gesellschaft WIRTH SPORT LUZERN Zu Besuch bei vier Schweizer Laufsportgeschäften WENN DAS HOBBY ZUM BERUF WIRD «Joggen war für mich schon immer der perfekte Stressabbauer», sagt Mario Simmen, «wann immer der Kopf gelüftet werden musste, ging ich eine Runde joggen.» Der gelernte Elektrozeichner und spätere IT-Projektleiter übernahm vor rund fünf Jahren den Laufladen seines Schwiegervaters. Als neuer Inhaber und Geschäftsführer von Wirth Sport Luzern fühlte er sich auf Anhieb wohl. «Der Laufschuhkauf hat mit Hobby zu tun», holt der 38-Jährige aus. «Und wenn es ums Hobby geht, sind die Kunden eigentlich immer gut aufgelegt.» « TEXT: ROBERT PETERHANS FOTOS: ANDREAS GONSETH Wenn man kämpfen muss, gibt dies ein gutes Fundament», sagt Mathias Bernhart. Der gelernte Sportartikelverkäufer wagte vor siebzehn Jahren mit der Übernahme eines bestehenden Laufshops in Zürich Oerlikon den Sprung in die berufliche Selbstständigkeit. Bereut hat er diesen Schritt nie. Die ersten Jahre waren allerdings hart: «Ich habe mir oft überlegt, wie ich mein Mittagessen bezahlen kann und Ferien blieben Wunschdenken.» Erst nach drei Jahren konnte Bernhart von seinem Geschäft leben. Der persönliche Draht zwischen ihm und vieler seiner Kunden wächst bis heute und ist zur Win-win-Situation geworden. «Im Geschäft bin ich im ständigen direkten Kontakt mit meinen Kunden», antwortet der 58-Jährige auf die Frage, nach welchen Kriterien er das Sortiment zusammenstelle. «Durch die Gespräche erfahre ich viel über Produktwünsche und neue Bedürfnisse, so dass ich die Auswahl stets aktuell ergänzen kann.» Spezialisierte Laufsportgeschäfte haben es nicht leicht gegen Online-Anbieter und den Grosshandel. Gerade für Läufer ist eine kompetente Beratung aber zentral, weshalb inhabergeführte Laufshops eine Nische bilden können, die Individualität, Konstanz und Nähe bietet. FIT for LIFE hat vier Protagonisten besucht. Aus dem ambitionierten Hobbyläufer von einst ist ein fitter Multisportler geworden, der sich wohlfühlt mit seiner Einpersonenfirma. Jährliche Mindestbestellmengen, wie sie Adidas und Nike als grosse Player vorschreiben, würden für ihn ein finanzielles Abenteuer bedeuten, darum führt er diese Label nicht. Zudem möchte er seine Unabhängigkeit bewahren. Als erster Händler in der Region stellte er dafür Hoka One One Laufschuhe in die Regale. Damals ein Geheimtipp, heute eine rasant wachsende Marke. Als Verkäufer wirkt Bernhart unaufdringlich und sachlich. «Mir ist wichtig, im Geschäft mich selber zu sein und mich nicht zu verstellen», sagt er zu seiner Einstellung. Die Beratung hat für ihn einen Wert. Deshalb hat er angefangen, 30 Franken zu verlangen, wenn jemand nach einer ausführlichen Beratung den Laden ohne Kauf verlässt. Die 30 Franken erhält der Kunde aber wieder angerechnet, wenn er etwas später einen Laufschuh kauft. Eine Massnahme, die er trotz einiger negativer Reaktionen beibehalten will, da sie seine Glaubwürdigkeit als Fachberater stärke. 2015/16 verzeichnete er Rekordumsätze. Zum Teil führt er das darauf zurück, dass nach der Schliessung des Ryffel-Running-Geschäftes in Uster zahlreiche Kunden gezielt ein neues Laufsport-Fachgeschäft suchten und so zu ihm gelangten. Moderat gestützte Schuhe verkauft er seit jeher am meisten. Der Profi ist aber ein Anhänger der vielfältigen Auswahl. «Den ultimativen Schuh, der für alle genau passt, gibt es glücklicherweise nicht. Sonst wäre ich arbeitslos.» > Mathias Bernhart vor seinem Laufgeschäft in Zürich Oerlikon. 46 FITforLIFE 3-17 Das aufgestellte Umfeld ist aber nicht der einzige Grund, warum Simmen in seinem Job eine grosse Befriedigung verspürt. «Als Selbstständiger muss man halt nur das machen, was einem wirklich sinnvoll und wichtig erscheint – nicht das, was einem ein Vorgesetzter oder ein Gremium vorgibt.» Und Herausforderungen gibt es viele. So beobachtet der Familienvater etwa, dass die Kunden heute deutlich besser informiert sind und bereits klare Kaufvorstellungen haben, wenn sie in den Laden kommen. «Dies ist für die Beratung jedoch nicht unbedingt ein Vorteil», findet Mario Simmen. «Im Gespräch stellt sich nämlich oft heraus, dass die vorgefasste Meinung nicht der richtige Ansatz ist.» Von seinem Schwiegervater, der das Geschäft dreissig Jahre lang geführt hat, konnte er eine grosse Stammkundschaft übernehmen. Doch diese ist mit dem einstigen Patron älter geworden; neue Kunden müssen dazukommen. Zeitlos gültig ist dagegen die Firmenphilosophie, dass jeder den für ihn optimalen Laufschuh bekommen soll. Um diese Maxime umzusetzen, bietet Wirth Sport aktuell zehn verschiedene Labels mit rund 150 Modellen an. Das breite Sortiment bringt eine zeitintensive Beratung mit sich, ein Qualitätsmerkmal vieler Fachgeschäfte. «Leider hat der Beratungsklau massiv zugenommen», erzählt Simmen. «Kunden lassen sich oft 30 bis 40 Minuten beraten und bestellen die Ware dann im Netz.» Ideen seien gefragt, um diesem Frust entgegenzutreten. Etwa die Beratung als kostenpflichtiges Dienstleistungspaket, das auch online genutzt werden kann. Mit Enthusiasmus bei der Sache: Mario Simmen. 47 gesellschaft RUNNERS POINT BRIG Ende Oktober 2016 schloss Colette Walther das Kapitel als Inhaberin des unabhängigen Runners Point in Brig mit einem Totalausverkauf ab. Rund acht Jahre hatte sie zuvor den Traum vom eigenen Geschäft gelebt. Das Hobby zum Beruf zu machen, sei schon lange ihr Wunsch gewesen, erzählt die begeisterte Läuferin über ihre ursprüngliche Motivation, den ersten Laufladen im Oberwallis zu lancieren. Ihr Geschäft öffnete sie jeweils halbtags sowie samstags; in der restlichen Zeit war die ausgebildete Medizinische Praxisassistentin als Familienfrau engagiert. Familie und Geschäft brachte Colette Walther damit gut unter einen Hut. Gemütlich und unkonventionell: «Laufguru» Andy Werdenberg. Die Arbeit als Selbstständigerwerbende blieb jedoch stets ein mit Herzblut betriebenes Hobby. Für die Ausdehnung der Ladenöffnungszeiten hätte sie jemanden anstellen müssen. Dafür fehlte jedoch das Geld. Ebenso wie für Werbung, um ihr Angebot in der Briger Altstadt bekannter zu machen. Doch auch wenn finanziell am Schluss nur ein kleines Plus resultierte und sie nie einen eigentlichen Lohn beziehen konnte, behält die 54-Jährige die Zeit als Laufshop-Inhaberin in sehr positiver Erinnerung. Das Sortiment stellte sie nach Gefühl und ihren eigenen Erfahrungen und Vorlieben zusammen. «Ich habe eher spezielle Marken gewählt, die nicht zu den Marktführern gehörten», blickt Colette Walther zurück. «Mit der Zeit stieg jedoch bei allen Lieferanten der Druck, Mindestbestellungen zu machen.» Entsprechende Vereinbarungen unterzeichnete sie aber nicht. «So blieb ich im Grossen und Ganzen frei und konnte auch kleine Mengen bestellen.» Eigentlich hätte sie gerne noch das 10-jährige Bestehen ihres Ladens gefeiert. Doch inmitten des wachsenden Konkurrenzdrucks durch den Onlinehandel, eines eigentlichen Ladensterbens in der unmittelbaren Nachbarschaft und neuer, grösserer Sportgeschäfte in der Umgebung war das unerwartete Angebot für eine Teilzeitanstellung im Berner Laufshop 4feet letztlich ein Glücksfall. «Meine Kompetenz kann ich auch am neuen Ort weitergeben», sagt Colette Walther. «Und es ist ein gutes Gefühl, jetzt am Abend sorglos aus dem Geschäft zu laufen.» Als Einzelperson von A bis Z für alles die Verantwortung zu tragen, hatte sie während der beruflichen Selbstständigkeit zuweilen als grosse psychische und physische Belastung empfunden. f ANDY’S SPORTLADEN ALLSCHWIL Wer einen Laufshop besitzt, hat meistens auch eine Geschichte als Läufer. Das ist bei Andy Werdenberg von Andy’s Sportladen in Allschwil nicht anders. Seine Laufgeschichte begann jedoch an einem ungewöhnlichen Ort; nämlich in einem Gefängnis in Solothurn, wo er wegen Militärdienstverweigerung eine mehrmonatige Strafe absitzen musste. Als der einstige Juniorenfussballer als Strafgefangener jeweils samstags joggen gehen konnte, erfüllte ihn dies von Anfang an. Und nach der Entlassung dauerte es nicht mehr lange, bis er erstmals an einem Strassenlauf mitmachte. Obschon eiserne Trainingsdisziplin und ein puritanischer Alltag nie sein Ding waren, gehörte der gelernte Spediteur/Zolldeklarant bald zu den besten Strassenläufern der Schweiz. Dadurch kam er in Kontakt mit dem gleichaltrigen Markus Ryffel, der im Zenit als Spitzensportler stand und für die Zeit nachher die Lancierung eines eigenen Laufsportgeschäfts plante. Eine Idee, die Werdenberg inspirierte: 1986 eröffnete er in Allschwil einen Laufshop. Anfänglich arbeitete er weiterhin hundert Prozent in seinem angestammten Beruf. «Ich fuhr täglich etwa um 15:30 Uhr vom Flughafen Basel mit dem Rennvelo so schnell es ging zum Geschäft, voller Erwartung einiger neuer Kunden», erinnert er sich an die Anfänge. Die bestehenden Sportläden im Umkreis bekämpften den Neueinsteiger, indem sie Druck auf die Lieferanten ausübten, ihn nicht zu beliefern. Doch Werdenberg hielt Stand. Und 2016 konnte er das 30-jährige Bestehen seines Ladens feiern, während 48 Keine Lust auf Rücken- oder Nackenschmerzen? seine ehemaligen Konkurrenten allesamt vom Markt verschwunden sind. Sein heimeliger Laden in einem alten Bauernhaus hat Treffpunktcharakter; wer eintritt, wird vom Chef für die Besprechung der Wünsche zuerst einmal zu einem Kaffee oder Mineral eingeladen, längere Diskussionen sind keine Seltenheit. «Heute ist alles viel technischer geworden», sagt der 61-Jährige zu den veränderten Kundenbedürfnissen. Er habe manchmal Mühe, diesen Entwicklungen zu folgen. «Viele Läufer laufen nur noch so, wie es ihnen die Uhr vorschreibt. Zu meiner Zeit hat man noch mehr auf das eigene Körpergefühl gehört.» Auch zur Entwicklung bei den Laufschuhen hat der Basler Laufguru, wie er sich augenzwinkernd nennt, eine klare Meinung. «Ich denke, es gibt auf dem Markt viele gute Laufschuhe, aber ich glaube nicht, dass die Schuhe in den letzten Jahren so viel besser geworden sind.» Dem Trend zu stets leichteren Laufschuhen steht er skeptisch gegenüber: «Das Mindergewicht geht sicherlich auf Kosten der Langlebigkeit.» Andy Werdenberg ist ein aktiver Geist, der sich vielfach engagiert. So etwa in der Lehrlingsausbildung und als Initiant und OK-Chef des Basler Bruggelaufs mit jeweils rund 1000 Teilnehmern. Vermehrt beschäftigt er sich mit Fragen zu seiner Pensionierung und zur Weiterführung des Geschäfts. «Es hängt davon ab, ob den künftigen Generationen das Einkaufen in gemütlicher Ambiance noch etwas bedeuten wird», resümiert Werdenberg die Antworten für die Zukunft. Colette Walther an ihrem neuen Arbeitsort in Bern. Back Relax Neck Relax Schnell gegen Schmerzen und Verspannungen. Erhältlich in Apotheken und Drogerien. CE Medizinprodukte Melisana AG, 8004 Zürich www.dul-x.ch FITforLIFE 3-17 HÄLT DICH IN BEWEGUNG 49
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