Ein Campus für die autonome HTW Chur als

D o n n e r s t a g , 9. M ä r z 2 0 1 7
GRAUBÜNDEN
Ein Campus für die autonome HTW Chur
als Leuchtturm für das Exportgut Bildung
Bildung ist einer der wenigen Rohstoffe des Kantons, der noch zu wenig genutzt wird. Sowohl eine
Stärkung der HTW Chur als auch der Mittelschulen ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ein wichtiges Anliegen.
▸ ▸NO R B E R T WA S E R ( T E X T )
YA N I K B Ü R K L I ( F O T O S )
B
Weichen für Campus gestellt
Die Bedeutung der HTW Chur unterstreicht Rektor Jürg Kessler. Die
praktizierte Nischenstrategie verBT-Stammtisch
steht er so, dass die HTW schweizweit einmalige Studiengänge anbietet, und zwar solche, die sowohl
für Graubünden als auch für die
Schweiz wichtig sind. Denn allein
mit einem Einzugsgebiet von rund
200 000 Einwohnerinnen und Einwohnern könne keine Hochschule
betrieben werden. Bildung und Forschung generierten für den Kanton
Graubünden aber eine hohe Wertschöpfung und müssten deshalb
unbedingt gestärkt werden. Keine
Differenz zur Studie sieht Jürg Kessler auch in der Forderung, die Bereiche Architektur und Bauingenieurwesen zu stärken. Bereits jetzt werde dafür mit dem Slogan «Wer bei
uns bauen kann, kann überall bauen» geworben und es gebe ein Institut für Bauen im alpinen Raum. Als
Beispiel, wie die HTW mit neuen
Studiengängen auf Bedürfnisse re-
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WORTWÖRTLICH
B T- STA M M T I S C H (4/5)
Bildung, darüber herrscht Konsens,
ist für Graubünden ein wichtiges
Gut. Einen speziellen Fokus legt die
Studie zum Strukturwandel im
Berggebiet auf den seit Jahren diskutierten neuen Campus für die
Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur. Provokativ ist die
von Autor Daniel Müller-Jentsch
vertretene These, dass man wohl
mit der Hälfte der 750 Millionen
Franken, die in den letzten 20 Jahren in Ortsumfahrungen im Prättigau investiert wurden, der HTW
ihren lang ersehnten neuen Campus hätte bauen können. Damit wäre das regionale Innovationssystem
Graubündens dauerhaft gestärkt
worden. Am BT-Stammtisch ging
niemand auf diese Provokation ein,
wohl deshalb, weil die Grundaussage der Studie, wonach die HTW gestärkt und ihr Profil geschärft werden sollte, unbestritten ist.
B ü n d n e r Ta g b l a tt
«Die Mittelschulen sind ein vom Tourismus unabhängiger Exportartikel.» JON DOMENIC PAROLINI
«Immerhin hat die Regierung bereits einen
Standortentscheid für einen HTW-Campus
gefällt.»
BARBARA JANOM STEINER
«Es lohnt sich, den Fokus auf Dinge mit Hebelwirkung zu setzen, zum Beispiel die Zweitwohnungsbesitzer.»
DANIEL MÜLLER-JENTSCH
«Die Bruttowertschöpfung der HTW, im letzten
Jahr 41 Millionen, kommt letztlich dem Kanton
zugute.»
JÜRG KESSLER
«Es braucht Leuchtturmprojekte, aber wir müssen
uns auch Gedanken machen, ob und wie wir die
RICO TUOR
peripheren Täler erhalten wollen.»
«Kreativ werden wir entweder aktiv oder dann,
wenn der Druck so gross ist, dass wir gar nicht
mehr anders können.» WALTER VON BALLMOOS
«Über einen zentralen Campus für die HTW Chur
wird seit Jahren diskutiert, aber es mangelt bislang an konkreten Umsetzungsschritten.»
DANIEL MÜLLER JENTSCH
«Ohne vorliegende Akkreditierung können wir
nicht für 100 Millionen und mehr für die HTW
ROBERT HEINZ
einen Campus hinstellen.»
«Der Vorbereitungsprozess für die HTW Chur hat
lange gedauert, das hat aber nicht nur die Politik
BARBARA JANOM STEINER
zu verantworten.»
Bildungspolitik am BT-Stammtisch: Rektor Jürg Kessler (r.) erklärt, weshalb die Verselbstständigung der HTW Chur
und ein neuer Campus für den Kanton Graubünden von hoher Bedeutung sind.
agiert, zeige der neu eingeführte
Photonics-Lehrgang.
Die Bedeutung der HTW Chur
habe auch die Regierung erkannt,
betont Regierungspräsidentin Barbara Janom Steiner. Die Strategie
zur Verselbstständigung der HTW
Chur und der gefällte Standortentscheid für einen Campus würden
dies unterstreichen. Auch die finanziellen Mittel würden bereitgestellt.
Wenn dieser Prozess länger gedauert habe, so habe das nicht nur die
Politik zu verantworten. Auch da
hätten hemmende Strukturen und
Rahmenbedingungen den Prozess
verlangsamt.
Zuerst Verselbstständigung
Rektor Jürg Kessler bestätigt, dass
die HTW bezüglich neuer Studiengänge durch die Einbindung in die
Fachhochschule Ostschweiz zu-
«Es gibt noch
etwas zwischen
Leuchttürmen und
‘klein und fein’»
DANIEL MÜLLER-JENTSCH
rückgebunden ist. Und da setzen
auch die Vorbehalte von Grossrat
Robert Heinz, der sich im Ausschuss
der Geschäftsprüfungskommission
mit der HTW beschäftigt hat, an.
Das Akkreditierungsgesuch sei
zwar abgeschickt worden, wie die
Antwort aus Bern aussehen werde,
sei noch völlig offen. Die HTW und
Auf den Tisch gelegt: Walter von Ballmoos (2.v.l.) schildert am BT-Stammtisch
den mühevollen Weg zu einer Rega-Basis in Davos.
Mittelschulen seien gut und recht,
es brauche aber auch Leute im Kanton, die eine gute berufliche Grundausbildung absolvieren.
Regierungsrat Jon Domenic Parolini weist darauf hin, dass im Regierungsprogramm 2017-20 explizit
die Stärkung des Bildungs- und For-
«Die HTW muss
uns jene Leute
ausbilden, die
wir benötigen»
J O N D O M E N I C PA RO L I N I
schungsstandorts enthalten sei und
die Regierung dem Bau eines Hochschulzentrums absolute Priorität
einräume. Der Volkswirtschaftsminister unterstreicht aber auch die
Bedeutung der Mittelschulen für
den Kanton. Diese seien ein wichtiger Exportwirtschaftszweig von regional- und volkswirtschaftlicher
Bedeutung. Statt Mittelschulen zu
schliessen, gelte es, dessen Exportanteil zu fördern versuchen. Diese
Bedeutung unterstreicht auch
HTW-Rektor Jürg Kessler, der auf
Australien verweist, dessen drittgrösster Exportartikel Bildung sei.
Eine Rega-Basis für Davos?
Mit einem Beispiel, wie in Graubünden Projekte mit grossem Wertschöpfungspotenzial
verhindert
werden, wartet der Davoser Grossrat Walter von Ballmoos auf. Davos
sei der einzige Ort in der ganzen
Schweiz, der gemäss Fluginfrastrukturplan noch einen Flugplatz
bauen könnte. Nun gebe es grosses
Interesse seitens der Schweizerischen Rettungsflugwacht, in Davos
eine Basis einzurichten. Weil nun
aber der Landbesitzer in der Exekutive sitze und aus Partikularinteressen das nicht wolle, werde dieses
Projekt einfach nicht umgesetzt.
Die Rega würde von sich aus in Davos zehn Millionen Franken investieren, würde zehn qualifizierte
Arbeitsplätze schaffen. Das würde
potenziell auch Familien mit Kindern nach Davos bringen, was wiederum der Schule nützen würde.
Weil die Rega die Ärzte nicht selber
anstellen würde, wäre eine RegaBasis auch für das Spital Davos von
grosser Bedeutung. Auch aus Um-
weltsicht wäre eine solche Basis ein
Gewinn. Weil die Rega aus Kostengründen möglichst kurze Distanzen
zu den Einsatzorten anstrebe, würden die Flugdistanzen mit Ausgangspunkt Davos wesentlich kürzer, als wenn die Helikopter aus Untervaz oder Samedan anfliegen
müssen. Wenn er auf politischer
Ebene nicht schon zwei Vorstösse
gemacht hätte, wäre dieses Projekt
schon lange versandet. Handeln
müsste da zwar Davos, dessen Zentrumsfunktion mit der Realisierung
einer solchen Basis gestärkt würde,
dies hätte aber positive Auswirkungen weit über die Region hinaus.
Die Gründe, weshalb Projekte
nicht umgesetzt werden, sind oft
vielschichtig. Der auf nachhaltigen
Tourismus spezialisierte Stefan
Forster hat schon oft die Erfahrung
gemacht, dass Umweltschutzgründe gerne vorgeschoben werden, obwohl es im Kern eine ganz andere
Motivation gebe, ein Projekt zu verhindern.
«Die Digitalisierung macht keinen Unterschied, ob
man Romanisch oder Italienisch spricht.»
ALOIS VINZENS
«Wir haben gesunde Staatsfinanzen, also Geld, das wir
jetzt schlau investieren können»: Peter Peyer.
«In Sachen Wintersport müssen wir nicht besonders aktiv werden, da wird der Klimawandel viele
andere aussortieren.» WALTER VON BALLMOOS
«In Davos wurde das Ortsbild durch Mangel an
vorausschauender Planung und fehlendem
Respekt vor historischer Bausubstanz zerstört.»
DANIEL MÜLLER-JENTSCH
«Wir müssen die Zweitwohnungsbesitzer, die
emotional an ihren Standort gebunden sind, als
Botschafter zurückgewinnen.»
JON DOMENIC PAROLINI
Die Stammtischteilnehmenden
Am BT-Stammtisch zur Publikation
«Strukturwandel im Schweizer
Berggebiet» von Avenir Suisse in
der Loungebar «Schall und Rauch»
in Chur diskutierte der Autor
Daniel Müller-Jentsch mit Regierungspräsidentin Barbara Janom
Steiner, Vorsteherin Departement
Finanzen und Gemeinden, Regierungsrat Jon Domenic Parolini,
Vorsteher Departement Volkswirtschaft und Soziales, Alois Vinzens,
Präsident des Wirtschaftsforums
Graubünden und CEO Graubündner
Kantonalbank, Stefan Forster,
Leiter Fachstelle für Tourismus und
Nachhaltige Entwicklung, ZHAW,
Wergenstein, Peter Peyer, Gewerkschaftssekretär, Grossrat und
SP-Regierungsratskandidat, Trin,
Rico Tuor, VR-Präsident Medelina
SA, Wirtschaftsförderer, Medel/
Lucmagn, Walter von Ballmoos,
Bergführer, Unternehmer, Grossrat
GLP, Davos, Robert Heinz, Bergbauer, Grossrat BDP, Avers-Cresta,
und Jürg Kessler, Rektor Hochschule für Technik und Wirtschaft
HTW Chur. Die Gesprächsleitung
hatte Norbert Waser, stv. Chefredaktor «Bündner Tagblatt». (NW)
«Ich stehe auch hinter der HTW, aber es gibt schon
noch Hausaufgaben zu erledigen»: Robert Heinz.
«Wir haben doch eine super Strategie, das ist die
Marke Graubünden und ihre Kernwerte wahr,
wohltuend und weitsichtig.» STEFAN FORSTER
«Es braucht ein paar Motoren, die rattern und die
Kernwirtschaft ankurbeln, damit Menschen in
dieser Bergregion leben können.» ALOIS VINZENS
«Für die Regierung hat der Bau eines Hochschulzentrums absolute Priorität.»
JON DOMENIC PAROLINI
«Man kann nicht immer nur den anderen die
Schuld geben, manchmal fehlt auch schlicht die
Kraft, ein Projekt anzupacken und umzusetzen.»
STEFAN FORSTER