Ein Konzertmarathon der Extraklasse - Tonhalle

Um diesen dreiteiligen
Konzertmarathon
körperlich durchzuhalten, trainiert Martin
Grubinger wie ein
Leistungssportler.
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TONH A LLE- ORCHE S T ER ZÜRICH
WAS ER SONST NOCH SO MACHT
Um diesen dreiteiligen Konzertmarathon körperlich
durchzuhalten, trainiert Martin Grubinger wie ein Leistungssportler. Der feinfühlige, ätherische Musiker, der
sich von Luft und Noten ernährt? Nicht sein Ding. Bei
Grubinger muss man sich von der Vorstellung eines versonnen vor dem Orchester stehenden Solisten verabschieden. Der Artist in Residence ähnelt eher einem sehr
beweglichen Hochleistungssportler, der zwischen den
Instrumentengruppen hin und her hechtet. Dafür
braucht es Training. Jeden Tag zwei Stunden auf dem
Fahrrad, danach werden Hanteln gestemmt und der Rücken gestärkt. Elektronische Messgeräte lesen die Leistung und Herzfrequenz ab, ein Computerprogramm hält
die Effizienz des Aufbautrainings fest. Immer wieder
fährt der Salzburger auch in eine Privatklinik bei Wien,
um seine Laktatwerte zu testen. Niemals dürfe die Musik
darunter leiden, dass der Musiker physisch nicht fit ist.
«Früher bin ich nach einer Stunde müde geworden. Und
wer müde ist, macht Fehler», sagt er.
Diese Konsequenz im Denken und Handeln hat ihn weit
gebracht – nämlich in die Phalanx der klassischen Musikbranche. Aber Musik ist bei Grubinger nicht nur Musik.
Er nutzt seine Bekanntheit auch gerne für andere Anliegen: etwa Politik. «Sich politisch zu äussern ist nicht nur
künstlerische, sondern auch staatsbürgerliche Pflicht»,
sagt er. Und warnte auch schon vor «den Hetzern und
vor denen, die mit ihnen koalieren». Auch hier ist er mit
demselben Feuereifer dabei, der ihn beflügelt, wenn
er hinter einer Legion von Schlagwerken herumwirbelt.
­Berufspolitiker zu werden, das wäre sein Plan B, wenn
er des Schlagzeugs überdrüssig würde. Im Moment sieht
es aber gar nicht danach aus.
l TOM HELLAT
Ein Konzertmarathon
der Extraklasse
Artist in Residence Martin Grubinger, die
Schlagzeuger seines Percussive Planet
Ensembles und sechs perkussive Meister­
werke des 20. und 21. Jahrhunderts – das
sind die Zutaten für den aussergewöhnlichen Trommelwirbel «THE BIG SIX».
Mit hoher Bewegungsenergie, grösster Virtuosität und beein­
druckender Ausdauer werden die sechs Schlagwerker das
Publikum in sechs ganz unterschiedliche Klangwelten entführen.
Die rituell-rhythmische Schlagkraft aus uralten Zeiten ruft der
Grieche Iannis Xenakis geradezu körperlich in Erinnerung:
mit seinen Stücken «Pléïades» und «Persephassa». Gérard Griseys
«Le Noir de L‘Étoile» integriert den Rhythmus eines verglühen­den Sterns, den dieser beim Drehen um die eigene Achse erzeugt, mittels Tonband. Zirkulation und Interaktion sind die Konzepte hinter diesem transzendenten Werk.
In Friedrich Cerhas grossem Schlagzeugsextett «Étoile», das
­Martin Grubinger gewidmet ist, steht Impulsivität gleichbe­
rechtigt neben Farbenreichtum. Die Komposition «Tutuguri VI»,
Teil von Wolfgang Rihms Poème Dansé «Tutuguri», ist radikal
rituell: Der Schlag auf die Membran dient der Anrufung ebenso
wie der archaischen Selbstvergewisserung. Steve Reichs «Drumming» ist eine meisterliche Studie der Minimal Music.
Ein exzeptionelles Konzertereignis in drei Etappen, das in dieser
l ULRIKE THIELE
Form zum letzten Mal zu erleben ist.
Foto: Friedemann Dürrschnabel
IMMER FESTE DRUFF
In diesem Job ist der Salzburger mit dem spitzbübischen
Jungengesicht einer der Besten der Welt. Und er hat
­einer ganzen Branche zum Aufschwung verholfen. Bis
vor Kurzem bestand das Schlagwerk in der klassischen
Musik aus oft nicht viel mehr als Pauke, Gong oder
­Triangel, die das Orchester partiell stärkten – selten
aber dominierten. Ganz anders, seit Martin Grubinger
das Leder klopft: Namhafte Komponisten haben eigens
Konzerte für den jungen Solisten geschrieben. Dessen
Traum ist das ohnehin: Jeder Komponist, der etwas auf
sich hält, solle Konzerte für Schlagzeug komponieren.
Zu seinem Marathonkonzert in der Tonhalle mit sechs
grossen Percussions-Sextetten holt er deshalb diverse
Werke zeitgenössischer Kompositionen auf die Bühne.
Sei es die rhythmische Schlagkraft des Griechen Iannis
Xenakis mit seinen Stücken «Pléïades» und «Persephassa». Oder Gérard Griseys «Le Noir de L‘Étoile», das das
Drehen eines verglühenden Sterns um die eigene Achse
auskomponiert. Um Sterne dreht sich auch Friedrich Cerhas Werk «Étoile», zu dem Cerha durch die Beobachtung
der langsamen Bewegungen von Himmelskörpern inspiriert wurde. Langsam klingt es aber selten, denn was
Cerha für den jungen Grubinger komponierte, stellt in
Sachen getriebener Rhythmik so ziemlich alles bisher
Dagewesene in den Schatten. Übertroffen vielleicht nur
noch durch die tobende Ordnung in Wolfgang Rihms «Tutuguri VI», das mit Grubinger samt sechs Bühnenschlagzeugern und brachialen Tam-Tams kräftemässig an einen
vierfach übersteigerten Orff erinnern wird.
Percussive IV
l 600 000 Noten – Martin Grubinger ist einer der wenigen Musiker, der seine Konzerte mit der Anzahl gespielter Töne etikettieren kann. Und einer, bei dem hunderttausend Einzelschläge nur dazu da sind, ein einheitli­ches Ganzes zu werden. Unter den Händen des österreichischen Perkussionisten klingt das Schlagwerk zwar
bisweilen wie das Knattern eines Maschinengewehrs. In
atemberaubender Geschwindigkeit schlägt er mit seinen
Holzstöcken auf die Instrumente ein: Trommeln in verschiedener Ausprägung, grosse und kleine Glocken, wie
sie bei Kühen vorkommen, und exotische Klanggeräte,
von denen ein normaler Konzertgänger kaum je etwas
gehört hat. Sie heissen Tombaks, Tamboras, Cajóns,
­Claves, Röhrenglocken oder Darbukas. Aber neben all
diesen Klangeruptionen kommen die fein ausziselierten
Klänge nicht zu kurz und fügen sich zu einem wohlgeformten Klangbild. Alles scheint er gleichzeitig zum
Klingen zu bringen: Das dröhnende Chaos verwandelt
sich in Musik. Das ist Martin Grubingers Job.
Sa 18.03.17
THE BIG SIX
Martin Grubinger Schlagzeug
Artist in Residence
Percussive Planet Ensemble
15.00 Uhr
THE BIG SIX I
Friedrich Cerha
«Étoile» für 6 Schlagzeuger
(und 4 Schlagzeuger ad libitum) (2011–2012)
Wolfgang Rihm
«Tutuguri VI (Kreuze)»
Musik nach Antonin Artaud (1981)
18.00 Uhr THE BIG SIX II
Iannis Xenakis
«Persephassa» (1969)
Iannis Xenakis
«Pléïades» (1978–1979)
21.00 Uhr THE BIG SIX III
Gérard Grisey
«Le Noir de l’Étoile» (1989–1990)
Steve Reich
«Drumming» 1. Teil (1971)
Artist in Residence wird unterstützt durch Swiss Re
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