Editorial

DAS UNBEKANNTE
Es war hinter dem Loch, nun liegt es da, Sie nehmen es
geradewegs in den Blick. Erkennen Sie es, das Unbekannte?
Könnte ja sein. Vielleicht erwidert es sogar Ihren Blick?
Dann haben Sie gerade das Bekannte im Unbekannten
entdeckt.
Wir machen das so, wir Menschen, denn das Unbekannte macht uns Angst. Sobald es Gestalt annimmt –
und sei es in Form eines Gespensts oder eines Aliens –,
beruhigt uns das, schreiben Zoë Lehmann Imfeld und
Claudine Bollinger in ihrem Beitrag über «Monster als
Haustiere».
Und so machen es auch Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, wenn sie Unbekanntes sichten: Sie
setzen das Neue – etwa einen neuentdeckten Planeten – erst einmal mit dem Bekannten in Verbindung,
gleichen es damit ab, suchen nach Differenzen und
erweitern damit das allgemeine Wissen (etwa über
Planeten).
Bereits Babys betreiben systematischen Wissenserwerb durch Fokussieren auf das Unbekannte – gerne
schmeissen sie auch Teller zu Boden, bis sie genau
begriffen haben, wie das knallt und splittert. Fühlen
sich Kinder sicher und aufgehoben, bleiben sie im
besten Fall ein Leben lang neugierige Forscherinnen und Forscher, schreibt Hansjörg Znoj in
seinem Beitrag zur «Psychologie der Forschenden» – überwiegt hingegen die Angst,
lernen sie das Unbekannte zu meiden.
Doch selbst den Mutigsten entzieht sich
das Unbekannte, entschwindet es doch,
sobald es sich in Bekanntes wandelt.
«Schatten kann man nicht beleuchten»,
schreibt dazu Claus Beisbart und zeigt
andere Möglichkeiten zu «Philosophischen Expeditionen ins Unbekannte» auf.
Von ihren ganz individuellen Reisen ins
Unbekannte berichten in diesem Heft
zwölf Berner Forscherinnen und Forscher in
aller Kürze.
Auch Künstlerinnen und Künstler streifen
durch die Gefilde des Unbekannten, wie Eva
Buchberger in der von ihr konzipierten Bildstrecke zeigt.
Vor 500 Jahren stellte sich Martin Luther dem damals
Bekannten – dem Ablass – entgegen und bewirkte mit
seiner Haltung das Unbekannte, wie Andreas Wagner
im UniPress-Gespräch ausführt: die Reformation.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.
Timm Eugster und Marcus Moser
© Foto: Manu Friederich
UniPress
170/2017
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