Albrecht Brockhaus Jürgen Engemann DAS NIEDERTEMPERATURPLASMA Universalwerkzeug für Oberflächen Plasma, das unbekannte Wesen Professor Dr.-Ing. Dr. h.c. Jürgen Engemann, Leiter des Forschungszentrums für Mikrostrukturtechnik – f turen von über hundert Millionen Grad erfordert, wie sie normalerweise nur im Inneren der Sonne und anderer Sterne vorkommen. Wenn von Plasma die Rede ist, denken viele Menschen zunächst an das Blutplasma. Wir verstehen darunter jedoch ein Ensemble von elektrisch geladenen und ungeladenen Teilchen, das als Ganzes elektrisch neutral ist. In mancher Hinsicht ähnelt ein solches „Gebilde“ - so die wörtliche Übersetzung des griechischen Wortes Plasma - einem Gas. Die geladenen Teilchen sorgen jedoch dafür, dass ein Plasma nicht nur elektrisch erzeugt und beeinflusst werden kann, sondern merkwürdige und von einem Gas völlig verschiedene Eigenschaften hat. Daher nennt man den Plasmazustand der Materie auch den vierten Aggregatzustand. Was fasziniert Forscher und Anwender am Phänomen Plasma? Neben der Erforschung dieser heißen, sog. thermischen Plasmen ist es neuerdings vor allem das Niedertemperaturplasma, das die Aufmerksamkeit der Forscher und Ingenieure anzieht. Seit seiner Gründung 1991 widmet sich das Forschungszentrum für Mikrostrukturtechnik - f, das zum Institut für Materialwissenschaften gehört, intensiv der Physik und Technologie von Niedertemperaturplasmen. In einem solchen nichtthermischen Plasma sind nur die leichten Elektronen heiß (einige zehntausend Grad), Ionen und Neutralteilchen haben dagegen annähernd Zimmertemperatur. Eine Fusion lässt sich so nicht erreichen, wohl aber Lichtemission und eine Vielzahl chemischer Reaktionen, die durch die energiereichen Elektronen initiiert werden. Hieraus resultiert ein beachtliches Potenzial für industrielle Anwendungen, die von der Mikroelektronik / Mikrosystemtechnik über die Lichterzeugung, Automobiltechnik, Medizintechnik bis zum Einsatz im Umweltschutz reichen. Die bekannte „Energiesparlampe“ beispielsweise müsste eigentlich „Plasmalampe“ heißen, denn ihr Licht wird mit einem Chemisch reaktiv, jedoch nicht notwendig heiß In den letzten Jahrzehnten sind große Anstrengungen unternommen worden, um das Plasma zur Energieerzeugung mittels kontrollierter Kernfusion zu nutzen. Die wissenschaftlich-technischen Herausforderungen sind enorm, weil die Überwindung der Abstoßungskräfte zwischen den Plasmateilchen sehr hohe Tempera- 21 output 6/2002 Dr. Albrecht Brockhaus, Physiker und Leiter der Gruppe Plasmadiagnostik im Forschungszentrum für Mikrostrukturtechnik – f Blick in ein Hochfrequenzplasma zu Sterilisationszwecken. beispielsweise die elektrische Feldverteilung in einer SLANAnregungsstruktur ermitteln. Plasmadüsen zur Erzeugung von dünnen Schichten Niedertemperaturplasma erzeugt. Einige aktuelle Beispiele aus Forschungsarbeiten des f verdeutlichen die weitreichenden Möglichkeiten des Niedertemperaturplasmas. Plasmaradikale gegen Bakterien Das Prinzip ist bestechend: elektrisch steuerbare Plasmachemie bei Raumtemperatur ohne die Probleme, die sich sonst durch hohe Prozesswärme ergeben. Mit einer im f entwickelten 13,56 Megahertz Hohlkathodenplasmaquelle werden unter Zugabe von Wasserstoffperoxid zum Argon chemisch sehr reaktive Radikale generiert, die in der Lage sind, Viren, Bakterien und Sporen zu zerstören. Die hervorragende Effizienz dieser Behandlungsmethode lässt sich daran ablesen, dass nach einem Arbeitszyklus von ca. 30 Minuten nicht einmal ein Bakterium von einer Million überlebt. Hier wirkt sich günstig aus, dass im Plasma zusätzlich zu den Radikalen auch Ultraviolettstrahlung erzeugt wird, die die Sterilisation unterstützt. Da der Prozess bei Raumtemperatur abläuft, las- Um ein möglichst homogenes Plasma zu erzielen, muß die Geometrie der Plasmaquelle optimiert werden. Wir verwenden dazu einerseits plasmadiagnostische Methoden wie Langmuirsonden, Emissionsspektroskopie und Laserspektroskopie, um gezielt Plasmaeigenschaften zu messen. Andererseits lässt sich mit Hilfe von Simulationssoftware sen sich auch hitzeempfindliche Materialien sterilisieren, beispielsweise Dialyseschläuche oder chirurgisches Besteck aus Kunststoff. Plasmaquellen im Industriemaßstab Während es relativ einfach ist, ein kleines Plasma von einigen Zentimetern Durchmesser zu erzeugen, stellt die Hochskalierung von Plasmaquellen für industrielle Prozesse eine echte Herausforderung dar. Im f sind zur Lösung dieser Fragen verschiedene Konzepte erarbeitet worden, die zum Teil auch patentiert wurden. Eine Abbildung zeigt eine ganze Familie von Mikrowellenplasmaquellen unterschiedlicher Größe. Das Anregungsprinzip SLAN (slot antenna) basiert auf der Einkopplung von Mikrowellenleistung bei 2,45 GHz durch eine Anzahl von Schlitzantennen in einem Hohlleiter. Die SLAN-Familie, kleine und große (66 cm Durchmesser) Mikrowellenplasmaquellen nach dem Schlitzantennenprinzip. 22 output 6/2002 Eine andere von uns entwickelte Plasmaquelle verwendet eine planare Anordnung sogenannter Hohlkathodenjets, eine Art Plasmadüse. Das gezeigte Modul kann bei einem Druck von etwa 1 mbar ein Hochfrequenzplasma von ca. 15 Zentimeter Durchmesser erzeugen. Die Plasmajets dienen dabei gleichzeitig der Gaszuführung. Um ein gleichmässiges Einströmen zu gewährleisten, kommt eine spezielle Geometrie der Zuleitungskanäle zum Einsatz. Dieser „fraktale Gasverteiler“ wurde mit Hilfe der Strömungssimulation FLUENT optimiert. Diese Plasmaquelle lässt sich sehr erfolgreich zu Beschichtungsexperimenten nutzen. Das auch als PECVD (plasmaenhanced chemical vapour deposition) bezeichnete Verfahren funktioniert so, dass man geeignete molekulare Gase mit energiereichen Plas- Plasmaquelle PlasCon HCD (hollow cathode discharge) als Modul. Pseudofarbendarstellung der elektrischen Feldstärke im Querschnitt einer SLAN. maelektronen aufspaltet (dissoziiert) und zu chemischen Reaktionen anregt, die zur Schichtbildung an einer Substratoberfläche führen. Eine Vielzahl unterschiedlicher Schichten, darunter auch Polymere, lassen sich auf diese Weise bei niedrigen Temperaturen herstellen und demonstrieren eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit und Flexibilität des Universalwerkzeugs Niedertemperaturplasma. dreidimensionale Strukturen gleichmäßig beschichten, wie z.B. Zahnräder zur Erhöhung der Abriebfestigkeit. gie eingesetzt werden. Stents sind kleine rohrförmige Edelstahldrahtgeflechte von 1-2 Zentimetern Länge, die in eine Arterie eingebracht werden. Mit einer Ballontechnik lässt sich der Stent aufweiten, so dass der Aderquerschnitt dauerhaft erweitert und stabilisiert wird, womit eine Bypass- Da die DLC-Schichten ausgezeichnete biokompatible Eigenschaften aufweisen, benutzt man sie zur Beschichtung von Stents, die in der Gefäßchirur- Diamantharte Schutzschichten Mit kohlenstoffhaltigen Gasen wie Methan kann man Diamant- oder diamantähnliche (DLC, diamond-like carbon) harte Schichten abscheiden. Besonders vorteilhaft ist es, dass sich das Plasma der Geometrie des zu beschichtenden Objektes anpasst. Unter Ausnutzung des Hohlkathodeneffektes gelingt es sogar, gerade in kleinen Hohlräumen ein besonders intensives Plasma zu generieren. Damit lassen sich auch kompliziert geformte operation oftmals vermieden werden kann. Es ist klar, dass die Anforderungen an eine Schutzschicht, bei der das Grundmaterial anschließend noch Formveränderungen unterworfen ist, besonders hoch sind. Ein Risiko für den Patienten durch abgelöste Bestandteile muss unbedingt ausgeschlossen werden. Die elektronenmikroskopische Aufnahme beweist die Qualität der erzeugten Schicht. Inzwischen ist das Verfahren mit Erfolg klinisch getestet worden. Atmosphärendruck geht auch! Die bisher vorgestellten Niedertemperaturplasmen arbeiten alle bei Unterdruck, benötigen also ein mehr oder weniger aufwändiges Vakuumsystem. Höhere Drücke bis hin zu Atmosphärendruck führen normalerweise dazu, dass durch Teilchenstösse Ionen und Neutralteilchen stark aufgeheizt werden. Die Glimmentladung schlägt dann um in eine Simulation zur Ermittlung der Strömungsgeschwindigkeit im Gaszuführungskanal einer PlasCon HCD. 23 output 6/2002 Stent, etwa 2 cm lang. heiße und stromstarke (thermische) Bogenentladung, wie sie auch zum Schneiden und Schweißen verwendet wird. Man kann diesen Effekt allerdings in einer sogenannten Barrierenentladung oder stillen Entladung vermeiden: hierbei wird das Plasma durch eine schnelle Folge von kurzen Hochspannungspulsen aufrechterhalten, bei denen ein Dielektrikum den Stromfluss begrenzt. Nach diesem Prinzip arbeiten beispielsweise Ozongeneratoren. Im f konzentrieren sich aktuelle Arbeiten auf eine Weiterentwicklung, die als Oberflächenentladung bezeichnet wird. Das Plasma brennt in diesem Fall nur in einer dünnen Schicht von weniger als einem Zentimeter Dicke über einer planaren Anregungsstruktur. Oft entstehen neben einer diffusen Plasmaschicht sogenannte Entladungsfilamente, bei denen es sich um Kanäle mit schnellen Elektronen handelt. Man erkennt Filamente am hellen Plasmaleuchten. Mit spektroskopischen Diagnostikmethoden hoher zeitlicher Auflösung kann man zeigen, dass sie sich manchmal irregulär bewegen und eine starke Quelle ultravioletter Strahlung darstellen. Daher eignen sich Plasmen dieses Typs gut dazu, molekulare Gase zu dissoziieren, wie es ja auch beim Ozonisator geschieht. Falls man hingegen ein ausschließlich diffuses Plasma anstrebt, um etwa eine homogene Oberflächenbehandlung zu erzielen, muss man Filamente vermeiden. In Helium und einigen anderen Gasen gelingt dies verhältnismäßig einfach, in Luft bei Normaldruck bedarf es hingegen einiger Anstrengung. Es kommt darauf an, die Anregungsgeometrie der Plasmaquelle und die elektrischen Parameter, d.h. Pulsform, Amplitude und Frequenz der Hochspannungspulse optimal aufeinander abzustimmen. Die untenstehende Abbildung zeigt zwei im f entwickelte Entladungsstrukturen mit weitgehend homogenen Plasmaschichten. Blick in das Prozessplasma einer PlasCon HCD zur Diamantbeschichtung eines Kegelzahnrades. 24 output 6/2002 Komplette Beschichtungsanlage mit Versorgungssystemen und Kontrollelektronik. „Links“ zwischen Forschung und Industrie Ein interdisziplinäres Gebiet wie die Plasmatechnologie verdeutlicht gut die Wechselwirkung zwischen Grundlagenforschung einerseits und industrieller Anwendung andererseits. Seit seiner Gründung ist das f dem Technologietransfer verpflichtet. Dies bedeutet weit mehr, als dass Spezialisten aus der Universität gelegentlich Seminare für interessierte Firmenmitarbeiter anbieten. In bilateralen Kooperationen, Machbarkeitsstudien und Verbundvorhaben lernen beide Partner voneinander. Aus der Vergrößertes rasterelektronisches Detailbild, das die einwandfreie Qualität der Beschichtung zeigt. Jahren ein Bindeglied zwischen dem f und Plasmatechnologie-Anwendern, das sich erfolgreich am Markt behauptet und es gerade kleineren Unternehmen erleichtert, die richtigen Ansprechpartner in der Universität zu finden. Industrie werden dabei immer wieder Fragen aufgeworfen, die mit grundlegenden wissenschaftlichen Problemen verknüpft sind und manchmal neue Forschungsrichtungen anstoßen. Technologietransfer geschieht weiterhin sehr effizient in der Ausgründung von Firmen durch Hochschulmitarbeiter. Mit einem solchen „spin-off“, der Firma JE PlasmaConsult GmbH, existiert seit einigen Diffuse Oberflächenentladung in Luft. Die leuchtende Plasmafläche hat eine Größe von ca. 5 mal 7 cm. 25 output 6/2002
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