SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Wissen Graf Zeppelin und seine Luftschiffe Zum 100. Todestag von Ferdinand von Zeppelin Von Udo Zindel Sendung: Montag, 6. März 2017, 8:30 – 8:58 Uhr, SWR2 Wissen Redaktion: Gábor Páal Regie: Udo Zindel Produktion: SWR 2013 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Wissen können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de oder als Podcast nachhören:http://www1.swr.de/podcast/xml/swr2/wissen.xml Die Manuskripte von SWR2 Wissen gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. 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Jahrhunderts auf Schallplatte aufgezeichnet: Ferdinand Zeppelin: Meine Luftschiffe werden bald zu den betriebssichersten Fahrzeugen zählen, mit welchen weite Reisen, bei verhältnismäßig geringster Gefahr für Leib und Leben der Insassen, ausführbar sind. Mit froher Zuversicht darf das deutsche Volk demnach annehmen, dass es sich... einen gangbaren Weg zur wahrhaftigen Eroberung des Luftmeeres aufgetan hat... Wenn mir noch ein paar Jahre des Schaffens geschenkt werden, so werde ich das seltene, hohe Glück haben, den vollen Erfolg einer bedeutsamen Erfindung, zu deren Werkzeug ich erkoren war, erleben zu dürfen. Erzählerin: Ein merkwürdiger Luftfahrtpionier ist Graf Zeppelin freilich, einer der kein einziges Patent selbst erfunden, der kaum etwas eigenhändig konstruiert hat. Er ist zwar Aushängeschild und größter Geldgeber des ehrgeizigen Projektes und unterhält beste Beziehungen zum württembergischen Königshaus. Doch Ballone und Lenkballone, wie man die ersten Luftschiffe nannte, wurden in Frankreich erfunden – ab Ende des 18. Jahrhunderts bereits. Erprobt wurden sie von waghalsigen Pionieren wie dem Brasilianer Alberto Santos-Dumont, der zum ersten Mal den Eiffelturm umflog. Musik Erzählerin: Ferdinand von Zeppelin, zu dessen Ehren dieser Marsch komponiert wurde, ist Offizier. Er sieht in Luftschiffen vor allem raffinierte Waffen, die dem deutschen Kaiserreich militärische Überlegenheit versprechen. Seine erste Vision soll dem 2 Grafen schon 1863 gekommen sein, als er – als Beobachter des Amerikanischen Bürgerkrieges – zum ersten Mal den militärischen Einsatz von Ballonen erlebte. Über Saint Paul, Minnesota, konnte er selbst am Aufstieg eines Fesselballons teilnehmen. 1890 endet die Karriere des lang gedienten Kavallerie-Generals jäh: Graf Zeppelin fällt bei preußischen Militärs in Ungnade. Eine Schmach, die dem 52-Jährigen zugleich die Chance bietet, sich nun ganz der Entwicklung von Starr-Luftschiffen zu widmen. Jürgen Bleibler, Kurator der Luftschiff-Ausstellung im Zeppelin-Museum Friedrichshafen, erzählt: O-Ton – Jürgen Bleibler: Er scheidet aus dem Militärdienst aus, unfreiwillig, fühlt sich zurückgesetzt und gekränkt und persönlich auch beleidigt und nimmt nun diese Idee aus der Schublade, mit der Intention, jetzt etwas ganz Großes, ganz Irres, ganz Visionäres – etwas zu schaffen, wo eigentlich jeder sagen würde, das ist gar nicht machbar, was der Mensch da betreibt. Und so in knapp zehn Jahren vollbringt er eine wirklich großartige, vielleicht seine größte Leistung überhaupt: in der Theorie, gegen alle Widerstände etwas zu machen, wofür es - methodisch, wissenschaftlich, technisch einfach keinerlei Vorbilder gibt. Erzählerin: Noch hat er freilich seine liebe Not mit den Zeppelinen, wie die deutschen StarrLuftschiffe bald überall genannt werden. Die ersten Prototypen zerbrechen in Böen, die Motoren erweisen sich als unzuverlässig, die Luftschiffe als schwer steuerbar. Graf Zeppelin fehlt es an Kapital, und die Berliner Reichsregierung, der er seine Geheimwaffe wie sauer Bier anbietet, bleibt skeptisch und lehnt ab, Jahr für Jahr. Kaiser Wilhelm II. beschimpft den unbeirrbaren Konstanzer Visionär einmal gar als "Dümmsten aller Süddeutschen". O-Ton – Jürgen Bleibler: Zeppelin wurde sozusagen ja dann auch das Opfer seiner eigenen PR-Arbeit, die er leisten musste, um an Geld zu kommen, um Industrielle für Grundlagenforschung, für Komponentenentwicklung zu gewinnen – und natürlich auch um die Militärs einzufangen. Also er musste hoch pokern und hohe Versprechungen machen. Und da hat die Realität bei einem derartig riesigen und komplexen Luftfahrzeug im Jahr 1900 – das war drei Jahre vor den Brüdern Wright und es war 128 Meter lang, das ist unvorstellbar – das hat ihn dann sozusagen auch selber eingeholt. Erzählerin: Der 1995 verstorbene schwäbische Historiker Wilhelm Kohlhaas hatte die Anfangszeit der Zeppeline als Augenzeuge erlebt. Er erzählte in einem Interview des Süddeutschen Rundfunks, was man damals über den "närrischen Graf vom Bodensee" dachte: O-Ton – Wilhelm Kohlhaas: Die Leut’ haben mehr von ihm wie von 'nem Spinner geredet, weil die ersten Versuche doch missglückt waren. Da war diese Zigarre, die aus der großen Luftschiffhalle bei Manzell, bei Friedrichshafen, rausguckte, und es waren nicht viel Ergebnisse, außer ein paar Pannen. Und ich erinnere mich an einen Vers, der 3 damals auch in der Presse kam: Lange kam vom Schwäb'schen Meer sonderbare Kunde her, dass dort einer, der wohl toll, gar das Fliegen lernen woll, Zippel, Zappel, Zeppelin, Zeppelin ischt wieder hin. Erzählerin: 1908 endlich verpflichtet sich die Reichsregierung, die weitere Entwicklung der Zeppeline zu finanzieren, wenn eine 24-stündige Zielfahrt gelingt. Wichtigste Voraussetzung: Ein Luftschiff muss aus eigener Kraft an seinen Ausgangsort zurückkehren. Atmo: Motorenknattern, Musik Erzählerin: Am 4. August 1908 startet das Luftschiff LZ-4, der vierte Prototyp Zeppelins, um 6:22 Uhr zur alles entscheidenden Langstreckenfahrt. An Bord der mittlerweile 70-jährige Graf. Er lässt von Friedrichshafen aus über den Bodensee steuern und dann rheinabwärts, über Konstanz, Schaffhausen und Basel hinweg. Jubel überall: In Straßburg grüßt der Oberbürgermeister persönlich vom Turm des Münsters herüber. Mannheim und Worms werden überflogen, dann geht es weiter Richtung Mainz, in Abenddämmerung und Nacht hinein. Als sich der Zeppelin frühmorgens der königlichen Residenzstadt Stuttgart nähert, läuten dort alle Kirchenglocken. O-Ton – Wilhelm Kohlhaas: Ganz Stuttgart war auf den Dächern. Und man meint, man hätt se jubeln hören, denn überall die Gesten und so. Aber sicher war's nicht der Jubel, sondern der Krach, der Donner von den Motoren war viel größer; es war fabelhaft! Und wenn ich heute sag, im 85. Lebensjahr, etwas Bedeutenderes habe ich vielleicht nie in meinem abenteuerlichen Leben noch gesehen, wie dieses, dass Menschen wirklich in der Luft da etwas steuern konnten, wo sie hin wollten. Er kurvte da, er beschrieb Kreise, er machte ein kleines Kompliment mit der Nasenspitze gegen den Wilhelmspalais zu, er soll auch einen Kranz runtergeworfen haben – den hab ich nicht gesehen – und dann verschwand er über der Degerlocher Höhe. Erzählerin: In der Führerkanzel des LZ-4 ist der Begeisterungstaumel derweil fieberhafter Anspannung gewichen. Ein Kurbelwellenlager an einem der Motoren ist heiß gelaufen: Notlandung – bei Echterdingen auf den Fildern. Dort wird der Zeppelin auf einem Acker provisorisch verankert, Soldaten der Stuttgarter Garnison halten ihn mit Seilen am Boden, so gut es geht. Bis ein Gewitter heran zieht: böiger, umspringender Wind – der größte Schrecken der Luftschiffer. Eine Augenzeugin erinnert sich: O-Ton – Augenzeugin: Auf einmal bewegt er sich, und nah kam a bissl Wind auf, und nah isch er in die Höhe gegangen. In zehn Meter Höhe isch noch'n Mann abgesprungen, Ingenieur oder so, net, und – der ganze Zeppelin ging in Flammen auf. Des war also unglaublich, mir send dagstande – alles still, gweint hat mr teilweise. Mir habe gsagt, wo isch der Zeppelin, Graf Zeppelin, net, wo isch er, und nah kam er daher, an Haufe Leut um ihn rum, net, und Träne sind ihm runtergerollt. 4 Sprecher: Glück im Unglück: Der ausgeglühte Zeppelin und sein beharrlicher, trotziger Verfechter lösen eine Welle von Mitgefühl und nationaler Begeisterung aus – quer durch das Kaiserreich. Noch am Unglücksort beginnen Luftschiffbegeisterte Spenden zu sammeln. Bald sind sechs Millionen Reichsmark zusammen, eine Sympathiebekundung ohnegleichen – und ein stolzes Startkapital für die Luftschiffbau Zeppelin GmbH in Friedrichshafen. Musik O-Ton – Jürgen Bleibler: Das sind natürlich die Rührbriefe von den kleinen Buben und kleinen Mädels, die zehn Pfennig schicken, oder das Zimmermädchen, das sich da was abspart oder der Kleinbürger, der sich was abknapst. Aber dabei waren natürlich auch die Großspenden, aus einer Industrie, die zum Beispiel daran interessiert war, dass das weiter geht, weil sie sich zukünftige Absatzchancen von dem Ganzen versprochen hat. Es ist im Grunde genommen ein riesiges Gemenge und eigentlich ein Querschnitt durch die damalige Gesellschaft im Kaiserreich. Erzählerin: Ende 1909 wird in Frankfurt am Main die Deutsche Luftschiffahrts-AG gegründet, die erste Fluggesellschaft der Welt. Ihre Passagiere genießen den Komfort einer Bahnreise erster Klasse, während sie, ungläubig staunend, ein paar hundert Meter hoch über der Landschaft schweben. Ein mühelos wirkendes, fast geräuschloses Dahingleiten in beschaulichem Tempo. An die 35.000 Menschen werden so ohne ernste Personenschäden befördert, auf Rundflügen von Baden-Baden, Frankfurt, Leipzig oder Dresden aus. Musik Erzählerin: Bevor sich die zivile Luftschifffahrt zu einem echten Verkehrsmittel entwickeln kann, beginnt der Erste Weltkrieg. Die Zeppelinwerft in Friedrichshafen wächst zu einem der größten Konzerne im deutschen Südwesten, mit 17.000 Mitarbeitern. Zulieferer und Komponentenentwickler, die später zu Weltfirmen werden sollten, entstehen: Die Maybach-Werke liefern leistungsstarke Benzinmotoren, die Zahnradfabrik Friedrichshafen Getriebe, die Ballonhüllen GmbH die Baumwoll-Bespannungen. Neben Militärflugzeugen werden in Friedrichshafen an die 100 Zeppeline für Heer und Marine gebaut. Die einst so harmlosen, majestätischen Luftschiffe tauchen jetzt im Schutz der Nacht über Belgien und Großbritannien auf und lassen Sprengbomben und Brandsätze fallen: auf Antwerpen und London, auf die englischen Midlands, ja sogar auf das schottische Edinburgh. Es ist der erste strategische Bombenkrieg der Geschichte – ein Krieg auch gegen damals vollkommen ungeschützte Zivilisten. Graf Zeppelin – ein glühender Militarist – befürwortet ihn ebenso vorbehaltlos wie den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Aber noch bevor der Graf 1917 stirbt, entpuppen sich Luftschiffe als militärische Versager, egal ob auf deutscher, auf französischer oder britischer Seite. Sie sind 5 vom Wesen her sanfte, friedliche Fluggeräte, zu groß, zu langsam, zu träge für den Krieg. Sie werden von wendigeren Jagdflugzeugen bedrängt wie von Hornissen, werden in gefährlich sauerstoffarme, eiskalte Höhen gezwungen, manövrierunfähig geschossen oder gehen in Flammen auf. O-Ton – Jürgen Bleibler: Und so macht eben das Heer 1916/17 einen Strich und stellt auf‘s Flugzeug um. Weil ja natürlich das Flugzeug auch, von seinen vermeintlich harmlosen Anfängen 1914 als Waffe eine Entwicklung durchlaufen hat, sich ausdifferenzieren konnte, in mittelschwere oder schwere Bombenflugzeuge, in Jagdflugzeuge, in Aufklärungsflugzeuge. Was natürlich den Luftkrieg auch total verändert hat und in eine neue, schreckliche Dimension geführt hat. Erzählerin: Flugzeuge sind jetzt überall im Aufwind – der Stern der Luftschifffahrt scheint nach dem Ersten Weltkrieg langsam aber unaufhörlich zu sinken. Großbritannien, Frankreich und Italien ziehen sich wegen tragischer Unglücksfälle aus dem Luftschiffbau zurück. Doch in Friedrichshafen wird auf eine zweite, friedliche Blütezeit der Zeppeline hingearbeitet. Der Kopf des Zeppelin-Konzerns ist mittlerweile Hugo Eckener, ein früherer Journalist, der aus einer Mischung von Begeisterung und Begabung Luftschiffkapitän wurde: O-Ton – Jürgen Bleibler: Eckener hat sich als der Nachfolger des Grafen Zeppelin gesehen. Er wollte diese großen Schuhe ausfüllen. Und bei Kriegsende hatte das Luftschiff keine breite militärische Zukunft und in Deutschland ja sowieso nicht. Und dann kam die Vision vom interkontinentalen Luftverkehr. Sie müssen sich vorstellen, von 1914 bis 1918 stieg die Reichweite von 2.000 Kilometern – das war 1914 auch schon unglaublich viel für ein Luftfahrzeug – aber 1918 lagen die Reichweiten der Schiffe bei 10.000 Kilometern. Und darauf hat Eckener aufgesattelt. Musik Erzählerin: 1928, ein Jahr nach Charles Lindberghs Alleinflug über den Atlantik, geht das berühmteste deutsche Luftschiff, die "Graf Zeppelin", von Friedrichshafen aus auf Jungfernfahrt. Sie legt insgesamt 1,7 Millionen Kilometer zurück und überquert 150 Mal den Atlantik, ohne einen Unfall. Hugo Eckener will so den alten Vorwurf entkräften, Luftschiffe seien bloße Schönwetterfahrzeuge, sie müssten scheitern bei Gewitter, Sturmböen, Eis und Schnee, wie Umberto Nobiles "Italia" in der Arktis. Um ihre Allwettertauglichkeit zu beweisen, lässt Eckener die "Graf Zeppelin" in den Orient fahren, er lässt sie über asiatischen Tundren und Steppen schweben, wagt sich mit ihr ins nördliche Eismeer, nach Spitzbergen und zum tiefvergletscherten Franz-Josefs-Land. 1929 fährt das "glückhafte Schiff", wie man den Zeppelin bald nennt, in drei Wochen um die ganze Welt, von Eckener persönlich geführt, und von dem amerikanischen Pressemagnaten Randolph Hearst finanziert. Hugo Eckener erzählt im Rundfunk von der Fahrt über die Weiten Sibiriens: 6 O-Ton – Hugo Eckener: Ich darf wohl sagen, dass es die großartigste Fahrt war, die wir je mit dem Graf Zeppelin machten. Großartig war sie, so sonderbar es vielleicht klingt, durch die ungeheure Eintönigkeit der überflogenen gewaltigen Länderstrecke. Nachdem wir die unbewohnbaren Taiga-Sümpfe am Ob-Fluss und dann eine ganz kleine menschliche Siedlung am Jenissei überquert hatten, haben wir auf der ganzen drei- bis viertausend Kilometer langen Strecke bis Jakutsk nicht mehr als fünf oder sechs Menschen unterwegs gesehen. Erzählerin: Wo sie auch landet, ob in Tokio, in Los Angeles, New York oder Friedrichshafen – die "Graf Zeppelin" zieht ein Medienspektakel nach sich, das dem der ersten Mondlandung, genau 40 Jahre später, in nichts nachsteht. Hugo Eckener verwandelt die gescheiterte Geheimwaffe des kaisertreuen Grafen in ein Symbol des Friedens und der Völkerverständigung. Die schwebende Riesenzigarre mit ihren sonor dröhnenden Motoren versetzt Zuschauer auf allen Erdteilen in kindliches Staunen und erhebt sie für einen Moment über das Elend der Weltwirtschaftskrise. Musik Erzählerin: 1936 beginnt die deutsche Zeppelin-Reederei im großen Stil mit Post- und Passagierfahrten über den Atlantik, nach Nord- und Südamerika. Dreieinhalb Tage nur dauert eine Fahrt von Frankfurt nach Rio de Janeiro – auf einem Passagierdampfer ist man zwei Wochen unterwegs. Das Luftschiff, eine direktere und komfortablere Verbindung als selbst das Flugzeug, bleibt freilich den Reichsten der Reichen vorbehalten. 1.500 Mark kostet die Passage von Frankfurt nach Rio – das entspricht dem halben Jahresverdienst eines Facharbeiters. Theo Ritter hat das Glück, auf einem der schwebenden Luxusliner als Maschinist angeheuert zu werden. So hat er in seiner knappen Freizeit Gelegenheit, eines der angenehmsten Verkehrsmittel der Geschichte zu genießen. O-Ton – Theo Ritter: Wir hatten teilweise bei Freiwache einen wunderschönen Platz, oben in der Spitze, dss sind ganz große Plexiglasfenster, da waren Bänke oben, und da saß man und hat die ganze Gegend vor sich – das ist auch für die Landemanöver, dass Sie alles sehen, was da los ist, das ist ein sehr schöner Platz, und da oben hat man sich auch gerne aufgehalten. Oder ich war zum Beispiel auch gerne in der Schwanzflosse hinten, da ist auch ein Fenster drin, da sitzt man dann unten und sieht das ganze Schiff vor sich. Und dann musste man ja auch schlafen, denn wir hatten ja höchstens vier, fünf Stunden Schlaf zwischen den Wachen. Erzählerin: Maschinist Ritter gehört zur Besatzung der "Hindenburg", einer neuen Gattung von Zeppelinen, mit den Dimensionen großer Ozeandampfer: Länge 250 Meter, Durchmesser 40 Meter, Tragkraft 100 Tonnen. Vier Schnellbootmotoren von zusammen 5000 PS schieben diesen Riesen der Lüfte mit mächtigen Propellern voran. Höchstgeschwindigkeit: 140 Stundenkilometer. Unter der Hülle aus silbrig lackiertem Baumwollstoff verbirgt sich ein filigranes Skelett superleichter 7 Aluminiumträger, die Bleche kaum einen Millimeter stark. Die ganze Hindenburg – das größte Fluggerät aller Zeiten – wiegt wenig mehr als eine Dampflokomotive. Obwohl an Gewicht gespart wird, wo es nur geht, bietet das Luftschiff ein Reisegefühl, wie man es seither nie mehr erlebt hat. Oskar Fink und Adolf Fischer, Besatzungsmitglieder an Bord der großen Zeppeline, erzählen: O-Ton – Oskar Fink und Adolf Fischer: Sie haben freie Bewegung gehabt, nicht wie heute im Jumbo, wo einer neben dem anderen sitzt, und er musste sich nachher mit der Lehne schon rumstreiten, wer jetzt die Armlehne benützen kann. Die Hindenburg war ja praktisch genommen ein fliegendes Hotel... Mir haben drei Köche an Bord ghabt. Die Passagiere henn jeden Morga scho frische Brötchen kriagt. Und die konnten auch beim Hindenburg jeden Tag ein Brausebad nehmen. Allerdings mit der Uhr, dass se nicht zuviel Wasser vernichten. Mir henn zwanzig Tonnen Frischwasser dabeighabt. Musik Erzählerin: Die Kabinen für die rund 70 Passagiere liegen im Inneren des gewaltigen Rumpfes, zwei Stockwerke hoch, im klaren, funktionalen Bauhaus-Stil gestaltet. In die Außenhülle des Luftschiffes sind großzügige Fenstergalerien eingelassen, deren Scheiben sich öffnen lassen, für freieren Blick in die Tiefe. An die Galerien schließen sich Bar, Rauchsalon, Lesezimmer und Speisesaal an. Der Haken an der eleganten, beschaulichen Luftschifffahrt ist, dass sie sich wirtschaftlich nicht lohnt. Trotz der horrend teuren Luxuspassagen, trotz vieler Tonnen Luftpost an Bord, bleibt die Transatlantikfahrt ein Minusgeschäft, zu dem die Nazis Millionen Reichsmark zuschießen. Nicht ohne Hintergedanken: Sie erkennen sehr bald, dass sich Zeppeline hervorragend als Propagandainstrumente missbrauchen lassen. Hermann Göring veranlasst, dass die Schwanzflosse der Hindenburg mit Hakenkreuzen bemalt wird. Vielleicht ist es diese Propaganda, die der Hindenburg schließlich zum Verhängnis wird. Das Luftschiff sollte eigentlich mit unbrennbarem Helium gefüllt werden, die doch die Vereinigten Staaten haben ein Monopol auf das Edelgas und weigern sich zu liefern – wegen der gespannten Beziehung zu Nazideutschland. So ist die Hindenburg prallvoll mit brennbarem Wasserstoff, als sie am Himmelfahrtstag des Jahres 1937 den Zeppelinhafen Lakehurst bei New York ansteuert. Reporter Herb Morrison berichtet damals live: O-Ton – Herb Morrison: The ship is gliding… just enough to keep it from... (bricht ab) Übersetzer: Das Luftschiff gleitet majestätisch auf uns zu, wie ein übergroßer Baseballschläger... Jetzt steht es praktisch still in der Luft, das Bugtau hängt von der Spitze herab, die übrigens ein wenig nach oben zeigt. Die Motoren am Heck des Luftschiffes halten es grade eben auf Position, sie verhindern, dass es... (bricht ab). 8 Erzählerin: Maschinist Adolf Fischer steht zu dieser Zeit in einer der Motorenkanzeln am Bauch des Luftschiffes. Er wartet auf Kommandos des Maschinentelegrafen, als er die Katastrophe kommen spürt: O-Ton – Adolf Fischer: Wir haben gesehen, dass ein örtliches Gewitter über dem Platz steht, und da ist ein Blitz um den anderen runter. Und da hat's plötzlich einen großen Ruck gegeben, dann schaut man zuerst in der Maschine, ob da nicht etwas zerbrochen ist oder etwas in den Propeller reingefallen ist und der Propeller kaputt ist. Und dann hab ich rausgeschaut und gesehen, wie plötzlich das Feuer dort am Schiff entlang rast wie an einem Reißverschluss. Und was nachher passiert ist, also das ist alles dermaßen schnell gegangen, da hat man sich nur noch festgehalten. Innerhalb von 40 Sekunden war ja alles vorbei, so schnell ging ja das abwärts, weil das ganze Gas – wir haben noch 150.000 Kubikmeter reinen Wasserstoff gehabt – und das hat mit einem Schlag alles gebrannt. O-Ton – Herb Morrison: It's bursting into flames, … he humanity and (reißt ab). Übersetzer: Es ist grauenerregend, schrecklich, oh mein Gott! Schlagartig steht es in Flammen und stürzt ab, auf die Bodenmannschaft herunter. Das ist eine der furchtbarsten Katastrophen der Welt. Die Flammen schießen 100, 150, 200 Meter hoch in den Himmel. Dies ist ein grauenhafter Ort, meine Damen und Herren, dieser Rauch und diese Flammen – und das Luftschiff-Skelett stürzt fast auf den Ankermast... (bricht ab) Erzählerin: Adolf Fischer überlebt mit Verbrennungen dritten Grades, 34 Besatzungsmitglieder und Passagiere und ein Mann des Bodenpersonals sterben in den Flammen. Andere bleiben ihr Leben lang von Brandnarben entstellt. Die Ursache des Unglücks wird nie endgültig geklärt. Anfängliche Spekulationen über einen Sabotageakt werden wieder verworfen. Von Blitzschlag oder Selbstentzündung durch elektrostatische Aufladung ist die Rede. Jedenfalls bedeutet die Katastrophe der Hindenburg das Ende der Überseefahrten mit großen Luftschiffen. Musik Erzählerin: Nach dem Krieg lohnt der Neuanfang nicht mehr. In Flugzeugen überqueren Passagiere den Atlantik in einem Tag, und das um vieles billiger als an Bord eines Luftschiffes. Von den Zeppelinen der 30er-Jahre bleiben nur ein paar Fragmente: Fotos, Baupläne, eine Motorgondel, ein Porzellanservice, eine Speisekarte, präsentiert im Friedrichshafener Zeppelin-Museum. Nur Eingeweihte wissen, dass die Luftschifffahrt ihre bedeutendsten Spuren anderswo hinterlassen hat: geniale Konstruktionen im Leichtmetallbau, Fortschritte in der Motorentechnik, in der 9 Aerodynamik, der Flugwetterkunde und der Navigation. Auch das Luftpostpapier ist eine Errungenschaft der Luftschifffahrt, aus der Zeit Hugo Eckeners. Zitator: Eines ist sicher... Erzählerin: ... soll er 1954 gesagt haben, wenige Wochen vor seinem Tode: Zitator: ... das Luftschiff ist dem deutschen Volk immer als ein Symbol des Friedens erschienen, wenn es in seinem ruhigen Fluge dahinzog. Sollte das je wieder der Fall sein, so wird das bedeuten, dass die Welt friedlich geworden ist. Erzählerin: Die Welt ist zwar nicht friedlicher geworden, doch seit Ende der 90er-Jahre ziehen Zeppeline wieder in ruhigem Flug dahin: Es sind nicht mehr die riesenhaften StarrLuftschiffe des Grafen – es sind kleine, halbstarre Luftschiffe aus neuen Werkstoffen und mit neuer Antriebstechnik, gebaut von der Nachfolgefirma des ZeppelinKonzerns in Friedrichshafen. Sie bietet Rundflüge über dem Bodensee und seinem Umland an. Die Zeppeline Neuer Technologie – kurz ZNT – werden daneben auch für Werbekampagnen und die Suche nach Bodenschätzen, zur Beobachtung von Staus und für die Überwachung aus der Luft eingesetzt. Klaus Hagenlocher, der bis zu seinem Ruhestand mehr als ein Jahrzehnt lang die Entwicklung des ZNT leitete, erzählt: O-Ton – Klaus Hagenlocher: Die Luftschiff hat gegenüber dem Flugzeug den großen Vorteil, dass es sehr, sehr lang in der Luft bleiben kann, dass es praktisch in der Luft stehen kann, und damit zum Beispiel bei geringer Höhe Bodenproben nehmen kann oder Wasserproben nehmen kann, was Sie ja mit dem Flugzeug nicht machen können. Auch Überwachung von Schifffahrtstraßen überm Meer, wo Sie Einsätze über zwei, drei, vier Tage machen können – das ist nicht vorstellbar mit 'm Flugzeug, oder Sie müssten eine Luftbetankung machen. Erzählerin: Auch die 150 Jahre alte Vision vom Luftschiff als Waffe hält sich hartnäckig. Bis in jüngste Zeit noch ließen die US-Streitkräfte ultramoderne Luftschiffe entwickeln. Eines hätte im Frühjahr 2013 in 6.000 Metern Höhe über Afghanistan stationiert werden sollen – ein unbemannter, riesenhafter Luftschiff-Roboter, ausgestattet mit modernster Sensoren-, Spionage- und Kommunikationstechnik – und mit Hochleistungscomputern. Unempfindlich gegen Maschinengewehrfeuer, ja selbst gegen kleine Lenkwaffen. Man hoffte, mit dem Hightech-Gimmick Erfolge gegen die Taliban erzwingen zu können und eine ihrer Geldquellen – den Opiumanbau – auszutrocknen. Im Internet sind Videos von einer Testfahrt Anfang August 2012 zu sehen – vom geschichtsträchtigen Lakehurst aus. Doch Anfang 2013 stellten die USStreitkräfte das Projekt ein. 10 Die Hybrid-Luftschiffe fielen schwerer aus als erwartet und konnten deshalb nur fünf oder sechs statt der geplanten 21 Tage in der Luft bleiben. Es soll Probleme mit der drahtlosen Übertragung der riesigen Datenmengen der Spionage-Software gegeben haben. Musik Erzählerin: Wieder einmal enttäuscht das Luftschiff als "Geheimwaffe" militärisch – wie schon die dröhnenden Ungetüme des Grafen Zeppelin, die bei Nacht und Nebel Bomben auf wehrlose Briten und Belgier warfen und dann selbst Opfer von Jagdflugzeugen wurden. Es scheint, als seien Luftschiffe von ihrer Natur her eher friedlich – und als habe das bisher, vom Grafen Zeppelin bis zu heutigen Militärstrategen, kaum einer so recht verstehen wollen. ***** 11
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