Um diesen dreiteiligen Konzertmarathon körperlich durchzuhalten, trainiert Martin Grubinger wie ein Leistungssportler. 18 TONH A LLE- ORCHE S T ER ZÜRICH WAS ER SONST NOCH SO MACHT Um diesen dreiteiligen Konzertmarathon körperlich durchzuhalten, trainiert Martin Grubinger wie ein Leistungssportler. Der feinfühlige, ätherische Musiker, der sich von Luft und Noten ernährt? Nicht sein Ding. Bei Grubinger muss man sich von der Vorstellung eines versonnen vor dem Orchester stehenden Solisten verabschieden. Der Artist in Residence ähnelt eher einem sehr beweglichen Hochleistungssportler, der zwischen den Instrumentengruppen hin und her hechtet. Dafür braucht es Training. Jeden Tag zwei Stunden auf dem Fahrrad, danach werden Hanteln gestemmt und der Rücken gestärkt. Elektronische Messgeräte lesen die Leistung und Herzfrequenz ab, ein Computerprogramm hält die Effizienz des Aufbautrainings fest. Immer wieder fährt der Salzburger auch in eine Privatklinik bei Wien, um seine Laktatwerte zu testen. Niemals dürfe die Musik darunter leiden, dass der Musiker physisch nicht fit ist. «Früher bin ich nach einer Stunde müde geworden. Und wer müde ist, macht Fehler», sagt er. Diese Konsequenz im Denken und Handeln hat ihn weit gebracht – nämlich in die Phalanx der klassischen Musikbranche. Aber Musik ist bei Grubinger nicht nur Musik. Er nutzt seine Bekanntheit auch gerne für andere Anliegen: etwa Politik. «Sich politisch zu äussern ist nicht nur künstlerische, sondern auch staatsbürgerliche Pflicht», sagt er. Und warnte auch schon vor «den Hetzern und vor denen, die mit ihnen koalieren». Auch hier ist er mit demselben Feuereifer dabei, der ihn beflügelt, wenn er hinter einer Legion von Schlagwerken herumwirbelt. Berufspolitiker zu werden, das wäre sein Plan B, wenn er des Schlagzeugs überdrüssig würde. Im Moment sieht es aber gar nicht danach aus. l TOM HELLAT Ein Konzertmarathon der Extraklasse Artist in Residence Martin Grubinger, die Schlagzeuger seines Percussive Planet Ensembles und sechs perkussive Meister werke des 20. und 21. Jahrhunderts – das sind die Zutaten für den aussergewöhnlichen Trommelwirbel «THE BIG SIX». Mit hoher Bewegungsenergie, grösster Virtuosität und beein druckender Ausdauer werden die sechs Schlagwerker das Publikum in sechs ganz unterschiedliche Klangwelten entführen. Die rituell-rhythmische Schlagkraft aus uralten Zeiten ruft der Grieche Iannis Xenakis geradezu körperlich in Erinnerung: mit seinen Stücken «Pléïades» und «Persephassa». Gérard Griseys «Le Noir de L‘Étoile» integriert den Rhythmus eines verglühenden Sterns, den dieser beim Drehen um die eigene Achse erzeugt, mittels Tonband. Zirkulation und Interaktion sind die Konzepte hinter diesem transzendenten Werk. In Friedrich Cerhas grossem Schlagzeugsextett «Étoile», das Martin Grubinger gewidmet ist, steht Impulsivität gleichbe rechtigt neben Farbenreichtum. Die Komposition «Tutuguri VI», Teil von Wolfgang Rihms Poème Dansé «Tutuguri», ist radikal rituell: Der Schlag auf die Membran dient der Anrufung ebenso wie der archaischen Selbstvergewisserung. Steve Reichs «Drumming» ist eine meisterliche Studie der Minimal Music. Ein exzeptionelles Konzertereignis in drei Etappen, das in dieser l ULRIKE THIELE Form zum letzten Mal zu erleben ist. Foto: Friedemann Dürrschnabel IMMER FESTE DRUFF In diesem Job ist der Salzburger mit dem spitzbübischen Jungengesicht einer der Besten der Welt. Und er hat einer ganzen Branche zum Aufschwung verholfen. Bis vor Kurzem bestand das Schlagwerk in der klassischen Musik aus oft nicht viel mehr als Pauke, Gong oder Triangel, die das Orchester partiell stärkten – selten aber dominierten. Ganz anders, seit Martin Grubinger das Leder klopft: Namhafte Komponisten haben eigens Konzerte für den jungen Solisten geschrieben. Dessen Traum ist das ohnehin: Jeder Komponist, der etwas auf sich hält, solle Konzerte für Schlagzeug komponieren. Zu seinem Marathonkonzert in der Tonhalle mit sechs grossen Percussions-Sextetten holt er deshalb diverse Werke zeitgenössischer Kompositionen auf die Bühne. Sei es die rhythmische Schlagkraft des Griechen Iannis Xenakis mit seinen Stücken «Pléïades» und «Persephassa». Oder Gérard Griseys «Le Noir de L‘Étoile», das das Drehen eines verglühenden Sterns um die eigene Achse auskomponiert. Um Sterne dreht sich auch Friedrich Cerhas Werk «Étoile», zu dem Cerha durch die Beobachtung der langsamen Bewegungen von Himmelskörpern inspiriert wurde. Langsam klingt es aber selten, denn was Cerha für den jungen Grubinger komponierte, stellt in Sachen getriebener Rhythmik so ziemlich alles bisher Dagewesene in den Schatten. Übertroffen vielleicht nur noch durch die tobende Ordnung in Wolfgang Rihms «Tutuguri VI», das mit Grubinger samt sechs Bühnenschlagzeugern und brachialen Tam-Tams kräftemässig an einen vierfach übersteigerten Orff erinnern wird. Percussive IV l 600 000 Noten – Martin Grubinger ist einer der wenigen Musiker, der seine Konzerte mit der Anzahl gespielter Töne etikettieren kann. Und einer, bei dem hunderttausend Einzelschläge nur dazu da sind, ein einheitliches Ganzes zu werden. Unter den Händen des österreichischen Perkussionisten klingt das Schlagwerk zwar bisweilen wie das Knattern eines Maschinengewehrs. In atemberaubender Geschwindigkeit schlägt er mit seinen Holzstöcken auf die Instrumente ein: Trommeln in verschiedener Ausprägung, grosse und kleine Glocken, wie sie bei Kühen vorkommen, und exotische Klanggeräte, von denen ein normaler Konzertgänger kaum je etwas gehört hat. Sie heissen Tombaks, Tamboras, Cajóns, Claves, Röhrenglocken oder Darbukas. Aber neben all diesen Klangeruptionen kommen die fein ausziselierten Klänge nicht zu kurz und fügen sich zu einem wohlgeformten Klangbild. Alles scheint er gleichzeitig zum Klingen zu bringen: Das dröhnende Chaos verwandelt sich in Musik. Das ist Martin Grubingers Job. Sa 18.03.17 THE BIG SIX Martin Grubinger Schlagzeug Artist in Residence Percussive Planet Ensemble 15.00 Uhr THE BIG SIX I Friedrich Cerha «Étoile» für 6 Schlagzeuger (und 4 Schlagzeuger ad libitum) (2011–2012) Wolfgang Rihm «Tutuguri VI (Kreuze)» Musik nach Antonin Artaud (1981) 18.00 Uhr THE BIG SIX II Iannis Xenakis «Persephassa» (1969) Iannis Xenakis «Pléïades» (1978–1979) 21.00 Uhr THE BIG SIX III Gérard Grisey «Le Noir de l’Étoile» (1989–1990) Steve Reich «Drumming» 1. Teil (1971) Artist in Residence wird unterstützt durch Swiss Re TONH A LLE- ORCHE S T ER ZÜRICH 19
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