Zulassungsmessungen bei Holzöfen realitätsfremd

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06.03.2017
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Dienstag 07.03.2017, 6:00 Uhr !!!!!
Presseinformation
REPORT MAINZ, 07.03.2017, um 21.45 Uhr im Ersten
Zulassungsmessungen bei Holzöfen realitätsfremd
Experten sprechen nach „Dieselgate“ jetzt von „Woodgate“
Schweizer Ofenbauverband: Neue Ofentypen „nicht besser“ als alte
Mainz. Nach Recherchen des ARD-Politikmagazins REPORT MAINZ stoßen
Holzkamine im Alltagsbetrieb deutlich höhere Schadstoffmengen aus, als die derzeit
von der Industrie verwendeten Standardtests anzeigen. Ähnlich wie bei
Dieselfahrzeugen weichen die Messergebnisse auf den Prüfständen vor allem bei
Feinstaub deutlich von Messungen im Alltagsbetrieb ab. Dazu erklärt Axel Friedrich,
Feinstaubexperte und ehemaliger Abteilungsleiter im Umweltbundesamt gegenüber
REPORT MAINZ: „Im Normalbetrieb stellen wir fest, dass die Öfen zehn- bis fünfzigmal
mehr Emissionen haben als bei der Zulassungsmessung.“
In einer umfassenden, von der EU-Kommission geförderten Studie mit dem Titel
„beReal“ wurden Messwerte auf den Prüfständen mit dem Normalbetrieb verglichen.
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Die Wissenschaftler kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Öfen sehr viel mehr
Feinstaub in die Luft abgeben als bei der Zulassungsprüfung. Die Forscher fassen das
Ergebnis so zusammen: “Bei der Messung von Holzöfen sind die Emissionen nach der
‚beReal‘-Testmethode sehr viel höher als die offiziellen Zulassungstestergebnisse.“
Eine Untersuchung im Auftrag des Schweizer Ofenbauverbandes "feusuisse" hat in
Anlehnung an deutsche Normen die Zulassungsprüfung mit Messungen im
Alltagsgebrauch verglichen und stellt fest: Beim direkten Vergleich alter und neuer Öfen
schneiden in der Studie die neuen Modelle nicht besser ab als die alten. In einer
Zusammenfassung der Ergebnisse heißt es: “Insbesondere bei den Staubwerten ist das
Gegenteil der Fall". In der Studie heißt es, die Hersteller hätten "die Geräte auf einen
realitätsfremden Betrieb" hin optimieren müssen. Auf der „Rennstrecke“, also im
normalen Betrieb, könnten diese Öfen ihre Qualität gar nicht entfalten. Axel Friedrich
sieht hier eine klare Parallele zum „Dieselgate“-Skandal und sagt im Interview mit
REPORT MAINZ: “Wir reden ja bei den Diesel-Fahrzeugen von ‚Dieselgate‘ und bei den
Diskrepanzen, die wir hier haben, kann man ganz klar auch von ‚Woodgate‘ reden.
Denn wir haben Prüfungen, die nicht dem entsprechen, was im realen Leben auftritt.
D.h. wir brauchen andere Zulassungsmessungen, andere Prüfungsverfahren, um hier
entsprechend die Menschen auch zu schützen.“ Außerdem fordert er, dass
Einzelraumfeuerungsanlagen mit Filtern ausgestattet werden, so ähnlich wie beim
Diesel.
Der Industrieverband Haus-, Heiz- und Küchentechnik, HKI, erklärt in einer
Stellungnahme gegenüber REPORT MAINZ: Ziel der Typprüfungen sei ein Ranking der
Feuerstätten untereinander. In der Praxis komme es zu Abweichungen.
Die Deutsche Umwelthilfe fordert die Bundesregierung zum Handeln auf. Dorothee
Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung sagt dazu gegenüber REPORT MAINZ: „Wir
haben Öfen, die auf dem Papier vergleichsweise sauber sind, die aber in der Realität
ein vielfaches mehr an Schadstoffen emittieren. Das Prüfverfahren ist ganz offenkundig
unzureichend. Das Bundesumweltministerium muss ein neues Verfahren anstoßen.“
Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums erklärt auf Nachfrage von REPORT
MAINZ, dass Prüfstandsmessungen die Realität nicht in jedem Fall abbilden könnten,
liege in der Natur der Sache. Das Thema „Holzfeuerungen“ werde in der Behörde und
mit Fachleuten diskutiert, die Bundesimissionsschutzverordnung evaluiert. Auf der
europäischen Ebene seien Verbesserungen des Prüfzyklus in Arbeit, um die Verfahren
noch besser an die „realen Bedingungen anzunähern“.
Hintergrund:
Nicht nur in Städten sondern auch in ländlichen Regionen tragen Holzheizungen zu
einer hohen Feinstaubbelastung bei. In einzelnen Dörfern liegt der Anteil der
Holzheizungen bei bis zu 30 % an der Gesamtfeinstaubbelastung. Die jährliche
Gesamtmenge Feinstaub aus Holzheizungen erreicht die Größenordnung der
Belastung aus dem Straßenverkehr. Feinstaub aus Holzheizungen führt nach Angaben
des Bundesumweltministeriums gegenüber REPORT MAINZ zu schätzungsweise 9000
vorzeitigen Todesfällen pro Jahr in Deutschland.
Das Land Baden-Württemberg hat am 24.02.2017 als erstes Bundesland ein
Nutzungsverbot für Kaminöfen erlassen. Holzöfen, die nicht als einzige Heizung im
Haus dienen, müssen bei Feinstaubalarm kalt bleiben. Ausnahmen gibt es für neue
Modelle, die die Grenzwerte der Stufe 2 der Bundesimissionsschutzverordnung
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einhalten. Analog zum Fahrverbot für alte Diesel dürfen alte Öfen nicht benutzt werden.
Einige Bundesländer fördern den Austausch alter Öfen durch neue Modelle. Auch die
Bundesimissionsschutzverordnung verlangt, dass alte Öfen nach und nach
nachgerüstet oder ausgetauscht werden.
Bundesweit gibt es rund 11 Millionen Einzelfeuerungsanlagen, also Kamine oder
Kachelöfen. Viele sollen verschrottet werden und durch neue Öfen ersetzt werden, die
das umstrittene Prüfverfahren durchlaufen haben.
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