Sehnsucht nach Klarheit

Süddeutsche Zeitung vom 27.02.2017
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CHRISTINE PRUSSKY
14
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Schule und Hochschule
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Tageszeitung
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Sehnsucht nach Klarheit
Veraltet, überfrachtet: Das Urheberrecht braucht eine Reform. Für Hochschulen wäre sie ein
Segen
Seit einigen Tagen kann man auf der
Seite des Justizministeriums nachlesen,
wie Heiko Maas’ Entwurf zum Urheberrecht auf die wirkt, die er betrifft.
Bibliotheken, Universitäten, Studenten,
Verlage, auch der Zentralrat der Muslime äußern sich da, es gibt Wünsche,
Lob und Tadel.
Das „Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse
der Wissensgesellschaft“ soll einen
Wust von Vorschriften vereinfachen,
der Hochschullehrer regelmäßig aus der
Fassung bringt. Wie viele Aufsätze oder
Seiten eines Lehrbuchs darf ich meinen
Studierenden digitalisiert zur Verfügung stellen? Die Materie ist derart
komplex, dass Dozenten aus Angst vor
einem Rechtsbruch oft gar keine
Dateien anbieten. „Unternutzung“ heißt
das dann im Fachjargon. Nur Experten
erschauern nicht vor dem Paragrafenwerk, das verwirrend kleinteilig und
auslegungsbedürftig ist – und vom digitalen Wandel längst überholt. Katharina
de la Durantaye ist eine solche Expertin,
sie hat sich auf Urheberrecht spezialisiert und begrüßt den Referentenentwurf. „Er verschafft uns Wissenschaftlern in vielen Punkten die Klarheit, die
wir vermisst haben“, konstatiert die
Juniorprofessorin an der Berliner Humboldt-Universität. Sie sagt das, obwohl
das Ministerium der Wissenschaft eine
Generalklausel vorenthält: Wer Bücher,
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Urheberinformation:
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Aufsätze und Bilder für Lehre oder Forschung nutzt, soll auch künftig besondere Regeln befolgen müssen. Doch sie
sind einfacher und erlauben mehr. Für
elektronische Semesterapparate zum
Beispiel dürften Dozenten „bis zu 25
Prozent eines Werks“ ohne zeitraubende Prüfung bereitstellen und „sicher
sein, dass die Urheber dafür über die
VG Wort pauschal vergütet werden“,
erklärt Eric Steinhauer, Bibliothekar an
der Fernuni Hagen. Derzeit sind nur 15
Prozent erlaubt.
Richtig freuen können sich Geisteswissenschaftler, die mit digitalen Textkorpora arbeiten. Diese Sammlungen von
Äußerungen und Texten müssen rechtlich abgesichert werden, bevor sie, etwa
für linguistische Analysen, genutzt werden dürfen. Ein enormer Aufwand.
Käme die Novelle durch, wäre „das
Wunder“ perfekt, sagt der Sprachwissenschaftler Henning Lobin.
So sehr Bibliotheken und Wissenschaftseinrichtungen sich danach sehnen, so
aufgebracht sind Verlage und Buchhändler. Sie sehen in der Reform den
Sargnagel für ihre Betriebe. Die OnlinePetition „Publikationsfreiheit für eine
starke Bildungsrepublik“ listet mehr als
4000 Unterzeichner und mehr als 1500
Kommentare auf. Auch publizierende
Forscher sind häufig vertreten. Der
Grund: Gemeinsam mit dem Urheberrecht steht Open Access am Pranger –
Forschungsliteratur, die kostenfrei im
Internet zugänglich ist. „Damit legen
Verlage den Leim für Wissenschaftler“,
sagt Lobin: Wer Open Access ablehnt,
votiert automatisch auch gegen die
Urheberrechtsreform.
Die Juristin de la Durantaye hält den
Text der Petition sogar für „unredlich“.
Da werde etwa behauptet, die Nutzung
von Werken in der Bildung solle ausgeweitet werden, ohne dass Autoren und
Verlage eine angemessene Vergütung
bekämen. Tatsächlich aber bescheinige
der Reformvorschlag den Urhebern an
mehreren Stellen einen Anspruch auf
angemessene Vergütung, auszahlbar
durch Verwertungsgesellschaften. Das
Problem aus Sicht der Verlage: Nach
aktueller Rechtslage sind sie von den
Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften ausgeschlossen.
Die Fronten sind klar, Wissenschaft
gegen Verlage. Welche Seite einflussreicher ist, wenn der Entwurf seinen Weg durch die Gremien nimmt,
muss man abwarten. Wie lange? Vermutlich über diese Legislaturperiode
hinaus. Die „unhaltbare Situation“, die
Rektorenpräsident Horst Hippler
beklagt, bleibt den Hochschulen noch
eine Weile erhalten.
CHRISTINE PRUSSKY
Was darf in den Semesterapparat,
was nicht? Es ist zum Verzweifeln
Die dicken Bibliothekswälzer bleiben öfter stehen als früher. Heute lesen Studierende beim Lernen und
Forschen bevorzugt digitale Literatur. Foto: Michael Reichel/DPA
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