Die Natur wird immer - Museum für Gestaltung

REISEN
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2017 Buffet für Gestaltung, «Macht
Ferien!», Plakat zur Jubiläums­
ausstellung von Schweiz Tourismus
«Die Natur wird immer
EINEN WERT HABEN»
Seit 100 Jahren vermarktet Schweiz Tourismus unermüdlich
unsere Heimat als Sehnsuchtsort. Das Jubiläum feiert die
­Organisation mit einer Foto- und einer ­Plakatausstellung. Wir
zeigen eine Auswahl der Werke, mit denen einst Touristen ­geködert
wurden. Und gehen mit Direktor JÜRG SCHMID auf Zeitreise.
Interview Michael Lütscher Fotos Esther Michel
Der Direktor
Jürg Schmid ist der Chefverkäufer der Schweiz.
Der 54-Jährige ist seit
1999 Direktor von
Schweiz Tourismus. Der
Betriebsökonom ist
­verheiratet und Vater
von drei Kindern.
Schweiz Tourismus beschäftigt 242 Mitarbeitende in 27 Ländern,
um die Schweiz als Ferien- und Kongressland
zu bewerben. 2015 wendete die Organisation
­dafür knapp 95 Millionen
­Franken auf, wovon
der Bund 53 Millionen
beisteuerte.
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Jürg Schmid, sind 100 Jahre Schweiz
Tourismus ein Grund zum Jubeln?
Jubeln wäre eine falsche Motivation. Ein
Jubiläum ist ein Grund, um zurückzu­
schauen, innezuhalten. Dabei fällt auf:
Die Geschichte wiederholt sich. Die The­
men bleiben die gleichen.
Welche?
Seit es unsere Organisation gibt, haben
wir über den starken Franken gestöhnt.
Zwei Plakate, die hier in Ihrem Büro
hängen, haben damit zu tun. Eines
von 1937 wirbt mit verbilligtem
Benzin für ausländische Gäste. Um
Plakat: Museum für Gestaltung / Buffet für Gestaltung
vergünstigte Bergführer­tarife geht
es auf dem andern. Könnte man so
auch heute Touristen gewinnen?
Nein. Diese Plakate hängen wegen ihrer
gestalterischen Brillanz hier. Benzinsub­
ventionierung ist kein politisch trag­
barer Ansatz. Man lernt daraus, dass
man stets nach neuen Lösungen suchen
muss.
Gibt es Beispiele, in denen es nicht
einfach um Geld ging?
«Das ganze Volk fährt Ski!» hiess eine
Kampagne während des Zweiten Welt­
krieges. Kinder konnten dabei etwa gra­
tis in die Skischule. Bis zum Zweiten
Weltkrieg waren Winterferien für viele
Leute unerschwinglich. Heute kämpfen
wir damit, dass ein Teil der Bevölkerung
keinen Bezug zum Schnee hat. Wie da­
mals geht es darum, der Nation den
Schnee näherzubringen.
Wie wollen Sie das tun?
Auf komplexe Fragen gibt es keine ein­
fachen Antworten. Ein Befehl wie «Geht
Ski fahren!» funktioniert sicher nicht
mehr. Es gibt heute so viele Alternativen.
Grösster Konkurrent des Schneetouris­
mus ist das Unterhaltungsangebot rund ➳
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1930 Alex Walter
­Diggelmann,
St. Moritz, Kofferetikette
um die urbanen Zentren. Dazu die Aus­
landreisen. Das kann man nicht ändern.
Wir müssen ein neues Rezept finden.
Als Schweiz Tourismus gegründet
wurde, war die Schweiz das
­beliebteste Reiseziel der Welt.
Heute liegt sie bei den Ankünften
auf Rang 36.
Das ist logisch.
Wieso?
Immer mehr Länder dringen in den Reise­
markt vor. Dass das grosse China einmal
mehr Ankünfte haben würde als die ­kleine
Schweiz, war klar. Entscheidend ist, dass
wir weiterhin etwas verdienen.
2016 sind zum dritten Mal in Folge
weniger ausländische Touristen in
die Schweiz gekommen, erstmals
auch weniger Chinesen. Was tun Sie,
um diesen Trend zu kehren?
Der Rückgang hat sich stark verlangsamt.
Wir gehen davon aus, dass die Talsohle er­
reicht ist und die Erholung im laufenden
Jahr kommt. Wir bearbeiten sowohl die
Märkte in der Nähe wie in der Ferne wei­
terhin intensiv. Die Schweizer Natur- und
Bergwelt bleibt Reisemotiv Nummer eins.
Sie entzückt weltweit.
Die treuesten Gäste der Schweiz
sind wir selbst. Der teure Franken
hat aber zur Folge, dass mehr
Schweizer im günstigeren Ausland
Winterferien machen.
Das tut weh. Teilweise verstehe ich es. Das
eigene Portemonnaie ist allen am nächs­
ten. Wenn aber alle ins Ausland reisen
und im Ausland einkaufen, so wird sich
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1914 Burkhard Mangold,
1969 Philipp Giegel /­
Hans Küchler, «Bergluft
macht schlank»
«Winter in Davos»
«Wir müssen
­akzeptieren, dass
unser Standard
seinen Preis hat.»
unser Wohlstand jenem im Ausland an­
passen. In der Tourismusbranche sind die
Löhne in der Schweiz 50 Prozent höher als
in Österreich. Wollen wir unseren Le­
bensstandard halten, müssen wir akzep­
tieren, dass das seinen Preis hat. Wir als
Branche sind gefordert, dass der Preis
stimmt. Die Leistung muss top sein.
Das ist aber keineswegs immer so.
Leider nicht ganz – wie in jeder Branche.
Doch in internationalen Befragungen zur
Kompetenz der Gastgeber erscheint die
Schweiz stets als führend.
Wo stünde der Tourismus in der
Schweiz ohne Ihre Organisation?
Es gäbe ihn natürlich trotzdem. Aber er
wäre weniger bekannt und etwas kleiner.
Es gäbe weniger Arbeitsplätze gerade in
den Bergen. Wir wissen, dass jede sechste
Übernachtung in der Schweiz durch
Schweiz Tourismus beeinflusst ist. Eine
unserer wichtigsten Aufgaben ist das Öff­
nen neuer Märkte. Die 25 000 kleinen und
mittleren Betriebe der Branche können
nicht auf eigene Faust in China oder in
den USA den Markt bearbeiten.
Schweiz Tourismus erhält gut die
Hälfte des Budgets vom Bund.
Wodurch ist das gerechtfertigt?
Wir haben einen gesetzlichen Auftrag seit
100 Jahren, auch aus der Erkenntnis, dass
der Tourismus alle Branchen betrifft. Ein
Tourist ist nichts anderes als ein Porte­
monnaie, das sich im Land bewegt. Tou­
risten besuchen Museen, fahren Tram
oder kaufen an der Bahnhofstrasse in Zü­
rich Uhren. Ein Tourist tätigt nur ein
Drittel seiner Ausgaben in Hotels und
Restaurants. Die Subventionen sind zum
Wohle von Arbeitsplätzen in diesem Land.
Jedes andere Land tut das auch.
1941 Alois Carigiet,
«Innere Kraft … durch Winterferien»
1933 Johannes Handschin,
«Berg-Strandbad Arosa»
Schweiz Tourismus feiert das Jubi­
läum mit einer Ausstellung von Pla­
katen. Welche sind Ihre Favoriten?
Ganz besonders gefallen mir die Arbeiten
von Herbert Matter. Er war einer der gros­
sen Grafikkünstler. Seine Bilder haben
eine unglaubliche Wucht, etwa «Das ­grosse
Erlebnis – die Schweiz im Flugzeug» von
1935. Es vermittelt eine klare Botschaft:
Man kann direkt in die Schweiz fliegen.
Das war damals speziell.
Welches noch?
Das Plakat von Alois Carigiet, «Innere
Kraft … durch Winterferien». Das sorgte
für Furore. Eine Frau, die sich entblösst.
Auf ihrer Brust erscheint die Winter­
sonne. Das war 1941 ein Skandal. Wir
mussten uns in Bern erklären. Erst als das
Departement des Innern entschied, das
sei Kunst, wurde es richtig eingesetzt und
im selben Jahr zum Plakat des Jahres
gekürt.
Damals, im Zweiten Weltkrieg,
herrschte für den Tourismus eine
besonders schwierige Zeit.
Plakate: Plakatsammlung Museum für Gestaltung, Katharina Steffen-Mangold, Domenica Carigiet, The Herbert Matter Estate / Fotostiftung Schweiz
1921 Emil Cardinaux,
➳
1935 Herbert Matter,
«Das grosse Erlebnis – die Schweiz im Flugzeug»
«Sommer in der Schweiz»
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Ausländer konnten nicht mehr in die
Schweiz, die Grenzen waren zu. Es gab
damals eine Diskussion darüber, ob man
angesichts des Krieges und der Essens­
rationierung überhaupt noch Ferien ma­
chen dürfe. Der Bundesrat fand, man
­dürfe nicht nur, man müsse. Das Plakat
von 1940 war eine Durchhalteparole:
«Macht Ferien – schafft Arbeit».
Die Tourismusplakate prägten das
Bild der Schweiz. Heute gibt es kaum
noch herausragende Plakate. Wieso?
Das Plakat hatte früher eine andere Rolle.
Man blieb davor stehen. Es gab viel weni­
ger Alternativen, um zu werben. Heute
gibt es Fernsehen und Social Media. Doch
letztlich geht es um das Gleiche: Aufmerk­
samkeit schaffen. Den raren Moment der
Aufmerksamkeit auf unser Land lenken.
1945 Donald Brun,
«Frühlingsfahrten»
1939 Herbert Leupin,
«Op weg naar Zwitserland»
Welches Medium ist heute am
wirksamsten?
Grundsätzlich sind die digitalen Medien
angesagt. Unsere Website hat 31 Millionen
Besucher pro Jahr. Wir haben 2,5 Millio­
nen Follower und Freunde auf Facebook,
Twitter, Instagram & Co. Unser letzter
Werbefilm wurde auf Youtube 5,5 Millio­
nen Mal angeschaut.
Zum Jubiläum haben Sie die
Schweiz von ausländischen Foto­
grafen abbilden lassen. Wieso?
Wir wollen mit den beiden Ausstellungen
verschiedene Perspektiven auf die Schweiz
vermitteln. Die Werbegeschichte mit den
Plakaten als Blick von innen. Für den
Blick von aussen luden wir fünf Fotogra­
finnen und Fotografen aus fünf Ländern
ein, die letzten Sommer durch die Schweiz
reisten. Ein ganz cooles Projekt, finde ich.
Blicken wir nach vorne: Wie sieht
die Schweiz in 100 Jahren touris­
tisch aus?
1957 Martin Peikert,
«Rigi»
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1940 Pierre Gauchat,
«Macht Ferien – schafft Arbeit!»
Plakate: Plakatsammlung Museum für Gestaltung, Roland Kupper, Thomas und Charles Leupin, Minnie Gächter
Ich glaube, es wird immer Leute geben, die
reisen. Nicht alles wird virtuell. 100 Jahre
sind eine lange Zeit – so weit kann man
nicht vorausschauen. Natürlich, Autos
werden selbst fahren und irgendwann
Flugzeuge selbst fliegen. In dieser techni­
sierten Welt wird die schöne Natur als
Zone der Ruhe immer einen Wert haben.
Entwickler und internationale M
­ anager.
Leute also, die im Kern dieser Digitalisie­
rung arbeiten.
2015 lancierten Sie die Grand Tour
of Switzerland, eine Schweiz-­
Rundreise per Auto. Das zerstöre
die Natur, wurden Sie kritisiert.
«Werbung soll den
raren Moment der
Aufmerksamkeit auf
unser Land lenken.»
Darum ist Naturschutz heute eine unserer
wichtigsten Aufgaben.
Was tun Sie dafür?
Wir setzen die Schönheit und die Kraft der
Natur ins Zentrum unserer Kommunika­
tion. Nur ein Beispiel: Vor ein paar Jahren
starteten wir auf Facebook eine Kampa­gne
unter dem Titel «Ferien ohne Facebook».
Wir verlosten Aufenthalte in Berghütten,
in denen man garantiert keine Internet­
verbindung hat. Spannend war, wer sich
dafür interessierte. Es waren Software-
Unsere Aufgabe ist es, die Schönheiten der
Schweiz zu zeigen. Autofahren ist eine
Realität. Über 70 Prozent unserer Gäste
sind per Auto unterwegs. Auf sie können
wir nicht verzichten. Die Leute wollen
nicht mehr an einem Ort Ferien machen.
Sie wollen durchs Land reisen, von At­
traktion zu Attraktion. Das kommt an.
Darum vermarkten wir die Tour weiter.
Wo machen Sie selbst Ferien?
Nur in der Schweiz.
Warum lachen Sie?
Ich bin ein Schweiz-Fan, und ich hoffe, dass
man das spürt. Natürlich gehe ich auch ins
Ausland. Das ist nötig, um die Schweiz
richtig positionieren zu können. Man muss
in Metropolen wie Shanghai, Mumbai oder
New York stehen, um die neuen Sehnsüch­
te zu spüren. In der Globalisierung, in der
alles schneller wird, entsteht die Sehnsucht
nach der Echtheit, nach der Einfachheit.
Darum steht für uns der rücksichtsvolle
Umgang mit der Natur im Zentrum. ●
DIE SCHAUEN ZUM 100. GEBURTSTAG
1917 wurde die «Nationale Vereinigung zur
Förderung des Reiseverkehrs» als erste Organisation zur touristischen Vermarktung der
Schweiz gegründet. Nach
mehreren Namenswechseln heisst sie seit 1995
Schweiz Tourismus.
Zwei Ausstellungen begleiten das Jubiläum:
«Macht Ferien!» de­
mons­triert, wie sich die
Foto: Simon Roberts, «Harder Kulm», Interlaken, 2016, aus dem Projekt «Fremdvertraut»
«Fremdvertraut»:
Harder Kulm ob
Interlaken, Foto von
Simon Roberts.
Schweiz-Werbung in diesen 100 Jahren entwickelt
hat. Zu sehen ist sie vom
3. 3. bis 9. 7. im Museum
für Gestaltung, Zürich,
vom 5. 8. bis 29. 10. im
Castelgrande, Bellinzona,
und ab November im
­Verkehrshaus Luzern.
«Fremdvertraut. Aus­
sensichten auf die
Schweiz» zeigt aktuelle
Bilder von fünf Fotografen aus fünf Ländern.
Zu sehen sind diese bis
7. 5. in der Fotostiftung
Schweiz in Winterthur
und vom 25. 10. bis
7. 1. 2018 im Musée de
l’Elysée in Lausanne.
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