1 Freitag, 03.03.2017 SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs

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Freitag, 03.03.2017
SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs: Vorgestellt von Dorothea Bossert
Gut gemacht
1517
Mitten im Leben
Calmus Ensemble
Lautten Compagney
Wolfgang Katschner
Carus 83.477
Großer Genuss
Luther Collage
Calmus Ensemble
Carus 83.478
Reifes Geigenspiel
Polychrome
Prokofiev • Strauss • Ravel
Tobias Feldmann, violin
Boris Kusnezow, piano
Alpha Records 253
Spektakuläres Konzeptalbum
Azahar
La Tempête
Simon-Pierre Bestion
Guillaume de Machaut: Messe de Notre-Dame
Igor Strawinsky: Messe
u. a.
Alpha Records 261
Ganz eigene Deutung
Carl Maria von Weber
Complete Works for Clarinet
Sebastian Manz
SWR Stuttgart Radio Symphony Orchestra
Antonio Méndez
Berlin Classics 0300835 BC
Signet „SWR2 Treffpunkt Klassik – Neue CDs“ … am Mikrophon ist Dorothea Bossert.
„Mutige Aufnahmen“ könnte man das Motto der heutigen Ausgabe von Treffpunkt Klassik
nennen – ausgewählt habe ich neu erschienene Einspielungen, auf denen die Interpreten
sich Freiräume nehmen und sie mit großer Spielfreude und Mut zum Risiko nutzen.
Das Leipziger Calmus Ensemble ist gleich zweifach dabei mit seinen beiden sehr
unterschiedlichen Konzept-CDs zum 500-jährigen Jubiläum der Reformation. – Dann gibt es
eine Debüt-CD – schon das allein ist eine Mutprobe – von dem Geiger Tobias Feldmann mit
Violinsonaten von Sergej Prokofjew, Richard Strauss und Maurice Ravel. – Als Drittes habe
ich ein junges französisches Ensemble ausgewählt, „La Tempête“ heißt es, das Musik des
französischen und spanischen Mittelalters mit Werken von Igor Strawinsky und Maurice
Ohana mixt, und die beiden Sphären durch ihre Interpretation so kraftvoll verbindet, dass die
Grenzen zwischen den Jahrhunderten verschwinden. Und zuletzt habe ich hier ein
Doppelalbum, in dem der Klarinettist Sebastian Manz alle Klarinettenwerke von Carl Maria
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von Weber eingespielt hat – eine markante und eigenwillige Visitenkarte, inspiriert von
Benny Goodman als innerem Vorbild. Das können Sie hören in den kommenden 90 Minuten.
Jetzt also zur ersten CD. Das Reformations-Jubiläum wird uns in diesem Jahr noch intensiv
beschäftigen – 500 Jahre Thesenanschlag von Wittenberg wird gefeiert –, und alle werden
sich Mühe geben, dem alten Thema neue Aspekte abzugewinnen. Das Leipziger Calmus
Ensemble geht das Jubiläum gleich zweifach an: Zum einen mit einer CD, die mit das
Lebensgefühl um 1517 illustrieren will, auch mit geistlichen, vor allem aber mit weltlichen
Liedern der Luther-Zeit. Die andere nimmt einige der bekanntesten Luther-Lieder zum
Thema und baut aus Kompositionen anderer Komponisten, die diese Choräle zur Vorlage
haben, Collagen, die einen musikalischen Bogen über mehrere Jahrhunderte spannen. Da
sich die beiden CDs bewusst ergänzen, finde ich, sie gehören zusammen und will sie Ihnen
beide vorstellen. „Mitten im Leben“ heißt die erste CD – und so klingt sie auch:
Ludwig Senfl: Es het ein Biedermann ein Weib
2‘10
Von Ludwig Senfl ist diese schadenfrohe Moritat über eine junge Frau, die bei dem Versuch,
ihren Mann mit einem hübschen jungen Burschen zu hintergehen, auf frischer Tat ertappt
wurde. Oder hören Sie einmal dieses böse Spottlied von Stephan Zirler, das ganz
unmittelbar aus der Reformationszeit stammt. Mit dem Schwur „Ich will fürhin gut päpstlich
sein, des Luthers Lehr verachten“ besingt es genüsslich all die Vorteile, die die Katholische
Kirche mit Ablasshandel und käuflicher Sündenvergebung bietet:
„Nach guten Tagen will ich mir
Und feisten Pfründen trachten.
Nach Zins und Rent steht mein Intent
Wenn ich die hätt, so könnt ich stet
In Lust und Freuden leben!
Wonach sollt ich sonst streben?
Stephan Zirler: Ich will fürhin gut päpstlich sein
5‘50
In der Liedersammlung „Frische teutsche Liedlein“ von Georg Foster hat der
Programmstratege und kreative Kopf des Calmus Ensemble, Ludwig Böhme, diese beiden
Lieder entdeckt, 1556 wurde das Buch in Nürnberg gedruckt. Natürlich gibt es neben diesen
derben Volksliedern auch Kunstvolles, wie die Motette „Beati immaculati in via“ von Luthers
Freund und musikalischem Berater Johann Walter. Nach dem Vorbild der Motetten von
Josquin Desprez werden hier unterschiedliche Lieder und Texte übereinandergeschichtet:
Ein ostinater Bass preist Luther, und Melanchthon, die Altstimme, lobt ohne Unterbrechung
den sächsischen Kurfürsten, und vier weitere Stimmen widmen sich darüber dem
119. Psalm.
Johann Walter: Beati immaculati in via
3‘55
Sie haben es gehört, das Calmus Ensemble ist auf dieser CD nicht allein. Es hat sich mit
Wolfgang Katschners Lautten Companey zusammengetan. Eine gute Idee, denn gerade
durch den kraftvollen Bass der Renaissancelauten und den rauen Spaltklang der Bläser wird
der Schulterschluss der geistlichen Musik mit den Gassenhauern, Liedern und Tänzen des
Volks sinnfällig. „Kommmunikationsstrategie“ nennt Ludwig Böhme diesen Trick der
Reformatoren, die Musik für ihre Ideen sprechen und über neue deutsche Lieder und den
gerade erfundenen Notendruck effizient und schnell über ganz Deutschland verbreiten zu
lassen. Ludwig Böhme und Wolfgang Katschner greifen diese Idee auf und führen sie weiter,
indem sie die Lieder der Reformationszeit in eigenen Arrangements in Pop-Balladen oder
Jazz-Nummern verwandeln. Hier zum Beispiel Wolfgang Katschners Arrangement von „Ach
bittrer Winter“:
3
Traditionell: „Ach bittrer Winter“
3‘45
Und gleich noch einmal ein Winterlied, diesmal arrangiert von Ludwig Böhme:
Traditionell: „So treiben wir den Winter aus“
1‘50
Eine Crossover-CD also, die von den Liedern der Reformationszeit ausgeht. Mir persönlich
sind die Pop-Arrangements zu zahlreich und zum Teil auch zu seicht, für mich sind die
starken Momente dieser CD die kompetenten und kraftvollen Renaissancelieder – aber
natürlich sind sie alle gut gemacht – und es gibt genug Fans, die das Calmus Ensemble
genau für seine Grenzgänge zwischen Alter Musik und Pop lieben.
Ganz seriös dagegen ist die zweite Luther-CD, die das Calmus Ensemble gerade eben
herausgebracht hat, übrigens erschienen beim Carus-Verlag, ebenso wie die erste. „Luther
Collage“ heißt sie. Das Calmus Ensemble hat sich sieben Luther-Choräle vorgenommen, die
von unterschiedlichen Komponisten zur Vorlage für eigene Kompositionen wurden.
Ausgesetzte Choräle, Chormotetten und Sätze aus cantus firmus-Messen unterschiedlichster Komponisten werden aneinandergereiht und bilden die musikalische Vorlage für die
zahlreichen Strophen der Luther-Choräle. Besonders abwechslungsreich und apart wird
dieses Verfahren dadurch, dass das Calmus Ensemble auch Orgelwerke mit einbezieht,
dabei sehr gekonnt den Ton historischer Truhenorgeln imitierend. Hier als Beispiel die
Collage über den Luther-Choral „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“. Sie beginnt mit einem
romantischen Choralvorspiel des Leipziger Organisten Carl Piutti, dann folgt die erste
Choralstrophe als Motette aus dem „Wittenbergisch Geistlichen Gesangbuch“ des
Reformators Johann Walter, dann der Schlusschoral aus Johannes Brahms‘ Motette „Warum
ist das Licht gegeben“, anschließend ein Choralvorspiel für Orgel von Max Reger und zum
Schluss aus Felix Mendelssohns Motette op. 69 ein „Nun lässest du deinen Diener in
Frieden fahren“
Martin Luther: „Mit Fried und Freud ich fahr dahin“
11‘15
Das Leipziger Calmus Ensemble mit seiner Collage über den Luther-Choral „Mit Fried und
Freud ich fahr dahin“. Sieben solcher Collagen finden sich auf dieser CD – über „Ein feste
Burg ist unser Gott“, „Nun komm der Heiden Heiland“, „Christum wir sollen loben schon“ und
„Christ lag in Todesbanden“, dann „Komm, Gott Schöpfer, heiliger Geist“ und „Verleih uns
Frieden gnädiglich“. Die Collagen sind musikalisch klug und sensibel zusammengestellt und
makellos gesungen, wie man es vom Calmus Ensemble kennt und erwartet. Eine CD, die
man mit großem Genuss und durchaus auch Erkenntnisgewinn anhört, zeigt sie doch, wie
Luthers Choräle in der Kirchenmusik durch all die Jahrhunderte hindurch kraftvoll und
authentisch präsent geblieben sind. – „Luther-Collage“ ist der Titel dieser CD, erschienen ist
sie beim Carus Verlag.
Nach so viel Vokalmusik brauchen wir jetzt einmal etwas Instrumentales. Hier ist die DebütCD des jungen Geigers Tobias Feldmann. Für seine erste eigene Platte bei dem Label Alpha
Records hat er Violinsonaten von Sergej Prokofiew, Richard Strauss und Maurice Ravel
ausgewählt – drei Werke aus der klassischen Moderne also, die sehr unterschiedlich in ihrer
Diktion und ihrem Farbspektrum sind. Hier als erster Höreindruck ein Ausschnitt aus der früh
komponierten, aber erst posthum erschienenen Violinsonate von Maurice Ravel:
Maurice Ravel: Violinsonate Nr. 1 (Ausschnitt)
5‘15
Klangsensibel und dennoch entschieden und konturiert – mit warmem Ton und klarem
Strich, entspannt und dabei in jedem Augenblick hellwach. Tobias Feldmann inszeniert die
virtuosen Wechsel der Agogik und der Lagen zu einem überzeugenden großen Ganzen.
Souverän, mit großer Wärme des Klangs und einem ruhigen, weiten Atem.
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Und wie klingt er bei Richard Strauss‘ Violinsonate op. 18?
Richard Strauss: Violinsonate op. 18 (Ausschnitt)
4’40
Hier ist der Ton offener, kühler, das Vibrato flächiger. Packend finde ich die kontrastierenden
sotto voce-Stellen, an denen er den Ton verschattet und non vibrato ansetzt, um dann umso
konturierter wieder zur Hauptstimme zurückzukehren. Sehr überzeugend auch das
partnerschaftliche Zusammenspiel mit dem Pianisten Boris Kuznezow. Das ist ein reifer
Geiger mit eigener und sehr klarer Diktion und einem packenden Zugang zu dieser
spätromantischen Tonsprache.
Dabei ist Tobias Feldman gerade 25 – 1991 geboren. Aufmerksamen Beobachtern der
jungen Generation ist er kein Unbekannter. Nach vielfachen Preisen bei „Jugend musiziert“
und zahlreichen Wettbewerbserfolgen hat er 2012 den Deutschen Musikwettbewerb
gewonnen und den Preis der Kritikerjury sowie den Publikumspreis beim Joseph JoachimWettbewerb in Hannover, 2015 dann ein vierter Platz beim Königin Elisabeth-Wettbewerb in
Brüssel. Bei Herwick Zerwack in Würzburg und Antje Weithaas in Berlin hat er studiert, seine
Konzertkarriere lässt er eher langsam angehen: Mit Boris Kuznezow oder Julian Steckel als
musikalischem Partner konzertiert er auf Kammermusikfestivals in Mitteldeutschland, und mit
der Rheinischen Philharmonie Koblenz und der Nordwestdeutschen Philharmonie Herford
kann man ihn als Solist in den kommenden Monaten erleben. Aber wenn er live ebenso
spielt wie auf dieser CD, dann werden Engagements von internationalem Rang sicherlich
nicht lange auf sich warten lassen. Hier noch ein Ausschnitt aus seiner Interpretation der
zweiten Violinsonate von Sergej Prokefiev. Der virtuose zweite Satz:
Sergej Prokofjew: Violinsonate Nr. 2 (Ausschnitt)
4‘50
Tobias Feldmann war das, zusammen mit Boris Kuznezov – mit Höreindrücken von der
Debüt-CD des jungen Geigers. „Polychrome“ heißt diese Aufnahme mit Violinsonaten von
Maurice Ravel, Richard Strauss und zuletzt gehört – von Sergej Prokefiew. Bei Alpha
Records ist diese Platte erschienen.
Die nächste CD gehört wieder in die Abteilung kreativer Mut. Der französische Organist und
Dirigent Simon-Pierre Bestion hat zusammen mit seinem Ensemble La Tempête eine
radikale Einspielung vorgelegt, die Freunden der Alten wie der Neuen Musik die Ohren
schlackern lassen wird.
Bestion verbindet auf dieser CD Musik des Mittelalters und des 20. Jahrhunderts zu einem
spektakulären Konzeptalbum. Genauer gesagt sind es die berühmte „Messe de Notre Dame“
von Guillaume de Machaut und die Messe von Igor Strawinsky, die er mit mittelalterlichen
Mariengesängen des Spanischen Herrschers Alonso X. und Kompositionen des 20. Jahrhunderts von dem aus Marokko stammenden Franzosen Maurice Ohana verbindet. Und
zwar nicht, wie man es sonst von CDs kennt – also hübsch ein Werk nach dem anderen –,
sondern, indem er die Werke mischt und miteinander verwebt.
Schon das allein wäre ein kluges und inspirierendes Programm, denn Igor Strawinsky
schrieb seine Messe für Chor und Holzbläser tatsächlich, nachdem er die Messe de Notre
Dame von Guillaume de Machaut kennengelernt hatte. Und auch Maurice Ohana bezieht
sich in seinen Cantigas de Santa Maria aus den 1950er Jahren ganz ausdrücklich auf die
gleichnamigen Mariengesänge von Alfons X. von Spanien aus dem 14. Jahrhundert sowie
auf spanische Volkweisen und Marienprozessionen.
Richtig verrückt wird diese CD aber jetzt durch einen experimentellen Ansatz. Offenbar ist
der junge Simon-Pierre Bestion ein vielseitig gebildeter und ausgebildeter Musiker. Er kennt
den französischen Mittelalter-Spezialisten Marcel Perès, der mit seinem Ensemble Organum
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die notierte Musik des Mittelalters mit den Musizier- und Verzierungspraktiken
zusammenführt, die sich in der traditionellen französischen Volksmusik erhalten haben.
Bestion geht hier aber noch einen Schritt weiter: Er verbindet die Machaut-Messe mit der
Musizierpraxis des spanischen Mittelalters und einer Tongebung, wie sie sich etwa im Cante
Jondo oder im Flamenco erhalten hat – musiziert Machauts Messe also so, wie sie im
Mittelalter von einem Ensemble in Andalusien oder Kastilien geklungen haben könnte.
Guillaume de Machaut: Messe de Notre Dame (Ausschnitt)
4‘55
Guillaume de Machauts Messe de Notre Dame in der Interpretation von Simon-Pierre
Bestion und seinem Ensemble Tempête.
Die Sänger dieses Ensembles sind mit der Alten Musik vertraut. Kräftige, direkte Stimmen
mit wenig Vibrato habe er ausgewählt, erzählt der Ensembleleiter im Booklet, Sänger, die er
angehalten hat zu einer vollen, ziemlich gutturalen Stimmgebung, wie in korsischen,
baskischen oder georgischen Gesängen. Und auch das Orchester stammt aus der Alten
Musik-Szene. Es spielt mit historischen Instrumenten und einer Aufführungspraxis, die aus
dem Geist der Musik des Mittelalters heraus frei und ziemlich individuell mit den Noten
umzugehen gewohnt ist – und zwar auch, wenn es sich um Musik von Igor Strawinsky
handelt. Hier das Kyrie der 1948 komponierten Messe für Chor und Bläser in der
Interpretation des Ensembles La Tempête.
Igor Strawinsky: Messe (Ausschnitt)
3‘00
Ich bin sicher, Strawinsky hätte dieser archaische Ton bei der Aufführung seiner Messe gut
gefallen. Auf der CD sorgt er dafür, dass die Machaut-Messe ihre Modernität preisgibt und
die Strawinsky-Messe ihre mittelalterlichen Wurzeln – und zwar bis zu einem Grad, wo man
sich immer wieder dabei ertappt, das Booklet zur Hand zu nehmen, um zu überprüfen, ob
man gerade Machaut oder Strawinsky hört.
Gesteigert wird dieser konstruktive Orientierungsverlust des Hörers im zweiten Teil der CD,
wenn sich die Mariengesänge, die der spanische Herrscher Alfonso X. el Sabio um 1250
gedichtet und aufgezeichnet hat, vermischen mit den Mariengesängen von Maurice Ohana,
die der französisch-marokkanische Komponist 1954 geschrieben hat. Hier ein Klangeindruck
dieser Spannung zwischen Mittelalter und Moderne.
Alfonso X. el Sabio: Cantigas de Santa Maria (Ausschnitt)
Maurice Ohana: Cantigas (Ausschnitt)
1’50
3’50
Das französische Ensemble La Tempête war das mit Gesängen aus dem spanischen
Mittelalter und zuletzt mit Musik von Maurice Ohana. Ein Geheimtipp unter den
französischen Komponisten übrigens – kaum bekannt, aber hochinteressant. Ziel seiner
Musik war genau das, was das Ensemble Tempête hier auf dieser CD unternimmt: den
Gesang der europäischen Kunstmusik zu befreien und zwar aus dem Geist eines
wiedergefundenen primitiven Zustandes, wie er etwa in den Musiken Afrikas oder des
Flamenco zu finden ist.
„Azahar“ heißt diese CD – das ist der spanische Name für die Orangenblüte – das Wort
stammt aus dem Arabischen, wurzelt also in der Zeit, in der Andalusien maurisch – heute
würde man sagen Maghrebinisch – war. Ein treffender Titel für dieses Konzeptalbum, das
Mittelalter und Moderne, Französisches, Spanisches und Arabisches verbindet – so klug wie
die ganze Platte. Le Tempête heißt das Ensemble, der Leiter Simon-Pierre Bestion. Ein
Name, den man sich merken sollte.
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Für mich ist diese Aufnahme eine Entdeckung. Natürlich ist es eine spektakuläre und
spekulative Inszenierung – natürlich kann man gerade die Strawinsky-Messe perfekter und
durchsichtiger hören – aber diese Produktion verwebt wenig bekannte Musik des Mittelalters
und der Moderne zu einem lustvollen, inspirierenden und im höchsten Maße aufregenden
Konglomerat, das – und das ist vielleicht das Wichtigste daran – diese Musik in ihrem Kern
trifft. Bei Alpha Records ist diese Platte erschienen.
Zu guter Letzt habe ich hier noch eine CD, die in unserem Haus produziert ist. Darum will ich
sie auch gar nicht bewerten, sondern sie einfach nur vorstellen und Ihnen einige
Informationen aus dem CD-Booklet dazu an die Hand geben. Der Soloklarinettist des SWR
Symphonieorchesters hat sie aufgenommen – Sebastian Manz. Alle Werke für Klarinette von
Carl Maria von Weber – auf einer Doppel-CD.
Carl Maria von Weber: Grand Duo concertant (Ausschnitt)
6’00
Der Kopfsatz des „Grand Duo concertant“ op. 48 von Carl Maria von Weber. „Ohne Weber
hätte ich es auf der Klarinette nicht so weit gebracht“ wird Sebastian Manz im Booklet der
CD zitiert. „Mit 12 habe ich eine Aufnahme des dritten Satzes aus dem zweiten
Klarinettenkonzert mit Benny Goodman gehört. Ziemlich abgefahren. Ein Jazzklarinettist mit
dem Weber-Konzert. Aber ich war total begeistert, mit wie viel Energie er das gespielt hat.
Das hat mich inspiriert, und ab diesem Moment habe ich wirklich angefangen zu üben.“ Bei
Sabine Meyer und Reiner Werle hat Sebastian Manz studiert und wurde mit einem Schlag
bekannt, als er 2008 den ARD-Wettbewerb gewann. Es war seit 40 Jahren zum ersten Mal,
dass dort wieder ein erster Preis in der Kategorie Klarinette vergeben wurde.
Carl Maria von Weber: Grand Duo concertant (Ausschnitt)
5‘10
„Webers in Virtuosität und Raffinesse kaum zu übertreffende Klarinettenkonzerte und
Kammermusik-Stücke sind innovativ, frech und strotzen nur so vor jugendlicher Leichtigkeit
und Dramatik. Ihm können wir getrost die gleiche Bedeutung für die Entwicklung des
Instrumentes zuschreiben wie Wolfgang Amadeus Mozart. So weiß jeder Klarinettist, dass er
mit der Einspielung von Webers Klarinettenkonzert eine künstlerische Visitenkarte abgibt, die
dem Vergleich mit den bereits vorhandenen Aufnahmen großer Musiker standhalten muss.
Diesen Vergleich sollte aber niemand scheuen, sondern als kreative Herausforderung
begreifen: Als Interpret stellt man sich der Aufgabe, die „perfekte“ Gradwanderung zwischen
Texttreue undkünstlerischer Freiheit zu meistern und zugleich die Grenzen des „erlaubten“
auszuloten“ – schreibt Sebastian Manz im Booklet zu dieser CD. Ebenso wie der
Uraufführungsklarinettist Heinrich Joseph Beermann sich damals in Webers
Kompositionsprozess eingemischt hat, wie es die Autographe belegen, mischt sich auch
Sebastian Manz ein und nimmt sich in dieser Aufnahme die Freiheit für seine ganz eigene
Deutung.
Carl Maria von Weber: Klarinettenkonzert Nr. 1 (Ausschnitt)
8‘15
Alle Klarinettenwerke von Carl Maria von Weber hat Sebastian Manz auf diesem Album
eingespielt: beide Klarinettenkonzerte mit dem SWR Sinfonieorchester Stuttgart, das Grand
Duo Concertant und die Silvana Variations op. 33 zusammen mit dem Pianisten Sebastian
Klett und das Klarinettenquintett op. 34 zusammen mit dem CasalQuartett. Erschienen ist die
Aufnahme bei Berlin Classics.
Und damit sind wir am Ende der heutigen Ausgabe von „Treffpunkt Klassik – Neue CDs“.
Das Manuskript dieser Sendung und die Liste mit den besprochenen CDs finden Sie im
Internet auf SWR2.de.
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Am Mikrophon war Dorothea Bossert. Ich bedanke mich fürs Zuhören und gebe jetzt weiter
an die Kulturtipps und anschließend erfahren Sie das Neueste vom Tage in den SWR2
Nachrichten.