Das Powerplay der Casino-Connection

6 Geldspielgesetz
Parlament sperrt Online-Spiele
NORDWESTSCHWEIZ
DONNERSTAG, 2. MÄRZ 2017
Das Powerplay der Casino-Connection
Wie Lobbyisten das Parlament dazu brachten, Teile des Internets abzuriegeln – ein Schmierentheater in sieben Akten
VON DENNIS BÜHLER UND SVEN ALTERMATT
Es ist ein Tabubruch: Die Netzsperre
kommt. Nach dem Ständerat hat sich gestern Abend auch der Nationalrat deutlich
dafür ausgesprochen, dass die GeldspielSeiten von ausländischen Anbietern hierzulande künftig nicht mehr abrufbar sein
sollen. Es geht um ein Milliarden-Geschäft. Ist die Schweiz jetzt auf dem direkten Weg zur Internet-Zensur? Und wie
kam es zu dem denkwürdigen Entscheid?
1.
AKT Casinos und Lotterien spielen
Powerplay in der Vernehmlassung
Das Lotteriegesetz aus dem Jahre 1923,
das Spielbankengesetz von 1998 – die
Schweizer Geldspielregulierung stammt
aus Zeiten, als der grosse Gewinn (oder
Verlust) noch mehr als einen Klick entfernt war. Entsprechend unbestritten war
anfänglich das bundesrätliche Ansinnen,
die beiden veralteten Gesetze in einem
neuen zu fusionieren: Im Schatten der
hauchdünnen Annahme der Zweitwohnungsinitiative ging am 11. März 2012 regelrecht unter, dass gleichentags auch 87
Prozent der Stimmbevölkerung und alle
Stände Ja sagten zum Bundesbeschluss
über die «Regelung der Geldspiele zugunsten gemeinnütziger Zwecke».
Doch dann begann ein Powerplay, wie
man es kaum je zuvor bei der Ausarbeitung eines Gesetzes sah. Wie hitzig der
Kampf ausgefochten werden würde, zeigte sich bereits während der Vernehmlassung: 1702 Stellungnahmen gingen 2014
beim Bundesamt für Justiz ein – nur einmal in der Geschichte der Schweiz waren
es mehr (bei der Totalrevision der Bundesverfassung Ende der Neunzigerjahre).
Vor allem die hiesige Geldspiel-Lobby zog
alle Register: Nicht nur drängten Casinos
ihre Mitarbeiter, eine persönliche Stellungnahme abzugeben, und stellten hierfür Musterbriefe zur Verfügung; auch mit
gefälschten Unterschriften wurde operiert. Die Berner Generalstaatsanwaltschaft ermittelte monatelang, verzichtete
letztlich aber auf die Einleitung eines formellen Verfahrens. Dies, weil die teilweise
gefälschten Unterschriften auf den Stellungnahmen zu keiner «erkennbaren Besserstellung» im Gesetzgebungsprozess geführt hätten.
2.
AKT Lobbyierende Parlamentarier
seifen ihre Ratskollegen ein
Schon der Gesetzesentwurf von Bundesrat und Verwaltung nahm die meisten Interessen der Casino- und Lotterie-Connection auf, die seit Jahren mit schwindenden
Einnahmen kämpft und den Grund hierfür in der ausländischen Online-Konkurrenz sieht. Kein Wunder: Ihre Juristen hatten aktiv mitgeschrieben. Im Vorfeld der
parlamentarischen Debatte intensivierten
sie ihr Lobbying nochmals massiv. Der
ehemalige CVP-Präsident Christophe Darbellay, Präsident des Schweizer CasinoVerbandes, und der Urner FDP-Ständerat
Josef Dittli, Verwaltungsratspräsident von
Swisslos, liessen ihre guten Beziehungen
spielen.
Auch die Sportlobby, die sich via SportToto-Gesellschaft finanziert, warf ihr Gewicht in die Waagschale: An vorderster
Front weibelten der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl, als Nationalratspräsident
gegenwärtig höchster Schweizer und
gleichzeitig Präsident von Swiss Olympic,
und Sport-Toto-Direktor Roger Hegi. Einst
Fussballprofitrainer, coacht Hegi heute
nur noch den FC Nationalrat. Dieses Amt
allerdings ist lukrativ: Es stellt den direkten Zugang zu einflussreichen Parlamentariern sicher. Regelmässig schnüren beispielsweise die Nationalräte Eric Nussbaumer (SP/BL), Marco Romano (CVP/TI)
oder
Ständerat
Hannes
Germann
(SVP/SH) die Fussballschuhe. Die SportToto-Gesellschaft erhält viel Geld aus dem
Lotterie-Topf: 2015 waren es 33,6 Millionen Franken.
Lange Zeit sah es aus, als ob die Lobbyisten, die sich für eine Abschottung des
Schweizer Glückspielmarktes einsetzten,
einen lockeren Start-Ziel-Sieg einfahren
würden. Von der Gegenseite nämlich war
wenig zu hören.
Das neue Geldspielgesetz will Schweizer Casinos besser schützen. Die Branche sieht sich bedrängt durch ausländische Internetanbieter.
3.
AKT Beim ersten Showdown feiern
Casinos Kantersieg im Ständerat
Erst unmittelbar vor der Debatte im Ständerat erwachten die Offshore-Anbieter
von Online-Glücksspielen aus ihrem Dornröschenschlaf. In ihrer Verzweiflung engagierten sie den früheren Schweizer Botschafter in Berlin, Thomas Borer, der inzwischen als – spätestens seit der «Kasachstan-Affäre» reichlich umstrittener –
Lobbyist tätig ist. Nie zuvor hätten sie derart heftiges Lobbying erlebt, beschwerten
sich der grüne Genfer Ständerat Robert
Cramer und sein Baselbieter SP-Kollege
Claude Janiak bei der Debatte in der kleinen Kammer im vergangenen Juni. «Monsieur Borer und seine beiden Mitarbeiter
rannten uns in der Wandelhalle in einer
Art und Weise hinterher, die an die Ausdauer von Staubsauger- oder Telefonverkäufern erinnerte», schimpfte Cramer.
Der Ständerat ging nicht auf die Argumente ein. Zwar sprach er sich dafür aus,
mit dem neuen Gesetz Poker, Roulette,
Black Jack und weitere Geldspiele im Internet zu erlauben – doch nur auf Schweizer Portalen. Ausländische Online-Casinos
ohne Niederlassung in der Schweiz sollen
keine Konzession erhalten. «Leute in unserem Land sollen Schweizer Angebote
nutzen», befahl der Tessiner Freisinnige
Fabio Abate. Ohne Gegenstimme hiess die
kleine Kammer das Gesetz gut.
4.
AKT Politiker nehmen plötzlich
auch Google ins Visier
Im Ständerat noch bloss am Rande ein
Thema, rückte der Begriff «Netzsperre»
im Vorfeld der Beratungen der nationalrätlichen Rechtskommission im Herbst so
richtig ins Zentrum. Vordergründig geht
es um den «besseren Schutz von Spielsüchtigen», wie es das Bundesamt für Justiz nennt. Laut Sucht Schweiz weisen
47 000 Personen in der Schweiz problematisches Spielverhalten auf, 28 000 sollen spielsüchtig sein.
Faktisch jedoch bedeutet die Netzsperre eine Marktabschottung: Geldspiel-Seiten von ausländischen Anbietern sollen
künftig nicht mehr abrufbar sein. Wer diese durch technische Kniffe doch anvisiert,
soll wissen, dass er illegal handelt. Gegen
diesen «Grundsatzentscheid zur Abschottung im Netz» liefen ICT-Organisationen
und die Digitale Gesellschaft Sturm. Ihre
späte Lobbying-Offensive erreichte ihren
Höhepunkt im Dezember. Einer der Strippenzieher: Jean-Marc Hensch, Geschäftsführer des Branchenverbandes Swico. Im
LOTTERIEN UND WETTEN
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Um wie viel Geld
geht es überhaupt?
«Es geht um sehr viel Geld»,
sagte Bundesrätin Simonetta
Sommaruga gestern. Im Jahr
2015 setzten die Schweizer
Lotterien und Wetten 2,75 Milliarden Franken um, wovon
1,86 Milliarden Franken in
Form von Gewinnen wieder
an die Spieler zurückflossen.
Die Differenz bildet den Bruttospielertrag. Zwei Drittel davon schütteten die Spielveranstalter an die kantonalen
Lotterie- und Sportfonds sowie an direkt begünstigte Verbände aus. Im Schnitt gaben
Schweizer im Jahr 2015 331
Franken für bewilligte Lottospiele und Sportwetten aus
und gewannen durchschnittlich 224 Franken. (DBÜ)
EINGRIFF INS INTERNET
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Wie funktioniert
eine Netzsperre?
Manche sprechen von Zensur: Internetanbieter sollen
verpflichtet werden, den Zugriff auf gewisse Dienste zu
verhindern. Solche Netzsperren sind umstritten. Zum einen, weil sie an der Freiheit
des Internets ritzen. Zum anderen, weil sie leicht zu umgehen sind. Dafür reiche «bescheidenes technisches Wissen», so ein Gutachten der
Universität Zürich. Mit einem
Virtual Private Network (VPN)
wird die Verbindung auf einen
Server im Ausland umgeleitet.
Ein VPN lässt sich heute mit
wenigen Klicks einrichten,
entsprechende Apps sind auf
vielen Computern mittlerweile
sogar vorinstalliert. (SVA)
Bundeshaus demonstrierte er an seinem
Laptop, wie einfach sich Netzsperren umgehen lassen. «Uns interessieren Glücksspiele nicht die Bohne», sagte der ICTLobbyist vor einer Parlamentarier-Gruppe. «Aber hier geht es um eine Entwicklung, die für das Internet schädlich ist.»
Gemeinsam mit Economiesuisse setzten
sich die Internetaktivisten für eine Alternative zur Netzsperre ein: Fünf Jahre nach
Inkrafttreten des neuen Gesetzes sollte
der Bundesrat prüfen, ob weitergehende
Massnahmen nötig sind. Sogar der WebGigant Google war am Kompromissvorschlag beteiligt. Man verstehe sich als
«Teil der digitalen Wirtschaft» in der
Schweiz und bringe seine Positionen entsprechend bei den Branchenverbänden
ein, sagte ein Google-Sprecher gegenüber
der «Nordwestschweiz». Tatsächlich nahmen Politiker auch die Kerntätigkeit des
Unternehmens ins Visier: Während der
Beratungen in der Rechtskommission forderte eine Minderheit, dass Suchmaschinen hierzulande nicht mehr auf ausländische Online-Spiele hinweisen dürfen.
5.
AKT Sinneswandel in den
Polparteien SP und SVP
Netzsperre ja, Netzsperre nein: Diese Frage spaltete von Beginn an viele Parteien –
und führte bei den Polparteien SP und
SVP zu einem erstaunlichen Sinneswandel. An ihrer Delegiertenversammlung im
Dezember 2015 hiessen die Sozialdemokraten eine unzweideutige Juso-Forderung gut: «Die SP will keine Netzsperren,
da diese ein Mittel der Zensur darstellen.»
Schon in der Rechtskommission aber
stimmten die SP-Nationalräte einstimmig
für die protektionistische Massnahme. An
ihrer Seite sagten die CVP- und FDP-Vertreter Ja, während Grüne und Grünliberale klar dagegen votierten. Besonders die
Freisinnigen mussten sich für die Zustimmung zu dieser «unliberalen Lösung»
(«NZZ») harrsche Kritik anhören.
In zur SP umgekehrter Richtung kehrte
auch die SVP ihre Meinung ins Gegenteil.
Noch in der Kommission waren ihre Nationalräte einstimmig gegen Netzsperren.
Solche seien ohnehin leicht zu umgehen
und brächten nichts, argumentierte der
St. Galler Nationalrat Lukas Reimann. Die
neun SVP-Stimmen waren es, die den
ständerätlichen Entscheid in der vorberatenden Kommission kippten: Mit 13 zu 12
Stimmen stellte sich die Rechtskommission knapp gegen eine Netzsperre. Gestern
aber war dann plötzlich alles anders.
GAETAN BALLY/KEYSTONE
6.
AKT Die mahnenden Anrufe der
Regierungsräte
SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz, der
jahrelang Delegierter bei der Sport-Toto-Gesellschaft war, hatte seine Schäfchen ins Gebet genommen. Der interne
Druck fruchtete – kombiniert mit Einflussnahme von aussen. Über das letzte
Wochenende erhielten Dutzende SVPParlamentarier Telefonanrufe von Regierungsräten. Gleich erging es zahlreichen
Nationalräten anderer Parteien. Das Kalkül der Kantonsvertreter: Wenn sie bloss
genügend an die regionale Verantwortung der Nationalräte erinnerten, würden diese die Casinos und Lotterien gegen Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Der Grossteil der Glücksspiel-Gewinne schliesslich geht an die Kantone:
Im vorletzten Jahr waren es rund 600
Millionen Franken. 273 Millionen Franken kamen der AHV zugute.
Zwar warnten die beiden SVP-Nationalräte Lukas Reimann und Franz Grütter
gestern eindringlich vor der Netzsperre.
«Die Internetzensur beginnt mit dem heutigen Entscheid», sagte der St. Galler. Und
der Luzerner Grütter – immerhin Finanzchef seiner Partei – sprach von einem
«Dammbruch». Votiere das Parlament für
die Netzsperre, würden andere Branchen
ebenfalls Schutz vor ausländischer Konkurrenz verlangen. «Dann wollen die Kleiderhändler Zalando sperren, die Taxifahrer Uber, die Hoteliers Airbnb. Wo kommen wir da hin?»
Die Warnungen liefen ins Leere. Mit 147
zu 32 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach
sich der Nationalrat für Netzsperren aus.
7.
AKT Netzpolitiker liebäugeln mit
dem Referendum
Der wichtigste Entscheid ist gefallen. Zu
Ende beraten aber wird das Geldspielgesetz erst in der übernächsten Woche.
Schon jetzt überlegen Netzpolitiker verschiedener Parteien, ein Referendum zu
ergreifen.
«Vermutlich aber ist das aussichtslos»,
sagte SVP-Nationalrat Franz Grütter gestern Abend konsterniert im Gespräch mit
der «Nordwestschweiz». «Kantone, AHV,
Sport und Kultur – von diesem abgeschotteten System profitieren Kräfte, die zu
mächtig sind. Das hat sich heute bei der
nationalrätlichen Klientelpolitik gezeigt.»
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