Identitätsstiftende Architektur Kulturschwerpunkt 2013 Österreich Werbung Brand Management/ Themenmanagement Kultur Text: Tom Cervinka Architektur mit unverwechselbarem Charakter Österreich verfügt nicht nur über ein reiches baukulturelles Erbe. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich eine zeitgenössische Architektur entwickelt, die die historischen Bauwerke in einem neuen Glanz erscheinen lässt. Traditionen trifft Moderne – eine einzigartige Symbiose, die eine neue Identität für die künftigen Generationen schafft. Die Architektur eines Gebäudes, einer Stadt oder einer Region ist immer ein Dokument für die Geschichte, ein gebautes Spiegelbild der Gesellschaft und ein Zeugnis ihres wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Seins. Parallel dazu ist sie aber auch die allgegenwärtigste der klassischen Künste – der Architektur kann man sich nicht entziehen. Abgesehen von unberührten Naturlandschaften begegnet sie einem auf Schritt und Tritt, immer ist man von den Werken der Architekten und Bauherren umgeben: in der eigenen Wohnung oder im eigenen Haus, auf den Straßen der Stadt – bei der Arbeit ebenso wie in der Freizeit. Architektur prägt unser individuelles und gesellschaftliches Leben. Während die Gesellschaft einem immer rasanteren Wandel unterworfen ist, ändert sich das Bild unserer gebauten Umgebung jedoch vergleichsweise langsam. Somit ist die Architektur eine der wenigen Konstanten im Leben der Menschen und nicht zuletzt genau deswegen in der Lage, ihre identitätsstiftende Wirkung zu entfalten. Während manche Bauwerke Generationen überdauern, haben andere jedoch nur eine sehr kurze Lebensdauer. Aus einem Gebäude wird Identität Was aber macht ein Gebäude zum kulturellen Erbe und entfaltet nachhaltig eine positive Identität, mitunter sogar über Jahrhunderte hinweg? Aus der zeitlichen Distanz heraus betrachtet, lässt sich diese Frage anhand der historischen Baukulturgüter mitunter klarer beantworten als für die zeitgenössische Architektur, die ihre kulturelle Wertbeständigkeit erst noch unter Beweis stellen muss. So zeigt die Baugeschichte bestimmte Wesenszüge der Architektur, die einzelne Objekte oder ganze Ensembles aus der breiten Masse des Gebauten herausheben und damit unverwechselbar machen – worin auch ihre identitätsstiftende Wirkung begründet ist. Diese Wesenszüge lassen sich im Wesentlichen auf zwei Merkmale reduzieren: Regionalität und Einzigartigkeit. Dabei stehen der lokale Bezug der Architektur sowie ihr einzigartiges Erscheinungsbild in steter Wechselbeziehung zueinander. Regional verankerte Architektur, die auf den „Genius Loci“, die Besonderheit oder den Geist eines Ortes reagiert und über einen unverwechselbaren Charakter verfügt, hat in der Regel auch Bestand. Wenn sie sich darüber hinaus auch noch über die gesellschaftlichen, kulturellen oder gestalterischen Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzt, geltende Normen sprengt, neue Maßstäbe und Standards setzt, dann kann man mit Fug und Recht von identitätsstiftender Architektur sprechen. Architektur und Identität Seite 2 von 9 Geschichtliche Vorbilder dafür gibt es viele: Die Monumentalität der mittelalterlichen Burgen, die detaillierten Fassaden der gotischen Kirchenbauten, die überreich gestalteten Schlossund Gartenanlagen oder die profanen und kirchlichen Prunkbauten des Barock haben sich als Identitätsstifter bewiesen. Ebenso wie das originäre Erscheinungsbild geschlossener, historischer Stadtkernensembles, die florale Bildsprache des Jugendstils, die Architektur der Sezessionisten oder die stadtbildprägenden Bauten eines Otto Wagner oder Adolf Loos. Dabei liegt die baukulturelle Bedeutung in der Zeit ihrer Entstehung nicht immer gleich auf der Hand. Die Beurteilung erfolgt rückblickend, mit der objektivierenden Wirkung des zeitlichen Abstands. Prominentes Beispiel dafür ist das von Adolf Loos errichtete Gebäude am Wiener Michaelerplatz. Nach Fertigstellung des Looshauses weigerte sich Kaiser Franz Josef, die Einfahrt am Michaelerplatz weiterhin zu benutzen. Zusätzlich ließ er alle Fenster, die auf das Looshaus blickten, vernageln, damit er sich das „scheußliche“ Haus nicht ansehen musste. Heute zählt es zu den bedeutendsten Bauwerken der Wiener Moderne und zu den vielbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Hoteliers und Gastronomen setzen immer mehr auf Architektur Die zeitgenössische österreichische Architektur hat sich längst von den vorgegebenen Gestaltungskanons vergangener Zeiten emanzipiert. Die unterschiedlichen, architektonischen Themenschwerpunkte variieren je nach Bundesland oder Region. Gemeinsames Ganzes ist der Bezug zur Landschaft und zur einzigartigen landes- oder regionsspezifischen Kultur und Bautradition – ein Erfolgsfaktor für gute, nachhaltige Architektur, die über lange Zeit Bestand haben kann. Auch heute sind es die Kulturbauten, Museen, Theater und Repräsentationsbauten, denen besondere gestalterische Aufmerksamkeit geschenkt wird. Daneben bedienen sich aber auch Industrie, Gewerbe und Tourismus der Architektur als Mittel zum Zweck. So haben zahlreiche Gastronomen und Hoteliers erkannt, dass gute Architektur mit hohem gestalterischen Anspruch ein Unterscheidungsmerkmal ist, eine Möglichkeit, sich von der breiten Masse des dichten touristischen Angebots abzuheben und die Besucherzahlen zu steigern. Unkonventionelle gastronomische Projekte, wie das von Thomas Fichtner entworfene Seerestaurant „Katamaran“ im burgenländischen Rust, die „Mole West“ vom Architekturbüro Halbritter & Hillerbrand am Neusiedler See oder das „Wellen.Spiel“ des Wiener Architektenduos Najjar & Najjar, im niederösterreichischen Krems, inszenieren den Blick auf die Landschaft und haben damit unternehmerischen Erfolg. Auf Tradition, gepaart mit gediegenem Design und höchstem Komfort, setzen auch die heimischen Hoteliers. Die Architektur ist international, mit einem Hauch Lokalkolorit – der enge Bezug zur Umgebung für die beauftragten Planer verbindlich. Für die „edel:weiss Residences“ am Katschberg in Kärnten beispielsweise, engagierte der Betreiber den Südtiroler Architekten und Designer Matteo Thun. Mit seinen beiden Hochhäusern in Tannenzapfenform am Berg sorgte er für Aufsehen. Der Bezug zur Landschaft wird über eine rautenförmig arrangierte Holzlattenfassade hergestellt. Architektur und Identität Seite 3 von 9 „Under the ground“, „on the ground“ und „over the ground“ lautet die gestalterische Idee für Weinkeller, Besucherzentrum und Hotel des amerikanischen Architekten Steven Holl für das „Loisium“ im niederösterreichischen Langenlois. Mit Unterstützung der österreichischen Architekten Irene Ott-Reinisch und Franz Sam entstand eine pittoresk anmutende Erlebniswelt, in der die Gestalt des Baukörpers über eine ortsmotivische Annäherung generiert wurde. Eine Sonderstellung unter den Tourismusbetrieben nehmen die Thermenanlagen und SpaResorts ein. Als Unterscheidungsmerkmal wurden viele einem bestimmten Gestaltungsmotto oder -thema unterworfen, das im Bezug zur Landschaft oder Geschichte steht. So hat sich beispielsweise die St. Martins Therme & Lodge, vom Architekturbüro Holzbauer & Partner, dem Safarilook verschrieben und bezieht ihren Reiz aus der flachen, weitläufigen Landschaft des Naturschutzgebietes Neusiedlersee-Seewinkel. Mit seiner sensationellen Lage mitten in den Bergen inszeniert das Tauern Spa Kaprun in Salzburg ein vollständig gegensätzliches landschaftliches Extrem. Für die Architektur zeichnet das Wiener Büro der Skyline Architekten verantwortlich. Das Römerbad in Bad Kleinkirchheim in Kärnten, nach den Plänen von Behnisch Architekten aus Stuttgart, stellt den Bezug zur römischen Badekultur her. Das Themenspektrum ist breit gefächert und ebenso fantasievoll wie dessen architektonische Umsetzung. Junge Winzer inszenieren neue Erlebniswelten Dem Thema Wein unterworfen und fest in der von Menschenhand geschaffenen Kulturlandschaft verankert, ist die österreichische Weinarchitektur. Mit modernen Gestaltungsmitteln hat es die neue, dynamische Winzergeneration geschafft, sowohl den Anforderungen an einen zeitgemäßen Weinbaubetrieb gerecht zu werden als auch touristisch verwertbare Erlebniswelten zu inszenieren. Das Erstaunliche dabei ist die große Zahl an Projekten. Rund 60 Betriebe in den Weinanbaugebieten von Wien, Niederösterreich, der Steiermark und dem Burgenland sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Allianz mit der Architektur eingegangen: Vom Wiener Weingut Christ der Architektengruppe Raum-WerkStadt über die von Steven Holl in Szene gesetzte Weinerlebniswelt Loisium im niederösterreichischen Langenlois oder dem Weritas im Weinviertler Kirchberg am Wagram, von gerner°gerner plus Architekten, bis hin zu Leo Hillingers Großkellerei im burgenländischen Jois oder dem von Wilhelm Holzbauer und Dieter Irresberger entworfenen Reifekeller Arachon im grenznahen Horitschon reicht das Spektrum an herausragender Architektur. Weiter zieht sich die Spur des Weins dann noch durch die Steiermark, mit prominenten Weinbaubetrieben wie der Weinmanufaktur Schilhahn in Gamlitz, von g2plus Architekten, oder dem Weingut von Manfred Tement ganz im Süden, entworfen vom Grazer Architekten Walter Kletzl. Architektur und Identität Seite 4 von 9 Dichtes Nebeneinander von Alt und Neu in Wien Weniger mit der Landschaft, dafür aber umso mehr mit der gebauten Umgebung im gestalterischen Austausch präsentiert sich die österreichische Architektur in den urbanen Ballungszentren. Als ehemalige Hauptstadt eines Weltreiches und Vielvölkerstaates verfügt Wien über ein breites Spektrum imperialer Prunk- und Prachtbauten. Die unter dem Schutz des UNESCO Weltkulturerbes stehende historische Altstadt, die Ringstraße, die Innenstadtpalais, die Schönbrunner Schlossanlage oder das Schloss Belvedere sind aus dem Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Ebenso wenig wie die Stadtbahnbauten eines Otto Wagner, die bis heute ein wesentlicher Bestandteil der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur sind. Doch auch die jüngere Architektengeneration hinterlässt ihre Spuren, womit sich im Laufe der Zeit in der Bundeshauptstadt ein dichtes Neben- und Miteinander von historischem Bestand und moderner Architektur entwickelt hat. Besonders eindrucksvoll ist dies beim Wiener MuseumsQuartier gelungen. „Barock meets Cyberspace“ lautete das Leitthema der Eröffnung im Jahr 2001. Es beschreibt die gelungene Kombination von Alt und Neu in einem der weltweit größten Areale für Kunst und Kultur. Fast 300 Jahre liegen zwischen der Entstehung der ehemaligen Hofstallungen und den Neubauten im Innenhof: Leopold Museum, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (MUMOK) und Kunsthalle. Mit der Revitalisierung ist es dem Architektenteam Laurids und Manfred Ortner gelungen, den Gesamtkomplex zu neuem Leben zu erwecken. Mit der Gestaltung des Vorplatzes und des Innenhofes in Form eines urbanen Wohnzimmers ist es zudem auch geglückt, das MuseumsQuartier nicht nur für Kunst- und Kulturinteressierte attraktiv zu machen, sondern für alle, die mitten in der Stadt eine kurze Auszeit nehmen wollen. Ihr modernes Antlitz zeigt die Hauptstadt jenseits der Donau: Mit der Errichtung der Uno City Wien – neben New York, Genf und Nairobi einer der vier Amtssitze der Vereinten Nationen – in den Jahren 1973 bis 1979, nach Plänen des österreichischen Architekten Johann Staber, wurde der Grundstein für die Hochhausbebauung entlang der Donau gelegt. Die neue stadtbildprägende Skyline hat sich aber erst in den vergangenen 15 Jahren entwickelt. Nachdem die für das Jahr 1995 geplante Weltausstellung abgeblasen wurde, erklärten die Stadtväter das Areal unter der klangvollen Bezeichnung „Vienna DC“ zum städtebaulichen Entwicklungsgebiet. Mit der U-Bahn nur acht Minuten vom historischen Zentrum entfernt, steht zeitgenössische Stahl- und Glasarchitektur dicht an dicht in einer Mischung aus Büro- und Wohnbauten, Forschungsstätten und zahlreichen Freizeiteinrichtungen. Innerhalb weniger Jahre ist hier ein neues urbanes Zentrum entstanden, das die moderne Seite von Wien repräsentiert. Neue architektonische Maßstäbe in Graz und Salzburg Auch vor den anderen Landeshauptstädten macht die architektonische Verjüngung des Bestands nicht halt. Und auch hier ist es eine ausgewogene Mischung aus Altem und Neuem, die den besonderen Reiz ausmacht. Neben Altstadt und Schloss Eggenberg (beide UNESCO Weltkulturerbe), Schlossberg und Uhrturm ist es mehr und mehr auch die moderne Architektur, die das Bild der Grazer Stadt in ihrer Außenwahrnehmung prägt und Touristen Architektur und Identität Seite 5 von 9 anzieht. Geradezu einen Boom an Neubauprojekten mit architektonischem sowie identitätsstiftendem Anspruch brachte das Kulturhauptstadtjahr 2003. So ist beispielsweise der von den beiden britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier entworfene „Friendly Alien“, das Kunsthaus Graz, zum neuen Wahrzeichen der Stadt avanciert. Auch der Identität scheint dabei Genüge getan: Noch während der Bauphase, als die dreidimensional geformten Acrylglasplatten der Fassadenhaut vor Ort gelagert wurden, schlichen sich Souvenirjäger hinter den Bauzaun, um Erinnerungsstücke aus den überdimensionalen Platten herauszusägen. Die Bauverantwortlichen reagierten prompt und ließen entsprechende Schlüsselanhänger fertigen. Ein strategischer Schachzug, der seine Wirkung nicht verfehlte und die Baustelle wieder diebstahlsicher machte. Unweit des Kunsthauses bildet die ursprünglich nur für das Kulturhauptstadtjahr konzipierte Murinsel, vom New Yorker Künstler und Designer Vito Acconci entworfen, eine zusätzliche Verbindung zwischen den beiden Murufern. Heute ist sie ein fixer Bestandteil des Grazer Stadtbildes und eine der meistfotografierten städtischen Attraktionen. Nicht nur die reich mit Ornamenten und barockem Schmuck beladenen Paläste verfügen über höchste Anziehungskraft, oft sind es auch die scharfen Kanten und glatten Flächen der jüngsten Werke der Architektur, die für Spannung im Stadtbild sorgen. Gerade dann, wenn der reiche historische Bestand diesen baulichen Kontrapunkt zusätzlich unterstreicht und hervorhebt, wie das Museum der Moderne auf dem Mönchsberg über der Altstadt von Salzburg eindrucksvoll vermittelt. Von Einheimischen und Touristen vielbesucht, wacht der steinerne Riegel der Münchner Architekten Friedrich, Hoff und Zwink hoch oben über die Stadt. Die Verankerung des Museums in der Besonderheit des Bauplatzes betrachteten die Architekten als wichtigste Aufgabe in der Entwurfsarbeit. Nicht weniger spektakulär ist auch die Architektur des Hangar 7 auf dem Salzburger Flughafen. Im Jahr 1999 vom ortsansässigen Architekten Volkmar Burgstaller entworfen, hat die elliptische Stahl-GlasSchalenkonstruktion so gar nichts gemein mit einem klassischen Flugzeughangar. Aber schließlich sind hier auch keine normalen Flugzeuge untergebracht, sondern die Sammlung der Flying Bulls von Red-Bull-Gründer und Energy-Drink-Millionär Didi Mateschitz. Imagewechsel in Linz: von der Stahl- zur Kulturstadt Dass auch ein vollständiger Imagewechsel ohne Verlust des lokalen Bezugs möglich ist, hat Linz eindrucksvoll vorgemacht. Unter anderem mit den gestalt- und raumbildenden Mitteln der Architektur hat die Hauptstadt Oberösterreichs den Wandel von der Stahl- und Industriestadt zur Kunst- und Kulturstadt vollzogen. Und damit ihren Bewohnern und sich selbst in der öffentlichen Wahrnehmung eine neue Identität verliehen. Deutliches Zeichen für das Aufleben eines neuen kulturellen Bewusstseins ist das im Jahr 2003 eröffnete, von Weber + Hofer entworfene Lentos Kunstmuseum, das am Donauufer über einem der Haupthandelswege der Stadt thront. Ebenfalls am Donauufer liegt das neue Ars Electronica Center von Treusch architecture. Auch hier war das Kulturhauptstadtjahr ausschlaggebend für die Bauentscheidung, schließlich wollte die Stadtregierung mit dem „Museum der Zukunft“ ihrem kulturellen Anspruch auch Architektur und Identität Seite 6 von 9 baulich Rechnung tragen. „Kunst, Technologie und Gesellschaft“ lautet seit mehr als 30 Jahren die Philosophie der Ars Electronica. Heute verschmelzen da, wo bis vor wenigen Jahren hauptsächlich Stahl geschmolzen wurde, verschiedene Kunst-, Wissenschafts- und Technologierichtungen zu einer neuen, identitätsstiftenden Gesamtkomposition. Bis zum Frühjahr 2013 soll auch das neue Musiktheater nach den Plänen des Londoner Architekten Terry Pawson fertiggestellt sein - und die Stadt um eine weiteres architektonisches wie kulturelles Highlight bereichert. Vorarlberger Architekten als Pioniere nachhaltiger Bautechnik Über die rein architektonischen Leistungen hinaus hat Österreich auch in der Bautechnik, konkret in Bezug auf Energieeffizienz und Ökologie, international neue Maßstäbe gesetzt – ausgelöst und getragen von der profanen Alltagsarchitektur des Einfamilienhausbaus. Ausgangspunkt für diese Entwicklung waren die Vorarlberger Architekten. In den vergangenen zwei bis drei Jahrzehnten entstand eine unübersehbare Dichte an guter Alltagsarchitektur mit höchstem Anspruch an Ökologie und Nachhaltigkeit. Der Einsatz von nachwachsenden, lokal verfügbaren Rohstoffen, wie beispielsweise Holz, und der sparsame Umgang mit endlichen Ressourcen im Hinblick auf die Energieversorgung haben dem westlichsten aller Bundesländer einen Wissens- und Erfahrungsvorsprung in puncto Niedrigenergie- und Passivhausbauweise gebracht. Eine Entwicklung, die mit zeitlicher Verzögerung auch auf das benachbarte Tirol übergegriffen hat. Gleichzeitig hat sich so neben den klassischen Tourismuszielen auch ein eigenständiger Architekturtourismus entwickelt. Für Opern- und Architekturinteressierte gleichermaßen anziehend ist beispielsweise das Bregenzer Festspielhaus von Dietrich/Untertrifaller Architekten. Als größtes Veranstaltungszentrum zwischen München und Zürich ist es nicht nur in Bezug auf seine Architektur richtungsweisend. Der wirtschaftliche Einsatz von Energie, die Verwendung von Bioprodukten aus der Region sowie von Fair-Trade-Produkten stehen im Fokus von nachhaltigen Veranstaltungen. Zudem ist das Festspielhaus Bregenz auch als Zertifizierungsstelle tätig und damit befugt, anderen Veranstaltern den „Green-MeetingsStandard“ zu bescheinigen. Mit dem Kunsthaus vom Schweizer Architekten Peter Zumthor verfügt Bregenz über ein weiteres kulturelles und architektonisches Highlight. Über seine gläserne Hülle korrespondiert es mit der Umgebung, nimmt das wechselnde Licht des Himmels und das Dunstlicht des Sees auf und lässt je nach Tageszeit und Blickwinkel etwas von seinem Innenleben erahnen. Zeitgenössische Architektur im alpinen Raum Mut zur Architektur beweist auch das benachbarte Tirol. Neben Schloss Ambras, der Innsbrucker Altstadt und dem „Goldenen Dachl“ verfügt Innsbruck seit dem Jahr 1927 mit der Bergisel-Schanze über eine der wichtigsten Wintersporteinrichtungen des Landes. Und wird damit auch seiner Tradition als einer der bedeutendsten Austragungsorte von internationalen Wintersportveranstaltungen, wie den Olympischen Winterspielen, gerecht. Mit der Jahrtausendwende galt es, die altersschwache Sprungschanze neu zu errichten. Architektur und Identität Seite 7 von 9 Den international ausgelobten Wettbewerb konnte die in London lebende und in Wien unterrichtende Architektin Zaha Hadid für sich entscheiden. Mit dem Entwurf einer dynamischen „Pfeife“ schuf Hadid eine perfekte Symbiose aus Funktion und Gestaltung, die nicht nur von der internationalen Presse vielbeachtet, sondern auch von der einheimischen Bevölkerung freudig angenommen wurde. Seilbahnen sind als bequeme und leistungsstarke Aufstiegshilfe in der österreichischen Gebirgslandschaft keine Seltenheit und gehören ebenso zum Bild der Berge wie malerische Hütten oder dem Unbill der rauen Wetterbedingungen trotzende Halterhütten und Jausenstationen. Mitunter werden sie aber auch Zielobjekt architektonischer Gestaltung. Die Hungerburgbahn ist wohl eine der beeindruckendsten Vertreterinnen ihrer Art. Die erste Seilbahn auf die Hungerburg wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet und ist seit damals fixer Bestandteil der Innsbrucker Verkehrsinfrastruktur. Bei der Gestaltung der neuen Stationsbauten kam erneut Zaha Hadid zum Zug, die mit ihren organisch geformten Baukörpern ein überstarkes Zeichen für zeitgenössische Architektur im alpinen Raum setzte. Neue Bergarchitektur sorgt für „Energiewende“ „Land der Berge“ heißt es schon in der österreichischen Bundeshymne und so ist es nicht verwunderlich, dass auch die Architektur in der beeindruckenden Kulisse der Bergwelt einen besonderen Stellenwert einnimmt. Die herausfordernden baulichen Rahmenbedingungen, der sensible Umgang mit der Natur, die Schonung der natürlichen Ressourcen und die effiziente Nutzung der zur Verfügung stehenden Mittel sind besondere Merkmale des alpinen Bauens. Das schließt zeitgenössische Architektur nicht aus – ganz im Gegenteil. Vor allem in den sehr exponierten Lagen haben die klassischen Schutzhütten von moderner Architektur Konkurrenz bekommen, die sich durch höchste Dämmwerte und niedrigsten Energieverbrauch auszeichnet. Die konsequente Reaktion auf die örtlichen Gegebenheiten ist beim Bauen in alpinen Insellagen unerlässlich und generiert eine Architektur, die wie nirgendwo sonst auf einzigartige Weise mit dem Ort korrespondiert. Einer der bekanntesten Vertreter der neuen Schutzhüttengeneration ist das Schiestlhaus im steirischen Hochschwab Gebirge, entwickelt von den Wiener Pos Architekten. Mit 100 Prozent erneuerbarer Energie kann es sich inklusive Trinkwasseraufbereitung und Abwasserentsorgung selbst versorgen und dabei einen Komfort bieten, der für Schutzhütten Seltenheitswert genießt. Nicht weniger innovativ ist beispielsweise aber auch die Stüdlhütte am Fuße des Großglockners in Osttirol, ein Werk des Architekten Albin Glaser. Hinter der mit Holzschindeln verkleideten Fassade befindet sich modernste Technik, die das Gebäude annähernd Energieautark macht und damit auf die extremen Wetterbedingungen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 200 Stundenkilometern und die Lage im Naturschutzgebiet „Hohe Tauern“ reagiert. Eine autarke Energieversorgung mittels Photovoltaikpaneelen und Solaranlage liegt auch einer der jüngsten Schutzhütten zugrunde. Das neue Knofelebenhaus wurde im Frühsommer 2012 eröffnet und befindet sich am Schneeberg, nur knapp eine Autostunde vor den Toren Architektur und Identität Seite 8 von 9 Wiens. Trotz der vergleichsweise geringen Höhenlage von 1.250 Metern stellte die kurze wetterbedingte Bauphase für das junge Wiener Architekturbüro Baukult eine logistische Herausforderung dar. Hinzu kam die Lage inmitten des Quellschutzgebiets. Der Schneeberg sichert einen Großteil der Wiener Trinkwasserversorgung, weswegen das Knofelebenhaus zusätzlich auch eine Regenwasserzisterne für den gesamten Brauchwasserverbrauch bekam, da ein Anzapfen der natürlichen Quellen untersagt ist. Zeitgenössische, österreichische Architektur auf hohem, internationalem Niveau ist heute längst keine Ausnahmeerscheinung mehr. Quer durchs gesamte Bundesgebiet gibt es sie, die architektonischen Highlights, die sich vom gebauten Mainstream unterscheiden und dem Ort einen unverwechselbaren Charakter verleihen. Lokal verankert, der Bautradition verpflichtet, mit eigenständiger Gestaltung und Formensprache sind sie die Grundlage für den Erhalt und die Weiterführung des (bau-)kulturellen Erbes. Gemeinsam mit dem umfangreichen historischen Bestand bilden sie eine solide Basis für den Tourismusstandort Österreich. Architektur und Identität Seite 9 von 9
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