Von: [email protected] [mailto:[email protected]] Gesendet: Mittwoch, 1. März 2017 13:43 An: I.1_Anhoerung <[email protected]> Betreff: Evaluation - Anhörung A 14 - 08.03.2017 Sehr geehrte Damen und Herren, anbei meine schriftliche Stellungnahme. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrag Dr. Robert Mischkowitz Bundeskriminalamt IZ 33 - Forschungs- und Beratungsstelle Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS), Dunkelfeldforschung (bis 30. Juni 2016: KI 12) Telefon: +49 611-55-14058 Telefax: +49 611-55-45055 E-Mail: [email protected] 16 STELLUNGNAHME 16/4626 A14, A09 Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der Piraten „Ehrliche und offene Evaluation kriminalpolitischer Maßnahmen ermöglichen – Kriminalstatistiken reformieren“ vom 22.11.2016 im Landtag Nordrhein-Westfalen (Drucksache 16/13524) In der Sachverhaltsdarstellung des Antrages wird die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) als ein Instrument beschrieben, das der Polizei, der Öffentlichkeit und der Politik zur Evaluation und kritischen Bewertung von Polizeiarbeit und politischen Maßnahmen dient. Gleichzeitig wird angeführt, dass dieses „vermeintlich objektive Messinstrument“ anfällig für politische Beeinflussung sei und „massiver Verzerrungen“ unterliege, die durch „die aktuellen Vorgaben und die polizeiliche Organisationsstruktur begünstigt werden“. Dies führe dazu, dass die Zahlen der PKS, die öffentlichkeitswirksam von den Innenministern präsentiert und in der öffentlichen Diskussion ihrem Kontext entrissen werden, ein falsches Bild über Kriminalität und Täterprofile prägten, obwohl die PKS keine Aussagekraft über begangene Straftaten besitze. Wichtig für eine fundierte Aufgabenkritik an kriminalpolitischen und konkreten exekutiven Maßnahmen sei es deshalb, „den Erfolg einer Maßnahme am Gesamtverlauf eines Einzelfalles“ zu messen und hierfür eine „Einheitsstatistik, die den Verlauf eines Einzelfalles von Beginn (Anzeigeerstattung) bis zu seinem Ende“ abzubilden. Gefordert wird: 1. „Die Polizeiliche Kriminalstatistik bedarf einer Reform. 2. Eine statistische Auswertung zur Bewertung des Erfolgs von Maßnahmen benötigt Informationen zum Gesamtverlauf eines Verfahrens bzw. Einzelfalls.“ Zunächst zu Punkt 1) „Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) bedarf einer Reform.“ In den Richtlinien für die Führung der PKS ist festgelegt: „Die Polizeiliche Kriminalstatistik ist eine Zusammenstellung aller der Polizei bekannt gewordenen strafrechtlichen Sachverhalte unter Beschränkung auf ihre erfassbaren wesentlichen Inhalte. Sie soll damit im Interesse einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung zu einem überschaubaren und möglichst verzerrungsfreien Bild der angezeigten Kriminalität führen.“1 Die Definition macht Folgendes deutlich: 1. Erfasst werden der Polizei bekannt gewordene Straftaten, d.h. die PKS bildet „nur“ das Hellfeld der Kriminalität ab (Hellfeld-Statistik). Sie bietet keinen unmittelbaren Zugang zur „Kriminalitätswirklichkeit“. Um Aussagen über die „Kriminalitätswirklichkeit“ machen zu können, bedarf es eines Mehrs an Informationen, insbesondere bedarf es einer Ergänzung durch Dunkelfeldforschung, denn nur über die Ermittlung des Anzeigeverhaltens der Bevölkerung bzw. einzelner Untergruppen der Bevölkerung lässt sich erkennen, ob eine Verschiebung zwischen Hell- und Dunkelfeld stattgefunden hat. Auch ersetzt die PKS keine kriminalistisch-kriminologischen Untersuchungen, sondern bildet als Datenbasis „lediglich“ eine der Grundlagen hierfür. 1 BKA (2016): Richtlinien für die Führung der polizeilichen Kriminalstatistik i.d.F. vom 01.01.2016, S. 5. 2. Die „Beschränkung auf ihre erfassbare(n) wesentliche Inhalte“ soll deutlich machen, dass die PKS sich auf einen relativ eng begrenzten Bereich an zu erhebenden Merkmalen zum Fall, zum Tatverdächtigen und zum Oper beschränken muss. Die PKS ist eine Massenstatistik! Als Grundlage der Erfassung dient kein kriminologischer bzw. sozialwissenschaftlicher Fragebogen, sondern die vom polizeilichen Sachbearbeiter im Rahmen eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens erhobenen notwendigen Informationen, wie sie z. B. in Bezug auf die Personaldaten eines Tatverdächtigen im § 111 OWiG geregelt sind. Darüber hinaus muss die Festlegung der „erfassbaren wesentlichen Inhalte“ über ein Abstimmungsverfahren auf dem Gremienweg erfolgen. Die Erstellung der PKS ist ein Bund-Länder-Projekt und hat deshalb auf die IT-Infrastruktur der Länder und auf verschiedene Erkenntnisinteressen unterschiedlicher Nutzer bzw. Bedarfsträger, die nicht nur auf den Polizeibereich beschränkt sind, Rücksicht zu nehmen. Dies zeigt sich z. B. bei Gesetzesänderungen, an die der Straftatenkatalog, der die Grundlage der Fallerfassung bildet, angepasst werden muss. Das Interesse an einer möglichst differenzierten Erfassung eines Phänomens, wie oft von der Fachseite geäußert, muss mit den technischen Umsetzungsmöglichkeiten einerseits, aber auch mit der Frage des arbeitsökonomischen Erhebungsaufwandes andererseits abgeklärt werden. Die Erstellung der PKS im föderalen Staat ist ein komplexes und kompliziertes Unterfangen in einem mehrdimensionalen Spannungsfeld, in dem es unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen gilt, um zu einem konsentierten Ergebnis zu gelangen und in dem die Landeskriminalämter durch entsprechende Kontrollmaßnahmen die Datenqualität zu gewährleisten haben. 3. Die PKS soll nun des Weiteren „im Interesse einer wirksamen Kriminalitätsbekämpfung zu einem überschaubaren und möglichst verzerrungsfreien Bild der angezeigten Kriminalität führen“. Dieses „möglichst verzerrungsfreies Bild“ kann dann als Entscheidungsbasis für Entscheidungen in unterschiedlichen Bereichen verwendet werden. In den Richtlinien wird die dienende Funktion der PKS deshalb auch wie folgt beschrieben: „Im Einzelnen dient die Polizeiliche Kriminalstatistik der • Beobachtung der Kriminalität und einzelner Deliktsarten, des Umfanges und der Zusammensetzung des Tatverdächtigenkreises sowie der Veränderung von Kriminalitätsquotienten, • Erlangung von Erkenntnissen für vorbeugende und verfolgende Verbrechensbekämpfung, organisatorische Planungen und Entscheidungen sowie kriminologisch-soziologische Forschungen und kriminalpolitische Maßnahmen.“2 Wie im zweiten Absatz dargelegt, dient sie „zur Erlangung von Erkenntnissen“, sie bietet diese Erkenntnisse nicht aus sich heraus. Die Zahlen der PKS bedürfen vielmehr der Interpretation. „Zahlen sprechen nicht für sich“3 lautet der Titel eines Buches von Dörmann, dem früheren für die PKS-Erstellung Verantwortlichen im Bundeskriminalamt. Kritik an der PKS hat deshalb zwischen der Kritik am (Erfassungs-)System der PKS als solchem und der Instrumentalisierung von PKS-Zahlen zur Erklärung von Kriminalität und zur Evaluierung 2 3 Ebd. Dörmann, Uwe (2004): Zahlen sprechen nicht für sich. München. kriminalpolitischer Maßnahmen zu unterscheiden. Wenn also eine Reform der Polizeilichen Kriminalstatistik gefordert wird, so kann dies nach den Darstellungen des Sachverhaltes im Antrag ein Dreifaches bedeuten, nämlich 1) eine Reform des (Erfassungs-)Systems der PKS, 2) eine Reform der Verwendung bzw. Instrumentalisierung der PKS im Hinblick auf deren Rolle für Kriminalpolitik, Polizei und Wissenschaft oder 3) eine Reform des gesamten Systems der Polizei- und Rechtspflegestatistiken, wie beispielsweise im Gutachten des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten zur „Optimierung des bestehenden kriminalstatistischen Systems in Deutschland“ dargelegt.4 Hinsichtlich einer Reform des (Erfassungs-)Systems der PKS ist anzumerken, dass dieses System einem ständigen Wandel und dem Zwang der Aktualisierung, der sich im Zusammenhang mit Gesetzesänderungen, aber auch dem Auftreten neuer Deliktsbegehungsweisen (Stichwort: „Internetkriminalität“) ergeben, unterliegt. Darüber hinaus wurde das System der PKS in den letzten zehn Jahren massiv verändert.5 So wurde in den Jahren 2008 / 2009 die Übermittlung von Einzeldatensätzen an das Bundeskriminalamt eingeführt. Seither liefern die Länder nicht mehr ihre aggregierten Standardtabellen, sondern fortlaufend Einzeldatensätze in eine Datenbank an das BKA. Hierdurch werden ganz andere Auswertungsmöglichkeiten als im früheren System eröffnet. Auch wurde von einem vierstelligen Straftatenschlüssel auf einen sechsstelligen umgestellt, der eine wesentlich differenziertere Erfassung im Fallbereich ermöglicht. Zudem wurden 2011 neue Kataloge zur Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung und zur Geschädigtenspezifik eingeführt, die z. B. die Basis für das Lagebild „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und –beamte“ und die vom BMFSFJ und dem Präsidenten des Bundeskriminalamts im November letzten Jahres auf einer Pressekonferenz vorgestellte kriminalstatistische Auswertung „Partnerschaftsgewalt“ bilden. Weitere Ergänzungen bzw. Änderungen des PKS-Systems, z.B. in Bezug auf das Internet, befinden sich in der Umsetzungsphase. Die Forderung, die Polizeiliche Kriminalstatistik kann als weitgehend erfüllt angesehen werden, denn das System der PKS befindet sich in einem permanenten Reformprozess. Anders gestaltet sich die Lage, wenn die Verwendung der PKS betrachtet wird. Zwar dienen die Zahlen der PKS, wie erwähnt, u. a. auch der Erlangung von Erkenntnissen für kriminalpolitische Maßnahmen, doch wäre es kurzschlüssig die Bewertung kriminalpolitischer Maßnahmen allein mittels Daten der PKS vollziehen zu wollen. Die PKS ist als Tat nahe Statistik eine sehr wichtige Datenquelle. Für die Evaluation von Maßnahmen reicht aber ihre Aussagekraft nicht aus. Dass die Aussagekraft der der PKS begrenzt ist, wird seit Jahren in den Jahrbüchern der PKS ausgeführt. Dort heißt es: „Die Aussagekraft der PKS wird besonders dadurch eingeschränkt, dass der Polizei ein Teil der begangenen Straftaten nicht bekannt wird. Der Umfang dieses Dunkelfeldes hängt von der Art des Deliktes ab und kann sich unter dem Einfluss variabler Faktoren im Zeitablauf ändern. Es kann daher nicht von einer feststehenden Relation zwischen begangenen und statistisch erfassten Straftaten ausgegangen werden. Neben der tatsächlichen Änderung des Kriminalitätsgeschehens können sich folgende mögliche Einflussfaktoren auf die Entwicklung der Zahlen in der PKS auswirken: 4 Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (Hrsg.) (2009): Optimierung des bestehenden kriminalstatistischen Systems in Deutschland. Baden-Baden. 5 Mischkowitz, R. und H. Becker (2011): Die neue Polizeiliche Kriminalstatistik. In: Kriminalistik, 65. Jahrgang, Heft 5, S. 308-313. • • • • Anzeigeverhalten (z.B. Versicherungsaspekt) Polizeiliche Kontrolle Statistische Erfassung Änderung des Strafrechts.“ Um kriminalpolitische Maßnahmen evaluieren zu können, bedarf es einer an wissenschaftlichen Standards ausgerichteten Evaluationsforschung und nicht eines einfachen Rekurses auf die Zahlen einer einzigen Datenquelle. Ähnlich verhält es sich bei der Bewertung von Kriminalitätslagen für die vorbeugende und verfolgende Verbrechensbekämpfung. Die Daten der PKS geben Auskunft über Umfang, Struktur und Entwicklung von Kriminalität im Hellfeld, aber eben unter den genannten Einschränkungen. Da die Bewertung von Kriminalitätslagen und -entwicklungen nicht allein auf das Hellfeld, sondern auf die „Kriminalitätswirklichkeit“ abzielt und zudem auch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung in den Blick nehmen sollte, reicht das Argumentieren mit PKS-Zahlen zur Erklärung der Lage und des Erfolges einzelner Maßnahmen nicht aus. Das Hinzuziehen weiterer Erkenntnisquellen ist dringend geboten. Die beiden Periodischen Sicherheitsberichte der Bundesregierung 2001 und 2006 z. B. hatten zum Ziel, unter Einbeziehung verschiedener Datenquellen und Erkenntnisse aus der kriminalistischkriminologischen Forschung eine Gesamtlagebild zu erstellen, um eine fundierter, nicht allein auf Hellfelddaten basierende Bewertung von Kriminalitätslagen und kriminalpolitischen Maßnahmen vornehmen zu können. Wenn häufig „nur“ mit Hinweis auf PKS-Daten argumentiert wird, ist dies kein Anlass für eine Reform der PKS, es mag aber ein Hinweis darauf sein, dass der Umgang mit der PKS bzw. der Umgang mit Statistiken generell einer Reform bedarf. Die PKS funktioniert m. E. als eine Art „Seismograph“ der Kriminalitätsentwicklung recht gut - um weitergehende Aussagen über die „Kriminalitätswirklichkeit“ machen zu können, hat sie aber Defizite und bedarf deshalb sicherlich der Ergänzung durch andere Erkenntnisquellen. Dies führt zur Betrachtung des kriminalstatistischen Systems Deutschlands. Wenn eine Reform gefordert werden kann, dann in erster Linie im Hinblick auf das Gesamtsystem der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken. Die Unzulänglichkeiten des Gesamtsystems sind in zahlreichen Beiträgen von Heinz detailliert beschrieben worden.6 Im Grunde handelt es sich auch nicht um ein „System“ im Sinne der Systemtheorie, sondern um ein Konglomerat einzelner Statistiken, die sich historisch relativ unabhängig voneinander entwickelt haben und die nicht ohne weiteres miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Von den 20 Thesen, die die Arbeitsgruppe „Optimierung des bestehenden kriminalstatistischen Systems“ 2009 vorgelegt hat, seien hier nur folgende im Hinblick auf eine Reform aufgegriffen: 1. Die Forderung, regelmäßige, statistikbegleitende Opferbefragung durchzuführen. Diese liefern, ergänzend zur PKS, Daten über das Dunkelfeld einzelner Deliktsbereiche und zum Anzeigeverhalten sowie zum Sicherheitsgefühl. Die Forderung ist alt7, wurde in den beiden 6 U.a. Heinz, Wolfgang (2009): Defizite des bestehenden kriminalstatistischen Systems in Deutschland: Einführung und Überblick, in: Dessecker, Axel; Egg, Rudolf (Hrsg.): Kriminalstatistiken im Lichte internationaler Erfahrungen, Wiesbaden, S. 17-72. 7 Vgl. zu den Initiativen den Beitrag von Mischkowitz (2015): Betrachtungen zur Geschichte der Dunkelfeldforschung in Deutschland; in: Guzy, N., Birkel, Ch. und Mischkowitz, R. (Hrsg.) (2015): Viktimisierungsbefragungen in Deutschland, Band 1. Wiesbaden. S. 29-61. Periodischen Sicherheitsberichten wieder neu erhoben und führte 2002 zur Einsetzung einer Arbeitsgruppe des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Justiz (BUKS; „Bevölkerungsumfrage zur Kriminalitätswerdung und Sicherheitsgefühl“). Diese legte ein Konzept für eine solche Opferbefragung vor, das aber bis heute nicht umgesetzt worden ist.8 Auf den Vorschlägen der BUKS-Arbeitsgruppe konnte jedoch bei der Planung und Durchführung des im Rahmen des Sicherheitsforschungsprogramms der Bundesregierung finanzierten BaSiD-Projektes („Barometer Sicherheit in Deutschland“) zurückgegriffen werden. Ein Modul des BaSiD-Projektes sah eine bundesweite Opferbefragung von über 30.000 Probanden vor. Die Datenerhebung hierzu wurde im Sommer 2012 durchgeführt.9 Die Opferbefragung, die mittlerweile als „Deutscher Viktimsierungssurvey 2012“ bekannt geworden ist, soll nun im laufenden Jahr in leicht modifizierter Form wiederholt werden. Es steht zu hoffen, dass es schließlich gelingen wird, die Basis für eine Verstetigung des Surveys zu schaffen. Gleichzeitig gibt es auf europäischer Eben Bemühungen, eine Opferbefragung zum Thema „Violence against Women“ oder „Gender-based Violence“ aufzulegen. Eine Task Force zur Entwicklung eines Konzepts wurde bereits eingerichtet. 2. Die Arbeitsgruppe war der Meinung, dass im bestehenden kriminalstatistischen System kriminalpolitisch relevante Merkmale zu Taten, Tätern und Opfern in zu geringem Maße erfasst würden und schlägt deshalb vor, Merkmale mit kriminologischer Relevanz einzubeziehen. Dies ist bei der PKS in gewissem Umfang bereits erfolgt. Auf die Einführung neuer Kataloge wurde oben hingewiesen. Die Einführung solcher Merkmale stößt aber in den Gremien (z.B. AK II, IMK) nicht immer auf Zuspruch, da sie den Erfassungsaufwand für die Polizei erhöht. Ohne Zustimmung der Gremien ist aber eine Reform des kriminalstatistischen Systems nicht durchführbar. Hier stoßen die unterschiedlichen Interessen verschiedener Nutzer der PKS direkt aufeinander. 3. Dass kriminalstatistische Daten einer sachgerechten Interpretation bedürfen, steht außer Frage. Lobend hebt die Arbeitsgruppe dabei die in den Jahresberichten der PKS eingebauten ausführlichen Erläuterungen, grafische Veranschaulichungen und Interpretationsangebote hervor. Gleichwohl bedauert sie, dass die Periodischen Sicherheitsberichte, die ein umfassendes Bild der Kriminalitätslage unter Einbeziehung von Erkenntnissen zum Sicherheitsgefühls boten, eingestellt worden sind und empfiehlt, künftig wieder Periodische Sicherheitsberichte zu erstellen. Diese Forderung gewinnt in „postfaktischen“ Zeiten, in denen zahlreiche Mythen über die Kriminalitätslage und -entwicklung durch die Medien geistern, erhebliche Brisanz. Eine sachlich-nüchtern und umfassende Darstellung und Bewertung der Kriminalitätslage dürfte inzwischen unter kriminalpolitischen Gesichtspunkten wohl so wichtig sein wie selten zuvor. 4. Die Empfehlung der Arbeitsgruppe, „…ein statistisches Datenbanksystem aufzubauen, in das alle relevanten justiziellen Entscheidungen mit pseudonymisierten Personendaten eingetragen und anschließend miteinander verknüpft werden“10, entspricht in gewissem Sinn 8 Heinz, Wolfgang: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe des Bundesministeriums des Innern und des Bundesministeriums der Justiz „Regelmäßige Durchführung von Opferbefragungen“. 9 Zum Design der Studie und zu den Ergebnissen vgl. Birkel, Ch. et. al (2016): Opfererfahrungen und kriminalitätsbezogene Einstellungen in Deutschland. Wiesbaden. 10 Rat für sozial und Wirtschaftsdaten (Hrsg), a.a.O. (2009), S.32 der unter II.2 vom Landtag festgestellten Bewertung, nämlich dass eine statistische Auswertung zur Bewertung des Erfolgs einer Maßnahme Informationen zum Gesamtverlauf eines Verfahrens bzw. Einzelfalles bedarf. Ohne an dieser Stelle den „Erfolgsbegriff“ zu problematisieren, sei kurz auf die Forderung eingegangen, den Gesamtverlauf eines Verfahrens abbilden zu können. Eine Abbildung des Gesamtverlaufs eines Verfahrens ist auf Basis des bestehenden heterogenen Systems einzelner, unverbundener Statistiken (z. B. PKS; Strafverfolgungsstatistik) nicht möglich. Die Forderung, eine „Verlaufs- oder Einheitsstatistik“ zu schaffen ist deshalb auch nicht neu, sondern reicht weit in die Vergangenheit zurück.11 Bisher ist es jedoch nicht gelungen, eine Verlaufsstatistik zu schaffen, die es ermöglichen würde, den Verlauf eines einzelnen Verfahrens und über alle Instanzen hinweg abzubilden. Es ist auch nicht möglich, mittels der amtlichen Statistiken den Weg einer tatverdächtigen Person von der Anzeige bis zur Erledigung des Ermittlungs- und Strafverfahrens nachzuvollziehen. Erste Schritte im Hinblick auf die Schaffung einer solchen Statistik wurden zwar eingeleitet, haben bisher aber noch zu keinem Ergebnis geführt. Die Einrichtung einer solchen Statistik stellt ein sehr schwieriges Unterfangen dar, da zum einen für die Erstellung der amtlichen Statistiken unterschiedliche Institutionen zuständig sind (z. B. Innenministerien, Justizministerien in Bund und Ländern, Bundeskriminalamt, Statistisches Bundesamt), zum anderen zahlreich fachliche Probleme bewältigt werden müssen, wie z. B. die Bewertungsunterschiede eines Falles zwischen Polizei und Justiz. Die PKS stünde mit ihren Daten am Beginn einer solchen Verlaufsstatistik, sieht man einmal davon ab, dass der PKS die Vorgangsbearbeitungssysteme (VBS) der Polizei mit Ihren Eingangserfassungen vorgeschaltet sind, die ggf. auch in eine Verlaufsstatistik einzubeziehen wären. Die PKS als Ausgangsstatistik gibt das polizeiliche Ermittlungsergebnis am Ende des polizeilichen Ermittlungsprozesses, der bei einigen Deliktsbereichen eine ziemlich lange Zeit in Anspruch nehmen kann, wieder. Die PKS-Daten stehen also nicht tagesaktuell zur Verfügung. Mit der Übermittlung der Einzeldatensätze der PKS in eine Datenbank im BKA wurde aber eine Ausgangsstufe für eine Verlaufsstatistik geschaffen. Darüber hinaus müssen neben den fachlichen Problemen auch technische Voraussetzungen berücksichtigt werden. Die ITInfrastruktur in Polizei und Justiz im Bund und den Ländern ist ziemlich heterogen, d.h. es bedarf eines erheblichen Aufwands – und somit auch erheblicher finanzieller Mittel – um ein entsprechendes IT-System und eine Datenbank einzurichten. Ohne eine gesetzliche Grundlage dürften die Bemühungen zum Scheitern verurteilt sein. Man muss sich zudem vergegenwärtigen, dass eine auf Einzeldatensätzen basierende Verlaufsstatistik nicht nur den Verlauf von Fällen und Personen über die Instanzen der strafrechtlichen Kontrolle hinweg abbilden, sondern auch das Arbeiten des Gesamtsystems und seiner einzelnen Einheiten (z.B. Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht) transparent machen würde. Auch datenschutzrechtliche Aspekte wären in eine Prüfung einzubeziehen, da eine solche Verlaufsstatistik auch Rückschlüsse auf den Einzelnen zulassen könnte. 11 Vgl. Erster Periodischer Sicherheitsbericht (2001), S. 33 Fazit: Die Forderung, eine ehrliche und offene Evaluation kriminalpolitischer Maßnahmen vorzunehmen, verweist zu Recht auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem bestehenden kriminalstatistischen System Deutschlands. Die amtlichen Kriminalstatistiken bilden eine ausgesprochen wichtige Datengrundlage der Evaluationsforschung im Bereich der Kriminalpolitik, doch sollte berücksichtigt werden, dass Evaluationsforschung mehr erfordert, als „nur“ eine Verbesserung der Datengrundlage. Die Verbesserung ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine sachgerechte, an wissenschaftlichen Standards orientierte Evaluation von Maßnahmen. Bezüglich des bestehenden „Systems“ heterogener Statistiken ist darauf hinzuweisen, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) einem permanenten Reformprozess unterliegt, der nur in Abstimmung mit den zuständigen Gremien durchgeführt werden kann und die Belange verschiedenster Bedarfsträger in den Entscheidungsprozess einbeziehen muss. Kritik an der PKS sollte nicht von unerfüllbaren Erwartungen getragen werden, sondern unter Berücksichtigung der wesentlichen Merkmale der PKS erfolgen. Diese lassen sich mit den Begriffen Hellfeldstatistik, Massenstatistik und Ausgangsstatistik umreißen. Der Aussagekraft der PKS sind deshalb relativ enge Grenzen gesetzt. Im Rahmen dieser Grenzen wurden im Laufe der letzten zehn Jahre durchaus bedeutende Fortschritte, die Aussagekraft der PKS betreffend, erzielt. Wenn über Reformen nachgedacht wird, sollte zum einen der Umgang mit Zahlen der amtlichen Statistiken, zum anderen die Weiterentwicklung des Gesamtsystems der Kriminal- und Rechtspflegestatistiken kritisch ins Auge gefasst werden. Eine seriöse Interpretation statistischer Daten ist in „postfaktischen“ Zeiten von zentraler Bedeutung für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Reformen am Gesamtsystem sind in der Tat wünschenswert. Vorschläge hierzu liegen seit Längerem gewissermaßen „auf dem Tisch“ und werden z. T. auch aufgegriffen. Besonders hervorzuheben sind hier Bemühungen um eine regelmäßige, statistikbegleitende Dunkelfeldforschung in Form von Viktimisierungssurveys und Anstrengungen im Hinblick auf die Schaffung der in der Sachverhaltsdarstellung geforderten „Einheits- bzw. Verlaufsstatistik“. gez. Dr. Mischkowitz
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