Bundestags- und Landtagsabgeordnete kassieren rund 5,5

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06.03.2017
Presseinformation
REPORT MAINZ, 7. März 2017, um 21.45 Uhr im Ersten
Bundestags- und Landtagsabgeordnete kassieren
rund 5,5 Mio. Euro rechtlich fragwürdige Zulagen
Verfassungsrechtler und Rechnungshöfe kritisieren Politiker-Boni als verfassungswidrig
REPORT MAINZ-Umfrage unter allen Flächenländern und im Bundestag
Mainz. – Bundesweit kassieren Bundestags- und Landtagsabgeordnete zusätzlich zu
ihren gesetzlichen Diäten jährlich insgesamt rund 8,7 Mio. Euro durch Zulagen, davon
rund 5,5 Millionen Euro durch rechtlich fragwürdige Zulagen. Das berichtet das ARDPolitikmagazin REPORT MAINZ (heute, Dienstag, 21.45 Uhr, Das Erste) unter
Berufung auf eine Umfrage bei allen vier Fraktionen im Bundestag und bei allen 64
Landtagsfraktionen der Vollzeitparlamente in den Flächenländern sowie eine
Auswertung von Rechenschaftsberichten der Fraktionen. Danach zahlen allein die
Bundestagsfraktionen rund 2,5 Mio. Euro jährlich an rechtlich fragwürdigen
Funktionszulagen etwa für stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Arbeitsgruppensprecher, Landesgruppensprecher oder Vorsitzende von sozialen Gruppen in der
Fraktion. Die Landesparlamente von Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz,
Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt geben insgesamt jährlich rund 3 Mio. Euro an
rechtlich zweifelhaften Funktionszulagen etwa für stellvertretende Fraktionsvorsitzende
oder Arbeitsgruppensprecher aus. Nur in Thüringen, Schleswig-Holstein und Hessen
gibt es solche Zulagen nicht. Wie Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim in
seiner aktuellen Studie „Die Hebel der Macht und wer sie bedient“ und im Interview mit
REPORT MAINZ darlegt, sind diese Funktionszulagen verfassungswidrig.
Diese Funktionszulagen in Höhe von rund 5,5 Mio. Euro stehen demnach im
Widerspruch zum so genannten „Zweiten Diätenurteil“ des Bundesverfassungsgerichts.
In diesem Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht am 21. Juli 2000 (2 BvH 3/91) nur
die Funktionszulagen für Fraktionsvorsitzende für rechtmäßig erkannt. Für alle anderen
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Funktionszulagen hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt: „Ergänzende
Entschädigungen für die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden (...) und für die
Ausschussvorsitzenden sind (...) mit dem Verfassungsrecht unvereinbar.“ Solche
Zulagen „verstoßen gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der
Gleichbehandlung der Abgeordneten.“ Das Urteil sei zwar für Thüringen ergangen,
doch das Bundesverfassungsgericht hat seitdem mehrfach betont (u.a. 27.11.2007, 2
BvK 1/03), es seien damit „allgemeine Maßstäbe“ aufgestellt, die für alle Parlamente auf
allen Ebenen gelten. Das Gericht hatte gewarnt, dass durch die systematische
Ausdehnung von Funktionszulagen „Abgeordnetenlaufbahnen“ und
„Einkommenshierarchien“ geschaffen würden, die der Freiheit des Mandats schadeten.
In ergänzender Rechtsprechung erkannte das Landesverfassungsgericht SchleswigHolstein 2013 auch die Zulagen für Parlamentarische Geschäftsführer als rechtmäßig.
Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim wirft den Fraktionen im Interview vor,
sich seit nunmehr 17 Jahren über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
hinwegzusetzen. Wörtlich sagte er in REPORT MAINZ: „Hier werden Millionen
Steuergeld verfassungswidrig verausgabt, und das trotz einer klaren Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts. Das ist ein Verfassungsbruch – und dies von den
höchsten deutschen Instanzen, den Parlamenten.“
Auch der Präsident des Landesrechnungshofs Thüringen, Bundesrichter a.D. Sebastian
Dette, kritisierte in REPORT MAINZ, dass die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts in den meisten Parlamenten nicht beachtet wird. Er hatte
mit einem Gutachten dafür gesorgt, dass die rechtlich fragwürdigen Funktionszulagen
2015 in Thüringen abgeschafft wurden. Im Interview sagte er: „Das war durchaus
schwierig, die Parlamentarier davon zu überzeugen. Es gab erhebliche Gegenwehr der
Fraktionen. Sie haben zahlreiche Argumente vorgetragen, sogar das Gegengutachten
eines renommierten Professors vorgelegt. Mit diesen Argumenten habe ich mich
intensiv auseinandergesetzt und bin zu dem Ergebnis gelangt, dass Funktionszulagen
rechtswidrig sind. Auf Grund meines Gutachtens wurde die Zahlung der
Funktionszulagen eingestellt und der Landtag hat ein Gesetz erlassen, das künftig die
Zahlung von Funktionszulagen verbietet.“ Auch die Landesrechnungshöfe von Bayern,
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt haben die
fragwürdige Zulagenpraxis in Prüfungen bereits kritisiert und Änderungen angemahnt.
BUNDESTAG
85 Bundestagsabgeordnete profitieren nach Recherchen von REPORT MAINZ von den
rechtlich zweifelhaften Zusatzzahlungen. Sie erhalten als stellvertretende
Fraktionsvorsitzende, Arbeitsgruppensprecher, Landesgruppensprecher oder
Vorsitzende von sozialen Gruppen in der Fraktion und auch in weiteren Ämtern so
genannte Funktionszulagen aus den Budgets der Bundestagsfraktionen zusätzlich zu
ihrer gesetzlichen Diät von mehr als 9.000 Euro. Nimmt man die – rechtlich
unproblematischen – Funktionszulagen für Fraktionsvorsitzende und Parlamentarische
Geschäftsführer hinzu, sind insgesamt 104 Abgeordnete im Bundestag
Zulagenempfänger. Die Summe aller im Bundestag gezahlten Funktionszulagen betrug
2015 insgesamt rund 3,5 Mio. Euro, davon sind etwa 2,5 Mio. Euro rechtlich fragwürdig.
Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD verweigern auf Anfrage jede Information,
welche Zulage in welcher Höhe für welche Funktionen gezahlt wird. Die meisten
Zulagen zahlt die CDU/CSU-Fraktion, hier profitieren 48 Abgeordnete von rund 1,7 Mio.
Euro. Die SPD-Fraktion vergütet 43 Abgeordnete mit rund 1,4 Mio. Euro für die
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Wahrnehmung von Funktionen innerhalb der Fraktion. Die Fraktion von B‘90/Die
Grünen zahlt Zulagen in Höhe von insgesamt rund 340.000 Euro an elf Abgeordnete,
die Linksfraktion zahlt rund 109.000 Euro an zwei Abgeordnete.
LÄNDER
Nordrhein-Westfalen liegt bundesweit an der Spitze, was die Höhe der
Funktionszulagen angeht. Hier werden jährlich insgesamt 1,2 Mio. Euro an Zulagen
verausgabt, mehr als 640.000 Euro davon entgegen den Grundsätzen des Urteils des
Bundesverfassungsgerichts. In Bayern zahlen die Fraktionen jährlich rund 974.000
Euro, davon sind etwa 560.000 Euro an Zulagen für Empfänger bestimmt, die das
Bundesverfassungsgericht von der Gewährung solcher Zulagen ausgenommen hatte.
Niedersachsen zahlt im Jahr rund 801.000 Euro, davon 474.000 Euro entgegen dem
Urteil der Verfassungsrichter. In Baden-Württemberg wurden rund 542.000 Euro
entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gezahlt.
Die Bundestagsfraktionen verteidigen die Zahlungen u.a. mit dem Hinweis auf ein
Gutachten der „Schmidt-Jortzig-Kommission“, die der Praxis der Funktionszulagen
zugestimmt habe. Die Landtagsfraktionen verweisen zudem auf Rechtsgutachten von
Prof. Udo Steiner im Auftrag des Bayerischen Landtags und Prof. Michael Brenner im
Auftrag der CDU in Thüringen. Verfassungsrechtler Prof. Hans Herbert von Arnim
erklärt dazu im Interview mit REPORT MAINZ: „Ich habe mich in meiner aktuellen
Analyse derartiger Funktionszulagen mit der gesamten Rechtsprechung und Literatur
zu diesem Thema auseinandergesetzt. Mein Fazit ist, dass derartige Funktionszulagen
verfassungswidrig sind, weil sie der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
diametral zuwiderlaufen.“ Weiter sagt er: „Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eindeutig. Das Gericht hat sie auch mehrmals bestätigt. Auch
wenn in den Landtagen darüber zu urteilen ist, müssen die Grundsätze des
Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt werden. Die Autoren, die anderer Auffassung
sind, sind regelmäßig Angestellte oder sonstige Bedienstete von Parlament oder
Fraktionen oder sie machen Gutachten für sie und verdanken den Parteien auch sonst
einiges.“ Auch der Thüringer Landesrechnungshofs-Präsident Sebastian Dette sagte im
Interview mit REPORT MAINZ: „Alle diese Argumente haben der Überprüfung nicht
standgehalten. Das Ergebnis lautet, dass Funktionszulagen rechtswidrig sind.“
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