit Pastoralbriefe lidarischen Ökonoder Verkündigung untrennbar mit dem wohl an eine BeUmgang mit Eigentum zusammenhängt. mie willen entgezahlung für die gen gehalten werVerkündigung zu denken 24. Die Verkündiden. Aber ein treuer Umgang mit Geld ergung des Evangeliums galt in der Alten schöpft sich darin nicht. Nach Barmen III Kirche freilich nicht als Erwerbsberuf, dahat die Kirche mit ihrer Botschaft sowie mit her war die Höhe der Entlohnung an der ihrer Ordnung zu bezeugen, dass sie alArmenunterstützung orientiert. Im dritten lein Gottes Eigentum ist. Aufgrund des enJahrhundert wurde aus 1 Kor 9,14, wogen neutestamentlichen Zusammennach die Verkündiger des hangs von Verkündigung Kirche muss in ihrer Evangeliums vom Evangeund Eigentumsverzicht Finanzordnung den lium leben sollten, ein muss die Kirche auch in iharmen Jesus und die Unterhaltsrecht abgeleitet. rer Finanzordnung den arUnvereinbarkeit der Origenes will dies wieder men Jesus und die UnverLiebe zu Gott mit der einschränken, indem er einbarkeit der Liebe zu Gott Liebe zum Geld mahnt, die Verkündiger sollmit der Liebe zum Geld bebezeugen. ten vom Evangelium nur „ihr zeugen. Leben fristen“ können 25. Dies hat m.E. weitreichende Folgen. WeKirche und Geld heute der der Erwerb, noch die Vermehrung, Stellt man den historischen Graben noch die Verwendung von Kirchengeldern von 2000 Jahren in Rechnung, so enthält dürfen die Verkündigung unglaubwürdig das Neue Testament auch für die heutige machen. Auch die kirchliche BesoldungsKirche – trotz gewandelter Wirtschaftsstruktur mit der großen Spreizung zwiund Sozialformen – normative Aussagen schen KirchenbeamtInnen und Hausmeiszum Umgang mit Geld. Die neutestamentter- oder Reinigungskräften in Gemeinde lichen Schriften sind sich einig, dass die und Diakonie muss kritisch hinterfragt Glaubwürdigkeit der Verkündigung unwerden. Vielleicht sollte man auf die Ertrennbar mit dem Umgang mit Eigentum fahrungen von kleinen kirchlichen Vereizusammenhängt. Der Umgang mit Geld nen wie „Eirene“ oder „gewaltfrei handeln“ wird weder verteufelt noch verworfen. Vielachten, die solidarische Gehaltsmodelle mehr wird ein treuer Umgang mit Geld geausprobieren, in denen von der Gefordert, der Eigentum als Leihgabe verschäftsführung bis zur Sekretariatskraft alsteht, die gegenüber dem Schöpfergott rele, bis auf Zuschläge für Familie und Renchenschaftspflichtig ist. Es ist daher zu beten, gleich verdienen. Nicht ohne Grund Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 115 nahm die Reformation ihren Ausgang an der Frage der Käuflichkeit des Heils. Gerade im Reformationsjahr lohnt sich der Blick auf Luther, der im Großen Katechismus das Geld im Rahmen seiner Auslegung des 1. Gebots behandelt. Seine Sätze gelten für den Einzelnen wie für die Kirche als Ganzes: „Es ist mancher, der meinet, er habe Gott und alles gnug, wenn er Geld und Gut hat, verläßt und brüstet sich drauf so steif und sicher, daß er auf niemand nichts gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißet Mammon, das ist Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzet, welchs auch der allergemeinest Abgott ist auf Erden“ 26. Bezeichnenderweise kommen Impulse für eine arme Kirche 500 Jahre nach der Reformation aus dem Herzen des Vatikans. Papst Franziskus, der sich nach dem in Armutsfragen radikalsten Christen der Kirchengeschichte genannt hat, setzt wirksame Gesten der Bescheidenheit durch die Wahl von schlichten Straßenschuhen, Kleinwagen und die Weigerung, in den päpstlichen Palast zu ziehen. Sein Herzensanliegen ist eine arme Kirche für die Armen. ❚ Vincenzo Petracca, Heidelberg 1 DiogLaert 6,50; vgl. Briefe des Diogenes 9; Dio Chrysostomus, Or 10,14f.; Epictet, Diss 3,24,67f. 2 Ep 90; zum Reichtums Senecas siehe Tacitus, Ann 13,42. 3 Gegen die Versklavung von freien Bauern: Am 8,4ff.; Jes 5,8ff.; Mi 2,1ff. u.a.; gegen die Unterdrückung von Witwen und Waisen: Jes 1,17; vgl. ferner: Hos 6,6; Jer 7,1ff.; Ez 22,1ff. 4 Am 5,21ff.; Jes 1,10ff. u.a. Die jüdisch-christliche Apokalyptik führt diese Tradition fort, indem sie die eschatologische Erhöhung der Armen und Erniedrigung der Reichen ankündigt (äthHen 92-105; 4 Esr 14,13; Offb 7,16; 18,1ff.; vgl. auch Lk 1,52f.; 6,20-26; 16,19-31). 5 Ex 22,24ff.; Lev 25,8ff.; Dtn 15,1ff.; 23,20f.; 24,6ff. 6 Lev 19,9f.; 25,35; Dtn 14,28f.; 15,7ff.; 23,25f.; 24,19ff.; 26,12ff. 7 Koh 4,8; Spr 10,2; 11,4; 18,11; 19,17; 22,16; 23,6; 28,6; Dan 4,24. 116 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 8 Spr 10,4; 10,15; 15,15; 19,4ff.; 19,15; 22,4; u.a. 9 b Ned 64b; b San 100b; 101a; b Ket 110b u.a. 10 Im hellenistischen Judentum vermischte sich die kynische Mahnung mit alttestamentlichen Einflüssen. Geldgier wurde verstanden als das Urübel (Philo, Virt 100) und als Form des Götzendienstes (Philo, Spec 1,25f.; TestJud 19,1). 11 Eph 5,5; Koh 3,5. 12 Paulus: Röm 1,29; 1 Kor 5,11; 6,10; 2 Kor 7,2; 9,5; 1 Thess 2,5; im NT ferner: Mk 7,22; Lk 12,15; 16,14; Hebr 13,5; 2 Petr 2,3.14; Jud 11; in der Alten Kirche: Did 3,5; Barn 20,1; 1 Clem 35,5; Herm sim 6,5,5; Iren, adv haer 4,30,1 u.a. 13 Lk 16,14. 14 Lk 12,16-21. 15 Lk 12,22-34. Der Rabe ist zwar ein unreines Tier (Lev 11,15), dient aber im Alten Testament als Symboltier für die Fürsorge des göttlichen Schöpfers (Hi 38,41; Ps 147,9). 16 Lk 16,13 und Mt 6,24: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon!”. Das aramäische Wort „Mammon“ begegnet zum ersten Mal in Sir 31,8 (hebräisch) und findet sich im NT nur in Lk 16,9-13 und in Mt 6,24. 17 Lk 12,22-34; Mt 6,19-34. 18 Vor allem Lk 16,10-12; aber auch Lk 12,20; 19,11-27; vgl. Sir 31,8-11 und Koh 12,7. Hintergrund ist das altisraelitische Bodenrecht, wonach Gott der letztliche Eigentümer des Landes Israel ist (Lev 25,23). 19 Apg 4,34; vgl. Dtn 15,4. Die lukanische Darstellung der Jerusalemer Gütergemeinschaft findet sich in Apg 2-5 und greift auf pythagoreisch-platonische Ideale zurück, vermutlich liegen aber dennoch historische Notizen zugrunde. 20 Mk 10,17-31; Mt 19,16-30; Lk 18,18-30. 21 Mk 6,7-13; Mt 10,5-15; Lk 9,1-6; vgl. Lk 10,1-16. Wird dabei in Mk 6,8 der Besitz einer Tasche untersagt, so wird in Mt 10,10 und Lk 9,3 zudem ein Wanderstab verboten. 22 1 Kor 9,1-27, v.a. VV 12.18. 23 Bestreitung des eigenen Unterhalts: Apg 18,3, 20,33f.; Unterstützung durch die Gemeinde: Phil 4,15f. 24 Naturalien und Unterkunft: Mt 10,10; Lk 10,7; Did 11,3ff.; möglicherweise Bezahlung: 1 Tim 5,17f.; vgl. 1 Kor 9,9-14. 25 Origenes, Matthäuskommentar 16,21 zu Mt 21,12f. 26 Zitat nach Rat der EKD (hg.), Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 61982, S. 561. Thema Die Kirche und das Geld. FAQ – Frequently Asked Questions ❚ Die für die Finanzen des Landeskirche zuständige Oberkirchenrätin Barbara Bauer beantwortet sechs Fragen, die sich für Pfarrerinnen und Pfarrer zum Thema Kirche und Geld stellen. arbeitenden. Davon sind die Pensionen zu 100 % gedeckt, bei den Beihilfen fehlt eine Absicherung der Fälle von vor 2014: Diese werden planmäßig aus den Haushalten bedient. Wie reich ist eine Kirche, deren Vermögen die Verpflichtungen – fast – deckt? Bitte beantworten Sie sich die Frage selbst. Müssen wir uns um die Finanzierung der Arbeit unserer Kirchengemeinden sorgen? Wenn Ihre Einnahmen Ihre Ausgaben Bricht unsere Finanzierung durch die Austritte zusammen? inklusive der Bildung der Pflichtrücklagen Nein. Aber die zwar rückläufigen, decken, können Sie mittelfristig davon allerdings immer noch rd. 10.000 Persoausgehen, dass keine substantiellen Ännen pro Jahr betreffenden Austrittsentderungen erforderlich werden. Wenn scheidungen schmälern deutlich unsere nicht oder wenn sich bereits eine Tendenz Partizipation am verin Richtung eines DefiDie Vermögenswerte decken gleichbaren Steueraufzites abschätzen lässt, die Verpflichtungen ab. kommen. Perspektivisch sollten Sie die Angebowird sich unsere Arbeit te des EOK nutzen, mit noch stärker den Möglichkeiten der Mitfachlicher Begleitung Ausgaben zu minigliederbindung und -gewinnung zuwenmieren und zusätzliche Einnahmen zu den müssen. generieren. Wie reich ist unsere Kirche wirklich? In der landeskirchlichen Bilanz 2015 stehen Vermögenswerten in Höhe von 1,865 Mrd. Euro Verpflichtungen in Höhe von 2,077 Mrd. Euro gegenüber. Die Vermögenswerte decken also – fast – die Verpflichtungen ab. Die Verpflichtungen setzen sich aus Selbstverpflichtungen im Sinne einer soliden Haushaltswirtschaft (Rücklagen zur Haushaltssicherung und Substanzerhaltung) und Drittverpflichtungen zusammen. Der größte Teil der Verpflichtungen beruht auf der Altersversorgungssicherung gegenüber unseren Mit- Außerdem tun wir gut daran, neben der Kirchensteuer andere Formen der Mittelgewinnung zu etablieren, z. B. durch Fundraising. Muss ich mich um mein Gehalt und meine Pension und meine Beihilfe sorgen? Nein. Ist die Anzahl der Pfarrstellen gefährdet? Nein. Es gibt keine Pläne zur Kürzung von Pfarrstellen. Es gibt sogar einen eiPfarrvereinsblatt 3-4/2017 117 genen Vermögensteil, das Pfarrstellenfinanzierungsvermögen, der zu dem Zweck aufgebaut wurEs gibt keine Pläne für de, aus VermögenserPfarrstellenkürzungen. trägen Gemeindepfarrstellen zu finanzieren und sie so vor etwaigen Kürzungsnotwendigkeiten abzusichern. Gefährdet ist eher die Besetzung der Pfarrstellen, weil sich nicht genügend Menschen für den Pfarrberuf begeistern. Wenn ich weitere Fragen habe? Schicken Sie sie an das Zentrum für Kommunikation: [email protected], das die Beantwortung durch die jeweils Zuständigen koordiniert. ❚ Barbara Bauer, Karlsruhe 118 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Zur Diskussion N Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften och einmal zwei Beiträge zum Thema der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Warum schon wieder oder immer noch? Bei beiden Beiträgen und bei der in unserer Landeskirche sehr engagiert und kontrovers geführten Diskussion über den Synodalbeschluss vom Frühjahr letzten Jahres geht es um die Frage der Identität. Nicht nur der sexuellen, sondern jetzt um die der Kirche. In aller abgrenzender Schärfe. Da ist die Rede und die Schreibe vom Totalschaden, vom gerissenen Tischtuch, vom status confessionis, von Störungen und Radikalisierungen. Ganz klar: Die Frage nach der Identität unserer Kirche ist extrem wichtig und sie hat ihren Prüfstein in der Frage nach dem Umgang mit den theologisch Andersdenkenden. Waren erst die einen ausgeschlossen und sind nun eingeschlossen, sind nun die anderen ausgeschlossen und es ist die Frage, wie diese wieder eingeschlossen werden können. Es scheint keinen Mittelweg zu geben. Der Synodenbeschluss hat das wohl geahnt, wenn er in Ziffer 3 formulierte: „Die Landeskirche weiß um bestehende theologische Differenzen, verschweigt diese nicht und führt im Geist der Geschwisterlichkeit, der Liebe und der gegenseitigen Wertschätzung das gemeinsame Gespräch fort.“ Nur: Die theologischen Differenzen sind unüberbrückbar und gehen tief hinein in Glaubens- und Lebensdifferenzen und werden mittlerweise zu Kirchendifferenzen. Diese Differenzen sind aus meiner Sicht auch nicht überbrückbar. Es fragt sich nur, wie wir trotzdem eine Kirche mit Differenzen und mit allen sein können. Was in Blick auf die weltweite Ökumene nicht wirklich gelingt, gelingt uns auch nicht: versöhnte Verschiedenheit. Trotzdem ein Versuch: Im Artikel 7 unseres Augsburgischen Bekenntnisses findet sich ein Satz zur Einheit der Kirche. Im lateinischen Text heißt es dort: „Et ad veram unitatem ecclesiae satis est consentire de doctrina evangelii et administratione sacramentorum.“ Mir liegt dieses „satis est“ am Herzen: Ich glaube, es hat mit jener Satis-Faktion zu tun, die drei Artikel vorher beschrieben wird. Wir werden gerecht aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben. Also: Christus satis est. Das muss auch unserer Kirche und ihrer Einheit genügen. Einheit ist Geschenk. Und deswegen ist dieses „satis est“ der Einheit eine Frage der Suche. Der Suche nach dem, was zur Einheit genügt, was ausreicht, damit wir eine Kirche sind. Das würde bedeuten: Wir beenden die im wahrsten Sinne un-christliche Suche nach Trennendem und begeben uns auf die Suche nach dem, was uns zur Einheit genügt. Und das halten wir fest und betrachten es als Gnadengabe. Ich glaube, das würde reichen. In diesem Sinne haben wir vom Schriftleitungstandem uns verabredet, dass wir erst einmal keine weiteren Beiträge zu diesem Thema veröffentlichen. Nicht, weil wir das Thema als unwichtig oder nicht drängend ansehen würden, sondern weil wir den Eindruck haben, dass nahezu alle Argumente und Gegenargumente ausgetauscht sind, und hoffen, dass nun in unserer Kirche auf verschiedenen Ebenen Raum gesucht wird für Verbindendes. ❚ Jochen Kunath, Freiburg Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 119 Zur Diskussion Nochmals: Nach dem Segnungsbeschluss – Eine Antwort an Dekan Markus Engelhardt D er Artikel von Markus Engelhardt zum Synodalbeschluss zur gottesdienstlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften im Pfarrvereinsblatt 9/2016, S. 375ff kann nicht ohne Antwort bleiben. Zum einen, weil er unter der Rubrik „Zur Diskussion“ stand und eine Diskussionskultur nur (wieder-)erlernt werden kann, wenn man sie führt. Zum anderen, weil ich als durch die Blume Angeredeter naturgemäß eine sehr andere Sicht der Dinge habe, diese auch öffentlich geäußert habe und mich durch diesen Beitrag herausgefordert sehe. Und drittens, weil ich meinerseits einige Rückfragen an die Argumentationsweise des Dekans habe, über die m.E. eine Meinungsbildung stattfinden sollte. Zum ersten fällt mir der Zeitpunkt dieses Beitrages auf. Er liegt nämlich nach der Synodalentscheidung und nicht, wie man hätte erwarten dürfen, in ihrem Vorfeld. Dass die mittlere Entscheidungsebene plötzlich im Nachhinein das Bedürfnis verspürt, auf diese Weise mitzureden, liegt daran, dass die Landessynode diese Ebene bei der Entscheidungsfindung ausgespart hat. Pfarrkonvente, Ältestenkreise, Bezirkssynoden waren in die Entscheidung nicht einbezogen – im Falle der „Kirche des Friedens“ war das noch möglich gewesen. Die Landessynode fasste also ausdrücklich einen Beschluss über eine „theologische Erkenntnis“, die im „Handeln der Kirche ihren Ausdruck“ finden soll, ohne dass diese Kirche nach ihrer „theologi120 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 schen Erkenntnis“ befragt worden wäre. Mit dem Prinzip einer Kirche, deren Leitungsstruktur vom „Allgemeinen Priestertum aller Glaubenden“ in Form der Ältestenkreise aus nach oben aufbaut, ist dies kaum vereinbar. Der Beschluss, so wie er ist, nimmt sich in einer synodal verfassten Kirche ein Verfahren nach der „Top Down“Methode heraus. Damit steht er unter einem erheblichen Rechtfertigungs- und Vermittlungsdruck (der sich auch durch den gesamten Beitrag von Dekan Engelhardt zieht). Und das ist auch gut so. Das „Was“ dieses Beschlusses ist für manche in der Kirche ein Skandal, das „Wie“ sollte es für viele sein: Das ist eine andere Art von Kirche und deren Leitung als die, die uns bisher vermittelt worden ist. Wollen wir die? Zum zweiten, und damit komme ich zum Inhaltlichen, fällt mir auf, wie sehr in diesem Beitrag auf der konfessionellen Klaviatur gespielt wird. „Evangelikale“ kommen nur einmal ganz am Rande vor, „Freikirchen“, Orthodoxe und Afrikanische Kirchen je einmal als Gegenüber, aber der Hauptkontrahent, von dem sich der Beitrag abgrenzt, ist die katholische Kirche und ihr Eheverständnis, das bekanntlich gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht als „theologisch gleichwertig“ ansieht, sondern der Ehe auf Grundlage der Bibel eine Vorrangstellung zuerkennt. Auf sie bezieht sich die Apostrophierung als „Fundamentalisten“, der Vorwurf einer „unhistorischen“, sogar „grundgesetzwidrigen“ Bibelauslegung, die Kritik an einem „wörtlichen Ver- ständnis“ der Bibel, ja an einem „verbalinspirierten Schriftverständnis“. Das katholische Eheverständnis ist die Folie, von der das eigene als reformatorisch abgehoben wird (auf die Frage, ob dies auch den Tatsachen entspricht, komme ich später zurück). Ich finde diese Grenzziehung aus mehreren Gründen interessant. Ich zähle mal die genannten Gruppierungen zusammen und frage mich: Ist das das neue Selbstbild der evangelischen Landeskirche, als Einzige die protestantische „Freiheit“ gegen die bösen Katholiken, Orthodoxen, die evangelischen Afrikaner, die Freikirchler und Evangelikalen zu verteidigen? Das könnte leicht auf den berühmten Falschfahrer-Witz hinauslaufen. Zumal, und das ist das Dritte, an dieser Zusammenstellung ja durchaus etwas „dran“ ist. Abgesehen von den Orthodoxen und unter Hereinnahme der Charismatischen Erneuerung sind die bedeutendsten ökumenischen Schritte der letzten Jahre zwischen eben jenen Gruppierungen erfolgt, von denen M. Engelhardt sich als „überzeugter Protestant“ abgrenzt. Just in Bezug auf den landeskirchlichen Protestantismus steht die Ökumene, wenn man von den Signalen guten Willens rund um das Reformationsjahr absieht, in einer Krise tiefster Irritationen. Das Thema Ehe, Familie, Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist hierfür der Auslöser, jedoch m.E. eher Symptom der entstandenen Krise als ihre Ursache. Um dieser auf die Spur zu kommen muss man zum Höhepunkt der Ökumenischen Bewegung im Jahr 1999 zurückgehen, als die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ zwischen der katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen (hier dem Lutherischen Weltbund) unterzeichnet wurde. Dieses Dokument markiert sehr viel mehr als einen Gremienkonsens. Sein Inhalt, nämlich die Lutherische Rechtfertigungslehre als der „höchste und größte Artikel“ des Christlichen Glaubens, war damit Bestandteil der katholischen Glaubenslehre geworden 1. Es ist faszinierend, zu beobachten, wie sie seitdem in Form einer Konzentration auf Person und Werk Jesu Christi (Papst Benedikt XVI), auf Kreuz und Auferstehung die katholische Homiletik und Pastoral durchzieht, und zwar in allen Sprachen und mit einer Konsequenz, die in den 60er Jahren nie ein Mensch für möglich gehalten hätte. Flankiert durch eine Voranstellung der Heiligen Schrift, durch die Intention zur Heiligung des persönlichen Lebens und zur Neuevangelisierung Europas sowie einer Besinnung auf die Charismen des Heiligen Geistes sind genau diejenigen Bestandteile christlichen Glaubens beieinander, die bereits im Pietismus und in der Erweckungsbewegung zur Zündung führten. Da rollt ein A380 zur Startbahn! Die neuentdeckte Gemeinschaft mit dem gerne als „konservativ“ bezeichneten Flügel des Protestantismus hat also nicht nur etwas mit gemeinsamer Sache gegen liberale Positionen zu tun (das mitunter auch), sondern mit der Entdeckung tiefer geistlicher Verwandtschaft, ja erlebter Geschwisterlichkeit in der gemeinsamen Ausrichtung auf Jesus Christus, die bestehende Unterschiede an Wertigkeit übersteigt (das ist gut pietistische Tradition!). Die Grenzlinien werden infolgedessen immer durchlässiger, wie man bei überkonfessionellen Projekten wie dem Augsburger Gebetshaus beobachten Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 121 kann. Auf EKD-Seite jedoch scheint sich über dem ökumenischen „Erfolg“ kein Jubel, sondern eine Identitätskrise eingestellt zu haben: „Und wir? Wofür stehen wir, wenn die anderen das jetzt auch haben?“ Die „versöhnte Verschiedenheit (!)“, auf die jüngst Heinrich Bedford-Strohm pochte, wird plötzlich ein zentrales Anliegen. 2 Damit vollzieht sich in der evangelischen Kirche eine ökumenische Absetzbewegung (deren Ursachenfolge natürlich viel älter ist als die „Gemeinsame Erklärung“), die die Kerninhalte der Reformation mitbetrifft und von katholischer Seite als irritierende Entfremdung wahrgenommen wird. Wir sagen „Freiheit“ statt „Christus“, wir reden von „Liebe“ statt von der Selbsthingabe Jesu Christi am Kreuz, von der „Sache Jesu“ statt vom auferstandenen Christus. Wenn das beste Teil der Reformation ökumenisches Gemeingut geworden ist, was bleibt dann zur eigenen Identitätsstiftung zurück? Die Ramschware? Die vereinzelten Bemerkungen Luthers zum Jakobusbrief unter Unterschlagung seiner „assertio omnio articulorum“? Die atomisierte Rede von der Ehe als „weltlich Ding“, die zu sagen vergisst, dass die Ehe dem Christen natürlich wie alles ein eminent geistlich Ding ist und dass für Luther eine gleichgeschlechtliche Segnungshandlung nie in Betracht kam? Ein entkernter, durch Fichte hindurchgesiebter Begriff von „Freiheit“, der nicht ernst macht damit, dass der Mensch „entweder von Gott geführt (!) oder vom Teufel geritten“ wird (Luther) und dass sie christlich niemals als „Freiheit für das Fleisch“ aufgefasst werden kann? – Mit der Diffusion genau jener reformatorischen Grundlagen, die heute von der von Engelhardt benannten Ökumene gemeinsam vertreten wer122 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 den, steigt der Kompensationsdruck. Dies ist m.E. der tiefe Grund für den von den Gliedkirchen der EKD eingeschlagenen Sonderweg der gottesdienstlichen Segnung bzw. Trauung gleichgeschlechtlicher Paare. Er schlägt sich genauso in der konfessionellen Klaviatur des Beitrages von Dekan Engelhardt nieder: Er gewinnt das eigene Identitätsprofil sowie dessen Legitimation vollständig aus der ökumenischen Abgrenzung und benutzt dabei die Katholiken als abschreckende Folie für die Kritiker aus den eignen Reihen. Was er im Zuge dessen genauso angreift sind die Quellen, die all seinen Gegnern inzwischen gemeinsam sind. Wer jedoch sich selbst oder der eigenen Konfession einen Namen machen will – so sagte kürzlich der päpstliche Hofprediger Raniero Cantalamessa 3 in ausdrücklicher Aufnahme Luthers (!) – arbeitet nicht am Reich Gottes, sondern am Turmbau Babels. Wir müssten uns alle entscheiden, auf welcher Seite wir arbeiten, auf der Gottes oder auf der seines Widersachers. Ich fand das ein aufrüttelndes Wort. Wenn wir in dieser ökumenischen Segenszeit mit Blick auf die eigene evangelische Identität auf Abgrenzung setzen, fallen wir bestenfalls aus der Zeit. Schlimmstenfalls aus dem Segen. Gott behüte. Zum Vierten: da ich nun, gemeint, aber nicht namentlich genannt, gemeinsam mit meinen katholischen, afrikanischen, freikirchlichen und evangelikalen Geschwistern (in dieser Gesellschaft fühle ich mich übrigens ausgesprochen wohl) auf die Seite der „Fundamentalisten mit verbalinspiriertem Schriftverständnis“ zu stehen gekommen bin, macht es wenig Sinn, an dieser Stelle nochmals die unterschiedlichen biblisch-theologischen Argumente zur Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu repetieren. Alles Wichtige dazu steht in dem auf dem Studientag gehaltenen Referat von Udo Zansinger 4 sowie dem Text, den ich für den Studientags-Reader der Synode zusammengestellt hatte 5. Daraus geht auch hervor, warum man das Liebesgebot, das nicht neu-, sondern alttestamentlich (!) ist, nicht ohne weitere Überlegungen gegen das Heiligkeitsgesetz, aus dem es selber stammt, ins Feld führen kann und warum die von Engelhardt dargestellte Auslegung von Röm 1 am Sinn dieses Textes komplett vorbeigeht. Es ist dargelegt, warum ein Ernstnehmen dieser Stellen keineswegs automatisch zu Homophobie und Ausgrenzung der betroffenen Menschen führt, sondern im Rahmen von Inklusion, Zuwendung und Menschenfreundlichkeit geschehen kann (diese faktischen, aber einseitigen Dialogfortschritte werden vermutlich von all denen nicht wahrgenommen, die lediglich gesellschaftspolitische Maximalforderungen durchsetzen wollen). Aber was würde es nützen, das alles hier nochmals auszubreiten? Die Narrative, in die die biblischen Texte im postprotestantischen Mainstream eingesponnen werden, haben kompensatorische Funktion und scheinen angesichts der Identitätskrise stärker zu sein als ein Bibelstudium, das nicht über, sondern „unter der Schrift“ steht (Schlatter). Eine Sachdebatte ist nicht mehr möglich (Heinzpeter Hempelmann), ja sie darf gar nicht möglich sein, weil das die fragil gewordene protestantische Identität in Frage stellen würde. Nichts belegt das besser als das behende Schwingen der „Fundamentalismus“-Keule mit seinen liebenswürdigen Begleitern „Gesetzlichkeit“ und „Biblizismus“. Diese Begriffe haben keinerlei Sachgrundlage, sondern erfüllen den Zweck einer reinen Selbstvergewisserung, indem sie signalisieren: Die anderen sind die Bösen, denen hört man nicht zu. Wer sich über diese freundliche Empfehlung hinwegsetzen und sich tatsächlich mit biblischen Argumenten auseinandersetzen will, kann das anhand der in den Anmerkungen angegebenen Kurzlinks tun. Oder „Amoris Laetitia“ lesen. Mit den anderen möchte ich über die entstandene Situation ins Gespräch kommen – der fünfte Punkt. Man kann schöne Kopfwahrheiten über den „status confessionis“ darlegen. Aber wenn ich persönlich in mein Herz und meine Seele schaue und in die Herzen und Seelen derjenigen Gemeindegliedern und Pfarrkollegen, die von dem badischen Synodalbeschluss (der im Unterschied zu anderen Landeskirchen dogmatisch statt pragmatisch argumentiert!) ähnlich geschockt waren und noch immer sind wie ich selber, dann macht Gedankenakrobatik keinen Sinn, dann muss man sich der eigenen, inneren Wahrheit stellen. Und diese Wahrheit lautet: Der „Status Confessionis“ ist da, das gemeinsame Tischtuch ist gerissen – personbezogen zu unterschiedlichen Graden, aber gerissen. Das ist die Situation, und die verschwindet auch nicht so schnell wieder. Worum es in Zukunft gehen kann ist, dafür zu sorgen, dass die beiden Teile wenigstens nebeneinander auf dem Tisch bleiben. Hierfür sind Anstrengungen nötig, sonst wird das nicht gelingen. Aussitzen und Abwarten, bis sich das per Milieuveränderung von selbst erledigt (übrigens eine krasse Fehldeutung der SINUS®-MilieuPfarrvereinsblatt 3-4/2017 123 studien), ist keine Anstrengung, sondern Arbeitsverweigerung, die sich irgendwann in Mitarbeiterzahlen und Kirchensteuerzuweisungen ausdrücken wird – dann, wenn es zu spät ist. Ich kenne etliche, die ausgetreten sind, aber höre noch viel mehr von Kirchenaustrittsvorhaben auf Zeit, z. B. wenn der Pfarrer mal wechselt. Die „Frommen“ befinden sich durch die Bank in der inneren Emigration. Die gemeinsame „Corporate Identity“ der Badischen Landeskirche, für die ich mich zwanzig Jahre lang eingesetzt habe, ist mit Karacho gegen die Wand gefahren. Totalschaden. Damit ist umzugehen. Hier spricht der Dekan einen bedeutenden Punkt an – die einzige Stelle seines Beitrages, an dem ich ihm unumwunden beipflichte. Er zitiert eine „nichtevangelikale Pfarrperson“ mit den Worten, sie fühle sich durch den Synodalbeschluss beschwert, habe aber nicht den Mut, das zu sagen, weil sie in unseren Gremien ein „erdrückendes Klima liberaler Dominanz“ empfinde. Ich danke ihm dafür, dass er das angesprochen hat. Denn ich selbst sehe statt „Kirche der Freiheit“ vielerorts eine von tiefer Angst in sich verschnürte evangelische Pfarrerschaft, die sich nicht traut, zu dem zu stehen, was sie denkt, sobald sich das nicht mit dem postprotestantischen Mainstream deckt. Ausnahmen bestätigen übrigens die Regel, und die Erscheinung ist in den Kirchenbezirken sehr unterschiedlich ausgeprägt. Aber sie ist deutlich erkennbar. Vielleicht ist es die Furcht davor, im Kollegenkreis anzuecken, den Rückhalt in der Gemeinde oder in der Öffentlichkeit zu verlieren; vielleicht ist es Angst vor Repressionen durch die Kirchenleitung, für die es 124 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 zwar weniger bei uns, aber in der EKD Beispiele gibt wie z.B. den Fall des Pfälzer Pfarrers Ulrich Hauck. Vielleicht haben wir auch nur das Debattieren verlernt. Dass das Ziehen der Loyalitätskarte inklusive des Slogans „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ als Erwartung an landeskirchliche Pfarrer da natürlich vollkommen kontraproduktiv ist, braucht kaum betont zu werden. Diese Karte spielt außerdem falsch: Unsere erste Loyalität gilt Jesus Christus und unsere zweite denen, die unser Brot durch ihre Kirchensteuer finanzieren – unseren Gemeinden. Dass die „Kirchenleitung“ nicht die „Kirche“ ist, muss wohl ab und zu wieder erinnert werden. Selbstredend bin auch ich dafür, dass die Kontroverse mit Maß und Achtung voreinander geführt wird. Aber die Rede von der „Kirche der Freiheit“ wird ihren Lackmustest darin erleben, ob und wie es uns gelingen wird, dauerhaft und konstruktiv mit dem Widerspruch zu leben. Denn: Heilen lässt sich der entstandene Schaden nach menschlichem Ermessen ohne ein Wunder wohl nicht mehr. ❚ Gerrit Hohage, Hemsbach 1 Ich sage das aus wirkungsgeschichtlicher Perspektive eingedenk der Tatsache, dass von evangelischer Theologenseite die Frage nach ihrer Vollständigkeit kritisch gestellt wurde (W. Härle, E. Herms u.a.). 2 Vgl. zur dahinterstehenden Problematik von Identität und Differenz im ökumenischen Dialog Silke Dangel: Konfessionelle Identität und ökumenische Prozesse. Analysen zum interkonfessionellen Diskurs des Christentums, Berlin 2014. 3 Er sagte das auf dem Kongress „Pfingsten 21“ vom 30.09.-03.10.16 in Würzburg. Der Vortrag kann bezogen werden bei der GGE Deutschland. 4 Der Kurzlink lautet https://goo.gl/RcXGvm. Ich gebe ihn hier nicht zur Kosmetik an, sondern damit er verwendet wird! 5 Kurzlink: http://goo.gl/uEX35M, vgl. ebenso: https://goo.gl/C9qHhm und https://goo.gl/pTVsVd Zur Diskussion P Kollektive Identifikationsstörung? rotestantismus unter klinischer Beobachtung. Diagnose: „Kollektive Identifikationsstörung“. Die Evangelische Kirche in Deutschland könne sich zu ihren reformatorischen Bekenntnisgrundlagen offensichtlich nur im Bewusstsein kritischer Distanz verhalten, meint Dr. Gerrit Hohage, Kollege in Hemsbach und Mitglied im konservativen Netzwerk evangelischer Christen in Baden. 1 Ich halte das für eine präzise Beschreibung eines aufgeklärten, modernen Protestantismus. Freilich stört mich, dass es sich dabei um eine pathologische Glaubensform handeln soll. In diesem Zusammenhang bin ich auf eine erhellende Passage in Tillichs Systematischer Theologie gestoßen: „Der Fundamentalismus versagt vor dem Kontakt mit der Gegenwart, und zwar nicht deshalb, weil er der zeitlosen Wahrheit, sondern weil er der gestrigen Wahrheit verhaftet ist. Er macht etwas Zeitbedingtes und Vorübergehendes zu etwas Zeitlosem und ewig Gültigem. Er hat in dieser Hinsicht dämonische Züge. Denn er verletzt die Ehrlichkeit des Suchens nach der Wahrheit, ruft bei seinen denkenden Bekennern eine Bewusstseins- und Gewissensspaltung hervor und macht sie zu Fanatikern, weil sie dauernd Elemente der Wahrheit unterdrücken müssen, deren sie sich dunkel bewusst sind.“ (ST I, S.9) In dieser Perspektive könnte sich der Vorwurf einer Identifikationsstörung als Bumerang erweisen. Mir ist die Einübung in kritische Distanz wichtig, auch angesichts wachsender, „bibeltreuer“ oder „friedenslogischer“ Radikalismen in der badischen Kirche. Kritische Distanz hilft, die Totalorientierung an scheinbar zeitlosen Prinzipien (Schöpfungsordnung, Gewaltfreiheit usw.) zu unterbrechen. Also doch: Identifikationsstörung? Sehr gerne – weil sie zu geschichtlichem Denken und Aushalten von Widersprüchen gehört! ❚ Heiner Kücherer, [email protected] 1 vgl. den Gastkommentar zum EKD- Impulspapier „Reformation und Islam“ http://www.pro-medien magazin.de/kommentar/detailansicht/aktuell/weltfremdglaubensfremd-ekd-96642/ Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 125 Zur Diskussion Meinungsstark aber ahnungslos – Zur Geschichte der badischen Landeskirche im 20. Jahrhundert I m Zusammenhang mit der Erinnerungskultur wird gerne das „Aussterben“ der Zeitzeugen beobachtet und damit zu Recht ein veränderter Umgang mit ihr angemahnt. Ähnliches ist derzeit im Blick auf die Befassung mit der badischen Kirchengeschichte im 20. Jahrhundert zu beobachten. Die Generation der handelnden Personen in der Weimarer Zeit, der Zeit des Nationalsozialismus und mit ihnen deren Selbstdarstellungen dieser Epoche sind Geschichte. Aber auch die Generation der Kinder der Täter und Opfer gibt den Stab ab, nachdem mancher seinen Beitrag zur Auseinandersetzung mit dieser Phase abgeliefert hat. Eine neue Generation ist nun dran, diesen Zeitraum neu zu vermessen und zu bewerten. Drei Publikationen sind in den letzten Jahren auf den Markt gekommen, von denen man einen neuen Blick auf diese Periode erwartet hätte. Aber das Urteil der Fachwelt fällt enttäuschend aus. Allerdings vermittelt die Werbewelt den gegenteiligen Eindruck. Eine der Publikationen wird als „sensationelle“ Neubewertung angepriesen. Und auch die Rezension, die die Badischen Pfarrvereinsblätter (7-8/2016, S.337-343) veröffentlichten, lässt kein Problembewusstsein erkennen. Daher soll hier auf ein Organ verwiesen werden, das nun schon auf zehn Jahre zurückblicken kann, aber vermutlich angesichts der Fülle der Materialien und der Vordringlichkeit gegenwartsbezogener 126 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Herausforderungen nur von einer kleinen Zahl aus der Kollegenschaft zur Kenntnis genommen wird. Das „Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte“ liegt jetzt im 10. Band (2016) vor und ist neben den einzelnen Sachbeiträgen auch ein wichtiges Rezensionsorgan, mit dessen Hilfe die wissenschaftliche Diskussion zur badischen Kirchengeschichte verfolgt werden kann. Daher soll auf drei Rezensionen ausdrücklich hingewiesen werden, die eine Einordnung der drei genannten Neuerscheinungen in einen angemessenen Horizont stellen. Caroline Klausing, Die Bekennende Kirche in Baden. Machtverhältnisse und innerkirchliche Führungskonflikte 1933-1945, Stuttgart 2014 Hierzu die Rezension durch Karl-Heinz Fix (wiss. Mitarbeiter an der Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte der EKD in München) in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 114 (2014), S. 444-449. „Neben der bereits genannten thematisch-chronologischen Inkonsistenz wird im ersten Kapitel der Darstellung ein weiteres Ärgernis deutlich. Mit Namen und Autoren von handelnden Personen geht Klausing äußerst nachlässig um ... Die vorliegende Studie ist nicht das letzte Wort zur Geschichte der Bekennenden Kirche in Baden oder gar zur Geschichte der Landeskirche in den Jahren 1933-1945 solange selbst postulierte methodische Ansätze nicht eingelöst werden und das theologi- sche Urteil einseitig bestimmt ist von der Fixierung auf die Person Karl Dürrs. Die Defizite im Umgang mit Namen und Fakten bekräftigen diesen Eindruck“. Im Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 8-9 (2014/2015), S. 495-497, habe ich selbst eine Rezension zu diesem Buch vorgelegt. „Dass sich Profanhistoriker spezifisch kirchengeschichtlichen Fragestellungen zuwenden, ist inzwischen eine Seltenheit geworden. Daher verdient dieses Bemühen einige Aufmerksamkeit, die allerdings in diesem Falle kaum belohnt wird. Das liegt vor allem an den ungeklärten Voraussetzungen, auf denen die Arbeit fußt. An Stelle sorgfältiger Quellenuntersuchungen werden programmatische Thesen ... aufgetischt, zu deren Lösung aber keine weiteren Ergebnisse zutage gefördert werden. Es wäre ehrlicher gewesen, deutlich zu machen, dass es in der Schrift im Kern um eine Rehabilitation des Vorsitzenden der badischen Bekenntnisgemeinschaft, des Pfarrers Karl Dürr, und seines Umfelds geht. Das hätte aber auch einen sorgfältigeren Umgang mit dem Nachlass notwendig gemacht.“ Rolf-Ulrich Kunze, „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, Kirchenkampf und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Die evangelische Landeskirche Badens 1933-1945, Stuttgart 2015 Im Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte 10 (2016), S.326333 rezensiert ebenfalls Karl-Heinz Fix. Trotz effekthaschender und falscher Presseankündigung „liest man das Buch erwartungsvoll und hofft, endlich die fehlende umfassende Darstellung der Geschichte der badischen Landeskirche zwischen 1933 und 1945 – bzw. auch davor und danach – in den Händen zu haben. Stattdessen steht am Ende der Lektüre … v.a. die Irritation. Von einem Text im eigentlichen Sinn, also einem inhaltlich durchdachten Geflecht der sieben Kapitel und des fünfteiligen Anhangs kann man kaum reden … Die Darstellung enthält zudem sachliche Fehler, tendenziöse theologiegeschichtliche bzw. kirchenpolitische Bewertungen … „Dies alles ist eines Buches mit mehrfach geäußertem hohem methodologischen Anspruch, der Schriftenreihe und auch des Verlages unwürdig.“ Ich selbst hatte für „Chrismon“ in einer Buchanzeige geschrieben: „Das geschönte Selbstbild einer kontinuierlichen Linie von der badischen Erweckungsbewegung als „Bekenntnisbewegung“ hin zur „Bekennenden Kirche“ übersieht geflissentlich den Anteil an blindem Monarchismus und antidemokratischer Aktivität, die vor allem die Weimarer Republik unterminiert und damit die Voraussetzungen für die Herrschaft des Nationalsozialismus geschaffen hat.“ Auch die dritte Publikation ist nicht ohne Bedenken zu empfehlen: Markus Geiger, Hermann Maas – Eine Liebe zum Judentum. Heidelberg 2016 Im Jahrbuch für badische Kirchen- und Religionsgeschichte, 10 (2016) hat Udo Wennemuth das Buch rezensiert (S. 322-326). Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 127 „Geiger gebührt das Verdienst, zum ersten Mal die ganze Biografie Maas‘ umfassend in den Blick genommen zu haben … Doch die erhoffte Befriedigung will sich angesichts der Mängel der Arbeit nicht so recht einstellen. Die Arbeit leidet deutlich an dem Mangel, Wesentliches von Unwesentlichem nicht zu unterscheiden. Die Arbeit lässt zudem eine klare Strukturierung vermissen ... Ein dritter Mangel besteht in der kaum vorhandenen Analyse der geschilderten Fakten und an dem fehlenden Mut, zu eigenen Urteilen zu kommen … Ein vierter Mangel besteht in dem Umgang mit den Quellen.“ Dies alles können nur Andeutungen dafür sein, dass es sich lohnt im Jahrbuch nachzulesen, um nicht desorientierenden Besprechungen, die so auch der Landessynode vorgetragen wurden, blind aufzusitzen. Immer noch bietet die Darstellung von Jörg Thierfelder „Die badische Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus“, in: Die evangelische Landeskirche in Baden im Dritten Reich. Quellen zu ihrer Geschichte, Bd.VI, Karlsruhe 2005, S. 287-366, die zuverlässigste Orientierung. Es wäre zu empfehlen, dass der Verein für Kirchengeschichte einen Sonderdruck zur Verbreitung in den Gemeinden herstellt, der dann auch Aktualisierungen möglich machte. ❚ Eckhart Marggraf, Karlsruhe 128 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Zur Diskussion „Es ist eine große Sache, ein Christ zu sein“. Dank an Luther M artin Luther für sein Wirken als Reformator zu danken, versteht sich angesichts des zeitlichen Abstands von 500 Jahren zu uns Heutigen am Anfang des 21. Jahrhunderts, das man im Blick auf den gemeinsamen Weg der Christen in die Zukunft durchaus als „Ökumenisches Zeitalter“ bezeichnen kann, keineswegs von selbst, auch wenn Luther Kirche und Gesellschaft, Theologie und Frömmigkeit nachhaltig verändert hat, wie ja seine „Theologie mit konkretem Leben geladen war und zur Anwendung drängte“ (H. Bornkamm). Überzeugend können wir nur danken, wenn Luther unser eigenes Christsein entscheidend geprägt hat und nachvollziehbar prägt, was sich angesichts des Eindrucks einer gewissen „archaischen Fremdheit der lutherischen Gedankenwelt“ nicht von selbst versteht. Als evangelische Christen, Nachfahren der Reformation in einer langen Kette der Generationen, führen wir unser eigengeprägtes Christsein auf Luther zurück, welches auch heute im Wesentlichen bestimmt ist von seiner genial sprachmächtigen Bibelverdeutschung, dem Kleinen Katechismus, mit dem ihm „eine Meisterleistung geglückt ist“ (Kardinal Lehmann), wie auch seinen Chorälen, am bekanntesten sein „Ein feste Burg ist unser Gott“, auch als „Marseillaise des Protestantismus“ bezeichnet (Friedrich Engels). Aber im heutigen ökumenischen Zeitalter, in dem die Kirchen zur Suche nach dem für die gesamte Christenheit Gemeinsamen und Verbindenden aufgebrochen sind, werden wir uns mit konfessioneller Selbstgenügsamkeit oder gar Selbstgefälligkeit nicht zufrieden geben können und dürfen. Vielmehr ist zu fragen, was Christen aller Bekenntnisse heute Martin Luther zu verdanken haben an Glaubens- und Entscheidungshilfen. Er selbst hat diese im harten Ringen um die reine, unverfälschte christliche Wahrheit gewonnen, die für ihn keine abstrakte akademische Sache war, sondern Folge persönlichen Betroffenseins, weshalb sich bei ihm alles, was er redet und schreibt, ins Existenzielle gewendet hat, durch sein intensives Studium der Heiligen Schrift und „Gottes Barmherzigkeit“. Hier ist nun zuerst und vor allem an die ihm zuteil gewordene Einsicht zu erinnern, dass wir allein und ausschließlich von dem Geschenk der Gnade Gottes leben. Gott ist, wie Luther in äußerster Kühnheit mit letzter Gewissheit formuliert, ein „glühender Backofen voller Liebe“. Die befreiende Antwort auf die ihn umtreibende Frage: „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ lautet darum: „Allein durch den Glauben“. Durch unser Zutrauen in Gottes Gnade sind wir „gerechtfertigt“. Damit ermutigt Luther zum vorbehaltlosen Gottvertrauen und zugleich zur Aufgabe aller menschlichen Bemühungen der Selbstrechtfertigung gegenüber Gott: „Selbstrechtfertigung ist die Religion des natürlichen Menschens“. Das will sagen: Alle Menschen suchen das Heil, aber keiner kann es erreichen. Statt im Erbringen religiöser LeisPfarrvereinsblatt 3-4/2017 129 tungen, wozu auch die „Möncherei“ gehörte, an der Luther fast zerbrochen wäre, wurzelt der rechte Glaube in der Bindung an Christus, an dem allein unser und der Welt Heil hängt: „Ich weiß keine andere Hilfe noch Rat, keinen Weg noch Steg, als allein meinen Herrn Christum, der für mich gelitten, gestorben und auferstanden und gen Himmel gefahren ist.“ Weil solcher Glaube immer eine ganz persönliche Entscheidung ist, kann sich darin keiner durch einen anderen vertreten lassen, wie ja auch ein jeder für sich sterben muss. Wissend um die Kraft der menschlichen Eigenliebe, spricht Luther stets nur vom „Anheben und Zuheben“ des Glaubens: „Gerecht sind wir im Werden, nicht im Gewordensein“. Mit Blick auf unsere vielfachen Glaubensnöte in der Oberflächlichkeit des modernen Lebens brauchen wir mehr denn je den Erkenntnisreichtum Luthers. Daher hilft es uns, bei Luther in die Glaubensschule zu gehen, um von seinen Glaubenserfahrungen zu lernen. Wie kaum ein anderer hat er an sich selbst das ständige Bedrohtsein des Glaubens erlebt und durchlitten. Doch gerade solche Betroffenheit berechtigt und ermächtigt ihn zum Reden über den Glauben: „Wer nicht den Geist des Glaubens in der Anfechtung und Trübsal einmal geschmeckt hat, der hat von demselben nicht die geringste Erfahrung gemacht, noch von der Größe seiner Kraft je einen Vorgeschmack bekommen.“ Weil der Glaube niemals sicherer Besitz ist, „darum müssen wir täglich daran arbeiten mit Beten, mit Predigen, mit Vermahnen, mit allerlei Leiden und Versuchungen, dass wir solch herrlichen Schatz nicht verlieren.“ So lehrt gerade die Anfechtung „aufs Wort achten“, womit Luther 130 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 nicht einen gesetzliche Buchstabenglauben meint, sondern das Hören auf die Stimme des guten Hirten, die befreiende Botschaft des Evangeliums, das die wahre Freiheit schenkt: „Siehe, also fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott und aus der Liebe ein freies, williges, fröhliches Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst.“ Dergestalt Arbeit ist also Dienst am Nächsten. Diese von Luther proklamierte „Freiheit eines Christenmenschen“ ist von der Evangelischen Kirche geradezu emphatisch zum spezifischen Erkennungs- und Markenzeichen evangelischen Christseins erklärt worden. Nach Luther ist die durch das Evangelium eröffnete geistliche Freiheit „das Wesen des Glaubens“. Angesichts der weitverbreiteten protestantischen „Allergie“ gegenüber der „Kirche“ und des starken Hangs zu nichtkirchlichen Formen von Christentum will Luther gerade uns evangelischen Christen zu der Einsicht verhelfen, dass der Glaube nicht isoliert existiert, sondern bezogen auf die Kirche, an deren grundsätzlicher Notwendigkeit er bei teilweise schärfster Kritik an der Kirche seiner Zeit stets festgehalten hat. Die Kirche ist „die Mutter, so einen jeglichen Christen zeugt und trägt durch das Wort Gottes“ (Großer Katechismus). Aber er versteht nun „Kirche“ ganz anders, nämlich als die Gemeinschaft, bei der alle aufs Hören des Wortes Gottes angewiesen sind und einander geschwisterlich mit dem Wort dienen. Damit ist die strenge Trennung zwischen Priestern und Laien, die ganze hierarchische Stufenordnung, einschließlich Papsttum, dahingefallen. Darum tragen nun auch alle Christen Verantwortung für ihre Kirche, wie sie ja alle berufen sind, das ihnen anvertraute Wort Gottes weiterzusagen und hineinzutragen in den Lebensalltag, um so die Aussage des Neuen Testamentes vom „allgemeinen Priestertum“, die auch im Protestantismus weithin eine „Leerformel“ geblieben ist, mit der Wirklichkeit gelebten Lebens zu füllen. Indem Luther die Christen als „dienstbare Knechte aller Dinge“ an die Welt gewiesen hat, wo sie „mit Leuten“ umgehen müssen, hat er ein neues Verständnis von „Welt“ erschlossen: Er hat die Weltlichkeit der Welt ernstgenommen und damit jede noch so unterschwellige Form ihrer Dämonisierung unterlassen. Ebenso wenig ist die Welt das uns zur Prüfung auferlegte „Jammertal“. Sie bleibt trotz aller Störungen ihres ursprünglichen Gutseins Gottes Schöpfung. Zum rechten Dienst an ihr hat er der menschlichen Vernunft ihr Recht, ihre Verantwortung und ihre Aufgabe im weltlichen Bereich „nicht bestritten, sondern erst erstritten“. „In äußerlichen und weltlichen Sachen, da lasse man der Vernunft ihr Urteil.“ Mit Entschiedenheit ist er jeder Art der Vermischung von Kirche und Welt, Gesetz und Evangelium entgegengetreten, um das Evangelium vor der ihm stets drohenden Gefahr zu bewahren, zu einer politischen Doktrin, Ideologie oder auch zu einem kirchlichen Herrschaftsinstrument gemacht und damit missbraucht zu werden. Zugleich hat er nachdrücklich die untrennbare Bezogenheit von Gott und Welt aufeinander betont und damit jede Form eines eigengesetzlichen, autonomen Weltverständnisses abgelehnt. „Weltflucht des frommen Lebens“ und „Gottesflucht des weltlichen Le- bens“ sind gleichermaßen ausgeschlossen, weil Christen Bürger beider Reiche sind, in welchen Gott der souveräne Herr ist. Angesichts solcher schlechthin unüberholbaren Einsichten Luthers in Grundfragen christlicher Existenz, hat darum unser Dank als evangelische Christen an Luther, wenn er Dank im Sinne des Verdankens sein soll, weder mit jener vielberufenen, jedoch äußerst vagen „protestantischen Gesinnung“ im Sinne antikatholischer Ressentiments irgendetwas zu tun, noch mit der weit verbreitet kritisch distanzierten und individualistischen Einstellung zur eigenen Kirche aufgrund einer völlig falsch verstandenen „evangelischen Freiheit“ im Sinne jeweiliger Beliebigkeit. Vielmehr geschieht rechtes Danken in der Bereitschaft, uns das von Luther erschlossene Verständnis von Glauben – Kirche – Welt als den drei entscheidenden Brennpunkten christlicher Existenz anzueignen und damit ernst zu machen. Dass Luther diesen Dienst aus der Kraft der von ihm wieder neu entdecken Wahrheit des Evangeliums auch heute noch zu leisten vermag, zeigt, dass wir als evangelische Christen, aber nicht nur wir allein, Grund haben, Luther zu danken. Und dennoch kommt es letztlich nicht auf den Menschen Martin Luther an, womit sich jegliche „Heiligenverehrung“ oder Heroisierung verbietet, sondern, wie er selbstkritisch sagt, auf Christus: „Du musst wahrlich Christus frei bekennen, ob ihn Luther oder sonst einer predigt. Die Person lass fahren, aber die Lehre musst du bekennen.“ Zu diesem Bekenntnis zu Christus will Luther mit aktueller Dringlichkeit auch heute „der ganzen Christenheit auf Erden“ verhelfen. ❚ Herbert Blöchle, Karlsruhe Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 131 Aus dem Pfarrverein Krankenhilfe: Berufstätigkeit von Ehepartner ist meldepflichtig E ine neu aufgenommene Berufstätigkeit von EhepartnerInnen, unabhängig davon ob angestellt oder selbstständig, muss dem Pfarrverein immer gemeldet werden. Ebenso ist eine Meldung erforderlich, wenn sich eine bereits vorhandene Tätigkeit verändert, z.B. die Stundenzahl aufgestockt wird oder das Gehalt steigt. Wichtig: es reicht nicht aus, dies nur an die Beihilfestelle (KVBW) zu melden, wir bekommen von dort keine Informationen weitergeleitet. Ab einem monatlichen Grundgehalt/Bruttoeinkommen von 800 Euro entsteht im Pfarrverein eine Beitragspflicht in Höhe von 70 Euro monatlich, über 1.700 Euro monatlich sind es 7%. Sonderfall: Sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ehepartner Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (Angestellte) sind normalerweise über den Arbeitgeber in der GKV pflichtversichert. Dann entsteht eine sog. Vorrangigkeit der GKV, das heißt, die meisten (Kassen-)Leistungen werden über die GKV abgerechnet. Wenn darüber hinaus weiterhin eine Beihilfeberechtigung besteht, kann diese für gewisse Zusatzleistungen in Anspruch genommen werden. Ob noch eine Beihilfeberechtigung besteht und welche Leistungen im Einzelfall übernom- 132 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 men werden, können Sie bei Ihrer Beihilfestelle erfragen. Jedoch übernimmt auch in diesem Fall die Beihilfe nur einen Anteil (70 bzw. 50%) der genannten Zusatzleistungen. Für die Differenz zur Beihilfe kann dann auch eine weitere Absicherung über den Pfarrverein erfolgen. Hier hat die betreffende Person ein Wahlrecht, ob sie weiterhin in der Krankenhilfe des Pfarrvereins berücksichtigt sein möchte oder nicht, denn der gesetzlichen Versicherungspflicht ist durch die Versicherung in der GKV bereits Genüge getan. Wenn also ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt und zudem durch Überschreitung der oben genannten Einkommensgrenze eine Beitragspflicht im Pfarrverein neu entsteht, muss uns direkt gemeldet werden, ob eine weitere Berücksichtigung in der Krankenhilfe gewünscht ist oder nicht. Zur weiteren Beratung können Sie sich gerne an uns wenden unter 0721-848863. Bitte auch beachten: Die Krankenhilfe des Pfarrvereins ist immer nur in Verbindung mit einer Beihilfeberechtigung möglich. Aus dem Pfarrverein Direktabrechnung in der Beihilfe – keine Änderungen in der Krankenhilfe S eit dem 01. März 2016 können Aufwendungen für stationäre Leistungen direkt mit der Beihilfestelle abgerechnet werden. Krankenhäuser, Rehakliniken und Pflegeheime können ihre Rechnungen seitdem per Kurzantrag unmittelbar beim KVBW oder LBV einreichen, die Beihilfezahlung erfolgt an die Einrichtung. Nähere Infos zum Verfahren erhalten Sie bei Ihrer Beihilfestelle. In der Krankenhilfe des Pfarrvereins bleibt alles beim Alten: Wie bisher erhalten Sie von Ihrer Beihilfestelle einen Bescheid, in dem die Zahlungen dargestellt sind. Diesen reichen Sie bitte vollständig, im Original und ohne Belege bei uns ein. Pflegekosten sind entsprechend zu kennzeichnen als „Pflege“ – hier ist es erforderlich, Belege vorzulegen. Auch weiterhin bitte bei stationären Aufenthalten angeben, dass Sie Beihilfeberechtige/r und Selbstzahler sind. Vorankündigung 125. Tag der badischen Pfarrerinnen und Pfarrer am 15. und 16. Oktober 2017 in Karlsruhe Gartenhalle und Stadtkirche Karlsruhe (ausführliches Programm folgt in Heft 5/2017) Anmeldung bitte erst im Juni 2017! Vorankündigung Dies Academicus Freitag, 14. Juli 2017, nachmittags an der Uni Heidelberg. Weitere Informationen folgen in Heft 5/2017. Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 133 Die Geburtstagslisten wurden in der Online-Ausgabe aus Datenschutzgründen entfernt. Aus der Pfarrvertretung A Aktuelles ufgrund von Erfahrungen in letzter Zeit weise ich darauf hin, dass ein Kontakt zur Pfarrvertretung auch dann sinnvoll sein kann, wenn ein Konflikt (in der Gemeinde oder mit Vorgesetzten) noch nicht eskaliert ist. Wenn ein Dienstgespräch im Oberkirchenrat ohne Begleitung durch ein Mitglied der Pfarrvertretung stattgefunden hat und dann erst ein Kontakt zur Pfarrvertretung gesucht wird, ist es schwieriger, hilfreich zu agieren. Auf eine Begleitung bei Dienstgesprächen im Oberkirchenrat haben PfarrerInnen ein Recht; die Teilnahme eines Mitglieds der Pfarrvertretung (oft bin das ich selbst; in Frage kommen aber auch die anderen Mitglieder der Pfarrvertretung) wird dann bei der Terminkoordination berücksichtigt. Erstmals seit der Einführung des EKDPfarrdienstgesetzes in der badischen Landeskirche im Mai 2011 hat dieses Gesetz eine größere Veränderung erfahren. Die badische Pfarrvertretung war dabei nicht unmittelbar beteiligt; die Aufgaben der Pfarrvertretung auf EKD-Ebene übernimmt nach § 107 PfDG.EKD der Verband der Pfarrvereine. Nach Vorberatung in der paritätisch besetzten Dienstrechtlichen Kommission (DienstrechtsreferentInnen und Mitglieder von Pfarrvereinen bzw. Pfarrvertretungen) und beim Kasseler Treffen der Pfarrvereins- und Pfarrvertretungsvorsitzenden im März 2016 hat der Verband im Mai 2016 eine Stellungnahme zum Gesetzentwurf abgegeben, die bei den Beratungen der Magdeburger EKD-Synode im November vorlag. 138 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Mit Wirkung vom 1.1.17 sind nun eine Reihe von Änderungen in Kraft getreten: • Personalakten können nun vollständig oder teilweise digitalisiert werden (§ 61 (1)). Der Verband hatte hierzu angemerkt, dass damit eine besondere Herausforderung für den sensiblen Umgang mit Daten und eine erhöhte Manipulationsanfälligkeit entsteht und dass dann geklärt werden muss, wie Akteneinsicht gewährt wird. • Neu ist auch, dass nun in bestimmten Fällen anonyme Schreiben in die Personalakte aufgenommen werden können (§ 61 (4)). Der Verband sieht in dieser Möglichkeit eine gravierende Änderung; die Klärung von Vorwürfen kann nur dann stattfinden, wenn Ross und Reiter bekannt sind. • Für PfarrerInnen im Teildienst und während einer Beurlaubung (§ 73) und im Ruhestand (§ 94 (5)) wird die Genehmigungspflicht für Nebentätigkeiten wieder eingeführt. Die (über eine Beschädigung des Ansehens der Kirche oder des Amtes hinaus) zur Begründung angeführten möglichen Interessenkollisionen überzeugen den Verband nicht; er sieht darin eine illegitime Kontrolle der Interessen von PfarrerInnen. • Das Ökumenegesetz hat in § 11 (2) die Möglichkeit geschaffen, dass der Rat der EKD eine RVO zur Wahl eines Auslandspfarrerrats durch entsandte Pfarrer und Pfarrerinnen erlassen kann. Dieser soll die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der Entsandten und die mit der Entsendung zusammenhängenden Belange der mit ausgereisten Angehörigen gegenüber der Evangelischen Kirche in Deutschland vertreten. Versammlungen des Auslandspfarrerrats sollen für die Entsandten im Rahmen von Fortbildungskonferenzen der Evangelischen Kirche in Deutschland durchgeführt werden. Im Blick auf eine kontinuierliche Vertretung der Interessen entsandter PfarrerInnen hatte sich der Verband für eine Vertretung durch seine eigenen Gremien, insbesondere durch die Konferenz der Pfarrvertretungen ausgesprochen. • Ausdrücklich begrüßt hat der Verband die neu geschaffenen Regelungen zur Familienpflegezeit im PfDG.EKD; die EKD hat damit das für die Privatwirtschaft und für Tarifbeschäftigte schon seit dem 1.1.15 geltende Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf und dessen Übertragung auf die BeamtInnen des Bundes (seit dem 28.10.16) nun auch für die PfarrerInnen nachvollzogen. In § 69a heißt es hierzu: Pfarrerinnen und Pfarrern, die Anspruch auf Besoldung haben, wird auf Antrag für längstens 24 Monate Teildienst im Umfang von mindestens einem Drittel eines vollen Dienstauftrages als Familienpflegezeit bewilligt, wenn sie nahe Angehörige pflegen und keine dringenden dienstlichen Belange entgegenstehen. Wird die Familienpflegezeit für weniger als 24 Monate bewilligt, kann sie nach- träglich bis zur Dauer von 24 Monaten verlängert werden. Ist der Pfarrerin oder dem Pfarrer der Teildienst im bisherigen Umfang nicht mehr zumutbar (weil das Gehalt nicht reicht), ist die Bewilligung zu widerrufen, wenn keine dringenden dienstlichen Belange entgegenstehen. Ist die Pflege von ihrem Zeitaufwand her auch mit einem derartigen Teildienstauftrag nicht leistbar, kann für längstens sechs Monate Teildienst im Umfang von weniger als einem Drittel eines vollen Dienstauftrages oder Urlaub ohne Besoldung als Pflegezeit bewilligt werden. Auch hier gilt, dass – wenn sich das als nötig erweist – die Pflegezeit nachträglich bis zur Dauer von sechs Monaten verlängert werden kann. In dieser Zeit besteht Anspruch auf Beihilfe (wenn nicht andere Stellen zuständig sind). Außerdem kann – in Anwendung der Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes zur Besoldung bei Familienpflegezeit – ein Gehaltsvorschuss gewährt werden. ❚ Volker Matthaei, Reutgrabenweg 16, 76297 Stutensee, 07249/955889, [email protected] Sämtliche Mitglieder der Pfarrvertretung sowie Artikel aus früheren Ausgaben: www.ekiba.de/Pfarrvertretung Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 139 Buchbesprechung Eric H. Cline WARUM DIE ARCHE NIE GEFUNDEN WIRD. Biblische Geschichten archäologisch entschlüsselt. Seiten, geb. mit 32 farb. und 8 s/w Abb., 1 Karte, Theiss-Verlag (WBG), Darmstadt 2016, Mitglieder 19,95 Euro, Nichtmitglieder 24,95 Euro I m Einleitungskapitel setzt sich der Direktor des Archäologischen Instituts der George Washington Universität mit Methoden ernsthafter historischer und archäologischer Wissenschaft und populärer Hobbywissenschaftler auseinander und formuliert dabei die hohen Maßstäbe, die für eine seriöse Wissenschaft gelten. Auch wenn diese stellenweise etwas arrogant formuliert sind, müssen sie im Interesse der Wahrhaftigkeit ernstgenommen werden. Dabei reißt er auch die Frage aktueller Relevanz althistorischer Forschungsergebnisse an. Auch seine eigenen Grenzen gesteht er, wenn er einräumt: „Ich bin auch kein wirklicher Experte für Textkritik und Textanalyse.“ Inwieweit sich dies bezüglich seiner sieben Beispiele auswirkt, muss sich zeigen; denn er nennt als methodisches Prinzip, er behandle „die Bibel wie jede andere antike literarische Quelle: als einen Text, der geprüft, abgeklopft, verglichen, analysiert und regelrecht ausgewrungen werden muss“. Als Textexperte würde er allerdings nicht fragen, wo z. B. der Garten Eden lag, sondern wo ihn der biblische Verfasser verortet, außerdem würde 140 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 er die Gattung der Erzählung beachten, die ein Wunderland beschreibt. Dennoch lesen sich seine Ausführungen zur Entwicklung dieser Region – auch über geologische Veränderungen am Persischen Golf – interessant. Clines Ausführungen zur Problematik der Arche Noahs reproduzieren Sachverhalte, die in der alttestamentlichen Forschung seit über einhundert Jahren bekannt sind, ergänzt durch neuere archäologische Erkenntnisse über Flutereignisse im Vorderen Orient und Hinweise auf verschiedene Expeditionen. Was allerdings die Erzählung vom Turm zu Babel mit der Sintfluterzählung zu tun haben soll, wird leider nicht deutlich. Ähnlich verhält es mit dem Kapitel über Sodom und Gomorra. Verschiedene Lokalisierungsversuche werden vorgestellt und mit der Frage verquickt, wann und wo Abraham gelebt habe. Zwar wird erwogen, die Abrahamerzählung könne mit einer älteren kanaanäischen verwoben worden sein, dabei jedoch übersehen, dass die biblische Gesamtkonzeption nicht an solchen archäologischen Details interessiert ist, sondern Überlieferungen nutzt, die im Interesse ihres Gesamtanliegens geeignet erscheinen. Nicht im Bereich der Bodenarchäologie, sondern der Textvergleiche befinden sich die Überlegungen zu der Überlieferung von der Rettung des Säuglings Mose. Die Bezeichnung als Gründungsmythos ist allerdings unsachgemäß, da es nicht um die Gründung einer Stadt oder eines Staates geht, sondern um das Motiv „Gefährdung und Bewahrung des Retters bzw. Herrschers“. Hier zeigt sich, dass der Verfasser auf diesem Gebiet kein Fachmann ist. Dennoch sind seine Zweifel an den biblischen Datierungen berechtigt. Allerdings geht er recht spät darauf ein, dass sich nach heutigen bibelhistorischen Erkenntnissen die Bildung des Volkes Israel im Land Kanaan über Jahrhunderte hinzog. Insgesamt stellt dieses Kapitel die wesentlichsten Theorien über Art, Umfang und Zeitpunkt des Exodus grob zusammen, ohne sich auf eine festzulegen. Die Möglichkeit, dass verschiedene israelitische Stammestraditionen zusammengeflossen sind und im 7. Jh. zwar nicht erfunden, aber redigiert wurden, wird nicht erwogen. Auf archäologisch etwas sichererem Boden befindet sich Cline, wenn es um die Zeit Josuas geht. Die biblischen Zeitangaben werden durch die Archäologie für Jericho oder Lachisch allerdings nicht bestätigt; anders scheint es bei Hazor im Norden Israels zu sein, für die Cline vor allem den israelischen Archäologen BenTor anführt. In ihren Grundzügen werden die gängigsten Hypothesen der israelitischen Besiedlung Kanaans skizziert. Cline sieht die Israeliten als Nutznießer der Invasion der Seevölker und will so „die derzeit verfügbaren archäologischen und textlichen Daten miteinander in Einklang“ bringen. Er klassifiziert damit seine Theorie allerdings als einen Harmonisierungsversuch, für den er ebensowenig wie die Vertreter anderer Hypothesen unmittelbare Belege anführen kann. Ein weiteres Kapitel ist der Bundeslade sowie den spärlichen biblischen und nachbiblischen Hinweisen auf ihr Vorhandensein und ihren Verbleib gewidmet. Die einzelnen darüber kursierenden Theorien werden in Unterkapiteln erörtert. Ausgangspunkt für eine kritische Beurteilung dieser Theorien müsste allerdings die Frage sein, wann und wo in biblischen Texten von einer realen Funktion der Lade die Rede ist. Dabei scheiden von vornherein Theorien aus, nach denen sie bereits von Salomo unter dem Tempel verborgen worden sei. Für Cline ist es am wahrscheinlichsten, dass die Lade von Nebukadnezars Truppen zerstört worden sei. Angesichts des langen Schweigens in biblischen Texten wäre allerdings zu fragen, ob sie in der Königszeit überhaupt noch eine kultische Rolle spielte oder ihren Ort in der Wüstenzeit und in den Kämpfen der vorstaatlichen Zeit hatte. Wieso er sich als Archäologe der Frage nach den „zehn verlorenen Stämmen“ widmet, erklärt sich damit, dass er auch außerbiblische historische Texte heranziehen kann (z. B. den „schwarzen Obelisken“). Mit ihrer Hilfe stellt er kritische Fragen an die Darstellung im 2.Königsbuch. Eine Inschrift Tiglat-Pilesers liefert beispielsweise eine Bestätigung von 2. Kön 18,9ff. Anhand unterschiedlicher Angaben zwischen Bibel und Inschriften Sargons II. wird die Frage erörtert, welche zutreffend sein könnten. Auch Grabungen an historischen Stätten, etwa Megiddo, zeigen, dass nach einer Zerstörung der Stadt im 8. Jh. Paläste in assyrischem Stil gebaut wurden. Mehr noch aber weisen andere Ausgrabungen darPfarrvereinsblatt 3-4/2017 141 auf hin, dass bei der assyrischen Eroberung nur etwa ein Zehntel der Bevölkerung des bisherigen Königreiches Israel deportiert wurde, während gleichzeitig die Bevölkerungszahl Jerusalems und der Umgebung sprunghaft anstieg, so dass ein Großteil der nordisraelitischen Bevölkerung ins Südreich geflohen sein könnte. Insgesamt wird deutlich, dass die verschiedenen assyrischen Herrscher ganz unterschiedlich vorgegangen sind. So kommt Cline zu dem Ergebnis, dass höchstens 20% innerhalb des assyrischen Reichs deportiert wurden, der Rest entweder ins Südreich Juda floh oder im Land blieb und sich mit der neuange siedelten Bevölkerung vermischte. Leider enthält dieses Kapitel viele Redundanzen und hätte gestrafft und übersichtlicher angelegt werden können. Wenn Cline im Epilog schreibt, „Ich hoffe aber aufrichtig, dass wir im Verlauf der Suche einiges enthüllen konnten“, so muss dies insofern relativiert werden, als vieles der Fachwelt längst bekannt und vertraut war – und teilweise vom Rezensenten im Israelmuseum oder sogar in situ besichtigt werden konnte. Wichtig sind aber die sechs Grundsätze der „Andrews-Methode“ über Umgang und Auswertung archäologischer Funde, die übrigens auch für den Umgang mit Texten gelten. Im Nachwort wird noch einmal deutlich, dass sich der Autor eigentlich nicht mit der seriösen Bibelwissenschaft auseinandersetzt, sondern mit „Amateurenthusiasten“, der „Pseudoarchäologie“ und 142 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 einer „biblischen Hochstapelei“, wie sie uns leider auch in seriös gemeinten Fernsehsendungen begegnet, vom Internet ganz zu schweigen. Einige Meldungen dieser Art, die seit der englischen Erstfassung erschienen sind, enthält das Kapitel „Kurze Aktualisierungen“. In der Warnung vor solchen Pseudoidentifizierungen dürfte der eigentliche Wert dieses Buches liegen. Allen, die sich gerne an solche Meldungen klammern, sei diese Mahnung daher besonders empfohlen. ❚ Hans Maaß, Karlsruhe Buchbesprechung Markus Beile Herausforderungen und Perspektiven der Konfirmationspredigt. Empirische Einsichten und theologische Klärungen Kohlhammer Stuttgart 2016, 256 Seiten, 39 Euro bzw. 34,99 als E-Book I m Rahmen seiner Dissertation hat sich Markus Beile intensiv mit dem Konfirmationsgottesdienst auseinandergesetzt. Er geht sehr grundsätzlich der Frage nach, wann eine Konfirmationspredigt als gelungen betrachtet werden kann. Diese Frage lässt sich nicht beantworten, ohne vorher das leitende Verständnis der Kasualie Konfirmation zu klären. Denn so vielstimmig das Konfirmationsverständnis ist, so vielfältig fallen auch die Predigt auf, die Beile exemplarisch analysiert. Gut gefallen hat mir im ersten Hauptteil die sorgfältig abwägende Darstellung eines hilfreichen Konfirmationsverständnisses. Dies kommt der von mir erst kürzlich dringend geforderten aktuellen Theologie der Konfirmation sehr nahe. Vorbereitung einer Konfirmation. So wollen die Eltern die Konfirmation besonders festlich haben. Die Mehrheit der Besucher wünscht sich eine moderne Gestaltung. Auffällig, dass gerade die Konfirmanden nur geringe Erwartungen an die Konfirmationspredigt haben, schon deshalb sollte sie sich immer an die ganze Gottesdienstgemeinde richten. Ideal ist es, wenn sie sich einbringen in die Gestaltung und die Gemeinde teilhaben lassen an ihrer Suchbewegung während der ganzen Konfirmandenzeit. Beile analysiert die in der Perikopenordnung vorgesehenen Texte und kommt zu einem weitgehend negativen Ergebnis. Äußerst hilfreich ist da seine Auswahl von sieben geeigneten Bibeltexten mit anregenden Impulsen für eine Predigt. Ein Buch, das auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand der Diskussion im besten Sinne des Wortes praktische Theologie ist, die man gerne liest. Prädikat absolut empfehlenswert. ❚ Thomas Ebinger, Stuttgart Im zweiten Hauptteil werden empirische Ergebnisse einer Befragung des Konfirmations-Gottesdienst-Publikums in sieben unterschiedlich geprägten Gemeinden vorgestellt. Allein die Wahrnehmung der Heterogenität und der unterschiedlichen Erwartungen hilft bei der eigenen Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 143 Buchbesprechung Harald Pfeiffer Martin Luthers Reise zur Heidelberger Disputation 1518 88 Seiten, 40 Bilder, Heidelberg 2016. Mit einem Grußwort des Landesbischofs Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh. H eidelberg ist die einzige Lutherstadt in Baden-Württemberg. Martin Luther reiste im Frühling 1518 von Wittenberg in die Universitätsstadt Heidelberg und präsentierte hier anlässlich der Vollversammlung des deutschen Augustinerordens seine schockierende Kritik an der Kirchenlehre. Sein Auftritt ist als „Heidelberger Disputation“ in die Geschichte eingegangen. Seine neuen theologischen Einsichten, dass es zum Seelenheil nur der Gnade Gottes bedarf und keiner eigenen Verdienste, hatten Initialwirkung. Junge Zuhörer wurden selbst zu Reformatoren in Südwestdeutschland und im Elsass. Das Bändchen im Taschenbuchformat dokumentiert erstmals Luthers über 500 Kilometer weite Fuß- und Wagenreise von Wittenberg nach Heidelberg, seine neun Übernachtungsstationen (u.a. in Leipzig, Coburg und Würzburg), sein Streitgespräch im Hörsaal der Universität, die Wirkung auf Studenten und Professoren, die Einladung auf dem Heidelberger Schloss bei Pfalzgraf Wolfgang u.a.m. Mehrere Legenden, wie die vom Dicken Turm und Luthers „Ein feste Burg“ bereichern den Text. 144 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Das Büchlein ist zu beziehen über: Dr. Harald Pfeiffer Wormser Straße 2, 69123 Heidelberg, Tel. 06221/883636 E-Mail: [email protected] In memoriam Prof. Martin Gotthard Schneider * 26. April 1930 † 3. Februar 2017 Trauergottesdienst am 10. Februar 2017, Ludwigskirche Freiburg Predigt über Psalm 62, 2+3 Liebe Gemeinde, und in ihrer Mitte: Liebe Familie Schneider! Martin Gotthard Schneider war ein Lebens-Mensch. Er war gern da auf dieser Welt. Es ist sicher kein Zufall, dass sein populärstes Liederbuch den Titel trägt: „Sieben Leben möcht‘ ich haben“. Dieser kindliche Wunsch war auch eine authentische Ich-Botschaft seines Verfassers. Von daher wird es begreiflich, dass es M.G. Schneider schwer wurde, von diesem so intensiv geführten, unglaublich reichen Leben Abschied zu nehmen, das eigene Sterben-Müssen als zum Leben gehörig anzunehmen. Gerade auch in den letzten Jahren, die bestimmt waren von seinem immer stärkeren Abgleiten aus der vita activa in jene Zwischensphäre, zu der noch Zugang zu finden für die Menschen seines nahen Umfeldes zwar lange Zeit möglich, aber zum Schluss immer mühsamer wurde. Wie gut, daß wir jetzt beim Abschied von M.G. Schneider den Trost, den wir brauchen, nicht aus unserer Weisheit schöpfen müssen. Wir brauchen Trost, der noch mehr ist als alle dankbare Erinnerung. Wir brauchen Trost, weil wir in solchen Momenten nicht einfach los werden, was wir unseren Toten auch schuldig geblieben sind, weil uns dann plötzlich so klar vor Augen steht, was wir mit ihnen anders, besser hätten machen wollen. Wir brauchen Trost, weil wir daran erinnert werden, dass auch unser Leben eine Grenze hat und unaufhaltsam aufs Sterben zugeht. Kurzum: Wir brauchen Trost, der von anderswoher kommt als aus unserem eigenen traurigen Herzen. I. Solchen Trost zu finden und uns darin fest zu machen, gibt uns unser Verstorbener noch einmal selber Hilfe. Er leistet uns einen letzten Dienst, indem er uns für diesen Abschied ein spätes Lied zuspielt, das er vor 12 Jahren geschaffen hat. Er hatte es als persönlichen Zuspruch für seine damals schon sehr kranke Frau Vreni geschrieben. An eine Veröffentlichung hat er wohl nicht gedacht, jedenfalls ist es nie gedruckt worden. Nachher gelangt es gewissermaßen an die Öffentlichkeit, wenn wir es miteinander singen. Es trägt den Titel „Meine Seele ist stille zu Gott“, und umkreist zwei Verse aus dem 62. Psalm, wo es heißt: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“ Dieses Psalmwort und seine Vertonung ist Ihrem Vater, und auch Ihnen als Familie, in den letzten Jahren wichtig geworden. Das mag auf den ersten Blick viele erstaunen. „Meine Seele ist stille zu Gott“: das Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 145 Still-werden, das Kontemplative, das da mitschwingt, das bringen wir eher wenig mit dem zusammen, wofür M.G. Schneider stand, als Person wie in seinem unübersehbar vielfältigen Wirken. Wir haben Erinnerungen, Bilder vor Augen, wie er vor „großem Publikum“ stand und es mit seinem umwerfenden Charisma der spielerischen Leichtigkeit zum Singen in unterschiedlichsten Formaten animierte, und dabei alles im Griff hatte. Ob in großen Messehallen auf Kirchentagen, ob zahllose Male hier in seiner Ludwigskirche oder drüben in Paulus, ob in der Friedenskirche bei seinem legendären Oberwiehremer Adventssingen. Oder bei einem Bischofswechsel. Das war meine erste Begegnung mit ihm. 1980 war das, Bischof Heidland wurde verabschiedet, mein Vater ins Amt eingeführt, und M.G. Schneider moderierte die nachmittägliche Festveranstaltung. Das war das Beste an dem ganzen Tag, weil er durch seine Art der Moderation in den gravitätischen Anlass einen Esprit, eine Lockerheit einspielte, ja auch einen Tick kabarettistische Frechheit (im Rahmen dessen, was seinerzeit so in der Kirche möglich war). Das war wohltuend und eigentlich auch sehr badisch. Keine Frage, M.G. Schneider war ganz bei sich selbst, wenn er viele Menschen zum Singen, zum Nachdenken, zum Schmunzeln und Lachen animieren konnte. Er war, was Schauspieler eine „Rampensau“ nennen. Und so ein Mensch macht sich im Alter mehr und mehr an dieser Selbstaussage fest: „Meine Seele ist stille zu Gott“? Sie haben mir erzählt: Ihr Vater wollte nicht nur sieben Leben haben, er hatte auch, 146 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 wenn nicht sieben, so doch diverse Anteile und Facetten in seinen Charakterzügen, die sehr unterschiedlich waren und nicht unbedingt kompatibel. Und dazu gehörte eben auch das Leise, Zurückgenommene. So charismatisch und von Vitalität strotzend er im Umgang mit Gemeinden und Gruppen war, so zurückhaltend, manchmal auch in sich gekehrt konnte er im kleinen Kreis sein. Auch in der Familie. Da war auch eine Sprödigkeit in ihm, in der er wenig von sich selber preisgab. Auch Ihnen gegenüber als seinen Nächsten. Seine Melodien und Texte atmen die Lebendigkeit und Daseinsfreude, die ihn auszeichnete, aber auch dort finden sich Hinweise auf diese andere, leise Dimension in ihm. Etwa so, wie wir’s eben gesungen haben: „Doch da, wo man das Laute flieht / und lieber horcht und schweigt, / bekommt man von Gott ganz gewiß / den rechten Weg gezeigt!“ Es gibt in seinen vielen Texten mehr Aussagen, als man denkt, die auf diesen verhaltenen, ins Stille ausgerichteten Ton gestimmt sind! II. „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“ Vor allem in den letzten sechs, sieben Jahren hat das für M.G. Schneider eine existentielle Aussagekraft bekommen. Der Tod seiner geliebten Frau Vreni 2010 hat ihn ganz schwer getroffen. Da geriet auch sein bis dahin so bergeversetzend erscheinender Glaube in heftiges Wanken und in eine Art Gottesfinsternis. Inmitten dieses finsteren Tals versuchte er in den Versen Halt zu finden, die er Jahre vorher für seine Frau gedichtet hatte. „Trifft mich Not und Leid, / ist doch auch der dunkle Tag / gottgesegnete Zeit.“ Darauf stellte er sich, in einer Art letztem Trotz Gott gegenüber, der sich ihm so verdunkelt hatte. Martin Luther, von dem in diesem Jahr so viel die Rede ist, nannte das anschaulich: Von Gott zu Gott fliehen. M.G. Schneider ist diese rettende Flucht gelungen. Er hat in seinen späten Lebensjahren, vor allem durch Sie, die Kinder und Enkel, unterstützt, erfahren, dass das Leben auch ohne die geliebte Partnerin noch lohnend ist, und dass seine Füße trotz eines immer enger werdenden Lebensradius dennoch auf weiten Raum gestellt blieben. Das hatte natürlich auch etwas mit der ihm durch Gnade und Natur geschenkten Daseinsfreude zu tun, von der ich eingangs schon sprach. Und da wird der zweite Teil unseres Psalmwortes sprechend: „Er ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz, dass ich gewiss nicht fallen werde.“ Das Fallen, die Angst davor, auch das Sich-fallen-lassen-Können: das ist auf eine hintergründige Weise auch ein Lebensthema von M.G. Schneider gewesen. Das Sich-fallen-Lassen, wofür es ja das Loslassen braucht, das fiel ihm sehr schwer. Das Loslassenmüssen der über alles geliebten Arbeit als Kantor hier an der Ludwigskirche und an Paulus. Das Loslassen der beiden Orgeln dort, die er maßgeblich ermöglicht hatte. Später dann das Loslassen „seiner HSK“, der Heinrich-SchützKantorei. Am bittersten natürlich das Loslassenmüssen seiner Frau Vreni. Und schließlich auch jetzt: das Loslassen seiner selbst. Sein Herz, das sagt einiges aus, war bis zum Schluss eigentlich noch stark und intakt. Leicht ist er, soweit Sie das wahrnehmen konnten, nicht gegangen. Der Schritt über die Grenze, oder besser gesagt: das Sich-dann-doch-fallen-Lassen in Gottes Hand, das gelang in dem Moment, als draußen die Glocken des Konstanzer Münsters 21 Uhr schlugen, und nachdem Sie an seinem Sterbebett noch einmal die Aufnahme seines „Messias“ mit der Schütz-Kantorei gespielt hatten. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ – Singen ist immer ein Akt der Selbstentmächtigung, des Sich-Loslassens, und diese „Messias“-Arie hat ihn mit auf den Weg gebracht: los von sich, hin zu einem anderen. III. Diese Bewegung ist in einem tiefen Sinn auch die Bewegung der Dankbarkeit. Liebe Gemeinde, dass zu den vielen Facetten von M.G. Schneider das Danken-Können gehörte, ist durch sein berühmtestes Lied sprichwörtlich geworden, geht aber weit darüber hinaus. Wer mit seinen Liedtexten einigermaßen vertraut ist, dem fällt auf, dass der Glaube, der sich hier Sprache und Töne schafft, und das „Gottesbild“, von dem dieser Glaube getragen ist, sehr eindeutig hell, auf Dur gestimmt ist, von Gottes Liebe, Nähe und bedingungsloser Zuwendung geprägt. Der dunkle, unbekannte Gott klingt dort nur wie ein ganz fernes Donnergrollen auf. Ich vermute, das war nicht zuletzt auch Karl Barth geschuldet. Bei dem großen Theologen der Gnade hat M.G. Schneider in den 1950er Jahren in Basel studiert. Der prägnante Satz von Barth: „Es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, aber (…) keine Menschenlosigkeit Gottes“ – dieser Satz hat die Theologie M.G. Schneiders in Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 147 Worten und Tönen zutiefst bestimmt. Keine Menschenlosigkeit Gottes: das gab ihm Mut zu einer Sprache, zu Melodien, die im besten Sinne „niedrigschwellig“ waren zu einer Zeit, wo es dieses Wort noch gar nicht gab. Seine Texte, von manchen Hochkulturprotestanten nur mit spitzen Fingern angefasst, waren ganz elementar, alltagsnah, die Vielfalt des Alltäglichen unprätentiös beim Namen nennend. Dabei nicht anbiedernd, ohne Plastikwörter und Kunstgewerbe-Jargon wie in vielen liturgischen Labortexten der 1970er Jahre. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“: das gilt auch für M.G. Schneiders Wort, das wirklich ein inkarnatorisches Ereignis war, ein Ankommen der Sprache des Glaubens ganz unten bei uns. „Danke für meine Arbeitsstelle“: wie oft hat man sich über diese Strophe mokiert, sie persifliert, bis hin zu berühmten Kabarettisten – und wie existentiell ist sie doch dem, der weiß, was es heißt, keine Arbeit zu haben, sich dadurch in seinem Wert in Frage gestellt zu sehen! Ja, das „Danke“-Lied! Das kann nicht außen vor bleiben, wenn es darum geht, M.G. Schneider als Menschen des Dankens zu erinnern. Habent sua fata cantica: ursprünglich als Gelegenheitsarbeit zu einem Wettbewerb verfasst, machte das Lied eine Karriere ohnegleichen. Es machte seinen Schöpfer in der evangelischen Szene, und weit darüber hinaus, sozusagen weltberühmt. Und es verschaffte ihm das bleibende Verdienst, die bis dahin noch penibel und humorlos hochgehaltene Mauer zwischen U- und EMusik – bis heute ein ur-deutsches Phänomen – souverän unterlaufen zu haben. 148 Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 Damit wurde er zum Wegbereiter des NGL, des Neuen Geistlichen Lieds, auch des sog. Sacropop, der dann auf den Kirchentagen Siegeszüge antrat. Das alles wäre ohne „Danke“, ohne den Türöffner M.G. Schneider nicht denkbar gewesen. Dass es heute nur noch wenige Kirchenmusiker gibt, die verstört die Flucht ergreifen, wenn am Horizont die Synkope aufscheint: das haben wir ihm zu danken. Noch viel mehr aber haben wir ihm – gerade im Lutherjahr – an „Danke“ zu danken, dass ihm mit diesen einfachen sechs Strophen wie mit einem genial hingeworfenen Pinselstrich ein Stück Kinder- und Erwachsenenkatechismus in einem in reformatorischer Rechtfertigungslehre gelungen ist. Christsein, das lehrten schon die alten Dogmatiker, heißt aus der Dankbarkeit leben. Bevor wir Geforderte sind und andere fordern, bevor wir Machende, Schaffende werden, sind wir immer schon Empfangende. Was uns eigentlich ausmacht, können wir nicht selber machen, es wird uns geschenkt. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin“, sagt Paulus, und bei Schneider heißt dasselbe so: „Danke, ach Herr, ich will dir danken, / dass ich danken kann.“ Das war antizyklisch in den 1960er Jahren, einer Zeit, in der immer mehr die Ethik, das Appellative zum rechten Tun dominant und Protestantischsein anstrengend wurde. Und darum war es eine Wohltat. IV. So stolz er war, dass aus diesen sechs Strophen der erste christliche Schlagerhit wurde, so sehr setzte ihm inwendig die Kritik zu, manchmal auch Häme, die aus den Reihen der musikalischen und liturgischen Stilwächter auf ihn einprasselte. Ja, dieser vitale, starke Mensch hatte keine dicke Haut. Er war sehr verletzbar. Und er konnte, wenn er sich verletzt fühlte, auch selber verletzen. Manche hier in Freiburg haben das aus der Nähe miterlebt. Sie, die Söhne, haben es für mich eindrücklich so ausgedrückt: „Ob unser Vater das, was er in seinen Werken anderen verkündigt hat, auch sich selber gelten lassen konnte, wissen wir letztlich nicht. Vermutlich hat er da auch mit sich selber gerungen. Dietrich Bonhoeffer hat in der Dunkelheit seiner Gefängniszelle sich selber gefragt: Wer bin ich? Er hat beides von sich festgestellt: Ich bin das, was die anderen von mir sagen, was mich auch befriedigt, weil ich so gerne gesehen werden will – und von dem ich in Wahrheit doch weiß, dass das nicht alles von mir ist. Und ich bin das, was in den Tiefen meiner Seele vor sich geht, was mir manchmal selber nicht ganz geheuer ist – und von dem ich doch auch hoffe, dass das nicht alles von mir ist. Und dann fragt Bonhoeffer zum Schluss seines Gedichts: „Wer bin ich? Der oder jener? / Vor Menschen ein Heuchler / und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling?“ Er schließt mit dieser Antwort: „Wer bin ich? Einsames Fragen treibt mit mir Spott. / Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott!“ Da finde ich es wieder, das Zutrauen unseres Psalmisten: „Gott ist mein Fels, meine Hilfe, mein Schutz“. Unsere Identität finden wir nicht, wenn wir uns selbst auf den Grund gehen. Unsere Identität finden wir, weil ein anderer, Gott, sie uns schenkt und zuspricht. Und das, liebe Familie Schneider, gilt nun auch ihrem Vater und Ihrem langen Leben miteinander: Sein Sinn, seine Würde liegen ganz in Gottes Hand. Dort sind sie unantastbar. V. Ein letztes. Bei aller lebensnahen Erdung seiner Theologie: Etliche der Liedtexte von M.G. Schneider münden, ganz wie bei unserem größten Liederdichter Paul Gerhardt, ins Eschatologische, in den Ausblick in die Ewigkeit. „Das Ziel, das ihm die Richtung weist, / heißt Gottes Ewigkeit. (…) So läuft das Schiff nach langer Fahrt / in Gottes Hafen ein“. Jetzt, da keiner von uns mehr etwas für ihn tun kann und er, der in seinem Leben so viel unterwegs war, noch einmal unterwegs ist, hin zum endgültigen Urteil Gottes: jetzt sind wir auf dem Schiff, das sich Gemeinde nennt, beieinander, um Gott zu bitten, dass die Weite, die bedingungslose Liebe, die M.G. Schneider so mitreißend in Wort und Ton bringen konnte, ihn nun selber umfängt. Wie mag er, der wirklich staunen und dankbar sein konnte, jetzt erst staunen, da er sich selber noch einmal ganz neu empfängt, ganz und gar: sein ewiges Leben aus den Händen dessen, der sein Fels, seine Hilfe, sein Schutz ist. Martin Gotthard Schneider ist nun am Ziel, das seinem Leben die Richtung gewiesen hat. Ihm geschehe nun, wie er geglaubt, gedichtet und gesungen hat. Amen. ❚ Markus Engelhardt, Freiburg Pfarrvereinsblatt 3-4/2017 149 "Freud und Leid" wurde in der Online-Ausgabe zum Schutz der persönlichen Daten entfernt Thema Zu guter Letzt lau Vom Mehrwert des G Karikatur: Thomas Plaßman n, Quelle: http://kirchensite.d bens e/index.php?myELEMENT=16 9597
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