PORTRÄT Die 150-Prozentige Foto: Alexander Alber Anna Näckler ist die erste und einzige ausgebildete Skiservicetechnikerin in Südtirol. Und das mit gerade mal 21 Jahren. Ganz schön mutig. Ihre Träume stellt sie dafür hinten an. 42 No. 08 / 2017 ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl Anna Näckler bei der Arbeit in ihrer Werkstatt: Stunden verbringt sie an der Maschine, um die Skier perfekt zu präparieren. Ihre Kunden schätzen ihre Arbeit sehr. A nna sitzt nie still. Vielleicht würde sie gerne. Aber sie kann nicht. Immer wieder blickt sie verstohlen von der Sitzbank am Fenster zum Tresen herüber. Immer wieder lässt sie Fragen im Raum stehen, parkt sie in der Warteschleife. Gelegentliches Ignorieren, gelegentliches Aufspringen. Nie ohne sich zu entschuldigen. Dann wirbelt sie durch den Laden, begrüßt neue Kunden mit einem offenen Lächeln, bindet sich die rote Schürze um und prüft die Kanten zerschlissener Skier. Oder sie greift zum Telefon, nur kurz etwas abklären. Manchmal eilt sie ihrer Schwester Magdalena zu Hilfe. „Jetzt ist Hochsaison“, sagt sie. Abschalten, einen Gang zurückfahren, das macht Anna erst wieder im April – mit Ende der Skisaison. Das ist schon ein Teil der Geschichte von Anna Näckler, 21. Einer Geschichte, die von Perfektion handelt, von Mut und Zögern. Der Geschichte, die in der homogenen Masse von weltumreisenden Studenten fast exotisch klingt. Die Chance war da: Jemand hatte die Idee für ein Sportgeschäft. Jemand hat sie motiviert, die Ausbildung zu machen. Anna hatte den Mut zu springen. Anna Näckler ist Skiservicetechnikerin. Die einzige Frau im ganzen Land, die die Prüfung abgelegt hat. Das erzählt sie stolz, während sie an der grünen Schleifmaschine im hinteren Teil des Sportgeschäfts den Monitor für den nächsten Ski programmiert. Der Ski- und Bikeverleih Laurin in Welschnofen ist Annas Sportgeschäft. Vor etwas mehr als einem Jahr hat die zierliche Frau mit den langen braunen Haaren den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt. Die Idee, die Prüfung zum Skiservicetechniker abzulegen und das Geschäft zu eröffnen, hatte ursprünglich ihr Vater Erich. In seiner Tochter sah er die perfekte Geschäftspartnerin. Anna sagt über ihn: „Er ist mein Kompagnon, mein engster Vertrauter.“ Alleine wollte das Geschäft ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl keiner von beiden führen, also machen sie es zusammen – als Familien-Business. Hört man Anna reden, wird schnell klar: Das meiste stemmt sie allein. Kundenberatung, Ski präparieren, Bestellungen, Abrechnungen. Sie ist die treibende Kraft des Sportgeschäfts. „Ursprünglich war das Geschäft Papas Traum“, sagt sie. „Aber er spricht schon so lange davon, dass es irgendwann auch zu meinem Traum geworden ist.“ Nach der Matura vor mehr als einem Jahr hat sie sich alles nochmals durch den Kopf gehen lassen. Sich gefragt, ob sie das wirklich will – die Selbstständigkeit, die Gebundenheit, den Verzicht aufs Studium, auf Freiheit. Ihr wurde klar: Ja, genau das will sie. Ihr gefiel der Gedanke, nicht dauernd mit Koffern und Skiern unterwegs zu sein. Das hatte sie die fünf Jahre in der Sportschule in Gröden erlebt. Ankommen wollte sie, sich nur auf ihr Geschäft konzentrieren, alles geben. Das hörte sich nach ihr an. Sie greift sich einen Ski, klemmt eine Brücke über ihn, stellt die Maschine zum Schleifen ein. Es surrt wie beim Zahnarzt, Anna schiebt den Ski gleichmäßig über den Schleifstein. Dann dreht sie ihn mit ihren zarten Händen um, streicht über die Lauffläche. Manche Skier schiebt sie 60 Mal durch die Maschine. In der Reihe hinter ihr stehen noch 20 Stück. Die will sie an diesem Tag fertig machen – egal, wie lange es dauert. Ihr Laden erdet sie. Er gibt ihr die Möglichkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren. Doch sie gesteht sich auch ein: Das Business hat sie sich leichter vorgestellt. Besonders jetzt in der Skihochsaison merkt sie, wie nervenaufreibend es sein kann. Sie habe schon immer bei allem, was sie angeht, 150 Prozent gegeben, sagt sie. Aber 16 Stunden Arbeit am Stück – ihr Rekord – ist auch für die 21Jährige hart an der Grenze. Nur manchNo. 08 / 2017 43 PORTRÄT 44 No. 08 / 2017 zu Hause. Nicht nach Innsbruck, nicht sofort wieder irgendetwas hinterherrennen. Sie will etwas schaffen. Jetzt. „Schade ist es natürlich“, sagt Anna und meint ihre Karriere auf den Pisten. Gebannt verfolgt sie die Ski-Weltmeisterschaft, die über den Bildschirm oben in der Ecke ihres Geschäfts flackert. „Aber es war nicht immer nur Spaß.“ Der Druck sei enorm hoch gewesen, Zeit für etwas anderes außer Trainieren gab es kaum. Jetzt steht Anna auf der anderen Seite, präpariert und schleift Ski, wünscht den Fahrern viel Spaß. Momentan gibt es nur die Arbeit. Aber das ist in Ordnung. Der Stress ist geblieben, der Druck ist raus. Foto: Alexander Alber mal ist es so ruhig im Laden, dass sie eine Stunde schließen kann. Dann läuft sie die zwei Minuten Fußweg nach Hause, isst etwas zu Mittag. Ab und zu bleibt noch Zeit für einen Spaziergang mit der Mama. Die Familie bringt sie runter, gibt ihr Kraft. Oft geht es aber nicht. Dann kommen Gruppen, die brauchen die komplette Ausrüstung, suchen nach der passenden Thermounterwäsche, wollen ihre Ski abholen oder ihre zerschlissenen abgeben. Mit dem linken Ärmel ihres Pullis wischt sie sich flüchtig über die Wange. „An solchen Tagen“, sagt sie und lächelt, „ist das Geschäft wirklich anstrengend“. Ab April stellt sie um. Dann wird aus dem Skiverleih ein Fahrradverleih. An einem Tag baut sie im Laden alles um, räumt die Ware in den Keller und Fahrräder und Zubehör ins Geschäft. Bis dahin muss sie noch durchhalten, sagt sie. Man sieht ihr an, wie müde sie ist. Wenn sie mit ihren Kunden spricht, zeigt sie das nicht. Offen und herzlich lacht sie mit ihnen, neugierig auf den Menschen, der ihr gegenübersteht. Es ist nicht einfach nur irgendein Geschäft, für Anna nicht: Der Begriff wäre zu platt für das, was es ihr bedeutet. Monatelang hat sie mit Vater Erich an dem Businessplan gearbeitet, ist Wochenende für Wochenende mit ihm zum Berufsbildungszentrum nach Bruneck gefahren, um Kurse zu besuchen und die Prüfung zur Servicetechnikerin abzulegen. Hat innerhalb weniger Wochen den gesamten Laden auf den Kopf gestellt, die Wände versetzt, verputzt, gestrichen. Sie hat Skibilder von sich und ihrer Familie aufgehängt, das mit Manfred Mölgg, ihrem Schwager in spe, sei „ein absoluter EyeCatcher“. Anna schlendert durch den Raum, zeigt, was alles neu ist, was sie noch machen will, damit es perfekt wird. Die verschnörkelte Holzdecke erinnert noch daran, dass hier mal ein Restaurant war. Und der Tresen. Der bedeute dem alten Wirt so viel, sagt Anna. Also bleibt er. Wo früher Familienfeste gefeiert wurden, gegessen und getrunken wurde, geht es jetzt ums Skifahren. Warum? Es war immer ihr bevorzugter Sport. Fünf Jahre ging sie auf die Sportschule in Gröden. Jahr für Jahr wurde ausgesiebt, andere mussten gehen, Anna blieb. Sie biss sich durch, trainierte beinahe täglich, feierte Anna Näckler, 21, ist in Welschnofen aufgewachsen. Sie besucht fünf Jahre die Sportschule in Gröden und trainiert beinahe täglich für ihr Ziel, bei der Ski-Weltmeisterschaft anzutreten. Durch Schmerzen im Rücken muss sie ihre Karriere an den Nagel hängen. Doch sie macht das Beste draus, bleibt ihrem Sport treu, legt als erste Frau Südtirols die Prüfung zur Skiservicetechnikerin ab und eröffnet in ihrem Heimatort einen Ski- und Bikeverleih. Erfolge. Die Ski-Weltmeisterschaft immer als Ziel vor Augen. Ihre Eltern finanzierten den kostspieligen Sport, sie selbst arbeitete nach der Schule als Skilehrerin, um ihren Teil beizutragen. Sie ist immer am Anschlag, gibt nie unter 100 Prozent. Doch für die Weltmeisterschaft hat es nie gereicht. Schmerzen im Rücken beenden den Traum von der Ski-Karriere. Das war der Moment, in dem sie sich entschloss, Physiotherapie in Innsbruck zu studieren. Sie wollte verstehen, woher der Schmerz kommt, wie er wieder geht. Doch zwischen Schulabschluss und nahendem Studium merkt sie: Sie will gar nicht weg von Anna ist eine Perfektionistin, sagt ihre ältere Schwester Magdalena, die nach ihrem Studium in Innsbruck ebenfalls ins Familien-Business einsteigen wird. Das war schon immer so. Im Sport, in der Schule – sie verdreht die Augen und lacht. „Anna war immer die Musterschülerin.“ Erich Näckler kommt jeden Tag ins Geschäft, mal für fünf Minuten, mal ein paar Stunden. Hauptberuflich ist er Flugretter. Doch wenn seine Tochter ihn braucht, ist er da. Wenn die große Schwester in den Semesterferien aushilft, ist Anna locker und fröhlich. Das merkt sie selbst, da weiß sie, dass sie nicht allein ist. Mit Magdalena kann sie alles teilen. Die Pausen sind nicht langweilig, wenn große Gruppen da sind, unterstützen sie sich gegenseitig. Anna vertraut Magdalena. Wenn sie kurz an die frische Luft will, weiß sie, sie kann ihr Geschäft beruhigt zurücklassen. Der Zusammenhalt macht die beiden Schwestern stark. Und das Business ein kleines Stück leichter. Wie lange Anna das Geschäft noch leiten wird, weiß sie nicht. Ein Leben lang sicher nicht. Jetzt ist sie im zweiten Jahr, der Laden läuft, sie ist zufrieden. Bald ist die Hochsaison vorbei, dann kann sie wieder durchatmen, mit ihrem Freund ein paar Wochen in den Urlaub fahren, genießen, was ein Mensch mit 21 sonst noch macht. Das Physiotherapie-Studium ist noch immer eine Option. Zu spät, findet sie, ist es dafür noch lange nicht, und irgendwann wird es Zeit sein, für eine neue Herausfor■ derung. Dunja Smaoui ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media GmbH/Srl
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