61 Qualitätsbericht 2010 der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin | Prüfjahr 2009 Homöopathie – Qualität in der homöopathischen Praxis Ein Beitrag von Frau Dr. Ursula Dohms Dr. med. Ursula Dohms ist Fachärztin für Anästhesiologie und erste Vorstandsvorsitzende des Berliner Vereins Homöopathischer Ärzte e.V., Landesverband Berlin-Brandenburg, sowie Mitglied im Zentralverein homöopatischer Ärzte. Im KV-Bezirk Berlin sind rund 290 homöopathische Ärzte niedergelassen. Davon nehmen annähernd 140 Vertragsärzte seit 2005 an den Selektivverträgen Homöopathie mit zurzeit 110 gesetzlichen Krankenkassen teil; rund ein Fünftel der homöopathisch tätigen Ärzte ist niedergelassen. Voraussetzung einer qualifizierten homöopathischen Behandlung ist ein genaues und umfassendes Bild der Erkrankung. Gesucht wird ein homöopathisches Einzelmittel, das nicht gegen die Erkrankung wirkt, sondern ähnliche Krankheitserscheinungen selbst hervorbringen kann. Das Ähnlichkeitsprinzip ist die Grundlage der Homöopathie. Um festzustellen, welche Beschwerden oder Krankheiten ein Mittel erzeugen und damit auch heilen kann, werden von gesunden Menschen homöopa- thische Arzneimittel im Rahmen einer Arzneimittelprüfung eingenommen. Alle Symptome dieser so künstlich erzeugten Krankheit werden von den Prüfern notiert. Daraus ergibt sich eine umfassende Beschreibung der Wirkung des Mittels, das Arzneimittelbild. Keine Krankheit gleicht einer anderen, deshalb wird in jedem Krankheitsfall das geeignete homöopathische Arzneimittel individuell für den Patienten gewählt und als Einzelmittel verabreicht. Je genauer das Arzneimittel passt, desto wirksamer wird es sein. Eine homöopathische Verschreibung stützt sich nicht nur auf die Gesamtheit des Bildes, sondern insbesondere auf die hervorstechenden und charakteristischen Details – ähnlich einer Karikatur, die einige wenige Merkmale besonders betont. Jedes Detail kann entscheidend sein Den kompletten Qualitätsbericht 2010 finden Sie unter www.kvberlin.de 45 66 Qualitätsbericht 2010 der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin | Prüfjahr 2009 für die Erkennung des Arzneimittels. Je schwerer die Erkrankung, desto präziser muss das Bild sein. Für die Behandlung einer chronischen Erkrankung muss das Bild nicht nur besonders genau, sondern außerdem noch wesentlich breiter angelegt werden. Gibt es typische Muster, die sich durch die ganze Krankengeschichte hindurchziehen? Wird eine Seite bevorzugt bei den Symptomen? Treten die Symptome bei bestimmten Wetterlagen auf? Gibt es eine Empfindlichkeit gegen Kälte oder Wärme – oder gegen Geräusche oder Gerüche, helles Licht? Gibt es typische Stimmungsveränderungen? Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Unruhe? Die Zahl der möglichen Symptome ist groß. Besonders interessant sind eigentlich die Symptome, die so merkwürdig sind, dass man sich kaum traut, davon zu erzählen, oder so selbstverständlich, dass man denkt, das wäre bei allen so. Auf die Anamnese folgt eine genaue Analyse der vorgefundenen Symptome. Welche Symptome sind so prägnant, dass sie für die Wahl eines Mittels herangezogen werden können? Die in Frage kommenden Mittel müssen studiert und im Detail mit dem Krankheitsbild verglichen werden. Auch bei der Verlaufsbeurteilung muss sehr genau gearbeitet werden: Welche Symptome haben sich tatsächlich gebessert, welche Symptome haben sich verändert, vollzieht sich die Besserung in der richtigen Reihenfolge? Sind neue Symptome aufgetreten? Voraussetzung für eine gute Fallanalyse und eine gute Verlaufsbeurteilung ist wiederum die genaue Anamnese zu Beginn. Die Erstanamnese bei einem chronisch kranken Patienten dauert, z.B. in einer homöopathischen Privatpraxis, nur selten weniger als zwei Stunden. Zeit ist in der Homöopathie essentiell notwendig, um vor der Behandlung eine möglichst große Sicherheit zu erlangen, dass die verabreichte Arznei auch einen Heilprozess in Gang setzen wird. Auch im weiteren Verlauf der Behandlung können Situationen entstehen, die eine zeitaufwendige neue Erforschung des Zustandes notwendig machen, damit man dem Ziel der umfassenden Heilung näher kommt. In aller Regel aber spart die am Anfang investierte Zeit und Gründlichkeit größeren Aufwand im weiteren Be- 46 handlungsverlauf. Die von Anfang an genauer passende und wirksamere Arznei führt zu einem schnelleren Heilungsprozess. Die Verlaufskontrolle ist klarer und eindeutiger. Das Ziel einer homöopathischen Behandlung ist die umfassende Heilung aller Beschwerden. Nur eine grundsätzliche Besserung von Krankheitsneigungen – nicht aber das vorübergehende Verschwinden von Symptomen – kann als Erfolg gewertet werden. Der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) mit heute etwa 4000 Mitgliedern und rund 2000 assoziierten Ärzten ist der älteste ärztliche Berufsverband Deutschlands – gegründet 1829 in Köthen (Anhalt). Ziel des DZVhÄ ist die dauerhafte und angemessene Verankerung der ärztlichen Homöopathie im Gesundheitswesen. In den vergangenen drei Jahrzehnten stand der konsequente Aufbau einer curricularen Weiter- und Fortbildungsstruktur im Mittelpunkt der vereinsinternen Aufgaben. Als Fachgesellschaft bringt der DZVhÄ regelmäßig seine spezifische Kompetenz in die Gestaltung der jeweils gültigen Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer ein und ist mit seinen Fachberatern maßgeblicher Ansprechpartner der Landesärztekammern. Die Managementgesellschaft des DZVhÄ entwickelt Versorgungsstrukturen für homöopathisch tätige Ärzte. In Verhandlung mit Partnern wie Kassenärztlichen Vereinigungen sowie gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen werden zukunftsweisende Verträge geschaffen und betreut. Wesentliche Aspekte der Diskussion um qualitätssichernde Maßnahmen und sich abzeichnende sozialgesetzliche Verpflichtungen zur Qualitätssicherung in der Medizin hat der DZVhÄ frühzeitig aufgegriffen und verbandsintern ein dynamisches und transparentes Qualitätsmanagement etabliert. Die genannten Maßnahmen und Richtlinien tragen der komplexen Praxisrealität homöopathisch arbeitender Ärzte/innen Rechnung. Diese Komplexität besteht in der Notwendigkeit, in jedem einzelnen Patientenkontakt die Erfordernisse der universitären Medizin in Diagnostik und Therapie sorgfältig gegen die Optionen der klassischen Einzelmittel-Homöo- 66 Qualitätsbericht 2010 der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin | Prüfjahr 2009 pathie abzuwägen. Homöopathische Ärzte/innen nehmen ihre Patienten sowohl aus pathophysiologischem als auch aus phänomenologischem Blickwinkel wahr und verbinden in ihren Behandlungsplänen, wo immer möglich, evidenzbasiertes Wissen mit Erfahrungen einer „cognition-based-medicin“. Oberstes Ziel muss größtmögliche Therapiesicherheit für den Patienten sein. Diese lässt sich nur auf einem sehr soliden schulmedizinischen und homöopathischen Wissensfundament erzielen. Stringente, transparente und akzeptable Qualitätskriterien bilden hierfür die „conditiones sine qua non“! Hier die einzelnen Elemente: Weiterbildung (zur Erlangung der Zusatzbezeichnung „Homöopathie“) Die Vorgaben der Weiterbildungsordnung für den Bereich „Homöopathie“ sind bundeseinheitlich umgesetzt und inhaltlich curricular gegliedert. Theoriekurse und praxisorientierte Fallseminare inklusive Supervision sind thematisch aufeinander abgestimmt und werden regelmäßig von den Teilnehmern evaluiert und in Dozentenkonferenzen analysiert. Der Umfang der Weiterbildung wurde seitens der Bundesärztekammer im Rahmen der innereuropäischen Vereinheitlichung von Weiterbildungszeiten im Jahre 2003 von sechs auf vier Wochenkurse á 40 Stunden sowie von 300 auf 100 Stunden praktische Fallseminare reduziert. Der DZVhÄ bietet interessierten Kollegen auch weiterhin eine Vollausbildung im ursprünglichen Umfang an und trägt so zu bestmöglicher Qualität im Bereich Weiterbildung bei. Fortbildung Der DZVhÄ veranstaltet regelmäßig Fachkongresse mit nationalen und internationalen Dozenten. Ausgerichtet werden diese von den einzelnen DZVhÄLandesverbänden in Eigeninitiative entsprechend ihrer personellen und strukturellen Ressourcen. Regionale Fortbildungen werden ebenfalls von den Landesverbänden angeboten. Die Veranstaltungen werden von den Landesärztekammern als Fortbildung anerkannt und von den Teilnehmern evaluiert. Zusätzlich bieten langjährig praxiserfahrene Kollegen/Innen Einzel- und Gruppensupervisionen an. Qualitätszirkel unter Leitung erfahrener homöopathischer Ärzte/Innen mit Moderatorentraining sind flächendeckend im gesamten Bundesgebiet installiert und beim DZVhÄ als qualitätsgesichert gemeldet. Homöopathie–Diplom Mit der Einführung eines Homöopathie-Diploms hat der DZVhÄ seine Überzeugung untermauert, dass eine konsequente und erfolgreiche homöopathische Behandlung auch schwieriger chronischer Krankheiten nur auf der Basis solider Weiter- und permanenter Fortbildung möglich ist. Die Anforderungen sind eine Vollausbildung (sechs Wochenkurse á 40 Stunden und 300 Stunden praktische Weiterbildung in Fallseminaren inklusive Supervision) sowie der alle fünf Jahre zu führende Nachweis kontinuierlicher eigener Fortbildung (mindestens 20 Stunden/Jahr). Das Diplom ersetzt nicht die Zusatzbezeichnung „Homöopathie“ und ist auch keine Fachbezeichnung entsprechend der Weiterbildungsordnung der Landesärztekammern. Es dokumentiert vielmehr die Bereitschaft des Diplominhabers, freiwillig ein wesentlich höheres Qualitätsniveau anzustreben und zu erhalten. Folgerichtig ist das Homöopathie-Diplom des DZVhÄ inzwischen eine wesentliche Voraussetzung zur Teilnahme an Selektivverträgen mit gesetzlichen Krankenkassen, so auch im § 73c-Vertrag Homöopathie der VAG der KVen. Es ist zu erwarten, dass der erreichte Qualitätsstandard zukünftig Einfluss haben wird auf das Verhältnis zwischen privat liquidierenden homöopathischen Ärzte/Innen und den privaten Kostenträgern. Zwischenzeitlich wurden detaillierte und stringente Richtlinien festgelegt, die erfüllt sein müssen, damit Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen zur Erlangung des Diploms anerkannt werden können. Berücksichtigung fanden dabei nicht nur inhaltliche, didaktische und strukturelle Aspekte, sondern Den kompletten Qualitätsbericht 2010 finden Sie unter www.kvberlin.de 47 66 Qualitätsbericht 2010 der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin | Prüfjahr 2009 auch ein definiertes Kompetenzprofil für Dozenten, Kursleiter, Supervisoren und Leiter von Qualitätszirkeln. Qualitätsprüfung und Plausibilitätskontrolle Im Rahmen der Einführung der Selektivverträge Homöopathie hat der DZVhÄ neben konsequenten Beratungsroutinen der Leistungserbringer, eine umfangreiche Qualitätsprüfung für die Behandlung mit klassischer Homöopathie mit fachlich-inhaltlichem Schwerpunkt entwickelt. Dabei wird auf eine nachvollziehbare und aussagekräftige Behandlungsdokumentation ebenso Wert gelegt wie auf die Erfüllung der vom DZVhÄ verabschiedeten und veröffentlichten „Leistungsbeschreibung Homöopathie“. Modul Qualitätsmanagement für die homöopathische Arztpraxis Nachdem seit dem Jahre 2004 alle Vertragsärzte zu praxisinternem Qualitätsmanagement verpflichtet sind und das Thema auch im PKV-Sektor zunehmend an Bedeutung gewinnt, entwickelt der DZVhÄ derzeit ein Modul Qualitätssicherung für Vertragsund Privatarztpraxen mit homöopathischem Schwerpunkt. Es soll die bisher bestehenden QMAngebote (wie z.B. QEP, ISO 9001) in den Bereichen ergänzen, wo spezifisch homöopathische Praxisprozesse zu beschreiben sind. Das Modul wird zu Beginn des Jahres 2011 einsatzbereit sein. 48 Evaluation der Therapieergebnisse/ Ergebnisdokumentation Entwickelt wurde ein strukturierter Evaluationsbogen zur Erfassung quantifizierbarer, objektiver und subjektiver Therapieergebnisse. Er ist sowohl für Privat- als auch für Vertragsarztpraxen geeignet und ist zurzeit in der Erprobungsphase. Ziel ist es, mit flächendeckenden Erhebungen u. a. Daten für wissenschaftliche Auswertungen zur Versorgungseffizienz der Homöopathie zu liefern. Ziel dieser Initiativen ist, ■ die Schulung homöopathischer Ärzte in verschiedenen Forschungsmethoden, ■ die kritische Reflektion des eigenen Handelns und der Homöopathie als Ganzes, ■ die Verbesserung der Werkzeuge der homöopathischen Methode, ■ die Forschung in der Homöopathie und ■ die Herstellung eines wissenschaftlichen Diskurses mit der konventionellen Medizin. Fachlich schließen die Inhalte an das Dialogforum „Pluralismus in der Medizin“ an. Der Masterstudiengang in Kooperation mit der Otto-von-GuerickeUniversität Magdeburg ist in Vorbereitung. Die Gründung einer Wissenschaftsgesellschaft ist für den Herbst 2011 geplant.
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