Blickpunkt Tiergesundheit stärken Fotos: B. Früh Homöopathisch, praktisch, gut Praktisch und jederzeit griffbereit: die homöopathische Stallapotheke im Stall der Familie Agerer Was auch immer man von Homöopathika und anderen Naturheilmitteln hält, auf vielen Betrieben kommen sie zum Einsatz und helfen beim Heilen. Die EU und Bioland raten ausdrücklich dazu. Zwei Praxisbeispiele. V or dem Hintergrund der zunehmenden gesellschaftlichen Kritik am Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft gewinnen alternative Heilmethoden immer mehr an Bedeutung. Aber auch ohne den Druck von „außen“ halten viele Bäuerinnen und Bauern – aus dem ökologischen wie auch aus dem konventionellen Landbau – den Einsatz von Homöopathie und Pflanzenheilmitteln zur Behandlung ihrer Nutztiere nicht nur für einen gangbaren, sondern auch für den besseren Weg. Ein Besuch bei zwei Bioland-Milchviehbetrieben im Allgäu gibt Einblicke in die Motivation der Tierhalter, Chancen und Grenzen der Naturheilverfahren und die Umsetzung in der Praxis. Jahrelange Erfahrung in der Anwendung homöopathischer Heilmittel hat Karin Agerer aus Bad Hindelang im Oberallgäu. Ihr Know-how bringt sie auch ehrenamtlich als Gruppensprecherin der Bioland-Fachgruppe Naturheilverfahren Allgäu-Schwaben ein, die 2004 gegründet wurde. Gemeinsam mit ihrem Mann Sepp bewirtschaftet sie im Nebenerwerb einen acht Hektar großen Heumilchbetrieb mit sechs Milchkühen und einigen Schafen. Bereits bei der gesundheitlichen Betreuung ihrer drei Kinder zog sie die Homöopathie der Schulmedizin vor und so war es gedanklich nur ein kleiner Schritt zum Einsatz von Naturheilverfahren auch im eigenen Stall. Das notwendige Wissen dafür hat sich Karin Agerer in vielen Kursen angeeignet. Ausgelernt hat man in der Naturheilkunde indes nie, wie sie be- tont, und deshalb organisiert sie über die Fachgruppe Kurse und bildet sich selbst ständig weiter. Zudem profitiert sie von den Erfahrungen, die sie in vielen Jahren praktischer Arbeit im eigenen Stall gemacht hat. Mehr Unterstützung vom Verband Die Anwendung alternativer Heilmittel ist für Agerer weniger eine Wahlmöglichkeit als vielmehr „unser Auftrag“, denn laut EU-Ökoverordnung soll die Erstbehandlung bei Tieren mit Methoden der Naturheilkunde erfolgen. Dieser Anspruch ist auch in den Bioland-Richtlinien und in den Leitbildern für jede Tierart verankert. Bei der praktischen Umsetzung wünscht sich die Allgäuer Bäuerin indes mehr Engagement von Seiten des Verbands: „Bioland muss hier viel stärker aktiv werden. Als deutschlandweiter Verband hätte Bioland die Strukturen, um ein Beratungsnetzwerk aufzubauen“, fordert Agerer ein- bioland 03/2017 26 Für alles gerüstet: Der größere Teil der Stallapotheke auf dem Betrieb Gabler befindet sich im Büro, die Mittel, die gerade eingesetzt werden, sind in einem Köfferchen direkt im Stall. dringlich eine stärkere Unterstützung durch den Verband ein. Sie wünscht sich außerdem die Organisation von Fortbildungsangeboten zur Homöopathie und Initiativen zur Aufnahme dieser Thematik in die landwirtschaftliche Ausbildung. Als großen Vorteil der Homöopathie sieht die Bio-Bäuerin die Möglichkeit, bei den ersten Anzeichen einer Erkrankung sofort zu reagieren und dadurch den Ausbruch von Erkrankungen abzuwenden oder die Erkrankung einzudämmen und einen milderen Verlauf zu erreichen. „Wir können der Krankheit die Spitze nehmen“, weiß sie aus Erfahrung. In der alternativen Medizin werden nicht alle Tiere über einen Kamm geschoren. Je nach Symptomatik, die das Tier zeigt, und seinem Wesen kommt eine individuell maßgeschneiderte Behandlung zum Tragen. Für die Wirk- samkeit homöopathischer Heilmittel kann Agerer zahllose Beispiele aus ihrer täglichen Arbeit anführen. Eine Grundvoraussetzung für den Erfolg ist freilich das „Auge fürs Tier“. Wenn eine Behandlung nicht anschlägt, liegt es oft daran, dass die Situation falsch eingeschätzt wurde, betont Agerer. In diesem Fall und generell bei unklaren Erkrankungen steht es für sie außer Frage, den Tierarzt zu Rate zu ziehen. Erfreut kann sie feststellen, dass immer mehr Tierärzte sehr aufgeschlossen gegenüber alternativen Heilverfahren sind. Eine gute Zusammenarbeit mit dem Tierarzt ist für die Bio-Bäuerin sehr wichtig: Nicht nur, um im Zweifelsfall die richtige Diagnose zu stellen oder, wenn die Homöopathie an Grenzen stößt, eine schulmedizinische Behandlung durchzuführen, sondern auch, um eine solche mit Homöopathie unterstützend zu begleiten. „Im Idealfall kann die Zusammenarbeit zwischen dem Landwirt und einem homöopathisch geschulten Tierarzt sogar weitere Einsatzmöglichkeiten eröffnen“, so Agerer. „Wir sind Bauern und keine Tierärzte“, betont sie, „aber wir tragen Verantwortung für unsere Tiere und sollten in der Lage sein, frühzeitig zu erkennen, wenn etwas nicht stimmt.“ Eine gezielte Behandlung mit homöopathischen Mitteln setzt Wissen über die Tiergesundheit, eine gute Tierbeobachtung und das Erkennen erster Anzeichen einer Erkrankung voraus. Nicht jeder Landwirt ist dazu bereit oder in der Lage, so viel Zeit aufzuwenden und sich das erforderliche Wissen anzueignen. Auch mit der fachlichen Unterstützung steht es nicht zum Besten, „gute >> Anzeige Blickpunkt Tiergesundheit stärken Seminare Naturheilkunde Die Landwirtschaftskammer NRW gibt Seminare zur Naturheilkunde mit Theorie und Praxisübungen bei Kühen, Rindern und Kälbern im Öko-Betrieb: Klinische und klassische Homöopathie, Akupunktur, Blutegelbehandlung, Rindertaping; gelegentlich Phytotherapie, Bachblüten, Schüssler-Salze, Mykotherapie. Die nächsten Termine im Versuchs- und Bildungszentrum Haus Riswick: 26. April: Einsatz der Nosodentherapie in der Milchviehhaltung 27. April: Konstitutionstypen in der Homöopathie – Konstitutionsbehandlung bei Kühen, Rindern und Kälbern möopathisch behandelt. Auch das Trockenstellen erfolgt seit zwei Jahren homöopathisch ohne Antibiotika und zusätzlich zu einem Zitzenversiegler – „mit sehr Weitere Termine finden Sie unter: www.riswick.de gutem Erfolg“. Der Homöopathische Tierarzt fährt bei Bestandsbetreuung Kostenvorteile haben sich durch Gablers Gablers trotzdem noch auf den Hof, seine neues Behandlungskonzept nicht ergeben. Das bestätigt auch Manfred Gabler, der be- Aufgaben beschränken sich aber weitgeWirtschaftliche Vorteile aber sehr wohl – hend auf Besamung, Geburtshilfe, Trächreits seit 25 Jahren auf seinem 63 Hektar dank verbesserter Fruchtbarkeit, Eutertigkeitsuntersuchung sowie das Enthorgroßen Oberallgäuer Milchviehbetrieb in und Klauengesundheit. Die Kühe werden nen eines Teils der Kälber. Die Befunde Haldenwang alternative Heilverfahren anim Schnitt ein Jahr älter, sodass die weibdes Tierarztes, Laborbefunde (Milchprowendet. Dem Landwirtschaftsmeister geht liche Nachzucht reduziert und dafür mehr ben), die monatlichen LKV-Daten wie Zelles dabei vor allem darum, das Übel an der zahl oder Fett/Eiweiß-Quotient und weitere Kühe aufgestallt werden konnten. „Und Wurzel zu packen und eine Erkrankung zu wenn es bei den Kühen gut läuft, macht Informationen seitens des Landwirts, etwa heilen anstatt – wie es bei schulmedizinidie Arbeit auch mehr Freude“, das ist ein zu Fruchtbarkeit oder Kalbedaten, bilden scher Behandlung häufig der Fall sei – nur die Grundlage für eine Verabreichungsliste, weiteres gewichtiges Argument. die Symptome zu unterdrücken. die die Tierheilprak- Den eigenen Zeitaufwand für die Verabreichung von Heilmitteln, die Aktualisierung tikerin jede Woche von Daten und die Kontrolle der Tiere beneu zusammenziffert Gabler auf täglich zehn bis 15 Mistellt und aktualinuten. Hinzu kommen rund zwei Stunden siert. Alle 14 Tage wird der Erfolg kon- pro Monat für den Informationsaustausch und die Absprachen mit der Tierheilpraktrolliert. In akuten Fällen ist sie telefo- tikerin. Der Zeitaufwand ist damit deutlich höher als vor der homöopathischen nisch erreichbar. Bestandsbetreuung, die eben auch an den „Ich hätte nicht geLandwirt hohe Ansprüche stellt. dacht, was alles möglich ist“, äußert Brigitte Früh, freie Journalistin aus Waltenhofen sich der BiolandBauer begeistert über den Erfolg der Zusammenarbeit. In den verganLiteraturhinweise genen drei Jahren Manfred Gabler sprüht ein homöopathisches Heilmittel auf die wurden nur zweiBirgit Gnadl: „Klassische Homöopathie Nasenschleimhaut der Kuh. mal Antibiotika eingefür Rinder“, 544 S., 58 Euro, Eigenverlag setzt, bei zwei Kühen Baumgartner, Übersee/Feldwies, mit Lungenentzündung. Auch schwere akuSeit drei Jahren nimmt Gabler für das Gewww.nutztierhomoeopathie.de te Erkrankungen wie Coli-Mastitis behansundheitsmanagement seiner Herde proSybille Maurer: „Praktiker-Leitfaden delt Gabler jetzt homöopathisch, sogar mit fessionelle Hilfe in Anspruch. Die tiermeMastitis – Klassische Homöopathie“, besserem Erfolg als früher mit Antibiotika. dizinische Bestandsbetreuung legte er in 2. Auflage 2015, 48 S., 20 Euro, EichenGute Erfolge kann er auch bei der Saniedie Hände der Tierheilpraktikerin Sibylle hof-Verlag, ISBN 978-3-00-034734-4 rung von Kühen mit subklinischer MastiMaurer aus Kassel, die naturheilkundliche Andrea Keller: „Gesunde Schweine tis, bei symptomloser Unfruchtbarkeit, bei Behandlungsvorschläge für die 55 Milchdurch Homöopathie“, 368 S., 49,90 Euro, kühe und etwa 25 Stück Nachzucht erstellt. Klauenerkrankungen oder KälberdurchISBN 978-3-00-053797-4; www.gesundefall vorweisen. Seitdem wird der gesamte Tierbestand hoschweine-durch-homöopathie.de Homöopathen für Großvieh sind Mangelware“, bedauert Agerer. Die Betriebsgröße hingegen setzt der Anwendung – und Wirkung – von Naturheilverfahren nach ihrer Überzeugung keine Grenzen, zumal die Verabreichung der Heilmittel über die Schleimhäute etwa durch Aufsprühen einfacher geworden und auch in größeren Beständen gut praktikabel sei. bioland 03/2017 28
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